Prinzipien, Methoden und Ablauf der motivierenden Gesprächsführung


Texte Universitaire, 2007

26 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Der Ansatz im Überblick

2 Interventionsprinzipien
2.1 Empathie ausdrücken
2.2 Diskrepanzen entwickeln
2.3 Widerstand umlenken
2.4 Selbstwirksamkeit fördern
2.5 Ethische Leitlinien

3 Basismethoden
3.1 Aktives Zuhören
3.2 Offene Fragen
3.3 Bestätigung
3.4 Zusammenfassen

4 Spezielle Methoden
4.1 Brainstorming
4.2 Bilanz bzw. Vier-Felder-Entscheidungsmatrix
4.3 Skalierungen
4.4 Reframing
4.5 Zukunft imaginieren / hypothetische Veränderung

5 Ablauf / Phasen
5.1 Phase 1 – Aufbau von Änderungsbereitschaft
5.2 Phase 2 – Selbstverpflichtung für Veränderung stärken

6 Grenzen des Ansatzes

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Einleitung

Noch bis Ende der 70er Jahre wurden die drei „A’s“ (Abgeschiedenheit, Andacht und Arbeit) als entscheidende Wirkmechanismen der Suchtbehandlung angesehen. Damit ging ein meist strenger konfrontativer und für alle „Süchtigen“ uniformer Behandlungsstil einher. Um überhaupt in Behandlung zu kommen, wurde eine „hohe“ Motivation, die als stabile Eigenschaft aufgefasst wurde, als Voraussetzung angesehen. Aus dieser Sicht heraus waren Berater und Therapeuten nicht bzw. in geringem Maße verantwortlich für die Motivation von Suchtkranken. Nur hohe intrinsische Motivation, die auch an unangenehmen Prozeduren nicht scheiterte, ließ einen Behandlungsversuch als lohnend erscheinen. Das führte u. a. dazu, dass Menschen mit einem problematischen Substanzkonsum oder einer bereits bestehenden Abhängigkeitserkrankung und teilweise Folgestörungen mehrere Jahre zwischen Arzt- und Krankenhausbehandlungen pendelten, ohne suchtspezifische Hilfen zu bekommen. Die damals (und bisweilen noch heute) herrschende traditionelle Haltung von Suchtexperten, dass Suchtkranke erst „ganz am Boden“ (meist sind das körperliche, psychische und soziale Folgen, die kaum noch – selbst nicht durch Abstinenz – rückgängig gemacht werden können) sein müssen, um für eine Behandlung motiviert zu sein, ist aus medizinischer, therapeutischer und an erster Stelle aus ethischer Sicht abzulehnen (vgl. Lindenmeyer 2006, S. 18 ff.).

Mit der Übersetzung von Millers und Rollnicks „Motivational Interviewing. Preparing people to change addictive behavior“ und Kellers Einführung des Transtheoretischen Modell der intentionalen Verhaltensänderung in den deutschsprachigen Raum – beides 1999 – bekam der in Deutschland schon von einigen Suchtexperten ab Mitte der 80er Jahre angeschobene Diskurs um das Verständnis des Stellenwertes von Veränderungsmotivation und Motivationsförderung für eine möglichst früh einsetzende effektive Behandlung von Abhängigkeitskranken und -gefährdeten Auftrieb. Ohne an dieser Stelle die vielen Für und Wider des Diskurses um Krankheits-, Bewältigungs- und Motivationsmodelle, um Abstinenz als höchstes Ziel und Zieloffenheit, um weltanschauliche und wissenschaftliche Ansichten auszuführen, sei darauf hingewiesen, dass dieser Diskurs bei weitem noch nicht beendet ist.

Trotzdem kann mittlerweile von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Moderne Suchtprävention und -behandlung nutzt ein verändertes Motivationskonzept: Motivation wird nicht als quantitativer Status, sondern inter-aktioneller Prozess und Motivation nicht Behandlungsvoraussetzung, sondern als (zentraler) Teil der Behandlung angesehen. Anstelle von Motivationsprüfungen und –hürden geht es darum, Veränderungsschritte früh zu fördern und so viel Unterstützung wie möglich anzubieten unter Wahrung der Autonomie und der Würde des Klienten. In den Blick der Suchthilfe[1] kommen nun auch Personen mit riskantem Substanzkonsumverhalten, um hier früh die Auseinandersetzung mit dem Verhalten anzuregen, um letztlich möglichen (weiteren) Störungen vorzubeugen.

