Das Normalisierungsprinzip und die Selbstbestimmung im Hinblick auf Wohnmodelle für Menschen mit geistiger Behinderung


Texte Universitaire, 2005

79 Pages, Note: 1,4


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Gegenstand und Motivation
1.2 Struktur der Arbeit

2. Das Normalisierungsprinzip
2.1. Geschichte der Umsetzung verschiedener Denkmodelle über geistige Behinderung
2.1.1. Ideologie der Nationalsozialisten: 1933 - 1945
2.1.2. Nachkriegszeit bis 1960er Jahre: Leitidee der Verwahrung
2.1.3. 1960er bis Mitte 1990er Jahre: Leitidee der Förderung und beginnender Normalisierung
2.1.4. Anfang 1990er Jahre: Leitidee der Selbstbestimmung
2.2. Entstehung des Normalisierungsprinzips
2.2.1. Die Anfänge des Normalisierungsprinzips
2.2.2. Der Normalisierungsgedanke bei Bank-Mikkelsen
2.2.3. Der Normalisierungsgedanke bei Nirje
2.3. Strukturierung durch Wolfensberger
2.4. Rezeption des Normalisierungsprinzips in Deutschland
2.5. Zusammenfassung

3. Das Paradigma der Selbstbestimmung
3.1. Das Verständnis von Selbstbestimmung
3.2. Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung
3.3. Die Anfänge der Selbstbestimmung
3.3.1. Die Independent-Living-Bewegung
3.3.2. Self-Advocacy-Bewegung
3.4. Konzepte zur Rolle des Helfenden
3.4.1. Empowerment
3.4.2. Das Assistenzkonzept
3.5. Zusammenfassung

4. Normalisierte Wohnformen für Menschen mit geistiger Behinderung?
4.1. Formen der Unterbringung und des Wohnens unter dem Normalisierungsaspekt
4.1.1. Psychiatrische Einrichtungen
4.1.2. Anstalten
4.1.3. Familie
4.1.4. Ambulant betreutes Wohnen
4.2. Gruppengegliedertes Wohnen im Wohnhaus: Eine Beobachtungsstudie
4.3. Zusammenfassung

5. Interpretation und Reflexion der Ergebnisse

6. Literaturverzeichnis und weiterführende Literatur

1. Einleitung

1.1 Gegenstand und Motivation

Deutschland ist „immer noch ein ‚ambulantes’ Entwicklungsland“[1]. Mit dieser Formulierung Claus Fusseks zur Situation alter und behinderter Menschen mit hohem Pflegebedarf läßt sich auch die gegenwärtige Lage in Bezug auf eine bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung umschreiben. Erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung bietet sich in den wenigsten Fällen die Möglichkeit, in einer gemeindenahen Wohnform, geschweige denn in einer eigenen Wohnung, zu leben. Abgesehen vom Verbleib der meisten von ihnen im Elternhaus leben die übrigen erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung vorwiegend in großen stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die Betrachtung dieser Wohnsituation ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Der Bezug zu dieser Thematik entstand aus meiner Tätigkeit beim Familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe Gießen. Dort habe ich mit vielen erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung zu tun. Fast ausschließlich leben sie noch im Elternhaus, auch wenn die Eltern bereits ein hohes Alter erreicht haben. Ich erlebe diese Menschen größtenteils in einer Unselbständigkeit, die meines Erachtens in keiner Relation zu ihren tatsächlichen Fähigkeiten steht. Ich führe das auf das spezielle und andauernde Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und einem behinderten Kind zurück, das es den Eltern schwer macht, loszulassen und ihr Kind als erwachsene und eigenständige Persönlichkeit zu akzeptieren. Dies scheint sich auch in der Selbstbestimmung und den (vermeintlichen) Interessen der Klienten niederzuschlagen. Besonders im Zusammensein mit ihren Eltern werden diese Aspekte offensichtlich. Sie werden zwar mit Liebe und Zuwendung von ihren Eltern bedacht, aber eben in einer bevormundenden Form, wie man sie im Umgang mit Kindern erwarten würde.

Diese Wohnform war offensichtlich dominierend, doch schien sie mir in den wenigsten Fällen für beide Seiten zuträglich. Zunächst interessierte mich das spezielle Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und einem (erwachsenen) Kind mit geistiger Behinderung. Ebenso wollte ich die daraus resultierenden Lebens- und Wohnbedingungen unter dem Aspekt beleuchten, ob sie mit jenen erwachsener Menschen ohne Behinderung vergleichbar sind.

Interessant wurden für mich in dem Zusammenhang nun aber vor allem auch die übrigen Wohnformen, die Menschen mit geistiger Behinderung zur Verfügung stehen. Ich wollte der Frage nachgehen, ob sie hinsichtlich ihrer Qualität überhaupt eine bessere Alternative zum Wohnen im Elternhaus darstellen, und zwar nicht beurteilt aus der subjektiven Perspektive der Eltern, die ihr Kind am liebsten wie zu Hause behandelt wissen möchten, sondern daran gemessen, was einem »normalen« Leben entspricht, und im Hinblick auf eine Realisierung der Menschenrechte für Menschen mit geistiger Behinderung.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich nun diesen Aspekt der Qualität der unterschiedlichen Wohnformen für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung unter dem Blickwinkel des Normalisierungsprinzips und der Selbstbestimmung näher betrachten, da diese meines Erachtens untrennbar mit der Qualität der Lebenssituation geistig behinderter Menschen und damit auch des Wohnens zusammenhängen.

