Leseprobe
Inhalt
1. Das Pferd als Lernhelfer für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche
1.1. Darstellung tiergestützter Förderung und Therapie mit Hinweisen auf die besonderen Vorteile des Einsatzes von Pferden
1.2. Heilpädagogisches Voltigieren als Durchführungsart psychomotorischer Übungsprogramme
1.3. Heilpädagogisches Voltigieren und Heilpädagogisches Reiten
1.3.1 Geschichte und Definition des Therapeutischen Reitens und des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens
1.3.2 Zwei unterschiedliche Ansätze zur Nutzung des Einsatzes von Pferden: Heilpädagogisches Voltigieren und Heilpädagogisches Reiten
1.3.3 Ursachen der durch eine Kombination des Heilpädagogischen Voltigierens und Heilpädagogischen Reitens gebotenen signifikanten Lernerlebnisse
2. Klient-, Pferd- und Therapeutenzentrierung, das Erziehungsziel und das daraus hervorgehende Pädagogenverhalten, der Stundenstil und die Lernmethode
3. Zur Praxis des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens
3.1. Die praktische Vorgehensweise im Heilpädagogischen Voltigieren und Reiten, der Aufbau einer Voltigierstunde und die Möglichkeiten von Reiterspielen
3.2. Voltigierübungen zur Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit bei verhaltens-auffälligen Heranwachsenden
3.3. Mögliche Durchführungsorte Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens zur Durchführung an Schulen
3.4. Materielle Voraussetzungen
4. Resümee
5. Literatur (inklusive weiterführender Literatur)
1. Das Pferd als Lernhelfer für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche
In dieser Arbeit wird thematisiert, warum gerade Tiere und insbesondere Pferde in ihrem Einsatz zum Heilpädagogischen Voltigieren und Reiten auf verhaltensauffällige Heranwachsende so stark wirken, daß die Heranwachsenden neue Verhaltensformen aufbauen können. Demgemäß begründet folgt eine detaillierte Schilderung Heilpädagogischen Reitens und Voltigierens. Seiner Entstehung, Geschichte und Definition schließen sich die beiden unterschiedlichen Ansätze des Einsatzes von Pferden in diesem Gebiet an. Außerdem wird den Ursachen der durch eine Kombination der beiden Ansätze zu erzielenden signifikanten Lernerlebnisse nachgegangen. Im zweiten Kapitel sind die sich aus dem humanistischen Verständnis ergebenden im Heilpädagogischen Reiten und Voltigieren zu erfüllenden Grundvoraussetzungen, das übergeordnete Erziehungsziel des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens im Hinblick auf verhaltensauffällige Heranwachsende, das aus dem Erziehungsziel hervorgehende zu praktizierende Pädagogenverhalten, der wirksame Stundenstil und die durch ihn ermöglichte Lernmethode dargestellt. Das dritte Kapitel bezieht sich auf die Praxis Heilpädagogischen Reitens und Voltigierens. Die praktische Vorgehensweise, der Aufbau einer Voltigierstunde und die Möglichkeiten von Reiterspielen werden neben Voltigierübungen zur Schulung der Wahrnehmung bei verhaltensauffälligen Heranwachsenden geschildert. Des weiteren werden Überlegungen zu möglichen Durchführungsarten Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens angestellt und die Bedingungen, unter denen Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten an Schulen durchgeführt werden kann, aufgezeigt.
Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der materiellen Voraussetzungen des Heilpädagogischen Voltigierens/Reitens und einem abschließenden Resümee.
1.1. Darstellung tiergestützter Förderung und Therapie mit Hinweisen auf die besonderen Vorteile des Einsatzes von Pferden
Bereits der Begriff "Reiten" impliziert in unserer Kultur einen als Sport definierten Umgang mit dem Pferd.
