Die regionale Expansion von Call A Bike: Strategische Optionen und Attraktivität von Zielmärkten eines fahrradbasierten Mobilitätssystems


Diplomarbeit, 2001

106 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

2 Realisierung von Mobilität im Personenverkehr
2.1 Personenverkehr in Deutschland
2.1.1 Verkehrsaufkommen und Verkehrsleistung
2.1.2 Verteilung auf Verkehrsträger
2.1.3 Fahrtenanlässe
2.1.4 Regionale Verteilung des Verkehrs
2.2 Negative Auswirkungen der Verkehrsentwicklung
2.2.1 Globale Umweltauswirkungen
2.2.2 Umweltauswirkungen im Stadtbereich
2.2.3 Externe Kosten des Straßenverkehrs

3 Das Fahrradverleihsystem Call A Bike
3.1 Die Dienstleistung von Call A Bike
3.1.1 Nutzungsanlässe
3.1.2 Vergleich des Angebotes mit Mobilitätsalternativen
3.1.3 Einstellung von (potentiellen) Kunden zu Call A Bike
3.1.4 Die Zielgruppe von Call A Bike
3.1.5 Relevanz der ökologischen Verhaltenslücke
3.2 Möglichkeiten zur Steigerung der Dienstleistungsqualität
3.2.1 Erleichterung des Einstiegs
3.2.2 Vereinfachung von Entleihung und Rückgabe
3.2.3 Pflege von Stammkunden
3.2.4 Erweiterung des Entleihungsgebietes
3.3 Wirtschaftliche Tragfähigkeit des Konzeptes
3.3.1 Kosten-und Erlösstruktur
3.3.2 Deckung der Absatzprognosen im Pilotmarkt München
3.3.3 Zulässigkeit von Rückschlüssen auf die Tragfähigkeit
3.4 Alternative Fahrradverleihsysteme
3.4.1 CityBike
3.4.2 Witte Fietsen
3.4.3 Verhältnis zwischen City Bike und Call A Bike

4 Attraktivität von Zielmärkten
4.1 Attraktivität von Zielmärkten als komplexes System
4.2 Modellentwicklung durch qualitative Forschung
4.2.1 Forschungsinstrument Expertengespräch
4.2.2 Auswahl der Gesprächspartner
4.2.3 Entstehen der Einzelmodelle
4.3 Identifizierte Einflußfaktoren
4.3.1 Unstrittige Faktoren
4.3.2 Strittige Faktoren
4.3.3 Weitere Faktoren
4.4 Gesamtmodell
4.5 Rückschlüsse aus dem Modell

5 Strategische Optionen der regionalen Expansion
5.1 Mögliche Formen der Expansion
5.1.1 Lizenzvergabe
5.1.2 Franchising
5.1.3 Strategische Allianzen
5.1.4 Kooperation mit öffentlichen Institutionen
5.2 Geschwindigkeit der Expansion
5.3 Handlungsempfehlung zur Expansion

6 Zusammenfassung und Ausblick
6 1 Zusammenfassung
6.2 Ausblick
6.2.1 Öffentlicher Personennahverkehr
6.2.2 Förderung des Rad- und Fußverkehrs
6.2.3 Raumplanung

7 Anhang
7.1 Abbildungsverzeichnis
7.2 Abkürzungsverzeichnis
7.3 Literaturverzeichnis

1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Nahezu jeder Aufenthalt in einem urbanen Ballungsgebiet dokumentiert in aller Deutlichkeit die Probleme, die mit der derzeitigen Bewältigung des Verkehrsauf-kommens vorwiegend durch motorisierten Individualverkehr (im Folgenden: MIV) verbunden sind: Verkehrsstaus, Lärmbelastung, Abgasemissionen, Unfallopfer und Raumverbrauch sind die sichtbarsten Kosten, mit denen Mobilität in der Form des MIV erkauft wird. Ressourcenverzehr, Bodenversiegelung und Erosion des innerstädtischen Einzelhandels zugunsten autogerechter Einkaufszentren im Umland sind als weniger sichtbare Konsequenzen zu nennen.

Die öffentliche Hand[1] verfügt über Instrumente, dieser Problematik zu begegnen: Öffentlicher Personennahverkehr (im Folgenden: ÖPNV), Förderung des nicht-motorisierten Verkehrs (auch zu Lasten des MIV) und verkehrsreduzierende Raumplanung können als Bausteine einer zukunftsfähigeren Verkehrspolitik betrachtet werden. Jedoch kann die öffentliche Hand die Verkehrsprobleme weder im Alleingang, noch gegen den Widerstand der Bevölkerung lösen.

Das Automobil erfreut sich, wie in Kapitel 2 beschrieben, in allen Verkehrsbereichen – Beruf, Geschäft, Ausbildung, Einkauf, Freizeit, Urlaub – vor allem aufgrund seiner Flexibilität[2] größter Beliebtheit. Will man die sich daraus ergebenden langfristig verheerenden Konsequenzen nicht mit striktem Dirigismus bekämpfen, sind neben einem Mindestmaß an restriktiven Maßnahmen vor allem Alternativen gefragt, die ein Umsteigen auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel attraktiv machen. Hier sind neben der öffentlichen Hand vor allem Unternehmen[3] mit ihrer Innovationskraft und ihrer Fähigkeit, aus Eigeninteresse die Bedürfnisse von Kunden optimal zu befriedigen, gefordert.

Eine solche Innovation aus der Privatwirtschaft[4] stellt das im Frühjahr 2000 in München eingeführte stationsunabhängige Fahrradverleihsystem Call A Bike dar. Dieses kann, wie in Kapitel 3 dargestellt, als eigenständiges Transportmittel und zusätzlich in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln (ÖPNV, Bahn, MIV) helfen, die zahlreichen[5] ökologisch besonders schädlichen Kurzstrecken per Automobil im Stadverkehr zu verringern.[6]

Ziel der Arbeit ist es, dem Unternehmen Möglichkeiten zur Expansion des Systems in weitere Zielmärkte aufzuzeigen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Attraktivität von Zielmärkten und den strategischen Optionen, die dem Unternehmen zur Erschließung dieser offen stehen. Dabei hat sich herausgestellt, daß die ursprünglich getroffene Annahme der ökonomischen Tragfähigkeit des Systems im Pilotmarkt München in der ersten Saison nicht bestätigt werden konnte: Das geplante Fahrtenaufkommen wurde bei weitem verfehlt. Aus diesem Grund werden in Kapitel 3 Maßnahmen angeführt, durch die das System Call A Bike stärker an die Bedürfnisse der Kunden angepasst und damit Fahrtenaufkommen und Wirtschaftlichkeit des Systems gesteigert werden können.

