Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung:
2. Lage Deutschlands in der Nachkriegszeit:
3. Sicherheitspolitische Situation in Deutschland vor dem Koreakrieg:
4. Der Koreakrieg:
4.1. Relevanz für Deutschland als nicht aktiven Teilnehmer:
5. Folgen des Koreakrieges:
5.1. Auf die sicherheitspolitische Entwicklung, die Wiederbewaffnung und den Weg in die NATO:
5.2. Auf die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands:
5.2.1. War das „Wirtschaftswunder“ ein Wunder?
6. Fazit:
7. Quellen- und Literaturverzeichnis:
1. Einleitung:
Der Koreakrieg war für die westliche Welt die erste kriegerische Auseinandersetzung seit dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, was ihn zu einem einschneidenden Erlebnis für alle Nationen machte. Dieses Ereignis veränderte das deutsche, europäische und globale Denken völlig, versetzte die Welt in eine Art Schockstarre und zog dementsprechend einschneidende politische, militärische und wirtschaftliche Folgen nach sich.
Der Krieg, welcher im Juni 1950 durch eine Invasion des unter sowjetischer und chinesischer Unterstützung agierenden kommunistischen Nordkoreas auf das von den USA und später auch der NATO unterstützten Südkorea begann, war genau wie der fast fünf Jahre dauernde Weg dorthin geprägt von der beginnenden Auseinandersetzung der beiden Supermächte USA und der Sowjetunion, welche in dem über vierzig Jahre andauernden Kalten Krieg münden sollte.
Auch wenn er heute ein vor allem in Europa weitestgehend vergessener Krieg ist, blickte man gerade in Deutschland gespannt auf das Geschehen im weit entfernten Korea, da sich auch auf deutschem Gebiet die beiden Supermächte Auge in Auge gegenüberstanden. Die Analogien zwischen beiden Ländern führten dazu, dass Korea einen Modellcharakter für Westdeutschland besaß und der Kriegsausbruch im Fernen Osten dementsprechend dezidierte Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland hatte.
Dieser Arbeit wird die Leitfrage „Warum hatte der Koreakrieg, an welchem die neugegründete Bundesrepublik Deutschland nicht aktiv teilnahm, einen so bedeutenden Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung, die Wiederbewaffnung und den Weg in die NATO?“ vorangestellt. Für die Beantwortung der Frage wird zum einen die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Koreakrieg in Bezug gesetzt zu den Voraussetzungen, aus denen sie erwuchs. Zum anderen wird die sicherheitspolitische Situation in Westdeutschland von 1945 bis Mitte 1950 beschrieben und anhand dieser der Weg skizziert, welchen Westdeutschland nach dem Kriegsausbruch einschlug, um die Westintegration und die Wiederbewaffnung voranzutreiben.
Die beiden Thesen, welche ich dieser Arbeit zugrunde lege, lauten: „Der Koreakrieg war eher Katalysator als Vater der deutschen Wiederbewaffnung“[1] und „Der Koreakrieg war der wichtigste Auslöser für den enormen wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik Deutschland bis in die 1970er Jahre hinein“. Das Ziel der Arbeit ist es, den außerordentlichen Einfluss des Koreakrieges auf das politische, militärische und wirtschaftliche Westdeutschland der Nachkriegszeit zu skizzieren.
2. Lage Deutschlands in der Nachkriegszeit:
Die Aufarbeitung des historischen Kontextes der Lage Deutschlands in der Nachkriegszeit hat den Zweck, die Rahmenbedingungen und Spielräume darzulegen, die das besiegte Land nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges prägten und zudem aufzuzeigen, auf welchen Voraussetzungen der spätere wirtschaftliche Erfolg sowie die Westintegration fußt.
Nach der vollständigen Kapitulation und der daraus resultierenden Kriegsniederlage im Mai 1945 stand Deutschland vor den Trümmern des verlorenen Krieges, der große Teile des Landes vollständig zerstört hatte und Millionen von Opfern forderte. Erschwerend hinzu kam die Aufteilung des Landes in Besatzungszonen der Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion, welche zudem Reparationszahlungen – auch durch Demontagen – von den Deutschen forderten. Nach dem Ende des Krieges bestand also die Aufgabe darin, die Lage der demoralisierten und traumatisierten Bevölkerung zu verbessern, die Wirtschaft anzukurbeln, das Transportwesen wieder aufzubauen und sich von den Zerstörungen des Krieges zu befreien.
In den Jahren 1945 bis 1948 wurden in allen vier Besatzungszonen die Grundlagen für wichtige wirtschaftliche Entscheidungen gelegt, welche die nun folgende Zeit der Rekonstruktion bedingten.[2] Die am 20. Juni 1948 auf Druck der Alliierten durchgeführte Währungsreform markierte den ersten Schritt einer neuen deutschen Wirtschaftspolitik. Diese war notwendig geworden, da der seit dem Krieg immer weiter wachsende Geldüberhang zum Wertverlust der immer noch aktiven Reichsmark führte, woraus eine Flucht der Menschen in die Sachwerte resultierte. Durch die schlechte Versorgungslage, die kurz nach dem Krieg herrschte, waren Alltagswaren kaum in öffentlichen Geschäften erhältlich und Lebensmittel wurden gegen Lebensmittelmarken eingetauscht.
