Der expansive Todestrieb. Selbstzerstörung und Attentat unter kulturwissenschaftlicher Betrachtung


Trabajo, 2012

24 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Unbehagen in der Kultur
Eros und Todestrieb als Phänomene des menschlichen Kulturprozesses - nach Sigmund Freud.
Die menschliche Destruktivität - nach Erich Fromm

3. Eine Geschichte des Humanismus
Humanismus in der Gegenwart

4. Der expansive Todestrieb
Epiphanie der politischen Gewalt – Terrorismus, Selbstmordattentate und ihre Wahrnehmung.
Wie du mir so ich dir - Paradoxien des Terrors im Israel – Palästina – Konflikt

5. Zusammenfassende Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Siedler schießen auf Palästinenser - Militär schaut zu“, dies ist die Schlagzeile eines Artikels auf Spiegel.de vom 22.05.2012, der davon berichtet wie jüdische Siedler im Westjordanland auf unbewaffnete Palästinenser schießen. Laut Aussagen der Menschenrechtsorganisation B'Tselem, die zu der Zeit anwesend war und Videos des Vorfalls veröffentlichte, war auch israelisches Militär anwesend. Dieses schritt jedoch nicht ein, als die israelischen Siedler ihre Waffen auf die palästinensischen Dorfbewohner richteten. Der Vorfall im Westjordanland ist nur einer von vielen, auf den ersten Blick sinnlos anmutenden Gewaltakten zwischen Menschen.

Gewalt, Krieg und Terror gehören seit Anbeginn zur Menschheitsgeschichte. Alle Zeugnisse menschlicher Gesellschaften, seien es die Sagen des klassischen Altertums, testamentarische und andere religiöse Überlieferungen, oder die Werke großer Philosophen, Skeptiker und Psychoanalytiker, zeugen von der Gewaltbereitschaft, Destruktivität und Gnadenlosigkeit des Menschen. Der als der Begründer der Psychoanalyse geltende Sigmund Freud geht sogar von einem Dualismus im menschlichen Wesen aus, der im Menschen angelegt sei und das gleichermaßen Todes- als auch Lebenstrieb beinhalte. Humanist und Philosoph Erich Fromm hingegen spricht von der gesellschaftlichen Gefahr der Entfremdung und menschlichen Gleichgültigkeit, und in dem Zusammenhang von der Pflicht und der Aufgabe des Menschen, sich ob der Teilhabe an einer funktionierenden humanen Gesellschaft, zu einem humanen Wesen zu bilden. Dies könne nur geschehen, in dem der Mensch die eigene Entfremdung und Aggression durch Zuwendung zum Anderen überwinde. Diese Anderen, objektiv Unschuldigen sind es, die die Attentäter unserer Zeit mit in ihren Sog aus Zerstörung ziehen. Die Öffentlichkeit, unterliegt durch eine mediengeprägte „anthropologische Fehlwahrnehmung durch das dichotome Urteilsmuster“ (Takeda 2010: 68) einer „enthumanisierenden bzw. dämonisierenden [...] Alteritätswahrnehmung“ (ebd.: 68) in der entweder nur arabische Terroristen oder psychopathische Amerikaner zu einem Anschlag wie dem auf das World Trade Center 2001 in der Lage sind.

Um die Wahrnehmung und Rezeption solcher Ereignisse soll es in dieser Arbeit nur am Rande gehen, da sich die Komplexität des Themas ohne weiteres in einer gesonderten Arbeit entfalten könnte. Die angeführten Phänomene von menschlicher Hetero- und Autodestruktivität sollen an dessen statt einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung unterzogen werden. Im Folgenden soll deshalb zunächst die Theorie des Todestriebs in Sigmund Freuds Das Unbehagen in der Kultur dargelegt und auf geschichtliche Phänomene menschlicher Gewalt und Aggression bezogen werden.