1.2 Struktur der Arbeit

Ein Rückblick in die Geschichte der Umsetzung verschiedener Denkmodelle über geistige Behinderung ab 1933 eröffnet diese Arbeit. Zentraler Gegenstand ist dann die Schilderung des Normalisierungsprinzips in seiner Entstehung und weiteren Ausformulierung. Abschließend wird seine Rezeption in Deutschland geschildert.

Ausgewählte Wohnformen für Menschen mit geistiger Behinderung werden unter dem Aspekt von Normalisierung und Selbstbestimmung im nächsten Kapitel betrachtet, wobei Wohnbedürfnisse zur Beurteilung hinzugezogen werden. Der Schwerpunkt dabei soll auf dem Normalisierungsprinzip als Grundvoraussetzung für ein normalisiertes und integriertes Leben von Menschen mit geistiger Behinderung liegen. Während drei Formen des Wohnens vorwiegend anhand von Literatur dargestellt werden, erfolgt die Betrachtung der vierten im Rahmen einer eigenen Beobachtungsstudie. Diese fällt im Vergleich zu den übrigen etwas umfangreicher aus.

Das darauffolgende beinhaltet eine Interpretation und Reflexion der gewonnenen Ergebnisse.

Das letzte Kapitel bildet das Fazit der Arbeit.

2. Das Normalisierungsprinzip

Die jeweilige Auffassung von Behinderung bestimmt die Art und Weise des Umgangs und der Beschäftigung mit den Menschen mit geistiger Behinderung.[2] Abhängig ist dies von jeweils vorherrschenden sozial-ökonomischen und gesellschaftspolitischen Bedingungen, von Staats- und Gesellschaftsideologien und entsprechend vom jeweiligen Zeitgeist, der den Menschen achtet oder eben verachtet.[3]

Die (relative) Anerkennung der geistig behinderten Menschen, ihrer Rechte und ihres Wertes stieg und fiel vor dem Hintergrund des jeweils aktuellen Menschenbildes, welchem entsprechend sie behandelt wurden. Dies kann man jedoch am ehesten als verschiedene Varianten ihrer Benachteiligung verstehen, denn benachteiligt und vom Wohlwollen der nichtbehinderten Menschen abhängig waren und sind sie seit jeher.

Unter Bezugnahme auf Emil E. Kobi kann man eine Charakterisierung der historischen Modelle der Behindertenhilfe, welchen solche Menschenbilder zugrunde liegen, vornehmen. Diese Charakterisierung beinhaltet

- das Caritative Modell
- das Exorzistische Modell
- das Rehabilitations-Modell
- das Medizinische Modell.[4]

Ähnlicher Art sind die sechs Modelle nach Frank J. Menolascino, die in der Vergangenheit dem Umgang mit geistig behinderten Menschen zugrunde lagen. In dieser Unterteilung wird der Mensch mit geistiger Behinderung gesehen als

- unschuldiges Kind
- Mitleidsobjekt
- Bedrohung
- öffentliche Last
- nichtmenschlicher Organismus
- Kranker.[5]

Das Aufkommen des Normalisierungsgedankens als des neuen Leitbildes in der Pädagogik in Deutschland in den 1970er Jahren schaffte die Voraussetzungen für ein Umdenken in der Behindertenhilfe in eine neue Richtung.

Es erfolgt nun zunächst ein kurzer historischer Rückblick auf die Umsetzung verschiedener Denkmuster oder auch Paradigmen in Deutschland (die ehemalige DDR bleibt unberücksichtigt), in dessen Verlauf sich einige der o. g. Modelle wiederfinden. Er soll jedoch nicht weiter zurückgreifen als bis einschließlich zu der Zeit der NS-Diktatur. Anschließend werden Entstehung und Inhalt des Normalisierungsprinzips geschildert.

2.1. Geschichte der Umsetzung verschiedener Denkmodelle über geistige Behinderung

2.1.1. Ideologie der Nationalsozialisten: 1933 - 1945

Welche Konsequenzen die Ideologie der Nationalsozialisten mit sich brachte, ist hinlänglich bekannt. Basierend auf sozialdarwinistischem Denken, bekräftigt durch die Eugenik des ausklingenden 19. Jahrhunderts, wurde 1933 das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« verabschiedet. Ein halbes Jahr später trat es in Kraft.[6] So folgte nach der Selektion von »ökonomisch brauchbaren« und »minderwertigen« Hilfsschülern die Zwangssterilisation nicht nur behinderter Menschen, sondern sämtlicher Randgruppen der Bevölkerung.[7]

Das Reichsschulpflichtgesetz von 1938 schaffte die rechtliche Grundlage für die Aussonderung von Schülern nach dem Kriterium der vermeintlichen Bildungsunfähigkeit. Diese bedeutete, da von den Nationalsozialisten mit nicht lebenswert gleichgesetzt, den Tod durch deren »Euthanasie«-Programm.[8] Diesem fielen aus denselben Gründen auch die in den Anstalten untergebrachten – damals als schwachsinnig bezeichneten – Menschen zum Opfer. In den Augen der Machthaber waren sie der Volksgemeinschaft nicht nützlich. Im Zuge der Abschaffung des Wohlfahrtsstaates durch die Nationalsozialisten war es für diese nur konsequent, sie ebenfalls den Vernichtungsapparaten zu übergeben.[9]