Zur Umsetzung der Förderung von Veränderungsmotivation bietet sich insbesondere der Ansatz der „Motivierenden Gesprächsführung“ an. Miller und Rollnick „... definieren motivierende Gesprächsführung als eine klientenzentrierte, direktive Methode zur Verbesserung der intrinsischen Motivation für eine Veränderung mittels der Erforschung und Auflösung von Ambivalenz“ (Miller und Rollnick 2004, S. 47).

Die folgende Arbeit beschäftigt sich näher mit der methodischen Umsetzung der „Motivierenden Gesprächsführung“. Zu Beginn erleichtert es eine Übersicht, alle wesentlichen Komponenten im Zusammenhang zu erfassen. Die Prinzipien stellen die Kommunikationsleitlinien für den Berater/Therapeuten dar, welche über die Basis- und Spezialmethoden umgesetzt werden. Die Beschreibung der Phasen entspricht einem idealtypischen vollständigen Verlauf, welcher sich z.B. in adaptierten Modellen anders, meist verkürzt, darstellt. Ausführungen zu den möglichen Grenzen des Ansatzes schließen die Arbeit ab.

1 Der Ansatz im Überblick

Auf Basis der Grundhaltung und -annahmen und in der zeitlichen Abfolge der beiden Phasen werden die Interventionsprinzipien über die Methoden umgesetzt, um die angestrebten Ziele zu erreichen (siehe Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Der Ansatz der „Motivierenden Gesprächsführung“ im Überblick

2 Interventionsprinzipien

Die vier Interventionsprinzipien oder auch allgemeinen Prinzipien stellen die Verbindung zwischen der Grundhaltung, den Grundannahmen und den eingesetzten Methoden her. Ausgedrückte, vermittelte Empathie, Entwicklung von Diskrepanzen zwischen dem aktuellen Verhalten und den persönlichen Werten und Zielen des Klienten, Vermeidung bzw. konstruktiver Umgang mit Widerstandsreaktionen des Klienten und die Stärkung der Selbstwirksamkeit – diese in den folgenden Punkten näher erläuterten Prinzipien erhöhen wesentlich die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen. Ethische Leitlinien sind ein weiteres wichtiges Vermittlungsstück zwischen Grundhaltung, -annahmen und Methoden und sollen hier als fünfter Punkt – bei Miller und Rollnick an anderer Stelle ausführlich diskutiert (vgl. Miller und Rollnick 2004, S. 215 ff.) – aufgenommen werden.

2.1 Empathie ausdrücken

Ohne empathische Zuwendung ist „Motivierende Gesprächsführung“ nicht denkbar. Sie ist eine der Schlüsselvariablen der förderlichen Berater/Therapeut-Klient-Beziehung, welche wiederum eine der wesentlichen unabhängigen Wirkvariablen von Psychotherapie darstellt (vgl. Grawe, Donati und Bernauer 1994, S. 776 ff.). Authentische Empathie vermittelt dem Klienten ein Gefühl von Akzeptanz und wertfreiem Angenommensein. Sie beschränkt sich nicht auf die Einstellung des Beraters/Therapeuten, sondern wird durch respektvolles aktives Zuhören ausgedrückt. Damit wird dem Klienten vermittelt, dass sein Verhalten und somit auch seine Motive gegen eine Veränderung aus seiner Sicht durchaus verständlich und sinnvoll sind. Dieses Verständnis muss dabei nicht Zustimmung bedeuten. Der Berater/Therapeut kann den Klienten annehmen und respektieren, aber durchaus anderer Meinung sein und andere Werte vertreten. „Motivierende Gesprächsführung“ macht sich die Erfahrung zunutze, dass Menschen sich häufig auf das Risiko einer Veränderung einlassen, wenn sie sich angenommen fühlen wie sie sind und ihnen nicht ihre Defizite vorgehalten werden (vgl. Körkel und Veltrup 2003, S. 118).