Dadurch blühte der Schwarzmarkt, auf welchem alles zum Tausch angeboten wurde. Die Reichsmark bekam, da amerikanische Zigaretten die stabilste Währung darstellten, den spöttischen Beinamen einer Zigarettenwährung[3]. Aufgrund dieser Geldentwicklung war es notwendig, die Währungsreform durchzuführen, wodurch die Geldmenge drastisch reduziert wurde und mit der Deutschen Mark wieder eine vertrauenswürdige Geldform eingeführt wurde. Ziel der Währungsreform war es, kurzfristig den Geldüberhang zu beseitigen und daraufhin eine langfristige, stabile und funktionierende Marktwirtschaft aufzubauen[4]. Die Folgen waren, dass jeder Westbürger ein Kopfgeld von 40 DM erhielt (einen Monat später wurden noch einmal 20 DM in bar ausgezahlt), wodurch die Konjunktur direkt angekurbelt werden sollte.[5] Durch das Ende der Preisbindungen waren die Läden wieder mit Waren bestückt, weil die Händler durch die freie Preispolitik und durch die vertrauenswürdige neue Währung wieder ermutigt wurden, ihre Waren zum Kauf anzubieten. Nach einem drastischen Anstieg des Preisniveaus in Folge der Währungsreform bis Dezember 1948 konnte dieser Anfang 1949 durch eine restriktive Kreditpolitik der Zentralbank unterbunden werden.[6]
Eine direkte Folge der Währungsreform in den Westzonen war die Berlin-Blockade, in welcher die Sowjetunion durch eine Blockade West-Berlins ab Juni 1948 versuchte, die Teilung der Stadt und die Abspaltung ihrer Besatzungszone voranzutreiben. Es waren schließlich die Amerikaner, welche die West-Berliner Bevölkerung bis zum Ende der Blockade im Mai 1949 über eine Luftbrücke vor allem mit Lebensmitteln und Heizmaterial versorgten. Diese Unterstützung verhalf den Amerikanern zu einer großen Popularität in der Bevölkerung, auf welcher die spätere intensive Zusammenarbeit fußt. Der Konflikt zwischen der Sowjetunion und den Alliierten unter amerikanischer Führung trieb die Teilung der drei Westzonen und der sowjetischen Ostzone schnell voran und war einer der ersten Höhepunkte in den Zeiten des beginnenden Kalten Krieges.
Nach der Währungsreform verlief die finanzielle Entwicklung jedoch nicht in die gewünschte Richtung. Grund für diesen Negativtrend war vor allem der verzögerte Start und der enttäuschende Umfang der Marshall-Plan Lieferungen.[7] Der Marshall-Plan, oder auch European Recovery Program (ERP), bezeichnete ein amerikanisches Aufbauprogramm für die westeuropäische Wirtschaft und umfasste Kredite, Rohstoffe, Waren und Lebensmittel. Benannt wurde das Programm nach dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall, der es initiierte. Die Amerikaner brachten den Plan nicht ohne Eigennutz auf den Weg, denn sie suchten neben der Unterstützung der europäischen Bevölkerung vor allem die Eindämmung der Sowjetunion durch ein gestärktes Westeuropa (ein Aspekt der in der nahen Zukunft nach dem Ausbruch des Koreakrieges besonders wichtig für die Bundesrepublik werden sollte) und einen Absatzmarkt für ihre Güter.[8]
Ludwig Erhard ging davon aus, dass er „die gesamte Kapitalbildung aus dem Marshall-Plan finanzieren und das westdeutsche Sozialprodukt praktisch vollständig für den Konsum verwenden [könne]“[9]. Ziel des Marshall-Plans war aus deutscher Sicht aber neben dem finanziellen Einfluss auch die Ausübung eines politischen Einflusses um in den Monaten nach der Währungsreform zum „Gelingen des reformliberalen Experiments“[10] beizutragen. Dementsprechend war der politische Gewinn aus der Teilnahme der Bizone am Marshall-Plan im Jahre 1948 größer als der wirtschaftliche, sodass eine reine Reduzierung auf die wirtschaftlichen Ergebnisse dem Ganzen also nicht gerecht werden würde.
Anders als von Bevölkerung und Politikern erwartet, spielte der Marshall-Plan zunächst keine Rolle für den westdeutschen Wiederaufbau. Der vorerst verzögerte wirtschaftliche Aufschwung nach der Währungsreform hängt sicherlich auch mit den überzogenen, fast schon utopischen Erwartungen der verantwortlichen Politiker an den Marshall-Plan zusammen.[11] Des Weiteren behinderten praktische Probleme im zweiten Halbjahr 1948 den Marshall-Plan. Noch im September war weit mehr als die Hälfte der Waren „im Stadium der Vorbereitung“[12] und bis zum Ende des Jahres waren lediglich 27% der bis dahin zugesagten Hilfe auch angekommen.[13] Es war also größtenteils die schwerfällige Bürokratie, welche schnellere Hilfe verhinderte.[14] Erkennbar war zu dieser Zeit außerdem ein Konflikt zwischen ECA (Marshall-Plan-Verwaltung) und der OMGUS (amerikanische Militärregierung) über den Stellenwert des westdeutschen Wiederaufbaus und seiner wirtschaftlichen Gesundung, speziell natürlich für die Vereinigten Staaten von Amerika. Die amerikanische Militärregierung wollte durch den Marshall-Plan keine Lebensmittel oder Luxusgüter wie Tabak nach Westdeutschland einführen, sondern vor allem Waren, die den industriellen Wiederaufbau Westdeutschlands beschleunigen sollten.[15]
Die ECA erkannte den Stellenwert des deutschen Wiederaufbaus für die Stabilisierung Westeuropas zwar an, leitete aus ihm aber eine Verpflichtung der Bizone ab, ebenfalls etwas an der wirtschaftlichen Gesundung mitzuwirken. Die Spannungen waren so deutlich zu spüren, dass der Direktor der ECA nicht nur einen Vorschlag der OMGUS ablehnte, die Forderungen aus dem Marshall-Plan zu erhöhen, er wollte die Forderungen sogar von 437 Millionen auf 364 Millionen US-Dollar kürzen. Schließlich einigte man sich auf eine Förderungssumme in Höhe von 414 Millionen US-Dollar.[16]
Aber es zeigten sich nicht nur die Amerikaner unzufrieden mit dem Umfang der bisherigen Marshall-Plan-Lieferungen, sondern auch die konservativen und liberalen Parteien des Regierungslagers waren enttäuscht, gerade gemessen an den Erwartungen, wie sie zum Beispiel Erhard hatte[17]. Die Opposition um die Kommunisten fand noch deutlichere Worte und sprach von einer „Versklavung Westeuropas“[18]. Die Experten der SPD kritisierten besonders die Nachteile wie Osthandel und Kohlezwangsexporte, welche aus ihrer Einschätzung die Vorteile überschatteten. Die Kritik der SPD am Marshall-Plan ist allerdings nicht einzig wirtschaftspolitisch zu betrachten, ihr Fokus liegt vor allem auf der Deutschlandpolitik. Für die SPD stand, im Gegensatz zu der Sicht des späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer, die deutsche Einheit vor der Westintegration. Dementsprechend reagierte die SPD sehr kritisch auf den Marshall-Plan, welcher die Voraussetzungen für den Zusammenschluss der drei Westzonen zur Bundesrepublik Deutschland schuf und damit die Eingliederung der sowjetischen Besatzungszone (und somit einen gesamtdeutschen Staat) außen vor ließ, auch wenn sich dadurch eine Entlastung von den Reparationszahlungen ergab.[19] Frankreich begann zu diesem Zeitpunkt seine Rolle als Pessimist, eher als Kritiker einer deutschen Westintegration aufzunehmen, da es ein wiedererstarktes Deutschland aufgrund der konfliktträchtigen Geschichte beider Länder fürchtete. Da die Franzosen für die Vereinigten Staaten von Amerika aber als Partner ihrer europäischen Stabilitätspolitik unverzichtbar waren, neigten sie gegenüber Frankreich zum Nachgeben in deutschlandpolitischen Fragen. Gerade in der Frage der Reparationszahlungen, welche die deutsche Wirtschaft schwächten, lagen beide Länder im Zwist, da die Amerikaner eine Stärkung der westdeutschen Wirtschaft wünschten. Das Ziel der USA war es auch, durch den Marshall-Plan die europäischen Forderungen nach versteckten Reparationszahlungen[20] (gemeint sind zum Beispiel Zwangsexporte oder die Aneignung deutscher Kenntnisse im technischen oder wissenschaftlichen Bereich) von der Bundesrepublik zu unterbinden, was der Wirtschaft natürlich sehr entgegengekommen wäre. Um Frankreich in diesem Punkt zu besänftigen, flossen bis zum Ende des Marshall-Plan-Programms insgesamt über drei Milliarden US-Dollar in Richtung Paris.[21] Das amerikanische Interesse lag auf der Hand: man wollte die Franzosen dazu bringen, sich wirtschaftlich in Deutschland zu engagieren und so eine gemeinsame Trizone bilden.