2.1.2. Nachkriegszeit bis 1960er Jahre: Leitidee der Verwahrung

Eine Bildungskonzeption für Kinder mit geistiger Behinderung existierte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Naziregimes zunächst nicht. Zwar wurde die Arbeit der im 19. Jahrhundert gegründeten Anstalten wieder aufgenommen, ebenso die der Hilfsschulen mit den angegliederten Sammelklassen. Doch ein wirkliches Interesse an der Integration von Kindern mit geistiger Behinderung in die Hilfsschule bestand zu dem Zeitpunkt nicht. Zudem war das Reichsschulgesetz von 1938 weiterhin wirksam, so daß zumeist die Ausschulung erfolgte, wenn Kinder dem Leistungsanspruch der Hilfsschule nicht genügten.[10] Eine mögliche Bildungsfähigkeit wurde weiterhin nicht in Betracht gezogen.[11]

Auch hinsichtlich der Versorgungsstruktur wurde an die Vorkriegszeit angeknüpft, eine institutionelle Neuorientierung fand zunächst nicht statt.[12] Das damalige Denkmodell beinhaltete vordergründig die Pflegebedürftigkeit der Kinder mit geistiger Behinderung, basierend auf einem biologistisch-nihilistischen Menschenbild.

Da ein staatliches Interesse an der Bildung der Kinder mit geistiger Behinderung in den ersten Nachkriegsjahren ausblieb, beschränkten sich Ansätze für pädagogische Hilfe anfangs auf einzelne mehr oder weniger private Initiativen, die sich auf hortähnliche Einrichtungen, Sammelklassen und Tagesheimschulen erstreckten.[13]

Ein Wandel in der Versorgung behinderter Menschen vollzog sich erst gegen Ende der 1950er Jahre durch die Initiative betroffener Eltern und einiger Fachleute nach ausländischem Vorbild.[14] Durch Gründung von Vereinen wollten sie eine angemessene Versorgung und Bildung für ihre behinderten Kinder erreichen. Exemplarisch sei hier die Gründung der »Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind« im Jahre 1958 in Marburg genannt.[15]

2.1.3. 1960er bis Mitte 1990er Jahre: Leitidee der Förderung und beginnender Normalisierung

Allmählich fand ein Gesinnungswandel statt. „ Der Pessimismus um die Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen wich einer optimistischen Auffassung.“[16]

In den Folgejahren, in der Zeit beginnender wirtschaftlicher Prosperität, kam das Subsidiaritätsprinzip der Gründung verschiedener Förder-, Rehabilitations- und Sondereinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung zugute.[17] Im Zeitraum von 1962 bis 1982 wuchs die Zahl der Kindergärten und Schulen bzw. Tagesbildungsstätten für Menschen mit geistiger Behinderung rasant an. Die Schulpflicht für Kinder mit geistiger Behinderung wurde in den meisten westlichen Bundesländern gesetzlich verankert.[18]

Immer mehr Lebensphasen von Menschen mit geistiger Behinderung sowie notwendigen Betreuungsbereichen wurde Beachtung geschenkt. Dementsprechend entstanden Frühfördereinrichtungen, Werkstätten, Wohnstätten und Freizeiteinrichtungen.[19] Die Förderung wurde zu einem zentralen Begriff der Behindertenpädagogik der 1970er Jahre.[20] Das Rehabilitationsmodell rückte neben das medizinische. Es entstand ein stark expertengeprägtes Bild von Behinderung. Kritik am Rehabilitationsdenken wurde vor allem dahingehend geäußert, daß das Durchlaufen der Förderkette – von der Frühförderung über Sonderkindergarten und Sonderschule bis zum Eintritt in die Werkstatt für behinderte Menschen – Isolationscharakter habe und zu einer Trennung von der nichtbehinderten Bevölkerung führe.[21]

In den 1970er Jahren gelangten die Ideen des Normalisierungsprinzips, wie sie in Skandinavien und den USA entstanden waren, nach Deutschland und begannen, das Behindertenwesen zu beeinflussen.[22]

Der Normalisierungsgedanke gewann in den 1980er Jahren an Bedeutung und Aktualität, ebenso der Begriff der Lebensqualität.[23] Es vollzog sich ein Umdenken dahingehend, daß der Mensch mit Behinderung „vom Defizitwesen zum Dialogpartner“[24] wurde . Tradierte Einstellungen zu Menschen mit geistiger Behinderung wurden kritisch überdacht und bildeten die Grundlage für sozialpolitische Veränderungen. „Das Normalisierungsprinzip wurde zum neuen Leitgedanken, zum Paradigma der Heilpädagogik.“[25]

Eng verbunden mit dem Denkansatz des Normalisierungsprinzips war der Integrationsgedanke. Im Zuge der integrativen Einstellungsänderung in der Wissenschaft wurde beispielsweise die Sonderschule infrage gestellt. Man fing an, Modelle des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und Kindern ohne Behinderung zu erproben.[26]

2.1.4. Anfang 1990er Jahre: Leitidee der Selbstbestimmung

Das Normalisierungsprinzip erfuhr Anfang der 1990er Jahre eine bedeutende Erweiterung bzw. Ergänzung durch den Leitgedanken der Selbstbestimmung. Dieses Prinzip geht auf die Independent-Living-Bewegung körperbehinderter Menschen in den USA in den 1960er Jahren zurück. Diese protestierten gegen die Lebensbedingungen in den Großanstalten, welche entmündigend und bevormundend waren, und forderten mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten ein.[27]