Allein eine Beschäftigung des Menschen mit höheren Tieren verschiedenster Rassen, wobei es nur auf die subjektive Überzeugung von dem Vorhandensein einer partnerschaftlichen Beziehung ankommt, hat therapeutische und pädagogische Effekte, die in Belgien bereits seit dem achten Jahrhundert bekannt sind. (vgl. Greiffenhagen 1991, S. 26, 28 u. 14)
In Deutschland wurde tiergestützte Therapie erst Anfang der sechziger Jahre thematisiert. Es entstand ein völlig neuer Wissenschaftszweig, der als "Mensch-Tier-Beziehung" und unter dem Schlagwort "... pet facilitated Therapie..." (ebd., S. 15) bekannt wurde. (vgl. ebd., S. 15) Am deutlichsten wird die Betrachtung des Tieres als Partner in der Namensgebung. Hierdurch schreibt der Mensch dem Tier Individualität zu. (vgl. ebd., S. 26) Schon die bloße Betrachtung eines Tieres läßt den Blutdruck sinken und stabilisiert Herz und Kreislauf.
Kinder, die mit Haustieren groß werden, sind verantwortungsvoller, einfühlsamer und zeigen mehr Mitleid. Insbesondere aus der Kinder-Psychiatrie sind herausragende Erfolge tiergestützter Therapien bekannt und empirisch belegt. (vgl. ebd., S. 30) Denn gerade Kinder, selbst solche, bei denen sich keine andere Methode als wirksam erwiesen hat, bauen häufig Beziehungen zu Tieren auf, die den zwischenmenschlichen sehr ähnlich sind. Sie sind Tieren zumeist näher als Erwachsene (vgl. ebd., S. 30 u. 28) und besser in der Lage, mit ihnen nonverbal zu kommunizieren (vgl. ebd., S. 165), weil das Kind in den ersten Phasen seines Lebens mit seinen ursprünglichen Bedürfnissen und Trieben dem Tier ähnelt. (vgl. ebd., S. 65) Diese Vertrautheit mit Tieren ist für viele Heranwachsende vor allem während der Pubertät bedeutungsvoll.
Sie sind in ihrer Rolle und ihrem Status verunsichert, lösen sich von ihrer Familie und wenden sich Gleichaltrigen zu. Die Jugendlichen wollen erwachsen sein, spüren aber deutlich ihre Abhängigkeit von den Eltern, die sie nicht zu verstehen scheinen. Doch in der Beziehung zu einem Tier finden sie Trost und Zuneigung. (vgl. ebd., S. 75)
Neben Phantasie und Erlebnisfähigkeit, die Tiere bei Kindern anregen, erziehen sie zu Ordnung, Pünktlichkeit, (Selbst-)Disziplin, Fürsorglichkeit und Verantwortung. Insofern dient der Umgang mit Tieren nach dem Pädagogen und Theologen M. TEUTSCH auch einer Erziehung zur Humanität, deren Lernziel z.B. in Empathie besteht. (vgl. ebd., S. 66f.) Zusätzlich motivieren Tiere Kinder laut dem Psychologen J.A.M. TEIXEIRA für die Schule und erhöhen ihre Leistungsbereitschaft, weil die Tiere dem Kind auf vielfältige Weise den aufgestauten Druck nehmen würden, so daß in dessen Kopf Platz für schulische Anforderungen werde. Aus der besseren Leistung resultiere ein höheres Selbstwertgefühl, welches eine stabile Entwicklung der gesamten Psyche gestatte. Gerade Kindern mit psychischen Störungen oder anderen Beeinträchtigungen könne so durch Tiere geholfen werden. (vgl. Greiffenhagen 1991, S. 74) "Aus ähnlichen Gründen empfehlen sich Tiere besonders für Heim-Situationen ... oder Heilpädagogische Einrichtungen." (ebd.)
Denn Tiere rufen in den Kindern kaum die Angst hervor, nicht angenommen zu werden. Schulbildung, Benimmregeln, Kleidung, sprachliche Fähigkeiten und sichtbare wie unsichtbare Beeinträchtigungen spielen für ein Tier keine Rolle. Selbst besonders schüchterne Heranwachsende finden leicht Zugang zu Tieren. Denn in der Beziehung zu einem Tier [das möglicherweise sogar von sich aus ein Kontaktangebot macht] genügt nonverbale Kommunikation völlig. (vgl. ebd., S. 76 f.) Gewöhnlich ist die Körpersprache der Tiere den Kindern gut verständlich, weil die Motive von Tieren wesentlich weniger komplex sind als die der Menschen (Wilhelm-Bako 1992[2], S. 13) Zudem bestehen wesentlich weniger Hemmungen, ein Tier als einen Menschen anzufassen, wobei körperlicher Kontakt für Kommunikation sehr förderlich ist. (vgl. Greiffenhagen 1991, S. 76 f.) Mittlerweile ist sogar erwiesen, daß mit Haustieren aufgewachsene Kinder über größere nonverbale Kommunikationsfähigkeit verfügen. Demnach sind Tiere auch zur Förderung dieses Bereichs einsetzbar.
