Maria im Judentum. Die Mutter Jesu als jüdische Frau und ihr Erscheinen in jüdischen Quellen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1.Maria in primär jüdischen Quellen
1.1 Bavli
1.2 Toledot Jeschu
1.2.1 „Geburtsgeschichte“ nach dem Manuskript Straßburg (Krauss, S. 50 – 54)
1.2.2 „Geburtsgeschichte“ nach dem Manuskript Vindobona (Krauss, S. 88 – 93)

2. Maria bei Kelsos

3. Maria in den Evangelien

4. Jungfrauengeburt?

5. Mirjam – Maria

Schluss

Literatur

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Internetquellen

Lexikonartikel

Anhang

Einleitung

Jesus war Jude, geboren von einer jüdischen Mutter, die ihn gemäß der jüdischen Tradition aufzog, in einem jüdischen Umfeld. In der christlichen Theologie spielt Maria eine entscheidende Rolle für die Wesensbestimmung[1] Jesu Christi, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sie zum Angriffspunkt jüdischer Polemik gegen das Christentum wurde. Durch die jungfräuliche Empfängnis sichert sie die göttliche Abstammung ihres Sohnes, durch ihre leibliche Mutterschaft und die Geburt garantiert sie für sein gleichzeitiges Menschsein.[2] Mit ihr steht und fällt sein Anspruch, Gottes Sohn zu sein und damit die Legitimation des Christentums. Seit dem Hervorgehen des Christentums aus dem Judentum kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern, die sich, wie sich zeigen wird, auch in schriftlicher Form äußerten. Besonders im Mittelalter kam es vor dem Hintergrund der Judenfeindlichkeit in Europa zum Erstarken der Marienverehrung. Oftmals wurden Synagogen abgerissen und an ihrer Stelle der Mutter Gottes geweihte Kirchen errichtet.[3] Als Antwort auf ihre ständige Unterdrückung kam es zur Abfassung zahlreicher Schmähschriften, in denen die jüdischen Bürger Maria als Ehebrecherin oder Hure verhöhnten und Jesus damit den Anspruch, Gottes Sohn zu sein, absprachen. Nachdem somit lange Zeit ein polemisch-negatives Bild Jesu und seiner Mutter im Judentum vorherrschte, hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein positiver Wandel durch die „Heimholung“ Jesu in sein jüdisches Volk und das Aufzeigen seines jüdischen Ursprungs eingesetzt. Maria wird heute vor allem als jüdische Mutter gesehen, die das „Judesein“ Jesu prägte, jedoch werden keine theologischen Aussagen jüdischer seits über sie gefällt.[4] Die vorliegende Arbeit soll sich nun einerseits mit dem Bild Marias im Judentum und zugleich andererseits mit ihrem Leben als Jüdin beschäftigen. Da Maria für die jüdische Religion an sich keine Rolle spielt, ist es schwierig, jüdische Texte über sie zu finden. In der vorliegenden Arbeit werden die wenigen Schriften analysiert werden, die Auskunft über die jüdischen Auffassungen über sie geben.

Eines der bedeutsamsten Schriftwerke des Judentums stellt der Talmud da, weshalb zunächst in diesem nach Informationen über die Mutter Jesu gesucht werden wird. Es werden zwei sich ähnelnde Textstellen des babylonischen Talmud, des Bavli, vorgestellt werden, die im Zusammenhang mit einer Sabbatfrage bzw. mit Götzendienst über einen Magier berichten, der Sohn einer moralisch verwerflichen Frau gewesen sein soll, worin dessen eigenes frevelhaftes Verhalten begründet liegen soll. Diese beiden Schriftpassagen stehen im Zusammenhang mit der anschließend vorgestellten jüdischen Schmähschrift Toledot Jeschu, die wohl als Polemik in Folge der mittelalterlichen Judenverfolgungen entstanden ist und große Bekanntheit erlangte. Schalom Ben-Chorin bezeichnet sie als „[h]eimlicher Aufschrei der Erniedrigten und Beleidigten, der Gefolterten und Verbrannten“[5]. Hier wird die Zeugung Jesu dargestellt als Antwort auf die im Christentum propagierte Jungfrauengeburt.

