Das vergebliche Ringen um politische Teilhabe. Die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung (1820−1850) anhand William Lovett


Thèse de Master, 2014

100 Pages, Note: 1,8


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

Verzeichnis der Abbildungen im Anhang (ab S. 81)

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen für politische Vereine, Gewerkschaften u.ä.

1. Einleitung

2. Die Gesellschaft Englands zu Beginn des 19. Jahrhunderts
2.1 Struktur der Gesellschaft
2.2 Auswirkungen der industriellen Revolution

3. Kindheit, Jugend und Lehrzeit der labouring poor

4. William Lovett und wesentliche Strukturen, Ereignisse und Entwicklungen der Frühphase der britischen Arbeiterbewegung
4.1 Politisierung der Arbeiterschaft und die Entstehung von Klassenbewusstsein – Lovetts politisches Erwachen
4.2 Genossenschaften und Gewerkschaften – Lovetts Prägung durch Robert Owen
4.2.1 Sozialismus als Gegenmodell zum Kapitalismus
4.2.2 Owens Anstoß für eine Einheitsgewerkschaft
4.3 The Great Reform Bill: Arbeiterklasse und Mittelklasse gemeinsam für politische Beteiligung – Opposition der Londoner Arbeiterintelligenz
4.4 Der Chartismus – der zweite Versuch der Arbeiterschaft, politische Beteiligung zu erreichen
4.4.1 Entstehung – anfängliche Dominanz der London Working Men’s Association (LWMA)
4.4.2 Erste Petition und Konvent – Euphorie und Ernüchterung
4.4.3 Die National Charter Association (NCA) und die zweite Petition – O’Connor übernimmt die Führung
4.4.4 Das endgültige Scheitern der People’s Charter –

5. Lovetts Rolle im historischen Kontext

6. Fazit

7. Anhang

8. Quellen− und Literaturverzeichnis
8.1 Quellen
8.1.1 Quellensammlungen
8.1.2 Quellen+)
8.1.3 Sonstige
8.2. Nachschlagewerke
8.3 Literatur

Versicherung

Verzeichnis der Abbildungen im Anhang (ab S. 81)

Anlage 1 Quelle: GAMMAGE(1894:104).

Anlage 2 Quellen: NIEDHART(1996); deBUHR/REGENBRECHT(1983);

Anlage 3 Quelle: British Library, C.194.a.938 [8138.bb.87], tp.

Anlage 4 Quellen: The Charter (Ausgaben vom 03.03.−19.05.1839, Portraits of the Delegates);

Anlage 5 − Tabelle der Aktivitäten Lovetts 1820−1850

Anlage 6.1 − Nennungen Lovetts in britischer Presse 1820−1850

Anlage 6.2 − Diagramm zu 6.1

Anlage 7 Quelle: British Library, Maps 162,1.

Anlage 8 In Lovetts Autobiographie bewahrte politische Äußerungen, Erklärungen, Adressen, Aufrufe, Petitionen, Manifeste u.ä.

Anlage 9 Erinnerungsplakette im Geburtsort Newlyn und Grabsteininschrift Lovetts.

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen für politische Vereine, Gewerkschaften u.ä.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

1. Einleitung

„Lovett’s carreer [...] is an epitome of the social confusion in which the working classes were plunged during the passage of industry from the old order to the new“1 schrieb R.H. TAWNEY2 1920 in der Einführung zur Neuauflage der Autobiographie William Lovetts (1800−1877) aus dem Jahre 1876. Die Zeitspanne von 1820−1850 deckt Lovetts politisch aktivste Phase ab und beinhaltet innerhalb des „aufhaltsamen Aufstiegs der britischen Arbeiterklasse, 1815−1880“3 - wie MANN ihn nannte − „die ohnmächtige Revolte der Arbeiterschaft (1830−1847)“4. Unmittelbar nach Peterloo umfasst die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung neben fortgesetzter Selbstfindung der Arbeiterklasse u.a. die Aufhebung der Combination Laws und die Wiederzulassung von Gewerkschaften, die Great Reform Bill von 1832, die Genossenschaftsbewegung sowie den Chartismus. Zudem habe in England in jener Phase tatsächlich die Gefahr einer Revolution bestanden.5 Lovett beschreibt viele dieser Ereignisse und Strömungen. Er war mehr oder minder beteiligt: Als Angehöriger der Arbeiterklasse, als Beobachter, Handelnder, Initiator oder Führungsperson sowie als Partner oder Gegner zeitgenössischer Protagonisten. Autobiographien sind zweifellos nicht frei von Subjektivität, haben jedoch den Vorteil der Unmittelbarkeit, der Beobachtung aus erster Hand. Die Auswahl an Berichtenswertem lässt Rückschlüsse auf Eigenschaften, Werte und Anschauungen des Beobachters zu und bildet so ein wertvolles Zeitzeugnis.6 Für TAWNEY ist Lovetts Autobiographie sogar „more than the mere autobiography which its title might suggest“7.

Die folgende Arbeit unternimmt den Versuch, die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung anhand Lovetts Leben zu verfolgen. Deren wesentliche Strukturen, Ereignisse oder Entwicklungen sollen an seinem Leben gespiegelt und beispielhaft vertieft werden oder als Komplement dienen, wenn seine Erfahrungen oder Handlungen (zu) singulär sind. Die Betrachtung muss eine gewisse Spannbreite zulassen, die von unmittelbarer Beteiligung an Ereignissen, Strukturen und Entwicklungen der Hauptströmung bis zur Bekämpfung, Gegenposition oder paralleler Aktivität reicht, die ggf. auch erst nach dem Betrachtungszeitraum wieder in die britische Arbeiterbewegung einmündet.

Lovetts Darstellungen werden nicht als alleinige Grundlage herangezogen und plausibilisiert. Aus den autobiographischen Ausführungen werden Aufhänger und Fixpunkte ausgewählt werden, die als besonders typisch (oder atypisch) für diese turbulente Phase der britischen Arbeiterbewegung gelten können. Diese werden im Zusammenhang verständlich dargestellt. Lovetts jeweilige Rolle wird schließlich im Kontext bewertet, und es wird ein Fazit gezogen.

(Anlg. 1 zeigt ein undatiertes Porträt William Lovetts).

2. Die Gesellschaft Englands zu Beginn des 19. Jahrhunderts

England befand sich Anfang des 19. Jahrhunderts in einem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Übergang, im Umbruch zur Moderne. Die Gesellschaftsstruktur zeigte dabei ein starkes Beharrungsvermögen, und die Wirtschaft entwickelte ihre Dynamik noch nicht flächendeckend.

2.1 Struktur der Gesellschaft

Das old England des 18. Jahrhunderts präsentierte sich als funktionierende Adelsgesellschaft, die aus Hochadel (peers), niederem Adel (gentry) sowie Mittel− und Unterschichten (middle classes und lower orders) (s. Anlg. 2) bestand. Die adeligen 1,4% der Bevölkerung verfügten zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 15,7% der Einkommen und definierten sich über Landbesitz, die Reichsten hatten Jahreseinkommen von 50000 £.8 Adelstitel erbten nur die erstgeborenen Söhne, die anderen Söhne wurden Politiker, Offiziere, traten in den Dienst des Staates oder der Kirche oder gingen in bürgerliche Berufe in Handel, Finanz und Gewerbe. Der Adel hielt so Verbindung mit allen Bereichen der Wirtschaft. Sein politischer Einfluss zeigte sich bei den Unterhauswahlen, die peers und gentry zusammen kontrollierten, und bei der lokalen Verwaltung, die sich überwiegend aus Angehörigen des niederen Adels zusammensetzte. Parlamentssitze wurden gehandelt, Wahlrecht war an Eigentumsvoraussetzungen gebunden. Stimmenkauf war nicht unüblich. „Selfgovernment durch Honoratioren (‚Gentlemen’) [... war] bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Signatur des englischen Staates“9, das bedeutete z.B. die Übernahme des Friedensrichteramtes durch den Grundherrn und Paternalismus gegenüber den Unterschichten. „Die paternalistische Haltung vieler Adliger gab den Unterschichten weithin das Gefühl, daß man sich ihrer Nöte annähme“10. Die Grenzen des Adels waren nicht scharf nach unten definiert, eher offen. Rechtlich gab es zwischen den Bürgerlichen (middle class) und der gentry keinen Unterschied. Das dem Adel gemeinsame Merkmal des Landbesitzes in größerem Umfang war das differenzierende Attribut der sog. landed gentry gegenüber der middle class.

Die Mittelschichten zeichneten sich durch Tugenden wie Arbeitseifer, Genauigkeit, Zielorientierung und eigenverantwortliches Handeln aus, wobei diese Eigenschaften auch auf Adelige und die Arbeiteroberschicht zutreffen konnten.11 Zu den Mittelschichten zählten um 1800 31,6% der Bevölkerung, und sie besaßen 59,4% des Volkseinkommens. Dabei handelt es sich um reiche Kaufmannsfamilien mit 2600 £ Jahreseinkommen, etwa 15600 Familien mit mittlerem und kleinem Landbesitz, Pächter und selbständige Bauern ohne große Einkommen. Hinzu kamen aber auch ca. 25000 besser verdienende Handwerkerfamilien (im Durchschnitt 150 £ pro Jahr) und ungefähr 30000 Familien von kleinen Gewerbetreibenden und Angestellten mit 75 £ Einkommen im Jahr. Es war eine bunte und bei wirtschaftlichem Erfolg durchlässige Mischung aus Klein− und Großbürgern. Auf die übrigen 66% der Bevölkerung, die sozialen Unterschichten oder die Arbeiterschaft, entfiel das restliche Viertel des Volkseinkommens. Die Hälfte von ihnen lebte in Armut, am oder unter dem Existenzminimum.

Die Arbeiterschaft hatte als gemeinsames Merkmal die Handarbeit mit Tages− (meist Wochen−)Lohn.12 Der Arbeitsplatz war in hohem Maße unsicher. Vier Großgruppen ließen sich unterscheiden:

− die besser gestellten Fachhandwerker (labour aristocracy), hoch spezialisierte Handwerker, die nach langer Lehrzeit bei 30−40s Wochenlohn, relativ regelmäßige Beschäftigung und überwiegend gute Arbeitsbedingungen erreicht hatten;
− die ausgebildeten Handwerker (skilled workers), die ebenfalls eine gesetzlich vorgeschriebene Lehrzeit von 7 Jahren durchlaufen hatten;
− die Nicht−Handwerker (unskilled workers), ohne Ausbildung, die nicht als Handwerker arbeiten durften. Diese Gruppierung umfasste ganz unterschiedliche Gruppen wie die Landarbeiter, die Fabrikarbeiter und Dienerschaft auf Landgütern, zusammen etwa 1,5 Mio. Menschen mit bis zu 14s Wochenlohn. Daneben etwa 200000 Bauarbeiter, die an Eisenbahnen und Kanälen für 15−24s pro Woche schufteten. Auf gleichem Lohnniveau13 arbeiteten etwa 118000 Bergarbeiter. Städtische Arbeiter in Docks oder Eisenwerken hatten vor allem unter unsicheren Arbeitsplätzen zu leiden. Schließlich kam noch die Dienerschaft mit 1 Mio. Beschäftigten mit niedrigen Löhnen aber freier Kost und Logis hinzu. Rund 330000 Armeeangehörige zählten ebenfalls zu dieser Gruppe;
− die poors, die nicht arbeiten konnten oder wollten, stellten etwa 1,5 Mio (9,3 % der Gesamtbevölkerung im Jahre 1841).

