Fragen von Interferenz und Code-Switching beim Sprachkontakt zwischen Deutsch und italienischen Varietäten


Thèse de Master, 2014

103 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprachkontakt
2.1 Was ist Sprachkontakt?
2.2 Wie wirkt sich Sprachkontakt aus?

3. Sprachkontaktphänome
3.1 StandderForschung
3.1.1. Code-Switching: Definitionenund Funktionen
3.1.1.1 Funktionales Code-Switching
3.1.1.2 Nicht-funktionales Code-Switching
3.1.1.3 Grammatische Bestimmung und Beschränkungen von Code-Switching
3.1.2 Code-Mixing: Definitionen und Funktionen
3.1.2.1 Klassifikationskriterien für Code-Mixing
3.1.3 Transfer und Interferenz
3.1.3.1 Morphologische Interferenzen
3.1.3.2 Lexikalische Interferenzen
3.1.3.3 Syntaktische Interferenzen

4. Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt
4.1 Was ist Varietätenkontakt?
4.2 Wie wirkt sich Varietätenkontakt aus?
4.3 Sprachkontaktphänomene beim Varietätenkontakt
4.3.1 Gradata und Interferenzen in der italienischen Sprache
4.3.2 Code-Switching innerhalb der Gradata

5. Migration und Sprache
5.1 Zur sprachlichen Situation italienischer Migranten in Deutschland

6. Analyse
6.1 Corpuserstellung: Erhebung soziolinguistischer Daten
6.2 Vorstellung der Probanden
6.3 Corpusanalyse
6.3.1 Beispiele für Code-Switching
6.3.1.1 Funktionales Code-Switching
6.3.1.1.1 Ausblicke für funktionales Code-Switching
6.3.1.2 Beispiele fürnicht-funktionales Code-Switching
6.3.2 Beispiele für Code-Mixing
6.3.3 Beispiele für Transfer und Interferenz
6.3.3.1 Morphologische Interferenzen
6.3.3.2 Lexikalische Interferenzen
6.3.3.3 Syntaktische Interferenzen

7. Schlussbetrachtung

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Nicht die Einsprachigkeit, sondern die Mehrsprachigkeit stellt den Normalfall dar; Einsprachigkeit ist ein kulturbedingter Grenzfall.“ (Lüdi, 2001: 423)

Für diese Arbeit, zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.), soll der von Lüdi geklärte 'Normalfall' herangezogen werden: Das Thema der

Mehrsprachigkeit wird hier im Rahmen der Sprachkontaktforschung behandelt. Diese Arbeit konzentriert sich auf die Phänomene zweisprachiger Sprecher, die ein großes Teilgebiet der Sprachkontaktforschung einnehmen; Code-Switching und Interferenzen. Das zu untersuchende Sprachpaar ist Deutsch-Kalabresisch (Malitano).

Um einen Einstieg in die Thematik zu gewähren, wird in Kapitel 2 zunächst der Begriff Sprachkontakt geklärt sowie seine langfristigen Ergebnisse aufgeführt. Kapitel 3 stellt ausführlich die Sprachkontaktphänome Code-Switching, Code-Mixing und Transfer und Interferenz im Einzelnen vor. Gleichzeitig werden in der Literatur vorherrschende Tendenzen bezüglich dieser Phänomene vorgestellt, welche als Fragestellung für die spätere Analyse herangezogen werden. Da der Sprachkontakt in dieser Arbeit nicht zwischen zwei ausgebauten Sprachen untersucht wird, sondern zwischen der Standardsprache Deutsch und einer sprachlichen Varietät des Italienischen, widmet sich Kapitel 4 dem Thema Varietätenkontakt. Diese Erweiterung bezüglich der Phänomene beim Kontakt zwischen Standardsprache und Varietät stellt weitere Tendenzen auf, welche ebenfalls in der Analyse untersucht werden: Bestätigen sich alle im Theorieteil aufgeführten Tendenzen bei den Probanden? Welche Sprachkontaktphänome kommen am häufigsten vor? Die Probanden in dieser Arbeit sind zweisprachige Dialektsprecher, welche nach Deutschland immigriert sind. Daher beschäftigt sich Kapitel 5 mit dem Thema Sprache und Migration, in dem angeführt wird, wie sich die sprachliche Situation von Migranten durch den Sprachkontakt zum Deutschen verändert. In Kapitel 6 wird der Corpus vorgestellt und unter Heranziehung aller im Theorieteil gestellter Fragen zu den Sprachkontaktphänomen analysiert und ausgewertet. Die Schlussbetrachtung in Kapitel 7 gibt eine abschließende Bewertung zu den bestätigten oder nicht bestätigten Tendenzen.

