Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet des kommunalen Bürgerhaushalts in der Stadt Wesel


Seminararbeit, 2013

21 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsübersicht

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Begriff und Ziele des kommunalen Bürgerhaushalts

2. Die konzeptionelle Entwicklung des Bürgerhaushalts
2.1 Der Ursprung in Porto Alegre
2.2 Der Bürgerhaushalt von Christchurch
2.3 Aktuelle Verbreitung von Bürgerhaushalten
2.4 Übernahme der Idee durch Gemeinden in Deutschland

3. Der Bürgerhaushalt der Stadt Wesel
3.1 Die von der Stadt Wesel verfolgten Zielsetzungen
3.2 Der in Wesel praktizierte Verfahrensablauf
3.3 Entwicklung der Bürgerbeteiligung

4. Bewertung des aktuellen Entwicklungsstandes bei der Stadt Wesel
4.1 Bewertung der bisherigen Umsetzung
4.2 Notwendige Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung

Literatur- und Quellenverzeichnis

1) Bogumil, Jörg / Holtkamp, Lars / Schwarz, Gudrun: Das Reformmodell Bürgerkommune. Leistungen – Grenzen – Perspektiven. Berlin 2003

2) Günther, Albert: Der Bürgerhaushalt. Bestandsaufnahme – Erkenntnisse – Bewertung. München 2007

3) Herzberg, Carsten: Wie partizipative Demokratie zu politisch-administrativen Verbesserungen führen kann: der Bürgerhaushalt von Porto Alegre. 3. Aufl. Münster 2001

4) Herzberg, C. / Sintomer, Y. / Allegretti, G.: Vom Süden lernen: Bürgerhaushalte weltweit – eine Einladung zur globalen Kooperation. In: InWEnt gGmbH – Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (Hrsg.): Dialog Global Heft 25. Bonn 2010

5) Innenministerium NRW: Kommunaler Bürgerhaushalt - Ein Leitfaden für die Praxis. Gütersloh 2004

6) Knopp, Anke: Was bringt ein Bürgerhaushalt? o. O., 18.12.2012, zitiert nach: http://www.buergerhaushalt.org/de/article/was-bringt-ein-b%C3%BCrgerhaushalt, 18.02.2014

7) Märker, O. / Wilhelmy, S.: Bürgerhaushalt – Ideen aus Brasilien und Neuseeland – unsere Kommunen lernen dazu. o. O., 2012, zitiert nach: http://www.demo-online.de/content/ideen-aus-brasilien-und-neuseeland-unsere-kommunen-lernen-dazu, 06.02.2014

8) Plamper, Harald: Bürgerkommune: Was ist sie? Was soll sie sein? Was ist zu tun? Düsseldorf 2000

9) Ruesch, Michelle: Bürgerhaushalte ohne Bürger? – Sinkende Beteiligung in Zeiten steigender Beteiligungsangebote. o. O., 12.09.2012, zitiert nach: http://www.buergerhaushalt.org/de/article/b%C3%BCrgerhaushalte-ohne-b%C3%BCrger-%E2%80%93-sinkende-beteiligung-zeiten-steigender-beteiligungsangebote, 17.02.2014

10) Ruesch, Michelle: Wer hat’s erfunden? Brasilien. o. O., 09.01.2013, zitiert nach: http://www.buergerhaushalt.org/de/article/wer-hat%E2%80%99s-erfunden-brasilien, 18.02.2014

11) Ruesch, Michelle / Schröter, Nina: Gründe für Nichtbeteiligung aus Bürgersicht. o. O., 14.08.2013, zitiert nach: http://www.buergerhaushalt.org/de/article/gruende-fuer-nichtbeteiligung-aus-buergersicht, 24.02.2014

12) Schröter, Nina: Statusbericht buergerhaushalt.org. o. O., Januar 2013, zitiert nach http://www.buergerhaushalt.org/sites/default/files/6._Statusbericht_buergerhaushalt.org_.pdf, 14.02.2014

13) www.buergerhaushalt.org

14) www.buergerhaushalt-wesel.de

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Darstellung der Bürgerhaushalte weltweit