Als die Lieferungen aus dem Marshall-Plan dann Ende 1948/Anfang 1949 endlich begannen, gab es weitere Probleme. Die eingeführten Rohstoffe waren oft zu teuer und entsprachen zudem nicht den Anforderungen der Industrie. Außerdem erreichten die Lieferungen Deutschland zu einem Zeitpunkt der Flaute auf dem Binnenmarkt. Das Wachstum halbierte sich und die Arbeitslosigkeit stieg.[22] Weiterhin gab es bürokratische Probleme bei der Vermittlung der Waren, was vor allem mit dem bereits angesprochenen Konflikt zwischen OMGUS und ECA zusammenhing. In der französischen Zone zum Beispiel gab es Beschaffungsengpässe, in der Bizone Absatzprobleme. Die Lebensmittellieferungen allerdings waren immens wichtig, gerade für die Zivilbevölkerung während der Berlin-Blockade.
Am 23. Mai 1949 gründete sich schließlich die Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der drei Westzonen. Die deutsche Spaltung war vorerst vollzogen. Bei der Wahl zum ersten deutschen Bundestag wurde Konrad Adenauer erster Bundeskanzler und Ludwig Erhard, der mit seiner Politik das Konzept der sozialen Marktwirtschaft verfolgte, wurde Wirtschaftsminister. Auch nach der Staatsgründung stand es im Vordergrund, die negativen Entwicklungen in der Wirtschaft (steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfendes Wachstum) mit zahlreichen Konjunkturpaketen, Investitionen und Lohnkostensenkungen aufzuhalten, was allerdings zunächst misslang.[23] Die Arbeitslosigkeit stieg weiter an und erreichte zu Beginn des Jahres 1950 ihren Höchststand von etwa 12% (das bedeutete zwei Millionen Erwerbslose)[24]. Vor allem gestaltete es sich schwierig, die zahlreichen Kriegsrückkehrer und Ostflüchtlinge in die Arbeitswelt zu integrieren. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, insbesondere mit Blick auf die eigene deutsche Geschichte der Weimarer Republik, die Gefahr, die von Massenarbeitslosigkeit auf die Etablierung der Demokratie ausgehen kann. Aufgrund dessen musste Wirtschaftsminister Erhard unter dem Druck der Hohen Kommission und der parlamentarischen Opposition gegen seinen Willen ein Arbeitsbeschaffungsprogramm einführen. Dieses erweiterte Investitionsprogramm hatte eine Größe von mächtigen 5,4 Milliarden DM, welche jedoch nicht alleinig für den Zweck der Arbeitsbeschaffung verwendet wurden.[25]
Erkennbar ist, dass die westdeutsche Wirtschaft in den ersten beiden Jahren nach der Währungsreform trotz der Marshall-Plan-Hilfen noch nicht die wirtschaftliche Entwicklung einschlug, die man sich erhofft hatte. So lässt sich festhalten, dass der Marshall-Plan eindeutig der Weststaatsgründung den Weg bereitete, da er die Westzonen (USA, Großbritannien und Frankreich) wirtschaftlich einte und zusätzlich die Wirtschaft ankurbelte, indem Westdeutschland von der Zahlung der Reparationen entlastet wurde. Weiterhin forcierte er die europäische Zusammenarbeit und legte so den Grundstein für die spätere Westintegration der Bundesrepublik.[26] Die Marshall-Plan-Lieferungen an sich aber hatten kaum eine Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung bis zum Kriegsausbruch in Korea, da sie Deutschland schlichtweg zu spät erreichten. Die Hilfen der US-Amerikaner aus GARIOA (Government and Relief in Occupied Areas) und dem Marshall-Plan betrugen bis Ende 1952 circa 3,2 Milliarden US-Dollar.[27]
Es dauerte bis zum Juni 1950, als der Ausbruch des Krieges in Korea einen völlig überraschenden Einfluss auf die europäische und insbesondere auf die westdeutsche Wirtschaft und Politik ausübte.
3. Sicherheitspolitische Situation in Deutschland vor dem Koreakrieg:
In diesem Gliederungspunkt soll die Frage im Fokus stehen, welche Sicherheitspolitik die Bundesrepublik Deutschland bis zum Ausbruch des Koreakrieges verfolgte, welches übergeordnete Ziel sie dabei vor Augen hatte und vor allem, was sicherheitspolitisch für das unter Besatzung stehende Land in diesem Aspekt überhaupt möglich war.