Das Hauptunterscheidungsmerkmal innerhalb der Arbeiterschaft war die Lehrzeit, die Ausbildung, die die Fachkenntnisse eines Berufs vermittelte. Nur etwa 5−10% der Arbeiterschaft waren Handwerker.14 Die Kosten für das absolute Existenzminimum einer Familie mit 2 Kindern, d.h. für die billigsten Lebensmittel, die das Verhungern verhinderten, lagen zu Beginn des 19. Jahrhundert etwa bei wöchentlich 8s 7d.15

2.2 Auswirkungen der industriellen Revolution

Die industrielle Revolution beinhaltete den Übergang von der traditionellen Art und Weise in der Wirtschaft zu produzieren, nämlich handwerklich und agrarisch, hin zu fabrikmäßiger, maschinenunterstützter und marktorientierter Fertigung. Dabei war die Hauptauswirkung für die Arbeiterschaft die Zerstörung ihrer überkommenen Formen zu leben und zu arbeiten.16 Arbeit in der vorindustriellen Zeit hieß Arbeit in der Landwirtschaft von Familien mit eigenen Höfen, von Handwerkern mit eigenen Betrieben oder von Familien, die Lohneinkünfte durch unmittelbare Verfügung über die Produktionsmittel ergänzten (z.B. Webstuhl). Die Beziehung zum Arbeitgeber ging über das Funktionale hinaus. Die industrielle Revolution brachte den anonymen Fabrikarbeiter und die gesichtslose Arbeitskraft hervor. Industrielle Arbeit hatte den Taktgeber Maschine und den vorgeplanten Arbeitsschritt des Fabriksystems. Regelmäßigkeit, Monotonie und Routine bestimmten den Arbeitstag statt wechselnder Jahreszeiten, Vielseitigkeit, menschlicher Stimmungen oder auch tierischer Bedürfnisse, die für den Arbeitsrhythmus bisher entscheidend gewesen waren. Die Uhr gab das Arbeitstempo vor. Statt Jahreszeiten, Wochen und Tagen wurden Minuten zum Takt vorgedachter, ineinandergreifender, arbeitsteiliger Arbeitsprozesse. Das widersprach den geübten menschlichen Neigungen und musste durch Gesetze (z.B. Herr−und−Diener−Gesetz 1823) und Disziplinierungsmaßnahmen (Lohnabzug, Geldstrafen) erzwungen werden. Schlechte Bezahlung hielt zu ständiger Höchstanstrengung an, damit das Existenzminimum gesichert werden konnte. Die Mitarbeit aller Familienmitglieder – schon in vorindustrieller Zeit nicht ungewöhnlich – wurde jetzt oft lebensnotwendig und veränderte das Familienbild. Das alles fand nicht mehr auf dem Land in bekanntem Umfeld, sondern in der Umgebung von Großstädten oder neu aus dem Boden gestampften Fabrikstädten statt, die vor Dreck, Qualm und Lärm strotzten.17 Mit der Zuwanderung von Arbeitermassen konnte die Versorgung mit u.a. Wasser, Sanitäreinrichtungen, Straßenreinigung, offenen Flächen nicht mithalten. Krankheiten und Kriminalität waren an der Tagesordnung. Die Landbewohner, an städtisches Leben nicht gewöhnt, fanden sich in Elendsquartieren wieder. Sie hatten aus ihrer Erfahrung und Vergangenheit keine Rezepte zum Umgang mit der kapitalistischen Welt, ihrer Moral und funktionalen, monetären Orientierung. Es waren noch Reste subsistenziellen Denkens vorhanden. Man wollte Geld verdienen für ein möglichst angenehmes Leben. Hatte man den Hungerlohn verdient oder etwas darüber hinaus, lebte man in Geselligkeit und frönte oft dem Alkohol, wollte dem Elend so zeitweise entfliehen.18 Die vom Land so nicht gewohnte Industrienahrung kam noch hinzu. Die Armut an sich war schon bedrückend, dem ungewohnten Umfeld stand man unwissend und weitgehend hilflos gegenüber, das Elend steigerte sich dadurch noch.

Der Prozess der Industrialisierung hatte u.a. mit Erfindungen wie der Dampfmaschine, der Wagenspinnmaschine und dem Maschinenwebstuhl in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts begonnen. Mechanisiert wurde zuerst in der Textilindustrie, das setzte sich bei den Landmaschinen und in anderen Branchen fort. Auch wenn z.B. die Weber schon 1795 tiefe Lohneinbrüche zu beklagen hatten, blieb die traditionelle Heimindustrie bis in die 1820er Jahre bestehen, und Mitte des 19. Jahrhunderts waren erst knapp 50% der Arbeiterschaft in den neuen Industrien oder in neuen Berufen tätig.19 Man kann 1850 England noch nicht als industrialisiert bezeichnen.20 Dennoch beeinträchtigte der Wandel nahezu jeden, weil die zunehmende Mechanisierung und Modernisierung ein Auskommen in vielen überkommenen Berufen erschwerte oder unmöglich machte.

In England verlief der Industrialisierungsprozess außerordentlich gewaltsam auf Kosten der Arbeiter, allein nach den Regeln der Unternehmer.21 Die Erfahrung der Verelendung kam in unzähligen verschiedenen Formen über die Arbeiter: für den Landarbeiter als Verlust von Allmenden und dörflicher Selbstverwaltung; für den Handwerker als Verlust seiner beruflichen Stellung; für den Weber als Schwinden von Verdienst und Unabhängigkeit; für das Kind als Verlust von häuslichem Spiel und häuslicher Arbeit; für viele Gruppen innerhalb der Arbeiterschaft als Verschwinden von Sicherheit und Freizeit trotz steigender Reallöhne und als Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in der Stadt.

BUTLER fasst den Konflikt zwischen Arbeiter und Unternehmer im Übergang zur Industrialisierung wie folgt zusammen:

In mines, shops, and factories alike men and women and children were forced to work, with little food or sleep, in loathesome atmospheres for as much as eighteen hours a day. They had no education and no holidays, and many employers, or their foremen, were guilty of revolting cruelty.22

3. Kindheit, Jugend und Lehrzeit der labouring poor

Kinder waren schon in der vorindustriellen Zeit früh in den Arbeitsprozess eingebunden. „Das Kind war ein wesentlicher Bestandteil der ländlichen und gewerblichen Wirtschaft [schon] vor 1780 und blieb es, bis es durch die Schule gerettet wurde“23. Da das Einkommen der Kinder für die Familien notwendig war, hatte deren schulische Erziehung keine Priorität. „The poorer families were unable or unwilling to sacrifice the wages that their children could earn to add to the familiy income“24. Sog. dame−schools wurden von einer einzelnen Dame geführt, die eher Kinderhüterin als ausgebildete Lehrerin war. Sie nahm die Kinder in ihrem eigenen Haus in Obhut, erhielt einige Pennies pro Woche, um den Kindern das Alphabet oder das Nähen beizubringen. Die Kinder spielten, aber lernten nicht sehr viel.25 In Sonntagsschulen, die die Kirchen betrieben, sollten die Kinder den christlichen Glauben kennenlernen. Lesen war dafür eine notwendige Fähigkeit, den Kindern das Schreiben beizubringen dagegen „ein schrecklicher Mißbrauch des Sabatts“26. Die eigentlichen Schulen der Armen waren – wenn es welche gab27 − die ragged schools, Einraumschulen, oft in alten Scheunen. Die angebotene Erziehung

was of poorest quality. Schoolmasters were often men or women who had been disabled by accidents in the factory, or failed to earn their livelyhood in any other occupation [...] sometimes they could not even write themselves. 28

Ältere Kinder, die über Grundkenntnisse verfügten, wurden als Mentoren für die jüngeren eingesetzt, um Geld zu sparen. Lovett schreibt über seine Schulbesuche, die mit 6 oder 7 Jahren begannen:

I was sent to all the dame−schools of the town before I could master the alphabet. [...] I was instructed to read by my great−grandmother [...]. I was then sent to a boy’s school to learn ‚to write and cypher’, thought at that time to be all the education required for poor people. 29

Die Schulausbildung Lovetts ist mit der anderer Arbeiterkinder und auch anderer, späterer, politischer Akteure der Arbeiterschaft vergleichbar.30 Der Schumacher und Gewerkschaftler Abraham Hanson „had no formal education to speak of, joking that he had been schooled in the ‚College of Nature“31.

Kinder mussten zum Teil sehr früh anfangen zu arbeiten. So schildert z.B. ein betagter Töpfer in seinen Memoiren seine schwere und gefährliche Arbeit als er sieben Jahre alt war.32 Richard Pilling (1800−1874), Sohn eines Handwebers in Lancashire, musste vom 10. Lebensjahr an als Weber arbeiten, über seine Schulbildung ist nichts bekannt. Im Alter von 20 hatte er so schon ein Jahrzehnt an Arbeitserfahrung als Handweber, mit 25 fand er Arbeit in einer Maschinenweberei.33

Kinder, die nicht unmittelbar Geld für die Familie verdienen mussten, begannen mit 12 oder 13 Jahren eine Lehre. Diese hatte seit der elisabethanischen Gesetzgebung eine vorgeschriebene Dauer von 7 Jahren; der Lehrherr durfte in einigen Berufen nur eine Höchstzahl von Lehrlingen beschäftigen.34 Die Durchschnittsgröße einer Handwerkerwerkstatt lag bei dem Meister und 3−7 Lehrlingen. „Then childhood was over, they began contributing to the familiy income“.35

Lovett erlernte als Sohn einer Fischerfamilie ohne Vater, der vor seiner Geburt verstarb, ab dem 13. Lebensjahr in einer Hafenstadt Cornwalls (Newlyn) das Seilerhandwerk bei einem Onkel als einer von zwei Lehrlingen für 5s pro Woche.36 Der Onkel hatte bis dahin Erfolg in seinem Beruf. Im Handwerk kannte man noch keine Arbeitsteilung, Lovett musste so alle Facetten des Berufs erlernen. Die Lehrzeit war hart. Manchmal mochte er abends vor Müdigkeit kaum noch essen. Er hatte handwerkliches Geschick und fand noch die Zeit, gelegentlich bei einem Tischler am Ort auszuhelfen. Er baute sich selbst eine Drehbank und machte sich mit den Werkzeugen und fachlichen Anforderungen eines Tischlers vertraut, indem er Kästchen und Kleinmöbel fertigte. Sein Meister bekam zunehmend geschäftliche Schwierigkeiten. Seile wurden immer mehr durch Ketten ersetzt. Durch den Magistrat musste er gezwungen werden, seinem Lehrling Lovett ausstehenden Lohn zu zahlen. Da Seilerei keine Zukunft hatte und wegen seiner eigenen Probleme, löste der Meister Lovett aus dem Ausbildungsvertrag. Aufgrund unüberwindbarer Seekrankheit konnte er nicht in die Fischerei und versuchte es bei einem Tischler, der seine handwerklichen Fähigkeiten kannte. Doch andere Lehrlinge gingen dagegen vor, weil ein Seiler nicht bei einem Tischler arbeiten durfte. Der Tischlermeister hatte Angst vor gesetzlichen Konsequenzen, und so war Lovett wieder arbeitslos. Er ging auf Arbeitssuche nach London. Durch den Verkauf eines Damenkleinmöbels und einiger Teewagen hatte er 30s Startkapital in der Tasche als er 1821 mit 21 Jahren dort ankam. Er versuchte vergeblich, als Seiler zu arbeiten. Ein paar Gelegenheitsarbeiten als Tischler hielten ihn gerade so über Wasser, er lebte von penny loafs37, die er noch mit Leidensgenossen teilte, und Wasser aus öffentlichen Brunnen. Nach einigen Fehlschlägen hatte er sogar schon trotz seiner Abneigung gegen die See auf einem Schiff anheuern wollen. Er kam schließlich durch einen Freund bei einem Möbeltischler für ein Jahr und 21s pro Woche unter. In die Berufsvereinigung der Möbeltischler durfte er als Seiler nicht eintreten. Die Kollegen wollten ihn aus der Werkstatt vertreiben, da er das Handwerk nicht gelernt hatte. Lovett überzeugte sie, ihn zu dulden, musste dafür aber einen großen Teil seines Lohnes (7s/Woche) abgeben und sie regelmäßig mit Getränken versorgen. Er hielt 5 Jahre durch, die für den Beitritt zur Möbeltischlervereinigung erforderlich waren, wurde Mitglied (später sogar Präsident) und hatte jetzt den Abschluss in einem Fachhandwerk mit besseren Zukunftsaussichten. Dabei wurde bei den Schneidern, Schuhmachern, Möbeltischlern u.a. in London ein ehrenhafter und ein unehrenhafter Sektor unterschieden. Der eine stand für Luxusgüter und Höchstqualität, der andere für billige und schmutzige Arbeit, also z.B. einfache oder furnierte Möbel, Unterauftragsnehmerarbeit beim Kirchenbau, für Behörden oder die Armee.38 LOVETT macht dazu keine weiteren Ausführungen. Nach WIENER gehörten die Möbeltischler nicht zu den Arbeiteraristokraten, sie waren weniger angesehen als andere Fachhandwerker.39

Das Absolvieren einer Lehre war das Grundunterscheidungsmerkmal innerhalb der Arbeiterschaft im 18. Jahrhundert gewesen.40 Neben dem gelernten Arbeiter, dessen Karriere über den Gesellen zum kleinen Meister − oft in einer Berufsvereinigung organisiert − verlaufen konnte, mühte sich der ungelernte Arbeiter ohne formale Ausbildung und − vor der weiteren Verbreitung der Gewerkschaften − ohne irgendeine Organisation, die ihn schützen konnte. Die zum Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Fabrikarbeit verlangte neue Fertigkeiten (z.B. Maschinenbedienung), die sich oft in Wochen statt in Jahren erlernen ließen, auch Frauen und Kinder konnten sie sich aneignen. Einer formalen Lehrlingszeit (mit Ausnahmen wie z.B. bei den Maschinenbauern) bedurfte es nicht. Dadurch boten sich auch Chancen für die, die durch den Wandel in der Wirtschaft in alten Berufsfeldern in Bedrängnis geraten waren.

Der Pfarrerssohn Thomas Dunning arbeitete mit 13 drei Jahre als Hausdiener, um danach eine Lehre als Schuh− und Stiefelmacher zu absolvieren.41 Im Gegensatz zum Handwerker Lovett und dem gelernten Schuhmacher Dunning gehörte John James Bezer, Sohn eines trunksüchtigen Friseurs, nach schwerer Erkrankung des Vaters zu den ungelernten sog. outdoor paupers, den Armen, die Unterstützung von der Gemeinde zum Lebensunterhalt erhielten. Er musste von Kindesbeinen an mit seiner Mutter Geld hinzuverdienen, um mit der Gemeindeunterstützung von 4s/Woche zu überleben. Er verkaufte Brötchen auf der Straße und bettelte im Alter von 9 Jahren halb verhungert Spaziergänger um einen Job als Botenjunge an. Eine seinerzeit nicht unübliche Karriere für Jungen in London, die bis zu 17 Stunden am Tag 6 Tage die Woche arbeiten mussten. Er beschrieb seine Wohnsituation in einem Keller als:

A room, or rather a cell (we paid 2s. 3d. rent weekly, for the blessed privilege of breathing in the accumulated filth below); a hole in which the bugs held a monster public meeting every night.42

Er wechselte die Arbeitgeber, war Handlanger und Hilfsarbeiter, arbeitslos und bettelnder Straßensänger. Bei der Geburt seines ersten Kindes wurde er als town traveller erfasst. Er schlug sich danach ohne Lehre mit wechselnden Berufsbezeichnungen durchs Leben.