Abbildung 2: Darstellung der Bürgerhaushalte in Europa

Abbildung 3: Darstellung der Bürgerhaushalte in Deutschland

Abbildung 4: Verwaltungsinterne Auswertung der Vorschläge bzgl. Thema und Art

Abbildung 5: Verwaltungsinterne Auswertung der Vorschläge nach Thema

Abbildung 6: Verwaltungsinterne Auswertung der Vorschläge nach Art

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Begriff und Ziele des kommunalen Bürgerhaushalts

Im Grunde handelt es sich um einen „Bürger- und Einwohnerhaushalt“[1], denn sowohl Einwohner als auch Bürger können am Bürgerhaushaltsverfahren mitwirken. In der Fachliteratur sind allerdings die Begriffe „Bürgerhaushalt“ und „Bürgerbeteiligung“ wortüblich

Der kommunale Bürgerhaushalt kann sehr unterschiedlich gestaltet sein, daher gibt es zahlreiche Umschreibungen. Dennoch wird als Definition folgendes festgelegt: „Ein Bürgerhaushalt liegt vor, wenn Bürger bei der Erstellung des kommunalen Haushalts nach vorausgegangener verständlicher Information über die Haushaltsangelegenheiten in einem eigenständigen Verfahren Vorschläge diskutieren und unterbreiten können, über die der Rat nach ernsthaftem Bemühen um deren Annahme entscheidet und anschließend gegenüber den Bürgern Rechenschaft über seine Entscheidungen und deren Umsetzung ablegt.“[2]

Demnach handelt es sich beim Bürgerhaushalt um ein Instrument, welches den Bürgern im Rahmen der finanziellen Angelegenheiten ihrer Kommune ein Beteiligungsrecht einräumt. Durch bürgernahe Verwaltungen und transparente Entscheidungen des Rates soll der wachsenden Politikverdrossenheit entgegengewirkt und das Vertrauen der Bürger in politische Institutionen zurückgewonnen werden. Weitere Zielsetzungen des Bürgerhaushalts sind, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken, mit den Bürgern in einen Dialog zu treten und dadurch das Verständnis für Sparzwänge zu entwickeln.[3]

2. Die konzeptionelle Entwicklung des Bürgerhaushalts

2.1 Der Ursprung in Porto Alegre

Der „Orcamento Participativo“[4] entstand in der brasilianischen Stadt Porto Alegre und wurde dort im Jahre 1988 mit Hilfe der Arbeiterpartei „PT“[5] entwickelt und 1989 zum ersten Mal durchgeführt. Ziele waren die Demokratieförderung, die gerechte Ressourcenverteilung und die Korruptions-bekämpfung.[6] Beim Bürgerhaushaltsverfahren in Porto Alegre werden Projekte und Maßnahmen, die von den Bürgern in einer Prioritätenliste zusammengestellt werden, durch eine nach bestimmten Kriterien erfolgte Zuteilung von Finanzmitteln umgesetzt. Es lassen sich folgende vier Phasen erkennen:

1) Bestimmung der Prioritäten durch die Einwohner
2) Ausarbeitung des Haushaltsentwurfs
3) Verabschiedung des Haushalts im Stadtrat
4) Ausarbeitung, Umsetzung und Kontrolle des Investitionsplans[7]

Im ersten Schritt werden die Prioritäten zum einen in sechs themenspezifischen Foren und zum anderen in den 16 Stadtbezirken mittels Bürgerversammlungen bestimmt. Die beiden Prioritätenlisten werden anschließend vom zentralen Organ des Bürgerhaushalts, dem Conselho do Orcamento Participativo[8] (COP), gebündelt, ausgearbeitet und soweit es die finanzielle Lage erlaubt, in den Haushaltsplan aufgenommen. Die zur Verfügung gestellten Gelder werden nach drei Kriterien auf die Stadtteile aufgeteilt, und zwar nach „Priorität des Stadtbezirks, Mangel an öffentlichen Dienstleistungen/Infrastruktur im Bezirk und Einwohnerzahl des Stadtbezirks“[9]. Stimmt der COP dem von der Stadtverwaltung erstellten Haushaltsentwurf zu, ist dieser dem Stadtrat zur Entscheidungsfindung vorzulegen, denn dieser kann das Ergebnis der Bürgerbeteiligung noch ablehnen. Anschließend erfolgt die Erarbeitung des Investitionsplans, der die Aufteilung der Summen auf konkrete Projekte beinhaltet. Der COP kontrolliert schließlich die Ausführung des Investitionsplans und fordert hierzu eine Rechenschaft ein.[10]

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Bürgerhaushalt in Porto Alegre durch die Transparenz und die starke Stellung des COP ein echtes Erfolgsmodell ist. Den Bürgern werden direkte Entscheidungsbefugnisse zugewiesen, denn sie „nehmen konkret und nach demokratischen Regeln entscheidenden Einfluss auf die Verwendung der Haushaltsmittel der Stadt, indem sie die Bereiche vorschlagen, in denen Investitionen vorgenommen und Infrastrukturein-richtungen geschaffen oder verbessert werden sollen“[11].

