Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Faktoren, die zum Scheitern des EV1 führten
Markteintrittsstrategie
Marketing
Ölpreis
Energiemix
Lobbyismus
Karosseriebau
Möglichkeiten der Fremdfertigung
Infrastruktur Ladesysteme
Batterietechnologie
Quellenverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“[1]
Glücklicherweise sollte sich der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., irren. Denn das Auto hat der Menschheit eine Mobilität verschafft, die zu Zeiten der Fuhrwerke nicht nur undenkbar gewesen wäre, sondern sich seitdem auch ständig verbessert hat. Kraftstoffeffizienz, Fahrkomfort und Motorleistung nehmen stetig zu.
Doch seit Ölknappheit und globale Erwärmung immer mehr ins Bewusstsein der Verbraucher rücken, nehmen diese Werte zunehmend an Wichtigkeit ab. Es stellt sich die Frage nach deren Legitimität angesichts ihres Preises: Krieg zur Sicherung von Ölvorkommen, massive Verschlechterung der Luftqualität durch Aerosolausstoß und als Folge sterbende oder chronisch kranke Menschen. Unweigerlich erinnert man sich an die Zeit, als die Fuhrwerke abgelöst wurden. Keineswegs stand damals deren Nachfolger sofort fest. Vielmehr war es ein Wettlauf, aus dem lange kein Gewinner hervorzugehen schien: der Wettlauf zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor.
Wie man heute weiß, gewann Letzterer das Rennen und begleitet die Menschheit bis heute in der Großzahl automobiler Fortbewegungsmittel. Der erste ernst zu nehmende Ansatz, diesen Umstand zu ändern, war die Entwicklung des EV1 von General Motors.
Mit der Entwicklung des EV1 hatte GM sich einen schwer aufholbaren strategischen Innovationsvorteil verschafft; Ford und Chrysler waren Jahre entfernt von einer annähernd ähnlich effizienten und stimmigen Gesamtkonzeption. Das Bewusstsein für diesen Vorteil war aber ganz offensichtlich nicht vorhanden. Stattdessen sicherte sich Toyota den strategischen Vorteil über Jahre hinaus: „With the Prius, Toyota controls about 80 percent of the market for hybrids in the United States.“[2] Diesen Vorsprung wird das Unternehmen aller Voraussicht nach auch im Elektrosegment nutzen.
Über die Gründe, warum GM diesen Vorsprung nicht auch nach Aufhebung des ZEV mandate weiter ausgebaut hat, lässt sich nur spekulieren. Als Fakt bleibt aber festzuhalten, dass es – strategisch gesehen – in der gesamten Unternehmenshistorie keinen gröberen Fehler als die Beendigung dieses Engagements gegeben hat. Auf den Punkt bringt es Joseph J. Romm, Sachbearbeiter beim Zentrum für Energie- und Klimalösungen und früher in der Regierungsmannschaft Bill Clintons tätig: „I think it will go down as one of the biggest blunders in the history of the automotive industry.“[3]
Die folgende Arbeit soll zeigen, welche Gründe es gab, die eine so weltverändernde Erfindung in derartig kurzer Zeit scheitern lassen konnten.
Faktoren, die zum Scheitern des EV1 führten
Die Gründe, die zum Scheitern des EV1 führten, sind vielfältig. Sie reichen von beeinflussbaren Faktoren wie falscher Markteintrittsstrategie, Fehlern im Marketing oder Lobbyismus bis zu unbeeinflussbaren Faktoren wie der Entwicklung des Ölpreises. Ein Vergleich der damaligen mit der heutigen Situation soll die verbesserten Gegebenheiten für ein Elektroauto hierzulande, die sich durch veränderte Rahmenbedingungen heute ergeben, herausarbeiten. Eine Auflistung der Faktoren nach Kontribution zum Scheitern kann nicht erfolgen, da dafür deren inhaltliches und zeitliches Zusammenspiel verantwortlich war.