Eine ähnliche Geschichte wie in der Toledot findet sich bei dem griechischen Philosophen Kelsos wieder, der ebenfalls über Jesu „wahre“ Abstammung berichtet und von dessen Mutter erzählt. Da Kelsos Manuskript nicht überliefert wurde, werden seine Worte mit Hilfe der Verteidigungsschrift des Kirchenvaters Origenes wiedergegeben und erläutert werden.

Da auch die neutestamentlichen Evangelisten Lukas und Matthäus als Juden und nicht als Christen von der Empfängnis und Geburt Jesu Christi erzählen, wird auch ihre Sichtweise über Maria kurz dargelegt werden. Da sie im Gegensatz zu Markus und Johannes auch von der Kindheit Jesu berichten, lassen sich hier noch am ehesten Informationen über das jüdische Leben der Mutter finden.

Abschließend werden die Auffassungen Schalom Ben-Chorins als einem neuzeitlichen Vertreter des Judentums über Maria dargestellt werden, der interessante Aspekte zum Verständnis der jungfräulichen Empfängnis gerade auch aus jüdischer Weise vorgebracht hat. 1971 veröffentlichte der israelische Journalist und Religionswissenschaftler sein Werk Mutter Mirjam – Maria in jüdischer Sicht, in welchem er versucht „das jüdische Antlitz einer jungen Mutter aus Galiläa wieder deutlich zu machen“[6]:

Das Bild Mariens ist von einem siebenfachen Schleier umhüllt. Ihr Antlitz ist dicht verhangen, wie das der orientalischen Frauen, die sich noch heute im Lande Mariens, in Israel, oft tief verschleiert durch die Straßen bewegen. Die sieben Schleier Mariens sind gewebt von Tradition, Dogma, Liturgie, Legende, Kunst, Dichtung und Musik.[7]

Durch seine Arbeit versuchte Ben-Chorin, den jüdisch-christlichen Dialog anzuregen, wie zuvor schon in seinem Werk Bruder Jesus- Der Nazaräer aus jüdischer Sicht[8], bei dem schon der Titel eine Verbundenheit der beiden Religionen expliziert. Er sieht in der Figur Mariens eine enge Verbindung zur „Vorzeigejüdin“ Mirjam, der Schwester Mose und Aarons, eine der wichtigsten Frauengestalten des Judentums, weshalb auf die Ähnlichkeiten dieser beiden Frauen abschließend ebenfalls noch kurz eingegangen werden wird.

1.Maria in primär jüdischen Quellen

1.1 Bavli

Im babylonischen Talmud, dem Bavli, der bedeutender und umfangreicher als der jerusalemer Talmud ist[9], finden sich zwei Quellen, die auf die Mutter Jesu verweisen. Sowohl im Traktat Schabbat 104b als auch im Traktat Sanhedrin 67a[10] wird über die Herkunft Jesu, der hier Ben Stada bzw. Ben Pandera/Pantera genannt wird, berichtet. Dies sind zugleich die beiden talmudischen Quellen, in denen sich Informationen über Maria finden.

OR WITH ANYTHING THAT LEAVES A MARK. What does this add? -It adds what was taught by R. Hanina: If he writes it [a divorce] with the fluid of taria, or gall-nut [juice], it is valid. R. Hiyya taught: If he writes it with dust, with a black pigment, or with coal, it is valid. HE WHO SCRATCHES A MARK ON HIS FLESH, [etc.] It was taught. R. Eliezer said to the Sages: But did not Ben Stada bring forth witchcraft from Egypt by means of scratches [in the form of charms] upon his flesh?[11]

In Schabbat 104b wird im Rahmen des Sabbatgebotes, das auch Schreiben als Arbeit betrachtet und somit für als am Sabbat verboten hält, diskutiert, wie es sich mit dem Schreiben auf Haut, also dem Tätowieren verhalte. Zwei Gelehrte sind unterschiedlicher Meinung: Während R. Eliezer Tätowieren am Sabbat für verboten hält, ist es für R. Jehoschua legitim. R. Eliezer untermauert seine Meinung, indem er die Sprache auf Ben Stada, Jesus, bringt: „Aber brachte nicht Ben Stada Zauberkraft aus Ägypten mit sich durch Einritzungen in seinem Fleisch?“ Im unzensierten Text wird diese Unterhaltung folgendermaßen weitergeführt:

