Die Zukunft des Schreibunterrichts. Schreiben in Deutschland und den USA


Thèse de Master, 2014

171 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Schreibunterricht ist nicht gleich Schreibunterricht

1. Einführung in das Thema Schreiben und Schreibunterricht

2. Schreibforschung
2.1. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in den USA
2.2. Erkenntnisse der Schreibforschung in den USA
2.2.1. Prozesstheorien der US-amerikanischen Schreibpädagogik
2.2.1.1 Expressionistic Rhetoric – der expressive Ansatz
2.2.1.2. Rhetoric of Cognitive Psychology – der kognitive Ansatz
2.2.1.3. Epistemic Rhetoric – der soziale Ansatz
2.2.1.4. Das Schreibmodell von Donald Murray
2.3. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in Deutschland
2.4. Erkenntnisse der deutschen Schreibforschung
2.4.1. Schreibfähigkeit, Text- und Schreibroutinen
2.4.2. Schreibkompetenz
2.4.3. Literacy
2.5. Fazit: Unterschiede zwischen den USA und Deutschland

3. Schreibdidaktik – institutioneller und curricularer Aufbau von Schreibunterricht in Deutschland und in den USA
3.1. Schreibdidaktik und Schreibunterricht made in USA
3.1.1. Composition
3.1.2. Creative Writing
3.1.3. Writing Center.
3.1.4. Writing Across the Curriculum
3.1.5. National Writing Project (NWP)
3.1.6. Associated Writing Program (AWP)
3.1.7. Schreibunterricht an Schulen
3.1.8. Schulkonzepte von James Britton, James Moffet und Janet Emig
3.1.9. Schreibunterricht an Universitäten – Inhalte und Methoden von Schreibprogrammen in der universitären Schreibausbildung
3.2. Schreibunterricht in Deutschland
3.2.1. Schreiben von der Primarstufe bis zur SEK II – die curricularen und didaktischen Vorgaben an deutschen Schulen
3.2.2. Lehrpläne, Bildungsstandards, Fachanforderungen
3.2.3. Schreiben und Schreibprogramme an deutschen Universitäten
3.2.3.1. Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim
3.2.3.2. Deutsches Literaturinstitut Leipzig (DLL)
3.2.3.3. Das Kompetenzzentrum Schreiben und das SchreibArt - Programm an der Universität Köln

4. Schreibpraxis – Probleme bei der didaktischen Umsetzung von Schreibunterricht
4.1. Problem 1: Fehlende Allgemeingültigkeit und fehlende Komplexität
4.2. Problem 2: Kompetenzen im Schreibunterricht
4.3. Problem 3: Allgemeine Bildungskonzepte vs. Schülerbedürfnisse
4.4. Problem 4: Literatur- statt Schreibunterricht im Fach Deutsch
4.5. Problem 5: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis
4.6. Problem 6: Das falsche Verständnis von Literatur im Unterricht
4.7. Problem 7: Die Paradoxie des Schreibens
4.8. Problem 8: Die Rolle der Lehrkraft im Schreibunterricht
4.9. Problem 9: Falsche Bildungspolitik – DESI, NAEP und PISA
4.10. Problem 10: Schreibunterricht als Teil des Deutschunterrichts

5. Fächerübergreifender Schreibunterricht
5.1. Lösungsansätze für die Probleme im Schreibunterricht
5.1.1. Lösungsansatz 1: Fehlende Allgemeingültigkeit, Komplexität und Paradoxie des Schreibens (Problem 1 u. 7)
5.1.2. Lösungsansatz 2: Schreiben im Spannungsverhältnis von Norm und Normlosigkeit – Curricula vs. Schülerbedürfnisse (Problem 2 u. 3)
5.1.3. Lösungsansatz 3: Zwischen Tradition und fehlgeleiteter Bildungspolitik – Schreibunterricht als Teil des Deutschunterrichts (Problem 4, 9 u. 10)
5.1.4. Lösungsansatz 4: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis (Problem 5)
5.1.5. Lösungsansatz 5: Falsches Verständnis von Literatur (Problem 6)
5.1.6. Lösungsansatz 6: Rolle der Lehrkraft im Schreibunterricht (Problem 8)
5.1.7. Fazit: Chancen und Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland
5.2. Effektiver Schreiben – welche Methoden sind im Unterricht wirksam?
5.3. (K)ein Curriculum für den fächerübergreifenden Schreibunterricht – ein

Konzept für das Schreiben an Schulen und Universitäten in Deutschland

Schluss: Why Germany Can’t Write!

Literatur

Weitere Quellen

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang
Anhang 1: Auflistung der ausgewerteten Metaanalysen aus Philipp
Anhang 2: Stufen in der kognitiven Schreibentwicklung nach Kellog (Abb. 16)
Anhang 3: Vergrößerungen der Abbildungen 3, 6, 11, 12, 13, 15

Einleitung: Schreibunterricht ist nicht gleich Schreibunterricht

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Aufsatzunterricht in der Schule heißt nicht mehr Aufsatzunterricht sondern Schreibunterricht. Ansonsten bleibt sich der Deutschunterricht treu. Es werden weiterhin Aufsätze im Unterricht geschrieben und die traditionellen Aufsatzformen, wie Bericht, Erörterung, Interpretation, Inhaltsangabe, und Beschreibung, sind fester Bestandteil dieses neuen Schreibunterrichts. Formal gesehen sind die aktuellsten Erkenntnisse der Schreibforschung in der Schulpraxis angekommen, objektiv und praktisch gesehen haben es nach fast 35 Jahren nicht einmal die Erkenntnisse von Hayes & Flower (1980) und Bereiter (1980) in die Schulpraxis geschafft – und wenn sie in Curricula oder didaktischen Leitbildern für Unterricht auftauchen, dann allenfalls in abgespeckter, normierter und allgemein testbarer Form.

Schreiben gilt als Kulturtechnik, als Kernkompetenz und als Medium, in dem sich Lernprozesse vollziehen. Schreiben beeinflusst Lernprozesse positiv und fördert Lernen. Kurzum: Schreiben ist ein Werkzeug des Denkens und Lernens, dass das Individuum mit sich selbst, seiner Umwelt, seinen Mitmenschen und deren Meinungen konfrontiert. Schreiben trägt zu einem fruchtbaren Diskurs bei, der die kognitiven, kommunikativen und sozialen Fähigkeiten des Individuums fördert und festigt. Schreibenlernen heißt Lebenlernen, es hilft dabei, sich selbst und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Aufsatzunterricht allerdings in Schreibunterricht umzubenennen und darauf zu hoffen, dass sich diese Entwicklungen von selbst ergeben oder sich die Schreibkompetenz der Schüler irgendwie und irgendwann verbessert, lenkt von dem eigentlichen Schreibproblem ab: Am Schreibunterricht in der Schule hat sich nichts geändert – außer der Name. Das Potential des Schreibens für den Unterricht und für das Leben sowie die Komplexität des Schreibens sind in Forschung und Theorie zwar gleichermaßen anerkannt, aber am Schreibunterricht und wie dieser in der Praxis auszusehen hat, scheiden sich die Geister. Es kommt zu Bildungsdebatten, zu Diskussionen und sogar zu Bildungsreformen, ohne dass überhaupt eine allgemeine oder universale Theorie zum Schreiben oder zum Schreibprozess existiert. Oder metaphorisch ausgedrückt: Alle fischen im Dunkeln, glauben aber wahrhaft daran, den Fisch im Teich zu sehen, obwohl es gar keine Fisch im Teich gibt.

Die Schreibforschung verfügt über Erkenntnisse und Theorien, die den Schreibunterricht verbessern könnten, aber trotz einheitlicher und in dieselbe Richtung gehender Erkenntnisse in Sachen Schreiben unterscheidet sich der Schreibunterricht nicht nur international sondern auch national von Schule zu Schule und von Universität zu Universität in Deutschland. Es gibt kein einheitliches Konzept.

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit liegt in den Chancen und Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland. In dieser Arbeit wird zuweilen fächerübergreifend, fächerunabhängig und eigenständig synonym verwendet, denn das Fächerübergreifende ist dem Schreiben inhärent.

Die Abwägung und Abschätzung von Chancen und Möglichkeiten eines solchen Schreibunterrichts in Deutschland bedarf erstens einer Definition, was eigentlich mit (fächerübergreifendem) Schreibunterricht und Schreiben gemeint ist, und zweitens wird ein Beispiel für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht als Referenz benötigt, da derartige Strukturen von (Schreib-)Unterricht zuweilen in Deutschland nur sporadisch oder gar nicht existieren.

Die Schwierigkeit dieser Arbeit besteht darin, von einem nicht vorhandenen Ist-Zustand auf einen Ideal-Zustand zu schließen bzw. welche Veränderungen nötig sind, um die für den fächerübergreifenden Schreibunterricht benötigten Strukturen in Deutschland aufzubauen. Als Beispiel dient Schreiben und Schreibunterricht in den USA, das mit der deutschen Auffassung von Schreiben und Schreibunterricht kontrastiert wird.

Dieser Vergleich bietet nicht nur einen Ansatzpunkt für Kritik und Reflexionen, sondern von ihm ausgehend können Rückschlusse und Prognosen angestellt sowie Probleme aufzeigt werden, die mit der didaktischen Umsetzung eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland einhergehen.

Ein Konzept für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht kann nur aufgestellt werden, wenn man sich im Vorfeld gleichermaßen mit Schreibgeschichte, Schreibforschung, Schreibdidaktik und Schreibpraxis auseinandersetzt. Ausgehend vom Ist-Zustand des Schreibunterrichts und seiner (historischen) Rahmenbedingungen in den USA und in Deutschland sollen Unterschiede hervorgehoben, Probleme aufgezeigt und didaktische Überlegungen angestellt werden, die zu Lösungsansätzen für die didaktischen (Umsetzungs-)Probleme von Schreibunterricht in Deutschland und letztlich zu einem didaktischen Konzept für einen fächerübergreifenden Schreibunterricht führen, der die Komplexität des Schreibens und des Schreibprozesses sowie das schreibende Individuum berücksichtigt.

Im ersten Teil dieser Arbeit wird in die Thematik Schreiben und Schreibunterricht eingeführt und Begriffe und Differenzierungen vorgenommen, die für das Verständnis des Schreibens und des Schreibprozesses wichtig sind.

Der Hauptteil der Arbeit (2., 3. u. 4. Teil) liefert durch den Vergleich des US-amerikanischen mit dem deutschen Schreibunterricht wichtige Erkenntnisse, die ein Bild des fächerübergreifenden Schreibunterrichts entstehen lassen.

Im zweiten Teil stehen einige ausgewählte Erkenntnisse der deutschen und US-amerikanischen Schreibforschung im Blick, die durch einen kurzen historischen Abriss der Schreibdidaktik beider Länder abgerundet werden und einen Überblick darüber liefern, wie es zu den verschiedenen Auffassungen und Umsetzungen von Schreibunterricht in beiden Ländern kam.

Der dritte Teil beinhaltet eine Analyse der didaktischen Umsetzung von Schreibunterricht an Schulen und Universitäten in beiden Ländern, aus dem wesentliche Unterschiede hervorgehen. Auf Grundlage dieser unterschiedlichen Auffassungen lassen sich Probleme ableiten, was den deutschen Schreibunterricht betrifft, da diese Strukturen und Rahmenbedingungen in Deutschland noch fehlen.

Der vierte Teil hebt die Problemdimensionen des Schreibens und die Probleme bei der didaktischen Umsetzung von Schreibunterricht in Deutschland hervor.

Die ersten vier Abschnitte der Arbeit liefern das Grundgerüst und bereiten den fünften Abschnitt vor, in dem die Entwicklung von Lösungsansätzen der didaktischen Probleme, eine effektive und wirksame Schreibförderung und die Chancen und Möglichkeiten für die Initiierung eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts in Deutschland im Fokus stehen, die letztlich zu einem Konzept für den fächerübergreifenden Schreibunterricht führen und die fehlenden Rahmenbedingungen aufzeigen.

Das Beispiel der USA soll in dieser Arbeit jedoch keineswegs als schlichtes Vorbild dienen, dass es unreflektiert zu übernehmen gilt oder das herangezogen werden soll, um qualitative Einschätzungen darüber abzugeben, welches Land den besseren Schreibunterricht hat. Die Chancen und Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Schreibunterrichts hierzulande stehen und fallen mit den institutionellen Rahmenbedingungen und das Beispiel der USA soll lediglich verdeutlichen, welche bürokratischen und ideologischen Hürden überwunden werden müssen, damit ein fächerübergreifender Schreibunterricht an deutschen Schulen und Universitäten etabliert werden kann.

