Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition Bildungsungleichheit
3. Ursachen der Bildungsungleichheit
3.1 Habitus
3.2 Kapital
3.3 Feld
4. Bildungsungleichheit im Kindergarten? Ein Erklärungsversuch
5. Die Bedeutung der Bildungsungleichheit für die Soziale Arbeit
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Bildungsungleichheit, was bedeutet dies eigentlich für uns als Gesellschaft? Wie ernst wird das Thema in Deutschland behandelt? Welche Ursachen gibt es für die Bildungsungleichheiten? Gibt es nur in Schulen Bildungsungleichheit oder schon bereits im Kindergartenalter? Und vor allem: was heißt dies für die Soziale Arbeit? Haben wir überhaupt Möglichkeiten gegen die Ungleichheit in Kindergärten anzugehen? Das sind alles Fragen, die in Deutschland sehr oft und differenziert besprochen werden. Die ehemalige Bildungsministerin Anette Schavan betont, dass das Alter zwischen drei und zehn Jahren eine Schlüsselphase in unserer Entwicklung sei und dass es deshalb gelte die frühkindliche Bildung zu stärken (vgl. Strät/ Solbach/Holst, 2007). Darüber hinaus forderte Anette Schavan die „Chance für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche“ und dass eine „gute Bildung [ist] entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands [ist]“ (BMBF, 2012, Pressemitteilung). Auch im Grundgesetz, Art. 3 Abs. 3 ist bereits verankert, dass niemand in der Bundesrepublik Deutschland wegen „seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner sozialen Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf“. Durch das deutsche Bildungssystem ist dieses leider nicht uneingeschränkt gegeben und es werden weiterhin Bürger aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt. Diese Tatsache hat der Autorin dieser Hausarbeit den Impuls gegeben sich mit den Bildungsungleichheiten zu befassen. Durch ihre Tätigkeit im Kindergarten wird deutlich, dass bereits im Kindergarten Bildungsungleichheiten entstehen beziehungsweise bereits vorhanden sind, was vermutlich durch unserer zunehmende multikulturelle Gesellschaft beeinflusst wird. Der Kindergarten ist für die Frühkindliche Bildung von großer Bedeutung und stellt den Grundstein für die Bildung und die damit verbundene erfolgreiche Zukunft und Bildungsbiographie dar. Deshalb stellt sich die Autorin die Frage, was dies für die Soziale Arbeit bedeutet. Um die Entstehung der Bildungsungleichheiten besser verstehen zu können, wird die Autorin anhand des Soziologen Pierre Bourdieus die Bildungsungleichheiten in einem Erklärungsversuch erläutern. Zuerst wird die Autorin dieser Hausarbeit sich auf die allgemeine Definition von Bildungsungleichheiten beziehen (Punkt 2), um im Anschluss daran den Versuch zu machen, anhand der Begrifflichkeiten von Pierre Bourdieu die Bildungsungleichheiten im Kindergarten zu erläutern (Punkt 3 u. 4). Anschließend wird die Autorin die Bedeutung der Bildungsungleichheiten für die Soziale Arbeit (Punkt 5) formulieren. Zum Schluss wird sie ein Fazit und ein Resümee ziehen (Punkt 6 u. 7).