2.2 Der Bürgerhaushalt von Christchurch

Anfang der 1990er Jahre wurde in Christchurch (Neuseeland) der Bürgerhaushalt eingeführt. Die neuseeländische Gemeindeordnung verpflichtet ihre Gemeinden alle drei Jahre zu einem Long-Term Council Community Plan[12] (LTCCP). Der LTCCP, der für die Dauer von zehn Jahren Bestand hat, sollte den Bürgern grundlegende Informationen über die Bevölkerungsstruktur, Lebensverhältnisse, Wirtschaft, Aktivitäten des Rates und die Zielsetzungen für die nächsten zehn Jahre geben. Dieser langfristige Plan ermöglicht den Bürgern, Einfluss auf die Entscheidung des Rates zu nehmen. Die Bürger sollen sich an der Aufstellung des LTCCP mittels Informationsforen und Diskussions--veranstaltungen, an denen der Bürgermeister oder Ratsmitglieder teilnehmen, beteiligen und ihre Vorschläge vortragen. Die Bürgervorschläge werden anschließend vom Rat geprüft und es wird entschieden, ob sie in die endgültige Fassung des Gemeinschaftsplans einfließen. Zusätzlich wird im Rahmen des Soll-Ist-Vergleiches jedes Haushaltsjahr ein Annual Plan[13] vom Rat aufgestellt und ein dazugehöriger Annual Report[14] verfasst. So kann kontrolliert werden, ob die Ziele, die im LTCCP festgelegt wurden, erreicht werden oder ob es Abweichungen davon gibt.[15] Insgesamt kommt den Bürgern in Christchurch lediglich die Rolle des Beraters zu.[16]

2.3 Aktuelle Verbreitung von Bürgerhaushalten

Auf der folgenden Karte ist zu sehen, dass sich Bürgerhaushalte mittlerweile global verbreitet haben, und zwar werden insgesamt zwischen 795 bis 1469 Bürgerhaushalte weltweit durchgeführt. In Lateinamerika und der Karibik werden mit 511 bis 920 die meisten Bürgerhaushalte durchgeführt. Auf dem zweitem Platz steht Europa mit 174 bis 296 Bürgerhaushalten. Vereinzelt wird das Bürgerhaushaltsverfahren auch in Afrika und Südostasien durchgeführt, kaum aber in Nordamerika und Australien. Insgesamt fällt auf, dass viele Staaten das Bürgerhaushaltsverfahren gar nicht praktizieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Darstellung der Bürgerhaushalte weltweit[17]

Da das Konzept des Bürgerhaushalts in Europa zunehmend Anwendung findet, gilt es darauf einen näheren Blick zu werfen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Darstellung der Bürgerhaushalte in Europa[18]

In Europa wurde das Konzept des Bürgerhaushalts zunächst in Ländern wie Spanien und Portugal bereitwillig aufgenommen. „Die Anzahl der europäischen Städte mit einem Bürgerhaushalt soll innerhalb von fünf Jahren von sechs auf inzwischen 55 Städte angewachsen sein.“[19] Die jeweiligen Bürgerhaushalte weisen im Hinblick auf den Verfahrensablauf deutliche Diskrepanzen auf. Der Bürgerhaushalt in Cordoba (Spanien) ähnelt dem Ursprungsmodell von Porto Alegre.

