Inszenierung und Wirklichkeit. Die Medien in Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel"


Term Paper (Advanced seminar), 2001

18 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Film und pornographisches Verfahren

3. Pornofilm

4. Film in Pynchons „Die Enden der Parabel“

5. Krieg und Kino

6. Fritz-Lang-Filme und der amerikanische Genrefilm

7. Inszenierung von Geschichte

8. Schrift

9. Macht der Medien

10. Schlußszene

11. Was bleibt?

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Roman „Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon[1] bietet sich zu einer Untersuchung unter dem Medienaspekt geradezu an. Sowohl das Erzählverfahren als auch die Gestaltung der Romanwelt sind von der technischen Medienentwicklung beeinflußt, wobei besonders die filmischen Elemente, welche in den Roman integriert sind, eine tragende Rolle spielen.

Einige Literaturwissenschaftler gehen sogar so weit, daß sie „Die Enden der Parabel“ mit einem Film gleichsetzen. Bezüglich jener These kann man jedoch nur von einer unangemessenen Kategorienverwechslung ausgehen. Es handelt sich hier um Literatur, nicht um Film, aber um Literatur in einer medial geprägten Gesellschaft.

Pynchon verknüpft auf sehr kunstvolle Weise Elemente des Films mit denen des Romans. Marshall McLuhan behauptet in seinem Buch „Die magischen Kanäle“ (Understanding Media“), daß Medien mit Ausnahme des Lichts immer paarweise vorkommen, „wobei das eine als „Inhalt“ des anderen fungiert und die Wirkungsweise beider verschleiert.“[2] Da er diese Aussage im Rahmen einer kulturgeschichtlichen Untersuchung der Medienentwicklung macht, bezieht er sich sicherlich auf neue Medientypen, die sich mit bereits vorhandenen koppeln. Pynchon hingegen operiert innerhalb des traditionellen Mediums Literatur mit formalen und inhaltlichen Komponenten der neueren Medien.

McLuhan sieht die Aufgabe der Kunst darin, durch die Verwendung des einen Mediums, die Kraft des anderen zur Entfaltung zu bringen. Dabei wird nach McLuhan eine „hybride Energie“ frei, welche bei der Kopplung zweier Medien entsteht und welche zur bewußten Medienrezeption beitragen kann:

„Der Bastard oder die Verbindung zweier Medien ist ein Moment der Wahrheit und Erkenntnis, aus dem neue Form entsteht. Denn die Parallele zwischen zwei Medien läßt uns an der Grenze zwischen Formen verweilen, die uns plötzlich aus der narzißtischen Narkose herausreißen. Der Augenblick der Verbindung von Medien ist ein Augenblick des Freiseins und der Erlösung vom üblichen Trancezustand und der Betäubung, die sie sonst unseren Sinnen aufzwingen.“[3]

Dieses Zitat läßt sich vor dem Hintergrund von Pynchons Roman lesen und zieht die Frage nach sich, inwieweit die Integration filmischer Elemente in die Literatur zur Klärung über die Wirkungsweisen beider Kunstformen beitragen kann.

Die Hausarbeit widmet sich in erster Linie dem Medium Film, sowohl auf allgemeiner Ebene als auch in bezug zu den filmischen Techniken und Anspielungen auf verschiedene Filme im Roman. In diesem Zusammenhang spielt Pynchons Pornographiebegriff im Hinblick auf die Parallelisierung von Technik und Kunst eine besondere Rolle, wie im weiteren belegt werden soll.[4] Darüber hinaus geht es um den Einfluß der Medien auf Erfahrung, Erinnerung und Geschichtsbewußtsein. Zum Schluß sollen die Fragen nach einer Reflexion des Mediums Film im Roman und einer möglichen Medienkritik erörtert werden.

Die medientheoretische Fundierung der Hausarbeit speist sich in erster Linie aus dem Bereich der „Apparate-Theorien“, wie Analysen bezeichnet werden, die den Medienbegriff nach dem Vorbild technischer Apparate gewinnen und sich vornehmlich auf die Entwicklung der elektronischen Medien beziehen; im besonderen: Marshall McLuhan, Friedrich A. Kittler, Villém Flusser und Paul Virilio.

2. Film und pornographisches Verfahren

Für Pynchon sind „...Film und Kalkül, Pornographien des Fluges beide...“[5]. Zum einen bezieht sich sein Pornographiebegriff auf das wissenschaftliche Denken, auf die Simulation der Raketenlaufbahn, zum anderen auf die ‚Illusionstechnologie‘ Film. Das Gemeinsame der Verfahren ist, daß ein Kontinuum (Bewegung) in Segmente (Standbilder, Daten) unterteilt und anschießend zu einer neuen, nur scheinbar organischen Einheit (Bilder in Bewegung, Parabel) montiert wird.[6]

Die filmische Illusion ist auf die Trägheit der visuellen Wahrnehmung zurückzuführen, aufgrund derer dem Rezipienten die 24 aufeinanderfolgenden Einzelbilder pro Sekunde als bewegte Bilder erscheinen. Das Einzelbild erreicht nur das Auge, und nicht das Bewußtsein. Der Schnitt unterläuft die Merkzeit.

