Der Aufsatzunterricht in der Schule heißt nicht mehr Aufsatzunterricht sondern Schreibunterricht. Ansonsten bleibt sich der Deutschunterricht treu. Es werden weiterhin Aufsätze im Unterricht geschrieben und die traditionellen Aufsatzformen, wie Bericht, Erörterung, Interpretation, Inhaltsangabe, und Beschreibung, sind fester Bestandteil dieses neuen Schreibunterrichts. Formal gesehen sind die aktuellsten Erkenntnisse der Schreibforschung in der Schulpraxis angekommen, objektiv und praktisch gesehen haben es nach fast 35 Jahren nicht einmal die Erkenntnisse von Hayes & Flower (1980) und Bereiter (1980) in die Schulpraxis geschafft – und wenn sie in Curricula oder didaktischen Leitbildern für Unterricht auftauchen, dann allenfalls in abgespeckter, normierter und allgemein testbarer Form.
Schreiben gilt als Kulturtechnik, als Kernkompetenz und als Medium, in dem sich Lernprozesse vollziehen. Schreiben beeinflusst Lernprozesse positiv und fördert Lernen. Kurzum: Schreiben ist ein Werkzeug des Denkens und Lernens, dass das Individuum mit sich selbst, seiner Umwelt, seinen Mitmenschen und deren Meinungen konfrontiert. Schreiben trägt zu einem fruchtbaren Diskurs bei, der die kognitiven, kommunikativen und sozialen Fähigkeiten des Individuums fördert und festigt. Schreibenlernen heißt Lebenlernen, es hilft dabei, sich selbst und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Aufsatzunterricht allerdings in Schreibunterricht umzubenennen und darauf zu hoffen, dass sich diese Entwicklungen von selbst ergeben oder sich die Schreibkompetenz der Schüler irgendwie und irgendwann verbessert, lenkt von dem eigentlichen Schreibproblem ab: Am Schreibunterricht in der Schule hat sich nichts geändert – außer der Name. Das Potential des Schreibens für den Unterricht und für das Leben sowie die Komplexität des Schreibens sind in Forschung und Theorie zwar gleichermaßen anerkannt, aber am Schreibunterricht und wie dieser in der Praxis auszusehen hat, scheiden sich die Geister. Es kommt zu Bildungsdebatten, zu Diskussionen und sogar zu Bildungsreformen, ohne dass überhaupt eine allgemeine oder universale Theorie zum Schreiben oder zum Schreibprozess existiert. Oder metaphorisch ausgedrückt: Alle fischen im Dunkeln, glauben aber wahrhaft daran, den Fisch im Teich zu sehen, obwohl es gar keine Fisch im Teich gibt.
Die vorliegende Arbeit setzt sich kritisch mit dem Schreibunterricht in Deutschland und den USA auseinander und versucht ein Konzept für Schreibunterricht aufzustellen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Schreibunterricht ist nicht gleich Schreibunterricht
- 1. Einführung in das Thema Schreiben und Schreibunterricht
- 2. Schreibforschung
- 2.1. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in den USA
- 2.2. Erkenntnisse der Schreibforschung in den USA
- 2.2.1. Prozesstheorien der US-amerikanischen Schreibpädagogik
- 2.2.1.1 Expressionistic Rhetoric – der expressive Ansatz
- 2.2.1.2. Rhetoric of Cognitive Psychology – der kognitive Ansatz
- 2.2.1.3. Epistemic Rhetoric – der soziale Ansatz
- 2.2.1.4. Das Schreibmodell von Donald Murray
- 2.2.1. Prozesstheorien der US-amerikanischen Schreibpädagogik
- 2.3. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in Deutschland
- 2.4. Erkenntnisse der deutschen Schreibforschung
- 2.4.1. Schreibfähigkeit, Text- und Schreibroutinen
- 2.4.2. Schreibkompetenz
- 2.4.3. Literacy
- 2.5. Fazit: Unterschiede zwischen den USA und Deutschland
- 3. Schreibdidaktik – institutioneller und curricularer Aufbau von Schreibunterricht in Deutschland und in den USA
- 3.1. Schreibdidaktik und Schreibunterricht made in USA
- 3.1.1. Composition
- 3.1.2. Creative Writing
- 3.1.3. Writing Center
- 3.1.4. Writing Across the Curriculum
- 3.1.5. National Writing Project (NWP)
- 3.1.6. Associated Writing Program (AWP)
- 3.1.7. Schreibunterricht an Schulen
- 3.1.8. Schulkonzepte von James Britton, James Moffet und Janet Emig
- 3.1.9. Schreibunterricht an Universitäten – Inhalte und Methoden von Schreibprogrammen in der universitären Schreibausbildung
- 3.2. Schreibunterricht in Deutschland
- 3.2.1. Schreiben von der Primarstufe bis zur SEK II – die curricularen und didaktischen Vorgaben an deutschen Schulen
- 3.2.2. Lehrpläne, Bildungsstandards, Fachanforderungen
- 3.2.3. Schreiben und Schreibprogramme an deutschen Universitäten
- 3.2.3.1. Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim
- 3.2.3.2. Deutsches Literaturinstitut Leipzig (DLL)