Nach einer Einschätzung der ökonomischen Tragfähigkeit des privatwirtschaftlichen Systems Call A Bike werden alternative, von der öffentlichen Hand eingeführte und betriebene Fahrradverleihsysteme vorgestellt. Insbesondere das Kopenhagener „City Bike“ Modell kann aufgrund seiner Kostenfreiheit (für Nutzer), Einfachheit und infolge dessen intensiven Nutzung durch die Bevölkerung als ernsthafte Alternative zum Call A Bike System betrachtet werden. Einführung und gut funktionierender Betrieb eines solchen Fahrradverleihsystems senken die Attraktivität von Märkten für das Call A Bike System drastisch.

Diese Attraktivität von Zielmärkten ist Gegenstand der empirischen Forschung und wird in Kapitel 4 behandelt. Zunächst wird als theoretischer Hintergrund die Betrachtung der Attraktivität eines Zielmarktes als komplexes System beschrieben. Nach einer Erläuterung des Forschungsdesigns werden alle wesentlichen identifizierten Einflußfaktoren des Systems, geordnet nach der Konvergenz der Expertenmeinungen, vorgestellt. Die Ergebnisse werden schließlich in einem Modell zur Attraktivität von Zielmärkten zusammengefaßt.

Kapitel 5 befaßt sich mit den Optionen, die dem Unternehmen zur Ausweitung seiner Tätigkeit in weitere Zielmärkte offen stehen. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, daß aufgrund des Geschätftsverlaufes in der ersten Saison bestimmte Optionen, etwa die Akquisition von Unternehmen, mittlfristig nicht mehr zur Verfügung stehen. Eingehende Beschreibung finden Modelle, die auf Kooperation mit Partnern unter geringerem Finanzaufwand für Call A Bike beruhen: Lizenzvergabe, strategische Allianzen und Kooperation mit öffentlichen Institutionen. Franchising wurde aufgrund seiner überragenden Vorteile trotz kurzfristig kaum realisierender Umsetzbarkeit vorgestellt. Nach einigen Überlegungnen zur Geschwindigkeit der Expansion, die vor allem durch die Sicherstellung der Dienstleistungsqualität bei knappen Ressourcen begrenzt ist, mündet das Kapitel in eine Handlungsempfehlung zur Expansion.

Kapitel 6 faßt die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt schließlich einen Ausblick darauf, wie Fahrradverleihsysteme im Zusammenspiel mit weiteren Komponenten eine zukunftsfähigere urbane Mobilität realisieren können

2 Realisierung von Mobilität im Personenverkehr

Zu den ureigensten Bedürfnissen des Menschen gehört es, sich fortzubewegen. Wenn auch in Folge der Telekommunikationstechnik[7] eine moderate Tendenz weg vom „Zwangsverkehr“ Beruf und Ausbildung hin zum „Wunschverkehr“ Urlaub und Freizeit erkennbar ist, wird auch in Zukunft mit einem deutlichen Verkehrswachstum[8] gerechnet.

Mobilität im Personenverkehr umfaßt

„ausserhäusige (...) Ortsveränderungen, d. h. Ortsveränderungen, die in öffentlich zugänglichen Verkehrsräumen (Straße, Schiene, Luftraum und Wasserstraße) Verkehr erzeugen und auf ein bestimmtes geographisches Ziel (...) ausgerichtet sind, wobei das Ziel immer auch Ort von Aktivitäten wie z.B. Wohnen, Arbeiten (...) ist.“

Diewitz et al. 1999, Internet

Als Maß für Mobilität sind grundsätzlich zwei Ansätze denkbar: die summierte Länge aller zurückgelegten Wege oder – der obigen Definition folgend – die Zahl der zurückgelegten Wege, also die Zielerreichungen pro Person in einer Periode. Da der Einzelne letztendlich nicht eine möglichst weite Wegstrecke zurücklegen, sondern vor allem ankommen möchte, wird im Folgenden die Anzahl der Wege als Maß für Mobilität verwendet.

2.1 Personenverkehr in Deutschland

Die aggregierte Betrachtung der einzelnen Ortsveränderungen ergibt das Bild des Personenverkehrs. Da dieser das Marktumfeld für Call A Bike darstellt, wird zunächst die Struktur und Entwicklung des Personenverkehrs in Deutschland[9] beschrieben, um anschließend auf die Auswirkungen insbesondere im ökologischen Bereich einzugehen.

2.1.1 Verkehrsaufkommen und Verkehrsleistung

Betrachtet man die Entwicklung der Mobilität in Deutschland im Zeitverlauf, so fällt eine erstaunliche Konstanz auf: Seit Hinzunahme des nichtmotorisierten Verkehrs in die Statistik 1976 hat sich die Zahl der Wege pro Person und Jahr bei etwa 1.150 konstant gehalten,[10] der durchschnittliche Bundesbürger legt also täglich zwischen drei und vier Wege zurück. Die Addition aller in dem Erfassungsgebiet von der Bevölkerung zurückgelegten Wege ergibt das Verkehrsaufkommen . Das absolute Wachstum des Verkehrsaufkommens seit 1976 auf knapp 95 Mio. Wege 1997 ist primär auf das Bevölkerungswachstum durch die Wiedervereinigung 1990 zurückzuführen. Die Mobilität des Einzelnen im Sinne von Zielerreichungen hat sich damit nicht erhöht.

Eine deutliche Veränderung hat jedoch die durchschnittliche Weglänge erfahren: Lag sie 1976 noch bei knapp 10 km, stieg sie bis 1997 auf ca. 12 km, nach Korrektur einer Verzerrung durch die amtliche Statistik[11] sogar auf 14 km an. Die Steigerung der durchschnittlichen Wegelänge schlägt sich direkt in der Verkehrsleistung nieder.

Die Verkehrsleistung umfasst die Anzahl der von der Bevölkerung zurückgelegten Kilometer („Personenkilometer“) in einem bestimmten Zeitraum. Diese hat sich in Folge der Verbreitung schneller Verkehrsmittel, insbesondere Flugzeug und Auto, rapide ausgeweitet: Sie stieg von 300 Millarden Personenkilometer 1960 auf ca. 1070 Mrd. Pkm[12] 1994 an. Ein Blick auf die Verkehrsleistung innerhalb der Europäischen Union zeigt ähnliches: Hier wird nach Schätzungen der Prognos AG mit Verkehrsleistung von 4.630 Mrd. Pkm für 2000 und für 2010 mit einem Zuwachs auf 5.300 Mrd. Pkm gerechnet.[13]

2.1.2 Verteilung auf Verkehrsträger

Für die Auswirkungen des Personenverkehrs ist vor allem die Verteilung der Verkehrsleistung auf verschiedene Verkehrsträger relevant. Als Verkehrsträger sind der sogenannte „Umweltverbund“ (ÖPNV, Bahn, Fußgänger, Fahrrad), Luftverkehr und MIV (PKW, Motorrad) zu nennen. Hier ist festzustellen, daß die Verkehrsträger Luftverkehr und MIV stark an Bedeutung gewonnen haben. So verdreifachte sich die Verkehrsleistung des Flugverkehrs innerhalb Deutschlands von 1976 bis 1994 auf über 30 Mrd. Pkm 1994, unter Hinzunahme der Gesamtstrecke stieg sie sogar auf von 188 Mrd. Pkm an.[14]

Der Anteil des MIV wuchs dabei in den alten Bundesländern von 1960 bis 1989 von knapp 50%[15] auf 83% der Verkehrsleistung an und blieb dort bis heute nahezu unverändert. Diese Zahl[16] findet sich sowohl in der Schätzung zum Anteil des Autoverkehrs an der EU-Verkehrsleistung im Jahr 2000 als auch in der Prognose für die EU im Jahr 2010 (83%)[17] wieder. Bei Betrachtung der Verkehrsleistung spielen die übrigen, umweltfreundlicheren Verkehrsträger keine nennenswerte Rolle.