1. Einführung in das Thema Schreiben und Schreibunterricht

Im Vorfeld dieser Arbeit sollen zur besseren Verständlichkeit und um Missverständnissen vorzubeugen, einige Begriffe erklärt und Differenzierungen vorgenommen werden, die das Schreiben und den Schreibunterricht betreffen. Gleichzeitig dienen diese Begriffe dazu, in das Thema einzuführen.

Die Schreibforschung unterscheidet in Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine allgemeine Differenzierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, um das Sprechen vom Schreiben abzugrenzen, lautet: Mündlichkeit gilt als die Sprache der Nähe. Schriftlichkeit als die Sprache der Distanz. Ong (1987) bezeichnet in „Oralität und Literalität“ die Wechselbeziehung zwischen Schriftlichkeit (Schreiben) und Mündlichkeit (Sprechen) prägnant als „Neukonstitution des Denkens durch das Schreiben“. Das Schreiben richtet unser Denken neu aus und konstruiert unser Denken auf eine andere Art und Weise, denn „Schreiben und schreiben können hat etwas mit der geistigen Entwicklung von Menschen, von Individuen und von Gruppen zu tun. Der Gebrauch von Schrift verändert den Sprachgebrauch und das Denken“ (KARG 2007, 185).

Das Schreiben initiiert und kennzeichnet eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist, was sich vor allem daran zeigt, „dass es bislang noch keinen einheitlichen Begriff des Schreibens gibt, der alle historischen oder gegenwärtigen Vorstellungen und Praxen des Schreiben umfassen würde“ (vgl. WROBEL 2010, 202).

Die Unterscheidung einzelner Begriffe und Teilprozesse des Schreibens, wie beispielsweise eine Differenzierung von Schreiben und Textproduktion ist im Gegensatz zur Aufstellung einer universalen Theorie für das Schreiben möglich: Schreiben ist einfach ausgedrückt, der (motorische) Vorgang bei dem Worte bzw. Schriftzeichen zu Papier gebracht werden, wohingegen die Textproduktion nicht automatisch Schreiben bedeutet oder damit zu tun hat, denn nicht immer wenn wir einen Text produzieren, schreiben wir auch (vgl. LUDWIG 1995; BECKER-MROTZEK/BÖTTCHER 2011, 12).

Empirische Untersuchungen von Gould (1980) und Matsuhashi (1981) kamen zu dem Ergebnis, dass Textproduzenten bei der Erstellung ihrer Texte bis zu 70 Prozent von der Gesamtzeit pausieren und nur 30 Prozent der Zeit mit dem eigentlichen Schreiben bzw. Schreibprozess verbringen. Die Komplexität des Schreibens und der Textproduktion erfordert, dass im Schreibunterricht nicht nur die 30 Prozent (des eigentlichen Schreibens) gelehrt werden, sondern auch die anderen 70 Prozent, bei denen es sich um die unbewussten und kognitiven Prozesse des Schreibens handelt, die erst vom Unbewussten ins Bewusstsein der Schreiber überführt werden müssen. Diese (verborgenen) Prozesse sind ebenso wichtig wie die Vermittlung von Konventionen und Anforderungen der Textproduktion. Für die Textproduktion gelten zwei Besonderheiten:

„1. Sie verändert fortwährend ihre eigene materielle Grundlage, weil der bereits vorliegende Textentwurf Einfluss hat auf die vorausgehenden Schritte. [...] 2. Schreiben greift nicht nur auf die kognitiven Voraussetzungen des Schreibers zu, sondern die Textproduktion verändert diese. Der Grund hierfür liegt in dem verlängerten Planungs- und Ausführungsprozess. Die beim Schreiben verlangsamte Sprachproduktion macht Prozesse bewusst, die in der mündlichen Kommunikation eher unbemerkt ablaufen“ (vgl. BECKER-MROTZEK/BÖTTCHER 2011, 29)

Die Mechanismen und Prozesse des Schreibens sowie die Anforderungen der Textproduktion müssen im Unterricht entschlüsselt werden. Dieses Umdenken in der Schreibforschung und die Fokussierung auf die unbewusst ablaufenden 70 Prozent ist der Entwicklung von der Produktorientierung hin zur Prozessorientierung geschuldet, die Anfang der 1980er Jahre vor allem durch die Schreibmodelle und -theorien von Hayes & Flower (1980) und Bereiter (1980) ausgelöst wurde. Im Unterricht steht nicht mehr allein der fertige Texte im Zentrum der Lehre, sondern auch der Prozess seiner Entstehung – und gemeint ist mit Entstehung auch „eine Orientierung am Entwicklungsprozess der Schüler“ (vgl. ebd., 25). Eine andere Definition für den Begriff Text lautet: „Sprechhandlungen, die aus ihrer primären Situation herausgelöst und für eine zweite Sprechsituation gespeichert werden“, nennen wir einen Text (vgl. ebd., 14).

Schreiben ist immer eine zerdehnte Sprechsituation/Kommunikation, da für die geschriebene Sprache die Trennung von Schreiber und Leser signifikant ist und das Schriftliche im Gegensatz zum Mündlichen dauerhaft besteht, so dass „Produktion und Rezeption zeitlich und räumlich auseinanderfallen können“ (ebd., 56f.; siehe 2.4.).

Diese Trennung muss im Schreibunterricht rückgängig gemacht werden. Schreiben erfordert vom Schreiber entsprechendes Wissen, denn die „Produktion eines Textes ist eine komplexe Handlung (vgl. REHBEIN 1977), die aus mehreren Schritten besteht. Sie beginnt damit, dass der Schreiber seine aktuelle Situation so einschätzt, dass er darin einen Schreibanlass sieht. Erst dadurch wird aus den objektiven Umständen für den Handelnden eine Schreibsituation, eine Situation der schriftlichen Kommunikation. Der Schreiber entwickelt aufgrund dieser Einschätzung eine Schreibmotivation, die er anschließend in ein konkretes Ziel umsetzen muss“ (BECKER-MROTZEK/BÖTTCHER 2011, 28).

Im Zusammenhang mit „Einschätzung, Motivation und Zielsetzung“ spricht die Schreibforschung von „kognitiven Voraussetzungen“, die ein Schreiber nachweisen muss, um einen Text zu produzieren. Das Einschätzen von (Schreib-)Situationen und Rezeptionsbedingungen erfordert „sowohl die Fähigkeit zur sozialen Kognition (Empathie, Perspektivübernahme) als auch Sachverhaltswissen, etwa über den Adressaten“, und „ist ein Schreiber motiviert, einen Text zu produzieren, benötigt er einen Schreibplan“. Das Vorhandensein von Schreibplänen setzt jedoch „entsprechendes Wissen“ voraus, die Fähigkeit selbst einen Plan zu erstellen, „auf vorhandene Pläne zurückzugreifen“ oder die Lernbereitschaft, sich das Wissen über solche Pläne anzueignen (vgl. ebd.). Die Schreibmotivation ist ein entscheidender Faktor, der im Schreibunterricht (beim Lernenden) vorhanden sein muss und Einschätzung und Zielsetzung von Texten und dem eigenen Geschriebenen werden im Rahmen des Schreibunterrichts gelehrt, trainiert und perfektioniert.

Es gibt zwei übergeordnete Formen des Schreibens: 1. „Schreiben für sich selbst“ und 2. „Schreiben für andere“, die jeweils über Subformen verfügen, auf die noch detaillierter in dieser Arbeit eingegangen wird. Die Unterscheidung in Schreiben für sich selbst, vorwiegend therapeutisches und entlastendes Schreiben (z.B. Tagebuchschreiben), und Schreiben für andere, kommunikatives Schreiben, ist eine wichtige Differenzierung, wobei Schreiben hauptsächlich kommunikativen Zwecken dient und das kommunikative Schreiben (Schreiben für andere) die wichtigste Funktion in der Vermittlung von Schreibkompetenz einnimmt.

„Schreiben für andere hat drei Funktionsbereiche:

- Erkenntnis stiftet ein Text, wenn er neues Wissen vermittelt, wie bei einer Nachricht, oder Wissen bearbeitet, wie beim Argumentieren.
- Praxis stiftet ein Text, wenn er den Leser zu einer Handlung bewegt, beispielsweise bei Aufforderungen oder Anleitungen.
- Gemeinschaft stiftet ein Text, wenn er den Leser einbezieht in einen sozialen Kontext, so, wie es bei erzählenden Texten der Fall ist, die eine Erzählgemeinschaft etablieren und den Leser teilhaben lassen an der Geschichte des Schreibers“ (ebd., 15)

Becker-Mrotzek und Böttcher weisen daraufhin, dass ein Schreiber jedes Mal, wenn er einen anderen Menschen zu einer Handlung bewegen möchte, dies nicht tun kann, „ohne ihm Wissen zu vermitteln und Gemeinschaft zu stiften“. Für den Text gilt dasselbe: Texte vermitteln stets Wissen und tragen zur Bildung einer Gemeinschaft bei, bestehend aus Autor und Leser, die zeitversetzt miteinander kommuniziert. Diese Kommunikation kann glücken oder auch nicht. Ein Autor kann die Bedürfnisse von Lesern lediglich antizipieren, aber nicht zu hundert Prozent treffen. Es handelt sich beim Schreiben allenfalls um eine kommunikative Annäherung, aber auch diese Annäherung erfordert Wissen, (Schreib-)Fähigkeiten, (Schreib-)Strategien und eine Menge Übung.

Schreiben ist nicht allein auf den kommunikativen Aspekt beschränkt, so hat auch das Schreiben für sich selbst drei grundlegende Funktionen:

Erstens stiftet Schreiben auch Erkenntnis für den Schreiber selbst, er lernt im Schreibprozess und der Textproduktion komplizierte „Sachverhalte, Probleme oder Planungsprozesse“ aufzuschlüsseln und je geübter ein Schreiber darin ist, desto „leichter verarbeitet und versteht“ er diese. Schreiben für sich selbst dient „der Bewusstmachung und Wissensbildung“, eine Form, die „auch als heuristisches und epistemisches Schreiben“ bezeichnet wird. Zweitens erfüllt Schreiben eine Speicherfunktion, mit Schrift und Texten stehen „Mittel bereit, um Wissen außerhalb des Gedächtnisses zu speichern“. Drittens wirkt Schreiben psychisch entlastend, indem man etwas nach außen bringt, das einen innerlich belastet“ (vgl. ebd., 16).

Schreibunterricht versucht diese beiden übergeordneten Formen (inklusive aller Subformen) des Schreibens miteinander zu koppeln und zusätzlich die Dimension der Gesellschaft einzuführen, in die der Schreiber sich als soziales Wesen zu integrieren versucht und die die Normen und Konventionen des sozialen Zusammenlebens diktiert.

Schreiben und vor allem der Schreibunterricht sieht sich, angesichts dieser drei Dimensionen des Schreibens, mit einigen Problemen konfrontiert. Zudem gibt es unzählige Theorien und Begriffe, deshalb sollen alle für den Schreibunterricht und für diese Arbeit relevanten Theorien und Begriffe im nächsten Kapitel unter Berücksichtigung der US-amerikanischen und der deutschen Schreibforschung weiter ausdifferenziert werden.

2. Schreibforschung

2.1. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in den USA

Irrtümlicher Weise werden die Erkenntnisse der Schreibforschung Anfang der 1980er Jahre in den USA, die auch Einfluss auf Deutschland hatten, als entscheidende Entwicklung bezeichnet, durch die „nicht mehr der Text als fertiges Produkt im Vordergrund steht, sondern die Prozesse (dahinter), die notwendig sind, um einen Text zu verfassen“ (vgl. WROBEL 2010, 203). Die entscheidenden Veränderungen, damit dieses Umdenken überhaupt möglich war, setzen jedoch weitaus früher in der Geschichte der US-amerikanischen Schreibpädagogik an, und viel wichtiger erscheint in diesem Kontext ohnehin die Entwicklung von composition und creative writing zu sein, wodurch Schreiben in den USA den Status eines eigenständigen Faches erhielt.