Da die Heranwachsenden sich gewöhnlich von den Tieren angenommen fühlen, können sie auch deren Feedback annehmen, welches sie mit Sicherheit erhalten, wenn sie das Tier bedacht oder unbedacht falsch behandeln oder sich in seiner Gegenwart und in seinem Sinne falsch verhalten.
Das Tier ist weder willenlos, noch nimmt es alles hin. "Es ist ein eigenes Wesen, mit eigener Natur, die man respektieren, mit individuellen Charakterzügen, die man kennenlernen, mit Unarten, die man ihm abgewöhnen muß." (ebd., S. 77) Wenn ein Tier z.B. nicht mehr gestreichelt werden möchte oder das Kind beim Streicheln Stellen berührt und hierdurch bei dem Tier unangenehme Empfindungen ausgelöst werden, was auch individuell unterschiedlich sein kann, wendet das Tier sich ab oder geht ([anderes Bsp.] s. ebd.). Diese Botschaft muß das Kind akzeptieren und berücksichtigen. Reagiert es aggressiv [fügt dem Tier (versehentlich) Schmerzen zu oder ängstigt es], wird das Tier Grenzen aufzeigen oder sich gegebenenfalls sogar körperlich zur Wehr setzen. Das Kind lernt, sich die Konsequenzen seines Tuns selbst zuzuschreiben. (vgl. ebd., S. 77) Solche von Tieren gegebene Feedbacks kann das Kind oder auch ein verhaltensauffälliger Heranwachsender annehmen, weil beide die Konsequenzen gewöhnlich nur auf das eigene Verhalten, nicht aber auf ihre Person zurückführen. Hat das Kind oder der Jugendliche hierbei Schwierigkeiten, kann eine für das Verhalten des Tieres Verständnis schaffende Reflexion durch einen Pädagogen aus der Perspektive des Tieres erfolgen, indem dessen "Gedanken" ausgesprochen werden. Bei jüngeren Kindern oder auch je nach der Persönlichkeit Älterer ist es dabei nach meinen Erfahrungen häufig hilfreich, mit verstellter Stimme (der des Tieres) zu sprechen.
Eine besondere Rolle im Bereich tiergestützter Förderung kommt dem Pferd zu.
Die kompensatorischen und erzieherischen Effekte des Umgangs mit Pferden sind vor allem in Deutschland seit langem bekannt. Sie lassen sich hier bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.
Im Gegensatz zu anderen zur Förderung eingesetzten Tieren ist der Einsatz von Pferden besonders unproblematisch. Es steht und fällt nicht alles mit der vorausgehenden Diagnostik, weil der Umgang mit einem Pferd nahezu alle Bereiche anspricht. (vgl. ebd., S. 149) "Er tut immer gut, einerlei, was einem fehlt. Das liegt zum großen Teil am Pferd selbst ..." (ebd.), denn es spricht alle unsere Sinne positiv an. Ein Pferd fühlt sich angenehm an, riecht gut, sieht ansprechend aus und hebt seit jeher die soziale Stellung seines Besitzers, weil es von besonderem materiellen Wert ist. (vgl. ebd.) Der Umgang mit ihm läßt den menschlichen Partner an den Eigenschaften des Pferdes teilhaben.