Im Grundsätzlichen ist anzumerken, dass die im Zuge dieser Arbeit des Öfteren verwendeten Begriffe Wiederbewaffnung und Remilitarisierung missverständlich aufgefasst werden können. Daher folgt an dieser Stelle die kurze Erläuterung, dass damit ein Beitrag der komplett waffenlosen Bundesrepublik Deutschland zu der gemeinsamen Verteidigung Westeuropas gemeint war und nicht die Aufstellung eigenständiger deutscher Divisionen ohne eine internationale Kontrollinstanz.[28]
Konstatiert werden muss, dass offizielle Sicherheitspolitik in Westdeutschland de jure erst nach der Staatsgründung betrieben werden konnte. Bis dahin war Deutschland vor allem Mittelpunkt der sicherheitspolitischen Bemühungen der Besatzungsmächte. Eigenständige Vorstöße in puncto Wiederbewaffnung oder eigener Sicherheitspolitik wurden mit heftigen Reaktionen seitens der Westalliierten bedacht, welche die komplette Kontrolle über Westdeutschland, insbesondere auf diesem Gebiet behalten wollten.[29] Sicherheitspolitik impliziert in diesem Fall aber auch das Bestreben nach politischer Souveränität.[30]
In der Zeit vor der deutschen Staatsgründung im Mai 1949 war die internationale politische Situation durch den Konflikt in Korea sehr angespannt. Auf dem Gebiet des bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges von den Japanern besetzten Korea ereignete sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Auftakt zur lange andauernden Zeit des Kalten Krieges. Die Blockbildung in Ost und West, die Möglichkeit eines Angriffs (von beiden Seiten), sowie die Gefahr eines atomaren Krieges hatte vor allem große Auswirkungen auf Deutschland, welches ebenfalls von den beiden Supermächten USA und der Sowjetunion fremdregiert wurde. Dieser Aspekt der Auswirkungen des Kalten Krieges und des Koreakonflikts auf Westdeutschland wird im Verlauf dieser Arbeit noch detailliert aufgearbeitet[31]. Auch noch zu dieser Zeit, dem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges, war es für Deutschland politisch nicht angebracht, den Aspekt der Wiederbewaffnung in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Ein Vorwurf des „Militarismus“[32] wäre für die Deutschen nur schwer zu ertragen gewesen.
Nachdem knapp vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 23. Mai 1949 das neue Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft trat, hatte sich zwar ein neuer Staat gebildet, aufgrund des Besatzungsstatuts der Siegermächte und der bis dahin nicht zugestandenen Souveränität waren mit dieser Staatsgründung aber nicht die vollständigen Rechte in der Sicherheits- oder Außenpolitik verbunden, wie wir sie heute kennen und schätzen. Die Bewegungsfreiheit und Handlungsfähigkeit des neuen Staates war also zu Beginn stark eingeschränkt.[33] Die Alliierten entschieden nämlich immer noch über eine westdeutsche Wiederbewaffnung[34] und sie lehnten diese zu diesem Zeitpunkt ähnlich wie die deutsche Bevölkerung, in der das Thema kontrovers diskutiert wurde, zunächst noch ab. Allerdings gab es nach der Staatsgründung vor allem in der Presse ein Umdenken, welches die Gefahr einer kommunistischen Invasion in den Vordergrund stellte.[35] Die neue Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer hielt sich an die Beschlüsse des Petersberger Abkommens, welches zwischen der westdeutschen Bundesregierung und den Alliierten Hohen Kommissaren am 22. November 1949 geschlossen wurde und in welchem die Bundesrepublik unter Artikel 3
„ihre ernste Entschlossenheit [bekundet], die Entmilitarisierung des Bundesgebietes aufrecht zu erhalten und mit allen Mitteln, die in ihrer Macht stehen, zu bestreben, dass die Wiederaufstellung bewaffneter Streitkräfte jeder Art verhütet wird. Zu diesem Zwecke wird die Bundesregierung ganz mit der Hochkommission bei den Arbeiten des militärischen Sicherheitsamtes zusammenarbeiten.“[36]
Im Petersberger Abkommen wurden auch andere wichtige Übereinkommen geschlossen, die die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der nächsten Jahre zentral prägten. So einigte man sich darauf, dass man erstens die Beteiligung Deutschlands an internationalen Organisationen herbeiführen möchte, zweitens eine Aufnahme als assoziiertes Mitglied in den Europarat vorantreiben wollte und das drittens ein bilaterales Abkommen zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik über die Marshall-Plan-Hilfen unterzeichnet werden sollte.[37] Weiterhin wurde vereinbart, dass Westdeutschland eine stufenweise Wiedereinrichtung von Konsular- und Handelsbeziehungen in die Wege leiten durfte. Außerdem bekräftige die Bundesrepublik ihren Entschluss, „vorbehaltlos die Grundsätze der Freiheit und Toleranz und der Menschlichkeit zu befolgen“ sowie alle Spuren des Nazismus auszurotten.[38] Durch dieses Abkommen machte die Bundesrepublik ein halbes Jahr nach ihrer Gründung einen großen Schritt in Richtung Westintegration und Etablierung als gleichwertiger Staat.