Markteintrittsstrategie
Ein grundsätzlicher Fehler schon bei der Konzeption des EV1 ist das Segment, in dem er verkauft werden soll, denn nach der gängigen Klassifizierung ist der EV1 ein Mittelklassewagen. Als solcher wurde er auch konzipiert, gebaut und vermarktet. Eine kraftvolle Beschleunigung passt aber nicht in dieses Segment oder ist zumindest nur angenehmer Nebeneffekt.
Sein monatlicher Leasingpreis beträgt monatlich 399 $ für die erste bzw. 480 $[4] für die zweite Generation, d.h. zwischen 14.364 $ und 17.280 $ für die gesamte Laufzeit von 36 Monaten. Ein hoher Preis, wenn man bedenkt, dass das Auto nicht verkäuflich war und nach dieser Zeit wieder abgegeben werden musste. Jedes andere Fahrzeug der Mittelklasse ist bei höherer Reichweite günstiger. Diese weisen dann zwar nicht die gleichen Leistungen auf, aber genau da liegt das Problem: Die sportlichen Leistungen sind für den Käufer eines Mittelklassewagens nicht von Bedeutung. Für ihn zählen Praktikabilität, Reichweite und Haltbarkeit.
Der EV1 hätte also als Sportwagen konzipiert und beworben werden müssen, um seinen Preis zu rechtfertigen.
Marketing
Die Fehler im Marketing folgen aus denen der Markteintrittsstrategie. Ein Sportwagen wäre deutlich anders beworben worden als ein Mittelklassewagen. Daraus folgten hier eklatante Fehler.
Das Ansehen der EV1-Werbevideos erweckt weder aus heutiger Sicht noch im Vergleich mit andern Werbespots der damaligen Zeit begeisterten Kaufrausch.
Eines zeigt in einer schwarz-weißen Darstellung mit düsterer Hintergrundmusik Schattenabbilder einer Familie auf nacktem Asphalt. Eine heisere Frauenstimme äußert sich in pseudo-philosophischer Weise zum Erscheinen des neuen Fahrzeugkonzepts. Der EV1 kommt in dem Spot vier Sekunden vor.[5]
Ein anderes zeigt eine Vielzahl von Elektrogeräten, die ein Eigenleben entwickeln und sich in einer amerikanischen Vorstadt auf die Straße bewegen, um neugierig ein silbrig schimmerndes Fahrzeug zu begutachten, das sich aber immer nur verzerrt in den Oberflächen eben dieser Geräte spiegelt und am Ende des Spots für ein paar Sekunden auftaucht – von schräg hinten, nicht eben die Schokoladenseite des EV1. Näher beschrieben wird es dabei nicht.[6] Angesichts der üblichen Strategie bei der Vermarktung von Autos ist diese Vorgehensweise mindestens ungewöhnlich. David Freeman merkt hierzu an: „You know, we never saw a TV ad with an electric car scampering up the side of a hill with a good-looking man or woman draped throughout it. That’s the way they sell cars.”[7]
Auch die Plakatwerbung verdient in dieser Hinsicht Erwähnung: Im Hintergrund erstrecken sich mal dunkler Himmel, mal eine Vogelscheuche, dann wieder leere Flächen, wie ein endloser Salzsee oder ein kahles, abgeerntetes Feld. Vor diesem Hintergrund ist stets ein silberner EV1 zu sehen, allerdings so klein, dass man ihn mit dem bloßen Auge auf eine für Werbeplakate übliche Entfernung nicht erkennt: er nimmt höchstens 1/20 der Seite ein, in einem Extremfall sogar weniger. Zudem ist immer nur der Hintergrund scharf, das Auto grundsätzlich verwischt. Auf die Spitze getrieben, müsste man bei diesen Größenverhältnissen sagen, der EV1 ist der Hintergrund.[8]