Es steht also zu befürchten, daß ohne entscheidende Veränderungen in der Verkehrspolitik auch in Zukunft der weitaus größte Teil der wachsenden Verkehrsleistung über den MIV und Luftverkehr abgewickelt wird.

Dieses Bild wird bei der Betrachtung des Verkehrsaufkommens relativiert: Hier zeigt sich, daß ein großer Teil der Wege 1997 mit Hilfe der eigenen Füße (27%) oder Pedalen (10%) erreicht wurde. Der ÖSPV[18] fällt mit 9% ebenfalls stärker, die Eisenbahn kaum und Luftverkehr nicht ins Gewicht. Hauptträger auch des Verkehrsaufkommens bleibt der MIV mit 53% wovon aufgrund der weiter gesunkenen Fahrzeugbesetzung (1994: 1,4 Personen je Fahrzeugkilometer) 70% Selbstfahrer[19] sind.

2.1.3 Fahrtenanlässe

Fahrten[20] lassen sich unabhängig von den Verkehrsträgern in Einkaufsverkehr, den sogenannten „Zwangsverkehr“ Beruf, Geschäft und Ausbildung und den „Wunschverkehr“ Freizeit und Urlaub unterteilen.

Unter Berufsverkehr versteht man den Verkehr zwischen Wohnsitz und Arbeitsplatz unter der Woche.[21] Geschäftsverkehr dagegen umfasst alle übrigen arbeitsbezogenen Fahrten, beispielsweise Dienstreisen und Auslieferungen. Fahrten zu Ausbildungsstätten (z.B. Schulen, Universitäten) werden als Ausbildungsverkehr bezeichnet. Unter Einkaufsverkehr werden Fahrten zu Einkaufsstätten, Behörden, Dienstleistungsbetrieben und ähnliche zusammengefasst.[22] Urlaubsverkehr umfaßt alle Freizeitfahrten mit 5 oder mehr Tagen Dauer. Alle übrigen Fahrten werden unter dem sogenannten Freizeitverkehr zusammengefasst.[23]

Abbildung 1 zeigt die seit 1976 relativ konstante Aufteilung des Fahrtenaufkommens unter diesen Verkehrsbereichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 : Verkehrsaufkommen 1997 nach Verkehrszwecken

Quelle: Heinze 2000b, S. 70.

Im Berufsverkehr fällt vor allem die stetig sinkende Bedeutung des ÖSPV auf. Hierauf entfielen nach 13% 1976 nur noch 9,3% aller Fahrten – eine Zahl, die vom auf 8,9% gestiegenen Fahrradverkehr fast erreicht und vom ebenfalls stark gesunkenen Fußgängerverkehr[24] (11% nach 19% 1976)) noch übertroffen wird. Die sinkende Bedeutung der Fußwege ist vermutlich unter anderem mit dem Anstieg der durchschnittlichen Entfernung zum Arbeitsplatz von 9 km 1976 auf 11km 1994 zu erklären. Klar dominierend ist der MIV mit 67% aller Fahrten, der im Berufsverkehr fast ausschließlich (92%) aus Selbstfahrern besteht. Einen Grund für die Abwesenheit von Beifahrern können flexibleren Arbeitszeiten darstellen, die die Bildung von Fahrgemeinschaften erschweren.

Der Anteil der Geschäftsreisen am Verkehrsaufkommen stieg erheblich auf 9% an, was auf erhöhte Mobilitätserfordernisse im Arbeitsleben schließen läßt. In die gleiche Richtung weist der hohe Anteil (16%) des Geschäftsverkehrs an der Verkehrsleistung – hier werden fast doppelt so lange Wege (ca. 20km) zurückgelegt wie im Durchschnitt.

Der Anteil des Einkaufsverkehrs am Verkehrsaufkommen sank leicht auf 27%. Bemerkenswert ist hier der geringe Anteil an der Verkehrsleistung (11%), was mit den kurzen Wegen der stark am Einkaufsverkehr beteiligten Fußgänger (39%) und Radfahrer (10%) zusammenhängen könnte.

Stärkstes Wachstumssegment ist der Urlaubsverkehr . Dessen Anteil am Verkehrsaufkommen blieb zwar mit 0,2% zu vernachlässigen, nahm 1994[25] jedoch bereits 18% der Verkehrsleistung in Anspruch. Als positiver Aspekt für Call A Bike ist zu vermerken, dass lediglich die Selbstfahrer (22% der Urlauber) am Zielort mit eigenem Gefährt am MIV teilnehmen können – was in fremden Städten mit gegebenenfalls anderen Verkehresgewohnheiten nicht unbedingt zur Erholung beiträgt. Die Mitfahrer (30%) können nur eingeschränkt, alle übrigen (48%) gar nicht über ein eigenes Verkehrsmittel verfügen und sind somit auf das Fahrzeug des Fahrers, lokale Transportmittel oder ihre eigenen Füße angewiesen. Das macht Touristen insbesondere in Städten mit guter Bahn-/Flughafenanbindung und Fahrradinfrastruktur zur interessanten Zielgruppe für Call A Bike.

Der Freizeitverkehr , der als Restgröße für alle den obigen Zwecken nicht zuzuordnenden Wege dient, hat sich zum bedeutendsten Verkehrsbereich entwickelt. Zusammen mit dem Urlaubsverkehr generiert dieser auch als „Wunschverkehr“ bezeichnete Sektor über die Hälfte der gesamten Verkehrsleistung im Personenverkehr.

Der weitaus größte Teil (81%) der Verkehrsleistung im Freizeitverkehr wird vom MIV getragen, wovon wiederum 60% auf Selbstfahrer entfällt. Die Masse der Personenkilometer im Freizeitverkehr wird also allein im Auto gefahren. Die übrigen 19% verteilen sich gleichmäßig auf die anderen Verkehrsträger Fuß, Fahrrad, ÖSPV und Eisenbahn.

