Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Heidegger und τέχνη
2.1 Heideggers Kulturkritik
2.2 Heideggers Frage nach der Technik (Das „Was“ und τέλος )
2.3 Heideggers Unterscheidung: Vorhandenheit und Zuhandenheit (Sein und Zeit)
2.4 Heideggers Unterscheidung: Technik („alt“ und modern)
2.5 Was ist Ge-stell? - Ressource und Referenz
2.6 Die Kehr(e)(-seite) und Seinsmodi der Technik
3 Zusammenfassungen
4 Bibliographie
1 Einleitung
Stellen Sie sich vor, Sie würden Sonntagmorgen mit einem Kaffee, einer Zigarre und ihrer wöchentlichen Lieblingszeitung am Tisch sitzen. Jedoch können sie die Buchstaben nur mäßig lesen. Folglich setzen Sie ihre Brille auf. Nun erkennen sie alle Artikel klar und deutlich. Dies scheint auf dem ersten Blick eine vollkommen normale Reaktion zu sein, ist es aber bei einer näheren Betrachtung nicht. Denn diese Reaktion war eine gewöhnliche, dafür aber unnatürliche: Unnatürlich und unbedenklichen zugleich sowie bemerkenswert. Sie haben sich etwas bemächtigt: der Technik. Sie haben ihren Körper, speziell ihre Sinne, noch spezieller ihren Sehsinn, verlängert und dadurch verbessert. Die Kulturanthropologie spricht hier von einer Verlängerung des Körpers, woraus sich eine erste, einfache, anthropologische und primitive Definition der Technik ableiten lässt. Benutzen wir eine Keule[1], da wir vielleicht unseren Nachbarn erschlagen wollen, verlängern wir unseren Arm (und damit unseren Körper), wodurch wir „unsere“ Kraft erhöhen. Dieses vorgefundene „Zeug“ wird durch die Funktion, die wir in den Gegenstand hineinlegen oder darin entdecken bzw. „heideggerisch“ „ent-bergen“ zum Werkzeug, zur Technik und somit zum Hilfsmittel. Die Brille verlängert unseren Sehsinn und wird dadurch zum Hilfsmittel, zur Technik, um das Mittel zum Zweck zu setzen. Nicht immer geht es um Kernkraftwerke, Aerodynamik oder Flugzeuge, wenn von Technik die Rede ist, auch ein simpler Zahnstocher oder eben eine Stück Holz, welches nun freilich als Keule betrachten werden kann, fallen in diesen (kulturtechnischen) Bereich.
In der Frage nach der Technik, wendet Heidegger seine dekonstruktivistische Methode der ἀλήθεια (alētheia) an, um zu „be-stimmen“, was τέχνη (technē) eigentlich ist: Technik sei im Wesentlichen nichts Technisches, sondern „Ge-stell“, heißt es in einer der Thesen Heideggers.
Was genau Heidegger damit meint und wie oder ob sich dies auf (moderne) Technik anwenden lässt, wird von mir in dieser Selbststudienarbeit untersucht und diskutiert werden. Was genau ist also „Gestell“ und wohin „stellt“ es die Technikverwendenden? Wird das Wesen des Menschen und unsere Auffassung von Realität hierbei „ent-borgen“ oder auch „ver-borgen“ bzw. „ver-stellt“? Welche Rolle spielt die Ambivalenz der Technik für Heidegger?