Es drängt sich also die Frage auf, ob GM diese schlechte Werbung nur durch Zufall produzierte, oder ob der Konzern wider besseren Wissens eine Werbekampagne startete, die darauf ausgelegt war, die Bekanntheit des Autos nicht zu fördern, sondern Kunden abzuschrecken, um im Nachhinein behaupten zu können, es hätte keine Nachfrage gegeben – das im Master Memorandum festgehaltene Hauptkriterium gegen eine Massenproduktion. Doch selbst wenn man von diesem nicht beweisbaren Vorwurf absieht, bleiben die Spots und die Plakate immer noch unglaublich schlechte Werbung, was schwer nachvollziehbar scheint, will man einer breiten Masse eine revolutionäre Technologie schmackhaft machen. Tom Everhart, damaliges Vorstandsmitglied bei GM, sagt diesbezüglich: „I do not think GM tried hard to get the electric cars out rapidly.”[9]
Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass es noch zwei weitere Werbespots gibt, die von GM letztlich aber nicht ausgestrahlt wurden.[10] Die Gründe hierfür lassen sich heute nur noch schwer nachvollziehen. Fest steht aber, dass diese beiden Spots im Gegensatz zu den anderen zum einen in Farbe waren, zum anderen eine Musik mit sehr viel schnellerem Rhythmus hatten, und darüber hinaus jeweils einen findigen Slogan hatten, der die ernsthafte Auseinandersetzung der PR-Abteilung mit dem Thema zumindest vermuten ließ. Außerdem war bedeutend mehr vom Auto zu sehen und der revolutionäre Charakter, nämlich die Antriebsart, wurde sowohl visuell als auch mit entsprechenden Bemerkungen bewusst hervorgehoben.
Abgesehen von einer vielleicht oder vielleicht auch nicht zweifelhaften PR-Praxis des Unternehmens haben wir es – im Vergleich zu heute – vor zehn Jahren mit deutlich begrenzten Möglichkeiten der medialen Verbreitung zu tun. Die ersten Bilder der Präsentation erschienen in den Nachrichten ein paar Tage später, danach sah man die Werbespots und dann erst das reale Fahrzeug beim Händler. Sieht man von Plakaten und Printmedien ab, erschöpften sich hier die Möglichkeiten, das Fahrzeug zu bewerben. Umso mehr hätte es aussagekräftiger Plakate und in angenehmer Weise einprägsamer Werbespots bedurft.
Ölpreis
Der Rohölpreis der Sorte Brent liegt 1996 bei ca. 30 € pro Barrel. Der gekoppelte Benzinpreis bewegt sich laut EIA, Energy Information Administraion des US Department of Energy, damals zwischen 112,9 Cents per gallon am Anfang und 127,8 Cents per gallon am Ende des Januars 1996. Mit 133,0 Cents per gallon erreicht er seinen höchsten Wert in jenem Jahr am 20. März.[11] Der Anreiz, ein Auto zu kaufen, dessen Leistungsmerkmale nicht signifikant über dem Durchschnitt liegen und das den Nutzer in der Reichweite beschränkt, ist für einen US-Amerikaner, dessen unbegrenzte Mobilität eines seiner wichtigsten Grundrechte darstellt, denkbar gering, wenn er für etwas mehr als einen Dollar fast vier Liter Benzin bekommt.
Energiemix
Laut EIA wird US-amerikanischer Strom im Erscheinungsjahr des EV1 hauptsächlich – nämlich zu 31,37% – aus Kohle erzeugt. Der Anteil der gesamten fossilen Energieträger beträgt hierbei 80,38%, der der Atomkraft 9,76%. Die erneuerbaren Energien tragen im selben Jahr 9,87% zur Stromerzeugung bei.[12]
Ein Elektroauto macht 1996 aus ökologischer Sicht vor diesem Hintergrund für Kunden nur begrenzt Sinn, da es seinem Anspruch, „sauber“ zu fahren, nur teilweise gerecht wird. Denn der Strom, der es antreibt, kommt nicht zu 100% aus regenerativen Energien, sondern zum Großteil aus CO2-intensiven Energieträgern. Dass ein Elektroauto selbst mit aus Kohle produziertem Strom immer noch sauberer fährt als ein benzinbetriebenes, ist damals noch nicht im Bewusstsein der Käufer verankert (vgl. Kap. Lobbyismus).