2.4 Übernahme der Idee durch Gemeinden in Deutschland

Deutschlandweit werden Bürgerhaushalte nach dem Vorbild des neuseeländischen Modells durchgeführt. Das brasilianische Modell wäre hier mit der geltenden Gemeinde- und Haushaltsverordnung nicht vereinbar, denn in Deutschland ist der Bürgerhaushalt ein indirekt-demokratisches Beratungs-verfahren. Den Bürgern wird keine Entscheidungsfunktion übertragen. Außerdem besteht in Deutschland keine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung des Bürgerhaushalts. Nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz hat jede Kommune das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Demnach räumt die kommunale Selbstverwaltungsgarantie den Gemeinden das Recht ein, selbst zu entscheiden, inwieweit sie die Einwohner bei der Erstellung des kommunalen Haushalts mit einbezieht.[20]

Die Umsetzung in Deutschland kann je nach Region sehr unterschiedlich ausfallen, doch nahezu alle Bürgerhaushalte bevorzugen es, eine Beteiligungsplattform im Internet zu erstellen und die Bürger aufzufordern, Vorschläge einzubringen und zu diskutieren. Manche Städte versuchen, die Bürgerhaushalte mit verbindlicheren Elementen auszustatten, indem sie ein bestimmtes Budget zur Verfügung stellen. Die Bürger können dann entscheiden, welche Projekte vorrangig in Angriff genommen werden. In finanzschwachen Kommunen werden häufig Vorschläge zur Haushaltssanierung gefordert.[21]

Bisher sind 274 Kommunen in der Karte der Bürgerhaushalte in Deutschland aufgenommen worden (Stand Januar 2013). Es ist ein leichtes Wachstum zu verzeichnen, denn im Vorjahr waren es noch 237 Kommunen. In 104 Kommunen steht der Bürgerhaushalt allerdings nur zur Diskussion. Tatsache ist auch, dass der Kreis der Kommunen, die das Verfahren mittlerweile eingestellt haben, auf 28 Städte angewachsen ist.[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Darstellung der Bürgerhaushalte in Deutschland[23]

Betrachtet man die Entwicklung der Bürgerbeteiligung fällt auf, dass bei Einführung des Bürgerhaushalts die Beteiligung hoch ist. Dieses Phänomen ist allerdings nur von kurzer Dauer. Nach der ersten Durchführung lässt das Beteiligungsinteresse stark nach, sodass die Beteiligungszahlen bei den nachfolgenden Bürgerhaushalten wieder sinken.[24]

Die Entwicklung des Bürgerhaushalts in Deutschland wurde vor allem durch Pilotprojekte gefördert. Mit Hilfe des Projekts „Kommune der Zukunft“ (1998 – 2002) wurde der Bürgerhaushalt in fünf süddeutschen Städten eingeführt. Das darauffolgende Projekt „Kommunaler Bürgerhaushalt in NRW“ (2000 – 2004) half sechs Kommunen in Nordrhein-Westfalen bei der Umsetzung des Bürgerhaushalts.[25] Inzwischen haben einige der Vorzeigekommunen das Bürgerhaushaltsverfahren bereits wieder eingestellt, lediglich vier der elf Kommunen führen das Verfahren weiter durch. Im Anschluss an die Projekte ist der Bürgerhaushalt zunächst überwiegend in großen Kommunen wie Berlin, Bonn und Hamburg eingeführt worden. Daran anknüpfend haben auch kleinere Kommunen mit der Planung von Bürgerhaushalten begonnen.[26]

3. Der Bürgerhaushalt der Stadt Wesel

Die Stadt Wesel ist als mittelgroße Stadt (ca. 64.000 Einwohner) eine der ersten mittelgroßen Städte gewesen, die den Bürgerhaushalt eingeführt haben.

3.1 Die von der Stadt Wesel verfolgten Zielsetzungen

Die strategischen Ziele des Neuen kommunalen Finanzmanagements[27] (NKF) bilden die Grundlage für die strategische Entwicklung des Standorts Wesel. Eines der vom Rat der Stadt Wesel beschlossenen strategischen Ziele im Rahmen des NKF lautet: Wesel als „regionaler Standort für Bildung, Fortbildung, anwendungsbezogene Forschung, mit vielseitigen Schulen und eigenen kulturellen Akzenten“[28]. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde das Instrument des Bürgerhaushalts eingeführt, und zwar zunächst einmal mit der Beschränkung auf den Themenbereich „Bildung und Finanzen“.