Lovett, Dunning und Bezer gehörten alle der Unterschicht an, zählten zu den working classes. Sie mussten sich dennoch auf ganz unterschiedliche Weise den Herausforderungen der Industrialisierung stellen. Lovett lebte in London als Fachhandwerker, der zwar um seine Existenz kämpfen musste, aber kein Elend erlebte, wie es in Industriestädten herrschte. Dunning lebte in der Provinz und Bezer als einer der 100000 Armen Londons.

Zusammenfassung (Kap. 3.): Lovetts unzureichende Schulausbildung gleicht der anderer Kinder der Unterschicht und anderer späterer politischer Akteure der Arbeiterschaft. Die Industrialisierung behinderte seinen Start ins (Arbeits−) Leben, seinem Lehrberuf wurde vom technischen Fortschritt die Zukunft genommen – das entspricht dem damaligen Schicksal einer Vielzahl der Angehörigen der working classes. Dem Markt war er wie sie zunächst hilf− und wehrlos ausgeliefert. Er zeigte Mobilität, kämpfte sich in London gegen zahlreiche Widerstände durch und erreichte sein Auskommen als Fachhandwerker.

4. William Lovett und wesentliche Strukturen, Ereignisse und Entwicklungen der Frühphase der britischen Arbeiterbewegung

Lovetts Erwachsenenleben lässt sich in drei Phasen einteilen.43 Die erste von 1820 bis 1835, in der er beruflich Fuß fasste, sich intellektuell entwickelte und eine radikale44 (d.h. im wesentlichen reformorientierte), aber noch nicht konsistente, politische Sicht entwickelte, die er aktiv und teilweise extrem vertrat. In der zweiten Phase (1836 bis 1842) bewegte er am meisten, bestimmte die Richtung in der sich formierenden Arbeiterbewegung des Chartismus wesentlich mit und tendierte mehr und mehr zur Mäßigung. Seine Haft veränderte ihn. Nach 1842 entwickelte er in der dritten Phase dann zunehmend ein festes, gemäßigtes Gesellschaftsbild von nahezu liberalem Anstrich, aufbauend auf einem Fundament aus Bildung und aktivem Engagement des Einzelnen für die Gesellschaft und in dieser, für das er bis an sein Lebensende eintrat. Die Autobiographie deckt den Zeitraum 1820 bis 1850 inhaltlich nicht gleichmäßig tief ab. Nachfolgend werden zwar nicht alle, aber aus Gründen der Vollständigkeit und des Zusammenhangsverständnisses auch Ereignisse und Strukturen der Frühphase der Arbeiterbewegung angesprochen, die LOVETT nur streift oder übergeht. Der Schwerpunkt dieser Kapitel ist der Chartismus.

4.1 Politisierung der Arbeiterschaft und die Entstehung von Klassenbewusstsein – Lovetts politisches Erwachen

Im 18. Jahrhundert war England eine „aristocracy tempered by riots“45. Volkstumulte (riots) gab es z.B. gegen Lebensmittelpreise (Weizen, Brot), gegen Gebühren zur Straßennutzung, Einhegungen, gewaltsames Rekrutieren von Matrosen (pressing), bei Konflikten um Lohn, auch bei Wahlen (angestiftet, um bestimmte Wähler abzuhalten) und wenn die Bevölkerung sich provoziert fühlte.46 Riots waren meistens gezielt geplant und verliefen organisiert. Die Unterschicht war vom politischen Prozess ausgeschlossen, konnte aber so den Herrschenden (lokal und auch landesweit) vor Augen führen, dass sie zu weit gegangen waren, dass ein Umstand oder Verhalten nicht mehr als hinnehmbar angesehen wurde und dass Abhilfe notwendig war. Dies wurde als Warnsignal, Unmutsventil und Meinungsumfrage gleichermaßen angesehen, nicht als Angriff auf das bestehende System. Die Oberschicht erhielt die Möglichkeit zu reagieren.

Aus den Gilden des Mittelalters hatten sich schon früh gewerkschaftsähnliche Zusammenschlüsse gebildet, Unternehmer beklagten sich bereits im frühen 18. Jahrhundert im Parlament über bargaining by riot.47 Zum Ende des 18. Jahrhunderts begannen die revolutionären Ideen vom Kontinent in England zu wirken. Linke Ideen (Jacobinismus) breiteten sich in Mittel− und Unterschicht aus. Die herrschenden Klassen versuchten, revolutionäre Ideen der radicals im Keim zu ersticken. Ihre Abwehrhaltung gegenüber den Aktivitäten der Arbeiterschaft verstärkten sich, seien es Bildung, Freizeit, Gewerkschaften, Vereine u.a. .48 Die Arbeiter kämpften, wenn sie kämpften, um Löhne und Arbeitsbedingungen. Dabei war der Rahmen für formelle oder informelle Vereine der Arbeiter eng gesetzt. So hatten die Combination Acts von 1799 und 1800 Gewerkschaften (und politische Vereinigungen) verboten und Zuwiderhandelnde zu Kriminellen gemacht.

The laws, as finally amended, sentenced to three months in jail or to two months’ hard labour any workingman who combined with another to gain an increase in wages or a decrease in hours or who solicited anyone else to leave work or objected to working with any other workman.49

In den Handwerksberufen wurden aber die gegenseitige Unterstützung im Geheimen und als Selbsthilfe z.B. in Form der schon vorher bestehenden Unterstützungskassen (friendly societies) fortgesetzt.50 Durch Fortschreiten der Industrialisierung einerseits, Krisen und hohe Lebensmittelpreise andererseits kam es zu Abwehrreaktionen, Streiks der Arbeiter und Gewaltaktionen (Ludditen) mit repressiven Gegenreaktionen der Behörden, die letztlich im Peterloo−Massaker 1819 einen Höhepunkt erreichten.

Mit den 1820er Jahren begann eine vergleichsweise ruhigere Phase, in der nach E.P.THOMPSON das „artikulierte Bewusstsein des Autodidakten [...] vor allem ein politisches Bewusstsein [war]“51. Bis 1840 erreichten etwa 60−70% der Bevölkerung in England und Wales minimale Schreibfähigkeit. Der Anteil derer, die das Lesen beherrschten, war traditionell höher, da in den Schulen zuerst Lesen und dann Schreiben vermittelt wurde.52 Vor allem Schreiben war für die Herrschenden encouraging people to harbour aspirations beyond their allotted station, whether as workers or as producers of cultural and political writing. A public voice for working class people was off the map. 53

Die Steuer (stamp duty) auf Presserzeugnisse in Höhe von 4d zeigte, dass die Regierung lesende Angehörige der Unterschichten ebenso wenig wünschte. Nach 1819 wurden politische Periodika eingeschlossen. Die Absicht war, to restrict the readership of newspapers to the well−to−do by raising cover prices; and to limit the ownership of newspapers to the propertied class by increasing publishing costs. The belief was that substantial stakeholders in society would conduct newspapers ‚in a more responsible manner than was likely to be the result of pauper management’, and that it was potentially dangerous to social order to allow the lower ranks to read newspapers at all.54

Doch die Regierung bekam die Presse und die Leselust so nicht unter Kontrolle. Ab 1816 entstanden Zeitungsabonnement−Clubs, Leseräume, Leserclubs und informelle Lesergruppen, z.B. um vorlesende Arbeiter im Betrieb.55 Kaffeehäuser Londons entwickelten sich zu Verteilstellen von Druck−Erzeugnissen. Die Auflagen betrugen bis in die dreißiger Jahre bis zu 30000, trotz der verteuernden Steuer, und auf einen Leser kamen bis zu 3056 weitere Leser.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen sich die sozialen Schichten in England zu entfremden. DISRAELI wird diesen Zustand schließlich im Jahre 1845 so beschreiben:

Two nations; between whom there is no intercourse and no sympathy; who are as ignorant of each other's habits, thoughts, and feelings, as if they were dwellers in different zones, or inhabitants of different planets; who are formed by a different breeding, are fed by a different food, are ordered by different manners, and are not governed by the same laws

[...] THE RICH AND THE POOR.57

E.P. THOMPSON bestärkt dies, wenn er darauf hinweist, dass Angehörige der Mittel− und Oberschicht es durchaus schafften, in den 1820er Jahren mitten in überfüllten Industrieregionen zu leben und von dem Elend der Unterschichten nichts mitzubekommen.58

Die englische Gesellschaft kannte um 1800 für ihre Schichtungen die Begriffe ranks, orders, degrees oder interests.59 Nach POLLARD kam der Begriff class erst um 1824 in den allgemeinen englischen Sprachgebrauch, und die Bezeichnungen middle class(es) und working class(es)60 wurden allmählich geläufig. Die Arbeiterschaft begann sich als working class zu verstehen und nach und nach ein Klassenbewusstsein zu entwickeln, d.h. ein „gemeinsames Verständnis [...] von sich selbst, über ihre grundlegenden Interessen und ihre Rolle in der Gesellschaft“61. Im Gegensatz zu objektiv messbaren Besitz−, Erwerbs− und Einkommensverhältnissen, die den Begriff Klasse analytisch erfassbar machen, schaffen nach WEHLER

Gemeinsamkeiten der sozioökonomischen Situation, [...] Herrschaftsinteressen, [...] innere Haltungen und Einstellungen, [...] aus der Auseinandersetzung mit anderen Klassen erwachsende gemeinsame Sozialmentalität, die daran anknüpfende Kampfesideologie, die Homogenität der Organisation und der Interessen, Konfliktstrategien und Aktionsziele [...] über längere Zeiträume hinweg die politisch handelnde Klasse.62

Für E.P. THOMPSON war das herausragende Ereignis der Periode zwischen 1790 und 1830 die Herausbildung >>der Arbeiterklasse<<. Dies zeigt sich erstens in der Entwicklung von Klassenbewusstsein [...] zweitens in der Entstehung entsprechender Formen politischer und gewerblicher Organisation. 1832 gab es festgefügte und selbstbewußte Institutionen der Arbeiterklasse, − Gewerkschaften, Unterstützungskassen, religiöse und Bildungsbewegungen, politische Organisationen, Zeitschriften, eigene intellektuelle Traditionen, Gemeinschaftsformen und eine spezifische Gefühlsstruktur der Arbeiterklasse.63

Das heißt nicht, dass sich damit schon die politisch handelnde Arbeiterklasse wie oben definiert gebildet hatte. K.D. BROWN u.a. halten E.P. THOMPSON entgegen, „that there is no tangible manifestation of the existence of a united working class“64. R. BROWN fasst die Diskussion über die Entstehung der Arbeiterklasse seit E.P.THOMSPSON zusammen als: „Answers to the central questions of ‚when?’, ’how?’ and ‚why?’ have been surprisingly inconclusive“.65 Die Voraussetzungen für die Bildung der politisch handelnden britischen Arbeiterklasse (und damit für eine Arbeiterbewegung) waren aber nach dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts in England gegeben (spätestens nach den Erfahrungen mit der Wahlrechtsreform 1832). Dieses entstehende Klassenbewusstsein dominierten nicht die Fabrikarbeiter, sondern die Landarbeiter, danach kamen erst die Arbeiter der Städte. Dabei war neu, dass die gewohnten Proteste gegen Missstände eine übergreifende, klassenweite Dimension bekamen und von der Obrigkeit teilweise als auch politisch gefährlich eingestuft wurden.66

London spielte eine besondere Rolle.67 Es unterschied sich völlig von den neuen Industriestädten wie Manchester: Es gab keine lokalen oder besonderen Interessen als Stadt, auch nicht politisch. Die Stadtteile waren sich fremd, die Einwohner wussten voneinander nichts oder wenig. Es gab einen bemerkenswert großen Anteil an Arbeitern, jeder Beruf verstand sich als unabhängige Gruppe. Große Berufsfelder unterteilten sich in Sparten, und sie alle blieben – mit wenigen Ausnahmen – schweigend und inaktiv, soweit es um öffentliche Angelegenheiten ging.

1824 wurden die Combination Laws aufgehoben, Gewerkschaften grundsätzlich wieder legalisiert, wenn auch nicht unbeschränkt handlungsfähig, da erhebliche praktische Einschränkungen durch fortbestehende, allgemeine gesetzliche Auflagen fortbestanden.68 Eine Vielzahl von Gewerkschaften wurde neu gegründet, und politische Aktivitäten wurden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten forciert oder wiederbelebt, vor allem durch eine Flut landesweiter Gründungen von Vereinen und Vereinigungen aller Art.