Danach wird Erich Fromms Verständnis von Humanismus erläutert und dessen Theorie von der Existenz dreier Formen menschlicher Destruktivität. Das bei der Darstellung der Theorien Freuds und Fromms aufgezeigte, höchst heterogene Verständnis vom Menschsein, wird im Weiteren auf den menschlichen Drang nach Zerstörung in Zusammenhang mit Krieg, Terrorismus und Selbstmordattentaten angewendet. Hierbei wird als spezifisches Beispiel der Krieg zwischen Israel und Palästina herangezogen und mit Hilfe von Igor Primoratz, Professor für Politik, Philosophie und Ethik, die Frage gestellt, ob Terrorismus jemals moralisch rechtfertigbar ist. Im Anschluss soll in einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung ein Resümee gezogen werden.

2. Das Unbehagen in der Kultur

Eros und Todestrieb als Phänomene des menschlichen Kulturprozesses – nach Sigmund Freud

In Das Unbehagen in der Kultur, der 1930 veröffentlichten kulturtheoretischen Schrift Sigmund Freuds, beschreibt dieser vertiefend, und auf Grundlage seiner bis dahin entwickelten psychoanalytischen Theorie sein Verständnis vom Kulturprozess. Kultur bedeutet für Freud "die ganze Summe der Leistungen und Einrichtungen […], in denen sich unser Leben von dem unserer tierischen Ahnen entfernt, und die zwei Zwecken dienen: dem Schutz des Menschen gegen die Natur und der Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander." (Freud 1931 in: Bayer/Krone-Bayer (Hrsg.) 2010: 36) Kultur also als „Vereinigung vereinzelter Menschen zu einer unter sich libidinös verbundenen Gemeinschaft.“ (ebd.: 93) Den Menschen, nach Freud sei dabei eines gemein, das Streben nach Glück, das sich jedoch in einem Dualismus zwischen einem positiven und negativen Aspekt dessen ausdrücke. Das Glücksbestreben hat Freud zufolge also ,,zwei Seiten, ein positives und ein negatives Ziel, es will einerseits die Abwesenheit von Schmerz und Unlust, andererseits das Erleben starker Lustgefühle. Im engeren Wortsinn wird ‚Glück‘ nur auf das letztere bezogen.“ (Freud 1931 in: Bayer/Krone-Bayer (Hrsg.) 2010: 20) Dieses ‚Lustprinzip‘ aber, wie Freud es nennt, ,,die Absicht, daß der Mensch ‚glücklich‘ sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten […] [und] unsere Glücksmöglichkeiten sind schon durch unsere Konstitution beschränkt.“ (ebd.: 21) Dies sei darauf zurückzuführen, dass wir als Menschen in unserem Bestreben nach Glück und der Vermeidung von Leiden immer durch eine machtvolle Außenwelt begrenzt seien, der Gebrechlichkeit unseres Körpers und die sozialen Gegebenheiten unserer Gesellschaften. Innerhalb der Gesellschaften manifestiere sich so auch der Kulturprozess, dessen Bestreben unabänderlich das nach menschlichem Glück sei. (vgl. ebd.: 22 u. 32)

In diesem Zusammenhang spielt Religion eine wichtige Rolle, da sie eine Erklärung der und Orientierung in der Welt bietet. Gleichzeitig bietet sie Trost, Hoffnung und die Aussicht auf Glück. Der Glaube aber sei, so Freud eine „wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit“ (ebd.: 27) und „[die] Technik [der Religion] besteht darin, den Wert des Lebens herabzudrücken und das Bild der realen Welt wahnhaft zu entstellen, was die Einschüchterung der Intelligenz zur Voraussetzung hat.“ (ebd.: 30)

Ein weiteres wesentliches Merkmal des Kulturprozesses, das Freud anführt, ist der Triebverzicht, also die Unterdrückung, Umleitung der dem Menschen ureigenen Triebe. Trotz allem geht es Freud nicht darum, Kultur als repressive Macht zu beschreiben, sondern vielmehr um die Prozesse bei Entstehung von Kultur, Religion und den Errungenschaften menschlicher Gesellschaften. (vgl. ebd.: 138)