Die Arbeit mit geistig behinderten Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde und wird folglich besonders von drei Paradigmen geprägt, die sich als Verwahrung, Förderung und Normalisierung/ Selbstbestimmung zusammenfassen lassen. Es ist schwer möglich, klare zeitliche Abgrenzungen zwischen den unterschiedlichen Leitbildern vorzunehmen. In der Literatur finden sich leicht abweichende Angaben über die Übergänge bzw. erste Umorientierungen. Dies mag davon abhängen, ob man sich am bloßen Aufkommen eines neuen Leitgedankens oder erst an seiner Umsetzung in der Praxis orientiert. Wieviel Zeit zwischen Theorie und praktischen Konsequenzen liegen kann, verdeutlicht eindrücklich der schleppend verlaufende Prozeß der bereits erwähnten Enthospitalisierung.

Tab. 1 nach Hähner dient darum mehr als ungefährer Orientierungsrahmen.

Tab. 1: Leitbilder der Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung nach 1945

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: nach Hähner, 2003a, S. 45.

Zwar kann man festhalten, daß sich insgesamt ein Wechsel der Denkmodelle zu geistiger Behinderung und dementsprechend auch des Umgangs mit den betroffenen Menschen verzeichnen läßt. Doch obgleich dem jetzigen Verständnis (von Behinderung) ein respektvoller und gleichberechtigter Umgang mit dem behinderten Menschen im Sinne des Normalisierungsprinzips und der Selbstbestimmung entsprechen sollte, hat man sich nach Thimm „die Wirksamkeit solcher Modellvorstellungen nicht so vorzustellen, daß im historischen Verlauf das eine von dem anderen Modell total abgelöst wurde. Vielmehr scheinen auch heute noch Restvorstellungen aller dieser Modelle im laienhaften und auch im professionellen Umgang mit geistig Behinderten sowie in den institutionellen Ausprägungen des Hilfesystems wirksam zu sein“[28].

2.2. Entstehung des Normalisierungsprinzips

Das neue Leitbild der Pädagogik ist also das der Selbstbestimmung, welches aus dem der Normalisierung hervorgegangen ist bzw. eine Erweiterung desselben darstellt. Das Normalisierungsprinzip ist deswegen aber weder veraltet, noch gilt es als abgelöst. Im Gegenteil, die darin enthaltene Forderung, Menschen mit geistiger Behinderung ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen und dazu das Normalisierungsprinzip zur Grundlage in der Arbeit mit ihnen zu machen, ist nach wie vor aktuell und wichtig. Iris Beck schreibt dazu:

„Das Normalisierungskonzept hat als Reformkonzept wie keine andere Zielformulierung das System der Hilfen und die Lebensbedingungen für behinderte Menschen verändert. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung kann es als die wichtigste internationale Leitidee überhaupt bezeichnet werden.“[29]

2.2.1. Die Anfänge des Normalisierungsprinzips

Die ersten Anfänge des Normalisierungsprinzips lassen sich bis in die 1940er Jahre nach Schweden zurückverfolgen. Zu dieser Zeit fand eine Debatte über die Wiederherstellung des Wohlfahrtsstaates statt. Dessen Bürgern sollte ein guter Lebensstandard garantiert werden, wenn notwendig unter Zuhilfenahme sozialer Dienste. In diesem Rahmen stellte sich auch die Frage, wie Unterstützung für Menschen mit Behinderungen geleistet werden könne.[30]

Im Jahre 1943 wurde ein Regierungsausschuß beauftragt zu untersuchen, wie Menschen mit Behinderungen Arbeitsmöglichkeiten erschlossen werden könnten. Ziel dabei war, ihre Möglichkeiten der Selbstversorgung auszuweiten und ihnen dadurch bessere Lebensbedingungen zu schaffen.[31] Nicht unbedeutend bei diesen Überlegungen dürfte auch der Aspekt des gesellschaftlichen Nutzens gewesen sein. Weiterhin regte der Ausschuß an, daß Menschen mit Behinderungen das Recht der Nutzung derjenigen Dienste zustehen sollte, die den nichtbehinderten Bürgern zur Verfügung stehen. Dies sollte ihren Verbleib in der Gemeinschaft sichern. Der sozialpolitische Gedanke, der von dem Ausschuß entwickelt wurde und richtungsweisend für seine Arbeit war, wurde als »Normalisierungsprinzip« bezeichnet.

2.2.2. Der Normalisierungsgedanke bei Bank-Mikkelsen

Die erste schriftliche Formulierung des Normalisierungsprinzips erfolgte durch den dänischen Juristen und Verwaltungsbeamten Niels Erik Bank-Mikkelsen. Sie fand 1959 Eingang in das dänische »Gesetz über die Fürsorge für geistig Behinderte und andere besonders Schwachbegabte«. Als Sekretär des Sozialministeriums hatte Bank-Mikkelsen das Gesetz vorbereitet und dabei die Initiativen des 1952 gegründeten Elternverbandes geistig behinderter Kinder aufgegriffen.[32] Bank-Mikkelsen forderte darin, daß man Menschen mit geistiger Behinderung dazu verhelfen solle, »ein Leben so normal wie irgend möglich« zu führen.[33] Dies zielte in erster Linie auf die Trennung der Lebensbereiche Wohnen/ Schlafen, Schulbesuch/ Arbeiten, Freizeit sowie medizinische/ therapeutische Versorgung voneinander ab. An diesem Grundsatz richtete sich die staatlich gesteuerte Neuorganisierung des Fürsorgesystems für Menschen mit geistiger Behinderung in Dänemark und bald danach auch in Schweden aus.