Grundsätzliche Zielsetzung des Bürgerhaushalts der Stadt Wesel ist, Transparenz über die Haushaltsplanung zu schaffen und den Bürgern die Beteiligung im Hinblick auf die Investitionsvorhaben und finanziellen Einsparungen zu ermöglichen. Die Stadt Wesel zielt auf eine gerechtere Verteilung der öffentlichen Ressourcen ab. Bei der Ressourcenverteilung sollten die Prioritäten der Bürger beachtet und mit einbezogen werden. Ein weiterer Aspekt des Bürgerhaushalts ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Die Bürger sollen in einem selbstständigen Teilhabeprozess auf der Internet-Plattform strategische Etatziele diskutieren und Vorschläge, die mitunter im Haushaltplan zu Einsparungen oder erhöhten Ausgaben führen, bewerten. Die Verwaltung hält es für sinnvoll, mit den bürgerschaftlichen Beteiligungsergebnissen zukunftsweisende Erkenntnisse zu gewinnen, gerade im Hinblick auf die Erfüllung der strategischen Ziele.[29] So kann die Stadt Wesel sicher gehen, ob die Verteilung der finanziellen Mittel in ihrem Sinne geschieht oder ob die Bürger andere Schwerpunkte setzen. Das Verfahren sollte ein Mittel im Rahmen eines repräsentativen Demokratieverständnisses und nicht zuletzt ein Informationsinstrument für Politik und Verwaltung sein. Ziel ist es, bei den Bürgern eine größere Akzeptanz für Sparmaßnahmen hervorzubringen und dem Rat bei seiner verantwortlichen Entscheidungsfindung zu helfen.[30]

3.2 Der in Wesel praktizierte Verfahrensablauf

Die Einführung des Bürgerhaushalts erfolgte in Wesel auf der Grundlage eines Ratsbeschlusses. Orientiert am Leitfaden des NRW-Innenministeriums gehören bei der Stadt Wesel folgende sechs Verfahrensschritte zum grundlegenden Ablauf des Bürgerhaushaltsverfahrens:

1. Werbende Vor-Phase
2. Einleitung des Verfahrens - Information der Bürger
3. Konsultation (Votingphase und Ergebnisauswertung)
4. Beratung in den Fachausschüssen
5. Ratsentscheidung
6. Rechenschaft über die Behandlung der Vorschläge

Der Ablaufplan ist mit dem Zeitplan zum kommenden Haushalt abgestimmt. Eingeplant ist eine mehrwöchige Vor-Phase, in der mit Hilfe von Öffentlichkeitsarbeit für den Bürgerhaushalt geworben wird und Bürger mobilisiert werden. Die Einleitung des Verfahrens erfolgt in Wesel durch eine Auftaktveranstaltung. Dort werden von der Verwaltung bzw. vom Kämmerer den Bürgern erste Informationen zur aktuellen Haushaltslage und zum Ablauf des Verfahrens gegeben. Anschließend erfolgt die Phase der Bürgerbeteiligung. Die Stadt Wesel hat sich dazu entschieden, Vorschläge in einem priorisierendem Votingverfahren zu sammeln. Die Bürgerbeteiligung in Wesel erfolgt über zwei Partizipationswege, und zwar schriftlich per Brief an die Stadtverwaltung oder online über das Internetportal www.buergerhaushalt-wesel.de. Die Bürger können eigene Sparvorschläge oder Investitionsvorhaben einbringen und alle zur Auswahl stehenden Vorschläge diskutieren. Im Anschluss daran beschäftigen sich das beauftragte Fachbüro und die Fachverwaltung mit der Auswertung der Vorschläge. Im Durchschnitt müssen die Bürgervorschläge mit „gut“ bewertet sein, um in die engere Auswahl zu kommen. Die Ergebnisse werden anschließend im entsprechenden Fachausschuss erörtert. Der Rat bezieht die für gut beurteilten Vorschläge bei der Entscheidungsfindung mit ein und liefert anschließend einen Rechenschaftsbericht, der die Bürger über die getroffenen Entscheidungen informiert. Darin hat der Rat zu begründen, welche Bürgervorschläge im Haushalt berücksichtigt werden und welche Vorschläge abgelehnt wurden.[31]