Freud geht davon aus, dass mit Kultur immer ein Stück Abwendung von der Natur erfolge und der Mensch sich entscheiden müsse, zwischen der Befriedigung seiner Triebe und Sehnsüchte, der Lusterfahrung und Erfüllung als Glück und der Kultur, da diese weitreichenden Triebverzicht impliziere. Dieses damit einhergehende Unbehagen in der Kultur sei unumgänglicher Teil des Kulturprozesses, als Abkehr vom allzu triebhaft Natürlichen. Der Entzug und die Entsagung triebhafter Befriedigung ohne Ersatz, blieben, so Freud weiter, aber nicht ohne Folgen. Der Triebverzicht könne so, wenn ,,nicht ökonomisch kompensiert, [….] ernste Störungen[…] [verursachen.]“ (ebd.: 46) Diese Störungen nennt Freud Neurosen und sie seien ein Teil dessen, was mit der Etablierung der großen, kulturellen Errungenschaften einherginge. Weitergehend würden Ersatzbefriedigungen geschaffen, die über die Entsagung hinwegtäuschen sollten. (vgl. ebd.: 141)

Neben dem Verzicht auf sexuelle Triebbefriedigung entwickelt Freud anknüpfend an seine 1920 entstandene Schrift Jenseits des Lustprinzips, die These von einer „Aggressionsneigung“ (Freud 1931 in: Bayer/Krone-Bayer 2010: 61) die sich im Wesentlichen als „Abkömmling und Hauptvertreter des Todestriebes“ (ebd.: 61) verstehen ließe, den er als dem Menschen a priori inhärenten Trieb dem Lebenstrieb/Eros gegenüberstellt.

"Die Existenz dieser Aggressionsneigung […] ist das Moment, das unser Verhältnis zum Nächsten stört und die Kultur zu ihrem Aufwand nötigt. Infolge dieser primären Feindseligkeit der Menschen gegen einander ist die Kulturgesellschaft beständig vom Zerfall bedroht. […] Die Kultur muß alles aufbieten, um den Aggressionstrieben der Menschen Schranken zu setzten, ihre Äußerungen durch psychische Reaktionsbildungen niederzuhalten. Daher also das Aufgebot von Methoden, die die Menschen zu Identifizierungen und ziel gehemmten Liebesbeziehungen antreiben sollen. Daher die Einschränkung de Sexuallebens und daher auch das Idealgebot, den Nächsten zu lieben ie sich selbst, das sich wirklich dadurch rechtfertigt, daß nichts anderes der ursprünglichen menschlichen Natur so sehr zuwiderläuft.“ (ebd. 61f.)

“Wenn die Kultur nicht allein der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung des Menschen so große Opfer auferlegt, so verstehen wir besser, daß es dem Menschen schwer wird, sich in ihr beglückt zu finden." (ebd.: 65)

Dem zufolge hat die Unterdrückung des Aggressionstriebes ebenfalls einen großen Anteil am Unbehagen in der Kultur. Die ständige Unterdrückung der Aggression führt Freuds These zufolge zu einer Verinnerlichung dieser, zu einer Aggression gegen das eigene Ich. Sie werde zu einer Instanz des Über-Ichs, als Kontrollmechanismus über das Ich. Der entstehende Konflikt zwischen Ich und Über Ich, nennt Freud das Schuldbewusstsein, welches sich in einem Bedürfnis nach Bestrafung ausdrückt. Für Freud manifestiert sich in diesem Spannungsverhältnis das Hauptmoment der menschlichen Kulturfeindlichkeit und die Frage nach der Schuld wird zum Grundgedanken Freuds Kulturtheorie. (vgl. ebd.: 143)