Ein Blick auf das Verkehrsaufkommen relativiert die Bedeutung des MIV im Freizeitverkehr etwas: Neben dem MIV mit 51% der Fahrten fallen vor allem Fußverkehr (32%) und Fahrradverkehr (10%) ins Gewicht. ÖSPV (5%) und Eisenbahn (1%) spielen hier nur eine untergeordnete Rolle.

2.1.4 Regionale Verteilung des Verkehrs

Der Zuwachs des Kfz-Verkehrs seit 1979 fand allein im außerörtlichen Bereich statt. Während innerorts die Fahrleistungen sogar geringfügig (von 138 Mrd. km 1979 auf 133 Mrd. km 1998) sanken, stieg der außerörtliche Verkehr in diesem Zeitraum von 223 Mrd. auf 365 Mrd. km an. Mögliche Ursachen dieser für Ballungsräume erfreulichen Entwicklung liegen im Erreichen der Kapazitätsgrenzen innerstädtischer Verkehrswege[26], der Abkehr der Stadtplanung vom Leitbild der „autogerechten Stadt“ hin zu Verkehrsberuhigung und mehr Flächen für nichtmotorisierten Verkehr sowie im Ausbau des S-Bahn Angebotes, dessen Fahrleistung sich von 1976 (4,4 Mrd. Pkm) bis 1994 (11,5 Mrd. Pkm) mehr als verdoppelt hat.[27]

Zur Reduzierung des MIV auf außerörtlichen Strecken können Fahrradverleihsysteme nur indirekt beitragen: Verkehrsteilnehmer werden eine außerörtliche Fahrt eher ohne eigenen PKW zurücklegen, wenn sie durch Fahrradverleihsysteme am Zielort problemlos über ein individuelles Verkehrsmittel verfügen können. Den weitaus größeren Teil zur Reduktion des außerörtlichen Verkehrs müssen weitere Komponenten einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik, insbesondere Raumplanung und Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs leisten.[28]

2.2 Negative Auswirkungen der Verkehrsentwicklung

Die ökologischen Konsequenzen der beschriebenen Entwicklungen im Verkehrssektor und mögliche Ansatzpunkte lassen sich erst in Kenntnis der Umweltbelastung durch einzelne Verkehrsträger beurteilen. Eine gute Übersicht bietet folgende Abbildung 2. Dabei ist zu beachten, daß sich sich das 1989 entstandene Bild durch technische Fortschritte in den Bereichen Schadstoffausstoß, Lärm und Energieverbrauch in den letzten 15 Jahren zugunsten von Auto und Flugzeug verändert hat.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Ökologische Belastungen durch einzelne Verkehrsträger.

Quelle: Europäische Kommission 2000, S. 17.

2.2.1 Globale Umweltauswirkungen

Die technischen Fortschritte konnten die negativen Auswirkungen des Wachstums im Luft- und Autoverkehr in Hinblick auf co2-Emissionen und Energieverbrauch keineswegs kompensieren. So ist der Ausstoß an co2 – vermutlich die Hauptursache des „Treibhauseffekts“[29] - in fast allen Sektoren der Wirtschaft Europas von 1990 bis 1997 gesunken. Im Verkehrssektor jedoch war im gleichen Zeitraum trotz aller Fortschritte eine Zunahme der co2-Emissionen um 9% zu verzeichnen.[30] Der durch die einzelnen Verkehrsträger in Deutschland beanspruchte Energieverbrauch wird durch folgende Grafik verdeutlicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Energieverbrauch pro Verkehrsträger

Quelle: Verkehr in Zahlen, S. 273.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind schwer abzuschätzen. Die sich häufenden Unwetterkatastrophen im vergangenen Jahrzehnt und der Anstieg der weltweiten Druchschnittstemperatur deuten jedoch darauf hin, das es ohne einschneidende Veränderungen in allen klimarelevanten Bereichen zu einer Klimakatastrophe kommen wird. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Verkehrssektor, dessen Anteil Energieverbrauch in Deutschland von 10% 1960 auf heute knapp 19% gestiegen ist.[31]

2.2.2 Umweltauswirkungen im Stadtbereich

Gerade in urbanen Ballungsgebieten ist die Verringerung des Autoverkehrs wünschenswert, da der durchschnittliche Treibstoffverbrauch sich im von „stop and go“ gezeichneten Stadtverkehr nahezu verdoppeln kann.[32] Ebenso hat sich gezeigt, dass ein kalter Motor extrem ineffizient arbeitet, so dass der Durchschnittsverbrauch nach dem Start bei 40 l/100km liegt und erst nach einem Kilometer Fahrtstrecke auf 20 l/100km absinkt.[33] Die „normalen“ Durchschnittswerte des Treibstoffverbrauch werden erst bei warmem Motor – etwa nach 4 km Fahrtstrecke – erreicht. Nach dieser Fahrtstrecke sind jedoch viele – je nach Quelle mehr oder weniger als die Hälfte[34] - aller Autofahrten bereits beendet. Darüber hinaus können Katalysatoren erst bei warmem Motor einwandfrei arbeiten, was bei den städtischen Bedingungen das Entlastungspotential des Katalysators für die Autoabgase massiv reduziert.[35]

Lärm und Abgase belasten die Bewohner von urbanen Ballungsgebieten derart, daß 58% der Bürger der Europäischen Union (und 54% der Deutschen) die Auswirkungen des Autoverkehrs für kaum erträglich oder unerträglich hielten.[36] Die Lärmproblematik über ein bloßes Belästigungsempfinden hinaus: Ab einem mittleren Lärmpegel von 65 Dezibel, dem 16% der Deutschen – beispielsweise Anwohner stark befahrener Hauptstraßen – ausgesetzt sind, steigt das Risiko deutlich an, einen Herzinfarkt zu erleiden.[37] Paradoxerweise kann gerade diese Belastung der Ballungsräume (sog. „Agglomerationsnachteile“) zu einer weiteren Steigerung des MIV führen: Einwohner von Städten ziehen die „frische Landluft“ und Ruhe des Umlandes dem Stadtgebiet vor und verlegen ihren Wohnsitz dorthin. Da der Arbeitsplatz jedoch weiterhin im Stadtgebiet liegt und das Umland vom Öffentlichen Nahverkehr oft schlecht erschlossen ist, legen sie die täglichen Pendeldistanzen mit dem PKW zurück – und tragen damit zu den Umständen bei, die sie (u.a.) zum Verlassen des Stadtgebietes veranlaßt haben.[38]

2.2.3 Externe Kosten des Straßenverkehrs

Die ökologischen Effekte sind jedoch nur ein Teil der negativen Auswirkungen des Autoverkehrs. Zu Luftverschmutzung und Lärm treten noch volkswirtschaftliche Schäden von Unfällen und Verkehrsüberlastung, die zu den externen Kosten[39] des Verkehrs gerechnet werden. Diese beziffern sich nach Studien der OECD auf etwa 0,4% (Luftverschmutzung), 0,2% (Lärm), 1,5% (Unfälle) und 2,0% (Verkehrsüberlastung), also insgesamt gut 4% des Bruttoinlandsproduktes.[40] Eine von der Gemeinschaft Europäischer Bahnen in Auftrag gegebene Studie veranschlagte diese Zahl für 1995 auf sogar knapp 10% des BIP. Da der Straßenverkehr 90% dieser Kosten verursacht[41], kann er trotz aller Unsicherheiten bei der Berechnung dieser externen Kosten als volkswirtschaftlich extrem kostenintensiv bezeichnet werden.