- 3.2.3.3. Das Kompetenzzentrum Schreiben und das SchreibArt-Programm an der Universität Köln
- 3.1. Schreibdidaktik und Schreibunterricht made in USA
- 4. Schreibpraxis – Probleme bei der didaktischen Umsetzung von Schreibunterricht
- 4.1. Problem 1: Fehlende Allgemeingültigkeit und fehlende Komplexität
- 4.2. Problem 2: Kompetenzen im Schreibunterricht
- 4.3. Problem 3: Allgemeine Bildungskonzepte vs. Schülerbedürfnisse
- 4.4. Problem 4: Literatur- statt Schreibunterricht im Fach Deutsch
- 4.5. Problem 5: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis
- 4.6. Problem 6: Das falsche Verständnis von Literatur im Unterricht
- 4.7. Problem 7: Die Paradoxie des Schreibens
- 4.8. Problem 8: Die Rolle der Lehrkraft im Schreibunterricht
- 4.9. Problem 9: Falsche Bildungspolitik – DESI, NAEP und PISA
- 4.10. Problem 10: Schreibunterricht als Teil des Deutschunterrichts
- 5. Fächerübergreifender Schreibunterricht
- 5.1. Lösungsansätze für die Probleme im Schreibunterricht
- 5.1.1. Lösungsansatz 1: Fehlende Allgemeingültigkeit, Komplexität und Paradoxie des Schreibens (Problem 1 u. 7)
- 5.1.2. Lösungsansatz 2: Schreiben im Spannungsverhältnis von Norm und Normlosigkeit – Curricula vs. Schülerbedürfnisse (Problem 2 u. 3)
- 5.1.3. Lösungsansatz 3: Zwischen Tradition und fehlgeleiteter Bildungspolitik – Schreibunterricht als Teil des Deutschunterrichts (Problem 4, 9 u. 10)
- 5.1.4. Lösungsansatz 4: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis (Problem 5)
- 5.1.5. Lösungsansatz 5: Falsches Verständnis von Literatur (Problem 6)
- 5.1.6. Lösungsansatz 6: Rolle der Lehrkraft im Schreibunterricht (Problem 8)
- 5.1.7. Fazit: Chancen und Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland
- 5.2. Effektiver Schreiben – welche Methoden sind im Unterricht wirksam?
- 5.3. (K)ein Curriculum für den fächerübergreifenden Schreibunterricht – ein Konzept für das Schreiben an Schulen und Universitäten in Deutschland
- 5.1. Lösungsansätze für die Probleme im Schreibunterricht
- Schluss: Why Germany Can’t Write!
- Literatur
- Weitere Quellen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Masterarbeit untersucht die Chancen und Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland. Sie vergleicht den deutschen und den US-amerikanischen Ansatz im Schreibunterricht, um daraus Lösungsansätze für die bestehenden Probleme in Deutschland abzuleiten und ein didaktisches Konzept für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht zu entwickeln.
- Vergleich der Schreibforschung und -didaktik in Deutschland und den USA
- Analyse der institutionellen und curricularen Strukturen des Schreibunterrichts in beiden Ländern
- Identifizierung von Problemen bei der didaktischen Umsetzung von Schreibunterricht in Deutschland
- Entwicklung von Lösungsansätzen für einen effektiveren Schreibunterricht
- Konzeptvorschlag für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht in Deutschland
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung diskutiert die Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Realität des Schreibunterrichts in Deutschland. Kapitel 1 klärt zentrale Begriffe rund um Schreiben und Schreibunterricht. Kapitel 2 vergleicht die Geschichte und die Erkenntnisse der Schreibforschung in den USA und Deutschland. Kapitel 3 analysiert den institutionellen und curricularen Aufbau des Schreibunterrichts in beiden Ländern, wobei die US-amerikanischen Modelle (Composition, Creative Writing, Writing Across the Curriculum, Writing Center, NWP, AWP) detailliert beschrieben werden. Kapitel 4 beschreibt zehn Problemdimensionen des Schreibunterrichts in Deutschland, wie die fehlende Allgemeingültigkeit, die Problematik der Kompetenzorientierung und die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Kapitel 5 präsentiert Lösungsansätze, u.a. ein Konzept für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht.
Schlüsselwörter
Schreibunterricht, Schreibdidaktik, Schreibforschung, Deutschland, USA, fächerübergreifender Unterricht, Schreibkompetenz, Literacy, Prozessorientierung, expressiver Ansatz, kognitiver Ansatz, sozialer Ansatz, Donald Murray, Composition, Creative Writing, Writing Across the Curriculum, National Writing Project (NWP), Associated Writing Program (AWP), Bildungsstandards, Lehrpläne, PISA, DESI, NAEP, Self-Regulated Strategy Development (SRSD).
- Arbeit zitieren
- M.Ed. Jan-Christian Hansen (Autor:in), 2014, Die Zukunft des Schreibunterrichts. Schreiben in Deutschland und den USA, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281824