Unter heilpädagogischen Aspekten ist zum einen die imposante physische Größe und Kraft des Pferdes von besonderer Bedeutung. (vgl. ebd., S. 150 u. 153) Kann die Angst davor überwunden und eine von Vertrauen geprägte Beziehung zu dem großen Tier aufgebaut werden, sind allein diese Erfahrungen von unsagbarem therapeutischen Wert, weil sie Selbstvertrauen entstehen lassen (vgl. ebd.). Erst dieses Selbstvertrauen ermöglicht den verhaltensauffälligen und völlig verunsicherten Heranwachsenden frei von Frustrationen ein sensorisches Integrationstraining aufzunehmen. Ein solches Training läßt zugleich eine Harmonisierung der sicht sonst nur als Versager fühlenden Persönlichkeit entstehen. (vgl. ebd., S. 154) Zudem wird eine Veränderung des sozialen und emotionalen Verhaltens durch die entstandene Interaktion zwischen Mensch und Pferd, die Wahrnehmung über die Sinnesorgane, intensiver körperlicher Kontakt und das gegenseitige Lernen, die Bewegungen und Ausdrucksformen des anderen zu verstehen, ermöglicht. (Ölsböck 1992, S. 7)
Insofern ist es von großem Nutzen, daß das Pferd objektiv betrachtet einen leichten Zugang zu den entsprechenden wichtigen Erfahrungen ermöglicht. Denn ein Pferd ist nicht nur äußerst angenehm anzufassen und muß gepflegt und fürsorglich behandelt werden, sondern es ist als Herdentier sozialen Kontakten gegenüber auch sehr aufgeschlossen und außerdem neugierig, als Fluchttier aber nicht aggressiv. (vgl. ebd., S. 150) Jedoch ist aufgrund dieser Natur des Pferdes im Umgang mit ihm kein Platz für die eigene Angst, weil der Mensch dem Pferd seine Angst und damit auch den Impuls zur Flucht nehmen muß (vgl. ebd., S. 153). Hierzu muß die eigene Furcht und Unsicherheit des Reiters vor sich selbst wie auch vor anderen eingestanden und an ihr gearbeitet werden. Die Heranwachsenden lernen außerdem, ihre Fertigkeiten angemessen einzuschätzen und können hierdurch weiterhin ihr Selbstwertgefühl steigern. (vgl. Gäng 1994[4], S. 135) Außerdem erfahren sie, daß sie das arteigene Verhalten des Pferdes respektieren und sich demgemäß verhalten müssen. Die Heranwachsenden erleben, daß sie weder Gewalt anwenden noch Schreien oder Handlungen zeigen dürfen, die die Beziehung zum Pferd stören könnten. (vgl. Gäng 1994[4], S. 134) Sind sie aber in der Lage, das Pferd, seine Bewegungen und sein Verhalten einschätzen zu lernen, was von ihrer Empathiefähigkeit und von ihren Grundhaltungen wie Zuneigung, Liebe zum Tier, Urvertrauen und Ängstlichkeit abhängt, beginnen die Heranwachsenden "... das Verhalten des Pferdes zu beobachten und vermeide[...]n ... negative Reize, so wird das Pferd ... folgen und gehorchen." (Ölsböck 1992, S. 7 f.)
Als Folge einer demgemäßen Interaktion zeigen die Heranwachsenden "... Selbstvertrauen, Mut, Aufmerksamkeit und Aktivität ..." (ebd., S. 8). (vgl. ebd., S. 7 f.)
Den geschilderten positiven Auswirkungen der Natur des Pferdes als Herden- und Fluchttier muß hinzugefügt werden, daß "... [z]ur Reitkultur ... die Stallkultur ..." (Greiffenhagen 1991, S. 150) gehört. (vgl. ebd.) Deren heilpädagogische Wirkung ist ebenfalls von bedeutendem Ausmaß, weil die Notwendigkeit der anfallenden Arbeiten stets leicht zu erkennen bzw. einzusehen ist. Förderung mit dem Pferd vollzieht sich demnach innerhalb "... eines ungemein realen Bezugsfeldes ..." (ebf., S. 155) und ermöglicht deshalb Transferleistungen. (vgl. ebd., S. 154 f.)
Zum anderen geschieht der Umgang mit keinem anderen Tier in so engem Körperkontakt wie mit dem Pferd, was andere Vorzüge, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden, mit sich bringt (vgl. ebd., S. 151).
1.2. Heilpädagogisches Voltigieren als Durchführungsart psychomotorischer Übungsprogramme
Trotzdem mittlerweile neuere Fachtermini zur Verfügung stehen, wird in diesem Abschnitt durchgängig der Begriff "Psychomotorik", den E.J. KIPHARD Anfang der sechziger Jahre eingeführt hat, genutzt. Dieser Fachausdruck wird bevorzugt, weil er im Gegensatz zu den anderen mir bekannten, "... die enge Verbundenheit von Psyche und Motorik ..." (Hebebrand 1993, S. 10) andeutet, die gerade beim Reiten und insbesondere beim Heilpädagogischen zum Tragen kommt.