Beispiel:

Klient.: „Ich habe mich fahrtüchtig gefühlt und von den dann gemessenen über zwei Promille fast nichts gemerkt. Ich konnte schon immer viel trinken, ohne eigentlich betrunken zu sein.“

Berater: „Sie vertragen viel Alkohol, ohne dass Sie besondere Schwierigkeiten damit haben“ (und nicht: „Ab zwei Promille und noch in der Lage, ein Auto zu erkennen, geschweige denn zu fahren – da besteht eine eindeutige Alkoholabhängigkeit“).

Klient: „Naja, als ‚keine besonderen Schwierigkeiten’ kann ich den Führerscheinentzug nun ja auch nicht sehen...“

Aktives oder auch reflektierendes Zuhören stellt die methodische Umsetzung des Prinzips „Empathie ausdrücken“ dar.

2.2 Diskrepanzen entwickeln

Motivation zur Veränderung liegt vor, wenn Menschen eine Diskrepanz zwischen dem gegenwärtigen Zustand und ihren wichtigen persönlichen Zielen und Werten wahrnehmen. Eine Entscheidung in Richtung Veränderung fällt erst, wenn die Kosten (Nachteile) des gegenwärtigen Verhaltens den Nutzen (Vorteile) übersteigen bzw. die Vorteile (Ziele, Werte) einer Veränderung aus innerer Überzeugung heraus wichtiger werden.

Im Stadium der Absichtslosigkeit im Veränderungsprozess ist es meistens notwendig, solche Diskrepanzen zunächst zu entwickeln, also ins Gespräch und damit ins Bewusstsein zu bringen. Später werden diese verstärkt, bis sie möglichst in Richtung Veränderung aufgelöst werden. Hier kommt deutlich der auch direktive Anteil der „Motivierenden Gesprächsführung“ zum Ausdruck. Ausführlich werden die Sichtweisen des Klienten des Für und Wider des gegenwärtigen Verhaltens exploriert und vom Klienten gewichtet. Dadurch soll dem Klienten ermöglicht werden, von sich aus gute Gründe für eine Veränderung auszusprechen und sich nicht dazu gedrängt zu fühlen (vgl. Miller und Rollnick 2004, S. 60).

Diese selbst vom Klienten formulierten Änderungsäußerungen („change talk“) treten in vier Varianten auf:

- Der Klient spricht über die Nachteile des Status Quo, z. B.: „Ich mache mir Gedanken, ob ich meine Arbeit behalten kann, wenn ich so weiter trinke wie bisher“. Hierin drückt sich Erkenntnis, Problembewusstsein und Besorgnis aus.
- Der Klient spricht über die Vorteile einer Veränderung, z. B.: „Ich könnte meine Familie wieder besuchen, das möchte ich so gern“. Hier wird ein sehr persönlicher Wert, ein wichtiges Motiv in Richtung Veränderung ausgesprochen.
- Der Klient drückt Zuversicht in Bezug auf eine Verhaltensänderung aus, z. B.: „Ich kann das schaffen“.
- Der Klient begründet einen Änderungsvorsatz, z. B.: „Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, das Geld für Wichtigeres auszugeben als für das Spielen“ (vgl. Miller und Rollnick 2004, S. 114 ff.)

Änderungssequenzen bzw. „change talk“ spiegeln die Bewegung des Klienten in Richtung Veränderung, während Widerstandsverhalten ein Entfernen von der Veränderung anzeigt (vgl. Miller und Rollnick 2004, S. 72).

Das Erkennen sowohl von Änderungs- als auch von Widerstandssequenzen und das spezifische Reagieren darauf sind erforderliche wesentliche Fähigkeiten von Beratern/Therapeuten in der „Motivierenden Gesprächsführung“. Zur praktischen Umsetzung im Gespräch werden verschiedene Varianten offener Fragen und spezielle Methoden eingesetzt (vgl. ebd., S. 140 ff.).