Bank-Mikkelsen betonte immer wieder, daß die Normalisierung das Ziel sei und die Integration das entsprechende Mittel, sie zu erreichen. Er schloß ebenfalls nicht ausdrücklich aus, daß sich eine zeitweise Segregation, z. B. im Schul- oder Wohnbereich, als notwendiges Mittel zur Normalisierung erweisen könnte. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, die Menschen mit geistiger Behinderung zur Normalität erziehen zu wollen.[34]

Zunächst erfolgte keine weitere theoretische Ausformulierung des Normalisierungsprinzips. Eine erste Darstellung in der Fachliteratur in Form eines Aufsatzes geschah erst zehn Jahre später durch den Schweden Bengt Nirje, Psychologe und Direktor des »schwedischen Reichsverbandes für entwicklungsgehemmte Kinder«.[35]

2.2.3. Der Normalisierungsgedanke bei Nirje

Im Gegensatz zu Bank-Mikkelsen sah Nirje

„das Normalisierungsprinzip als ein Mittel an, das dem geistig Behinderten gestattet, Errungenschaften und Bedingungen des täglichen Lebens, so wie sie der Masse der übrigen Menschen zur Verfügung stehen, weitestgehend zu nutzen“[36].

Das Prinzip sollte Anwendung finden, unabhängig davon, ob ein Mensch mit geistiger Behinderung bei der Familie oder in einer Einrichtung lebt. Ebenfalls sollte es unabhängig vom Schweregrad einer Behinderung sein.[37] Es sollte als Leitbild dienen für die medizinische, pädagogische, psychologische, soziale und politische Tätigkeit auf diesem Gebiet.[38]

Anhand von acht erläuterten Bereichen konkretisierte Nirje den Grundgedanken »so normal wie möglich« und lieferte somit den ersten systematischen Versuch zur Ausdifferenzierung des Prinzips. Diese Bereiche sollen im folgenden ausführlicher dargestellt werden:

- Normaler Tagesrhythmus: Ein Mensch mit geistiger Behinderung hat Anspruch auf einen Tagesablauf, wie ihn ein nichtbehinderter Mensch in der Regel auch erlebt. Unabhängig vom Schweregrad der Behinderung heißt das, er wird aus dem Bett genommen, gewaschen und angezogen, um den Tag zu beginnen. Die Mahlzeiten sollen möglichst im kleinen Kreis stattfinden und mit Ruhe und Harmonie verbunden sein. Es kann nicht, weder in der Familie noch in Einrichtungen (aufgrund personellen Mangels o. ä. ), von geistig behinderten Menschen verlangt werden, den Tag früher zu beenden (zu Bett zu gehen), als es ihrem Alter entspricht.
- Trennung von Arbeit/ Freizeit/ Wohnen: Die meisten nichtbehinderten Menschen verlassen ihr Zuhause, wenn sie zur Arbeit oder Schule gehen, und verbringen ihre Freizeit wiederum an weiteren Orten. Daraus folgt, daß auch dem Menschen mit geistiger Behinderung ein Ortswechsel und ein Wechsel der Kontaktpersonen zusteht. Durch Inanspruchnahme von Einrichtungen der übrigen Gesellschaft kann der reale Bezug zur Umwelt verständlicher werden. Ferner sollen tägliche Arbeitsphasen und die damit verbundene Herausforderung gewährleistet sein.
- Normaler Jahresrhythmus: Dies bedeutet, übliche Unterbrechungen der Tätigkeit durch Ferien, Feiertage, Familienfeste etc. zu haben. Besondere Bedeutung kommt hier einem Ortswechsel durch Urlaubsreisen zu.
- Normaler Lebenslauf: Die verschiedenen Lebensphasen eines Menschen (Kindheit, Jugend, Erwachsensein) sind auch bei geistiger Behinderung unbedingt zu berücksichtigen und zu respektieren. Angebote müssen dementsprechend gestaltet und Lebensumstände verändert werden. Es muß eine altersangemessene Behandlung erfolgen.
- Respektierung von Bedürfnissen: Wünsche und Bedürfnisäußerungen von Menschen mit geistiger Behinderung sind nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zu respektieren und einzubeziehen.
- Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern: Auch geistig behinderte Jungen und Mädchen bzw. Männer und Frauen haben eine Sexualität und das Recht auf (anders-) geschlechtliche Kontakte. Diese müssen ihnen ermöglicht und zugestanden werden.
- Normaler wirtschaftlicher Standard: Im Rahmen der sozialen Gesetzgebung ist dieser für Menschen mit geistiger Behinderung sicherzustellen.
- Standards von Einrichtungen: Sämtliche Einrichtungen sind in Größe, Lage, Ausstattung etc. den Maßstäben anzupassen, die man bei vergleichbaren Einrichtungen für nichtbehinderte Menschen für zumutbar erachtet.[39]

Durch Berücksichtigung und Umsetzung dieser acht Punkte sollte nach Nirje der Eingliederungsprozeß in die Gesellschaft erfolgen:

„Die Normalisierung hilft manchem dazu, völlige Unabhängigkeit und soziale Integration zu erreichen; einer großen Zahl anderer verhilft sie zur Entwicklung einer relativen Unabhängigkeit, auch wenn sie noch in verschiedenen Bereichen Unterstützung benötigen.“[40]

Es wird deutlich, daß diese Prinzipien für alle Menschen mit geistiger Behinderung gelten sollten, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung.