Bislang gab es drei Weseler Bürgerhaushalte, und zwar für die Haushaltsjahre 2011, 2012/2013 und 2014. Der erste Bürgerhaushalt für das Haushaltsjahr 2011 wurde auf den Themenbereich „Bildung und Finanzen“ beschränkt, da gerade dieser Standortfaktor sowohl bei den strategischen Zielen als auch in der künftigen Standortentwicklung Wesels von hervorgehobener Bedeutung ist. Das bedeutete für die Bürger, dass sie nur zu dem ausgewählten Themenbereich Vorschläge abgegeben konnten, vorwiegend zu den städtischen Ausgaben und Einnahmen für Schulen, die Volkshochschule, Musik und Kunstschule sowie die Stadtbücherei. Im Oktober 2010 startete das Verfahren mit einer öffentlichen Auftaktveranstaltung im Saal des Rathauses. Rund 50 Bürger nahmen an der Veranstaltung teil. Die meisten waren bekannte Gesichter, vor allem wirkten Rats- und Parteimitglieder, Verwaltungsmitarbeiter und Leiter von Schulen und Bildungseinrichtungen mit. Die Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und die damalige Kämmerin Gabriele C. Klug gaben in der Veranstaltung nähere Einzelheiten über das Verfahren bekannt. Für die Betreuung der Homepage wurde das Beratungsunternehmen „buergerwissen“ gewonnen, das ähnliche Verfahren in Trier und Köln begleitet hat. Das Unternehmen gestaltet und betreut die Internetseite www.buergerhaushalt-wesel.de, die am 26.10.2010 freigeschaltet wurde. Bis zum 17.11.2010 hatten die Einwohner Zeit, die von der Verwaltung eingebrachten Vorschläge zu kommentieren und eigene Vorschläge abzugeben. Bis zum 24.11.2010 konnten alle Vorschläge noch bewertet werden. Die Ergebnisse wurden vom Schulausschuss am 18.11.2010 erörtert. Am 30.11.2010 fand eine öffentliche Abschlussveranstaltung statt. Die letztlich entscheidende Ratssitzung, in der endgültig festgelegt wird, welche Vorschläge umgesetzt werden, fand allerdings erst am 14.12.2010 statt.[32]

Der Rat kam überein, für den städtischen Haushalt 2012/2013 das Bürgerhaushaltsverfahren fortzusetzen. Der zweite Bürgerhaushalt wurde auf den Themenbereich „Schulen und Gebäude“ beschränkt. Zusätzlich zum bisherigen Ablauf wurde die Idee aufgeworfen, die Auftaktveranstaltung mit einer anderen öffentlichkeits-wirksamen Veranstaltung zu koppeln, sodass mehr Menschen erreicht werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, auch die Ratsparteien in das Verfahren einzubinden. Sie sollen ebenfalls die Möglichkeit zur Präsentation ihrer Vorschläge haben und auch Bürgervorschläge kommentieren dürfen. Diese könnten farblich oder durch das Parteilogo hervorgehoben werden und direkt unter dem Vorschlag erscheinen.[33]

Der dritte Bürgerhaushalt für den Haushalt 2014 startete am 7. November 2013 und erfuhr hinsichtlich der Themenbereiche keine Einschränkung. Demnach standen Themen aus dem gesamten Haushalt zur Debatte. Da bisher viele Bürger nicht in der Lage waren, den Haushaltsplan der Stadt Wesel nachzuvollziehen, ergab sich eine weitere Neuerung, und zwar die Erstellung der Broschüre „Haushalt 2014 kompakt“. Dies ist eine Art Kurz-Übersicht über wichtige Haushaltsdaten und gibt den Bürgern einen Überblick über die geplanten Erträge und Aufwendungen sowie weitergehende Informationen. Auch eine Tabelle mit allen Einnahmen und Ausgaben befindet sich in der Infobroschüre. Die Broschüre soll in den folgenden Etats weiter fortgeschrieben werden.[34] Auch wurde im Jahr 2013 die Homepage www.buergerhaushalt-wesel.de überarbeitet. Unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts ist die Online-Plattform nun auch per Smartphone zu bedienen. Auch die Broschüre „Haushalt kompakt“ steht auf der Internetseite zum Download für Smartphones bereit. Gerade jüngere Bürger werden so gezielt angesprochen, sich am Bürgerhaushalt zu beteiligen.[35]

3.3 Entwicklung der Bürgerbeteiligung

Beim ersten Bürgerhaushalt sah die Auswertung der Ergebnisse der Online-Plattform www.buergerhaushalt-wesel.de wie folgt aus. Es haben sich 195 Personen auf der Homepage angemeldet. Insgesamt wurden 1064 Bewertungen und 124 Kommentare zu genannten Vorschlägen abgegeben. Es standen 13 Vorschläge von der Verwaltung und 26 Bürgervorschläge zur Diskussion. Die Vorschläge fanden überwiegend zustimmende Worte, nur ein Vorschlag der Verwaltung wurde von den Bürgern abgelehnt.[36] Die nachfolgende Abbildung zeigt, dass beim ersten Bürgerhaushalt überwiegend die Themen „Schule“ und „Volkshochschule“ angesprochen wurden.