„Der Ursprung US-amerikanischer Schreibpädagogik wird gern als Ergebnis einer Entwicklung ‚from Rhetoric to Composition‘ beschrieben“ (BRÄUER 1996, 26).

Die Rhetorik, in der der geschriebene Text als Vorlage für den mündlichen Vortrag (scripted speech) galt, entwickelt sich immer mehr zum Gegenstand stillen Lesens (silent prosa), der in composition im Zentrum steht. Diese Entwicklung, die sich im 18. und 19. Jahrhundert vollzieht, geht einher mit der Ersetzung des Lateinischen als Lehrsprache durch das Englische, aber die Etablierung von English Composition als eigenständiges Fach gelingt erst zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (vgl. ebd.).

Schreiben „als Medium und Mittel zur Aufarbeitung, Verarbeitung und Weiterentwicklung von Wissen“ sowie als „Methodeninventar moderner Kommunikation“ verlangt vor allem in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts und zu Zeiten der rasanten industriellen Entwicklung in den USA nach Erweiterung. Der klassisch-rhetorische Ansatz des Schreibens kann allein aufgrund des öffentlichen und privaten Informations- und Nachrichtenaustausches nicht mehr als schlichte schriftliche Repräsentation des Mündlichen beibehalten werden. So wächst mit der Weiterentwicklung von Schreibutensilien wie Papier und Schreibgerät auch das kommunikative Bedürfnis und die Tätigkeitsstruktur des Schreibens an sich (vgl. ebd., 27). Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu Beginn des 19. Jahrhunderts strömen junge Menschen aus der middle class an die Universitäten des Landes, die ihren sozialen Status als Startpunkt für einen sozialen Aufstieg ansehen, was unmittelbare Folgen auf den Schreibunterricht hat.

„Die schnell wachsende Zahl von Studierenden schließt von selbst einen Unterricht aus, der hauptsächlich auf die mündliche Repräsentation des Geschriebenen ausgerichtet ist. Schreiben bekommt mit dem Eintritt in die sogenannte mass education Ende des 19.Jahrhunderts erstmals eine verstärkte Kontrollfunktion für Fachwissen über den Bereich von Literatur und Sprache hinaus. Geschriebenes wird zum Gradmesser für Bewertungs- und Selektionsvorgänge“ (ebd., 28).

Aus dieser wachsenden Zahl Studierender wandelt sich auch die Form von composition immer mehr zu einer Art Servicefunktion, die darin besteht, auftretende Ausbildungsunterschiede unter den Studienbeginnern auszugleichen.

Die Entwicklung von composition und creative writing bzw. von Schreiben zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin gelingt in den USA aus folgenden Gründen:

„1. durch die Erarbeitung disziplininterner Lehrmethoden und -inhalte;
2. durch den Aufbau gegenstandsorientierter Forschung;
3. durch die Ausbildung von Fachkräften, die sich mit der Notwendigkeit von composition identifizieren;
4. durch die Etablierung von Berufsvereinigungen, Konferenzen und Publikationsorganen“ (vgl. ebd., 31).

Diese Entwicklung ist nur möglich gewesen, weil die Konkurrenz des Schreibunterrichts zum normalen (englischen) Literaturunterricht – der die „Notwendigkeit des Schreibunterrichts immer wieder in Frage gestellt hat“, Schreiben und Schreibunterricht oft als Last empfunden wurde und so von dem eigentlichen Interesse, der Literatur, abhält – schließlich überwunden wurde.

Eine Entwicklung, die nicht zuletzt auch der Verdienst der US-amerikanischen Schulen war, die unter einem geringeren Profilierungsdruck als die Universitäten standen, und so die Schulen eine Vorreiterposition für neue Entwicklungen in composition und in Sachen Schreiben und Schreibunterricht einnehmen konnten (vgl. ebd.).

Creative writing hat an US-amerikanischen Schulen, Colleges und Universitäten eine über hundertjährige Tradition, die an die Pädagogik John Deweys (1859-1952) anknüpft, der stets betonte, dass „die Sprachentwicklung als Teil der Persönlichkeitsentwicklung“ angesehen werden muss und er dadurch nachhaltig das Verständnis von der Bedeutsamkeit der Sprache und Schrift für die Herausbildung einer individuellen Identität veränderte (HASLINGER 2000). Der Aufstieg des creative writing ist wichtig für die Etablierung des Schreibens als eigenständige Disziplin an Universitäten gewesen.

Die Bandbreite des creative writing „reicht von Rhetorik über expositorische Kompositionslehre, vom therapieorientierten Selbstausdruck bis hin zur literarischen Schreibausbildung durch Schriftsteller“ (GLINDEMANN 2000, 1). Creative writing setzt „die Reform des Bildungssystems fort, indem es Literaturwissenschaft und literarische Praxis einander näherbringt“ und es reißt „die Barrieren nieder, die die Genieästhetik vor der Schriftstellerei errichtet hat“ (ebd., III).

Historisch gesehen gingen die creative writing -Bewegung in den USA und die curriculare Etablierung des Kreativen Schreibens als eigenständiges Unterrichtsfach aus zwei Strömungen hervor: 1. Aus der Tätigkeit literarischer Salons seit dem 18. Jahrhundert, aus denen später die Autoren-Clubs, die sogenannten amateur-writers‘ clubs, hervorgingen, deren Arbeitsweise der heutigen Workshopmethode ähnelt, und 2. aus den curricularen Ansätzen literarischen Schreibens innerhalb von college composition während des 19. Jahrhunderts.

„Im Zeitraum von 1880 bis 1940 wird an zahlreichen amerikanischen Universitäten das Programm um Composition Kurse erweitert und das literaturwissenschaftliche Studium durch Creative Writing ergänzt“ (vgl. MYERS 1993, 278; GLINDEMANN 2000, 1f.).

Die konsequente Zielsetzung beider Strömungen hin zur Etablierung von creative writing -Kursen im 19. zum 20. Jahrhundert und das gemeinsame Ziel, eine Alternative zu einer zu jenem Zeitpunkt dominierenden historisch-philologischen Rezeption von Literatur im Englisch-Curriculum zu sein, ermöglichte einen fächerübergreifenden Schreibunterricht, der zwar noch an das Englisch-Curriculum gebunden ist, aber trotzdem weitgehend unabhängig von Fächergrenzen das Schreiben lehrt (vgl. BRÄUER 1996, 209).

Composition und creative writing sind die Antwort und zugleich die Lösung für das Problem, dass in der Hochschulausbildung im 19. Jahrhundert den Literaturwissenschaften der Praxisbezug verlorengegangen ist. Die neuen Kurse treten nicht in Konkurrenz mit den Literaturwissenschaften, sondern sie ergänzen sie, denn „von Anfang an klammern die neusprachlichen Literaturwissenschaften die Praxis des Schreibens ebenso aus, wie die Lehre darüber, wie literarische Texte entstehen“.

Die kreativen und konstruktiven Aspekte sind zu diesem Zeitpunkt in der Fakultät der Rhetorik untergebracht (vgl. MEYERS 1993, 282), aber statt die Rhetorik an die Literaturwissenschaft anzugliedern, erfinden die Amerikaner eben jene zwei neuen Kurse: „ Composition löst die traditionelle Rhetorikausbildung ab und creative writing wirkt der Theoretisierung der Literaturwissenschaft entgegen und bringt den verlorengegangenen Praxisbezug zurück in die Literaturwissenschaft“ (vgl. GLINDEMANN 2000, 1f.).

Die USA entdecken frühzeitig das Potential eines Schreibunterrichts, die Bedeutung des Schreibens für den Lernprozess und vor allem, dass das Schreiben selbst für Lern- und Denkprozesse genutzt werden kann und andere Lernprozesse positiv unterstützt.

Das Schreiben verliert durch eine philologisch-rezeptive Anwendung als reiner Literaturunterricht in den Literaturwissenschaften seine Komplexität, so bestand der entscheidende Schritt in der US-amerikanischen Geschichte der Schreibdidaktik darin, zu erkennen, dass es einer Alternative zum rezeptiven Schreibunterricht bedurfte und ein zentraler reformpädagogischer Ansatz notwendig wurde, der mit der Einsicht zusammenlief, dass „individualisierte Artikulation (mündlich und schriftlich) und aktives, experimentelles Lernen einen Schlüsselrolle in schulischen und universitären Bildungskonzeptionen einnehmen müssen“ (BRÄUER 1996, 211).

Die Hierarchien, die zwischen Lehrer und Schüler und zwischen Dozenten und Studenten normalerweise im Unterricht vorherrschen, mussten im Zuge der Neukonzeption des Schreibunterrichts nach und nach abgebaut werden. So definierte beispielsweise

„Wilbur Schramm, erster Direktor des seit 1939 als Iowa Writers‘ Workshop benannten und heute legendären literarischen Schreibprogramms an der University of Iowa, die Rollen von Lehrer und Student als gleichberechtigt und aktiv. Niemand könne im literarischen Schreiben in derselben (rezeptiven) Weise unterrichtet werden, wie dies womöglich in anderen Studiengebieten der Fall sei“ (ebd., 215).

Die didaktisch-methodischen Strukturen des Iowa Writers‘ Workshop wurden als Standard für die Entwicklung von creative writing -Programmen an vielen Colleges und Universitäten des Landes herangezogen. Es kam in den USA zu einer Revolution von unten, bevor allgemeine Regeln und Curricula von oben erstellt worden sind.

Schramms konzeptionelle Vorstellungen verweisen schon zu einem recht frühen Zeitpunkt in der US-amerikanischen Schreibdidaktik auf gemeinsame Ansätze und Anliegen von composition und creative writing, welche in ihrer Gesamtheit letztlich das heutige Fundament der US-amerikanischen Schreibpädagogik bilden (vgl. ebd.).

Hinter der Idee von composition und creative writing steckt das Ziel, „Literatur umfassend begreifbar zu machen“ und beide Kurse dienen dazu, Studenten ein „inneres Verständnis von Literatur zu vermitteln. Trotz unterschiedlicher Blickwinkel von composition und creative writing auf das Schreiben traten durch die gegenseitige Beeinflussung beider Kurse bemerkenswerte Gemeinsamkeiten auf. Die Überschneidung in der Ausbildung und die Absicht, ein gemeinsames Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreichen zu wollen, führte nicht zu einem Zerwürfnis, sondern beeinflusste die Qualität des Lernens positiv. Composition profitierte „von der Spontaneität und Emotionalität des creative writing“, umgekehrt profitierte „ creative writing von composition im Sich-Bewußt-Machen des eigenen Schreibprozesses (Führen von Schreib- und Lesetagebüchern)“. Das Anzapfen „persönlicher Erinnerungen“ als Hauptquelle im creative writing „unterstützt im Essay-Schreiben die Ausprägung einer unverwechselbaren, eigenen Stimme (voice)“. Die innere Struktur von composition „hilft, den magischen Schleier, der oft über künstlerischem Schaffen liegt, zu lüften. Schreiben erscheint [...] auch in der Form des creative writing erlernbar“. Die Kopplung der drei Ansätze, expressives Schreiben als „Ausdruck der eigenen Erinnerungen und Emotionen“, poetisches Schreiben als Verallgemeinerung des Erlebten in bildlicher Sprache und transaktionales Schreiben generieren „ composition zu einer Quelle persönlich bedeutsamen Lernens“, so intensivieren „Textbearbeitungsstrategien und -techniken von composition als Hintergrund für künstlerisches Schaffen den kritischen Umgang mit dem eigenen Schreiben und helfen, individuelle Qualitätskriterien herauszubilden“ (vgl. ebd., 260).

Die logische Konsequenz: Die „Grenzen von composition und creative writing verschwimmen, als beide Bereiche Ende der 1960er Jahre in der aufkommenden Bewegung des Writing Across the Curriculum (WAC) vereint werden“ (vgl. GLINDEMANN 2000, 5f.). Im Jahr 1967 wird mit dem Associated Writing Program (AWP) eine Berufsvereinigung und 1974 mit dem National Writing Project (NWP) ein Lehrerfortbildungsinstitut gegründet. Die jährliche Conference for College Composition and Communication (CCCC) diskutiert die interdisziplinären Einsatzbereiche der Schreibpädagogik und ermöglicht den Austausch zwischen Schule und Universität.