Ziel der Regierung des ersten deutschen Kanzlers Adenauer war es, der Bundesrepublik Deutschland politische Gleichberechtigung zu verschaffen und zugleich die äußere Sicherheit zu erlangen.[39] Die anfängliche Sicherheitspolitik nach der Staatsgründung zeichnete sich dadurch aus, dass Adenauer der Meinung war, diese beiden Ziele seien vor allem durch eine intensive Westintegration zu erreichen. Höfner formuliert dazu: „Nur wenn es gelang, Westdeutschland fest in eine europäische oder europäisch-atlantische Allianz einzubinden, konnte auf einen wirksamen Schutz für Westdeutschland und Westeuropa gehofft werden“.[40] Man favorisierte eine stufenweise Entwicklung der Sicherheitspolitik, welche Höfner folgendermaßen beschreibt: An erster Stelle stand ein Sicherheitsbedürfnis als Antrieb für Überlegungen zu einem westdeutschen Sicherheitsdenken. Über dieses Sicherheitsdenken hinausgehend, aber immer noch als Vorstufe der Sicherheitspolitik zu verstehen waren sogenannte Sicherheitsplanungen (Überlegungen von militärischen Experten, welche bereits konkrete militärische und militärpolitische Maßnahmen beinhalteten). Die Umsetzung dieser Überlegungen der Sicherheitsplanungen ist dann als Sicherheitspolitik zu verstehen, wobei auch Überlagerungen der jeweiligen Stufen festzustellen waren.[41]
Konrad Adenauer gab bereits seit Juli 1945 zu Protokoll, dass die Sowjetunion einen „eisernen Vorhang“[42] hinabgelassen hätte und sobald die bolschewistische Gefahr in Zukunft bedrohlich werden würde, „[gelte es] alle politischen Energien ausschließlich auf die Sicherung Westdeutschlands zu konzentrieren, auch wenn damit die de facto-Teilung zementiert werden würde“[43], wobei Adenauer damit in Sachen innerdeutsche Teilung so kurz nach dem Krieg verblüffenden Weitblick zeigte. Für ihn stand die Westintegration, im Gegensatz zu vielen politischen Gegnern (insbesondere die der SPD) in den kommenden Jahren nicht im Widerspruch zu der Forderung nach einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten. Adenauer war der Überzeugung, dass ein wiedervereinigtes, fest im westlichen Bündnis verankertes Deutschland für die Westmächte und auch für die Sowjetunion eher zu akzeptieren sei, als ein unabhängiges Deutschland.[44] Den anderen, ebenfalls im Jahre 1949 gegründeten Teilstaat, die DDR, wollte die Regierung unter Adenauer aufgrund des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik für das ganze deutsche Volk außenpolitisch isolieren. Mit der sogenannten Hallstein-Doktrin, welche dritten Staaten die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der DDR untersagte, da ansonsten die Bundesrepublik mit dem Abbruch, beziehungsweise der Nicht-Aufnahme diplomatischer Beziehungen reagieren würde, wurde dieser Versuch der Isolation ab 1955 in die Tat umgesetzt.[45] Diese Politik setzte sich gerade in den Kreisen der CDU noch lange, zu lange fort, so das selbst Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger Ende der 1960er Jahre die DDR nicht als einen Staat, sondern als ein Phänomen oder Gebilde[46] bezeichnete. So war es zu großen Teilen diese Politik, die die Aussichten auf eine Wiedervereinigung maßgeblich behinderte und auf sehr lange Zeit unmöglich machte.
Eine Debatte über eine westdeutsche Wiederaufrüstung gab es allerdings auch schon zu Zeiten vor dem Kriegsausbruch in Korea. Eine Diskussion über Form, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer westdeutschen Wiederbewaffnung und über Sicherheitsfragen im Allgemeinen wurde bereits seit 1947 geführt[47] und hatte ihre Befürworter vor allem in den Militärs von USA und Großbritannien. Die Gründung der NATO im April 1949 aber schuf eine gemeinsame Militärpolitik des Westens, durch welche eine Militarisierung Deutschlands nicht mehr notwendig erschien, da die NATO-Strategie der atomaren Vergeltung „regional begrenzte Kriege konventioneller Art“[48] nicht einbezog und daher glaubte, auf „konventionelle Stärke verzichten zu können“[49]. Einen totalen game changer gab es dann aber durch die erste erfolgreiche Zündung einer sowjetischen Atomrakete im Herbst 1949, welche die atomare Abschreckung seitens der USA aufhob und die Kräfteverhältnisse zugunsten der Sowjetunion in Richtung eines Patts verschob.[50] Die konventionelle Rüstung rückte dementsprechend wieder in den Vordergrund, was sich gerade auf dem Gebiet Koreas in sehr naher Zukunft durch den Kriegsausbruch zeigen sollte, welcher die Überlegungen zu einer Aufrüstung Westdeutschlands maßgeblich beeinflusste.
Im Juni 1950 (vor dem Kriegsausbruch in Korea) offerierte der Bundeskanzler den Alliierten ein Angebot über die Aufstellung einer deutschen Legion auf französischem Boden zur Sicherung Westeuropas, was die Besatzungsmächte allerdings ablehnten. Deutlich wird hier in welchem Stadium sich die deutsche Sicherheitspolitik bis zum Kriegsausbruch in Korea bewegte und dass die Alliierten noch nicht bereit waren, den Deutschen irgendwelche Zugeständnisse zu machen.
Diese nicht vorhandene eigenständige Sicherheitspolitik, sondern das angewiesen sein auf die alliierten Partner Anfang der 1950er Jahre schürte nach dem Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 vor allem in konservativen Kreisen die Debatte um die Wiederaufrüstung. Legitimiert wurde die Notwendigkeit, oder Unvermeidlichkeit der westdeutschen Wiederbewaffnung mit dem Schreckgespenst einer Invasion aus dem Osten, genauer von der Sowjetunion.[51] Ob diese Angst begründet war, und warum sie in Westdeutschland vorhanden war, wird noch genauer thematisiert.