Friedrich Kittler definiert den Spielfilm, indem er sich auf Lacan bezieht, als das „Medium des Imaginären“. Die filmische Illusion wird sich aufgrund der imaginierten Nähe zu den Bildern auf der Leinwand vom Zuschauer einverleibt:

„Das Imaginäre implementiert die optische Illusion. (...) Einem zerstückelten oder (im Fall der Filmaufnahme) zerhackten Körper tritt die illusionäre Kontinuität von Spiegel- und Filmbewegungen gegenüber.“[7]

Für Kittler ist Verfilmung schon von Prinzip her Schnitt, nämlich durch die „Zerhackung der kontinuierlichen Bewegung oder Geschichte vorm Sucher.“[8]

Die perfekte Illusion ist nur möglich, indem das Medium (die Künstlichkeit) ignoriert wird. Der Realismus des Films beruht auf einer Selbsttäuschung, welche die Filmmontage aus dem Bewußtsein der Rezipienten ausblendet.

Pynchon verweist immer wieder auf die Verknüpfung von Raketen- und Filmtechnik. Ein (auch historisch korrektes) Beispiel bildet im Roman die Entwicklung der Hochleistungskamera der Ascania von 1941 für Zeitlupenstudien des V2-Flugs:

„Seit mindestens zwei Jahrhunderten bestand diese eigentümliche Affinität des deutschen Geistes zum Suggerieren von Bewegung durch eine rasche Folge sukzessiver Einzelbilder – seit Leibniz, als er den Infinitesimalkalkül entwickelte, den gleichen Ansatz gewählt hatte, um die Flugbahnen von Kanonenkugeln aufzulösen. Und nun sollte Pökler den Beweis erhalten, daß diese Techniken, über die Kader des Film hinaus, auf das menschliche Leben ausgedehnt worden waren.“[9]

Dieses Zitat veranschaulicht die „pornographische Technik“, nach der ein Kontinuum aufgelöst wird, um es einer neuen Form unterzuordnen; Organisches wird in Anorganisches transformiert. Dabei wird die Kategorie der Zeit unterlaufen. (Sie wird „unter die Lupe“ genommen.) Diese Methode läßt sich jedoch nicht nur auf die Technik und die Filmkunst beziehen, sondern wird „auf das gesamte menschliche Leben ausgedehnt“. Die Frage, die sich hier anschließt, ist, inwieweit wissenschaftliche Denkweisen und technische Medien unsere Wahrnehmung beeinflussen. In Pynchons Textausschnitt soll Pökler den Beweis erhalten, daß wissenschaftliche Techniken genauso für das Leben gelten. Möglicherweise spielt Pynchon auf das Manipulationspotential, welches diese veränderten Wahrnehmungsweisen Machthabern eröffnen, an. Die Filmtechnik wird zu einer Methode der Kontrolle.

Im Film wird die Chronologie aufgehoben; Bildsequenzen können beliebig zerschnitten und neu zusammengesetzt werden. Wenn die zeitliche Abfolge von Begebenheiten keine Rolle mehr spielt, hat dieses darüber hinaus Auswirkungen auf die Relation zwischen Ursache und Wirkung. Im Roman wird mit dieser bewußt gespielt. Die Raketen, welche mit Überschallgeschwindigkeit fliegen, und in Folge dessen erst zu hören sind, wenn sie bereits eingeschlagen und explodiert sind, stehen für die Umkehrung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs:

„Die Vorstellung einer Rakete, die man erst kommen hört, nachdem sie explodiert ist. Die Umkehrung! Ein Stückchen Zeit, fein säuberlich herausgeschnitten ... ein paar Meter Film, die rückwärts ablaufen ... der Einschlag der Rakete, die mit Überschallgeschwindigkeit herabgestürzt ist – und dann erst wächst aus ihm heraus das Heulen ihres Sturzes, holt ein, was längst schon tot ist und brennt ... ein Geist am Himmel ...“[10]

Die Überschallrakete wird hier explizit mit dem Film verglichen. Das physikalische Phänomen, wonach der Schall erst nach der Raketenexplosion zu hören ist, spielt auf die Zeitdimension und in diesem Zusammenhang auf die Frage an, ob Ursache und Wirkung in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen.

Friedrich Kittler hebt die Manipulation der zeitlichen Kategorie sowohl im Hinblick auf den Krieg als auch auf die technischen Medien hervor. Krieg und Film arbeiten mit der „Time Axis Manipulation“:

„Eine Kriegsführung, die militärisch, technologische und propagandistisch auf Geschwindigkeit und Information setzt, kommt nicht aus ohne Raffungen, Dehnungen, Umkehrungen von Zeit, ohne Time Axis Manipulation also.“[11] „Technische Medien erlauben (über das Ablenkungsmanöver des Unterhaltungseffekts hinaus) die Variation genau der Parameter, die sie und nur sie erfassen, also auch der physikalischen Zeit.“[12]

Die „Time Axis Manipulation“ setzt auf der Ebene des Schnitts an, bei der Arbeit des Cutter/Filmproduzenten. Für die Filmproduktion sind jedoch zwei Ebenen zu unterscheiden: die Erstellung des Filmstreifens und die Filmkomposition. Zunächst wird das Rohmaterial von einer Kamera aufgenommen, die bereits aus einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten selegiert. Danach erst beginnt die Arbeit des Cutters, welcher die Schnitte setzt, Geschichten konstruiert.