2.3 Widerstand umlenken

Widerstand und Widerstandsverhalten wird häufig allein mit dem Begriff Widerstand beschrieben. In diesem Punkt soll der Begriff Widerstandsverhalten einen Unterschied verdeutlichen, auch wenn Miller und Rollnick (vgl. 2004, S. 139 f.) vorwiegend von „Widerstand“ sprechen. Widerstandsverhalten ist hier gemeint als beobachtbares Klientenverhalten in Form von sprachlichen Widerstandssequenzen, also dem Argumentieren des Klienten gegen Veränderung. Widerstand ist wie oben ausgeführt wertfrei als Teil der Ambivalenz zu verstehen. Miller und Rollnick unterscheidet vier Kategorien von Widerstandsverhalten:

- Argumentieren: Der Klient stellt die Kompetenz des Beraters/Therapeuten in Frage; z. B.: „Sie waren doch höchstens mal betrunken. Was wissen Sie denn schon über ‚Teile’?“

- Unterbrechen: Der Klient schneidet dem Berater/Therapeuten das Wort ab; z. B.: „Ach hören Sie doch auf, das weiß ich doch selbst.“

- Negieren: Der Klient macht andere für sein Verhalten verantwortlich, leugnet oder bagatellisiert eigene Probleme, zeigt Unwilligkeit irgendetwas zu verändern und/oder zeigt eine pessimistische, negativistische Haltung; z. B.: Ich habe nun wirklich kein Problem, ich bin nur das eine Mal unter Alkohol Auto gefahren und da ging das auch nicht anders. Und nun bin ich wegen der blöden Kontrolle nicht nur meinen Führerschein, sondern auch noch meinen Job los...“

- Ignorieren: Der Klient zeigt, dass er nicht zuhört, antwortet nicht oder wechselt das Thema weg vom ursprünglichen Gesprächsverlauf; z. B.: „Immer nur Alkohol, Alkohol, fragen Sie mich doch mal was anderes, nach meinem Hobby oder so“ (vgl. Miller und Rollnick 2004, S. 73 f.).

Sprachliche Widerstandssequenzen bedeuten eine Bewegung weg von einer möglichen Veränderung. Im Gesprächsablauf markieren sie für den Berater/Therapeuten Stoppzeichen und ein Reflektieren der vorhergehenden Interventionen. Ein häufiger Grund für (verstärktes) Widerstandsverhalten sind unangepasste Verhaltensweisen, wie z.B.: Überreden wollen, Experten herauskehren, kritisieren, beschämen, beschuldigen, etikettieren oder keine Zeit haben. Es erfordert eine hohe Kompetenz, das eigene Vorgehen zu überdenken und das Gespräch wieder in Richtung Änderungssequenzen zu führen, den Widerstand also umzulenken und nicht weiter gegen zu halten (vgl. ebd., S. 77). Umsetzbar wird dies mit folgenden Methoden:

- Varianten des aktiven Zuhörens (einfaches Widerspiegeln, überzogenes Widerspiegeln, Widerspiegeln der Ambivalenz)
- Verschieben des Fokus
- Umdeuten
- Zustimmung mit einer Wendung
- Herausstellen der persönlichen Wahlfreiheit
- Konform gehen mit der Position des Klienten (vgl. ebd., S. 141 ff.).

[...]


[1] Spätestens hier wird deutlich, dass der frühere Begriff der „Suchtkrankenhilfe“ nicht mehr die Vielfalt der Leistungen des Suchthilfesystems beschreibt. Seit 2005 beschreibt der Begriff „Suchthilfe“ das differenzierte Hilfesystem (vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2005).

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Prinzipien, Methoden und Ablauf der motivierenden Gesprächsführung
Université
University of Applied Sciences Neubrandenburg
Note
1,3
Auteur
Année
2007
Pages
26
N° de catalogue
V283091
ISBN (ebook)
9783656821991
ISBN (Livre)
9783668139862
Taille d'un fichier
494 KB
Langue
allemand
Mots clés
prinzipien, methoden, ablauf, gesprächsführung
Citation du texte
Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. Isa Rahn (Auteur), 2007, Prinzipien, Methoden und Ablauf der motivierenden Gesprächsführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283091

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