2. Sprachkontakt

2.1 Was ist Sprachkontakt?

Zunächst soll der Begriff Sprachkontakt geklärt und die Ergebnisse der Sprachkontaktforschung angeführt werden. Eine erste Erklärung für Sprachkontakt stammt von Uriel Weinreich und besagt, dass zwei oder mehrere Sprachen (oder Varietäten) in Kontakt stehen, „wenn sie von einunddenselben Personen abwechselnd gebraucht werden“ (Weinreich, 1977:15). Somit definiert Weinreich das sprechende Individuum alleine als Ort des Sprachkontakts.[1] Diese psycholinguistische Begriffsbestimmung behandelt die Frage, welche Prozesse in den Individuen beim abwechselnden Gebrauch von zwei oder mehreren Sprachen stattfinden.[2] Riehl führt als Beispiel türkischsprachige Migranten in Deutschland an, die unter Freunden und in der Familie Türkisch, in der Schule, am Arbeitsplatz und in Institutionen jedoch Deutsch sprechen.[3] Ferner existiert neben dieser psycholinguistischen Begriffsbestimmung von Sprachkontakt auch eine soziolinguistische Begriffsbestimmung, da genau genommen nicht Sprachen in Kontakt stehen, sondern ihre Sprecher untereinander.[4] Aus dieser Perspektive stehen zwei oder mehrere Sprachen in Kontakt, „wenn sie in derselben Gruppe gebraucht werden, z.B. in Südtirol Deutsch und Italienisch.“ (Riehl, 2009: 11f) Hierbei müssen nicht alle einzelnen Gruppenmitglieder der Sprache mächtig sein oder sie verstehen, der Ort des Sprachkontakts ist die Gruppe im Ganzen.[5] Zusammenfassend tritt Sprachkontakt also immer dort auf, „wo verschiedene Sprachen oder Varietäten einer Sprache aufeinander treffen, entweder im Kopf eines mehrsprachigen Sprechers oder in mehrsprachigen Gruppen“ (Riehl, 2009: 12).

Nach diesen beiden Begriffsbestimmungen von Sprachkontakt zieht Weinreich noch eine Grenze zum Begriff Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit: „Die Praxis, abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen, soll Zweisprachigkeit heißen, die an solcher Praxis beteiligten Personen werden zweisprachig genannt“ (Weinreich, 1977: 15). Der Begriff Sprachkontakt fokussiert demnach allein die beteiligten Sprachen als solche, der

Begriff Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit hingegen die Eigenschaften der Individuen und Gruppen, die diese Sprachen verwenden.[6]

2.2 Wie wirkt sich Sprachkontakt aus?

Der in 2.1 definierte Zusammenhang von Sprachkontakt und Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit betrachtet nunmehr die Koexistenz zweier oder mehrerer Sprachen/Varietäten im Gebrauch eines Individuums bzw. einer Gruppe. Wie wirkt sich diese Koexistenz auf die beteiligten Sprachen aus? Was sind die Ergebnisse der Sprachkontaktforschung im Laufe der Zeit?