4. Der Koreakrieg:
Der Koreakrieg, welcher am 25. Juni 1950 ausbrach, hatte seine Ursachen in der Neuordnung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach diesem gab es jahrelange Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA über eine rasche Wiedervereinigung des bis 1945 von den Japanern fremdbesetzten Landes. Schon schnell wurde deutlich, dass das seit dem 7. September 1945 in eine sowjetisch kontrollierte Nordhälfte und eine amerikanisch kontrollierte Südhälfte geteilte Korea in den Streit der beiden Supermächte über die Etablierung einer neuen Weltordnung geraten war. Es handelte sich hierbei bereits in der Formierungsphase des Kalten Krieges um die globale Sicherung von Räumen.[52]
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in welchem die Koreaner unfassbaren Gräueltaten der Japaner ausgesetzt waren (rund vier Millionen Koreaner wurden als Arbeitssklaven missbraucht[53] ) hofften diese nach dem Ende des Krieges und der Niederlage der japanischen Armee auf eine Befreiung ihres Landes, was ihnen auf der Konferenz in Kairo im Jahre 1943 von den Alliierten auch erstmals zugesagt wurde. „Zu gegebener Zeit“, lauteten die Aussagen von Roosevelt, Churchill und Chiang Kai-shek in Bezug auf ein unabhängiges Korea.[54] Auf den nächsten Konferenzen in Jalta und Potsdam war davon allerdings keine Rede mehr. Roosevelt sprach von einer Treuhänderschaft über mindestens zwanzig bis dreißig Jahre, bis man Korea in die Unabhängigkeit entlassen könne.[55] Als Demarkationslinie entschied man sich nach einem Blick auf den Globus für den 38. Breitengrad, da weder die zuständigen Amerikaner noch die Sowjets Vorbereitungen für eine etwaige Grenzziehung getroffen hatten. Korea war nun ein geteiltes Land. Die Wahl der Demarkationslinie als einen Breitengrad verdeutlicht den Pragmatismus und das Desinteresse an einer zufriedenstellenden Einigung für das Land im fernen Osten. Diese Haltung setzte sich auch bei der Wahl des Generals der Besatzungstruppen fort, als General Douglas MacArthur (Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Japan und Korea) General John Hodge ernannte, weil dessen Verbände gerade verfügbar waren.[56] General Hodge bemühte sich, Ruhe ins Land zu bringen, was sich allerdings als äußerst schwer herausstellte, da es sich innenpolitisch zunehmend radikalisierte. In Korea waren nach der Auflösung der japanischen Herrschaft im ganzen Land „Revolutions-“ und „Wiederaufbau-Komitees“ entstanden, welche unterschiedliche radikale Interessensgruppen darstellten.[57] Bei den Generälen MacArthur und Hodge festigte sich der Eindruck, dass Korea zwar militärisch für die amerikanischen Interessen nicht vorrangig und entscheidend war, sehr wohl aber für die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, da man die westliche Stellung im Nahen Osten schützen wollte. Im sowjetischen Nordteil wurde ähnlich agiert. Hier erhielt der stalintreue Terenti Schtykow die Führungsposition, welcher bereits die Ausarbeitungen der nordkoreanischen Verfassung überwachte. Schtykows Einfluss auf Stalin galt als groß und so wurde spekuliert, dass er es war, der 1950 Stalins Einwilligung für den Angriff auf den Süden herbeiführte.[58] Mit der Unterstützung der Sowjetunion konnte der Vorsitzende der Partei der Arbeit, Kim Il-Sung, nicht nur seine politische Führung manifestieren, sondern zudem auch die sozialistische Neugestaltung der Gesellschaft schnell vorantreiben. 1946 gab es bereits eine Verstaatlichung von Industrie, Transportwesen und Banken, sowie zudem eine Bodenreform, was zahlreiche Nordkoreaner zur Flucht in den Süden veranlasste. Im November 1946 gelang es den Kommunisten dann auch – unter gewaltigem Druck auf die Bevölkerung – die Kommunalwahlen für sich zu entscheiden. Weiterhin wurde beschlossen, die wirtschaftliche Entwicklung der Zukunft eng mit der Sowjetunion und China abzustimmen.[59] Durch das Jahr 1946 zogen sich zudem 24 erfolglose Konferenzen über die koreanische Zukunft, sodass die Sowjets Ende des Jahres die Verhandlungen für gescheitert erklärten. Die Sowjetunion und die USA suchten die Schuld beide auf der anderen Seite.[60] Churchill sprach im März 1946 von einem „eisernen Vorhang“ der vor dem sowjetischen Machtgebiet niedergegangen sei, Truman sagte im Januar 1946, er habe es überhaupt nicht mehr im Sinn, mit der Sowjetunion „länger auf Kompromisse [zu] spielen“ und Stalin schließlich bekräftige am 9. Februar 1946 in einer Rede vor dem Obersten Sowjet Lenins These von der „Unvermeidlichkeit von Kriegen“.[61] Die Weichen für eine sehr lange Auseinandersetzung waren also von beiden Seiten gestellt. Herbert Swope, ein Mitarbeiter der amerikanischen Kommission, welche mit den Sowjets über die Zukunft von Atomwaffen verhandeln sollte, formulierte 1946 seinen Eindruck, man befände sich bereits mit den Sowjets im Krieg, den man nur noch nicht militärisch führe, weil die Sowjetunion dazu noch nicht bereit sei.[62] Der Begriff des Kalten Krieges war geboren.
Sicherlich auch geprägt von dem Konflikt um Korea stellte US-Präsident Truman im März 1947 seine Truman-Doktrin vor, welche besagt, „dass die USA gewillt seien, jedem Land, welches sich von einer kommunistischen Machtübernahme bedroht fühle, Unterstützung zukommen zu lassen“[63]. Ein halbes Jahr später sprach Andrej Schdanow von einem „Kampf zweier unversöhnlich gegenüberstehenden politischen Lager um die Welt“[64] und warb um Verbündete. Diese beiden Reden können aufgrund ihrer Wirkung auf der anderen Seite als Beginn des Kalten Krieges gewertet werden.
Korea lag in diesem globalen Konflikt nicht im Mittelpunkt des westlichen Interesses. Das ist dadurch belegbar, dass die USA noch im September 1947 das Viermächtemandat für Korea an die Vereinten Nationen abgeben wollten, was bezeugt, dass die Amerikaner sich der Relevanz Koreas für die Weltpolitik nicht gewiss waren.[65] Im Folgenden bereitete eine UNO-Kommission gesamtkoreanische Wahlen vor. Da dieses von der Sowjetunion abgelehnt wurde, führte man die Wahl nur im Süden durch. Das Ergebnis war, dass der antikommunistische und proamerikanische Syng-man Rhee am 15. April 1948 zum ersten Präsidenten der Republik Korea ernannt wurde. Am 15. August folgte die Konstituierung der Republik Korea im Süden. Im Norden verzögerten sich die Ereignisse etwas, sodass sich am 9. September 1948 die Volksrepublik Korea konstituierte und sich Kim Il-Sung einen Tag später als Präsident ausrufen ließ.[66]
1948 kam es dann zu einer rapiden Verschärfung der koreanischen Situation, sodass Truman und die USA Korea schon im Frühjahr als eine Krisenregion betrachteten, „wo die sowjetisch kontrollierte kommunistische Welt möglicherweise einen Angriff wagen würde“[67]. Ein Problem war, dass die USA durch Außenminister Dean Acheson deutlich machten, ihr eigener Verteidigungsgürtel reiche nur bis Japan, den Alëuten und den Philippinen, also nicht bis Korea.[68] Aus diesem Grund war für Korea ein im Januar 1947 aufgebautes Fernostkommando zuständig, welches sich allerdings dreieinhalb Jahre später im Juni 1950 immer noch in der Aufbauphase befand und mit einer Armee nicht viel gemeinsam hatte.[69] Es gab keine Einsatzpläne, Gerätschaften fehlten und die Soldaten waren nicht kriegserfahren. Die US-Amerikaner beließen nur noch 462 Mann im Land, welche allerdings nicht dem Verteidigungsministerium unterstanden, sondern dem Außenministerium in Person des amerikanischen Botschafters in Seoul.[70] Des Weiteren war bekannt, dass die südkoreanische Armee der nordkoreanischen deutlich unterlegen war. Während die Sowjets den Norden mit viel Kriegsmaschinerie ausgestattet hatten, taten die USA dieses nicht, wohl auch aus Misstrauen, der Süden könne mit amerikanischem Kriegsgerät einen Angriff auf den Norden unternehmen.[71] Die Befreiung des anderen Staates war auf beiden Seiten ein präsenter Gedanke. Der Bericht der KMAG (Korean Military Advisory Group) konstatierte 10 Tage vor Kriegsbeginn am 15. Juni 1950, dass „die südkoreanische Armee [mit zur Verfügung stehendem Kriegsgerät] allenfalls 15 Tage durchhalten [könne], falls es zum Angriff aus dem Norden käme“[72].