2 Heidegger und τέχνη
2.1 Heideggers Kulturkritik
Die Philosophie des 20. Jahrhundert lässt sich weitestgehend als Kulturkritik auffassen. Ob es sich um Wittgensteins Sprachkritik handelt, Adornos Kritik am Umgang mit z.B. der Kunst, der Kulturindustrie, die Entfremdungstheorien der Kritischen Schule (ausgehend von Marx und Hegel) oder eben um Heideggers Gesellschaftskritik bzw. Kritik am Umgang mit dem Sein. Besonders deutlich wird Heideggers Anliegen in der Frage nach der Metaphysik, die nicht nur das ganze philosophische Abendland aburteilt, sondern auch speziell in die Thematisierung der Technik – unabhängig von der Technikphilosophie – bzw. dem Dasein des Wesens der Technik mündet. Dies soll sich sogar zufällig aus dem Scheitern von Sein und Zeit herausgetragen haben. So schreibt Andreas Luckner in seiner Abhandlung über die Technik[2]:
„Die These ist: Weil Heidegger in Sein und Zeit die Dinge nicht in ihrer phänomenologischen Selbstständigkeit fasst, zu der das Dasein eine Alteritätsbeziehung unterhält – eine andere Form der Endlichkeit als das Sein zum Tode - kann er den existenzialen Solipsismus des eigentlichen Daseins nicht abwehren. […] Es ist die Auseinandersetzung mit den metaphysischen Restbeständen seines eigenen Denkens, die Heidegger darauf zu einem Denker der Technik werden lassen.“[3]
Was Heideggers Konzept der Technik ist und wie dies mit seiner Kulturkritik in Verbindung steht, wenn denn überhaupt dies der Fall sein sollte, will diese Arbeit hinterleuchtet, um dann in einem weiteren Schritt zu diskutieren, wie sich dies zu der modernen Annahme einer weitreichenden Technisierung der (oder unserer) „Lebenswelt“ verhält. Die Kritik an der Technik – vor und nach der Kehre – umspannt infolgedessen Heideggers Gesamtwerk und lauert schon in der Frage nach dem Geburtsort der Kunst[4] (und vielleicht sogar schon am Anfang des Frühwerks). Die Technik an sich bleibt aber etwas ambivalentes, wenn Heidegger nach der Technik fragt, will er vor allem wörtlich ans Licht bringen, was unser Verhalten betrifft. Kulturkritik ist Kritik an der Kultur und nicht am Kraftwerk. Technik soll nicht diabolisiert werden, sondern höchstens unsere Disposition zu ihr; auch wenn alle Bereiche unseres Lebens zunehmend technisierter werden und dies auch sicherlich seine Probleme mit sich bringt, so ist eine anti-technische Einstellung laut Heidegger unangebracht.
2.2 Heideggers Frage nach der Technik (Das „Was“ und τέλος )
„Das Beendende, Vollendende in diesem Sinne heißt griechisch τέλος, was man allzuhäufig durch «Ziel» und «Zweck» übersetzt und so mißdeutet.“[5]
Die Frage nach der Technik ist für Heidegger, ähnlich wie die Frage nach dem Menschen, eine Frage nach der Wahrheit. Die Frage nach der Wahrheit hingegen, die – so der Autor – das Ereignis des zum Vorscheinbringens selbst bereitet, ist eine Frage, die nach dem „Was“ fragt. Damit handelt es sich um eine Frage nach dem Wesen, eine Wesensfrage. Hierbei fragt Heidegger nach der Technik: Was ist das Wesen der Technik?
Für Heidegger ist diese Frage „frei“ und daher über die Sprache zu stellen[6], folglich ein Denkweg. Methodisch verwendet der Autor hierfür wieder den ἀλήθεια-Begriff, da es sich um eine Annäherung an das Wesen handelt, was eine „Ent-bergung (be)deutet“ und deswegen ein Herausreißen aus der Verborgenheit sowie eine aktive Tätigkeit des Bewusstsein gegen die alles verschlingende Seinsvergessenheit. Angewendet auf die Technik kommt Heidegger zur Folgenden und prominenten Aussage bzw. These: „[D]as Wesen der Technik [ist] ganz und gar nichts Technisches.“[7] Vielmehr ist sie (auch) ein „Tun“ des Menschen und gleichzeitig ein „instrumentum“, eine „Einrichtung“ und ein Mittel zum Zweck, welche Heidegger als anthropologische Auffassung kennzeichnet, die man allgemein kennt (man benutzt ein Instrument um damit etwas zu tun). Dies gilt es zu erläutern.