Vilém Flusser vergleicht die Macht des Filmproduzenten mit der des jüdisch-christlichen Gottes:

„Doch überschreitet seine Macht die Allmacht jenes Gottes bei weitem. Er kann Ereignisse wiederholen, sie rückwärts laufen lassen, Phasen überspringen wie das Pferd im Schachspiel, vom Vergangenen ins Zukünftige und vom Zukünftigen in Vergangenes springen, den Zeitablauf beschleunigen und hemmen, Anfang und Ende der linearen Zeit zusammenkleben und so aus der Geschichte einen Zyklus machen, kurz mit der Linearität spielen.“[13]

[...]


[1] Thomas Pynchon: Die Enden der Parabel, Hamburg 1981. (Originalausgabe: Gravity’s Rainbow,

New York 1973) Im weiteren abgekürzt mit DEdP; die Seitenzahlen beziehen sich auf die deutsche Ausgabe.

[2] Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle, Düsseldorf, Wien 1968, S. 62.

[3] McLuhan, S. 66.

[4] Die Untersuchung von Andrea Best („In/Animation. Die Medien in den Romanen von Thomas Pynchon“, Trier 1995) war mir bezüglich dieses Aspekts gleichermaßen Anregung und Hilfestellung.

[5] DEdP 885.

[6] Jean Baudrillard macht in seinem Aufsatz „Videowelt und fraktales Subjekt“ eine pornographische Lust an der Zerstückelung von Bildern aus. Denn der hyperdetailierten, künstliche Ausschnitt eines Körpers sei an sich sexuell:
„Jedes Bild, jede Form, jedes Körperteil, das man aus der Nähe besieht, ist ein Geschlechtsteil. Der Promiskuität des Details und der Vergrößerung des Zooms haftet eine sexuelle Prägung an. Die Übertriebenheit jedes einzelnen Details zieht uns ebenso an wie die Verästelung und serielle Vervielfätltigung ein und desselben Details. Die Pornographie mit ihrer extremen Promiskuität zerlegt den Körper in seine kleinsten Teile und die Gesten in kleinste Bewegungselemente. Und unser Verlangen gilt gerade diesen neuen kinetischen, numerischen, fraktalen, künstlichen synthetischen Bildern, weil sie alle weniger definiert sind. Man könnte fast sagen, diese Bilder seien – wie pornographische Bilder – aufgrund ihrer übertriebenen Wahrhaftigkeit und Deutlichkeit geschlechtslos. Jedenfalls suchen wir in diesen Bildern nicht mehr den imaginären Reichtum, sondern den Taumel ihrer Oberflächlichkeit, das Künstliche ihres Details, die Intimität der Technik. Nichts anderem als dieser ihrer technischen Künstlichkeit gilt unser wahres Begehren, unser echter Genuß.“ (Jean Baudrillard: Videowelt und fraktales Subjekt, in: Philosophien der neuen Technologie, Berlin 1989, S. 116.)
Ob jedoch die Lust am zerstückelten Körper damit ausreichend begründet ist, wonach dieser Ausschnitt weniger definiert ist, bleibt fraglich.

[7] Friedrich A. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 28.

[8] Kittler: Grammophon, S. 180.

[9] DEdP 636.

[10] DEdP 81.

[11] Friedrich A. Kittler: Medien und Drogen in Pynchons Zweitem Weltkrieg, in: Dietmar Kamper und Willem van Reijen (Hg.): Die unvollendete Vernunft. Moderne versus Postmoderne, Frankfurt/Main 1987, S. 249.

[12] Kittler: Medien, S. 248.

[13] Vilém Flusser: Lob der Oberflächlichkeit, Bensheim und Düsseldorf 1993, S. 156.

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Inszenierung und Wirklichkeit. Die Medien in Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel"
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Deutsche Literatur)
Grade
1,7
Author
Year
2001
Pages
18
Catalog Number
V28253
ISBN (eBook)
9783638300827
ISBN (Book)
9783638842594
File size
593 KB
Language
German
Keywords
Inszenierung, Wirklichkeit, Medien, Thomas, Pynchons, Enden, Parabel, Philosophischer Raum, V1, Film, Krieg, Kino, Fritz Lang, Medien-Begriff,  Jean Baudrillard;,  Friedrich A. Kittler;,  Villém Flusser, Paul Virilio
Quote paper
Jessica Heyser (Author), 2001, Inszenierung und Wirklichkeit. Die Medien in Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28253

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