Was he then the son of Stada: surely he was the son of Pandira?-Said R. Hisda: The husband was Stada, the paramour was Pandira. But the husband was Pappos b. Judah? — His mother was Stada. But his mother was Miriam the hairdresser? — It is as we say in Pumbeditha: This one has been unfaithful to (lit., ‘turned away from’ — satath da) her husband.[12]

Die Gelehrten diskutieren über die Herkunft des Magiers aus Ägypten. Ist er der Sohn von Stada, dem legetimen Ehemann seiner Mutter, oder der Sohn ihres Liebhabers Pandira. Ein Anonymer ist der Meinung, der Mann seiner Mutter hieße nicht Stada, sondern sei ein palästinensischer Gelehrter namens Pappos ben Jehuda. Seine Mutter hätte jedoch den Beinamen Stada. Ben Stada wäre damit ein Matronym kein Patronym, wie für gewöhnlich üblich. Bekommt der Sohn den Namen der Mutter statt den des Vaters, ist dies schon ein erster Hinweis, dass er wohl nicht legitim in einer Ehe gezeugt wurde, was dann im Folgenden noch weiter expliziert wird: „Diese war ihrem Mann untreu“. Wie in den Fußnoten der englischen Übersetzung angemerkt wird, lässt auch der Name Stada schon „Böses“ erahnen. Stada leitet sich vom hebräischen/aramäischen Wort satah/sete ab und bedeutet „vom rechten Pfad abweichen“, „in die Irre gehen“, „untreu werden“ und kennzeichnet die Mutter damit als eine sotah, einer des Ehebruchs verdächtigen Frau.[13] Beide Gelehrten, die in dieser Szene auftreten, sind der festen Überzeugung, dass der Magier, über den sie sprechen, ein Bastard ist. Sie hegen keine Zweifel an der Untreue seiner Mutter, lediglich über den Namen gibt es Streitigkeiten. Wird die Mutter des Ehebruchs verdächtigt, ist ihr Sohn automatisch ein mamser, ein uneheliches Kind, selbst wenn sein biologischer Vater der Ehemann der Mütter wäre. Die Tatsache, dass seine Mutter eine Ehebrecherin gewesen ist, genügt, um den rechtlichen Status des Sohnes anzugreifen.[14]

1.2 Toledot Jeschu

Die Toledot Jeschu ist eine in zahlreichen Fassungen vorliegende jüdische Schmähschrift, die die in den Evangelien geschilderten Ereignisse gewissermaßen auf satirisch-polemische Weise ins Gegenteil verkehrt. Toledot leitet sich vom Hebräischen. Yld „gebären/erzeugen“ ab und bedeutet soviel wie Genealogie. Der Name Jeschu ist eine Form von Jeschua, die im Talmud, in rabbinischen Schriften und im modernen Sprachgebrauch nur in Verbindung mit Jesus verwendet wird.[15] Während man zunächst der Meinung war, die Toledot sei schon vor dem 8. Jahrhundert entstanden[16], geht man beim Stand der heutigen Forschung eher davon aus, dass sie im 12. Jahrhundert als Reaktion der blutigen Übergriffe der Kreuzfahrer auf jüdische Gemeinden geschrieben wurde.[17] Sie wurde auf Hebräisch verfasst und greift die Ben Pandera- bzw. Ben Stada-Tradition des Bavli[18] (bSot 47a; bSan 43a; 67a; 107b ) wieder auf. Im Stil unterhaltsamer Romane wurde die Toledot seit dem Mittelalter als eine Art von Untergrund-Literatur bekannt, in der Neuzeit entstanden zudem auch jüdisch-deutsche Versionen. Die Texte der Toledot sind zwar literatur- und kulturgeschichtlich von Interesse, ihr Inhalt ist aber ohne historischen Wert.[19]