Fakt ist, dass es sich bei dieser Koexistenz um eine wechselseitige Beeinflussung der beteiligten Sprachsysteme handelt und diese auch Veränderungen erfahren können.[7] So beeinflusst die Erstsprache die Zweitsprache bei einem gesteuerten, institutionellen Zweitspracherwerb, in mehrsprachigen Gesellschaften hat die Zweitsprache hingegen Einfluss auf die Erstsprache.[8]

In mehrsprachigen Gesellschaften kann es zudem zu einer Verteilung der einen oder anderen Sprache/Varietät auf Domänen kommen, also auf charakteristische Situationstypen.[9] Fishman führte den Begriff Domäne 1964 in die Soziolinguistik ein, seitdem versteht man darunter spezielle Lebens- oder Themenbereiche (z.B. Familie, Arbeitsplatz, Kirche, öffentliche Institutionen), welche durch bestimmte Sozial- und Rollenbeziehungen charakterisiert sind.[10] Das Resultat hierbei ist eine stabile Form der Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit, die spezifische Anwendungsgebiete hat und im Falle von zwei beteiligten Sprachen als Diglossie, bei drei Sprachen als Triglossie bezeichnet wird.[11] Auf dem Konzept der Diglossie beruht also die Annahme, dass die Varietätenwahl einer Sprache (Dialekte und Hochsprache) nicht willkürlich, sondern funktional differenziert erfolgt, d.h. verteilt auf Domänen.[12] Ferguson übertrug dieses Konzept in den 60er Jahren auf die Situation bi- und multilingualer Sprachkontakte[13] und sieht diese stabile Form als eine Verwendung von zwei funktional unterschiedlichen Sprachvarietäten, einer High Variety (= H-Varietät) und einer Low Variety (= L-

Varietät).[14] Die H-Varietät ist hierbei formellen Kommunikationssituationen zugeordnet, während der Dialekt der L-Varietät und somit dem informellen Bereich zugeordnet wird.[15] Diese Spannung zwischen zwei Sprachen bzw. Varietäten fuhrt also dazu, dass eine als H-Varietät und die andere als L-Varietät innerhalb der Domänen fungiert.[16] Weiter gibt Ferguson neun Bereiche an, in denen sich H- und L-Varietät unterscheiden:,,

- Funktion (Gebrauch in verschiedenen Situationen)
- Prestige (die H-Varietät hat ein höheres Prestige)
- Literarisches Erbe (die H-Varietät ist Literatursprache)
- Erwerb (die L-Varietät wird als L1 erworben)
- Standardisierung (nur die H-Varietät ist standardisiert)
- Stabilität (die Diglossiesituation bleibt über Jahrhunderte erhalten)
- Grammatik (die Grammatik der H-Varietät ist in der Regel komplexer)
- Lexikon (der Großteil des Lexikons ist gemeinsam, aber es gibt viele Wörter, die nur in der L-Varietät oder nur in der H-Varietät Vorkommen, Bsp. gr. krasi vs. inos 'Wein')

- Phonologie (beide Varietäten haben ein einheitliches phonologisches System, in dem die L-Varietät das Basissystem vorgibt)“ (Riehl, 2009: 16)

Fishman erweiterte 1967 dieses Konzept und sieht Diglossie als gesellschaftliches Arrangement.[17] Während die L-Varietät zu Hause als Erstsprache gelernt und lebenslang genutzt wird, wird die H-Varietät meist institutionell erworben.[18] Die Mitglieder der mehrsprachigen Gesellschaft sind fähig, die passende Varietät für den passenden Kontext zu wählen und stufen die H-Varietät höher als die L-Varietät ein.[19] Die L- Varietät dient, wie bereits angeführt, der informellen Konversation in alltäglichen Bereichen wie Straße und Familie.[20]

Darüber hinaus kann Diglossie nicht nur im Rahmen von Bilingualismus existieren, also als Konkurrenzverhältnis zwischen eigenständiger Sprachen bzw. Varietäten, sondern auch im Bereich der Einsprachigkeit, also allein innerhalb einer Sprache.[21]

Abschließend können innerhalb derselben kommunikativen Interaktion Wechsel zwischen den Varietäten verzeichnet werden (Code-Switching).[22] Diese Sprachkontaktphänomene werden in Kapitel 3 genauer erläutert.