Der Normalisierungsgedanke hatte also den Anspruch an eine andere Behindertenarbeit, die nicht mehr von Pflege und Verwahrung bestimmt sein sollte, sondern sich stärker als kooperativ-beratenden Maßnahme zu verstehen hatte. Es galt, Strukturen zu schaffen, die Alternativen und Wahlmöglichkeiten beinhalten, um ein möglichst »normales« und selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten.[41] Normalisierung sollte demnach ein Prozeß sein, der sich auf den Ebenen Sozialpolitik, Einrichtungskonzeptionen sowie pädagogische und therapeutische Praxis vollzieht.[42] Ziel des Normalisierungsprinzips war nach Nirje nicht nur eine Humanisierung der Lebensbedingungen, sondern die Eingliederung, die Integration in die Gesellschaft.[43] Ihm zufolge bedeutete Integration,

„daß die Beziehung zwischen Menschen auf der gegenseitigen Anerkennung der Integrität des anderen und auf gemeinsamen Grundwerten und Rechten beruht. Fehlt diese Anerkennung, dann kann es zu Entfremdung, Trennung und Aussonderung kommen“[44].

Integration vollzieht sich somit auf verschiedenen Ebenen:

- Räumliche Integration: Dazu sollen Wohnstätten in Wohnsiedlungen gebaut, Schulklassen für behinderte Kinder in Regelschulen untergebracht sowie Arbeit und Beschäftigung in normalen Geschäfts- und Industrievierteln angeboten werden. Die Freizeit soll sich innerhalb des üblichen Freizeitangebots abspielen.
- Funktionale Integration: Diese stellt eine Erweiterung der räumlichen Integration dar. Sie beinhaltet, daß allgemeine Dienstleistungen (Verkehrsmittel, Restaurants, Schwimmbad etc.) auch von Menschen mit Behinderung in Anspruch genommen werden.
- Soziale Integration: Sie ist dann gegeben, wenn zwischenmenschliche oder auch anonyme soziale Beziehungen von Respekt und gegenseitiger Achtung geprägt sind.
- Personale Integration: Das Bedürfnis nach persönlichen, dem Alter entsprechenden Beziehungen zu wichtigen und nahestehenden Menschen wird befriedigt.
- Gesellschaftliche Integration: Im Hinblick auf gesetzliche Ansprüche werden Menschen mit geistiger Behinderung als Mitbürger akzeptiert. Dies beinhaltet ein Mitbestimmungsrecht in allen persönlichen Belangen, sei es als Einzelperson oder innerhalb einer Selbsthilfegruppe.
- Organisatorische Integration: Die organisatorischen Strukturen einer Gemeinde fördern und unterstützen die übrigen Bereiche der Integration von Menschen mit geistiger Behinderung.[45]

Diese Integrationsebenen scheinen einerseits nicht ganz unabhängig voneinander, andererseits bedingen sie sich nicht zwingend gegenseitig. So dürfte es beispielsweise schwierig sein, als Bewohner einer isolierten und zentralisierten Großanstalt intensive Beziehungen zu Menschen außerhalb dieser Einrichtung aufzubauen. Doch der Umkehrschluß schlägt fehl: Räumliche Integration durch Wohnen in der Gemeinde bedeutet nicht automatisch gesellschaftliche Integration in Form von sozialer Akzeptanz.

Nirje trug mit der Formulierung »so normal wie möglich« der Tatsache Rechnung, daß es beim Integrationsprozeß auf eine realistische Einschätzung der Schwere einer Behinderung, der wechselnden sozialen Beziehungen und Anforderungen ankommt. So sind Unabhängigkeit und Integration für die meisten Menschen relative Größen.[46]

Wie auch schon Bank-Mikkelsen wehrte sich Nirje gegen die Interpretation des Normalisierungsprinzips, die besagt, daß von Menschen mit geistiger Behinderung ein »normales« Verhalten erwartet oder sogar erzwungen werde. Normalisierung darf ihm zufolge aber nicht mit Normalität verwechselt werden, sondern bedeutet

„die Annahme vom Menschen samt seiner Behinderung in der normalen Gesellschaft, mit den gleichen Rechten, der gleichen Verantwortung und den gleichen Möglichkeiten, wie sie anderen zugestanden wird“[47].

Ende der 1960er Jahre besuchte Nirje mehrere staatliche Anstalten für Menschen mit geistiger Behinderung in den USA. Die dort herrschenden Zustände ließen ihn in einem anschließenden Bericht Vergleiche zu den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ziehen.[48] Auch in den USA war die Reformierung der Behindertenhilfe dringend notwendig. Nirjes Aufsatz hatte erheblichen Anteil daran, daß das Normalisierungsprinzip in den USA und Kanada aufgegriffen wurde. Seine entscheidende Ausweitung erfolgte im Jahre 1972 durch den Psychologen Wolf Wolfensberger.