Lovetts intellektuelles und politisches Erwachen fiel genau in die Phase des frühen oder entstehenden Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft und begann mit einem Londoner Leseclub, The Liberals, der überwiegend aus Arbeitern bestand. Sie hatten eine zirkulierende kleine Bibliothek und trafen sich zweimal in der Woche zu Diskussionen, z.B. über William Cobbetts Weekly Political Register, das wichtigste damalige Reformerblatt.69 Lovett sah und hörte Arbeiter wie ihn frei reden, was er bisher nur von der Kanzel kannte. Er entbrannte zunächst für christliche Themen. Bald interessierten ihn politische Fragen immer mehr. Er fühlte eine neue mentale Kraft, und Gier nach nützlichem Wissen trieb ihn an. Ein Buch auf dem Tisch war jahrelang sein ständiger Begleiter zu den Mahlzeiten. Dabei interessierte ihn Politisches gleichermaßen wie Allgemeines. Er wurde auch als einer der Ersten70 Schüler des Londoner Mechanic’s Institutes, einer 1823 von dem Universitätsprofessor George Birbeck gegründeten Arbeiterbildungsstätte, in der von Lehrern und Wissenschaftlern populäre Vorträge über (natur−)wissenschaftliche Themen gehalten wurden (wie z.B. von dem Politökonomen Thomas Hodgskin).71 Politisch begann er, sich mit radikalen Vorstellungen Richard Carliles, Henry Hunts und Cobbetts zu beschäftigen. Er engagierte sich im Kampf gegen die ungerechte Zeitungssteuer, die die Arbeiter von Information und Wissen abhielt. Er freundete sich mit Hetherington an, der den Poor Man’s Guardian ohne Steuer verkaufte. Hetherington wurde deswegen verfolgt und saß wie Hunderte andere dafür im Gefängnis. Lovett gründete einen Fonds für diese Verfolgten und organisierte eine direkte Zustellung ins Haus für Abonnenten.72

James Watson (1799−1874) schreibt, dass er 1818 erstmals mit Politik und Theologie in Berührung kam, als er auf ein Versammlungsplakat der radikalen Reformer aufmerksam wurde und neugierig hinging.73 Sie lasen aus Zeitungen vor und diskutierten darüber. Watson schloss Freundschaft u.a. mit Hetherington und beteiligte sich an der Verbreitung liberaler und freidenkerischer Literatur. Er wurde deswegen verhaftet und verurteilt, saß ein Jahr im Gefängnis. Dieses Jahr nutzte er zu intensivem Lesen und Gesprächen mit gebildeteren Mitgefangenen, weil ihm seine Wissensdefizite immer mehr bewusst wurden. Nach der Haft erlernte er das Druckerhandwerk und wurde Verleger. Über den Kampf um steuerfreie Presse lernte er Lovett kennen.

Thomas Dunning (1813−1894) hatte gerade zum Höhepunkt der Agitation für die Great Reform Bill seine Schuhmacherlehre begonnen und abonnierte mit Kollegen gemeinsam die sonst zu teure Reformerzeitung Weekly Dispatch.74 Nach 1832 engagierte er sich in der Gewerkschaft der Schuhmacher, die mit anderen Gewerkschaften verschmolz und einen Vorläufer von Owens Einheitsgewerkschaft bilden sollte. Er beschreibt in seinen Memoiren den intensiven Kampf mit den Behörden, von denen sie u.a. wegen „being members of an unlawful combination [...] and administering illegal oaths“75 verfolgt wurden.

John James Bezer (1816−1888), der sich selbst schon früh als physical force rebel sah, gibt als Grund an, dass ihn die Tyrannei seines Meisters dahin gebracht hätte. Er wehrte sich, als er körperlich angegriffen wurde.76 Es kam zu Handgreiflichkeiten, die sogar in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Bis 1838 schlug er sich mit wechselnden Tätigkeiten, in der Regel aber ohne Arbeit und bettelnd, schlecht und recht durch, immer kurz vor dem Verhungern. Er schildert, dass er politisch aktiv wurde nach dem für ihn niederschmetternden Kontakt mit der Society for the Suppression of Mendicity. Sie gab vor, Londons Straßen von Bettlern befreien zu wollen und schickte sie dann ins Gefängnis oder in Steinbrüchen zur Arbeit. Für ihn war Politik eine bread−and−cheese−question. Er wollte sich den Reformern anschließen, um nicht mehr hungern und betteln zu müssen sowie frei zu sein. Ihn trieb die Verzweiflung dazu.

Pilling erlebte mit 20 das Peterloo−Massaker beinahe hautnah mit. Er war auf dem Wege zu einer Rede von Hunt − dem berühmten redegewaltigen Agitator der Reformer. Er schloss sich früh einer political union (s. 4.3) in Stockton an und musste erleben, dass er, der als 11−jähriger Junge 16s pro Woche verdient hatte, als 30−Jähriger Familienvater mit 3 Kindern in der Fabrik nur noch 6s/6d pro Woche als Lohn erhielt.77 Er sagte über seine Zeit als Fabrikarbeiter: „I was not long in the factory until I saw the evil workings of the accursed system – it is a system, which, above all systems, will bring this country to ruin if it is not altered“78. Danach erhielt er Unterstützung nach dem Armengesetz, arbeitete als Weber, engagierte sich in der Gewerkschaft und für den 10−Std−Arbeitstag, wurde Sekretär der Stockton Working Men’s Association und später Chartist.

Zusammenfassung (Kap. 4.1): Lovett hat die Chance auf Weiterbildung und Gewinnung von Wissen unter großen Anstrengungen genutzt, was auch für erhebliche Anteile der Arbeiterschaft zutrifft. Die Erkenntnis KNOWLEDGE IS POWER prangte als Motto auf dem Poor Man’s Guardian Hetheringtons und symbolisierte auch die Aufforderung an jeden einzelnen Arbeiter, zu lesen und sich weiterzubilden. Bei Lovett und Watson bewirkten eher Wissensdurst und Neugier das Engagement für politische Fragen, Dunnings Hinwendung zur Politik resultierte aus z.T. heimlicher gewerkschaftlicher Aktivität, Bezer trieb wie Pilling die Aussichtslosigkeit seiner Lage, die Hoffnung auf Besserung zu politischer Agitation. Gemeinsam war ihnen aber allen schon in jungen Jahren als Angehörige der gleichen Klasse die bewusste Erfahrung von Ungerechtigkeit und Ungleichheit bis hin zu Existenzkampf und Elend in einer sich zu ihrem Nachteil verändernden Welt ohne Beteiligungsrechte und mit geringen Einflussmöglichkeiten.

4.2 Genossenschaften und Gewerkschaften – Lovetts Prägung durch Robert Owen

Nachfolgend werden die sich aus Owens Ideen ergebenden Einflüsse auf die politischen Aktivitäten in der Arbeiterschaft aus Gründen der Gesamtschau in einem Stück behandelt, auch wenn sie sich zeitlich mit später Behandelten wie der Bewegung für die Great Reform Bill überschneiden.

4.2.1 Sozialismus als Gegenmodell zum Kapitalismus

Robert Owen (1771−1858) war ein Fabrikant, der sich vom einfachen Arbeiter (Baumwollspinner) hochgearbeitet hatte. Er entwarf und implementierte ab 1797 in New Lanark eine paternalistisch motivierte Fabrik mit aus seiner Sicht idealen Produktions−, Arbeits− und Lebensbedingungen für die Arbeiter.79 Für Owen lag Fehlverhalten des Einzelnen an der Gesellschaft, in der er aufgezogen worden war. Owens Gegenmittel waren hauptsächlich „Investition[en] im Menschen mit dem Ziel seiner Selbstentfaltung“80. Umerziehung sollte durch geduldiges Überzeugen erfolgen und über Änderung des „Betriebsklimas hinausgehen und das System der Lohnarbeit selbst modifizieren“81. Insoweit hatte Owen die allem Sozialismus zugrunde liegende Idee, dass jene Lebensumstände des Menschen geschaffen werden müssten, die seine guten Anlagen förderten.82

Owen erkannte in der zunehmend kapitalistischen Struktur der Gesellschaft starke Klassengegensätze, die sich nicht ohne weiteres harmonisch auflösen lassen würden, dem widerspräche „blindes Klassenverhalten der Arbeiter und Kapitalisten“83. Er forderte die Kapitalisten auf zu erkennen, dass durch Bildungsmaßnahmen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen die Produktivität zu steigern sei, Absatzkrisen durch höhere Löhne vermieden werden würden, und kooperative Formen des Eigentums und der Produktion (Kooperativen) die Lage für alle verbessern könnten. Er verlangte von den Arbeitern, den Unternehmern entgegenzukommen und statt auf Gewalt auf moralische Überzeugung zu setzen. Versöhnlicher Sozialismus könne ein praktikables Gegenmittel zum Kapitalismus sein. Dass es funktionierte, wollte Owen in Lanark zeigen. Seine Musterfabrik mit Mustersiedlung umfasste Schulen für die Kinder, Gesundheitsfürsorge, reduzierte Arbeitszeit (nur 10 ¾ Std. pro Tag), eingeschränkte Kinderarbeit, aber auch einen Laden mit reduzierten Preisen, eine Gemeinschaftskasse zur Unterstützung Kranker, Alter und Opfern von Arbeitsunfällen. Das alles finanziert durch geringe Beiträge vom Lohn. Altensiedlungen, organisierte Nachbarschaften, hygienische Normen für Häuser und Aufklärung über Folgen des Alkoholmissbrauchs sowie Angebote für sinnvolle Freizeitvergnügen ergänzten das Programm. Lanark war zumindest anfangs ein wirtschaftlicher Erfolg, u.a. den experimentellen Bedingungen geschuldet. Owen trug sein Reformprogramm in Form von Denkschriften in die Öffentlichkeit. Richtig angeleitete Arbeit könne als Quelle allen Reichtums (Hodgskin) den Wohlstand der ganzen Nation sichern. Genossenschaftliche Produktions− und Arbeitsstätten sowie Arbeitersiedlungen führten zu Überfluss, geregeltem Miteinander und Glück − im Gegensatz zur Lage in den bestehenden Fabrikstädten, den Brutstätten von Armut, Laster, Verbrechen und Elend.84

Owens Ideen fanden landesweit Anhänger, speziell bei den gebildeteren Handwerkern.85 Die Londoner Handwerker waren bei den Ersten. Die jüngere Fachhandwerkergeneration (wie z.B. Lovett) wuchs in der neuen industriellen Ordnung auf, akzeptierte die veränderten Rahmenbedingungen und hoffte auf ihren Anteil durch kooperative, soziale Produktion.86 Besonders nach 1830 gründeten sich Vereinigungen von gemeinschaftlich Produzierenden, die kooperative Läden mit Gütern versorgen wollten. Vor allem Handwerker, die wenig Kapital oder Fabrikationsfläche benötigten, waren angesprochen. Das galt in London hauptsächlich für Schneider, Möbeltischler und Schuhmacher.87 Zunehmende Fabrikproduktion und Unterauftragnahme kapitalistischer Zwischenhändler bedrohten sie besonders, und sie sahen in Owens Modell einen Ausweg. Gerade in London, dem zentralen Markt seiner Zeit für hochwertige Handwerksgüter, hatten sich starke Berufsvereinigungen entwickelt, deren Mitglieder gebildeter und politisch interessierter waren als in den Provinzstädten des Landes. Die meisten Vereine aber waren noch nicht bereit für Owens politischen Kurs der Kollaboration statt Konfrontation und für einen Wechsel des gesellschaftlichen Systems. Sie engagierten sich in Kooperativen in der Regel zur Unterstützung Arbeitsloser und Streikender. Owen versuchte, eine Antwort auf die industrielle Revolution zu geben, er gründete 7 Kooperativen zwischen 1825 und 1847, die alle scheiterten. Seine Ideen berührten die arbeitenden Menschen, sie entsprachen Sehnsüchten nach der guten alten Zeit, dem Paternalismus und dem Gemeinschaftsgefühl auf dem Land. Doch für die normalen Arbeiter der Industriestädte waren sie zu weit weg vom Alltag.88

Lovett hatte sich im Zuge der eigenen Politisierung für radikale Ideen begeistert und sah in kooperativen Modellen vor allem einen Weg, den Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter auch politisch zu formulieren.89 Lovetts Standpunkt war noch nicht gefestigt, er lavierte bis etwa 1832 zwischen ökonomischer Kooperation und politischer Reform und formulierte deshalb wohl oft noch eher unscharf „in suitably abstract terms“90. Er argumentierte allerdings sehr scharf und geradezu militant in der Frage von Eigentum. 1830 forderte er einmal sogar die „forcible equalisation of labour and goods“ 91 und bezeichnete „non−producers [as] ’monsters’ who must be eliminated because they ’prey upon the vitals of society’ “92.

In der Agitation für die Genossenschaften betätigte sich Lovett das erste Mal politisch. Die Kooperativen sollten „the whole produce of labour to the labourer“93 zurückgeben. 1827 wurde die First London Co−operative Trading Association mit 3 Läden gegründet, von denen Lovett 1828 einen für kurze Zeit übernahm. Man kaufte Güter von Webern, Handwerkern und anderen Arbeitern, um sie dann unter Ausschaltung von Zwischenhändlern und non−producers billig an die Vereinsmitglieder zu verkaufen. Handel und Industrie sollten so langfristig unter die Kontrolle der Arbeiterschaft gelangen. Lovett interpretierte Owens Gedanken dahingehend, dass

the purpose of society [...] was to equalise ‚natural disproportions’ and to eliminate selfishness. ‚Equal rights and equal happiness’ would follow inevitably from such changes, beginning at the level of wholesale trading. Competition, which generated extremes of wealth and misery, would go the way of other extinct forms of life once reason was allowed to exercise its untrammeled influence. 94

Er vertrat verschiedentlich den Standpunkt, dass Unternehmern ebenso gerechter Ertrag zustünde wie den Arbeitern gerechte Entlohnung.95 Immer mehr begann er, insgeheim an die Wichtigkeit von Privateigentum zu glauben, doch er überspielte diesen Gedanken zunächst durch verstärktes Engagement für genossenschaftliche Produktionsweisen. Als bezahlter Teilzeitsekretär der British Association for the Promotion of Co−operative Knowledge (BAPCK) hatte Lovett ab 1829 finanzielle und andere Aktivitäten von mehr als 200 Töchterorganisationen zu koordinieren. Er drängte vergeblich auf eine Verbindung von ökonomischen und politischen Zielsetzungen, wie der Ausweitung der Wählerschaft, Bildung für die Armen und gebührenfreie Presse. Er überwarf sich deshalb mit der BAPCK, warf ihr einen „’storekeeping’ view of public issues“96 vor.