Laut Toledot Jeschu ist Jesus ehebrecherischer Herkunft. Er raubte den wunderwirkenden göttlichen Namen im Tempel und trieb Zauberei, befleckte die heiligen Stätten, das Land und den Tempel und beleidigte die jüdischen Gelehrten, bis er wegen gesetzteswidriger Lügen von Pilatus gefangen genommen und gehängt wurde. Seine Jünger verkünden nach der Entfernung seines Leichnams seine Auferstehung. Der jüdische Religionswissenschaftler und Schriftsteller Schalom Ben-Chorin, der in seinem Werk Bruder Jesus. Der Nazaräer aus jüdischer Sicht das Leben Jesu aus jüdischer Perspektive beleuchtet, bezeichnet ihren Inhalt als die „Vorgänge des Lebens Jesu in primitiver Negativität nacherzählt“[20]. Moses Mendelssohn[21] nennt sie „eine Mißgeburt aus den Zeiten der Legenden“[22] und Heinrich Graetz[23] als „ein elendes Machtwerk, kompiliert aus fragmentarischen Sagen des Talmud“[24], was zeigt, dass selbst Juden dem Inhalt keine Wahrheit zusprechen.

1902 veröffentlichte der jüdische Theologe, Philologe und Historiker Samuel Krauss[25] Texte der Toledot in verschiedenen Fassungen in Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen. Im Folgenden werden nun zwei Fassungen der Geburtsgeschichte Jesu der Toledot nach der Übersetzung von Krauss in Hinblick auf die Mutter Jesu, die hier Miriam heißt, dargestellt und miteinander verglichen werden.

1.2.1 „Geburtsgeschichte“ nach dem Manuskript Straßburg (Krauss, S. 50 – 54)

Der Beginn des Straßburger[26] Manuskripts zeigt zunächst starke Anklänge an die neutestamentlichen Geburtsgeschichten. Jesu Mutter, hier Miriam genannt, ist die Tochter Annas aus Israel, wie man es auch im apokryphen Protoevangelium des Jakobus lesen kann. Sie ist verlobt mit einem gottesfürchtigen und toratreuen Mann, Jochanan, der wie Josef bei Matthäus dem davidischen Geschlecht entstammt. Diese Rahmenbedingungen sind jedoch die einzigen Übereinstimmungen der jüdischen Schmähschrift mit den biblischen Texten. Jochanans Nachbar, Josef Ben Pandera, der ein Auge auf Miriam geworfen hat, schleicht sich eines nachts zu dieser und schläft mit ihr, obwohl diese ihn darauf hingewiesen hat, dass sie durch ihre Menstruation nach halachischem Recht unrein ist. Sie hält Josef zudem für ihren Verlobten und erkennt selbst als der echte Jochanan später in der Nacht zu ihr tritt, die Täuschung nicht. Sie wundert sich lediglich darüber, dass ihr Verlobter sie zweimal in derselben Nacht aufsucht. Ohne zu Begreifen, dass sie Jochanan mit ihren Worten den unfreiwilligen Ehebruch beichtet, erzählt sie ahnungslos dem Verwunderten, dass er doch schon einmal diese Nacht bei ihr eingekehrt sei und mit ihr geschlafen habe, obwohl sie zurzeit unrein sei. Obwohl Jonachan sofort erkennt, was geschehen sein muss, erzählt er Miriam nicht von seinem Verdacht, sondern sucht am nächsten Tag Schimeon b. Schetach auf, um ihm von den Vorkommnissen zu erzählen und seinen Rat einzuholen. Dieser rät ihm, vorerst die Vorkommnisse für sich zu behalten, aber durch das Aufstellen von Zeugen Josef auf frischer Tat zu ertappen, um ihn dann anklagen zu können. Doch bevor Jonachan Josef überführen kann, wird Miriams Schwangerschaft bekannt, zu der Jonachan sich nicht bekennen will. Er empfindet es als Schmach und geht nach Babel. Miriam bleibt allein zurück und gebiert ihren Sohn Josua, den sie nach ihrem Onkel benennt und zur Unterweisung zu den Schriftgelehrten schickt.