Die Schreibforschung als eigenständige Forschungsdisziplin entstand Anfang der 1970er Jahre in den USA und Kanada aus einer gesellschaftlich-politischen Entwicklung heraus, die auf einen Newsweek-Artikel von Merill Sheils mit dem Titel Why Jonny Can’t Write [1] zurück geht, der eine Schreibkrise in den USA heraufbeschwor (vgl. BÖTTCHER 2004, 16). Es erfolgte im Zuge dieser Krise ein Ausbau der Schreibprogramme composition, creative writing und writing across the curriculum.

Im Jahr 1987 verfügten 418 von 1.113 amerikanischen Universitäten bereits über WAC - Schreibprogramme und im Jahr 2008 waren es 566 von 1.118 Universitäten des Landes.[2] Es existieren heute in jedem Bundesstaat der USA an mindestens einer Universität WAC -Programme (aber auf jeden Fall composition - oder creative-writing -Programme), es wird alle zwei Jahre eine internationale Konferenz (IWAC) abgehalten und das WAC -Programm an Universitäten wurde durch writing in the disciplines -Kurse (WID) ergänzt, in denen die Studenten über mehrere Wochen formale Texte in bestimmten Genres mit Hilfe von Studenten aus anderen Fachrichtungen vorbereiten (und später auch verfassen). Das Schreib- und Unterrichtsnetzwerk in den USA wächst stetig an, weil sich die unterschiedlichen Ausrichtungen konstruktiv und wechselseitig beeinflussen, zusammenarbeiten und gegenseitig ergänzen. Ein Einblick in diese Strukturen und die Erkenntnisse der US-amerikanischen Schreibforschung bzw. -pädagogik liefert für das Verständnis eines fächerübergreifenden Schreibunterrrichts einen erheblichen Beitrag.

2.2. Erkenntnisse der Schreibforschung in den USA

Die US-amerikanische Schreibforschung auf die Erkenntnisse der Schreibprozessforschung Anfang der 1980er Jahre zu reduzieren, durch die relativ international die Umstellung von produktorientierten Schreibtheorien hin zum prozessorientierten Schreiben stattfand, wäre, wie der vorangegangene Abschnitt gezeigt hat, schlichtweg falsch.

Eine Vereinseitigung des Schreibens auf prozess- oder produktorientierte Theorien wäre mindestens genauso falsch. Es geht nicht darum, sich entweder für das produkt- oder das prozessorientierte Schreiben zu entscheiden. In der Praxis ist Schreiben von allem ein bisschen und eine Entweder-oder-Entscheidung – sei es in der Schreibforschung oder der Unterrichtspraxis – zugunsten einer der beiden Theorien wird dem Schreiben in seiner Komplexität nicht gerecht. Es gibt nur Schreibmethoden und -strategien, die besser oder schlechter funktionieren als andere, aber keine Universalmethode.

Die Schreibforschung gliedert sich in produkt- und prozessorientierte Theorien. In dieser Arbeit stehen in den folgenden zwei Kapiteln vor allem letztere Theorien im Fokus, da sie derzeit die gegenwärtige Schreibforschung und wissenschaftliche Diskussion dominieren und die Übernahme dieser Theorien in der Didaktik und Unterrichtspraxis noch andauert bzw. teilweise noch gar nicht umgesetzt wurde (wie z.B. in Deutschland).

Die Theorien zum prozessorientierten Schreiben in den USA können in drei Ansätze eingeteilt werden, die zeigen, dass der Schreibprozess sowohl als sozialer (epistemic rhetoric), kognitiver (rhetoric of cognitive psychology) und expressiver (expressionistic rhetoric) Prozess verstanden werden kann (vgl. BRÄUER 1996, 96).

Die Produkt-Dimension des Schreibens ist im sozialen Ansatz berücksichtigt und soll im letzten Abschnitt in das Konzept für den fächerübergreifenden Schreibunterricht und in ein Unterrichtsmodell integriert werden (siehe 5.3.).

2.2.1. Prozesstheorien der US-amerikanischen Schreibpädagogik

2.2.1.1. Expressionistic Rhetoric– der expressive Ansatz

Der expressive Ansatz bzw. die expressionistic rhetoric ist ein Schreibmodell, das „die Wirklichkeit innerhalb der Vorstellungen des Individuums lokalisiert“. Das Individuum entfaltet sich im Schreibprozess durch die Verwendung einer „metaphorisierten Sprache“ selbst, d.h. Schreiben kann „als ein Medium für subjektives Erkennen verstanden“ werden, bei dem nicht unmittelbar die Erkenntnis im Vordergrund steht, sondern das „Erkennen als subjektiver Prozess“, der durch die Rezeption fremder und der eigenen Texte erfolgt. Wichtigste Erkenntnis des expressiven Ansatzes ist, dass aus der Sicht der expressionistic rhetoric „Schreiben (individuell) erlernt, aber nicht (als Wissen) gelehrt“ werden kann, so hebt „Schreibunterricht [...] die Trennung von Lehrenden und Lernenden auf“ und „fördert die Autonomie des einzelnen“ (vgl. ebd., 108).

Die Fokussierung auf Normen und Konventionen der Gesellschaft und den Schreiber als Teil einer (Schreib-)Kultur und in Abhängigkeit von ihr, wie es beispielsweise im sozialen Ansatz der Fall ist, vollzieht sich im expressiven Ansatz als Abhängigkeit vom und als Fokussierung auf den Schreibenden als treibende Kraft im Schreibprozess.

Seit Ende der 1960er Jahre sind drei Schlüsselbegriffe zur Charakteristik des expressiven Schreibens aufgetaucht und werden seither diskutiert:

„1. Integrität des Geschriebenen: ‚Ich schreibe, was ich denke und fühle‘ (Donald Steward); 2. Spontaneität: ‚Ich schreibe, was mir gerade in den Sinn kommt‘ (Peter Elbow); 3. Originalität: ‚Ich sehe mich im Schreiben selbst verwirklicht‘ (James Moffett)“ (vgl. ebd.).

Für die Integrität gilt in der Schreibpraxis, dass ein Schreiber zuerst lernen muss, wie er Zugang zu seinen Gedanken und Gefühlen erhält und wie er diese Öffnung seines Ichs auf dem Papier in einem nächsten Schritt umsetzen kann.

Spontaneität und Originalität müssen ebenso gelernt und regelmäßig trainiert werden, zumal sich die schriftliche Spontaneität auf dem Papier erheblich von der normalen Spontaneität unterscheidet. Einer spontanen Handlung haftet stets etwas Unwillkürliches an, die schriftliche Spontaneität hingegen ist eine Mischung aus Bewusstheit und Unbewusstheit. Schreiben ist ein Zulassen unwillkürlicher, unbewusster Gedanken und deren willkürliche, bewusst erfolgende Verschriftlichung, d.h. die Spontaneität bezieht sich in erster Linie auf den Gedankenfluss, der als Schreibfluss auf dem Papier kanalisiert werden muss.

Der Schlüsselbegriff der Spontaneität geht auf Peter Elbow zurück, ein Hauptvertreter des expressiven Ansatzes, der im Gegensatz zum „Praktizieren von Kriterien für good writing “, das „effektivere Ausnutzen des Schreibens für Selbsterfahrung im Umgang mit dem eigenen Ich“ fordert, wobei die Art und Form des Schreibens im eigenen Ermessensspielraum des Schreibenden liegt (vgl. ebd., 109).

Elbows Schreiblehre baut darauf auf, den Schreibenden einerseits zu vermitteln, wie sie die richtigen Worte freier, flüssiger und intensiver generieren können, und andererseits den Lernenden die Möglichkeit für ein eigenes Urteil zu überlassen, welche Teile ihres Schreibens sie beibehalten und welche sie ablegen wollen (vgl. ELBOW 1973, viii).

Für Elbow ist Schreibunterricht kein lehrer- sondern lernerzentrierter Unterricht, er vertritt die These: „It is possible to learn something and not be taught. [...] The teacherless class has helped me as a teacher because it is an ideal laboratory for learning along students and being useful to them in that way“ (ebd., ix).

Die lehrerlose Klasse ist aus Elbows Sicht die ideale Schreibumgebung, in der Schreibunterricht stattfinden muss. Solch eine Lernumgebung ermöglicht es, in einer kreativen Atmosphäre zu arbeiten, in der alle gleich sind, alle dasselbe Ziel verfolgen und die eigene Individualität gefördert wird.

Der Schreibprozess muss vom schreibenden Individuum aus gedacht werden, daher macht es wenig Sinn, ein „in sich geschlossenes und komplettes gedankliches Konzept in Schriftsprache zu übersetzen“. Peter Elbow versucht es genau umgekehrt: „Vom Einfall, der Idee, die schriftlich (weiter)entwickelt wird, hin zu einem Text, der erst nach seiner Fertigstellung erkennen läßt, was die eingangs aufgegriffenen Ideen und Gedanken eigentlich bedeuten (meaning making)“ oder wert sind. Schreiben ist für Elbow ein sich organisch entfaltender Prozess, den er als growing bezeichnet und der letztendlich eine Form der Selbsterkenntnis und -verwirklichung darstellt (vgl. BRÄUER 1996, 111).

Das schreibende Individuum lernt durch den Schreibprozess und den Text als Endprodukt und Ergebnis individuellen Ausdrucks die eigene Meinung und deren Bedeutung kennen. Dies führt unweigerlich zu einer Erkenntnis.

Expressives Schreiben hat den Vorteil, dass der Schreibende von Schreibblockaden weitgehend verschont bleibt, da es keine Festlegung auf ein (Schreib-)Konzept und auch keine Fokussierung auf eine Adressaten hin gibt. Erwartungshaltung und -druck spielen beim expressiven Ansatz keine Rolle, die Schreibaufgabe ist an keine Konventionen und Normen gebunden, das Individuum allein bestimmt die Grenzen und Normen des eigenen Schreibprozesses.

Der expressive Ansatz ist zwar die Grundlage für therapeutisches und psychologisch entlastendes Schreiben, aber es allein als »Tagebuchschreiben« abzutun, wäre eine ungerechtfertigte Herabwürdigung.

Für den Schreibunterricht hat das expressive Schreiben eine wichtige Funktion, es lehrt die Schreibenden Normen und Konventionen zurückzustellen und einer Idee blind auf dem Papier zu folgen, ohne Gedanken an Richtigkeit oder mögliche Fehler zu verschwenden. Dies ist dahingehend wichtig, da der Erwerb der (Schreib-)Fähigkeit des flüssigen Schreibens, einen Schreiber generell dazu befähigt, beliebig oft und zu jedem Thema einen Schreibfluss herzustellen, was letztendlich Schreibblockaden verhindert. Schreiber, die hingegen nicht oder nie gelernt haben, expressiv zu schreiben, versteifen sich u.U. zu sehr auf Textmuster und ihre Ideen, die sie unbedingt im eigenen Text umsetzen wollen. Die alleinige Orientierung und ein Perfektionismus im Hinblick auf die Umsetzung von Textmustern und -konventionen führen, nach Sicht des expressiven Ansatzes, zu einer Vernachlässigung der eigenen Individualität und Kreativität.

Eine Ausgangsidee kann sich im Schreibprozess und im Text als Endprodukt um 180 Grad drehen und eine völlig andere Richtung einschlagen, daher ist es wichtig, dass Schreiber lernen, dass Ideen nichts Statisches sind, die am Ende der Textproduktion noch so aussehen, wie sie zu Beginn in der Planungsphase waren.

Das expressive Schreiben lehrt die Schreiber, sich auf sich selbst und die eigenen Ideen einzulassen und erst einmal abzuwarten, wo einen diese Ideen überhaupt hinführen. Diese Ungewissheit und scheinbare Führungslosigkeit führt Schreibende Stück für Stück zu ihrer (verborgenen) Kreativität, die wie ein Motor ist, der erst einmal warm laufen muss, bevor er heiß laufen kann.