Lovetts Angriffslust auf das bestehende System erschöpfte sich nicht im Verbalen. Neben Aktivitäten für die gebührenfreie Presse (war of the unstamped) zettelte er 1830 eine Protestbewegung gegen die zwangsweise Verpflichtung zur Miliz an. Er und andere Radikale schrieben auf die Erfassungslisten für die jährliche Auslosung zum Milizdienst no vote – no musket.97 Sie lehnten es ab, sich einziehen zu lassen, da sie keinen Einfluss auf das zugrundeliegende Gesetz gehabt hätten. 1831 wurde Lovett prompt ausgelost, weigerte sich und verweigerte auch die gesetzlich vorgeschriebenen 15 £ Ausgleichszahlung. Sein gesamtes Mobiliar im Wert von 30 £ wurde zur Versteigerung beschlagnahmt. Der Vorgang wurde in der Öffentlichkeit heiß diskutiert, Lovetts Mobiliar ließ sich daher nur schwer verkaufen. Seine Petition zur Abschaffung des militia balloting und die gesamte öffentliche Aufregung führten schließlich dazu, dass das Verfahren im Unterhaus ausgesetzt und nie wieder durchgeführt wurde.98 Lovetts persönliche Opferbereitschaft war aber noch nicht voll entwickelt, denn diese Ungerechtigkeit hat ihn doch sehr hart getroffen.99

4.2.2 Owens Anstoß für eine Einheitsgewerkschaft

Nach der Wiederzulassung der Gewerkschaften im Jahre 1824 durch die Rücknahme der Combination Laws und dem folgenden Gründungsboom entwickelte sich das Gewerkschaftswesen übergreifend in größerem Maßstab.100 Lokale Gewerkschaften waren immer wieder gescheitert. Die Grundhaltung war apolitisch, man verfolgte nur − bezogen auf die eigene Berufsgruppe − Themen wie Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das System der Gesellschaft stand nicht im Fokus. Die aus Sicht der Arbeiterschaft misslungene Wahlrechtsreform von 1832 änderte das, Gewerkschaften bezogen Position und wurden antiparlamentarisch.101 Sie sollten erreichen, was man zuvor über die Gesetzgebung hatte erreichen wollen. Owen warb zeitgleich um die trade unions, ihn bei der Umwälzung der Gesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus zu unterstützen. So wurde das Gewerkschaftswesen antiparlamentarisch und sozialrevolutionär. Owens Gedanken trafen auch auf Verständnis bei großen Gewerkschaften wie den Bauhandwerkern (60000 Mitglieder), die sich erstmalig nicht mehr in einzelnen Berufsgruppen sondern in einer übergreifenden Gewerkschaft organisierten. Sie wollten die sich zwischen sie und die Auftraggeber schiebenden Generalauftragsnehmer nicht akzeptieren. Örtlich agierten sie zunächst erfolgreich. Owen forderte im Oktober 1833 auf einem Kongress der Kooperativen eine „nationale Gilde der Bauhandwerker, die mit demokratisch geleiteten Produktivgenossenschaften die kapitalistischen [General−] Auftragsnehmer ablösen und die Bauindustrie des ganzen Landes übernehmen sollten“102. Die folgende Gründung einer Grand National Consolidated Trades Union (GNCTU) begeisterte landesweit die Gewerkschaften, deren Aufschwung sich noch verstärkte. Im November 1833 hatten sich bereits 800000 Arbeiter103 organisiert. Lovett trat auch der GNCTU bei, er sah in ihr einen ersten Schritt zur Unabhängigkeit der Arbeiterklassen. Arbeitskämpfe104 großen Ausmaßes entbrannten, ein Generalstreik wurde geplant. Aber das Modell Owens beruhte auf Ausgleich zwischen den Klassen, das widersprach der grundsätzlichen gewerkschaftlichen Idee des Kampfes vor allem um Interessen der Arbeiterklasse mit den Unternehmern. Owen entglitt die geistige Kontrolle über die GNCTU. Brutale Aussperrungspolitik der Unternehmer und das aufsehenerregende Toldpuddle−Urteil (Verurteilung von 6 Arbeitern zu je 6 Jahren Deportation wegen gewerkschaftlichen Eintrittseids) verbunden mit mangelhafter Organisation und nicht ausreichenden Mitteln zu genügend langer Unterstützung von Streikenden zwangen die Arbeiter letztendlich 1834 in die Knie. Owen wandelte schließlich die GNCTU in einen sozialistischen Missionierungsverein105 um, der Streik− und Gewaltmaßnahmen ablehnte, die Arbeiterschaft nicht mehr erreichte und sich nach einem Jahr auflöste. Seine Anhänger der Mittelklasse schreckte Owen durch zunehmend antireligiöse Parolen ab.

Die Arbeiterschaft begeisterte sich nach 1834 (noch) nicht nachhaltig für die Gewerkschaften. Lovett konzentrierte sich auf politische Agitation und Bildungsanstrengungen.106 Er hat sich aber in Zeiten besonderen äußeren Drucks auf alles Gewerkschaftliche, wie 1837/8 als die Wiedereinführung der Combination Laws drohte, stark für sie eingesetzt. Er war auch in ihrer Denkweise bewandert und argumentierte sehr kompetent.107

Zusammenfassung (Kap. 4.2): Lovett suchte nach Wegen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter, versuchte auf unterschiedliche Weise, Veränderungen zu erreichen. Owens Ideologie, das Streben des Individuums nach Besserung der eigenen Lebensumstände zu unterstützen, entsprach genau seiner persönlichen Einstellung und Erfahrung. So glaubte er, anfänglich sein Heil in den Lehren Owens, dessen Plädoyer für Gewaltfreiheit und der Schwerpunksetzung in Bildung und Erziehung, aber auch in kompromissloser Ideologie finden zu können. Die Arbeiterschaft folgte jedem, der in verständlicher und einfacher Weise Besserung der Lebensumstände versprach. Das predigte Owen landesweit mit Erfolg. Owens Sozialismus und sein Vorgehen erschienen Lovett jedoch final als Utopie und auch unprofessionell und autoritär.108 In letzter Konsequenz akzeptierte er das neue industrielle System, er war mehr beeindruckt als abgeschreckt von den materiellen Ergebnissen der neuen Zeit. Er hatte verglichen mit Zeitgenossen in den Fabrikregionen selbst nur wenig Leid und Elend gesehen oder erlebt. Aber wie viele andere erfuhr er schmerzhaft, dass Gesetze ungerecht, nicht für seinesgleichen gemacht waren und Auflehnung dagegen hart sanktioniert wurde. Die Entwicklungen bei Lovett und der Arbeiterschaft ähneln sich.

4.3 The Great Reform Bill: Arbeiterklasse und Mittelklasse gemeinsam für politische Beteiligung – Opposition der Londoner Arbeiterintelligenz

In den nach E.P. THOMPSON vergleichsweise ruhigen 1820er Jahren nach Peterloo agierten unterschiedliche radikale Strömungen und Bewegungen in der Arbeiterschaft, die − unterstützt durch die Arbeiterpresse − im Wunsch nach gerechterer Repräsentation im Parlament gipfelten. Man konnte bis dahin das Unterhaus nur schwer als demokratisch gewählte Körperschaft bezeichnen, es war auch nicht repräsentativ – es repräsentierte nur die besitzende Klasse im Land.109 Die Sitzverteilung stand in keinem Zusammenhang mit der Bevölkerungszahl oder den Wahlberechtigten. Die Masse der Abstimmungen in den Wahlkreisen (boroughs) waren „pure farce“110, von korrupten Gruppierungen oder Grundbesitzern gesteuert. Neuere Städte wie Birmingham oder Manchester waren überhaupt nicht repräsentiert. Es gab sog. rotten boroughs, die trotz Schrumpfens oder fast völligem Verschwinden der Wählerschaft unverändert zwei Unterhausmitglieder stellten und solche, die als Eigentum betrachtet wurden, das gehandelt werden konnte. In Zeitungen war nach COLE die Anzeige borough for sale111 üblich. Die industrielle Revolution mit ihren Bevölkerungs−112 und Besitzverschiebungen hatte das seit Jahrhunderten unveränderte System der Repräsentation noch unrealistischer werden lassen. Es litt unter Bestechung und Korruption. Wähler verkauften ihre Stimmen. Wer ins Parlament wollte, musste dafür Geld in die Hand nehmen. Die herrschenden Klassen verteidigten dies System beharrlich, da es ihnen die erforderliche Macht sicherte. So hatte das Oberhaus 1780 eine Eingabe zum Wahlrecht für „every man not contaminated by crime nor incapacitated for want of reason“113 abgelehnt, ein Komitee von Wählern aus Westminster empfahl dem Unterhaus schon 1783 vergeblich als „only reform that could be effectful or permanent“114, was einmal die Grundforderungen der People’s Charter werden sollten, und eine Petition für das Allgemeine Wahlrecht im Jahre 1819 hatte schon 1 Mio. Unterschriften.115 Die lauteste Kritik kam von den Grundbesitzern, die den Einfluss der counties steigern wollten. Aber die working classes hatten die offensichtlichsten Gründe, sich nicht im Parlament vertreten zu fühlen. Die Mittelklassen kritisierten Korruption, ungerechte Steuern und Abgaben sowie Fehlleistungen der Regierung. Peterloo hatte die Forderungen der Arbeiterklassen auf das Recht auf politische Organisation, Presse− und Versammlungsfreiheit und das Wahlrecht nicht verschwinden lassen. Die Arbeiterpresse (allen voran William Cobbett und sein Weekly Political Register) prangerte Missstände an und reklamierte öffentlich Auswege wie das allgemeine Wahlrecht für Männer.116 Im Parlament wurden ab 1830 Reformvorlagen eingebracht (und abgelehnt), die das Wahlrecht für Hausbesitzer und Mieter forderten. In der Arbeiterschaft herrschten zu diesem Thema drei Denkrichtungen vor: (1) die Anhänger Owens, die nicht politisch agieren wollten, (2) die Radikalen, die das allgemeine (Männer−)Wahlrecht als notwendige Voraussetzung aller sozialen Verbesserungen ansahen (wie z.B. Lovett) und (3) die Radikalen, die den Entwurf so wie er war − mit soviel Erweiterungen wie durchsetzbar − akzeptierten und als Einstieg in weitere Verbesserungen sahen, wie Francis Place (1771−1854), ein Altradikaler und gelernter Handwerker (leather breeches−maker), der sich als erfolgreicher Inhaber eines Schneiderladens in London in die Mittelklasse hochgearbeitet hatte.117

Die Mittelklasse machte auf sich aufmerksam, indem sie landesweit in Industriestädten wie Birmingham. Manchester, Leeds u.a. und in London politische Vereine (political unions) gründete, deren Zweck die Ausweitung des Wahlrechts und städtischer Interessenvertretung war.118 Auch wenn nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die von Thomas Attwood gegründete erste political union, die Birmingham Political Union (BPU) „a General Political Union between the Lower and the Middle Classes“119 tatsächlich Mittelklasse− und Arbeiterschaft vertreten wollte120, so entwickelte sich aus den landesweit aus dem Boden schießenden political unions doch eine Allianz zwischen Mittel− und Arbeiterklassen. Ausnahme war dabei die Londoner „ultra−radical“121 National Union of the Working Classes (NUWC), der Lovett sofort beigetreten war, die sich ausdrücklich von der Mittelklasse distanzierte, weswegen Place erklärte, „that many of the leaders ‚were perfectly atrocious’“122. Die NUWC forderte Wahlrecht für erwachsene Männer, geheime Wahlen, Abschaffung des Einkommenszensus für Parlamentsmitglieder und Einjahresparlamente − vier der späteren six points der People’s Charter. Place gründete eine National Political Union (NPU), die sich mit der bestehenden Wahlrechtsvorlage zufrieden gab und griff Lovett an, der den workingmen in der NPU vorwarf, sich zum Werkzeug der Mittelklasse zu machen.123

Lovett war 1829 der Radical Reform Association (RRA) Hunts beigetreten. Die Mitglieder trafen sich in der Rotunda, Blackfriars Road. Sie folgten dem traditionellen Radikalismus Thomas Paines, Carliles und Cobbetts, lehnten Aristokratie, Monopole, Steuern und Korruption ab und standen für die o.a. vier Grundforderungen der NUWC.124 Lovett kam so erstmalig in Kontakt mit radikalen Parlamentariern. Das mäßigte ihn nicht, er blieb aktives Mitglied der RRA. Nach WIENER war er gegen Kompromisse und „rejected petitioning as a device to redress grievances“125, was aber nicht ganz zutrifft. Lovett machte für die RRA, die auch als Association of Friends of Radical Reform firmierte, am 09.12.1830 eine – von ihm nicht erwähnte − Eingabe zur Reform des Parlaments (von MP O’Connel eingebracht):