Neben der gerade beschriebenen Diglossie-Situation kann es in mehrsprachigen Gesellschaften allerdings auch zu Sprachwechsel oder Sprachverlust kommen, wenn eine der Sprachen vollends aufgegeben wird und dafür die andere ihren Platz einnimmt.[23] Diese sprachstrukturelle Betrachtungsweise des Sprachkontakts findet sich oft dort, wo regionale Minderheitensprachen keinen eigenen Status genießen, wie es beispielsweise in Italien der Fall ist.[24]

Diese beiden Wirkungen des Sprachkontakts, Diglossie und Sprachwechsel/-verlust, sind langfristige Ergebnisse innerhalb von Sprachgemeinschaften.[25] Weiter beeinflussen sie die Sprachwahl des Individuums, die abhängig sein kann von Situationstyp, Gesprächspartner und anderen Variablen.[26] Das Gegenteil des Sprachwechsels jedoch, also das Festhalten an einer Sprache/Varietät, kann ferner als Ausdrucksmittel für ethnische Identität gesehen werden.[27]

Die soziolinguistische Betrachtungsweise der Wirkungen von Sprachkontakt in diesem Kapitel ist wichtig für die spätere Analyse, da ein Augenmerk auf der Geschichte der Probanden, ihrer sprachlichen Identität und dem sprachlichen Kontext liegt, in dem der Corpus erstellt wurde. Von Interesse ist also beispielsweise die Frage, welche Sprache bzw. Varietät (H- oder L-Varietät, Dialekt oder Hochsprache) die Probanden in welcher Domäne genutzt haben und ob sie diese Wahl funktional differenziert getroffen haben. Des Weiteren stellt sich bei den Probanden die Frage nach einer Beeinflussung der Zweitsprache durch die Erstsprache, da sie in einer mehrsprachigen Gesellschaft leben. Linguistische Wirkungen von Sprachkontakt, die in dieser Arbeit als Sprachkontaktphänomene bezeichnet werden, werden im folgenden Kapitel behandelt.

3. Sprachkontaktphänome

3.1 Stand der Forschung

Wie bereits angesprochen sind im Bereich der Sprachkontaktforschung gewisse Phänomene zu beobachten, die einen wichtigen Bestandteil dieser Arbeit bilden. Deswegen sollen diese Phänomene im Folgenden definiert und mit Beispielen verdeutlicht werden, da sie Hauptuntersuchungsgegenstand innerhalb der späteren Analyse sind.

Zu den typischsten Phänomenen zählt der Sprachwechsel und die Sprachmischung. Im Allgemeinen versteht man unter einem Sprachwechsel den abwechselnden Gebrauch zweier oder mehrerer Sprachen, entweder im selben Individuum, oder in einer Sprachgemeinschaft.[28] Sprachmischungen hingegen finden allgemein in Wörtern, Sätzen oder Kontexten statt, in denen bilinguale Menschen ihre Sprachen gleichzeitig verwenden.[29] Im Bereich der Sprachkontaktforschung werden diese Wechsel und Mischungen mit den Sprachkontaktphänomenen Code-Switching bzw. Code-Mixing bezeichnet, während es auch noch das Phänomen Transfer und Interferenz gibt.[30] Eine genaue Definition der drei Termini ist innerhalb der Sprachkontaktforschung teilweise immer noch umstritten, da beispielsweise das Phänomen Code-Switching ursprünglich 1964 von Gumperz als Diskursstrategie eingeführt, in den weiteren Jahren jedoch in der Grammatikforschung weiterentwickelt wurde.[31] Daher sollen in den folgenden Unterpunkten der Versuch unternommen werden, die Definitionen und Funktionen dieser Sprachkontaktphänome im Laufe der Forschung zu erläutern - zunächst in Bezug auf Standardsprache.

Da die regionale Varietät des Italienischen auch ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist, werden die Sprachkontaktphänomene später in Kapitel 4.3, unter Beirücksichtung dieses Varietätenkontaktes, betrachtet.