Elbows metaphorische Bezeichnung des growing für den Schaffensprozess ist zumindest in dieser Hinsicht zutreffend: Schreibende müssen ihre Kreativität mühsam von der Hand aufziehen, regelmäßig gießen und pflegen, wenn sie wollen, dass die eigene Kreativität und die eigene Stimme im Text „wächst“. Elbow gibt einige praktische Hinweise für den Schaffensprozess und für dieses „Wachsen“: 1. Schreiben zu einem bestimmten Thema sollte einen persönlich bedeutsamen Anlass/Grund haben; 2. der Zugang zum eigenen Thema sollte über die eigenen Erfahrungen und zum eigenen Vergnügen, nicht bereits für ein konkretes Publikum hergestellt werden, denn je perfekter der Plan, desto größer ist die Gefahr, nichts schreiben zu können (gemeint ist hier das freewriting); 3. Schreiben darf nicht unter Zwang geschehen, es sollte sich „wie von selbst“ einstellen, denn je krampfhafter die Bemühungen, desto eher drohen Schreibblockaden; und 4. für Schreibnovizen liegt der Schwerpunkt auf Quantität und Kontinuität, nicht auf Qualität, denn Zurückschauen, Kontrollieren, Verbessern hält den Schreibfluss auf oder bringt ihn zum Versiegen (vgl. ebd.).

Das growing verläuft ohne äußere Einflüsse ab, erst in den Phasen des editing und cooking stellt sich der Schreibende (und dessen Text) äußeren Ansprüchen.

Mit Editing beschreibt Elbow die letzte Phase des Schreibprozesses, in der es darum geht, herauszufinden, „was durch das bisher Geschriebene eigentlich gesagt werden sollte. Für dieses Anliegen heißt es Reorganisieren, Umformulieren, Kürzen, Streichen, Zusammenfassen. Das Ergebnis ist ein Textentwurf, welcher möglicherweise durch nachfolgende Textarbeit noch weiterentwickelt werden wird“ (ebd., 112).

Cooking ist hingegen ein energetischer Vorgang, bei dem die Konfrontation und das Kontrastieren von Sprach- und Ideenmaterial zwischen mehreren Spannungspolen abläuft: Erstens zwischen Schreibendem und anderen Menschen in Form einer mündlichen Diskussion darüber, was beim Schreiben noch nicht klar dargestellt werden kann, d.h. ein mündliches Ausprobieren von Ideen. Zweitens zwischen Ideen, einem Infragestellen der ursprünglichen Ideen und einem Konfrontieren mit Alternativen. Drittens zwischen Wörtern und Ideen als Wechselverhältnis von strategischen Überlegungen und Detailarbeit. Viertens zwischen Metaphern als ein Entdecken und Ausnutzen der für Metaphern charakteristischen Widersprüche als Ressource für neue Ideen. Und fünftens ein Spannungsverhältnis zwischen Schreiber und den (geschriebenen) Sprachsymbolen, die ein Schreiben aus verschiedenen Perspektiven und ein Verfremden des eigenen Standpunktes aufzeigen sollen (vgl. ebd.).

„Growing und cooking charakterisieren sowohl mit ihrer individuellen Dynamik als auch durch ihre gegenseitige Beeinflussung Schreiben als bedeutungs- und sinnstiftenden Prozeß (meaning making), der im Spannungsfeld von Inspiration, Idee, Wort und Strategie generiert und zum wachsenden Selbstverständnis des Autors beiträgt“ (ebd., 112f.).

Die Aufteilung des Schreibprozesses in meaning making, growing (Hauptvorgang), cooking, editing wandelt sich in Elbows späteren Arbeiten in einen zweigeteilten Schreibprozess. „In eine kreative Phase, wo schnell, viel und regellos geschrieben wird, und in eine Phase textkritischer Überarbeitung.

Elbow charakterisiert diese beiden Etappen durch die Begriffe intuitiv (intuitive) und bewußt (conscious) in ihrer speziellen Gerichtetheit als mentale Operationen“ (ebd., 113), die alle mit Hilfe des freewriting als Universalmethode für die Förderung sprachlicher Kreativität ins Bewusstsein des Schreibenden geholt werden, ohne dass es zu einem zu frühen Einsetzen von Selbst- und/oder Textkritik beim Schreibenden kommt. Es handelt sich bei Elbows Ansatz um eine Zweiteilung des Schreibprozesses in Textschaffen (Schreibfluss herstellen) und in Textkritik bzw. -überarbeitung, bei der mit Hilfe des freewriting ein Text entsteht, der beim schreibenden Individuum möglichst ein großes Potential an Selbsteinsicht und -erkenntnis freilegt.

Im expressiven Schreiben soll die Individualität des Schreibenden in den Text einfließen und so transformiert werden, dass auch die Leser/Adressaten das von einem Schreibenden Intendierte nachvollziehen können. Elbow bezeichnet die Stimme eines Autors im Text als voice. „Unter voice versteht [...] [er] eine innere (Überzeugungs-)Kraft des Textes, die aus der Übereinstimmung zwischen Autor (Sprecher) und dem, was gesagt wird, zum Leser emporsteigt“. Elbow setzt diese Stimme im Text mit einem „fesselnden Erlebnis“ gleich, dass beim Lesen erzeugt wird, aber nichts mit orthographischer, grammatischer oder stilistischen Normen und Konventionen zu tun hat. Voice „ergebe sich aus dem stimmigen Fokus des Textes: Das, was der Schreiber auszusagen beabsichtige, werde auch tatsächlich durch den Text zum Publikum transportiert“ (ebd., 115).

V oice ist eines der Kernelemente der expressiven Schreibtheorie, bei der die Schreibenden direkt bei sich selbst abgeholt werden und so vom Individuum aus der Schreibprozess gedacht wird. Die Arbeit an der eigenen Stimme (voice) steht exemplarisch für ein Umdenken in der Schreibforschung, das eng mit der (Schreib-)Motivation gekoppelt ist.

Die Schreibenden erhalten durch die Arbeit an ihrer Stimme im Text ein Gefühl für individuell bedeutsame Themen, zusätzlich wächst das Interesse am Schreiben, weil die entstandenen Texte zunehmend eine Steigerung der persönlichen Bedeutung aufweisen. Der Schreibende erlebt Schreiben und den Schreibprozess „als organische Verlängerung seiner selbst“, bei der „die Suche nach der eigenen Stimme zur Suche nach der eigenen Identität“ wird, was letztendlich einen inneren Lernprozess darstellt und zu Selbsterkenntnis führt (vgl. ebd.).

Schreibblockierungen und fehlende Motivation (im Schreibunterricht) zeugen oft von einem falschen Lernweg, bei dem einzelne Aspekte des Schreibprozesses übersprungen oder gleich als unwichtig abgestempelt werden. Die Subjektivität des Individuum spielt im Schreib- und Leseunterricht eine wichtige Rolle, denn es ist wichtig, dass Schreiber (und auch Leser) lernen, eigenen und eben nicht formalen Bewertungskriterien zu folgen, die jeweils aus den inneren Werten des Individuums hervorgehen. Formale Bewertungskriterien spielen erst in einem späteren Stadium des Schreibprozesses eine Rolle.

Expressives Schreiben steht am Anfang des Schreibenlernens, denn das Vorziehen von formalen Kriterien, Normen und Konventionen führt im schlimmsten Fall dazu, dass Texte „hohl“ und „seelenlos“ klingen, was Elbow treffend als „nobody is at home here“ bezeichnet. Dies geschieht beispielsweise, wenn im Unterricht ausschließlich an vorgefertigten Textmustern gearbeitet wird, bei denen nur noch Sprachhülsen aneinandergereiht werden, um einen Text zu produzieren – also schlichtweg zu viel vorgegeben wird, so dass Schreibnovizen verständlicherweise nicht mehr wissen, wo sie sich selbst und ihre Meinung (im Text) noch unterbringen sollen oder es nie gelernt haben, wie sie ihre Individualität und eigene Stimme in einen Text einbauen können (vgl. ebd., 116).

Die Forderung Elbows und des expressiven Ansatzes an die Schreiber, sich mit dem zu identifizieren, was zu Papier gebracht wird, ist der erste und vielleicht wichtigste Aspekt des Schreibens, der über Erfolg und Misserfolg, über das Auftauchen oder Ausbleiben von Problemen im weiteren Verlauf des (Schreib-)Lernprozesses entscheidet.

Die eigene Stimme (voice) im Schreibprozess entwickeln, ist Teil eines komplexen Selbsterkennungsprozesses mit zwei grundlegenden Dimensionen der Selbsterkennung:

1. Schreiben führt zu einer generellen Selbsterkenntnis, indem der Schreiber seinem Ich näherkommt (Selbsterkenntnis = ichbezogen);
2. Schreiben führt zu einer speziellen Selbsterkenntnis, indem das schreibende Individuum erkennt, wie es sein Selbst und die eigene Meinung akzeptabel in Texte einbauen kann (Selbsterkenntnis = textbezogen).

Voice -Arbeit ist sozusagen zur einen Hälfte ein komplexer Selbsterkenntnisprozess und zur anderen Hälfte eine „Schreiber-Leser-Kollaboration als kollektives Lernen durch den Austausch von Eigen- und Fremderfahrungen bzw. dem Aufbau der Erfahrung eines kreativen Schaffens- und Rezeptionsvorgangs, innerhalb dessen neues Wissen konstruiert wird“ (vgl. ebd., 120).

Sozialer und expressiver Ansatz sind nur auf den ersten Blick zwei entgegengesetzte Enden einer Geraden, denn Normen sind im Schreibprozess genauso wichtig wie Normlosigkeit, auch wenn sie scheinbar nichts gemeinsam haben, ist es wichtig, als Schreiber beide Formen zu beherrschen und beide Ansätze zu beherzigen.

2.2.1.2. hetoric of Cognitive Psychology – der kognitive Ansatz

Der kognitive Ansatz (rhetoric of cognitive psychology) ist lernerzentriert. Hauptunterrichtsmethodik ist, dass die Lernenden in einen Prozess des problem solving geführt werden sollen, an dessen Ende „weniger die vertiefende Einsicht in sich selbst als Individuum [steht], als vielmehr die Erkenntnis über die Welt, in welcher sich das lernende Individuum als soziales Wesen zu verwirklichen sucht“ (ebd., 98).

Schreiben erfordert vom Schreibenden bestimmte kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten. Janet Emig „weist empirisch nach, dass das Verfassen von Texten keinen linearen und kontinuierlichen Ablauf aufweist. C omposing ist im Schreibprozess ein in sich periodisch wiederholender Vorgang, den nur der Schreiber selbst beenden kann.

Sie bringt außerdem Fragen des Schreibentwurfs (prewriting), der Lesergerichtetheit (innere Zensur), des Pausierens, des Einflusses autobiographischen Materials und von Emotionen auf den Schreibfluß und Fragen des widerholten Lesens im Überarbeitungsprozeß zur genauen Diskussion“ (vgl. EMIG 1983, 70; BRÄUER 1996, 101).

Emigs wichtigste Erkenntnisse bei der Beobachtung von Schülern der 12. Klasse lassen sich in fünf Hypothesen formulieren:

„1. Schüler unter Zeitdruck arbeiten nach einem ihnen antrainierten Schema des darlegenden Schreibens (expository writing). Dieses Abspulen einer antrainierten Schreibroutine führt dazu, dass die Schüler bei dieser Art des Schreibens kaum ihre persönlichen und emotionalen Ansichten in einen Text einbauen.
2. Schüler verwenden bei ihrer Planungsphase kein zusätzliches Material für ihren Erstentwurf, sondern planen ausschließlich in ihrem Kopf, d.h. die Planungsschritte werden nicht verschriftlicht.
3. Schüler (und auch Kinder) sind relativ unempfänglich für Schreibblockaden, da sie sofort beginnen zu schreiben.
4. Das Komponieren im Schreibprozess ist keine abgeschlossene Tätigkeit, es wird durch Pausieren und Überlesen des Geschriebenen bzw. durch mündliches (lautes) Vorformulieren unterbrochen.
5. Der Prozess des Überarbeitens (rewriting) setzen Schüler oft mit der mit der Korrektur grammatischer und orthographischer Fehler gleich, aber äußerst selten mit Veränderungen in der Satz- bzw. Textstruktur. Zwischen Erstentwurf und Endfassung sind somit oft nur geringe Unterschiede festzustellen“ (vgl. ebd.).