A Petition of W. Lovett, Chairman of a Meeting of the Association of Friends of Radical Reform. Assembled at the Rotunda, Blackfriars−road, 29th November 1830 [...] were (sic!) presented and read; praying for a full, fair and free Representation of the whole People in the Commons House of Parliament.126 The Petioners wished that Rotten Borughs should be entirely done away and he [O’Connel] contended that no reform would be completed which left one rotten borough in the country, and which did not introduce ballot.127

Lovett blieb der RRA−Linie auch treu als er (zusammen mit Hetherington) vorübergehend der Londoner Metropolitan Political Union (MPU) Hunts beitrat. In seiner Autobiographie erwähnt Lovett die RRA nicht namentlich, spricht nur von den für die Londoner Bürger bedrohlich wirkenden „Rotunda Radicals“128. Nachdem die RRA die Juli−Revolution in Frankreich mit Trikolore und Jacobinermütze gefeiert hatte, verspottet LOVETT die MPU−Mitglieder, wenn er schreibt, dass „[it was thought of to] savour of sedition [by] an oppressed and tax−ridden people [...] when they hear of despots being hurled from their pinnacle of power“129. Lovett steht hier beispielhaft für die kämpferische Aktivität der Londoner Arbeiterintelligenz, die in Opposition stand zu political unions wie der BPU (und er sollte mit seiner Einschätzung hinsichtlich der Instrumentalisierung der Arbeiterklassen Recht behalten).130 Eine solche kämpferische Aktivität war der von der NUWC 1832 veranstaltete sog. Farce Day. Gegen einen von der Regierung ausgerufenen Fastentag zu Besinnung und Gebet gegen die Last der Cholera im Land sollte protestiert werden, da die Menschen im Vereinigten Königreich nicht wegen Cholera Hunger litten, und die Cholera eine Folge ihrer elenden Lebensumstände sei.131 Lovett und seine Freunde wollten tagsüber Nahrung an Arbeitslose und Hungernde verteilen und abends dann bei Banketten mit Musik die Heuchelei der Regierung öffentlich anprangern.132 Tausende nahmen teil, marschierten friedlich durch London. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Lovett, Watson und William Benbow wurden verhaftet und wegen Anstiftung zur Gewalt vor Gericht gestellt. Lovett, der tatsächlich nicht an Tätlichkeiten beteiligt war, verteidigte sich wortgewandt und angriffslustig gegen seines Erachtens heuchlerische und ungerechte Gesetze. Alle wurden letztlich freigesprochen, da der Richter unabhängig urteilte und die Jury Zeugen glaubte, die von Befehlen von Polizeiführern zum Ersteinsatz von Gewalt berichteten.

Die political unions schafften es, der Unzufriedenheit der Arbeiter in den Städten des Landes gegen den gemeinsamen politischen Gegner von Mittel− und Arbeiterklasse im Unterhaus eine Stimme zu geben. Sie erweckten Hoffnungen, mit der Parlamentsreform die Lage der Arbeiter zu verbessern und ihren Familien Brot zu bringen.133 In Städten wie Nottingham, Derby und Bristol (Bristol riots) kam es 1831 zu schweren Unruhen nach Ablehnung der zweiten Reform Bill . Die Angst vor Revolten der Arbeiter wurde geschickt von den Führern der political unions als Druckmittel eingesetzt bis die Great Reform Bill 1832 im dritten Anlauf Gesetz wurde. Sie veränderte das „Repräsentativ− und Wahlsystems einschneidend [...], aber die gesellschaftliche Machtverteilung [blieb] im wesentlichen unangetastet“134. Zum einen wurden die boroughs neu verteilt, das Gewicht des städtisch−bürgerlichen Elements der Mittelklasse nahm zu, aber insgesamt wurden die bisherigen ländlichen Führungsschichten noch stärker. In England und Wales stieg die Zahl der Wahlberechtigten von 216000 um 440000 auf 656000 (18,4% der Männer). Stimmberechtigt waren nur Besitzer oder Mieter eines Anwesens, das mit mehr als 10 £ jährlich besteuert wurde. In einigen boroughs hatten die Unterschichten bis dato Wahlrecht, das sie jetzt verloren. Dieser Verrat, wie er allgemein bezeichnet wurde, verärgerte und desillusionierte die Arbeiterschaft, die in den political unions die Ziele der Mittelklasse aktiv unterstützt und wesentlich zum Erfolg beigetragen hatte.135 Man hatte sich in der Anfangsphase die Zielsetzungen des jeweiligen Partners zu wenig angesehen, und so konnten Arbeiterschaft und Mittelklasse gemeinsam nach Reformen rufen, ohne allzu genau definiert zu haben, was sie darunter verstanden. Lovetts Haltung gegenüber Place und der NPU war die, dass, wenn man die Unterstützung der arbeitenden Klassen seitens der Mittelklasse wolle, dann in die Vorlage an das Parlament auch ein Zusatz müsse, der den Angehörigen der Klasse dieses Wahlrecht gebe.136 Die NUWC plante dazu eine Großveranstaltung der arbeitenden Klassen des Landes, deren plakatierte Ankündigungen zu großen Befürchtungen der Öffentlichkeit führte. Die Presse schürte die Angst vor bewaffneten Unruhen wie in Bristol. Die Regierung sah in der Versammlung eine Verabredung zu Umsturz und Aufruhr, vereidigte Hilfspolizisten in großer Zahl und beorderte Militär. Lovett und einige andere Mitglieder der NUWC erreichten einen (im Ergebnis erfolglosen) Termin mit Premierminister (PM) Lord Melbourne, um die friedlichen Ziele der Veranstaltung zu erläutern und sich selbst als Hilfspolizisten anzubieten. LOVETT schildert anschaulich, wie sich der PM − unter dem Schutz eines Polizeiaufgebots mit gezogenen Schlagstöcken im Nebenraum − hinter einer Reihe von Stühlen verbarrikadiert hatte.137 Das zeigt die Nervosität der Herrschenden aber auch wie entschlossen Lovett und die NUWC aufgetreten sein müssen. Wie extrem Lovett sich damals gab, zeigt Places Einschätzung aus dem Jahre 1831:

Lovett was a journeyman cabinet maker, a man of a melancholy temperament, soured with the perplexities of the world, he was however an honest hearted man, possessed of great courage and persevering in his conduct, in his usual demeanour he was mild and kind, and entertained kindly feelings towards every one whom he did not sincerely believe was the intentional enemy of the working people, but when either by circumstances or his own morbid associations he felt the sense he was apt to indulge of the evils and wrongs of mankind he was vehement in the extreme. He was half an owenite half an Hodgskinite a thorough believer [sic] that accumulation of property in the hands of individuals was the cause of all the evils which existed.138

Ein Jahr später bescheinigt Place Lovett aber bereits Fortschritte:

He however has to some extent relinquished his opinions and will probably as he becomes a better political economist become altogether a reasonable and valuable member of society.139

Die beiden begannen sich auch persönlich wieder anzunähern.

Zusammenfassung (Kap. 4.3): Die Enttäuschung über die Ergebnisse der Great Reform Bill, die seine Oppositionshaltung bestätigten, machte Lovett zeitweise strikt ablehnend in seiner Haltung zur Mittelklasse und revolutionärer in seinen Ansichten. Das stimmt mit der Einstellung großer Teile der Arbeiterschaft überein.

4.4 Der Chartismus – der zweite Versuch der Arbeiterschaft, politische Beteiligung zu erreichen

Nach der aus Sicht der Arbeiterschaft gescheiterten Wahlrechtsreform von 1832 herrschte allgemein große Enttäuschung. Verzweiflung kam hinzu, als die erste große Maßnahme des reformierten Parlaments − die Neuregelung der Armenunterstützung (new poor law) − ab 1834 die staatliche Hilfe für in Not Geratene deutlich verschlechterte. Man suchte sein Heil im chiliastischen Owenismus und in den Gewerkschaften. Dieser Versuch, der in der GNCTU gipfelte, verlief ebenfalls erfolglos. Es bedurfte eines Ansatzes der Londoner Arbeiterintelligenz mit der klaren Zielsetzung einer unabhängigen Politik der Arbeiterschaft (d.h. keine Abhängigkeit von der Mittelklasse), grundsätzlich sozial orientierten Zielen und gemäßigter, gewaltfreier Strategie, um in die Arbeiterschaft Bewegung zu bringen.140

4.4.1 Entstehung – anfängliche Dominanz der London Working Men’s Association (LWMA)

Die Niederlage des Jahres 1832 brachte die Aktivitäten der NUWC nicht zum Erliegen. Hetherington’s Poor Man’s Guardian fungierte als ihr Organ, und Lovett engagierte sich nach wie vor sehr in Hetheringtons Kampagne für gebührenfreie Presse, die von Mittelklasse− und Arbeitervertretern gleichermaßen unterstützt wurde. Hier fanden sich Gleichgesinnte wie Place141, Lovett, Hetherington und sein Mitarbeiter John Cleave sowie Watson, die den Nukleus einer neuen Bewegung der Arbeiterschaft bilden sollten.142

4.4.1.1 Gründung der LWMA und Entwurf der People’s Charter

Über die Gründung der LWMA im Sommer 1836 existieren Darstellungen von Lovett und Place, die sich in der Rolle des Dr. J.R. Black unterscheiden, der einen Verein initiiert hatte namens Association of Working Men (and others) to Procure a Cheap and Honest Press (AWMCHP), den Vorläufer der LWMA.143 Nach Place gab Black den entscheidenden Anstoß zur Gründung der LWMA. Lovett unterschlägt dies bzw. sieht den Anstoß – richtigerweise − bei sich, er kam lt. späterem Protokoll schon mit einem ausgearbeiteten Gründungsentwurf zum ersten Treffen.144 Man kann ungeachtet der Ziele und gewählten Vorgehensweise von Vorbehalten Lovetts und seiner Kollegen gegenüber der Mittelklasse und ihren politischen Vertretern ausgehen. Der Verrat an der Arbeiterklasse von 1832 war noch nicht überwunden. Da er dies Verhalten ja vorausgesehen hatte, traf es Lovett besonders schwer. Dennoch hatten die Jahre nach 1832, als er mit Begeisterung ein kooperatives Kaffeehaus und Diskussionszentrum mit Lesesaal und Bibliothek führte, eine gewisse Wandlung bei ihm bewirkt. Er sah in der Bildung die zentrale Rolle zum Erreichen politischen und sozialen Wandels, nicht mehr in der owenistischen Heilslehre, und er schloss Zusammenarbeit mit Mittelklasse−Reformern wie Place und Black nicht mehr von vorneherein aus.145

Ein späterer Briefwechsel (1837) zwischen Pace und Lovett zeigt die Antriebe Lovetts in diesem Lebensabschnitt, in dem er für Place melancholisch wirkte.

Place schrieb in einem aufmunternden Brief an Lovett:

What, then, is the real difference between us ? This – you look on the dark side of the picture, I on the bright one. Your anticipations of the future are gloomy, mine are revers. You lament the past, and suffer the recollections it produces to distress you. I take the past and comparing it with the present see an immense change for the better. [...] The process will be slow, very slow, and probably one of fluctuation, but ever advancing.[...] I resolved, that nothing I saw, nothing I read, nothing I heard should make me unhappy. I should have added nothing I suffered – that I would be cheerful. I saw that to better the conditions of others to any considerable extent was a long uphill piece of work, that my best efforts would produce very little effect. But I saw very distinctly that I could do nothing better, nothing indeed half so good.146

Lovetts Antwort lautete:

[.. .] you know, sir, that our feelings depend on our internal structure, influenced by the external world.[...] Perhaps the scenes I have had to encounter in my journey may have increased my sympathies for my fellow−men; and while I believe with you that this is the best world of which I have any hope, [...] I cannot help lamenting that the wise and intelligent few do not carry their views of reformation beyond making comfortable slaves of the many to pamper and support the few.147

Lovetts Pessimus gründete sich aus seinen Erfahrungen148, und der Antrieb für sein politisches Engagement war u.a. die tiefe Unzufriedenheit mit der Untätigkeit derer, die es eigentlich besser wissen müssten. Das spiegelte sich auch in den Zielen des neuen Vereins, der LWMA:

to draw into one bond of unity the intelligent and influential portion of the working classes in town and country. To seek by every legal means to place all classes of society in possession of the equal political and social rights.149

Besonders wurde in Fortsetzung des Vorläufers der LWMA eine „’cheap and honest press’ and ‚the education of the rising generation’“150 gefordert. Über die öffentliche Meinung sollte auf gemäßigtem Wege eine graduelle Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen erreicht werden. Die Auswahl der Mitglieder der LWMA sollte streng auf Angehörige der Arbeiterklasse beschränkt sein, um sicherzustellen, dass klassenbedingte Interessenunterschiede von Mitgliedern die Arbeit am großen Ziel nicht behinderten. Aber man ließ Ehrenmitglieder der Mittelklasse zu. So kamen einige radikale MPs in die LWMA. Diverse Radikale wie u.a. Place, James O’Brien, Black, Owen, Dr.Wade und O’Connor (irischer Grundbesitzer, Esq.) wurden aufgenommen. Der Monatsbeitrag von 1s schränkte Beitrittswillige auf besser verdienende Arbeiter ein. Die Auswahl war strikt, und die tatsächliche Mitgliederzahl lag wahrscheinlich nie über 200.151

Zuerst analysierte man die Interessen der Arbeiterschaft berührende Fragen.152 So entstand ein kritischer Bericht über das Unterhaus (The Rotten House of Commons) , der die fehlende Repräsentation des Volkes auch noch nach der Wahlrechtsreform von 1832 geißelte, und ein anderer zur Lage der Seidenweber (in Spitalfields). Lovett verfasste eine Adresse an die belgische Arbeiterschaft und setzte so ein erstes internationales Signal der britischen Arbeiterschaft. Place initiierte im Januar 1837 eine sonntägliche Diskussionsrunde. Insgesamt wuchs die Mitgliederzahl, so trat auch Henry Vincent bei – ein gefürchteter Redner – er wurde schnell in den Vorstand gewählt. Im Sommer 1837 waren es etwa einhundert Mitglieder. Der mit der LWMA rivalisierende Universal Suffrage Club hatte u.a. O’Brien und O’Connor, der 1835 seinen Parlamentssitz verloren hatte, gewonnen und startete eine parallele radikale Agitation in London und landesweit mit bemerkenswertem Erfolg. Dieser Verein hatte Mitglieder (wie George Julian Harney), die revolutionären Ideen nachhingen. O’Connor gründete daneben noch die Marylbone Radical Association und trat auch der Central National Association bei, einem Sammelbecken der Ultra−Radikalen des Landes. Den Streit um die Vorherrschaft in London gewann aber (zunächst) die LWMA. Harney und seine Freunde wurden nach einigen Schwierigkeiten sogar Mitglieder der LWMA, bis sie im Streit um Etiketten−Fragen wieder ausschieden und mit der London Democratic Association (LDA) einen der LWMA feindlich gesinnten Verein gründeten, dessen Anhänger extrem gewalttätig agitierten.