2. Definition Bildungsungleichheit
Unter dem Begriff der Bildungsungleichheit wird eine Form der sozialen Ungleichheit verstanden, grob gesagt eine ungerechte Ressourcenverteilung oder Zugang zu diesen Ressourcen. „Menschen leben in der Regel nicht isoliert voneinander, sondern eingebunden in vergleichsweise stabile zwischenmenschliche Gefüge wie zum Beispiel Familien, Sippen, Stämme […]“ (Hradil, 2005, S. 15). In unserer Gesellschaft werden Gruppen benachteiligt, die über einen kleineren oder größeren Anteil an sozialer, ökonomischer und kultureller Ressourcen verfügen als der Durchschnitt. Dadurch entstehen unterschiedliche Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Aus der ungerechten Ressourcenverteilung lassen sich in Deutschland die Klassenschichten, unter anderem begründet durch unterschiedliche Erwerbseinkommen, verstehen. Der Autor Arens teilt mit, dass es soziale Ungleichheit seit dem frühen Zusammenleben der Menschheit gibt und es kein neues Phänomen darstellt (vgl. Arens, 2007, S. 138). Laut Arens liegt die „soziale Ungleichheit [liegt] dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den ´wertvollen Güter´ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten“ (ebd., S. 30 zit. n. Arens, 2007, S. 139). Die soziale Ungleichheit betrifft in Deutschland nicht nur das monatliche Einkommen oder die Gesundheitschancen, sondern auch die Bildung. Dementsprechend gilt auch für den Bereich der Bildung, dass die Gesellschaft weniger oder mehr soziale, kulturelle oder ökonomische Güter besitzen kann. Darunter wird keine Diskriminierung der Menschen verstanden, sondern eine schlechtere Verteilung von Bildungschancen in Deutschland.
Nach Meinung der Autorin Rabe-Kleberg (2010, S. 51) ist die „[…] soziale Ungleichheit als dauerhafte Einschränkung des Zugangs zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten Gütern [zu] begreifen und die Lebenschancen [zu] thematisieren, die aufgrund dieser Beschränkung beeinträchtigt werden, so ist die Vorenthaltung grundlegender Bildungsmöglichkeiten im frühen Kindesalter angesichts der bekannten Dynamiken der Persönlichkeitsentwicklung hier ganz entscheidend als Phänomen sozialen Ungleichheiten zu verstehen“.
Das Gegenteil dieser Bildungsungleichheit ist die Chancengleichheit im Bildungswesen und eine von Leistungsmerkmalen (Bildung, Geld und Prestige der Eltern) unabhängige Chance auf Leistungsentfaltung und Leistungsbestätigung (vgl. Arens, 2007, S. 144). Im übertragenen Sinne gibt es dementsprechend vermutlich auch Bildungsungleichheiten im Kindergarten, da die Kindertagesstätten einen eigenständigen Bildungsauftrag besitzen und den Grundstein für die Bildung in traditionellen Bildungsinstitutionen wie die Schule, Universität etc. legen.
„Begreifen wir Kinder als ein Strukturmoment von Gesellschaft und Kinder als Mitglieder der Gesellschaft, dann sind sie von Phänomenen der sozialen Ungleichheit betroffen- und zwar als Kinder in spezifischer Weise“ (Rabe-Kleberg, 2010, S. 50).
Die Kinder sind dementsprechend genauso wie jeder Erwachsene auch von einer ungerechten Ressourcenverteilung in Deutschland betroffen, da die Kinder genauso zur Gesellschaft gehören wie die Erwachsenen.
3. Ursachen der Bildungsungleichheit
Inwieweit die Bildungschancen der Gesellschaft beeinflusst werden, erklärt Pierre Bourdieu anhand seiner in Algerien getätigten Forschungen mit bestimmten Begriffen (vgl. Fröhlich 2005, S. 113). Aus diesen Begriffen wird später im Erklärungsversuch deutlich wie genau die Bildungsungleichheiten im Kindergarten entstehen (siehe Punkt 4). Folgende Begriffe definieren die Bildungsungleichheiten explizierter: Habitus, Kapital, Feld (siehe Punkt 3.1. bis 3.3).
3.1 Habitus
Der Begriff Habitus ist das Kernstück Bourdieus Soziologie und stammt aus dem Lateinisches und bedeutet Habitus = Gehaben, Haltung. Habitus steht also für die Haltung eines Individuums in der sozialen Welt und dient als Grundlage der bewussten und unbewussten Handlungen.