In der Unterrichtspraxis ergeben sich einige Prozesse und Teilhandlungen, die den Schülern erst bewusst gemacht werden müssen. Prozessorientiertes Schreiben, Schreiben als Form des Lernens, verknüpft emotionale und kognitive Elemente miteinander, durch die der Schreiber, „wie Vygotsky sagt, ein Bedeutungs- und Sinngewebe (‚web of meaning‘) entwirft, das letztlich Erkenntnisgewinn verkörpert“ (BRÄUER 1996, 103). Die individuellen Kompetenzen des Schreibenden müssen somit im Lern- und Schreibprozess durch Analyse und Synthese im Einzelnen sichtbar gemacht werden, was wiederum zu Einsichten und schließlich auch zu Wissen über den eigenen Schreibprozess führt, durch die der Schreibprozess beim nächsten Mal besser und effektiver ausgeführt werden kann. „Schreiben als Lernprozess dokumentiert sich in Verlauf und Qualität selbst und schafft somit automatisch jene Meta-Ebene, von der aus Lernen/Schreiben (im Rückblick) zukünftig effektiver gestaltet werden kann“ (vgl. ebd.).

Ein Schlüssel zum Erwerb von Schreibkompetenz ist die Sichtbarmachung und die Bewusstwerdung der (anfangs) unsichtbaren und unbewussten Vorgänge im Schreibprozess, über die sich Schreibnovizen nur wenig Gedanken machen. Der kognitive Ansatz bietet in dieser Hinsicht ein großes Potential und einen guten Ansatz für individuelle bzw. lernerzentrierte Lehr- und Lernprozesse im Schreibunterricht.

2.2.1.3. Epistemic Rhetoric – der soziale Ansatz

Der soziale Ansatz (epistemic rhetoric) verfolgt die Theorie, dass Schreiben eine transaktionale Handlung ist, die zwischen allen Beteiligten des Kommunikationsprozesses – dem Sender, dem Empfänger, der materiellen Wirklichkeit und der Sprache – stattfindet. Schreiben ist als ein sozialer Vorgang zu verstehen, der die Wirklichkeit nicht abbildet, und dies auch nicht tun soll, sondern der selbst Wirklichkeit verkörpert und schafft. Schreiben stiftet durch Diskurse Wirklichkeit, da diese Diskurse jedoch permanent und immer wieder aufs Neue in einer Kommunikationsgesellschaft oder Kommunikationssituation und innerhalb einer Gesellschaft stattfinden, verändern sich auch die Schreibsituationen permanent, was wiederum eine Anpassung des Schreibenden an die aktuellen Diskurse und Schreibsituationen erfordert. So wie sich das Denken jedes Individuums im Laufe des Lebens verändert, strukturiert auch das Schreiben „Denken als Produkt seines eigenen Verlaufs“ und der soziale Ansatz vermittelt die linguistischen Besonderheiten von Diskursen und deren Beziehungen“ (vgl. ebd., 123).

„Der gemeinsame Nenner zum Verstehen des Schreibprozesses besteht [...] darin, dass er nur aus gesellschaftlicher Perspektive, nicht aber aus individueller Sicht (von Autor und Leser) hinreichend erklärt werden kann. Dementsprechend ist der Fokus der Schreibtheorie nicht unbedingt darauf ausgerichtet, herauszufinden, wie soziale Umfelder kreatives Schaffen beeinflussen. Von zentralem Interesse sind Aussagen darüber, wie sich das schaffende Individuum als Teil gesellschaftlicher Kultur manifestiert“ (ebd.).

Die Verzahnung und die Berücksichtigung der inneren (Schreibindividuum) und äußeren (Schreibumgebung/Gesellschaft) Bedingungen beim Schreiben erfordert einen Erkenntnisprozess und -gewinn im schreibenden Individuum, der Schreibende in die Lage versetzt – trotz der stetigen Korrumpierungsgefahr durch das eigene Ich oder die Gesellschaft – im Schreibprozess und im letztlichen Schreibprodukt (Text) die Einflüsse von innerer und äußerer Welt im Gleichgewicht zu halten und einen Text abzuliefern, der beidem gerecht wird, sowohl subjektiven als auch objektiven Ansprüchen.

Es geht darum, sich eine eigene Meinung beim Lesen von (fremden) Texten zu bilden, mit der eigenen Subjektivität zu vergleichen, Vereinbares zu übernehmen und Unvereinbares als Ansatz für Kritik zu nehmen, aus der eine eigenständige Position eingenommen und entwickelt werden kann (siehe 5.1.5.; Abb. 11).

Texte sind zeitlos, daher birgt jeder Text grundsätzlich das Potential, die eigene Subjektivität zu überdenken, egal wie viele Jahre zwischen Verfassen und Rezipieren eines Textes vergangen sind. Jeder Text löst einen Angleichungsprozess aus, durch den der gelesene Text oder die eigene Subjektivität weiter gedacht wird, um daraus eine eigene Position zu entwickeln, die als neuer Text bei neuen Lesern einen ähnlichen Verzahnungsprozess zwischen Schreiben und Lesen auslöst.

„Schreiben soll sich als sozialer Erkenntnisprozess im Interaktionsschnittpunkt von Subjekt (innere Welt) und Objekt (äußere Welt) entfalten“ (BRÄUER 1996, 124).

In diesem Interaktionsschnittpunkt von innerer und äußerer Welt spielen die Kulturtechniken Lesen und Schreiben für den Schreibprozess eine entscheidende Rolle.

David Bartholomae, ein Englisch-Professor an der Universität von Pittsburgh, gilt als Verfechter des sozialen Ansatzes. Bartholomaes Forschungsinteresse liegt in den Bereichen composition, literacy und Pädagogik. Er versteht das Miteinander von Lesen und Schreiben als Kerngedanken der epistemic rhetoric, bei dem „Schreiben als Transaktion zwischen allen Beteiligten des Kommunikationsprozesses in pädagogisch-methodische Konsequenzen umgesetzt wird. Es ist wichtig, dass im Unterricht behandelte Werke von berühmten Autoren nicht auf einen Sockel gehoben werden und allein als Betrachtungsobjekt behandelt werden. Die Werke und die Schreibweise von Autoren sollen nicht als Vorlage dienen, der zu folgen ist und die unreflektiert übernommen werden soll, sondern beides fungiert im Schreibunterricht als „kreativer Partner“, quasi als Anstoß für eigenes schöpferisches Handeln, denn so „wie sinnstiftend geschrieben wird, muss auch sinnstiftend gelesen werden“. Die Botschaft eines Textes soll individuelle Gültigkeit für den Leser bzw. Schreiber schaffen, auf dessen Basis Gedanken weitergedacht, eine eigene Position zu dem in einem Text behandelten Thema entwickelt und die Schreibweise des Autors sowie die im Text vorgegebenen Muster vom Schreiber/Leser imitiert bzw. adaptiert werden (vgl. ebd., 125).

Die Entfaltung einer eigenen Sprache gelingt Schreibenden nur, wenn sie den Balanceakt zwischen Nachahmung und Kritik (am Vorbild) meistern. Bartholomae bezeichnet diese Situation im Lese- und Schreibprozess als „reading with and against the grain“ (BARTHOLOMAE 1994, 11), d.h. es ist weder zweckdienlich, ein literarisches Vorbild 1:1 nachzuahmen (reading with the grain), noch ist es förderlich im Hinblick auf den eigenen Entwicklungsprozess ein Vorbild komplett abzulehnen (reading against the grain). Die Lese- und Schreibsozialisation von Schülern und Studenten muss sich im Schnittpunkt von Kritik und Nachahmung bewegen, denn wie Bartholomae zu bedenken gibt: „[College students] want be experts, not just hear from them“ (ebd.).

Dies erfordert einen Lese- und Schreibunterricht, der das Handwerk von Autoren und die Bemühungen von Schülern und Studenten auf ein und derselben Ebene ansiedelt. Ein Aufbrechen hierarchischer Strukturen zwischen Lehrenden und Lernende ist für den Schreibunterricht eine Herausforderung, da die sozialen Rollen („Lehrende vs. Lernende“ und „Literatur vs. Schüler- bzw. Studententexte“) klar verteilt sind und generell ein Lehrender die Texte von Lernenden sowie deren Wissen nicht nur unter dem eigenen Wissen ansiedelt – schließlich soll er etwas lehren und dies gelingt nur durch einen Wissensvorsprung und die automatische Höherpositionierung gegenüber den Lernenden – sondern aufgrund dieser Hierarchie es Lehrenden generell auch schwerfallen dürfte, Texte von Lernenden im Schreibunterricht mit Texten von bekannten Autoren gleichzusetzen, geschweige denn diese auf gleicher Ebene (oder gar höher) als die der „literarischen Vorbilder“ anzusiedeln. Der soziale Ansatz erfordert ein Umdenken auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene. Bartholomae sucht „inhaltlich die Gleichberechtigung, indem er das Erfahrungswissen bzw. die fragmentarischen Kenntnisse der Studierenden im Zusammenhang mit speziellen fachwissenschaftlichen Fragestellungen dem Wissen von Fachautoritäten im Unterricht gleichgestellt sehen will. Hierin sieht er vor allem für die Anfangsphase im Umgang mit einem anspruchsvollen Lesetext eine wirkungsvolle und wichtige Motivationsform“ (BRÄUER 1996, 125f.).

Die Gleichberechtigung und Gleichsetzung von „Vorbild-Literatur“ mit den Bemühungen und Texten von Lernenden ist im Hinblick auf eine didaktische Umsetzung von Schreibunterricht mehr als eine Herausforderung. Ein Schreibunterricht nach dem sozialen Ansatz erfordert gleichermaßen von Lehrenden wie Lernenden eine Verabschiedung von ihrem klassisch-sozialen Rollverständnis und eben keine Glorifizierung von literarischen Vorbildern, was letztlich nicht nur zu einer Öffnung des Unterrichts führt, sondern auch eine beidseitige Bereitschaft des Lernenwollens bei Lehrenden und Lernenden signalisiert. Das gemeinsame Lernen ist ein wichtiger Aspekt im sozialen Ansatz, der nur gelingt, wenn die Rollen von Lehrenden und Lernenden variabel und flexibel interpretiert werden. „Bartholomae versteht Lesen wie Schreiben als soziale Interaktion“ (ebd., 126), bei der erst der Leser eines Textes, dem Text seinen endgültigen Sinn verleiht, ähnlich wie der Schreiber den Sinn seines Schreibens darin erkennen muss, einen Leser im Vorfeld des Schreibprozesses zu antizipieren, weil Texte generell für das Lesen und für Leser geschrieben werden.

Die Funktion, die Texte gestandener Autoren für den Lese- und Schreibunterricht haben, „geben […] einen Rahmen vor, in dem sich Denken und Kommunikation der Rezipienten erfolgsversprechend abspielen können“ und „kognitive Muster, die durch einen rezipierten Text auf die individuelle Schreibpraxis der Leser übertragen werden können, [sind] umso wirkungsvoller, wenn es sich bei den Vorbildern um im Kommunikationsprozeß anerkannte Vorlagen handelt“ (ebd., 127) – die jedoch nicht »schülerfern« sein dürfen. Hauptanliegen des sozialen Ansatzes ist es, dass im Lese- und Schreibunterricht die Lernenden (und auch die Lehrenden) gemeinsam ihren Blick auf die Welt, die Gesellschaft und die Kultur richten und am Ende eines solchen Prozesses als Ergebnis (z.B. in Form eines Textes) ein Blick auf die Welt entsteht, „der sowohl die Potenzen der ‚großen‘ Autoren als auch die der Studierenden beinhaltet“ (vgl. ebd., 126).

2.2.1.4. Das Schreibmodell von Donald Murray

Donald Murrays Schreibmodell gibt eine Antwort auf die Frage, ab wann ein Schreiber eigentlich schreibt. Für Murray beginnt der Schreibprozess lange vor dem eigentlichen Schreiben auf dem Papier. Textproduktion ist in seinen Augen auf eine Gedankenprodukion bzw. Gedankenordnung im Vorfeld des eigentlichen Textens angewiesen.

Hierzu greift er den Begriff des rehearsal (dt.: „Probe“, „Probedurchlauf“, „Wiederholung“) von Donald Graves (1978) auf und nennt die erste Phase in seinem Schreibmodell rehearsing. Rehearsing bedeutet einem Gegenstand, einem Zusammenhang oder einem Gefühl auf die Spur zu kommen, „über das aus eigenem Antrieb heraus geschrieben werden muss“. Diese Phase vor dem Schreibprozess bzw. der Textproduktion ist „geprägt durch bewusstes und/oder unbewusstes Zusammenführen und Aufrechnen des momentan verfügbaren Materials (Sprache, Bilder, Klänge, Emotionen, Erinnerungen, Zusammenhänge, Details etc.), das neben den angenommenen Schreibanlass gestellt und dagegen abgewogen wird: Wie wichtig ist es mir, über dieses oder jenes zu schreiben? Was habe ich mitzuteilen?“ (BRÄUER 1996, 134).