So geht die Schuld, Freud zufolge, aus dem Wechselverhältnis, dem Ringen zwischen Eros und Todestrieb hervor. „Das Schuldgefühl ist der Ausdruck des Ambivalenzkonfliktes, des ewigen Kampfes zwischen dem Eros und dem Destruktions- oder Todestrieb.“ (ebd.: 85) Aus der Verknüpfung zwischen Schuld und Todestrieb gehe dann die Kultur hervor. Unter diesen Gesichtspunkten kann man Schuld verstehen als ein stets mitschwingendes Element der Triebhaftigkeit und des Kulturprozesses. Des weiteren determiniert Freud, im Hinblick auf die Entwicklungspsychologie, als Basis der Schuld die Angst vor dem Verlust von Liebe und die Angst vor Strafe. Sobald, so Freud weiter, erwachsene Autorität verinnerlicht worden sei entstehe das Über-Ich als Instanz, welche sich aggressiv gegen das Ich richte, genau in dem Maße in dem es sich gerne gegen die Autorität von außen gewehrt hätte. Alle Aggression die nun nicht nach außen gerichtet sei, werde so gegen das eigene Ich verwendet. (vgl. ebd.: 145)

In diesem Zusammenhang „benimmt sich [das Über-Ich] um so strenger und mißtrauischer, je tugendhafter der Mensch ist, so daß am Ende gerade die es in der Heiligkeit am weitesten gebracht, sich der ärgsten Sündhaftigkeit beschuldigen.“ (ebd.: 77) Es scheint also, je sittsamer und ethischer der Mensch ist, desto strenger wird das Über-Ich mit dem Selbst, desto aggressiver richten sich Todestrieb und Aggressionstrieb als Teil dessen gegen das Eigene Ich. Daraus können, Freud zufolge weitreichende Folgen resultieren. Man muss sich die Einhaltung des kulturellen, moralischen Konsenses also als eine Schranke denken, an der die dem Todestrieb eigentümliche Aggression schnell gegen das Eigene gerichtet werden kann. Die Struktur dieser Wandlung gestalte sich wie folgt: Wenn zu Anfang zwar „das Gewissen (richtiger: die Angst, die später Gewissen wird) Ursache des Triebverzichts [ist], [kehrt sich das Verhältnis später] um. Jeder Triebverzichts wird nun eine dynamische Quelle des Gewissens, jeder neue Verzicht steigert dessen Strenge und Intoleranz.“ (Freud 1931 in: Bayer/Krone-Bayer 2010: 80) So hat der Mensch, eingebunden in Kultur das „drohende[…] äußere[…] Unglück […] [gegen] ein anderes, inneres Unglück, die Spannung des Schuldbewusstseins, eingetauscht.“( ebd.: 79)

Der Eintritt des Menschen bzw. die Entwicklung einer Kultur ist Freud zufolge somit geprägt von Missverhältnissen, des Kampfes zwischen Eros und Todestrieb und der Verpflichtung, dem Fortschritt ein Opfer in Form des eigenen Glückes darzulegen, und weiter noch das des gesellschaftlichen Ganzen.

„Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden. In diesem Bezug verdient vielleicht gerade die gegenwärtige Zeit ein besonderes Interesse.“ (ebd.: 100)

Freuds Überlegungen und Thesen zum Unbehagen in der Kultur sind nun mehr als 80 Jahre alt, und liegen bereits in einem anderen Jahrhundert. Wie weit unsere Kulturentwicklung gegangen ist, kann man an dem, einige Jahre nach der Veröffentlichung seines Werks, ausgebrochenen zweiten Weltkrieg und dem damit Zusammenhängenden beispiellosen Wahnsinn Hitlers sehen, der seinen Vollzug in einem industriell anmutenden Massenmord an Millionen von Menschen fand.

Neben der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten, die in ihrer Qualität an Brutalität, Gnadenlosigkeit und Gefühlskälte nicht zu überbieten ist, gibt es in der Menschheitsgeschichte unzählige weiterer verabscheuenswerter Kriege auf Grundlage von patriarchalischem Größenwahn, abstrusen Territorialansprüchen, Hass und Machtgier. Die Kriege der letzten 80 Jahre und die aktuellen gewaltsamen Auseinandersetzungen können bezeugen, wie weit es mit unserer Kulturentwicklung gekommen ist.

