Innerhalb eines knappen Jahrzehnts hat die Europäische Union es geschafft, sich von einem labilen Gebilde mit Hoheitsansprüchen und Kriegen zwischen den Nachbarländern zu einem friedlichen, föderalen Konstrukt zu entwickeln. Die Grenzen der Europäischen Union am Beginn des 21. Jahrhunderts erscheinen nach innen immer transparenter, während sich Europa nach außen immer mehr abschottet. Europa steht heute im Innern als auch an den Außengrenzen vor Herausforderungen: Auch wenn die Grenzen zwischen den europäischen Staaten einfacher zu überqueren sind und sehr viele gemeinschaftliche regionale als auch transnationale Projekte umgesetzt werden, geht aus den Fallbeispielen hervor, dass die Vergangenheit der Entgrenzung Schranken setzt. Diese Schranken finden sich, wenn nicht unbedingt auf Regierungsebene, so jedenfalls doch in den Köpfen der Bevölkerung. Deshalb gilt es hier, nicht nur den Fokus auf wirtschaftliche Projekte zu legen, sondern vor allem einen kulturellen Erfahrungsaustausch stärker zu fördern, um die Geschichte aufzuarbeiten. Gleichzeitig stellt sich für die EU die Herausforderung, dass sie ihre Wertevorstellungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, die sie nach außen vertritt, auch tatsächlich beweist.
Einleitung
Das politische Denken in der modernen politischen Theorie und in den Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) ist ohne Grenzen nicht mehr zu denken. Grenzen sind ein immanenter Teil der IB, handelt es sich doch gerade um die Beziehungen zwischen Staaten über ihre nationalstaatlichen Grenzen hinweg. Die Idealvorstellung einer auf Grenzen basierenden politischen Ordnung bildet die Basis des modernen politischen Systems.
Der moderne Staat ist nach J. G. Ruggie ein räumlich fixiertes, von einander getrenntes Gebilde, das sich gegenseitig ausschließt (Ruggie 1993: 26). Es handelt sich um einen Territorialstaat, der sich von vormodernen, in sich stark fragmentierten Herrschaftsformen gerade durch den Anspruch auf Rechtshoheit über ein bestimmtes Territorium auszeichnet. Grenzen bilden in dieser Logik ein wichtiges Attribut eines Staates. Der Staat ist eine Gemeinschaft, die sich nach Weber durch ihr „Monopol legitimer physischer Gewalt“ innerhalb eines bestimmten Gebietes auszeichnet. Neben dem Gewaltmonopol des Staates spricht Weber dem territorial begrenzten Raum in seiner Staatsdefinition eine hohe Bedeutung zu. Diese territoriale Ordnung, wie wir sie heute kennen, stellt ein politisches und soziales Organisationsprinzip dar, ein Konzept politischer Herrschaft. Sie erscheint uns heute als selbstverständlich und natürlich. Dabei erfolgte die Grenzbildung alles andere als natürlich. Grenzen sind künstliche, fiktive Linien auf Karten. Sie werden gezogen von einer bestimmten Menschengruppe, die sich durchgesetzt hat, und mit den Grenzen ihre politische Herrschaft über einen bestimmten Raum ausdrückt. Das moderne politische System ist folglich sozial konstruiert (Ruggie 1993: 14).
Staat dank Grenzen?
Grenzen sollen diesem neu geborenen Staat nach außen Souveränität garantieren und nach innen ein homogenes Volk konstituieren, welches innerhalb dieser Grenzen beschützt wird. Für bestimmte Menschen, die an bestimmten Orten leben, ist die bestimmte Grenzziehung jedoch oft mit negativen Erfahrungen verbunden. Es ist ein Paradox, dass mit der durch Gewalt erzwungenen Grenzziehung oftmals erst nationale Identitäten geschaffen wurden, die wiederum die unfreiwillige Abgrenzung legitimieren sollten.
Die Verbindung von Territorium, nationaler Identität und Souveränität in einer Organisationsform ist - wie bereits dargestellt - nichts Natürliches. Dieses Phänomen entstand erst relativ neu als Ergebnis eines bestimmten historischen Prozesses in Europa. Die Geburtsstunde für die heutige begrenzte territoriale internationale Ordnung ist der Westfälische Frieden von 1648. Diese Friedensverträge beendeten den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland und schufen gleichzeitig ein neues System von Einzelstaaten, die sich gegenseitig in ihrer vollen Souveränität anerkennen. Die Herausbildung des Staates ist daher nicht von dem Souveränitäts- und Reziprozitätsgedanken zu trennen. Es besteht ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Territorium und Souveränität: eins stützt das andere (Neocleous 2003, S. 411). Will ein Staat demnach stabil nach innen und souverän und anerkannt nach außen sein, so bedarf er fester Grenzen. Doch Grenzen trennen nicht nur, sie verbinden auch. Als ein mehrdimensionales Phänomen gehen mit ihnen verschiedene Funktionen einher: militärisch, handelspolitisch, identitätsbildend, kooperativ (Krämer 2009: 10). Diese Bandweite an Funktionen wird vor allem an den Grenzen der Europäischen Union dargestellt. Ebenso lässt sich am Beispiel Europa gut beobachten wie Territorialität generiert wird.
Das Konstrukt EU
Die heutige Europäische Union blickt auf einen langen Integrationsprozess zurück. Dieser begann 1951 als Sechs-Staatengemeinschaft um Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Belgien, und den Niederlanden in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). 1957 folgte mit der Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ die Gründung der Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Diese Entwicklung führte 1967 zur Vereinigung der drei Gemeinschaften zur Europäischen Gemeinschaft (EG). Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Union schließlich 1992 offiziell gegründet.
Die EU-Grenzen markieren eine politische Einheit, ein politisches System sui generis, das mit keinem anderen staatlichen Gebilde vergleichbar ist. Das Bundesverfassungsgericht gab der EU 2009 im Lissabon-Urteil die Legaldefintion „Staatenbund“. Mit diesem neuen Begriff wird der Tatsache Rechnung gestellt, dass in einem Staatenverbund die Mitgliedsstaaten zwar enger zusammenarbeiten, doch ihre staatliche Souveränität behalten und damit auch in ihrer Außenpolitik frei sind im Gegensatz zu einem Bundesstaat. Ruggie sieht die Europäische Union als erste wahre postmoderne internationale politische Form: Durch das Aufweichen von Territorialität entstand ein „hyperspace“, der sich zur EU transformierte (Ruggie 1993: 8). Die EU-Grenzen stehen hierbei beispielhaft für Veränderungen. Grenzen sind dynamisch, denn sie verändern sich ständig, sie verfestigen sich und lösen sich auf. Grenzverschiebungen sind daher auch im Kontext mit Bevölkerungsverschiebungen zu sehen. Die Grenzproblematik innerhalb der Union entstand jedoch erst infolge des Regionalfonds. Vorher spielten die Grenzen in den Römischen Verträgen - mit Ausnahme der Freihandelszone - keine Rolle.
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- Arbeit zitieren
- F. El. (Autor:in), 2014, Die Grenzen der Europäischen Union am Beginn des 21. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281904
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