Rehearsing ist als eine Experimentierphase des Schreibprozesses zu verstehen, die wie alle anderen Tätigkeiten im Schreibprozess „dem Sammeln und Verknüpfen von Informationen“ dient, somit ist die „Hauptmotivation zum Schreiben direkt an das menschliche Bedürfnis gebunden, Informationen zu sammeln und diese in Ordnungsstrukturen einzubinden“ (vgl. GLINDEMANN 2000, 12).

„Schreiben beginnt als Vor-Spiel“, als ein „Proben und Ausprobieren vorhandener Materialien und Gedanken“ (BERNING 2002, 139). Murray nennt diese Phase auch „prewriting“, die mit der Erkenntnis einhergeht, „writers have to write before writing“ (MURRAY 1978, 85 [Onlineausgabe: 375]). Prewriting kann als ein „schriftlich experimentierendes Denken“ verstanden werden, ein „Experimentieren und Spielen mit Sprache und Thema“, das bei vielen Menschen nicht auf dem „Papier sondern im Kopf stattfindet“ (GLINDEMANN 2000, 12; BRÄUER 1996, 134).

Diese Vorphase ist für den Schreibprozess in der Hinsicht wichtig, dass ohne Material und ohne Gedanken zu einem bestimmten Thema auch der Zugang zum eigentlichen Schreibprozess für den Schreibenden blockiert ist. Die prewriting- bzw. rehearsing -Theorie Murrays geht, wie einige andere (expressive) Schreibtheorien, davon aus, dass Ideen blockiert und Schreibblockaden entstehen, weil sich Schreibende entweder nicht mit der Schreibaufgabe und/oder nicht mit dem Schreibthema identifizieren können, da weder das eine noch das andere mit ihrer Lebenswelt und ihren Interessen zu tun hat.

Auf der anderen Seite sind Schreibpädagogen und -forscher wie Murray davon überzeugt, dass „so zeitig wie möglich ‚auf Papier [gedacht werden muss]‘, um sich selbst vor Augen zu führen, wann und in welcher Weise innere Sperren den erwünschten Ausbruch einer Idee blockieren“ (vgl. BRÄUER 1996, 134). Erst der eigentliche Schreibprozess lässt die Bedeutung der eigenen Gedanken durch den Text zugänglich werden, woraus letztlich auch die Bedeutung des produzierten Textes ersichtlich wird.

Normalerweise vollzieht sich der Übergang vom Denken im Kopf zum Denken auf dem Papier weitgehend automatisch, da ein Schreiber irgendwann „im Verlaufe des Material-Austestens zu einem Punkt [gelangt], an dem die Schwelle vom inneren zum äußeren Monolog überschritten wird und Gedanken und Empfindungen zu ihrer Vertextung drängen“ (vgl. ebd.). Die Phase der Vertextung der Gedanken bezeichnet Murray als drafting: „The writer drafts a piece of writing to find out what it may have to say. The `it´ is important. The writing process is a process of writing its own meaning“ (MURRAY 1980, 5). Die persönlichen Gedanken (Material etc.) eines Schreibers „drängen“ auf das Papier und somit von der Innenwelt des Schreibers in die Außenwelt, so gehen die Gedanken als etwas „ausschließlich Persönliches” in den „Prozess sozialer Kommunikation” über, der auf einem „sich permanent verändernden Diskursgewebe abläuft“ (vgl. BRÄUER 1996, 134). Schreiben stellt eine „physische Entfremdung“ dar, die den Vorgang beschreibt, dass im Schreibprozess „Bewußtseinsinhalte [des Schreibers] in ein anderes Medium außerhalb des Schreibenden Ichs“ übertragen werden (vgl. ebd., 135). Diese physische Entfremdung ist das Fundament aller kognitiven Lernprozesse, die über den Schreibprozess vermittelt werden können.

Physische Entfremdung im Kontext des Schreibens meint, dass die eigene Subjektivität durch die Kulturtechniken Schreiben und Lesen überdacht, reflektiert und angepasst werden kann und dies im Lese- und Schreibunterricht gezielt eingesetzt werden soll.

Es ist wichtig, dass Schreiber in der Phase des drafting durch das Entwerfen von (Gedanken-)Skizzen das Material aus einer rein persönlichen Dimension in einen sozialen Zusammenhang bringen. Die Aneignung und das Lesen fremder Texte (z.B. als Materialsammlung für den Schreibprozess) und die Verschriftlichung der eigenen Gedanken mit dem Ziel einer sozialen Kommunikation (Schreiben), führt in eine Spirale von Fremd- und Eigenreflexionen, die als Schnittstelle und als Übergang zum (meta-)kognitiven Lernprozess des (schreibenden) Individuums verstanden werden können. Erst durch die Verschriftlichung der eigenen Gedanken tritt der Schreiber in einen Prozess der Reflexion mit sich selbst (oder anderen), die durch den entstandenen Text (Gedanken auf Papier) möglich gemacht wird und sich in der folgenden Phase – die Murray als revising bezeichnet – entscheidet, was diese Gedanken des Schreibers im Hinblick auf den Schreibprozess und dessen Schreibziele wert sind.

In der Phase des Überarbeitens (revising) tritt der Schreibende anhand des Textes in einen Dialog mit sich selbst. Sondra Perl verweist darauf, dass „sich Schreiben und seine Sinnkonstituierung durch permanente Vor- und Rückwärtsbewegungen zwischen rehearsing, drafting und revising vollzieht. Anstatt von einem linearen Verlauf spricht sie von einem ‚retrospective structuring‘, das im Moment des Entwurfs sprachlicher Einheiten von der De- und Rekonstruktion zurückliegender Textvarianten zerrt“ (BRÄUER 1996, 135; PERL 1979, 18).

Die Hauptmotivation für das Schreiben sieht Murray im permanenten Hunger nach Informationen, allerdings wächst der Umfang des im Laufe des Lebens bewusst und unbewusst angehäuften Materials derart an, dass es Ordnungsstrukturen und Wissen braucht, wie diese Informationen im Prozess des Schreibens miteinander verknüpft werden können.

„Der Sinn eines Textes erwächst also nicht schlechthin aus der direkten Diskurskonfrontation, in die ein Text nach dem Verlassen des schreibenden Ichs gerät, sondern ebenso aus der textinternen Vernetzung von Informationen“ (vgl. BRÄUER 1996, 136).

Das Sammeln von Informationen beherrscht jeder Mensch, nur die Verknüpfung und die Anwendung des Materials, so dass auch die Adressaten des Textes das Intendierte verstehen, verlangt vom Schreibenden Wissen (und Kompetenzen), das gelernt und vermittelt werden kann und das sich auf das Tätigkeitspaar Lesen und Schreiben bezieht, das „für die Entfaltungsqualität von Texten verantwortlich ist“.

Die Dialektik von Schreiben und Lesen bezeichnet Murray treffend als writeread bzw. readwrite, „sobald etwas auf dem Papier erscheint, wird es gelesen“ und dieses Lesen provoziert eine innere Kritik, die sich negativ auf die Textproduktion auswirken kann, wenn nicht die Lesestrategien „den Notwendigkeiten des jeweiligen Stadiums im Schreibprozess entsprechen“. Das Lesen eines Erstentwurfs benötigt „die Kunst des Zuhörens (Botschaft des Textes)“ und das Lesen einer Endfassung eher „den nüchternen Kontrollblick, nicht zuletzt geschärft durch diverse Regelkenntnisse“ (vgl. BRÄUER 1996, 137f.; MURRAY 1980, 11).

Das Hervortreten eines Textentwurfs pendelt sich irgendwo zwischen den beiden Gewichtungen „Entdecken (writing/collecting) und Klären (reading/connecting) [ein], die sich, abhängig vom Stadium des Schreibens, mehr oder weniger in balance befinden“ (vgl. BRÄUER 1996, 138).

Das Finden dieser Balance ist wichtig, da „Schreiben ein kinästhetischer Vorgang ist, der an sich nie zum Stillstand kommt“. Ein Text muss daher ab einem gewissen Punkt im Schreibprozess als fertig erklärt werden, da Texte als Produkte und „fixe Elemente sozialer Kommunikation“ benötigt werden. „Klar ist, dass es diesen Stopp im Nachdenken/Reflektieren über das Geschriebene und den Verlauf der Arbeit eigentlich nicht gibt. Die Zeit ‚danach‘ gehört bereits wieder dem rehearsing für das Verfassen eines neuen Textes“ (vgl. ebd., 138f.). Ein Problem von Schreibunterricht ist, dass in Schule und Universität ein solcher unnatürlicher Schreibstopp verhängt wird und in der Regel nicht gelehrt wird, wie Schreibende aus dem Chaos (Ideen, Gedanken etc.) – als unerschöpfliche Quelle ihrer eigenen Kreativität – den anhaltenden Ideenfluss (und Schreibfluss) sinnvoll nutzen können. Schreiben in Schule und Universität ist geprägt von Ordnung, Richtlinien, Normen und Konventionen – für Chaos ist kein Platz.

Das Grundprinzip Chaos vor Ordnung ist aber nicht nur für die Schreib-Eingangsphase wichtig, „es hat Allgemeingültigkeit für den gesamten Schaffensprozess und drückt sich vor allem in permanenten Vor- und Rückwärtsbewegungen zwischen rehearsing, drafting und revising aus“ (vgl. ebd., 142).

Das Chaos ist ein Merkmal unserer Individualität und unser Ich (bzw. unserer Vorstellung von unserem Ich) ist der Filter, der das Chaos beherrscht und eben die für den Schreibprozess relevanten Dinge herausfiltert, die wir benötigen oder die wir im Hinblick auf das generelle Schreibziel – Schreiben als Akt sozialer Kommunikation – für einen Adressaten als wichtig und mitteilungswürdig einstufen.

Eine zentrale Überlegung in Murrays Schreibmodell ist, dass „eine individuell bedeutsame Textbotschaft sich durch freies Schreiben, nicht durch ausgewogenes (kognitives) Arrangieren von inhaltlichen und sprachlichen Schablonen“, ergibt (vgl. ebd., 142f.). Eine solche Erkenntnis deutet das Problem des arrangierten Schreibunterrichts an, wie er auch an deutschen Schulen und Universitäten an der Tagesordnung ist.

Ein Problem, das im dritten Teil dieser Arbeit ausführlich thematisiert und kritisch beleuchtet werden soll.

2.3. Zur Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung in Deutschland

Die deutsche Geschichte der Schreibdidaktik und -forschung unterscheidet sich in einigen Punkten von der US-amerikanischen, weist aber auch einige Parallelen auf.

In Deutschland war es vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in den Latein- und Gelehrtenschulen, das Privileg der letzten beiden Klassen in den Genuss von einer Schreibausbildung zu kommen. Allerdings wurde keine deutsche sondern lateinische Grammatik gelehrt und die Texte wurden in lateinischer Sprache geschrieben.

Im Zentrum stand ein (traditioneller) Rhetorikunterricht, in dem drei Arten von Reden geübt wurden: 1. regelrechte Reden (orationes); 2. Gedichte (carmina) und 3. Briefe (epistolae). Reden dienten zu dieser Zeit zur Durchsetzung von Interessen (vgl. LUDWIG 2006, 171f.) und erst im 18. Jahrhundert sind erste Tendenzen einer Abkehr vom reinen Rhetorikunterricht und der Schriftsprache Latein zu erkennen, die in der Genieästhetik des Sturm und Drang gipfeln (vgl. BRÄUER 1996, 301). Die Epoche des Sturm und Drang schrieb den „Menschen und speziell den Autoren eine singuläre intellektuelle bzw. künstlerische Begabung“ (vgl. WEIMAR 1997, 701) zu und „richtete sich gegen die Normen einer noch rhetorisch geprägten Poetik“ (KÜHLMANN/VOLLHARDT 1997, 542). In dieser Zeit wurde „das Genie in den Vordergrund gerückt, alle Regeln über Bord geworfen“ und „der Künstler ist als Schöpfer ein zweiter Gott [...]“ (JUNG 2007, 97).