Die menschliche Destruktivität - nach Erich Fromm

Erich Fromm, jüdisch-deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker und Philosoph, hat Freuds Todestrieb - Theorie in zahlreichen seiner Werke thematisiert und seine fatalistische Denkweise kritisiert. Fromm geht zwar auch von einer menschlicher Destruktivität aus, verortet sie aber nicht bereits im Wesen des Menschen, als ausweglose Voraussetzung. In seinem Werk Anatomie der menschlichen Destruktivität, drückt er es so aus :

„Viele Menschen glauben lieber, daß unser Hang zur Gewalt und zur atomaren Auseinandersetzung auf biologische Auseinandersetzung zurückzuführen ist, die sich unserer Kontrolle entziehen, als daß sie die Augen aufmachen und erkennen, daß die von uns selbst verursachten sozialen, politischen und ökonomischen Umstände daran schuld sind." (ebd.: 33)

Weiterhin unterscheidet Fromm zwischen drei Arten menschlicher Destruktivität. Zum einen einer tatsächlich im Menschen angelegten Bereitschaft, die aber nicht wie Freud es verstand, von selbst wirkt, sondern die eines Auslösers bedarf, einer Stimulation und ohne diese nie zum Ausbruch gelangte. Er nennt diese die reaktive Aggressivität. Die zweite, spezifisch menschliche, sei die s adistisch-grausame Destruktivität. Fromm definiert sie so:

“Ihr Ziel ist das Erlebnis der Allmacht über Menschen und Dinge, das sich in der absoluten Kontrolle über Menschen und Dinge bis zur Zerstörung, zur Quälerei und Tortur ausdrückt. Dieses Erlebnis des Allmachtgefühls wird nur verständlich, wenn man die Wurzen versteht, nämlich das Gefühl der Ohnmacht, das die meisten Menschen in der bisherigen Geschichte hatten. […] Die Zerstörung des Lebendigen ist fast ein ebenso großes Wunder wie die Schaffung des Lebendigen […].” (Fromm 1981: 145)

Als dritte, in seinem Werk Anatomie der menschlichen Destruktivität näher beschriebenen Form, nennt Fromm die nekrophile Destruktivität, die er auch Adolf Hitler zuschrieb. Diese Art der Destruktivität verstand Fromm als eine pathologische Perversion, als das Angezogen-sein von Totem, Morbidem und die Abkehr vom Lebenden hin zum Starren, Mechanischen. In Die Furcht vor der Freiheit liefert Fromm des Weiteren eine allgemeine und plausible Erklärung für das Entstehen von

Aggression:

“Das Leben hat seine eigene Dynamik; es hat die Tendenz zu wachsen, sich Ausdruck zu verschaffen, sich zu leben. Wird diese Tendenz vereitelt, dann scheint die auf das Leben ausgerichtete Energie einen Zufallsprozeß durchzumachen und sich in Energie zu verwandeln, die auf Zerstörung ausgerichtet ist. Anders gesagt, der Lebenstrieb und der Destruktionstrieb sind nicht voneinander unabhängige Faktoren, sondern sie stehen in einem umgekehrten Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Je mehr der Lebenstrieb vereitelt wird, umso stärker wird der Zerstörungstrieb; je mehr Leben verwirklicht wird, umso geringer ist die Kraft der Destruktivität. Destruktivität ist das Ergebinis ungelebten Lebens. Menschen und gesellschaftliche Bedingungen, die das Leben zu unterdrücken suchen, erzeugen ein leidenschaftliches Verlangen nach Zerstörung, das sozusagen das Reservoir bildet, aus dem sich die jeweiligen Tendenzen nähren, die sich entweder gegen andere oder sich selbst richten.” (Fromm 1941 übersetzt von Mickel 2000: 180f.)

Im Folgenden sollen die Gedanken einer Utopie des Humanismus, wie Fromm es nennt, aufgezeigt werden, dessen Ziele elementare Werte wie Gewaltfreiheit, Menschlichkeit, und die Bildung des schöpferischen Potentials des Menschen, im Gegensatz zu einer entfremdeten Gesellschaft wie der unseren stehen, die sich inzwischen vollends dem Selbstzweck des technisch Möglichen verschrieben zu haben scheint.