2.3. Strukturierung durch Wolfensberger

Wolfensberger legte eine neue Definition des Normalisierungsprinzips, nun auch unter theoretischen Gesichtspunkten, vor. In seiner Neuformulierung von 1972 bedeutete Normalisierung die

„Anwendung von Mitteln, die der kulturellen Norm soweit wie möglich entsprechen, mit dem Ziel, persönliche Verhaltensweisen und Merkmale zu entwickeln bzw. zu erhalten, die den kulturellen Normen soweit wie möglich entsprechen“[49].

1980 wurde diese Definition etwas verändert. Nach einer weiteren, weniger formalisierten Definition, die gleichzeitig Erläuterungen enthielt, wurde Normalisierung beschrieben als der

„Einsatz von kulturell üblichen Mitteln (gewöhnlichen, geachteten Verfahren, Hilfsmitteln, Methoden) mit dem Ziel, Menschen Lebensbedingungen (Einkommen, Wohnbedingungen, Gesundheitsdienste usw.) zu ermöglichen, welche wenigstens so gut sind wie die der anderen Bürger und die soweit wie möglich Verhaltensweisen (Fähigkeiten, Kompetenzen usw.), ihre Erfahrungen (Anpassung, Gefühle usw.) und ihren Status und ihr Ansehen (Kennzeichnungen durch andere, Einstellungen der anderen usw.) fördern und unterstützen“[50].

Dabei nahm Wolfensberger zwei Erweiterungen vor. Er hielt das Normalisierungsprinzip für universell anwendbar auf alle stigmatisierten Personen und Gruppen, die aufgrund ihrer Lebensweise, Nationalität o. ä. von ihrer Umgebung abgelehnt und abgewertet werden.[51] Des weiteren versuchte er gegenüber den praxisbezogenen Forderungen Bank-Mikkelsens und Nirjes eine Einbindung des Konzepts in gesellschaftliche Erklärungszusammenhänge.[52] Auch Wolfensberger ging es um die Verbesserung der Lebensbedingungen geistig behinderter Menschen. Dazu wollte er herausfinden, warum sie überhaupt unter schlechteren Bedingungen leben. An seiner Definition wird deutlich, daß es neben der Normalisierung der Mittel zur Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung auch der Normalisierung des Erscheinungsbildes und der Verhaltensweisen des Behinderten selbst bedarf.[53] Dies kann leicht mißverstanden werden als Aufforderung, sich bedingungslos gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen.[54] Verständlicher wird es, wenn man im Sinne Wolfensbergers Normalisierung im Spannungsfeld gesellschaftlicher Erwartungen einerseits und individueller Erscheinungsweisen, welche leicht als deviant interpretiert werden können, andererseits betrachtet.[55] Devianz ist dabei das Ergebnis gesellschaftlicher Definitionen, die wie andere soziale Phänomene historischen Veränderungen unterliegen. Ein (negativ bewertetes) Merkmal wird erst durch eine Definition, die Geltung erlangt, »deviant«.[56]

Werden Menschen oder ganze gesellschaftliche Gruppen abgewertet und schlecht behandelt, ist das nach Wolfensberger weniger auf das tatsächliche Wesen des oder der Abgelehnten zurückzuführen, als vielmehr auf die Vorstellungen der sie Ablehnenden aufgrund devianter Merkmale.[57] Wie Menschen eingeschätzt werden, ist ihm zufolge außerdem im Zusammenhang damit zu sehen, wie ihre soziale Rolle eingestuft wird. In Anbetracht dieser Tatsache, daß das Verhalten gegenüber einer Person oder Gruppe daraus resultiert, wie jemand diese sieht, mußte nach Wolfensberger eine Formulierung des Normalisierungsprinzips und seiner Ziele die Aufwertung der sozialen Rolle beinhalten. Besonders geboten ist dies nach ihm bei Menschen, welchen man eine gesellschaftlich niedrig eingestufte Rolle zugewiesen hat.[58] Die Zuweisung niedrig eingestufter Rollen birgt gemäß Wolfensberger die Gefahr der Ablehnung, der Isolation und der Assoziation mit negativen Eigenschaften.[59]

Die Aufwertung und Erhaltung der sozialen Rolle eines Menschen geschieht ihm zufolge zum einen durch die Aufwertung des sozialen Ansehens. Dieses besteht demnach aus den Vorstellungen, die sich andere von einer Person oder Gruppe machen. Es wird beeinflußt durch Eindrücke beispielsweise davon, wie eine Person angeredet wird, wie sie gekleidet und gepflegt ist, mit was sie sich beschäftigt etc. Zum anderen geschieht die Aufwertung und Erhaltung der sozialen Rolle durch die Aufwertung der tatsächlichen Kompetenz einer Person. Dazu zählen ihre Fähigkeiten, Gewohnheiten und Dispositionen. Ein hohes Maß an Kompetenz kann sich nach Wolfensberger z. B. in Höflichkeit, Geduld, Intelligenz, körperlicher und sensorischer Unversehrtheit oder speziellen Fertigkeiten (Sport, Musik) äußern.[60]

Die Aufwertung des sozialen Ansehens hielt Wolfensberger für relevanter, da die Vorstellung über eine Person seiner Meinung nach größeren Einfluß auf ihre Bewertung ausübt als ihre tatsächlichen Eigenschaften. Ansehen und Kompetenz wirken jedoch spiralförmig zusammen: Eine Aufwertung des sozialen Ansehens läßt mehr Unterstützung von der Umwelt erwarten, was die Voraussetzung für wachsende Kompetenz ist. Mit wachsender Kompetenz geht wiederum eine Aufwertung des sozialen Ansehens einher. Umgekehrt kann man bei Kompetenzverlust auch von einem sinkenden sozialen Ansehen ausgehen.[61]