Diese anthropologische Auffassung passt auch in die bereits von mir angesprochene Auffassung vom Erschlagen eines Anderen durch die Keule. Die Keule wird zum Instrument und ist damit nicht nur ein Tun, also ein Erschlagen als aktive Tätigkeit eines Jemanden[8]. Oft ist ihr τέλος (télos) die Verkürzung, Vereinfachung oder Beschleunigung (oder hier die Verlängerung): Können wir das Ende eines Vortrages nicht abwarten, da wir nicht geduldig sind, können wir uns der Technik bedienen, um schneller ans Ziel zu kommen. Interessant aber ist, dass es Heidegger gar nicht im diesen Sachverhalt geht. Er denkt das Wesen des Technik anders bzw. weiter.
Für Heidegger ist der Zweck interessanter als die Apparatur, die Verkörperung der technischen Errungenschaft in ihrer konkretesten Form für sich. Technische Geräte sind erst von Interesse für eine philosophische Betrachtung, wenn sie sich im Zusammenhang zum Menschen, zum „In-der-Welt-sein“ betrachten lassen. Wem oder was dient ein Zweck und warum, dass ist es, was Heidegger zunächst zu interessieren scheint. Infolgedessen fragt er weiter: „Was ist das Instrumentale selbst?“[9]
Diese Frage möchte ich beantworten. Doch um diese Frage beantworten zu können, um mich dem annähern zu können, was Technik wirklich für Heidegger ist, folgt zunächst ein kleiner Ausflug in die Konzeption Heideggers der Existenz des Menschen, um dann besser nachvollziehen zu können, wohin der Mensch – im Zusammenhang zur Technik – „ge-stellt“ ist. Hierfür möchte ich eine kurze Betrachtung der Begriffe „Vorhandenheit“ und „Zuhandenheit“ zwischen schieben, die der Autor seit seines fragmentarischen Hauptwerkes unterscheidet.
2.3 Heideggers Unterscheidung: Vorhandenheit und Zuhandenheit (Sein und Zeit)
„Dagegen hat das handwerklich und künstlerisch Her-vor-gebrachte […] den Aufbruch des Her-vor-bringens nicht in ihm selbst, sondern in einem anderen, en allo im Handwerker und Künstler.“[10]
τέχνη (technē) bedeutet Handwerk[11]. Handwerk ist für Heidegger Werk, dass man sich zu Handen macht, folglich Werkzeug (Nähzeug, Feuerzeug, Fahrzeug). In Sein und Zeit [12] differenziert er zwischen dem, was vorhanden ist, dem Vorhandenen und dem, was zu Handen ist, dem Zuhandenen. Diese Unterscheidung (Zeug und Ding) kann hilfreich sein, wenn es darum geht, Heideggers Argumentation in „Die Frage nach der Technik“ (bzw. „Die Technik und die Kehre“) nachzuvollziehen. Dafür möchte ich kurz skizzieren, was Heidegger unter „Mensch“ versteht. Schließlich ist es der Mensch, der sich selbst auslegen muss und diese eben auch unter anderen über de Technik.
[...]
[1] Vgl. Philosophie, Dokumentationsreihe, Frankreich 2009, ARTE F, Synchronfassung, StereoRegie: Philippe Truffault, 00:04:41, http://www.youtube.com/watch?v=pPEakGhempY, Stand: 17.05, 2013 (13:44 Uhr).
[2] Andreas Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, Panta rei, Transcript, Bielefeld, 2008.
[3] Ebd., 19.
[4] Martin Heidegger (u. Gadamer), Der Ursprung des Kunstwerkes. Reclam Verlag, 1986.
[5] Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, (im folgenden als „DFNDT“ abgekürzt), 9.
[6] DFNDT, 5.
[7] Ebd.
[8] Wobei dieser Weg sowieso ein Holzweg ist, da auch Tiere Instrumente benutzen. Weshalb ich mich auf die anthropologischen Folgen fokussieren möchte.
[9] DFNDT, 7.
[10] DFNDT, 11
[11] Erwinsch Preuschen, 2005, 163.
[12] Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 68ff.