3. Eine Geschichte des Humanismus

Der Humanismus ist ein Phänomen, das seine Wurzeln in einer Zeit vor Beginn unserer Zeitrechnung hat, in etwa vor 2500 Jahren in griechischer und römischer Tradition. Erich Fromm geht in seinem Werk Humanismus als reale Utopie. Der Glaube an den Menschen der Geschichte des Humanismus nach und zeigt, wie die Menschheitsgeschichte bereits früh von humanistischen Gedanken geprägt ist. Im Alten Testament könne man den Humanismus beispielsweise in der Entstehungsgeschichte der Menschheit lesen, wenn von der Schöpfung Adams als ein einziger Mensch die Rede sei, aus dem alles weitere Menschliche entstand. So sei der Mensch aus einem einzigen Urvater entstanden und somit ein jeder Mensch auf Erden gleich jedem anderen. Diese Lesart impliziert, dass jeder Mensch auf Erden gleich ist und keiner über einem anderen stehen kann, da wir alle den gleichen Ursprung haben. So rettete einer, der einen Menschen rettet die ganze Menschheit und ein anderer, der einen Menschen tötete, beginge einen Mord an der gesamten Menschheit. Auch seien laut Altem Testament alle Menschen nach Gottes Ebenbild erschaffen worden und somit trotz ihrer Unterschiede im Kern alle gleich. „Nur wenn man das wahrnehmen kann, was jedes andere menschliche Wesen empfindet, kann man es verstehen und kann man wissen, was es fühlt.“ (Fromm 1992: 74)

Gleiches gelte für den Zusammenschluss verschiedener Menschen zu Völkern und Nationen, denen das Alte Testament keine Rangfolge oder Hierarchie zuteilte.

Im Drama Antigone von Sophokles, stehen sich Kreon und Antigone in einem Konflikt gegenüber, da Antigone indem sie ihren toten Bruder, der die Gesetze des kreonischen Staates verletzte und so von Kreon eine ordentliche Bestattung versagt wurde (und damit der Einzug ins Totenreich) heimlich und nach ihren moralischen und mitfühlenden Grundsätzen doch beerdigt. So stehen sich hier die Gesetze des Staates, bzw. des Kaisers und die Ethnischen, Mitfühlenden gegenüber. (vgl. Schwab 2001: 274-276)

Nicht nur Sophokles Antigone ist ein Zeugnis eines vorchristlichen Humanismus. Innerhalb griechischer und römischer Tradition, findet man viele Anhaltspunkte für ein humanistisches Weltbild. So hatten beispielsweise die sogenannten Naturrechte, Rechte die dem Menschen a priori eigen sind, Vorrang vor allen anderen Gesetzen. Diese Naturrechte wurden dann später in der jüdisch-christlichen Tradition und der Entwicklung der Menschenrechte aufgegriffen. In der Renaissance entstand der Begriff der „Humanität“, der als „direkte Fortführung der griechisch-römischen und jüdisch-christlichen religiösen Tradition“ den Menschen in seinem einfachen Dasein erfasst. (vgl. Fromm 1992: 75ff)

Im 18.Jahrhundert entwickelte sich im philosophischen Denken, die Vorstellung vom Wesen des Menschen. Während heute vor allem aus sozialwissenschaftlicher Sicht, der Mensch als Tabula Rasa geboren wird, auf den die Gesellschaft innerhalb kultureller Prozesse ihre Geschichte, Konventionen und Traditionen schreibt, verstanden die Philosophen des 18.Jahrhunderts das Eigene des Menschseins als ein Moment, das dem Menschen bereits von vornherein inhärent ist. Eine allgemeine menschliche Natur also im Gegensatz zur kulturell geprägten Natur des Menschen.