"Nach KIPHARD versteht man unter Psychomotorik 'das Konzept einer ganzheitlichen Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung ... durch gezieltes und variiertes Wahrnehmungs- und Bewegungslernen' ..." (ebd.), das vermehrte Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit entstehen läßt. Die Ursache dieser gerade für verhaltensauffällige Heranwachsende bedeutsamen Möglichkeiten liegt laut KIPHARD darin begründet, daß sich psychische Vorgänge in den Bewegungen äußern und demnach sowohl psychische Konflikte wie auch körperliche Anspannung unter psychischem Einsatz abgebaut werden. (vgl. ebd.)
Gleichsam der Widerspiegelung psychischer Konflikte in Haltung und Motorik, kommt darin innere Gelöstheit zum Ausdruck (vgl. ebd.), wodurch sich die Effektivität der jeweiligen Übungen überprüfen läßt.
Das Ziel psychomotorischer Übungen liegt in der Erreichung einer Balance zwischen inneren Gefühlen und äußeren Bewegungen, wobei nach LÖWNAU über motorische Vorgänge zusätzlich psychische Bereiche berührt werden, die den Heranwachsenden für beeinflussende Prozesse empfänglich machen.
Jedoch betonen beide Autoren die Notwendigkeit von Konzentration, die wiederum ohne Interesse und Motivation kaum möglich ist. (vgl. ebd., S. 11) Desinteresse und fehlende Motivation spielen aber nach meinen Erfahrungen beim Heilpädagogischen Voltigieren/Reiten und im gesamten Umgang mit dem Pferd hierfür geeigneter verhaltensauffälliger Heranwachsender keine Rolle.
Nach KIPHARD vollziehen sich durch bestimmte Motorikprogramme Änderungen des Verhaltens in vier Bereichen. Auf sensomotorischer Ebene werden neue Erfahrungen gemacht und Leistungen aufgebaut, während im affektiven Bereich Selbstvertrauen und die Freude am Erleben gefördert werden. Des Weiteren wird der Heranwachsende zur Steuerung seines Verhaltens bzw. zum Aufbau von Kontakten und dazu, Kooperationsbereitschaft zu zeigen, befähigt. Neben diesen Entwicklungen im sozialen Bereich führen die Übungen auch zu Fortschritten im kognitiven Feld, weil Handlungsintelligenz, Problemlösungen und Kreativität gefördert werden.
Zur Erstellung des individuell richtigen Übungsprogrammes ist es erforderlich, die vom Heranwachsenden bereits beherrschten Fähigkeiten und Fertigkeiten festzustellen. Eine solche Förderungsdiagnostik (vgl. ebd., S. 12) ist auch beim Heilpädagogischen Voltigieren durchführbar (s. Struck 1997, S. 117-143 u. Ringbeck 1994[4], S. 143-148 [wobei Ringbeck beschreibt, wie Förderdiagnostik im Heilpädagogischen Reiten durchgeführt werden kann]). Die dann nach den Ergebnissen erstellten Übungen müssen den Wahrnehmungsbereich, den Bewegungsbereich und den emotionalen sozialen Bereich ansprechen (vgl. Hebebrand 1993, S. 12), wozu besonders das Heilpädagogische Voltigieren viele Möglichkeiten bietet (s. Gäng 1994[4], S. 71-93). Um ebenfalls die Übertragung der hierdurch neu erworbenen Kompetenzen in den Alltag zu gewährleisten, sind diese in der Persönlichkeit des Heranwachsenden zu festigen. Hierzu ist es erforderlich, die Übungen häufig zu variieren, damit der Heranwachsende lernt, sich schnell in neuen Situationen zurechtzufinden. (vgl. Hebebrand 1993, S. 16)
Es ist also von besonderer Bedeutung, die grundlegenden motorischen, sensorischen und psychisch-motivationalen Voraussetzungen zu schaffen, welche ... [den Heranwachsenden] in die Lage versetzen, in verschiedenen Lernsituationen unterschiedliche Lernstrategien zu entwickeln. (ebd.)
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