Schon als Kind fällt Josua durch sein ungebührendes Verhalten gegenüber seinen Lehrern auf, sodass er als Bastard und Sohn einer Menstruierenden beschimpft wird. Da er die Schriftgelehrten frech verspottet, wollen diese von Miriam wissen, wer sein Vater sei. Diese gibt Jonachan als Vater an und erzählt, dass dieser nach Babel gegangen sei. Jetzt erst meldet sich R. Schimeon b. Schetach zu Wort und klärt den ganzen Umstand über die Zeugung Josuas auf. Zugleich nimmt er Miriam in Schutz, der im Falle des Ehebruchs die Todesstrafe zugekommen wäre. Da sie nicht freiwillig mit Josef geschlafen hat, kommt ihr keine Schuld zu. Daraufhin bestätigt Miriam die Geschichte.

Als damit offiziell bekannt wird, dass Josua ein Momsar ist, flieht dieser nach Jerusalem. Mit Hilfe eines heiligen Steines eignet er sich Zauberkräfte an und sammelt 310 Jünger um sich. Um gegen seine Beschimpfungen als unehelichen Sohn anzukämpfen, gibt er sich selbst als den Jungfrauensohn aus, den Jesaja prophezeit hat und beschimpft alle, die ihn als Bastard bezeichnen, seinerseits als Hurenkinder:

Er sprach zu ihnen: Sehet jene dort, die von mir sagen, ich sei ein Bastard und Sohn einer Menstruierenden; die wollen Grösse für sich und suchen Herrschaft auszuüben in Israel. Ihr sehet ja, alle Propheten prophezeiten über den Messias Gottes, und ich bin der Messias. Auf mich prophezeite Jesaia: Siehe, die Jungfrau wird schwanger, gebiert einen Sohn, und er werde geheissen Emanuel. Ferner prophezeite über mich meine Ahne David und sprach: Der Ewige sprach zu mir: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt; er zeugte mich ohne männlichen Beischlaf mit meiner Mutter, und jene nennen mich einen Bastard! Ferner prophezeite er: Warum toben die Heiden etc., die Könige im Lande lehnen sich auf etc. wider seinen Gesalbten. Ich bin der Messias, und die, so gegen mich aufstehen, sind Hurenkinder, denn so heisst es in der Schrift: Denn sie sind Hurenkinder.[27]

Miriam kommt in dieser Toledot Fassung recht glimpflich davon. Nicht sie ist es, die verspottet wird, sondern lediglich ihr Sohn. Sie wird charakterlich als zwar naive aber dennoch die Gebote befolgende und gutmütige Frau dargestellt, der durch ihren Nachbarn Unrecht angetan wird. Sie selbst hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, sodass sie vom Rabbi in Schutz genommen wird. Anders ist dies beispielsweise bei Kelsos[28], der ihr den bewusst vollzogenen und gewollten Ehebruch vorwirft, ebenso wie die beiden Stellen im Bavli. Auch wird ihr nicht vorgeworfen, an der Verderbtheit ihres Sohnes Schuld zu sein, da sie ihn wie es sich gehört, zum Studium der Schrift in die Synagoge geschickt hat.

1.2.2 „Geburtsgeschichte“ nach dem Manuskript Vindobona (Krauss, S. 88 – 93)

In Manuskript Vindobona[29] heißt die Mutter Jesu Maria und ist mit Josef Pandera, der aus dem Geschlecht Davids stammt, verheiratet. Sie trägt also denselben Namen wie in der Bibel. Im Vergleich zum Manuskript Straßburg ist es hier der Ehemann, der den Namen Josef trägt, der Ehebrecher ist in dieser Fassung Jonachan; die Namen wurden also vertauscht. Vergleicht man den Text mit dem Bavli, fällt bezüglich der Namen auf, dass hier der Ehemann den Beinamen Pandera trägt, nicht der angebliche Geliebte seiner Frau.[30]