3.1.1. Code-Switching: Definitionen und Funktionen

Das Code-Switching wird im Rahmen der Sprachkontaktforschung überwiegend für Untersuchungen in der Erwachsenensprache verwendet.[32] Eine allgemeine Definition des Begriffs stammt von Milroy und Muysken aus dem Jahr 1995: „The alternative use by bilinguals of two or more languages in the same conversation“ (Müller et al., 2007: 184). Bei dieser rein deskriptiven Definition stellen sich weitere Fragen nach spezifischeren Kriterien für Code-Switching: Handelt es sich um Code-Switching wenn ganze Phrasen oder Teilsätze ausgetauscht werden, oder reicht nur ein Wort in einer anderen Sprache oder Varietät, um dieses Phänomen zu definieren? Diese Fragestellung führt zu einer Abgrenzung der Phänomene Code-Switching und Entlehnung. Laut Riehl kann „Code-Switching einzelne Wörter und auch Mehrworteinheiten bis zu ganzen Sätzen umfassen, während die lexikalische Entlehnung immer nur ein Wort (oder eine feste idiomatische Einheit) umfasst“ (Riehl, 2009: 22). Des Weiteren hat im Jahr 2000 Muysken eine Dreiteilung zur Beschreibung von Code-Switching unternommen, um dieser Abgrenzung zu umgehen und somit neue Begriffe eingeführt.[33] Es handelt sich um:

- „(a) Alternation („alternation“)
- (b) Insertion („insertion“)
- (c) kongruente Lexikalisierung („congruent lexicalization“)“ (Müller et al., 2007:185)

Werden beim Sprachwechsel innerhalb einer Äußerung Syntax und Lexik beider Sprachen berücksichtigt und somit Einheiten getrennt, spricht man von Alternation (1a).[34] Insertion liegt hingegen vor, wenn diese Einheiten nicht getrennt, sondern im Satz eingebettet werden (1b).[35] Die kongruente Lexikalisierung ist gegeben, wenn eine gemeinsame grammatische Struktur beider Sprachen existiert (1c).[36] Dies ist oft bei Sprachen der Fall, die sich typologisch ähneln oder auch zwischen Dialekt und Standardsprache, da eine einheitliche Struktur der beiden gemischten Sprachen gefordert ist.[37] Zur Veranschaulichung von Alternation, Insertion und kongruenter Lexikalisierung sollen folgende Beispiele aus „Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung“ von Müller et al. von Seite 186 gegeben werden:

1. a) „Das ist gut so et n'oubliezpas le livre dont on aparlé“

b) „Ich lese un libro“

c) „Bueno, in other words, el flight que sale de Chicago around three o'clock“

Weitere grammatische Gesichtspunkte von Code-Switching werden in Kapitel 3.1.1.3 behandelt.

Myers-Scotton hat 1993 eine Asymmetrie zwischen den beteiligten Sprachen beim Code-Switching definiert. Eine der beiden Sprachen ist in der Interaktion klar abgegrenzt und steuert vermutlich einen größeren Anteil an Wörtern in die Unterhaltung bei.[38] Diese wird als Matrix-Sprache bezeichnet, in die Elemente aus der anderen Sprache hineingemischt werden.[39] Allerdings bleibt unklar, ob mehrsprachige Sprecher die Wahl der Matrix-Spache bewusst vollziehen und ob sie von Satz zu Satz oder für die gesamte Unterhaltung ermittelt werden kann.[40] Einigkeit besteht jedoch darin, dass im Allgemeinen zwei Formen von Code-Switching bestehen, das sogenannte Extra- Sentential Switching, also Mischungen innerhalb mehreren sprachlichen Äußerungen in der Unterhaltung (intersenteniell) und das Intra-Sentential Switching, Mischungen innerhalb nur einer Äußerung (intrasententiell).[41] Näheres dazu wird unter Betrachtung der grammatischen Seite ebenfalls in Kapitel 3.1.1.3 erläutert.

Nach dieser Definition und den dazugehörigen Abgrenzungsaspekten sind ebenfalls Motivation und Funktion des Code-Switchings von Interesse. Man unterscheidet hierbei wie beim Diglossie-Begriff zwischen soziolinguistisch motiviertem Code-Switching (oder auch funktionalem Code-Switching) und psycholinguistisch motiviertem Code­Switching (nicht-funktionalem Code-Switching) sowie einer grammatischen Betrachtungsweise.[42]