Die LWMA überzog das Land mittlerweile mit Werbern (missionaries) wie z.B. Vincent und Cleave, und innerhalb weniger Monate hatte sie mehr als einhundert Tochtervereine.153 Sie verfasste Broschüren zu anstehenden Wahlen in Großbritannien und Irland, auch als Antwort auf eine Adresse der BPU zur erneuten Parlamentsreform. Im Februar 1837 wurde im Londoner Stadtteil Palace Yard beim ersten öffentlichen Auftritt der LWMA eine Petition an das Unterhaus verfasst, die große Aufregung erzeugte. Sie war die Basis der künftigen People’s Charter und enthielt jene sechs Grundforderungen (six points), die schon im 18. Jahrhundert entstanden waren (s. Anm. 114). Petitionen waren eine tradierte und weithin geübte Form politischer Betätigung.154 Eine kleine Gruppe radikaler MPs wurde durch Place aufmerksam (darunter die MPs Joseph Hume und John Arthur Roebuck) und ermutigte die LWMA zu mehr Öffentlichkeit. Nach Diskussionen wollte Roebuck im Frühjahr 1838 die endgültig ausgearbeitete Petition im Parlament einbringen, die anderen MPs sagten Unterstützung zu. Von diesem Zeitpunkt an zeichnete sich ab, dass die LMWA die Meinungsführerschaft der Arbeiterklassen übernehmen wollte. Die Absicht war ähnlicher Druck auf das Unterhaus wie der, der 1832 zur Annahme der Wahlrechtsreform geführt hatte. Ein Ausschuss von 12 Mitgliedern der LWMA, darunter Lovett und die 6 MPs, sollte die neue Petition ausarbeiten. Lovett wurde schließlich gedrängt, die Petition selbst zu verfassen. Er tat dies neben seinem Broterwerb.155 Roebuck las den Entwurf und riet, Place zu beteiligen. Dieser empfahl kleine Verbesserungen, Roebuck schrieb eine Präambel.156 GOODWAY bemerkt: „it was Place who provided the drafting expertise“, meint damit aber vermutlich eher formale Aspekte des Entwurfs einer Parlamentseingabe.157 WALLAS, der Place−Biograph, sieht die Urheberschaft zweifelsfrei bei diesem.158 ROWE und PROTHERO vertreten unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Urheberschaft der People’s Charter bei Lovett oder Place zu sehen sei.159 ROWE sieht bei der Arbeiterschaft noch nicht genügend entwickeltes Klassenbewusstsein „to formulate its own ideas and programme“160, spricht Place und damit der Mittelklasse die programmatische Initiative zu, wie es Place auch selbst darstelle. Er führt aber im Gegensatz zu seinen eigenen Ausführungen aus, dass Lovett die Ideen geliefert und Place die Formulierung übernommen habe. PROTHERO hebt u.a. darauf ab und ergänzt, dass für die Bewertung des Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft in den 1830er Jahren nicht nur Londoner Verhältnisse betrachtet werden dürften. Dass die inhaltliche Urheberschaft der People’s Charter nicht bei der Mittelklasse, sondern bei Lovett und der LWMA lag, war für die Zeitgenossen unstrittig. Die Antwort auf Leseranfragen z.B. im Northern Star, wer die People’s Charter verfasst habe, war stets: „A Committee of the London Working Men’s Association; at the head of whom was Mr. Lovett. We have repeatedly answered this question“161.

Nach Diskussion im Ausschuss der 12 wurde am 8. Mai 1838 die People’s Charter veröffentlicht (s. Anlg. 3), die „UNIVERSAL SUFFRAGE, NO PROPERTY QUALIFICATIONS, ANNUAL PARLIAMENTS, EQUAL REPRESENTATION, PAYMENT OF MEMBERS, AND VOTE BY BALLOT [Großschreibung i. Orig.]“162 (die six points) forderte. Die Annahme dieser Eingabe durch das Unterhaus hätte Großbritannien vermutlich auf einen Schlag in eine Demokratie verwandelt.163 Die BPU forderte zeitgleich in einer National Petition ähnliche ökonomische und politische Reformen. Man einigte sich auf die six points und ein gemeinsames Vorgehen.

[...]


1 TAWNEY in LOVETT(1920:v,vi).

2 Namen in Großbuchstaben bezeichnen im Folgenden Autoren/innen der Literaturliste, Namen in Normalschreibung bezeichnen Personen der Geschichte ; Z.B. LOVETT=Autor, Autobiograph, Lovett=Möbeltischler, Chartist u.a.; Erstnennung von geschichtlichen Personen im Text erfolgt mit dem Vornamen oder Initialen.

3 MANN(2001:9).

4 MOMMSEN(1998:369).

5 Vgl. RUDÈ(1967:87) und ROYLE(2000:88).

6 Vgl. BURNETT (1974:10−13).

7 TAWNEY in LOVETT(1920:v).

8 Vgl. zum ganzen Abschnitt NIEDHART (1996:41f).

9 Max Weber zit. nach SCHRÖDER(2006:40).

10 Ebda:47.

11 Vgl. zum ganzen Abschnitt ebda:42−44.

12 Vgl. zum ganzen Abschnitt de BUHR/REGENBRECHT (1983:26f).

13 Vgl. zum Lohnniveau und heutiger Kaufkraft CHASE(2007:403).

14 Vgl. MANN(2001:17).

15 Vgl. BURNETT(1969:267); dies entspricht in etwa den 7s 6d/Woche der Speenhamland Allowance (Gemeindeunterstützung), die abhängig von der Kinderzahl nach alten Poor Law von 1795 die Existenz einer Familie sichern sollte. Landarbeitern, die weniger Einkommen hatten, wurde die Differenz von der Gemeinde ausbezahlt. (Vgl. BLAUG(1963:151,161)).

16 Vgl. zum ganzen Abschnitt HOBSBAWM(1969:85−89).

17 Um 1800 lebten erst 20% der Bevölkerung in Städten mit mehr als 5000 Einwohnern, 80% in Dörfern und auf Bauernhöfen, 1851 waren 50% der Bevölkerung bereits städtisch (Vgl. BURNETT(1974:26)).

18 Vgl. dazu die Unterhausdebatte über den erschreckenden Alkoholmissbrauch von Männern, Frauen und Kindern, in der es heißt, dass „intemperance [of the labouring classes] like a mighty and destroying flood, is fast overhelming the land“ (HiH(03.06.1834 Vol. 24 col 90−126) http://hansard.millbanksystems.com/commons/1834/jun/03/drunkenness[28.04.2014]). In der Debatte wird u.a. auch auf die veränderte, trostlose Lebens− und Arbeitswelt als Ursache hingewiesen.

19 Vgl. dazu POLLARD (1979:45), der die Fabrikarbeiter noch um die Jahrhundertmitte als in einer kleinen Minderheit sieht.

20 Vgl. PROTHERO(1979:2).

21 Vgl. zum ganzen Abschnitt THOMPSON,E.P.(1987:476f).

22 BUTLER(1914:108).

23 THOMPSON,E.P.(1987:361); diese Befreiung begann mit der Factory Bill von 1831, die Kinderarbeitszeit auf 6,5 Std. beschränkte und 2−3 Std. Schulunterricht (kirchlich) verpflichtend einführte. Allg. Schulpflicht wurde erst 1870 in England Gesetz.

24 THOMPSON,F.M.L.(1988:136).

25 Vgl. zum ganzen Abschnitt GILLARD (2011).

26 THOMPSON,E.P.(1987:383).

27 Einem offiziellen Bericht zufolge gab es z.B. in Oldham und Umgebung 1842 bei 105000 Einwohnern nicht eine einzige Schule für arme Kinder (Vgl. HAMMOND(1949:64)).

28 Ebda.

29 LOVETT(1920:3f).

30 Vgl. VINCENT(1977:38,109,123,152,156), der u.a. die Schulzeit von Thomas Hardy, James Watson, Thomas Dunning, John James Bezer und vgl. CHASE(2007:87,152), der die Schulzeit von Thomas Powell und Samuel Holberry beschreibt; vgl. auch WIENER(1989:7), der Lovetts Schulausbildung für seinerzeit üblich einschätzt.

31 CHASE(2007:23).

32 Vgl. BURNETT(1974:297−304).

33 Vgl. CHASE(2007:230).

34 Vgl. GOODWAY(1978:227).

35 THOMPSON,F.M.L.(1988:131).

36 Vgl. zum ganzen Abschnitt LOVETT(1920; 8−33);vgl. auch HAMMOND(1922:3f).

37 billigstes Brot, ein Brot für 1d.

38 Vgl. THOMPSON, E.P.(1987:272).

39 Vgl. WIENER(1989:10f); dass Lovett nicht dem (i.a. gut verdienenden) ehrbaren Zweig angehörte, zeigt sein lebenslanger Kampf um seine Existenz, Ausweichversuche in andere Berufe und die Notwendigkeit, nebenher Geld zu verdienen. (Vgl. ebda:77).

40 Vgl. zum ganzen Abschnitt BURNETT(1974:23f).

41 Vgl. VINCENT(1977:123−146,156−174).

42 Ebda:174.

43 Vgl. WIENER(1989), in dessen Biographie Lovetts sich diese Etappen finden lassen.

44 Radikalismus steht im 19. Jh. u.a. für zunehmend unterschiedliche Tendenzen: unnachgiebige Positionen zur Regierung und Aristokratie, Kampf gegen die Korruption und allgemeine Unterstützung einer Parlamentsreform, mit z.T. gegensätzlichen sozialen und ökonomischen Vorstellungen (Vgl. THOMPSON,E.P. (1987:547)); vgl. auch die ausführliche Darstellung der Geschichte des Begriffs radical bei VALLANCE(2009:11−18).

45 Eine Charakterisierung des englischen Staates durch den britischen Historiker G.M.Trevelyan zit. nach SCHRÖDER(2006:47).

46 Vgl. zum Rest des Abschnitts ebda:48.

47 Vgl. BROWN(1982:28−30), Arbeiter drohten, die Häuser der Fabrikbesitzer und ihre Produkte zu verbrennen, wenn sie ihre Forderungen nicht erfüllten.

48 Vgl. THOMPSON,E.P.(1987:191), er spricht von „konterrevolutionärer Panik“ (ebda).

49 EB (2013).

50 Vgl. zum ganzen Abschnitt NIEDHART(1996:57−61).

51 THOMPSON,E.P.(1987:807).

52 Vgl. dazu THOMPSON,F.M.L.(1990,122−126), man beachte auch die Unterschiede zwischen der Literalität von Frauen und Männern.

53 HOWARD(2004:19).

54 CURRAN(2003:7).

55 Vgl. zum Abschnitt VESTER(1972:300).

56 Vgl. ASPINALL(1946:30 Anm. 1).

57 DISRAELI(1845:145).

58 Vgl. THOMPSON,E.P.(1987:370f).

59 Vgl. zum ganzen Abschnitt POLLARD(1979:34).

60 „arbeitende Klassen [hebt] die große Disparität hinsichtlich Status, Kenntnissen, Fertigkeiten und Arbeitsbedingungen [hervor]“ (THOMPSON,E.P (1987:208).

61 HOLTMANN(2000:302).

62 WEHLER(1979:20f).

63 THOMPSON,E.P.(1987:208).

64 Vgl. die ausführliche Diskussion bei BROWN(1982:70); vgl. dazu auch die zustimmende Rezension von LOVELL(1983) und die eher kritische von WEISSER(1983); siehe auch die Kritik in MUSSON(1972:20).

65 BROWN(2012,2013:618) und vgl. ebda:Fußnote 23.

66 Vgl. ebda:78−81.

67 Vgl. zum Rest des Abschnitts WALLAS(1918:393f) mit der Einschätzung von Place aus dem Jahre 1840.

68 Die Aufhebung wurde schon 1825 zum Nachteil der Gewerkschaften modifiziert, schon ein Streikaufruf konnte wieder illegal sein (Vgl. SMELSER(1967:324f)); Gewerkschaftler wurden u.a. verfolgt wegen Verstößen gegen das Herr−und Diener−Gesetz oder illegaler Eidesleistung (Vgl. MUSSON(1972:28)).

