Joschka Fischers Kosovo-Rede wurde von der Universität Tübingen zur Rede des Jahres 1999 gekürt. Wichtigste Kriterien dieser Auszeichnung sind neben der „Wirkmächtigkeit“, „argumentative Leistung und die stilistische Qualität der Rede“, wobei der „Maßstab der antiken Rhetorik“1 angelegt werden soll. In der sehr wohlwollenden Kritik der Jury um Prof. Dr. Gert Ueding wird unter anderem behauptet, die Rede gäbe „an keiner Stelle der Verführung nach, Diskussionsbereitschaft und rhetorische Vernunft gegen das Wort der Macht oder den Zwang der internationalen Verpflichtung preiszugeben.“2 Genau dieser Aspekt soll im Folgenden kritisch hinterfragt werden, da Fischer im Laufe der Rede die Situation im Ex-Jugoslawien wie einen Ausnahmezustand behandelt, was nach Carl Schmitt ein Akt der Souveränität und der Macht ist. Die Frage, die sich stellt, ist, ob Fischer den Delegierten den Ausnahmezustand „erklärt“ im Sinne einer Erörterung, die zur Diskussion mit potenzieller Belehrung offen ist, oder im Sinne einer Proklamation seiner eigenen souveränen Entscheidung bzw. einer Entscheidung der Parteispitze, die zu schlucken ist.
Zunächst muss ein Überblick über die historische Situation der Rede sowie deren Setting gegeben werden, um die Konfliktlinien, die sich durch die Rede ziehen, nachvollziehen zu können. Anschließend wird er Versuch unternommen, den rhetorischen Übergang von Fischers Ringen mit seinen „geliebten Gegnern“3 zu einem Ringen mit sich selbst nachzuzeichnen. Dabei sollen nicht Fischers Intension oder die Frage nach dessen Integrität im Mittelpunkt stehen, sondern der argumentative Gang der Rede sowie deren Implikationen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Redeanalyse
- Setting: Farbbeutel und Realos versus Fundis
- Inhalt: Äußerer Konflikt wird zu innerem Konflikt
- Exordium: Legitimation
- Argumentatio
- Explizit: Nie wieder Ausschwitz, Wahl des geringeren Übels
- Implizit: Fischer vereint die Diskussion in sich und wird zum Souverän
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Analyse befasst sich mit der Rede von Joschka Fischer zum Kosovo-Sonderparteitag der Grünen am 09.05.1999 in Bielefeld. Ziel ist es, die Rede im Kontext der damaligen politischen Situation zu analysieren und die rhetorischen Strategien Fischers zu untersuchen, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob er den Delegierten den Ausnahmezustand „erklärt“ oder ihn ihnen „proklamiert“.
- Die Rede im Kontext der politischen Situation im Ex-Jugoslawien
- Die rhetorischen Strategien Fischers
- Die Frage nach der Legitimation von Fischers Handeln
- Die Rolle des Ausnahmezustands in der Rede
- Die Implikationen der Rede für die politische Praxis
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Rede von Joschka Fischer zum Kosovo-Sonderparteitag der Grünen am 09.05.1999 in Bielefeld vor und erläutert die Relevanz der Analyse. Sie bezieht sich auf die Auszeichnung der Rede als „Rede des Jahres 1999“ durch die Universität Tübingen und stellt die Frage, ob Fischer den Delegierten den Ausnahmezustand „erklärt“ oder ihn ihnen „proklamiert“.
Der Abschnitt „Redeanalyse“ untersucht zunächst das Setting der Rede, die auf einem Sonderparteitag der Grünen stattfand, auf dem die Partei über den NATO-Einsatz im Kosovo debattierte. Die Rede fand unter einem hohen Maß an politischer Spannung statt, da die Grünen sich in einem Dilemma zwischen ihren pazifistischen Grundsätzen und der Notwendigkeit des Eingreifens im Kosovo befanden. Fischer wurde von einem roten Farbbeutel getroffen, was die angespannte Atmosphäre symbolisierte.
Im weiteren Verlauf der Analyse wird der Inhalt der Rede untersucht. Fischer beginnt mit einem Exordium, in dem er die Legitimation seines Handelns begründet. Er stellt sich als Kriegshetzer dar und konfrontiert seine Gegner mit der Notwendigkeit einer Entscheidung. Fischer betont seinen Wissensvorsprung gegenüber den Zuhörern und seine Erfahrung mit der Situation im Kosovo.
Die Argumentation Fischers wird in zwei Ebenen unterteilt: die explizite Argumentation und die implizite Argumentation. In der expliziten Argumentation beruft sich Fischer auf den Zweck jeder linken Politik, nämlich „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz; nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus“. Er argumentiert, dass die Bundesregierung in einer schwierigen Situation sei und eine Entscheidung treffen müsse, die zu einer Schuld führen werde, unabhängig davon, welche Entscheidung getroffen wird.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Rede von Joschka Fischer, den Kosovo-Sonderparteitag der Grünen, den NATO-Einsatz im Kosovo, den Ausnahmezustand, die Legitimation von politischem Handeln, die Rhetorik, die politische Praxis, die Grünen und die politische Situation im Ex-Jugoslawien.
- Quote paper
- Martin Pfaffenzeller (Author), 2012, Joschka Fischer erklärt den Ausnahmezustand, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281743