Eine Reduktion des MIV (und Güterverkehrs) im innerstädtischen wie außerörtlichen Bereich ist demnach ökologisch sowie volkswirtschaftlich zentrale Aufgabe einer am Leitbild der Nachhaltigkeit[42] ausgerichteten Verkehrspolitik.

3 Das Fahrradverleihsystem Call A Bike

Das in diesem Kapitel beschriebene Fahrradverleihsystem Call A Bike[43] kann insbesondere durch seine Expansion in eine Vielzahl von Ballungsgebieten einen Beitrag zur Trendwende der beschreibenen Entwicklung leisten, ohne die Mobilität der Bevölkerung einzuschränken.

3.1 Die Dienstleistung von Call A Bike

Call A Bike bietet Privatkunden[44] gegen bargeldlose Bezahlung eine Fahrradfahrt von A nach B mit beliebig vielen Pausen an. Diese Dienstleistung wurde wie folgt umgesetzt:

Ein Kunde sieht ein Fahrrad von Call A Bike (i.F. „Callbike“) und erkennt am grünen Blinken des Schlosses, daß es verfügbar ist. Er ruft eine gebührenfreie Telefonnummer an und spricht, ähnlich dem System von Mailboxen im Mobilfunk, mit einer Computerstimme oder einem Mitarbeiter im Call Center.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Callbike bei der Entleihung

Quelle: Call A Bike AG

Nach Nennung von Kundennummer und Bike-Nummer erhält er den Öffnungscode für das Schloß. Mit diesem kann er das Schloß öffnen, losfahren und während der Entleihdauer beliebig oft (z.B. beim Einkaufen) wieder verschließen. Ist ein Callbike defekt, kann der Kunde es abstellen und ohne Gebühren gegen ein anderes Callbike eintauschen.

Bei Ankunft am Zielort verschließt er das Fahrrad nach Möglichkeit an einem festen Gegenstand und wählt am Schloß die Option Rückgabe. Daraufhin ist das Schloß nicht mehr mit dem alten Code zu öffnen, es erscheint ein Quittungscode. Dieser wird beim Rückgabeanruf durchgegeben, wodurch die Rückgabe für Call A Bike bestätigt ist. Der Kunde erfährt den Preis der beendeten Fahrt, seinen aktuellen Kontostand und wird verabschiedet[45].

Der Preis pro Fahrt umfaßt eine fixe und eine zeitabhängige Komponente.[46] Zu diesem Tarif können, insbesondere bei Rückgabe außerhalb des vorgesehenen Systems (z.B. Rückgabe per Mobilfunk), diverse Servicezuschläge erhoben werden.[47] Ein Kunde kann bis zu fünf Callbikes ausleihen.[48]

Entleihungen können nur vorgenommen werden, wenn der Anrufer über eine Kundennummer verfügt. Es gibt eine Vielzahl von Wegen, eine solche Nummer zu bekommen:

- Einstieg über Kreditkarte (per Telefon oder Internet). Gibt der Kunde seine Kreditkartennummer an, kann diese simultan überprüft und dem Anrufer sofort seine Kundennummer mitgeteilt werden. Damit kann er noch im selben Anruf ein Fahrrad mieten.
- Einstieg über EC-Karte (per Telefon oder Internet). Da diese online nicht überprüft werden kann, bekommt der Kunde erst in den darauf folgenden Tagen seine Kundennummer.
- Vertriebspartner: Bekommt der Kunde über einen Vertriebspartner von Call A Bike (bspw. als Hotelgast) eine Kundennummer, kann er den Service sofort nutzen. Abgerechnet wird über den Vertriebspartner, im genannten Beispiel das Hotel.
- Privatpersonen können auch andere über ihre Kundennummer fahren lassen. Auf Wunsch werden diese Fahrten in der Rechnung gesondert geführt; zahlungspflichtig bleibt jedoch der Inhaber der Kundennummer.

Die Dienstleistung am Verbraucher – flächendeckende Versorgung mit Fahrradfahrten im Innenstadtgebiet – wird mit den Systemelementen Fahrräder (incl. Schloß), Call Center, Reparaturstätte und Serviceteams bereitgestellt.

Die Fahrräder erfüllen zwei Funktionen:

- Erbringung der physischen Dienstleistung
- Außenwerbung für Call A Bike und Werbepartner

Die physische Dienstleistungsqualität steht und fällt mit der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Qualität der „Hardware“ auf der Straße. Der nach der (wegen übergroßer Anfangsnachfrage) turbulenten Startphase reibungslose operative Betrieb und die positive Resonanz der Nutzer zeigen, daß sich die lange Planungsphase in diesem Punkt ausgezahlt hat: Sowohl die Dimensionierung (2000 Fahrräder im Innenstadtbereich) als auch die Beschaffenheit der Fahrräder sowie das Prinzip der selbstregulierenden Distribution haben sich als richtig erwiesen.

Die Callbikes mit der deutlich sichtbaren Telefonnummer haben sich als sehr effektive Werbeträger für Call A Bike erwiesen: Während die Reaktion auf die aufwändige Posterkampagne kurz vor der Betriebsaufnahme eher verhalten war, gingen mit Erscheinen der Callbikes in den Straßen bereits am ersten Tag 2.000 Anrufe ein. Als großer Vorteil ist die Nähe des Werbeträgers zur Kaufgelegenheit zu nennen – Kunden müssen sich nicht erst in einer Einkaufssituation an eingehämmerte Werbebotschaften erinnern, sondern können gleich zur Tat bzw. Fahrt schreiten. Über die Effektivität als Werbeträger für Dritte liegen noch zu wenig Informationen vor, doch deuten die ständige Präsenz im Straßenbild, die Attraktivität der Nutzer als Zielgruppe und Identifikationsgruppe zugleich, das positive Image des Radverkehrs und die Erfahrungen in Kopenhagen auf ein hohes Potential (Siehe Kapitel 3.4.1) hin.

Das Call Center ist das „Nervensystem“ von Call A Bike. Hier laufen alle operativen Informationsstränge über Entleihungen, Defekte, Anfragen usw. zusammen und sind dem Management direkt zugänglich. Beim Eintritt in weitere Märkte ist aus Effizienzgründen ein zentrales Call Center vorgesehen.