Wie in der ersten Toledotfassung kommt der Ehebrecher auch hier nachts zu Maria, während Josef in der Synagoge ist. Auch hier erkennt Maria nicht, dass es nicht ihr Mann ist, der zu ihr gekommen ist. Aufgrund ihrer Menstruation wehrt sie sich heftig gegen den Beischlaf und verflucht Jonachan für seine Tat, immer noch im Glauben, er sei Josef. Das ganze wiederholt sich ein zweites Mal. Maria bleibt weinend und den Zorn Gottes fürchtend zurück. Sie ist derart aufgebracht, dass sie sich selbst ins Gesicht schlägt, bis Josef nach Hause kommt. Auch hier erkennt der zunächst über das Verhalten seiner Frau verwunderte Josef, was sich wirklich zugetragen hat und wieder klärt er seine Frau nicht darüber auf, sondern fragt Schimeon ben Schetach um Rat. Josef versucht mit Hilfe von Zeugen seinen Widersacher auf frischer Tat zu ertappen, aber da dieser im Bund mit dem Teufel steht, sucht er Maria nicht erneut auf. Josef ist verzweifelt, da er große Schande befürchtet, sollte Maria beim Ehebruch geschwängert worden sein. Im Gegensatz zur ersten Fassung fürchtet Josef nicht nur die Schmach, betrogen worden zu sein, sondern dass durch den Ehebruch womöglich auch seine Zeugungsunfähigkeit offenbart werden würde, da er Maria bisher noch nicht schwängern konnte. Da er nach jüdischem Recht nun auch nicht mehr mit ihr schlafen darf, entscheidet er sich, nach Babylon zu gehen, um der Schande zu entkommen.

[...]


[1] Vgl. z. B. Konzil von Ephesos.

[2] Vgl. Klaus Schreiner: Maria. Leben Legenden Symbole, München 2003, S. 78f.

[3] Vgl. ebd., S. 85.

[4] Vgl. z. B. die Arbeiten von Schalom Ben-Chorin.

[5] Schalom Ben-Chorin: Mutter Mirjam. Maria in jüdischer Sicht, Gütersloh 2006, S. 21.

[6] Ebd, S. 1.

[7] Ebd.

[8] Schalom Ben-Chorin: Bruder Jesus - Der Nazaräer aus jüdischer Sicht, München 1967.

[9] Der Talmud setzt sich aus zwei Teilen, der Mischna, die die Basis bildet, und der Gemara, die die Mischna ergänzt und erläutert, zusammen. Die Mischna ist in sechs „Ordnungen“, den Sedarim, eingeteilt, diese wiederum in sieben bis zwölf Traktate. (vgl. Kirchner, Bruno: [Art.] Talmud, in: Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, hg. V. Dr. Georg Herlitz u.a., Bd.4/2, Berlin 1930, Sp. 835-855., hier Sp. 838).

[10] Da die Informationen über die Herkunft Jesu in beiden Textstellen wörtlich übereinstimmen, werden sie hier nur am Beispiel des Schabbat 104b behandelt. Lediglich der Kontext, indem die Streitfrage über den Vater des Magiers auftritt, ist ein anderer. Hier geht es um den Frevel des Götzendienstes.

[11] http://www.halakhah.com/pdf/moed/Shabbath.pdf, S. 321.

[12] Ebd., S. 323.

[13] Ebd.

[14] Ebd.

[15] Jüdisches Lexikon, Sp. 973f.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. Ben-Chorin: Mutter Mirjam, S. 22.

[18] Wie im Kapitel zuvor beschrieben.

[19] Maier, Johann: Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung, Darmstadt 1978, S. 127f.

[20] Jüdisches Lexikon, Sp. 973f.

[21] 1729 - 1786.

[22] Jüdisches Lexikon, Sp. 973.

[23] 1817-1891 Deutsch-jüdischer Historiker, der sich intensiv mit der jüdischen Geschichte beschäftigte.

[24] Ebd.

[25] 1866 - 1948.

[26] Samuel Krauss: Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen, Berlin 1902. Online-Ausg. Frankfurt am Main Univ.-Bibliothek, 2012 (http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/4633673) [zuletzt eingesehen: 30.07.14].

[27] http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/4633673.

[28] S. folgendes Kapitel.

[29] http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/4633673.

[30] Vgl. Kapitel 1.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Maria im Judentum. Die Mutter Jesu als jüdische Frau und ihr Erscheinen in jüdischen Quellen
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Katholische Theologie)
Veranstaltung
Mariologie
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
28
Katalognummer
V285695
ISBN (eBook)
9783656858904
ISBN (Buch)
9783656858911
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
maria, judentum, mutter, jesu, frau, erscheinen, quellen
Arbeit zitieren
Jennifer Stockum (Autor:in), 2014, Maria im Judentum. Die Mutter Jesu als jüdische Frau und ihr Erscheinen in jüdischen Quellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285695

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