Wolfensberger präzisierte diese Dimensionen von Kompetenz und sozialem Ansehen als Interaktionsdimension und Interpretationsdimension. Damit wird betont, daß sich Normalisierung (im Zusammenhang mit geistig behinderten Menschen) nicht nur auf Handlungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen bezieht, sondern auch darauf, wie erstere der Umwelt symbolisch präsentiert werden.[62] Normalisierung bzw. die Aufwertung der sozialen Rolle vollzieht sich nun nach Wolfensberger auf den drei Handlungsebenen – Person, primäre soziale Systeme sowie Gesellschaftssysteme – in jeweils diesen beiden Dimensionen.[63] Welche Forderungen sich dadurch ergeben, um die soziale Rolle geistig behinderter Menschen aufzuwerten, soll Tab. 2 verdeutlichen.

[...]


[1] Fussek, 1999, 73.

[2] Vgl. Fornefeld, 2002, 26.

[3] Vgl. ebd., 26.

[4] Vgl. Kobi, 1977, 12 f.

[5] Vgl. Menolascino, 1977, zit. n. Thimm, 1994, 12.

[6] Vgl. Fornefeld, 2002, 39.

[7] Vgl. ebd., 39.

[8] Vgl. ebd., 39.

[9] Vgl. Speck, 1979, 67 f.

[10] Vgl. Fornefeld, 2002, 40.

[11] Vgl. ebd., 41.

[12] Vgl. Droste, 2000, 14.

[13] Vgl. Speck, 1979, 69.

[14] Vgl. ebd., 70.

[15] Vgl. Hähner, 2003a, 29.

[16] Hähner, 2003a, 30.

[17] Vgl. ebd., 29.

[18] Vgl. Fornefeld, 2002, 42.

[19] Vgl. ebd., 42.

[20] Vgl. Hähner, 2003a, 30.

[21] Vgl. Hähner, 2003a, 31.

[22] Vgl. Fornefeld, 2002, 138.

[23] Vgl. Hähner, 2003a, 32.

[24] Goll, 1993, 282.

[25] Fornefeld, 2002, 138.

[26] Barsch/ Klöcker, 2005.

[27] Vgl. Fornefeld, 2002, 148.

[28] Thimm, 1994, 12.

[29] Beck, 1994, zit. n. Gröschke, 1998, 366.

[30] Vgl. Ericsson, 1985, 1.

[31] Vgl. Ericsson, 1986, 33.

[32] Vgl. Thimm u. a., 1985, 5.

[33] Vgl. Nirje, 1974, 33.

[34] Vgl. Thimm u. a., 1985, 6.

[35] Vgl. Thimm, 1994, 18.

[36] Nirje, 1974, 34.

[37] Vgl. ebd., 34.

[38] Vgl. Thimm, 1994, 19.

[39] Vgl. Nirje, 1974, 34 ff.

[40] Nirje, 1974, 38.

[41] Vgl. Mattner, 2000, 90.

[42] Vgl. Thimm, 1994, 21.

[43] Vgl. Seifert, 1997b, 27.

[44] Nirje, 1999, 25.

[45] Vgl. Nirje, 1999, 26 ff.

[46] Vgl. ebd., 6.

[47] Nirje, 1999, 29.

[48] Vgl. Nirje, 1974, 23.

[49] Wolfensberger, 1972, zit. u. übers. n. Thimm, 1985, 9.

[50] Wolfensberger, 1972, zit. u. übers. n. Thimm, 1985, 9.

[51] Vgl. Wolfensberger, 1986, 47.

[52] Vgl. Thimm, 1985, 9.

[53] Vgl. Thimm, 1994, 26.

[54] Vgl. ebd., 26.

[55] Vgl. ebd., 27.

[56] Vgl. Hohmeier, 1975, o. S.

[57] Vgl. Wolfensberger, 1986, 48.

[58] Vgl. ebd., 49.

[59] Vgl. ebd., 49.

[60] Vgl. ebd., 50.

[61] Vgl. Wolfensberger, 1986, 50.

[62] Vgl. Thimm, 1985, 11 f.

[63] Vgl. Thimm, 1994, 27 f.

Fin de l'extrait de 79 pages

Résumé des informations

Titre
Das Normalisierungsprinzip und die Selbstbestimmung im Hinblick auf Wohnmodelle für Menschen mit geistiger Behinderung
Université
Justus-Liebig-University Giessen
Note
1,4
Auteur
Année
2005
Pages
79
N° de catalogue
V283403
ISBN (ebook)
9783656826606
ISBN (Livre)
9783656907015
Taille d'un fichier
726 KB
Langue
allemand
Mots clés
Normalisierungsprinzip, Selbstbestimmung, geistige Behinderung, Wohnmodelle
Citation du texte
Friederike Jung (Auteur), 2005, Das Normalisierungsprinzip und die Selbstbestimmung im Hinblick auf Wohnmodelle für Menschen mit geistiger Behinderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283403

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die Selbstbestimmung im Hinblick auf Wohnmodelle für Menschen mit geistiger Behinderung



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