Reparaturstätte und Serviceteams sind die Voraussetzung dafür, daß der operative Betrieb im jeweiligen Zielmarkt aufrecht erhalten werden kann. Aufgrund der besonderen Relevanz der Dienstleistungsqualität (technisch einwandfreie und nachfragegerecht verteilte Fahrräder) ist der Qualitfikation und Motivation dieser Mitarbeiter von hoher Bedeutung.

3.1.1 Nutzungsanlässe

Call A Bike kommt für Menschen in Betracht, die Fahrradfahren können und wollen, im gegebenen Augenblick jedoch nicht über ein funktionstüchtiges Fahrad verfügen. Dies ist vor allem in folgenden Situationen der Fall:

- Nach-transport[49] des ÖPNV: Der Weg zu einer Haltestelle des Öffentlichen Nahverkehrs (z.B. S-Bahn Station eines Vorortes) im läßt sich gut mit dem eigenen Fahrrad erledigen und wird bei angemessenen Abstellanlagen auch oft praktiziert. Eine holländische Untersuchung hat gezeigt, daß an bestimmten Bahnhöfen 45% aller Wege im Vortransport mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Infolge der Probleme bei Fahrradmitnahme[50] sind diese Fahrräder dann am Zielort aber nicht verfügbar, was sich auch in den Zahlen der genannten Studie wiederspiegelt: Nur 14% der Wege im Nachtransport dieser Bahnhöfe wurden mit dem Fahrrad gefahren. Hier bietet ein Verleihsystem wie Call A Bike eine ideale Ergänzung, um die Reisegeschwindigkeit des Umweltverbundes zu erhöhen.
- Nacht-transport: Für Nachtschwärmer bietet der ÖPNV den Vorteil, daß alle Fahrgäste Alkohol konsumieren dürfen, ohne sich oder andere im Straßenverkehr zu gefährden. Der Nachteil ist jedoch, daß das ÖPNV-Angebot nachts (ca. 1:00-5:00) mangels Auslastung nur stark ausgedünnt oder gar nicht existiert. Insofern ist diese Gruppe gezwungen, die Nachtaktivitäten entweder früh aufzugeben, ein Taxi zu rufen oder das Auto als Transportmittel zu wählen. Mit Callbikes erschließen sich (bei maßvollem Alkoholgenuß!) weitere Alternativen: Kurze Strecken zum nächsten Ziel (z.B. Übernachtungsmöglichkeit) können mit dem Callbike „pur“, längere in Kombination mit dem Nachtangebot des ÖPNV zurückgelegt werden.
- Aufenthalt in fremder Stadt: Dieses Thema wird mit der Expansion des Systems besonders interessant: Call A Bike plant, mit einer Kundennummer Zugang zu sämtlichen von Call A Bike bedienten Städten zu schaffen. Dadurch gewinnt die Kombination Bahn/ÖPNV/Call A Bike an Attraktivität gegenüber dem MIV. Besucher Münchens können diesen Service (erlebnisreiche, individuelle Fortbewegung in fremder Stadt) bereits nutzen.
- Versorgung fahrradloser Begleiter: Oft fällt die Wahl des Transportmittels einer Gruppe gegen das Fahrrad, weil nicht für alle Mitglieder ein Fahrrad verfügbar ist. Auch hier kann Call A Bike durch die Vervollständigung der „Fahrradflotte“ der Gruppe aushelfen.
- Defekt des eigenen Rades

3.1.2 Vergleich des Angebotes mit Mobilitätsalternativen

In Anbetracht der durchschnittlichen Länge von Fahrradfahrten (2,9 km[51] ) kann der relevante Bereich kann etwa zwischen 1 und 5 km, je nach körperlicher Verfassung und Qualität der Fahrradinfrastruktur auch bis über 10 km[52] betrachtet werden. Von den täglich 3,4 Mio. in München zurückgelegten Wegen sind 36% unter 3 km, 52% unter 5 km und 77% unter 10km lang[53]. In diesem Bereich kann das Callbike allein, bei weiteren Wegen oftmals die Kombination zwischen ÖPNV und Callbike/Eigenfahrrad, als ernsthafte Alternative zu anderen Verkehrsmitteln betrachtet werden.

Entscheidend für die tatsächliche Wahl eines Kunden sind zum einen die greifbaren, „objektiven“ Vor-und Nachteile von Call A Bike gegenüber den anderen Verkehrsmitteln.[54] Eine ebenso große Rolle für die Wahl spielt jedoch der subjektive Faktor der Erwartungen, die Kunden an die Nutzung eines Callbikes richten. Da dieser relativ unabhängig von der konkreten Alternative zu Call A Bike wirkt, wird dieser in Kapitel 3.1.3 beschrieben.

Von großer Bedeutung für die Wahl von Verkehrsmitteln ist deren Reisezeit.[55] Folgende Grafik zu den Reisezeiten verschiedener Verkehrsmittel im Stadtverkehr gibt, wenngleich sich diese von Stadt zu Stadt aufgrund unterschiedlicher ÖPNV-, Park-, Verkehrsfluß- und Fahrradsituation erheblich unterscheiden können, einen guten Überblick:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Reisezeiten üblicher Verkehrsträger im Stadtverkehr

Quelle: Europäische Kommission 2000, S.11, modifiziert.

Das eigene Fahrrad liegt dabei gegenüber einem Callbike klar im Vorteil: Da die Fahrt kostenfrei erscheint, die Reisegeschwindigkeit höher liegt (der Weg zum/vom Callbike und die Anrufe fallen weg), und viele am liebsten mit dem eigenen Rad unterwegs sind, wird ihm – sofern verfügbar- fast immer der Vorzug gegeben. Eine Ausnahme stellen Situationen dar, in denen der Kunde das eigene Fahrrad nicht lange am Zielort stehen lassen möchte, beispielsweise bei Antritt einer Bahnreise.

Dem Fußverkehr ist das Callbike ab einer Strecke von ca. 1 km in der Reisezeit klar überlegen. Darüber hinaus ist Fahrradfahren weniger anstrengend als zu Fuß gehen: Während ein Kilometer Fußweg etwa 60 Kalorien verbraucht, sind es auf dem Fahrrad gut 20 Kalorien. Damit ist das Fahrrad im Energieverbrauch pro Personenkilometer das effizienteste Verkehrsmittel überhaupt – weit vor Bahn und Bus (jeweils gut 550), ganz zu schweigen von den äußerst ineffizienten Verkehrsmitteln Auto (1.150) und Flugzeug (über 4.600 Kalorien/Pkm).[56]

Als Vorteile des Fußweges sind vor allem seine Einfachheit, Flexibiltiät und Kostenfreiheit zu nennen: Beim Fußverkehr