An den Gymnasien des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel in den didaktischen Vorstellungen vom Texteschreiben, es meldete sich „der geschäfftige und thätige Bürger zu Wort und forderte eine an den praktischen Bedürfnissen des Lebens ausgerichtete Erziehung“ (BEISBART 1989). Texteschreiben wendete sich ab vom Gelehrtendasein hin zum bürgerlichen Leben und Lebensweltbezug. Ab diesem Zeitpunkt bestimmen „drei Grundsätze die sprachliche Ausbildung“ (BEISBART 1989; ABRAHAM 1996; BECKER-MROTZEK 1997):

„1. Als Ziel des Unterrichts wurde nicht die Ausbildung rhetorischer, sondern der geistigen Kräfte allgemein bestimmt, d.h. Allgemeinbildung in einem umfassenden Sinne. 2. Man erkannte im Schreiben eine hervorragende Möglichkeit, die geistigen Kräfte hervorzulocken, zu fördern und so allererst zu entwickeln. 3. An die Stelle des Lateinischen, der Sprache der Gelehrten, trat als Schulsprache das Deutsche, die Sprache des alltäglichen Lebens“ (vgl. LUDWIG 2006, 172).

Ähnlich wie in den USA zu jener Zeit ersetzt die Sprache des alltäglichen Lebens das Lateinische. Die aufklärerischen Einflüsse, die Schreiben in erster Linie „als Ausdruck, nicht Wirkung auf Menschen“ und als „Ausdruck aller Seelenkräfte, nicht nur der Gedanken als der Produkte des Verstandes, sondern auch der Gefühle und Empfindungen, des Willens und der Vorstellungen, des Witzes und der Phantasie, ja auch der Aufmerksamkeit und der Beobachtung“ ansahen, hatten nur wenig Chancen und stießen selbst ein ganzes Jahrhundert später noch vor allem bei den Gymnasien auf Ablehnung.

Die Ansicht der Aufklärer, dass im Schreiben die Seele eines Menschen zum Ausdruck kommt und so der Vorgang des Schreibens wieder zurück auf die Seelenkräfte wirkt und sie in Anspruch nimmt, aktiviert und sie erst so recht ausbildet, kam nicht gegen die Rhetorik und den traditionellen Unterricht an. Die „revolutionären Ideen von der Ausbildung aller Seelenkräfte waren politisch nicht opportun“. Die Schreibausbildung beschränkte sich auf die „Verstandeskräfte“, Schreiben war ab diesem Zeitpunkt „nur noch Ausdruck von Gedanken“ und „Schreibenlernen allein von Bedeutung für die Gedankenbildung“ (vgl. ebd.), so wurde die „Allgemeinbildung im umfassenden Sinne reduziert auf formale Bildung“ (BEISBART 1989, 196ff.).

Im 19. Jahrhundert fand an den Volksschulen in Deutschland der Prozess der Literalisierung seinen Abschluss. „Die Gesellschaften organisierten sich schriftlich, so dass alle wesentlichen Verkehrsformen nur noch schriftlich ausgeführt wurden“ (LUDWIG 2006, 173). An den Volksschulen stand vornehmlich die Verwendung von Schriftsprache im Zentrum der Lehre (Buchstabenschreiben und orthographisch korrektes Schreiben), aber kein Texteschreiben. Mitte des Jahrhunderts kam es zwar zu einem Umdenken, aber es gab immer noch kein Texteschreiben. Die Volksschulen erfüllten ihre „politische, soziale und kulturelle Aufgabe“, alle Bürger sollten dieselbe Sprache sprechen und die Schulen trugen so zur Verbreitung des Schriftdeutschen bei. Allerdings eher durch Texte abschreiben und nicht durch Texte schreiben (vgl. ebd., 173).

Der freie Aufsatz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die damit verbundenen didaktischen Veränderungen ist die wichtigste Phase in der deutschen Geschichte der Schreibdidaktik. Die Reformer wollten „der kindlichen Persönlichkeit den Weg ebnen“ und so wurde „der Schreibunterricht und Aufsatzunterricht in den Dienst der Persönlichkeitsbildung gestellt“. Die Schüler sollten „persönliche Anliegen zum Ausdruck bringen“, „den Weg zu sich selber finden“ und „so ihre ihnen eigene, individuelle Persönlichkeit ausbilden“ (vgl. ebd., 173f.).

Die veränderten Rahmenbedingungen bauten darauf auf, dass Kinder frei werden sollten und deshalb auch die Aufsätze frei sein müssten. Das Schreiben ohne Vorgaben führte wieder zu Problemen mit den Aufsatzdidkatikern der Gymnasien. Diese ignorierten das freie Schreiben und den freien Aufsatz bis in die 1920er Jahre. Dies führte zu Überformungen des alten Gymnasialaufsatzes, das Schreiben von Aufsätzen wandelte sich als Mittel für einen anderen Zweck zum Zweck. Es diente der Gedanken-, Charakter- und Gesinnungsbildung und die Aufsatzdidaktiker der Weimarer Zeit drehten den Spieß um: „Für sie bestand der Zweck des Aufsatzschreibens einzig und allein im Schreiben selbst, d.h. in der Verbesserung der Schreibfähigkeiten“. Die Rede war von Stilbildung, gemeint war aber „die Förderung des sprachlichen Vermögens, so wurde der Aufsatzunterricht zusammen mit den verschiedenen Übungen im mündlichen Ausdruck der sprachlichen Bildung als dem eigentlichen Ziel des Deutschunterrichts untergeordnet“. Der Ansicht, dass Sprache „eine geistige Kraft, nicht der Ausdruck von Sprache in Texten und Diskursen“ sei, wurde der sprachschaffende Aufsatz entgegengesetzt, so sollte (freies) Schreiben zur Schaffung von Sprache beitragen (vgl. ebd., 174).

In der Zeit des Nationalsozialismus traf das freie Schreiben jedoch auf Widerstände der Nationalsozialisten, die die Aufsatzübungen auf eine Handvoll reduzierten (Erzählung, Bericht, Beschreibung und Schilderung sowie Besinnungsaufsatz). Der Erlass der amtlichen Bestimmungen durch die Nationalsozialisten hielt sich unbestritten bis Ende der 1960er Jahre und teilweise sogar noch bis heute im Deutschunterricht (vgl. ebd.).

Diese Epoche in der Geschichte der deutschen Schreibdidaktik ist für die traditionellen Strukturen mitverantwortlich, die ungebrochen und vehement von einigen Didaktikern verteidigt werden und sich bis heute zumindest teilweise im Deutschunterricht und den Curricula gehalten haben. Der Disput zwischen jenen, die sich für einen freien Schreibunterricht an den Schulen einsetzen, und jenen, die den traditionellen Literatur- und Aufsatzunterricht vorziehen, ist ebenso wenig beigelegt.

Die gegenwärtige Situation in Deutschland ist gekennzeichnet von der Etablierung einer schreibdidaktischen Forschung und ähnlicher Tendenzen, wie sie in der US-amerikanischen Schreibforschung zu finden sind. Allerdings steht expressives und personales Schreiben , sowie freies und kreatives Schreiben nur ausgesprochen selten im Zentrum des deutschen (Schreib-)Unterrichts, wie vergleichsweise in der US-amerikanischen Schreibpädagogik.

In der deutschen Schreibforschung dominieren zwar ebenfalls prozessorientierte Theorien, die den Prozess des Schreibens zum Gegenstand des Unterrichts machen und der Schreibprozess als Ganzer betrachtet und vermittelt werden soll, aber oft verbleiben diese Erkenntnisse in der Theorie. Die neue Qualität des Texteschreibens in Deutschland besteht angeblich darin, dass die „moderne Didaktik Anschluss an Ergebnisse der Forschung gewinnt“, so selbst „Gegenstand der Forschung“ wird und die Didaktik des Texteschreibens zu einer theoretischen Disziplin aufgestiegen ist (vgl. ebd.).

Inwieweit diese Theorien jedoch Einfluss auf die Praxis haben und zu Veränderungen führen, soll nach einer Einführung in die deutsche Schreibforschung und anhand einiger ausgewählter Erkenntnisse geklärt werden.

2.4. Erkenntnisse der deutschen Schreibforschung

Generell ist es aufgrund verschiedener Dimensionen beim Schreiben, der Textproduktion und im Schreibunterricht unmöglich eine universale Theorie vom Schreiben in der Forschung sowie für die Praxis aufzustellen. Schreiben ist stets ein Akt sozialer Kommunikation. Problematisch ist allerdings vor allem für Schreibanfänger, diese zerdehnte Sprechsituation, die für Schreiben und den Schreibprozess exemplarisch ist, nachzuvollziehen und zu berücksichtigen (siehe Abb.1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Zerdehnte Sprechsituation (EHLICH1984, 18)

Der Sprecher verfasst seinen Text in der Sprechsituation 1, in der der Hörer antizipiert werden muss, da dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt in Sprechsituation 2, den Text hört bzw. liest. Die Rezipienten eines Textes verarbeiten ihn „zu einem anderen Zeitpunkt (im Extremfall viele Jahrhunderte später), an einem anderen Ort, möglicherweise unter anderen kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Intentionen“ (HUNEKE 2010, 22).

Schreibende „müssen die Texte so gestalten, dass sie von Adressaten, die in vielen Fällen nicht bekannt sind, unter Rezeptionsbedingungen, über die sie keine genaue Kenntnis haben, angemessen verstanden werden können“. Deshalb sind Schreiber „darauf angewiesen, zu möglichst zweckdienlichen Annahmen über die Adressaten zu gelangen und zahlreiche Merkmale der Rezeptionssituation zu antizipieren“ (vgl. ebd., 23).

Vor allem produktorientierte Theorien beziehen diese generelle Problematik der Entstehung und Nutzung von Texten mit ein. So müssen Texte, neben den Merkmalen „Kohäsion und Kohärenz, ihre Intentionalität, ihre Akzeptabilität, ihre Informativität, ihre Situationalität und die Intertextualität“ auf- bzw. nachweisen (vgl. DE BEAUGRANDE/DRESSLER 1981; HUNEKE 2010, 23).

[...]


[1] Newsweek-Artikel Why Jonny Can’t Write von Merill Sheils, 08.12.1975: http://disdblog.com/wp-content/uploads/2012/12/sheils_johnnycantwrite.pdf.

[2] Vgl. Zahlen aus National Survey of US WAC/WID Initiatives: http://mappingproject.ucdavis.edu/u-s-canada-wac-wid-program-survey/2006-2008-national-survey-of-us-wac-wid-initiatives.

Fin de l'extrait de 171 pages

Résumé des informations

Titre
Die Zukunft des Schreibunterrichts. Schreiben in Deutschland und den USA
Université
Christian-Albrechts-University of Kiel  (Germanistisches Seminar)
Note
1,7
Auteur
Année
2014
Pages
171
N° de catalogue
V281824
ISBN (ebook)
9783656764540
ISBN (Livre)
9783656764557
Taille d'un fichier
18190 KB
Langue
allemand
Mots clés
Masterarbeit, Didaktik, Schreibunterricht, Schreiben, Schreibenlernen, Kreatives Schreiben, Schreibforschung, Schreibdidaktik, Schreibprozesse, Produktorientiert, Prozessorientiert, Bereiter, Hayes, Flower, Epistemic Rhetoric, Creative Writing, Expressionistic Rhetoric, Schreibkompetenz, Donald Murray, Carl Bereiter, Schreibmodelle, Schreibgeschichte, Deutschland, USA, Literacy, Schreibroutinen, Textroutinen, Composition, Writing across the curriculum, WAC, National Writing Project, NWP, Associated Writing Program, AWP, Writing Center, Schreibzentrum, Curriculum, Fachanforderungen, Bildungsstandards, Schreibfähigkeit, James Britton, Gerd Bräuer, James Moffet, Janet Emig, Lehrpläne, Universität Hildensheim, Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus, Deutsches Literaturinstitut Leipzig, DLL, Kompetenzzentrum Schreiben, Universität zu Köln, SchreibArt, DESI, NAEP, PISA, Kellog, Philipp, Metaanalyse, Mündlichkeit, writing in the disciplines, WID, writing to learn, WTL, Schreibkonventionen
Citation du texte
M.Ed. Jan-Christian Hansen (Auteur), 2014, Die Zukunft des Schreibunterrichts. Schreiben in Deutschland und den USA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281824

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