[...]


[1] Günther, 2007, S. 33 - 34.

[2] Günther, 2007, S. 35 - 36.

[3] Vgl. Günther, 2007, S. 32.

[4] Dt. Bürgerhaushalt.

[5] Partido dos Trabalhadores: pluralistische linke Arbeiterpartei.

[6] Vgl. Ruesch, 09.01.2013, S. 1.

[7] Vgl. Herzberg, 2001, S. 54.

[8] Dt. Bürgerhaushaltsrat. Dieser besteht aus je zwei Vertretern der 16 Stadtteile und der themenspezifischen Foren sowie aus Vertretern der Stadtverwaltung. Die Vertreter der Stadt haben kein Stimmrecht.

[9] Günther, 2007, S. 50.

[10] Vgl. Günther, 2007, S. 49 - 51.

[11] Günther, 2007, S. 51.

[12] Langfristiger Gemeinschaftsplan.

[13] Sehr vereinfachter Jahresplan.

[14] Eine Art Rechenschaftsbericht für das vergangene Haushaltsjahr.

[15] Vgl. Günther, 2007, S. 52 - 54.

[16] Vgl. Herzberg, 2001, S. 30.

[17] Herzberg / Sintomer / Allegretti, 2010, S. 10.

[18] https://maps.google.com/maps/ms?ie=UTF8&hl=en&msa=0&msid=210554752554258740073.00045675b996d14eb6c3a&ll=6.839971,28.205177&spn=170.959424,24.609375&z=1, 15.02.2014 [Participatory Budgeting (map initiated by Tiago Peixoto http://democracyspot.net/)

[19] Günther, 2007, S. 54.

[20] Vgl. Günther, 2007, S. 35.

[21] Vgl. Märker / Wilhelmy, 2012.

[22] Vgl. Schröter, Januar 2013.

[23] http://www.buergerhaushalt.org/de/map, Stand 17.02.2014.

[24] Vgl. Ruesch, 2012.

[25] Vgl. Innenministerium NRW, 2004, S. 6 – 7.

[26] Vgl. Günther, 2007, S. 71 - 75 .

[27] Neues kommunales Finanzmanagement.

[28] Pressemitteilung zum ersten Bürgerhaushalt.

[29] Vgl. Pressemitteilung vom 05.10.2010 zum ersten Bürgerhaushalt.

[30] Interview mit Herrn ***, Stadt Wesel, 10.02.2014.

[31] Vgl. Verwaltungsinterne Beratungsvorlage VV 24.05.2011 zum Bürgerhaushalt 2012/2013.

[32] Vgl. Pressemitteilung vom 05.10.2010 zum ersten Bürgerhaushalt.

[33] Vgl. Verwaltungsinterne Beratungsvorlage VV 24.05.2011 zum Bürgerhaushalt 2012/2013.

[34] Vgl. Broschüre Haushalt 2014, Stadt Wesel, „Haushalt kompakt“.

[35] Unstrukturiertes Interview mit Herrn ***, Stadt Wesel, 10.02.2014.

[36] Vgl. Beschlussvorlage Nr. FB 3/1670/10/2, S. 4.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet des kommunalen Bürgerhaushalts in der Stadt Wesel
Hochschule
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen; Duisburg
Note
2,0
Jahr
2013
Seiten
21
Katalognummer
V281267
ISBN (eBook)
9783656757986
ISBN (Buch)
9783656758006
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bürgerhaushalt, Kommunalrecht, Stadt, Begriff, Ziele, Entwicklung, Porto Alegre, Christchurch, Verbreitung, Gemeinden, Verfahrensablauf, Verfahren, Bürgerbeteiligung, Entwicklungsstand, Umsetzung, Weiterentwicklung, Wesel, NKF, Neues Kommunales Finanzmanagement
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet des kommunalen Bürgerhaushalts in der Stadt Wesel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281267

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