3.1.1.1 Funktionales Code-Switching

Aus soziolinguistischer Perspektive wird die Frage behandelt weshalb Code-Switching in einem spezifischen Kontext auftritt, und nicht, ob dabei eine bestimmte grammatische Regel der beiden beteiligten Sprachen verletzt wird, wie es bei späteren Untersuchungen der Fall ist (vgl. Kapitel 3.1.1.3).[43] Hierbei ist das Code-Switching also abhängig vom linguistischen Kontext und der sozialen Umgebung des Sprechers.[44] Wie bereits erwähnt, wurde das Phänomen Code-Switching von Gumperz im Rahmen der Diskursstrategie eingeführt. Laut Gumperz sind beim Code-Switching die Sprachwahl und das Gesprächsthema besondere Faktoren, die es bei der Analyse von Mischungen zu untersuchen gilt, denn durch sie verfolgt der Sprecher eine bestimmte Diskursstrategie.[45] Der Sprachwechsel ist also beim funktionalen Code-Switching laut Gumperz durch äußere Faktoren oder strategische Gründe motiviert, demzufolge unterscheidet er zwischen situationellem und konversationellem Code-Switching.[46] Zur situationellen Form des Code-Switchings gehören äußere Faktoren wie z.B. Gesprächspartner, Ort der Kommunikation und Gesprächsthema.[47] Die Anzeige von Adressaten oder das Hervorheben von bestimmten Nachrichtenteilen sind hier beispielhafte Formen von situationellem Code-Switching.

Aus konversationeller Sicht verfolgt das Code-Switching einen kommunikativen Effekt, der diskursstrategisch begründet ist.[48] Eine der häufigsten Formen von konversationellem Code-Switching ist das Zitieren in einer der beteiligten Sprachen, um einen genauen Wortlaut oder eine Stimmlage wiederzugeben, was mit einer Übersetzung nicht möglich wäre.[49] Auch Dialogpausen und Themenwechsel sind Formen des konversationellem Code-Switchings und dienen als sogenannte Kontextualisierungshinweise (contextualisation cue), sie kündigen demnach einen Wechsel des Gesprächskontextes an.50 Ein Beispiel zur Veranschaulichung eines solchen Wechsels ist:[50]

„Ma l'hai visto? Io mai l'ho vista una campagna elettorale cosi. [...] Mai si era verificato. N'àutra cosa t'ai'a cchièderti, G. Cambiamo discorso. Io continuo a telefonare a M. Perché è da Pasqua che le voglio fare gli auguri, le cose [...] (ital. Standard vs. Sizilianischer Dialekt, vgl. Alfonzetti 1998:198)

[’Hast du das gesehen? Ich habe noch nie eine solche Wahlkampagne gesehen. [...] Das ist noch nie passiert. Ich möchte dich was andres fragen, G. Lass uns das Thema wechseln. Ich rufe immer noch M. an. Ich versuche ihr schon seit Ostern meine Glückwünsche usw. zu übermitteln. [...]’]“ (Riehl, 2009: 24f)

Durch das Code-Switching von der italienischen Standardsprache in die sizilianische Dialektform wird der Themenwechsel eindrücklich unterstützt.[51]

Auf Ebene der Diskursstrategie lassen sich weiterhin expressive und

metakommunikative Funktionen verzeichnen, wie persönliche Einstellungen oder Bewertungen (expressiv) (3 a) oder Äußerungen über die Sprache an sich (metakommunikativ) (3b):

3. a) „Siamo ritornati a Roma e poi l'abbiamo lasciato. It was just amazing. Era proprio perfetto. [’Wir sind nach Rom zurückgekehrt und dann haben wir es wieder verlassen. It was just amazing. Es war wirklich perfekt.] [Bsp. Australien, Corpus 2009]“ (Riehl, 2009: 25)

b) „Meine Mutter, die hat gearbeitet als Köcherin und mein - Opa -

der war - - kak veterinar kak u nich govoritsja? [’wie heißt Tierarzt, wie sagt man bei ihnen?’] [Bsp. Russland, Russ 7]“ (Riehl, 2009: 25)

Bei 3 a wird die Aussage durch den Wechsel ins Englische verstärkt und daraufhin erneut auf Italienisch kommentiert, um zur Ausgangssprache zurückzukehren, während das Code-Switching in 3b durch mangelnde Sprachkenntnisse des Sprechers motiviert sein kann, oder wenn er sich im sogenannten monolingualen Sprachmodus befindet.[52]