Am 25. Juni 1950 begann der Koreakrieg schließlich durch eine Invasion von rund 120.000 Soldaten der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) mit Artillerie, schweren Panzern und 100 Flugzeugen, welche von der Sowjetunion geliefert wurden.[73] Die Intensität und Stärke des Angriffs überraschte die Südkoreaner, die Amerikaner, aber genauso auch die restliche Welt. Auch die schnell aus Japan herbeigezogenen amerikanischen Truppen waren kaum besser bewaffnet als die südkoreanischen Truppen, sodass sie zuerst kaum eine Auswirkung auf den Kriegsverlauf hatten.[74] Die damalige Meinung, dass neben den Sowjets auch China unter Mao Tse-tung den Invasionsplänen Kim Il-Sungs zugestimmt haben müssen, ist mittlerweile bestätigt[75] und beweist damit die These, dass es sich bei dieser kriegerischen Auseinandersetzung um einen Stellvertreterkrieg handelt, der die Machtsphäre des Warschauer Paktes sichern und den amerikanischen Einfluss beschneiden sollte. Die Frage allerdings, warum Stalin und Mao den ersten Angriffskrieg nach dem Zweiten Weltkrieg billigten, vielleicht sogar lancierten, und somit einen dritten Weltkrieg riskierten, ist bis heute nicht eindeutig zu klären.[76]
Anders als es China und die Sowjetunion aufgrund der geographischen Lage erwartet hatten, reagierte der Westen ebenso rasch wie knapp zwei Jahre zuvor bei der Belagerung West-Berlins. Ohne auf einen Beschluss des US-Kongress zu warten, informierte Präsident Truman den UN-Sicherheitsrat. Da die Sowjetunion diesen skurrilerweise gerade aufgrund der Nichtberücksichtigung von China boykottierte (China forderte einen dauerhaften Sitz im Sicherheitsrat), konnte bereits am 27. Juni, also schon zwei Tage nach Kriegsbeginn, ein Mandat für einen Einsatz ausgestellt werden, welcher später von vielen anderen Staaten mitgetragen wurde.[77] Dieses Mandat aber beeinflusste den Krieg zuerst nicht. In den ersten Monaten bis zum August 1950 überrannte der Norden den Süden fast vollständig. Auf beiden Seiten ereigneten sich während des Angriffs unfassbare Gräueltaten an den gegnerischen Soldaten und an der Zivilbevölkerung.[78] In den darauffolgenden Wochen wurden die UN-Truppen immer weiter gen Süden zurückgedrängt, wo man schließlich nur noch den Brückenkopf von Pusan halten konnte.[79]
Am 15. September 1950 startete der Süden (Südkoreanische Armee und UN-Truppen) dann unter General MacArthur in der Nähe der Hauptstadt Seoul die Invasion bei Incheon (Operation Chromite)[80], bei der es unter großem Materialeinsatz nicht nur gelang, die nordkoreanische Armee (dabei ist die sowjetische und chinesische Militärunterstützung immer im Hinterkopf zu behalten) zurückzudrängen, sondern auch erstmals die Grenze zum Norden zu überschreiten. Diese Invasion war genauso wie die nordkoreanische zuvor begleitet von ungeheuren Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. So richteten die Nordkoreaner 5000 Südkoreaner in Daejon hin, woraufhin sich die Südkoreaner rächten indem sie angebliche Kollaborateure erschossen.[81] Am 19. Oktober 1950 schließlich fiel die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang und die UN-Truppen konnten in Folge dessen sogar bis zum 20. November 1950 zur chinesischen Grenze vordringen. Innerhalb von fünf Monaten hatte sich der Kriegsverlauf komplett auf den Kopf gestellt, was vor allem daran lag, dass die ankommenden UN-Truppen mittelschwere und schwere Panzer auf südkoreanischer Seite in den Krieg brachten und so die Armee Südkoreas und der UN militärisch die Oberhand gewann.[82]
Auf die amerikanische Politik wird an dieser Stelle nur in aller Kürze eingegangen. Die Überschreitung der Grenze des 38. Breitengrades bedeutete den Übergang von der Eindämmungspolitik (Containment Policy) zur Befreiungspolitik (Liberation Policy), wobei letztere vom amerikanischen Oberbefehlshaber MacArthur befürwortet wurde.[83] Die Ansicht, dass hinter der Invasion auf Nordkorea eher die Befreiungspolitik stand, wurde nicht nur durch frühere Aussagen MacArthurs, sondern auch Darlegungen der US-Position bei der UNO belegt.[84] Der amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Warren Austin, sagte einen Tag vor der Überschreitung der Demarkationslinie, dass die USA davon ausgingen, dass diese weder „de jure noch de facto eine Existenzberechtigung habe, Nordkorea als Staat also gar nicht existiere“[85], weswegen folgerichtig die Entscheidung der UNO über ein Mandat nicht mehr abgewartet wurde.[86]
Eine große Sorge während des Koreakrieges stellten die Atomwaffen dar. Ende August 1949 hatten die Sowjets ihre erste eigene Bombe gezündet. Zwar waren die Amerikaner den Sowjets weit überlegen (sie waren in der Lage Atomsprengköpfe in Serie zu produzieren) und verfügten 1950 bereits über 700 Atombomben, aber die Gefahr von nuklearen Angriffen beider Seiten war bei dem Konflikt stets präsent.[87] Um eine unkontrollierte Ausweitung zu einem atomaren Konflikt zu vermeiden, entschied sich Präsident Truman zu einer Rückkehr zur Eindämmungspolitik.[88] In der Diskussion der amerikanischen Politik für welche dieser beiden Leitideen, Eindämmung oder Befreiung, man sich entscheiden sollte, waren Demokraten und Republikaner nah beieinander, sodass sich eine Verflechtung zwischen beiden Konzepten abzeichnete.[89]
Als es im November 1950 dann zu einem großangelegten Gegenangriff Nordkoreas unter der Unterstützung von 200.000 „freiwilligen“[90] Chinesen kam, hielt MacArthur den Einsatz von Atomwaffen vor allem gegen China für unvermeidlich, konnte sich aber nicht gegen Truman durchsetzen. In diesem Angriff wurden wiederum die südkoreanischen und UN-Truppen bis zum 38. Breitengrad zurückgedrängt.[91] MacArthur drängte im Zuge dessen immer deutlicher zum Einsatz von Nuklearwaffen. Truman blieb aber bei seiner Position und bekräftigte dieses mit der Absetzung MacArthurs am 11. April 1951.[92] Warum diese Option des atomaren Erstschlags gegen China von den Amerikanern nicht gezogen wurde, wurde im Mai 1951 deutlich, als General Omar Bradley sagte: „Rotchina ist nicht die mächtigste Nation, die die Weltherrschaft anstrebt. Offen gesprochen, nach Meinung der Vereinigten Stabschefs würde uns eine von dieser Annahme ausgehende Strategie in den falschen Krieg hineinziehen – am falschen Ort, zur falschen Zeit und gegen den falschen Feind“[93]. Mit der nichtangesprochenen mächtigsten Nation, die die Weltherrschaft anstrebt ist mit ziemlicher Sicherheit die Sowjetunion gemeint. Auch dieses Zitat verdeutlicht den Respekt, den die Amerikaner vor den Sowjets und einem möglichen Atomkrieg hatten. Im Zuge dieser militärischen Offensive eroberten die nordkoreanisch-chinesischen Streitkräfte bis zum 4. Januar 1951 Seoul zurück.[94] Aufgrund fehlenden chinesischen Nachschubs stabilisierte sich die Front schließlich nach verschiedenen Operationen des Südens (Punch, Thunderbolt oder Ripper) im Februar 1951 allmählich wieder auf den 38. Breitengrad als Grenze.[95]
