Man geht heute davon aus, dass nicht die gesamte Borderline-Störung, sondern nur ihre zwei wesentlichen Faktoren vererbt werden: die impulsive Aggression und die affektive Instabilität. Eine besondere Verletzbarkeit ("Vulnerabilität") gegenüber der Entwicklung einer Borderline-Störung ergibt sich, wenn beide Faktoren einem Individuum gleichzeitig weitergegeben werden. Man spricht dann von einer genetisch bedingten Anfälligkeit für eine Störung in der Regulation von Impulsen und Emotionen, im Gegensatz zu der Anfälligkeit, die durch frühe Traumatisierungen entstehen kann.
Unter sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätzen verstehe ich jene, die strukturelle Gegebenheiten mit individuellen Entwicklungen in Einklang bringen und umfassend die Umstände innerhalb des nahen Umfelds berücksichtigen. Solche Umstände können traumatische Erfahrungen beinhalten.
Im Jahr 1951 erstellte Bowlby im Auftrag der World Health Organisation eine Monographie, wonach "eine längere Deprivation von mütterlicher Zuwendung in früher Kindheit ernste und weitreichende Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und damit für das ganze Leben eines Menschen haben kann." Dies war der Beginn einer umfassenden Erforschung der Auswirkungen von Kindheitserfahrungen auf die weitere Entwicklung der Persönlichkeit. Heute werden schwere und traumatische Erfahrungen, wie z.B. Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch, als Indikatoren für ein besonderes Risiko, an seelischen, körperlichen oder psychosomatischen Störungen zu erkranken, angesehen.
Der Zusammenhang zwischen dem Borderline- Syndrom und den Forschungsergebnissen besteht darin, dass bei überdurchschnittlich vielen Borderlinern solche traumatischen Kindheitserlebnisse festgestellt wurden. Die Traumaforschung stellt das bisherige Borderline- Konzept deshalb in Frage und vertritt den Ansatz, dass es sich beim Borderline- Syndrom um eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung handelt.
Kernberg hingegen legt seiner Theorie der Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation die Freud'sche Libidotheorie zugrunde. Er geht davon aus, "..., dass eine übermäßige Ausprägung prägenitaler und vor allem oraler Aggression bei beiden Geschlechtern eine vorzeitige Entwicklung ödipaler Triebstrebungen auslösen kann, so dass eine pathologische Verschränkung prägenitaler und genitaler Triebziele unter dem dominierenden Einfluss aggressiver Bedürfnisse entsteht."
Inhalt
1. Einführung in das Thema "Borderline und Soziale Arbeit"
1.1 Erklärung der Begriffe
1.2 Historischer Überblick
1.3 Kontakt zu Borderlinern in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
2. Wichtige Erklärungsansätze und Modelle der Borderline-Störung
2.1 Der Beitrag neurobiologischer Faktoren zur Entwicklung einer Borderline-Störung
2.1.1 Impulsive Aggression und serotonerges System
2.1.2 Affektive Instabilität und cholinerges System
2.2 Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze
2.2.1 Deprivation, Misshandlung und Missbrauch
3.2.2 Die strukturelle Seite der traumatischen Gewalterfahrungen
2.2.3 Die Familienorganisation
3.3 Kernbergs psychoanalytisches Erklärungsmodell
2.3.1 Libidotheorie und psychosexuelle Entwicklung
2.3.2 Die Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation
2.3.3 Die Funktionen der typischen Borderline-Strukturen
2.4 Systemische Theorien
2.4.1 Erzeugung und Sinn der Symptome
2.4.2 Die Borderline-Familienstrukturen und ihre Funktion
2.5 Die biosoziale Theorie der dialektisch-behavioralen Therapie
2.5.1 Emotionale Fehlregulation
2.5.2 Invalidierende Umgebungen
2.5.3 Die Wechselwirkungen
3. Zusammenfassende Bewertung der verschiedenen Ansätze
3.1 Vergleich und persönliche Einschätzung
3.2 Interessante Aspekte für die Soziale Arbeit
4. Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
- Quote paper
- Daniela Heider (Author), 2003, Erklärungsansätze für das Borderline-Syndrom und Aspekte für die Soziale Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284353
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