Bei Bourdieu wird der Mensch als Spieler oder Akteur in seiner Welt mit unterschiedlichem Habitus und Haltungen angesehen. Der Habitus umfasst außerdem seine Wertvorstellungen, seine Gewohnheiten, seine Lebensweise, seine Dispositionen und die Einstellungen, die er zum Leben hat (vgl. Fröhlich 2009, S. 110). Nach Bourdieu ermöglicht er den Menschen sich durch seine Dispositionen und seinen Fähigkeiten in seiner Umgebung angemessen zu benehmen und schafft ihnen einen gewissen Status oder eine Ranghöhe in der Gesellschaft, den er mit seinem Handeln, Gehabe und Haltung erreicht hat. Der Habitus umfasst die soziale Kompetenz, die sich der Mensch in seinen Lebensjahren angeeignet hat.
„Im Einzelnen enthält der Habitus Schemata, die der Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit dienen, Denkschemata, mit Hilfe derer diese Wahrnehmungen geordnet und interpretiert werden, ethische Ordnungs-und Bewertungsmuster, ästhetische Maßstäbe zur Bewertung kultureller Produkte und Praktiken sowie Schemata, die die Hervorbringung von Handlungen anleiten“ (Fuchs-Heintritz/ König, 2005, S. 114).
Die soziale Herkunft beeinflusst den Habitus in seinem Schema und Wahrnehmungen, wodurch das Individuum dann eine gewisse Stellung im Feld einnimmt. Bildungshaltungen von der Familie werden von Generationen zu Generationen übertragen (Reproduktion) (vgl. Kramer/Helsper, 2012, S. 108). Pierre Bourdieu sagt auch, dass der Habitus von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist und nicht durch äußere Faktoren verändert oder sogar komplett umstrukturiert werden kann. Er kann beeinflusst aber nicht vollständig umgeformt werden. Des Weiteren vermittelt Pierre Bourdieu, dass die Sozialisation innerhalb der Familie für die Bildung des Habitus und die damit im Zusammenhang stehenden Bildungsprozesse von essentieller Bedeutung sind (vgl. Mudiappa, 2012, S. 79).
3.2 Kapital
Unter dem Begriff Kapital versteht man die `Soziale Energie` (Feine Unterschiede 1979/1999, S. 194 zit. n. Fuchs-Heinritz/ König, 2005, S. 32), welches „[…] als gespeicherte und akkumulierte Arbeit in materieller oder verinnerlichter Form gegeben [ist]“ (Fuchs-Heinritz/ König, 2005, S. 157). Wie bereits schon erwähnt bezeichnet Bourdieu die Menschen als Spieler. Diese Spieler bezwingen die Welt, in dem sie das Kapital, also die soziale Energie angemessen einsetzen, um etwas zu erreichen. Es gibt vier Kapitalsorten, das ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische Kapital. Wobei die Autorin dieser Arbeit nur die ersten drei genannten Kapitalsorten aufgrund der Wichtigkeit ansprechen und erklären möchte. Die Kapitalsorten werden auch als Mittel der Spieler bezeichnet, die sie in ihren Handlungsräumen (siehe P. 3.3) einsetzen können. Des Weiteren ergibt das Kapital bestimmte Handlungsmöglichkeiten, um seine soziale Position zu verbessern.
Unter dem ökonomischen Kapital versteht man alle Formen des materiellen Besitzes, die mit Geld gekauft werden können. Mit diesem Kapital lassen sich Materialien, Gegenstände, Eigentum, Bücher etc. kaufen, die man für ein adäquates Leben, vor allem für die Bildung benötigt. Für Bourdieu ist es die wichtigste Kapitalsorte.