Jean Jacques Rousseau und später Sigmund Freud, wiesen in diesem Zusammenhang auf ein Moment hin, das bis dato noch nicht in das Verständnis des Natur/Kulturmenschen miteinbezogen worden war, und zwar das des natürlichen Widerspruches zwischen Natur und Kultur. So können „[...] die natürlichen Neigungen des Menschen […] den Forderungen der Gesellschaft [...] [widersprechen].“ (ebd.: 77) Freud ging, wie bereits dargelegt, davon aus, dass es einen Widerspruch in der Triebhaftigkeit des Menschen und der Konventionen der Gesellschaft gebe und griff damit Rousseaus These auf, soziale Forderungen seien beizeiten unvereinbar mit denen der natürlichen Forderungen nach Humanität im Menschen. (vgl. ebd.: 78) Auch Johann Gottfried von Herder hat sich mit der Idee des Humanismus beschäftigt. Er ging davon aus, dass der Mensch als schwaches Wesen geboren wird und „sich zur Humanität erst bilden [muss].“ (ebd.: 79) Er sei „als animalisches Wesen das schwächste, hilfloseste und unvollständigste aller Tiere […] [und] hat die Vernunft als etwas spezifisch Menschliches, mit deren Entwicklung er zum Höchsten wird, das die natürliche Entwicklung hervorbringt.“ (ebd.: 79)

Neben Herder, lässt sich als großer Vertreter des Humanismus auch Gotthold Ephraim Lessing nennen, der die Auffassung teilte, der Mensch müsse das Wesen der Humanität entwickeln. Er sprach von einem zukünftigen Reich „in dem alle menschlichen Gegensätze, durch ein neues Einssein und eine neue Harmonie überwunden sein würden.“ (ebd.: 79)

100 Jahre später und mit dem 'Dritten Reich' Hilters wurde die Idee von einem allgegenwärtigen, allumfassenden Humanismus ad absurdum geführt.

In die Reihe, der humanistischen Theoretiker gliedert sich Johann Wolfgang von Goethe ein, mit einer Vorstellung von einem Humanismus, der in jedem Menschen vorhanden sei. Neben der eigenen Individualität trage der Mensch auch das allgemeine Menschsein in sich. Das Ziel menschlichen Lebens bestünde nun darin, „sich durch Individualität zur Universalität zu entwickeln.“ (ebd: .79) Es ging ihm nicht darum, alle Menschen einander gleich zu machen, sondern durch die Bildung einer eigenen Individualität zu einer Humanität aller zu gelangen. So fühlt sich nach dem Verständnis der Philosophen der Aufklärung, der Mensch deshalb mit allen anderen verbunden, „weil er ganz er selbst geworden ist.“ (ebd.:80) Zu finden ist der humanistische Anspruch Goethes in seinem Drama Iphigenie auf Tauris, welches er auf Grundlage des griechischen Dramas Iphigenie von Euripides schrieb und ein Ende nach humanistischem Ideal gestaltete, in dem „das Vertrauen auf die Menschlichkeit die eine Lösung ist, die den Menschen retten kann, obwohl es den Anschein hat, daß es nur die Wahl zwischen folgenschweren Übeln gibt.“ (Fromm 1992: 82).

Eines der folgenschwersten Übel unserer Geschichte entstand ausgerechnet Ende des 19 Jh. aus der Französischen Revolution, die eigentlich auf Grundlage der humanistischen Werte hervorging: der Nationalstaat, in dem sich nach dem ersten Weltkrieg später im Dritte Reich nationalistische Interessen mit wirtschaftlich- industriellen verbanden und in der größten menschlichen Grausamkeit und dem zweiten Weltkrieg endeten. (vgl. ebd.: 83)

[...]

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Der expansive Todestrieb. Selbstzerstörung und Attentat unter kulturwissenschaftlicher Betrachtung
Universidad
Städt. Heinrich-Heine-Gymnasium, Mettmann  (Institut für Medien und Kulturwissenschaft)
Curso
Einführung in die Medienkulturanalyse
Calificación
1,7
Autor
Año
2012
Páginas
24
No. de catálogo
V282805
ISBN (Ebook)
9783656819134
ISBN (Libro)
9783656819158
Tamaño de fichero
629 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Politik, Terrorismus, Medien, Kulturwissenschaft, Psychoanalyse, Humanismus, Freud, Fromm
Citar trabajo
Rea Ost (Autor), 2012, Der expansive Todestrieb. Selbstzerstörung und Attentat unter kulturwissenschaftlicher Betrachtung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282805

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