- entfällt der Entleihvorgang für Callbikes
- können Ziele meist am direktesten angesteuert werden: Fahrradhindernisse (Treppen, fahrradundurchlässige Fußgängerzonen usw.) entfallen
- die Wegekette muß nicht gebrochen[57] werden
- können (noch) spontaner als mit dem Callbike Verkehrsmittel gewechselt und Pausen eingelegt (z.B. Besuch eines Geschäftes) werden
- können bestehende Gewohnheitsmuster aufrecht erhalten werden
- kann der Weg, abhängig von einer Vielzahl von Faktoren (persönliche Fahrrad-und Fußwegaffinität, Verkehrsraumgestaltung, Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer, Klima) mit mehr Genuß verbunden sein

Vermutlich aufgrund dieser Vorteile wurde in München dem Fußweg bislang deutlich der Vorzug gegeben.[58]

Ein Vergleich der Reisezeiten zwischen Callbikes und Öffentlichem Nahverkehr zeigt, daß der ÖPNV erst ab einer Strecke von ca. 6km mit dem Callbike mithalten kann. Allerdings ergeben sich insbesondere durch die Kombination Eigenfahrrad (Vortransport) + ÖPNV + Callbike (Nachtransport) Möglichkeiten, die Reisezeit dieser Kombination deutlich zu senken: Zum einen können Passagiere mit Fahrrädern den erheblich erweiterten Bewegungsradius[59] nutzen und durch direktes Ansteuern von Hauptlinien mit kurzer Taktfolge den Zeitverlust durch Umsteigen und Warten minimieren. Zum anderen können sie, wenn z.B. derartige Hauptlinien auch mit dem Fahrrad nicht schnell erreichbar sind, die Wege zu und von der Haltestelle aufgrund der höheren Fahrradgeschwindigkeit wesentlich schneller zurücklegen. Mit dieser Beschleunigung des ÖPNV durch seine Kombination mit Fahrrädern (in der Grafik angedeutet durch den senkrechten Pfeil nach unten) sinkt der Bereich, in dem das Callbike allein der Kombination ÖPNV + Callbike/Eigenfahrrad überlegen ist, auf Strecken bis zu ca. 4 km.

[...]


[1] Cansier 1993 S. 13 ff. begründet die Notwendigkeit eines Eingreifens der öffentlichen Hand bei Umweltproblemen aus volkswirtschaftlicher Perspektive

[2] Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2000, S.9

[3] zum Zusammenspiel zwischen staatlicher Regulierung und Unternehmensstrategien zur Erreichung ökonomischer und ökologischer Zielsetzungen siehe Porter und van der Linde 1995. Raffée und Fritz 1995 beschreiben die Einbindung von Umweltschutz in den Unternehmenszielen.

[4] Reinhard 2000 beschreibt den Einsatz von Umweltschutz als Mittel zum Geschäftserfolg.

[5] Etwa 50% aller Autofahrten innerhalb Europas sind kürzer als 5 km. Europäische Kommission 2000, S. 10

[6] Call A Bike realisiert damit eine ökologische Pionierstrategie. Vgl. Jänicke 1999, S. 400 und Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 231 ff.

[7] Der Einfluß der Telekommunikation als nicht-physischer Verkehr auf den physischen Verkehr ist ein hochinteressantes Thema, das jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Siehe dazu Ernst und Hübener 2000. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf den physischen Verkehr.

[8] Quelle: „Stehen statt fahren“, Süddeutsche Zeitung 22.9.2000

[9] In Europa sind bezüglich des MIV ähnliche Strukturen festzustellen.

[10] Kloas 1996, S. 612

[11] Im wachsenden Bereich des Flugverkehrs werden in der amtlichen Statistik lediglich die über dem deutschen Luftraum geflogenen Personenkilometer einbezogen. So wurden dort für 1994 22,6 Mrd. Pkm Verkehrsleistung im Luftverkehr (Westdeutschland) genannt, unter Einbeziehung der Gesamtstrecke wären es jedoch 188 Mrd. Pkm gewesen (Kloas 1996, S. 617). Damit ergibt sich für 1994 eine druchschnittliche Wegelänge von 13,75 km. Da der Schwerpunkt der Arbeit nicht auf diesem Bereich liegt, werden im Folgenden weiterhin – sofern nicht anders gekennzeichnet – die 1999 veröffentlichten Daten des BMVBW verwendet.

[12] Deutscher Verkehrssicherheitsrat 1996, S.1

[13] „Stehen statt fahren“, Süddeutsche Zeitung 22.9.2000

[14] Kloas 1996, S. 617. Das entspricht etwa 18% der gesamten Verkehrsleistung 1994

[15] Dutscher Verkehrssicherheitsrat 1996, S.1

[16] Vgl. Kloas 1996, S. 617

[17] siehe Fußnote 13.

[18] ÖSPV: Öffentlicher Straßenpersonenverkehr. Dieser von der amtlichen Statistik (ohne erkennbaren Grund) verwendete Begriff beschreibt den ÖPNV abzüglich S-Bahnverkehr

[19] Der MIV wird in Selbstfahrer (am Steuer) und Mitfahrer unterteilt. Die Zahlen belegen, daß die Transportkapazitäten üblicher Autos (5 Sitzplätze) bei weitem nicht ausgenutzt werden.

[20] „Fahrten“ und „Wege“ werden im Folgenden synonym verwendet. Ursache ist die ausschließliche Erfassung motorisierter Fahrten bis 1976. Seit 1976 wird zusätzlich zur „Fahrt“ der allgemeinere Ausdruck „Weg“ verwendet, die Bedeutung ist jedoch gleich (vgl. Diewitz et al. 1999, S.6)

[21] Wochenendpendler werden dem Freizeitverkehr zugeordnet.

[22] Dieser ist wegen der Unterschiedlichkeit der Einkäufe (Routineeinkauf versus Erlebniseinkauf) weder dem Zwangs- noch dem Wunschverkehr eindeutig zuzuordnen.

[23] BMVBW 1999, S. 207.

[24] Als Fußgängerverkehr werden nur eigenständige Fußwege gezählt, nicht Fußwege zu anderen Verkehrsmitteln. BMVBW 1999, S. 207.

[25] Aufgrund der massiven Verzerrung durch die Vernachlässigung des grenzüberschreitenden Flugverkehrs in der amtlichen Statistik, die sich im Urlaubsverkehr – 2/3 der Fluggäste 1994 waren Urlauber, heute sind es 4/5 (Heinze 2000, S. 27) - besonders stark auswirkt, ziehe ich das Jahr 1994 heran, für das die Verkehrsleistung des grenzüberschreitenden Verkehrs vorliegt und korrigiere die Zahlen der Verkehrsleistung. Da diese Korrektur für die anderen Verkehrsarten (Freizeit, Beruf usw.) nicht vorgenommen wurde, ergeben sich in den Zahlen Unstimmigkeiten.