Lobbyismus
In seinem Film nennt Chris Paine ein eindrucksvolles Beispiel für den Einfluss der Öllobby auf die Entwicklungsgeschichte des EV1:
Als die ersten EV1s ausgeliefert werden, stellt sich bald die Frage nach geeigneten Ladestationen auch außerhalb privater Haushalte, um die Reichweite akzeptabler zu machen. Diese beantwortet GM mit öffentlichen Charging Stations, mit Solarzellen überdachten Parkplätzen, die Ladevorrichtungen für jeden Stellplatz vorsehen. Eine Gruppe, die sich „Californians Against Utility Company Abuse“ nennt, wirbt daraufhin offen gegen diese Stationen mit dem Argument der Verschwendung von Steuergeldern. Zur Untermauerung ihres Anspruchs präsentiert sie Listen mit Befürwortern der Aktion, neben Privatpersonen auch Unternehmen wie z.B. Trader Joe’s. „Further investigation revealed that these groups were consumer organisations in name only – funded almost exclusively by the oil industry [Western States Petroleum Association, Anm. d. Autors].“[13]
Namhafte Unternehmen der Ölindustrie, wie Mobil oder Exxon, bezahlen in dieser Zeit auch für ganzseitige Anzeigen in Tageszeitungen, in denen sie den Nutzen von Elektrofahrzeugen auf die Umwelt als zweifelhaft bezeichnen: „The environmental benefits of EVs are dubious.“[14] Dieses Argument ist heute so falsch wie vor elf Jahren. Tesla Motors hat bereits am Beispiel ihres Tesla Roadster vorgerechnet, dass selbst ein Elektroauto, das ausschließlich mit aus Erdgas erzeugtem Strom aufgeladen wird, immer noch weniger CO2 ausstößt als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.[15] So antwortet Elon Musk, einer der Hauptinvestoren von Tesla Motors und CEO von SpaceX, auf dem AutoblogGreen[16], dem Weblog rund um das Thema “grünes Auto” schlechthin, ausführlich auf die Thematik der CO2-Verlagerung. Diese wird gern von Gegnern des Elektroautos angebracht und besagt, dass Elektroautos eigentlich gar nicht wirklich abgasfrei sind, da sie den Strom zum Aufladen ihres Batteriepacks zu großen Teilen aus einem Netz nehmen, das Strom meist nicht hundertprozentig aus regenerativen Energien erzeugt.
[...]
[1] vgl. Dubben, Beck-Bornholdt (2006), S.101
[2] vgl. http://www.reuters.com/article/tnBasicIndustries-SP/idUSN2115859320071121?pageNumber=2&virtualBrandChannel=0, 2.12.2007
[3] vgl. Paine (2006)
[4] vgl. Westbrook (2001), S.133
[5] vgl. General Motors (2007)
[6] vgl. Paine (2006)
[7] vgl. ebd.
[8] vgl. ebd.
[9] vgl. Paine (2006)
[10] vgl. General Motors (2007)
[11] aus: http://tonto.eia.doe.gov/dnav/pet/hist/mg_tt_usw.htm, 11.11.2007
[12] vgl. Anhang: Energy Production by Primary Energy Source
[13] vgl. Paine (2006)
[14] vgl. ebd.
[15] vgl. http://ninja.autobloggreen.com/2006/07/26/exclusive-q-and-a-with-elon-musk-on-the-tesla-roadster-and-the-fut/, 24.10.2007
[16] vgl. http://www.autobloggreen.com, 24.10.2007