69 Vgl. zum ganzen Abschnitt HAMMOND(1922:5).

70 Wie auch Henry Hetherington, Vorkämpfer der gebührenfreien Presse und späterer Herausgeber des Poor Man’s Guardian.

71 Birbeck beschreibt in einer Festrede die „intelligente Wissensbegierde der ‚ungewaschenen Arbeiter’ [...], die kamen, hörten und verstanden“ BEER(1913:14f); Vgl. (ZARYCKYJ(2011:112)); Hodgskins Grundthese: „labour [is] the source of all wealth“ (ebda:113).

72 Vgl. CONWAY(1877).

73 Vgl. zum Abschnitt VINCENT(1977:110−112).

74 Vgl. zum Abschnitt VINCENT(1977:125).

75 Ebda:133, Fußnote 20.

76 Vgl. ebda:164−165,180−187.

77 Die Handweber werden als klassische Opfer der Technisierung angeführt, zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörten sie zu den bestbezahlten (30−35s/Woche und mehr) und unabhängigsten Handwerkern, bis 1840 sanken ihre Löhne auf 1d pro Stunde, etwa 6s/Woche (Vgl. BURNETT(1974:24,33)) also unter das Existenzminimum (sieh Anm. 15); vgl. auch die Tabellen bei COLE(1948:130−135).

78 CHASE(2007:230).

79 Vgl. zum ganzen Abschnitt VESTER(1972:193−195).

80 Ebda:193.

81 Ebda:195.

82 Vgl. BEER(1913:179); vgl. auch COLE/FILSON(1965:190).

83 Vgl. zum ganzen Abschnitt VESTER(1972:192).

84 Vgl. ebda:193−197.

85 Vgl. zum ganzen Abschnitt MUSSON(1972:18,30f).

86 Vgl. zum Abschnitt COLE(1948:78).

87 Vgl. PROTHERO(1979:251).

88 Vgl. BROWN(1982:87f).

89 Vgl. zum ganzen Abschnitt WIENER(1989:14−17).

90 Ebda:14.

91 Ebda.

92 Ebda, non−producers beuten die productive oder working classes aus.

93 Ebda.

94 Ebda:15.

95 Vgl. zum Abschnitt ebda:15−17.

96 Ebda:17.

97 Vgl. zum Abschnitt HAY(1907:357).

98 Vgl. HiH(15.02.1832 ,Vol 10 Col. 379−80 http://hansard.millbanksystems.com/commons/1832/feb/15/militia[29.06.2014]); vgl. LOVETT(1920:66−68); vgl. z.B. PMG(1.10.1831) und HT(10.10.1831).

99 „I had never been so forcibly struck with the injustice of the system as I was in this instance, probably because my Radical convictions had not become sufficiently matured“ LOVETT(1920:66).

100 Vgl. HOVELL(1963:46).

101 Vgl. zum Abschnitt BEER(1913:257f).

102 VESTER(1972:314).

103 Die Zahlen schwanken bis zu einer halben Million (Vgl. ebda:317); der Anteil gewerkschaftlich organisierter Arbeiter war bis zur vollständigen Legalisierung 1871 nie sehr hoch, lag bei unter 10% der Arbeiter und bei den eher gut verdienenden.

104 „Die Zentren der Industrie, der Gewerbe und des Handels verwandelten sich in Kriegsschauplätze“ (BEER(1913:261)).

105 Owen wollte die GNCTU sogar umbenennen in British & Foreign Consolidated Association of Industry, Humanity and Knowledge (Vgl. ZARYCKYJ(2011:252)).

106 Vgl. WIENER(1989:17).

107 Vgl. BM(31.03.1838).

108 In seiner Autobiografie führt LOVETT mehrere Beispiele für Scheitern von Kooperativen aufgrund fehlender Fachkenntnisse und Überschätzung von Owens Theorien sowie eine Beispiel für Robert Owens Undemokratismus auf (Vgl. ebda:46−51); Vgl. LARGE(1974:109f); HOLYOAKE beklagt, dass LOVETTs Ausführungen zum Owen teilweise falsch waren und er ihn vergeblich auf Widersprüche in seiner Autobiographie hingewiesen hat (HOLYOAKE(1906:555−557)).

109 Vgl. zum Abschnitt COLE(1948:63−67); es hatte immerhin von 1783−1830 7 abgelehnte innerparlamentarische Initiativen zu Reformen der Wahlkreise und Wählerrepräsentation gegeben (Vgl. EVANS(1983:376)).

110 COLE(1948:63).

111 Ebda; auch wenn d. Vf. eine solche Anzeige in BNCN und TIDA für das 19. Jh. nicht finden konnte, eine Vielzahl von Presseartikeln (Vgl. Ex(4.09.1825), Ex(4.12.1825), Ex(03.04.1831), Ex(10.04.1831, CM(31.03.1832), HP(16.03.1838) und eine Debatte im Oberhaus, in der von boroughmongery die Rede ist, weisen auf die Existenz des Phänomens hin (Vgl. HiH(28.3.1831, Vol. 3 col. 983−1085 http://hansard.millbanksystems.com/lords/1831/mar/28/ministerial−plan−or−parliamentary−reform[29.06.2014]).

112 Vgl. zur Entwicklung der Einwohnerzahl britischer Städte BEER(1913:236).

113 LINTON(1882:421).

114 Ebda:423.

115 Vgl. LINTON(1882:421).

116 Vgl. THOMPSON,E.P.(1987:863−860).

117 Vgl. HAMMOND(1922:7f).

118 Vgl. zum Abschnitt ROYLE(2000:71−73).

119 Ebda:71.

120 Im Gegensatz zu BEER(1913:237f) sieht ROYLE die political unions als zunächst reine Mittelklasse−Vereine oder (in London) als frei von Klassenzuordnung an (Vgl. ROYLE(2000:71f)).

121 GOODWAY(2004), der die NUWC als ultra−radikalen Nachfolger der RRA sieht.

122 BUTLER(1914:303); Place musste aber zugestehen, dass die NUWC durchaus Einfluss in den großen Industriestädten hatte (ebda) und dass sie seinen Planungen gefährlich werden könnten. Aus Sicht der Regierung ging zudem von der NUWC die größte Revolutionsgefahr aus (Vgl. ROYLE(2000:76f)).

123 Vgl. HAMMOND(1922:8f); Die NPU von Place wollte für Lovett die Arbeiterklassen zu „tools of their purposes“ machen (LARGE zitiert LOVETT nach der Times vom 1.11.1831 (LARGE(1974:118)).

124 Vgl. zum Abschnitt LARGE(1974:118).

125 WIENER(1989:20).

126 HoC(9.12.1830 Vol. 1 col. 895−90, http://gateway.proquest.com.ub−proxy.fernuni−hagen.de/openurl?url_ver=Z39.88−2004&res_dat=xri:hcpp&rft_dat=xri:hcpp:fulltext:jhc−017589:2[29.06.2014]).

127 HiH(09.12.1830 Vol.1 col. 895−901, http://hansard.millbanksystems.com/commons/1830/dec/09/parliamentary−reform [29.06.2014]).

128 „Rotunda Radicals and the London Thieves were classed together as especial objects of dread to all householders“ LOVETT(1920:73), „I continued to take part in the reform exertions of Mr. Hunt“ (ebda).

129 Ebda:57; nach dem Versammlungsort der Blackfriar Rotunda in London wurde diese Radikalengruppe auch Rotundanists genannt, was LOVETT allerdings erwähnt.

130 Vgl. BEER(1913:239).

131 Vgl. zum Abschnitt WIENER(1989:28−30) und LOVETT(1920:80−83); zur Cholera z.Zt. der industriellen Revolution vgl. auch WILSON(2003:34−36).

132 Vgl. LOVETT(1920:80−83) und ZARYCKYJ(2011:185f).

133 Vgl. zum Abschnitt RUDÉ(1979:40f).

134 SCHRÖDER(2006:55); vgl. auch HAMBURGER(1963:77), der die kühle und rationale Planung und Steuerung der Reformbewegung seitens der Mittelklassenführer (wie Place) hervorhebt. Die NUWC hatte sogar noch vergeblich versuchte, die Angst der Besitzenden zu zerstreuen, indem sie anlässlich der Bristol−riots öffentlich erklärte, dass „individual property of every description, acquired by honest industry or sanction of law (however unjustly enacted) was sacred“ (ZARYCKYJ(20011:155,158)).

135 Vgl. zum Rest des Abschnitts COLE(1948:68f); vgl. auch die Artikel im PMG (5.11.1831 und 14.4.1832), die die Stimmung der NUWC anschaulich wiedergeben.

136 Vgl. LOVETT(1920:76); er beklagt, welche schwerwiegenden Folgen diese Weigerung von Place hatte.

137 Vgl. ebda:77 und DM(9.11.1831).

138 ROWE(1970) http://www.british−history.ac.uk/report.aspx?compid=39485[29.06.2014].

139 ROWE(1970) http://www.british−history.ac.uk/report.aspx?compid=39492[29.06.2014].

140 Vgl. BEER(1913:270),

141 Place hatte persönlich unter der stamp duty gelitten, als er 1832 versuchte, ein penny−paper herauszugeben (Vgl. WALLAS(1918:337f)).

142 Vgl. GOODWAY(2004:21f).

143 Vgl. zum Abschnitt ROWE(1967:75), dass Black der Initiator war, belegt Place – nicht zwingend − damit, dss nahezu alle AWMCHP−Mitglieder auch in die LWMA eintraten; vgl. auch PROTHERO(1967:38).

144 Vgl. HOVELL(1963:59f); vgl. zur Gründungsgeschichte vor allem die detaillierte Darstellung bei ZARYCKYJ(2011:273−317), die Lovett die entscheidende Gründungsinitiative zuschreibt.

145 Vgl. GOODWAY(2004); wie sehr Lovett damals schon an die Macht der gebildeten/informierten Individuen glaubte, zeigt sein Leserbrief „What can one or two persons do?“ im Poor Man’s Guardian (Vgl. PMG(23.02.1833)); vgl. auch ZARYCKYJ(2011:293−298), der Lovetts Hinwendung zu konfliktfreier Agitation (also letztlich der moral force) beschreibt.

146 WALLAS(1918:362f).

147 Ebda:364f.

148 Z.B. der Besuch eines workhouses und die Zustände in Spitalfields im Jahre 1831 verfolgten Lovett sein Leben lang (vgl. LOVETT(1920:70−72) und ZARYCKYJ(2011:175)).

149 HOVELL(1963:60).

150 Ebda:60f.

151 Vgl. ebda:62; GOODWAY und CHASE geben 318 Mitglieder an (Vgl. GOODWAY(2004), CHASE(2013)).

152 Vgl. ZARYCKYJ(2011:329f) und zum Abschnitt HOVELL(1963:62−67).

153 Vgl. zum Abschnitt ebda:67−73; die Missionare berichteten von erstaunlich großem Interesse auch aus den Reihen der Mittelklasse (Vgl. ZARYCKYJ(2011:343)).

154 1838 bis 1843 wurden 94000 Petitionen im Unterhaus eingereicht (Vgl. PICKERING(2001:369)).

155 Vgl. (LOVETT:1920:168) und (GOODWAY(2004).

156 Die bemerkenswerte Präambel (Vgl. HOVELL:69) beschreibt sachlich und logisch das durch Nichtrepräsentation des ganzen Volkes bestehende Unrecht.

157 Ebda; Vermutlich liegt die Urheberschaft, überwiegend bei LOVETT (Vgl. BEER(1913:276f)); ZARYCKYJ weist darauf hin, dass Place keine überzeugenden Beweise für seine Urheberschaft vorlegen konnte oder solche je aufgetaucht seien (ZARYCKYJ(2011:367)).

158 „... a propsal was drafted in the year 1838 by Place himself, under the name of the ‚People’s Charter’ „(WALLAS(1918:359)).

159 vgl. zum Rest des Abschnitts ROWE(1967:81−85) und PROTHERO(1967:171−173).

160 ROWE(1967:85).

161 NS(18.5.1844); Die Inschrift auf Lovetts Grabstein lautet „Author of the People’s Charter“. (s. Anlg.9).

162 LOVETT(1920:Appendix C); Das Deckblatt der Druckversion weist die six points aus, im Inhalt fehlt „equal representation“ als explizite Forderung, sie ist aber aus der Präambel abzuleiten; das von Lovett vorgeschlagene Wahlrecht für Frauen ging der Mehrheit zu weit und war wieder gestrichen worden.

163 Engels hat einmal gesagt, die six points der charter wirkten so unschuldig, aber sie würden die ganze englische Verfassung untergraben, einschl. Königin und Oberhaus (zit. nach VALLANCE(2009:392)).

Fin de l'extrait de 100 pages

Résumé des informations

Titre
Das vergebliche Ringen um politische Teilhabe. Die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung (1820−1850) anhand William Lovett
Université
University of Hagen  (Historisches Institut)
Cours
Studiengang: Master Europäische Moderne
Note
1,8
Auteur
Année
2014
Pages
100
N° de catalogue
V285122
ISBN (ebook)
9783656850748
ISBN (Livre)
9783656850755
Taille d'un fichier
3578 KB
Langue
allemand
Mots clés
Chartismus, Britische Arbeiterbewegung, William Lovett
Citation du texte
Dipl.-Inform. Frank A. Hoffmann (Auteur), 2014, Das vergebliche Ringen um politische Teilhabe. Die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung (1820−1850) anhand William Lovett, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285122

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