[26] Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2000, S. 13

[27] Kloas 1996, S.6

[28] Siehe Kapitel 6.2

[29] vgl. Wissenschaftlicher Beirat 1993, S. 33-40

[30] Europäische Kommission 2000, S. 12

[31] Eigene Berechnung auf Basis der Daten von Bundesumweltministerium 1998, S.23, Primärenergieverbrauch nach Sektoren UBA, Bundesverkehrsministerium 1999, S. 272

[32] Europäische Kommission 2000, S. 12

[33] „Wer schneller schaltet, spart Geld“, VCD Auto-Umweltliste 2000/2001, S. 22

[34] vgl. Heinze 200b, S.66, BMVBW 1998 S. 43, Europäische Kommission 2000 S. 10

[35] Europäische Kommission 2000, S. 17

[36] Europäische Kommission 2000, S. 24. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Kuckartz 2000.

[37] „Umweltbundesamt stellt Jahresbericht 1998 vor“, Presseerklärung UBA/BMU 1999, Internet

[38] Vgl. Fläming 2000

[39] Unter externen Kosten versteht man die Schädigung Dritter, die vom Verursacher selbst nicht getragen werden muss.

[40] Europäischer Rat 1998, S. 12.

[41] „Teurer Verkehr“, Fairkehr 2000a, S.5

[42] Nachhaltige Entwicklung umschreibt eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generation zu decken vermag, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu schälern. Zur an diesem Leitbild orientierten ökologischen Ökonomie bietet Hampicke 1995 einen Überblick.

[43] Das Unternehmen handelt damit als Akteur der ökologischen Umgestaltung des Stadtverkehrs. Zur Rolle von Unternehmen als Initiatoren einer umweltorientierten Wirschaftsweise allgemein siehe Stitzel 1994.

[44] Darüber hinaus bietet Call a Bike gewerblichen Kunden mit seinen neuen Geschäftsbereichen eine Bandbreite von Diensten (Eventservice, Werbeflächenvermarktung, Diensträder und mehr) an, die einen wachsenden Anteil des Umsatzes tragen sollen. Diese werden jedoch der Übersichtlichkeit halber hier nicht beschrieben.

[45] Das anfangs kompliziert erscheinende System wurde vom Münchner Oberbürgermeister Ude trefflich beschrieben: „Ich solle, meinte das Display, die Nummer eingeben. Welche Nummer? Zum Glück lag der Spickzettel noch in der Telefonzelle. Vollgekrakelt mit Zahlen. Ein Zahlenmeer auf einem kleinen Papier. 2610? Nein, so fängt die kostenlose Hotline-Nummer an. 5225...? Das war die Telefonnummer. 0156? Das war die Fahrradnummer. Verflucht noch mal. Vielleicht die vier Ziffern am Blattrand? Nein, das war – kombiniert mit dem Geburtsdatum – meine streng geheime Mitgliedsnummer. Dann müsste es 7298 sein! Die Displayanzeige war schon wieder verschwunden. Also nochmals touchen und dann eingeben: Sieben! Zwei! Neun! Acht! Tatsächlich sprang das Schloss auf. Die Fahrt mit dem luxuriös ausgestatteten Rad war ein Vergnügen, die Rückgabe dafür nochmals eine intellektuelle Herausforderung.“ Ude 2000, S.91

[46] Die Grundgebühr beträgt 1,80 DM, die ersten 5 Minuten sind gratis; danach kostet die Benutzung 3 Pf/Minute, ab der 7. Stunde 1 Pf/Minute.

[47] Zuschläge (München): Rückgabe außerhalb des Mittleren Rings 2,- DM, außerhalb des Stadtgebietes 10,- DM, außer Sichtweite einer Telefonzelle 2,- DM, Operatorgespräch für Standardtransaktionen 0,50 DM, verspäteter Rückgabeanruf 0,50 DM / Stunde, max. 10,- DM

[48] Dadurch sind Verhaltensweisen erlaubt aber kostenpflichtig, die bei anderen Fahrradverleihsystemen verboten oder nicht möglich sind.

[49] Unter Nachtransport versteht man den Weg von der Haltestelle des ÖPNV zum Zielpunkt, Vortransport dagegen umfaßt die Wege zur Haltestelle. Quelle: Mündliche Auskunft des BMVBW

[50] Siehe Kapitel 6.2.1.

[51] Fahrradbericht der Bundesregierung 1998, S.4

[52] Bei guter Fahrradinfrastruktur wie z.B. in Troisdorf kann auch bei Strecken dieser Größenordnung ein beträchtlicher Anteil von Fahrradfahrten erreicht werden (vgl. Fahrradbericht der Bundesregierung 1998, S. 112)

[53] Infratest 1991, zitert nach Unternehmensprospekt Call a Bike S.4

[54] Die verhaltenswissenschaftliche Studie von Sonja Forward (ADONIS Projekt der EU) 1998 brachte interessante Ergebnisse zur unterschiedlichen Verkehrsmittelwahl der Bewohner in Barcelona, Kopenhagen und Amsterdam hervor.

[55] Unter Reisezeit versteht man die Zeit, die zwischen Beginn des Wegs und der Zielerreichung, also „von Tür zu Tür“ inclusive Fußweg, Umsteigen etc. vergeht. Dem entsprechend ist die Reisegeschwindigkeit die gesamte zurückgelegte Strecke geteilt durch die Reisezeit.

[56] Lowe, Marcia: Das Fahrrad S.23 und Europäische Kommission 2000, S.17. Die dort zitierten Daten stammen aus den späten 80er Jahren und fallen heute durch Effizienzsteigerungen vor allem bei Autos und Flugzeugen weniger drastisch aus. Die Grundaussage bleibt jedoch aufgrund des gewaltigen Abstands erhalten.

[57] Unter „gebrochener Wegekette“ versteht man den Wechsel der Verkehrsmittel innerhalb einer Fahrt

[58] ca. 1,3 Mio. Fußwege am Tag im Vergleich zu ca. 500-1.300 Callbikefahrten/Tag

[59] auf dem Fahrrad läßt sich in 10 Minuten mit ca. 2,7 km eine über drei Mal längere Strecke als auf dem Fußweg (ca. 0,8 km) zurücklegen und damit ein 16-fach größerer Radius abdecken. Quelle: Europäische Kommission 2000, S. 20

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Die regionale Expansion von Call A Bike: Strategische Optionen und Attraktivität von Zielmärkten eines fahrradbasierten Mobilitätssystems
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Lehrstuhl für Umweltmanagement)
Note
2,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
106
Katalognummer
V28428
ISBN (eBook)
9783638302111
Dateigröße
3661 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Expansion, Call, Bike, Strategische, Optionen, Attraktivität, Zielmärkten, Mobilitätssystems
Arbeit zitieren
Wilhelm Meinhold (Autor:in), 2001, Die regionale Expansion von Call A Bike: Strategische Optionen und Attraktivität von Zielmärkten eines fahrradbasierten Mobilitätssystems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28428

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die regionale Expansion von Call A Bike: Strategische Optionen und Attraktivität von Zielmärkten eines fahrradbasierten Mobilitätssystems



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden