Die Philosophie und speziell die Ethik oder Moralphilosophie haben die Aspekte des Alters und Alterns bislang kaum berücksichtigt. Zwar werden in der medizinischen Ethik wesentliche Themen aufgegriffen, die auch für das Alter relevant sind, doch inwieweit z. B. die ethischen Fragestellungen am Ende des Lebens in besonderer Weise altersbezogen konkretisiert werden müssen, ist bisher nur unbefriedigend beantwortet worden.
Der demographische Wandel und die damit zusammenhängenden gravierenden Veränderungen, die von den Sozialwissenschaften bereits aufgenommen wurden, fanden in der Philosophie kaum Beachtung. „Insbesondere zeigt sich immer wieder, dass die ethische Reflexion gerontologischer Themen eher schwach entwickelt ist.“ (Heinz Rüegger, 11) Allerdings analysieren verschiedene Autoren den demographischen Wandel und den scheinbar damit verbundenen „Jugendwahn“ völlig unterschiedlich. Während Frank Schirrmacher (Schirrmacher, 2004) einen sozialen Terror der Altersangst diagnostiziert, kommt Rupprecht Podszun (Podszun, 2000) zu dem Schluss, dass der Jugendkult ein Märchen ist und die Republik verkalkt.
Frühere Abhandlungen (so z. B. Handbuch der Christlichen Ethik 1993) subsumieren die Fragen zum Altern meist unter die Fragen zum Lebensende. Diese einseitige Fokussierung auf Fragen um Sterben und Tod stellt aus heutiger Sicht eine ethisch äußerst fragwürdige Vereinfachung dar.
Auch scheint es, noch keine begriffliche Festlegung zu geben. Während in einigen Texten von der Ethik des Alters oder Alterns die Rede ist, werden auch Wortkombinationen wie Alter und Ethik oder Gerontologie und Ethik benutzt. Ferner werden Alter und Altern getrennt voneinander und nicht aufeinander bezogen behandelt.
Otfried Höffe hat 2002 beide Aspekte mit dem Begriff der gerontologischen Ethik zusammengefasst. Auch wenn sich viele Autoren auf diesen Text beziehen, hat sich der Begriff der gerontologischen Ethik scheinbar noch nicht durchgesetzt.
Ein möglicher Grund für dieses vorhandene Defizit könnte sein, dass eine gerontologische Ethik mehr ein Thema innerhalb der Pflegewissenschaften als der Medizin ist. Da jedoch die Pflegewissenschaften, zumindest im deutschsprachigen Raum, eher als Stiefkinder in der akademischen Familie angesehen wurden, blieb die Entwicklung einer gerontologischen Ethik eine Nischendiskussion.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die ethischen Fragestellungen
- 2.1. Die ethischen Fragestellungen in den Pflegewissenschaften
- 2.2. Die ethischen Fragestellungen in der Medizin
- 2.3. Die ethischen Fragestellungen einer gerontologischen Ethik
- 3. Die Auffassungen vom Alter
- 4. Philosophische Ethik der späten Lebenszeit (Thomas Rentsch)
- 5. Altern und Lebensaufgaben nach Romano Guardini
- 6. Eine Neubestimmung der gerontologischen Ethik
- 6.1. Verschärfung ethischer Fragestellungen
- 6.2. Folgerungen aus sozialwissenschaftlichen und gerontologischen Forschungen
- 6.3. Verschränkung von Alter und Altern
- 7. Konkretisierung auf bestimmte Problembereiche
- 8. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text befasst sich mit der ethischen Dimension des Alters und Alterns und strebt eine Neubestimmung der gerontologischen Ethik an. Dabei wird das Defizit der bisherigen ethischen Reflexionen über das Alter aufgezeigt und die Notwendigkeit einer spezifischen gerontologischen Ethik betont.
- Die ethischen Fragestellungen in den Pflegewissenschaften und der Medizin im Kontext des Alterns
- Die verschiedenen Auffassungen vom Alter und Altern
- Die Entwicklung einer gerontologischen Ethik im Spannungsfeld von kategorischer und eudämonistischer Ethik
- Die Gerechtigkeitsfrage zwischen den Generationen im Kontext von Ressourcenknappheit und Multimorbidität
- Die Bedeutung des generationenübergreifenden Austauschs und der Vermeidung einer Unterforderung der älteren Generation
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung: Der Text stellt das Defizit der bisherigen philosophischen und ethischen Reflexionen zum Thema Alter und Altern heraus. Der demographische Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen finden in der Philosophie kaum Beachtung, und auch in der medizinischen Ethik werden altersbezogene Fragen nur unzureichend behandelt. Die Notwendigkeit einer gerontologischen Ethik wird betont.
- Kapitel 2: Die ethischen Fragestellungen: Dieses Kapitel beleuchtet die ethischen Fragestellungen in den Pflegewissenschaften und der Medizin im Kontext des Alterns. In den Pflegewissenschaften wird der Gegensatz von „care“ und „cure“ betont, während in der Medizin die Frage nach der Notwendigkeit einer gerontologisch spezifischen Ethik diskutiert wird. Es wird die Bedeutung des „freien Willens“ in der Selbstbestimmung bei altersbedingten Einschränkungen diskutiert, und die ethische Herausforderung der Abhängigkeit von der Pflegekraft wird betrachtet.
- Kapitel 3: Die Auffassungen vom Alter: Dieses Kapitel beleuchtet verschiedene Auffassungen vom Alter und Altern. Es wird die Sichtweise der Biogerontologie beleuchtet, die das Alter als pathologisch betrachtet und Maßnahmen zur Verhinderung des Alterns anstrebt. Demgegenüber wird ein „pro-aging“ vorgestellt, das das Altern als eine natürliche Lebensaufgabe begreift und Hilfestellungen bei der Bewältigung des Alters anstrebt.
- Kapitel 4: Philosophische Ethik der späten Lebenszeit (Thomas Rentsch): In diesem Kapitel wird die philosophische Ethik der späten Lebenszeit nach Thomas Rentsch dargestellt.
- Kapitel 5: Altern und Lebensaufgaben nach Romano Guardini: Dieses Kapitel befasst sich mit der Sichtweise von Romano Guardini auf das Altern und die damit verbundenen Lebensaufgaben.
- Kapitel 6: Eine Neubestimmung der gerontologischen Ethik: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einer Neubestimmung der gerontologischen Ethik. Es werden die Verschärfung ethischer Fragestellungen im Alter, die Folgen aus sozialwissenschaftlichen und gerontologischen Forschungen und die Verschränkung von Alter und Altern diskutiert.
- Kapitel 7: Konkretisierung auf bestimmte Problembereiche: In diesem Kapitel werden konkrete Problembereiche im Kontext des Alterns behandelt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter dieses Textes umfassen gerontologische Ethik, Alter, Altern, Pflegewissenschaften, Medizin, Selbstbestimmung, Würde, Abhängigkeit, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Ressourcenknappheit, Multimorbidität, generationenübergreifender Austausch, „care“ und „cure“, Biogerontologie, „pro-aging“, kategorische Ethik, eudämonistische Ethik.
- Arbeit zitieren
- Thomas Holtbernd (Autor:in), 2014, Alt oder alt und krank. Ansätze einer gerontologischen Ethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285433