Das kulturelle Kapital teilt sich in das objektivierte-, inkorporierte- und das institutionalisierte Kulturkapital. Unter dem objektivierten Kulturkapital versteht man kulturelle Güter wie zum Beispiel Bücher, Bilder, technische Instrumente und Kunstwerke etc. Für Bourdieu lehnt sich dieses Kapital sehr stark an das ökonomische Kapital an. Schließlich kann ein Mensch ohne Geld diese Güter nicht erwerben. Dem objektivierten Kulturkapital werden dementsprechend das ökonomische Kapital und das inkorporierte Kulturkapital vorausgesetzt. Das inkorporierte Kulturkapital „besteht […] aus den kulturellen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Individuums, also aus dem, was in der deutschen Sprache Bildung heißt [...]“ (Drei Formen 1979/2001, S. 113 zit. n. Fuchs-Heinritz/ König, 2005, S. 163). Pierre Bourdieu bezeichnet diese Kapitalsorte auch als Bildungskapital. Das inkorporierte Kulturkapital ist nicht durch Geld zu erwerben, sondern durch persönliche Bemühungen. Diese Kapitalsorte wird in der Herkunftsfamilie durch die Erziehung gebildet, ist ein Teil des Habitus und unterliegt somit dem starken Einfluss der Familie. Der Habitus ist demnach Bestandteil der Persönlichkeit, welcher einem langwierigen Verinnerlichungsprozess unterliegt. Daraus ergibt sich, ob es dem Individuum leicht, schwer oder nahezu unmöglich erscheint zu lernen. Auch später im Lebenslauf werden die Einflüsse der Herkunftsfamilie noch sehr deutlich. Dieses wird dann an der ungebildeten Sprechweise, am Akzent, an Unsicherheiten etc. bemerkbar (vgl. Fuchs-Heinritz/ König, 2005, S. 161). Diese Kapitalsorte wird auch als vererbbares Kulturkapital bezeichnet, welches aus der Reproduktion der Familie entsteht und sehr eng an dem Habitus gebunden ist.
„Inkorporiertes Kulturkapital ist Besitztum, das zu einem Bestandteil der Person beziehungsweise zum Habitus wird und innerhalb der Familie in einem früh beginnenden Lern- und Sozialisationsprozess weitergegeben und erlernt wird“ (Mudiappa, 2012, S. 78).
Durch verschiedene kulturelle Aktivitäten der Familie wird somit das inkorporierte Kulturkapital verinnerlicht beziehungsweise habitualisiert (vgl. Bourdieu, 1976).
Das letzte Kulturkapital beschreibt den institutionalisierten Zustand. Darunter versteht man die erworbenen Abschlusszeugnisse und Bildungstitel. Das ererbte Kulturkapital (inkorporiertes Kulturkapital) wird durch Zeugnisse (institutionalisiertes Kulturkapital) bestätigt und dann in Bildungskapital umgeformt. Mit Bourdieus Worten zu sprechen ist das Bildungskapital:
„das verbürgerte Resultat der einerseits durch die Familie, andererseits durch die Schule gewährleisteten kulturellen Vermittlung und deren sich kumulierenden Einflüsse…“ (Feine Unterschiede 1979/1999, S 47 zit. n. Fuchs-Heinritz/ König, 2005, S. 165)
Die letzte Kapitalsorte ist das soziale Kapital. „Das soziale Kapital besteht aus Möglichkeiten, andere um Hilfe, Rat oder Informationen zu bitten, sowie aus den mit Gruppenzugehörigkeiten verbundenen Chancen, sich durchzusetzen“ (Fuchs-Heinritz /König, 2005, S. 166). Durch die Wertschätzung und die Anerkennung wird die Chance erhöht Unterstützung und Hilfe zu erhalten, wodurch das Netz stabilisiert wird. Gegenstand dieses Netzes sind Beziehungen wie zum Beispiel Freundschaften, Vertrauensbeziehungen und Bekanntschaften. Um dieses Gut aufrechtzuhalten benötigt es permanente Beziehungsarbeit, wie zum Beispiel das Senden von Weihnachtsgrüßen oder Einladungen. Durch das soziale Kapital wird das kulturelle und ökonomische Kapital gesichert, aufrechterhalten und multipliziert.
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