[...]
[1] Vgl. Mai, Gunther, Westliche Sicherheitspolitik im Kalten Krieg. Boppard am Rhein 1977, S. 171 und Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 173.
[2] Vgl. Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte (2. Überarbeitete und erweiterte Auflage). München 2011, S. 13.
[3] Vgl. Lindlar, Ludger, Das missverstandene Wirtschaftswunder. Tübingen 1997, S. 205.
[4] Vgl. Erhard, Ludwig, Deutsche Wirtschaftspolitik (Neuausgabe). Düsseldorf 1992, S. 62.
[5] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 337.
[6] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 150.
[7] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 129.
[8] Vgl. Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1949-1990. München 2008, S.50 f.
[9] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 129 f.
[10] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 130.
[11] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 129 f.
[12] Ebd.
[13] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 130.
[14] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 131.
[15] Ebd.
[16] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 132.
[17] Vgl. Fußnote 9.
[18] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 132.
[19] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 133.
[20] Ebd.
[21] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 134.
[22] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 137.
[23] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 148.
[24] Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 146 f.
[25] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 155.
[26] Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 135.
[27] Grafik in: Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 136.
[28] Vgl. Meyer, Georg, Innenpolitische Voraussetzungen der westdeutschen Wiederbewaffnung in: Fischer, Alexander (Hrsg.), Wiederbewaffnung in Deutschland nach 1945. Berlin 1986. S.31.
[29] Vgl. Höfner, Karlheinz, Die Aufrüstung Westdeutschlands. München 1990, S. 17.
[30] Vgl. Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 11.
[31] Vergleich Gliederungspunkt 4 und 4.1.
[32] Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 17.
[33] Vgl. Fußnote 36 sowie Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 179.
[34] Vgl. Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 180f.
[35] Vgl. Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 180.
[36] Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949 bis 1999. November 1949. S. 1222. [http://www.digitale-bibliothek.de/band78.htm ] (zuletzt besucht am: 16.02.2014 um 12:35 Uhr)
[37] Ebd.
[38] Ebd.
[39] Vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung, Politik&Unterricht, Heft 1-2009. S.4.
[40] Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 15.
[41] Vgl. Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 11 f.
[42] Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 16.
[43] Ebd.
[44] Vgl. Landeszentrale für politische Bildung, Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung, S. 4.
[45] Vgl. Landeszentrale für politische Bildung, Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung, S. 4.
[46] Vgl. Der Spiegel Ausgabe 37/1969. S. 26.
[47] Vgl. Mai, Sicherheitspolitik, S. 16.
[48] Mai, Sicherheitspolitik, S. 171.
[49] Ebd.
[50] Ebd.
[51] Vgl. Höfner, Aufrüstung Westdeutschlands, S. 13.
[52] Vgl. Kleßmann, Christoph; Stöver, Bernd, Der Koreakrieg. Köln u.a. 2008, S. 7.
[53] Ebd.
[54] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 8.
[55] Ebd.
[56] Vgl. Stöver, Bernd, Geschichte des Koreakriegs. München 2013, S. 37 f.
[57] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 8.
[58] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 37.
[59] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 9.
[60] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 46.
[61] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 10.
[62] Ebd.
[63] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 10.
[64] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 10f.
[65] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 46.
[66] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 11.
[67] Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 41.
[68] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 40.
[69] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 11f.
[70] Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 48.
[71] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 12.
[72] Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 49.
[73] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 12.
[74] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 49.
[75] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 12.
[76] Ebd.
[77] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 64.
[78] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 71.
[79] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 14.
[80] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 78.
[81] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 14.
[82] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 49.
[83] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 81.
[84] Ebd.
[85] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 15.
[86] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 82.
[87] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 15.
[88] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 82.
[89] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 83.
[90] Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 80.
[91] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 92.
[92] Vgl. Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 15.
[93] Kleßmann; Stöver, Koreakrieg, S. 16.
[94] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 92.
[95] Vgl. Stöver, Geschichte des Koreakriegs, S. 92 f.