Die Unterscheidung von monolingualem und bilingualem Sprachmodus stammt von François Grosjean.[53] Zweisprachige Sprecher sehen es innerhalb einer mehrsprachigen Gemeinschaft als natürlich an, ihre Sprachen und Varietäten zu mischen, so dass ein monolinguales Verhalten eher die Seltenheit ist.[54] Dieser Modus tritt ein, wenn ein einsprachiger Gesprächspartner anwesend ist, so dass die anderen Sprecher ihre andere(n) Sprache(n) so gut wie möglich deaktivieren und sich nur noch einer Sprache bedienen.[55] Bleiben beide Sprachen aktiv und wird eher zwischen den Sprachen gewechselt oder gemischt, spricht man von bilingualem Sprachmodus.

Neben Gumperz' Funktionen auf Diskursebene kann Code-Switching auch als Identitätsfunktion der Sprache dienen und ist somit gleichzeitig der Grund, weshalb Code-Switching überhaupt erst stattfindet.[56] [57] Man unterscheidet hierbei zwischen dem sogenannten 'we code' und 'they code', was bedeutet, dass eine Sprache jeweils einer anderen Identität zugehörig ist, entweder der Wir-Identität ('we-code1), oder der Sie- Identität ('they-code'), was folgendes Beispiel zeigt:

4. ,,Manchmal wenn ich deutschsprachige Bekannte treffe, spreche ich

deutsch, otherwise I speak only English (Clyne 2003:160)“ (Riehl, 2009: 26)

Deutsch ist bei diesem Beispiel der we-code und Englisch der they-code 5 Laut der von Gumperz durchgeführten Sprecherbefragungen werden mit dem we-code eher persönliche Aufforderungen, Involviertheit und persönliche Meinungen ausgedrückt, während der they-code bei objektiven Warnungen, Distanz zum Geschehen und allgemeinen Fakten benutzt wird.[58] Neben der Sprachwahl aus Identitätsgründen können hierbei die sprachliche Kompetenz und Inkompetenz der Empfänger und die sprachlichen Fertigkeiten der Sprecher festgestellt werden: In Fällen, in denen der we- code aus Identitätsgründen als Konversationssprache gewählt wird, obwohl sie die schwächere Sprache ist, kann es bei bestimmten Themen zum Wechsel in die dominantere Sprache kommen, um das Thema adäquat behandeln zu können, was in der vorher gewählten Konversationssprache nicht möglich gewesen wäre.[59] Oft wird das

Code-Switching an dieser Stelle kommentiert, beispielsweise mit Ich muss das jetzt auf

Deutsch sagen, weil ich nicht weiß, wie es auf Italienisch heißt. Der Sprecher markiert danach die Rückkehr zur Ausgangssprache, indem der letzte Satz in dieser Sprache wiederholt wird.[60] Auch die Reaktion des Empfängers auf dieses Code-Switching ist von Bedeutung: Greift er es auf oder kehrt er zur Ausgangssprache zurück?[61] Dies sind erneut Fragestellung auf Diskursebene, da die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer berücksichtigt wird und es hierbei zu interessanten Prozessen und wechselseitigen Anpassungen kommen kann.[62] Diese Anpassung (Akkommodation) wird in Kapitel 4.2 aufgegriffen und weitergeführt.

3.1.1.2 Nicht-funktionales Code-Switching

In Abgrenzung zum funktionalen Code-Switching ist das nicht-funktionale Code­Switching psycholinguistisch motiviert und betrachtet interne Prozesse der Sprachproduktion.[63] Der Sprachwechsel erfolgt unabsichtlich, oft korrigiert sich der Sprecher nach dem Code-Switching selbst, wie Riehl auf Seite 27 in „Sprachkontaktforschung. Eine Einführung“ mit einem Beispiel verdeutlicht:

5. „Da hängen dann die drogati 'rum (-) äh die Drogierten (-) oder wie sagt man auf Deutsch (--) Drogenabhängige. [Bsp. Südtirol, Sprecherin deutsch­italienisch]“

Hierbei handelt es sich um einen nicht-intendierten Sprachwechsel, ausgelöst durch bestimmte Wörter, die trigger-words genannt werden.[64] Diese sogenannten trigger- words können Eigennamen (6a), lexikalische Übernahmen (6b), bilinguale Homophone (6c) und aus der Kontaktsprache entlehnte Diskursmarker (6d) sein:

6. a) „Es war Mr Fred Burger, der wohnte da in Gnadenthal and he went out there one day and Mrs Roehr said to him (Clyne 1994:112) (s. bereits oben als Bsp. 1)“ (Riehl, 2009: 27)

b) „Соте che l'ha conosciuto su i film? Not in the films, are you, these pornographic films he gets in? (Bertoni, zit. Clyne 1991:194)“ (Riehl, 2009: 28)

c) „Dit kan [kan] be anywhere (Clyne 1991:194)“ (Riehl, 2009: 28)

d) „Wenn ich mich so fühle, geh' ich 'raus in den Garten und / well look after my flowers (Clyne 1991:194, vgl. o.)“ (Riehl, 2009: 29)

Wichtig ist zu erwähnen, dass nach einem trigger-word Code-Switching stattfinden kann und nicht muss - es erleichtert lediglich den Sprachwechsel, weswegen es auch in neueren Publikationen als facilitation (Erleichterung) bezeichnet wird. Es dient somit als Schnittstelle, nach der laut empirischen Untersuchungen mit einer hohen Prozentzahl Code-Switching erfolgt (im Falle von Niederländisch-Arabisch-Sprechern untersucht durch Broersma/de Bot im Jahr 2006 mit 12,3%).[65]

Die funktionale (soziolinguistische) und nicht-funktionale (psycholinguistische) Herangehensweise Sprachkontaktphänomene auf Diskursebene zu untersuchen wurde Mitte der 1970er Jahre, wie bereits erwähnt, von einer grammatischen Perspektive abgelöst.[66] Somit ergaben sich für das Code-Switching im Laufe der Forschung grammatische Bestimmungen und Beschränkungen auf verschiedenen Gestaltungsebenen, die im Folgenden erläutert werden sollen.

3.1.1.3 Grammatische Bestimmung und Beschränkungen von Code-Switching

Aus grammatischer Sicht bestanden bis Mitte der 1970er Jahre Zweifel, ob mehrsprachige Sprecher regelgeleitet mischen.[67] Vorherrschend war bis dahin die Annahme, dass es sich beim Mischen um eine Irregularität bei der Verwendung von zwei Sprachen handle.[68] Darauffolgende Studien widerlegten diese These, sie bestätigten ein regelgeleitetes Mischen und zeigten dann, dass „Sprachmischungen an ganz bestimmten Stellen im Satz vorkommen und es wurden Vorhersagen darüber gemacht, welche dieser Stellen einen grammatischen Mischpunkt darstellen (vgl. u.a. die Arbeiten von Timm 1975, Poplack 1980, DiSciullo, Muysken und Singh 1986, Belazi, Rubin und Toribio 1994)“ (Müller et al., 2007: 190). Hauptfrage der grammatischen Bestimmung von Code-Switching war also, an welchen Stellen einer Äußerung die Sprache gewechselt werden darf.[69] Das bereits erwähnte intersententielle und intrasententielle Code-Switching, d.h. ein häufiger Wechsel an Satzgrenzen oder nach Teilsätzen wurde somit definiert.[70] Des Weiteren wurden diese grammatischen Restriktionen in einer sogenannten „dritten Grammatik“ zusammengefasst, die sich nicht nach Regeln der involvierten Sprachen richtet, sondern eigene für das Code­Switching aufstellt.[71] Dieses Modell wurde wiederum in der Neuzeit angefochten, da für jedes Sprachpaar eine neue Grammatik entwickelt werden müsste und sie somit a) keine Allgemeingültigkeit besitzt und b) einem ökonomischen Sprachwechsel widerspricht.[72] Deswegen präsentiere MacSwan 1999 ein wesentlich ökonomischeres Modell, das ohne dritte Grammatik auskommt und aus dessen Überlegungen im heutigen Stand der Forschung Code-Switching so betrachtet wird, dass „der Sprachwechsel ausschließlich durch allgemeine Prinzipien und sprachspezifischen Eigenschaften der beteiligten Einzelsprachen reguliert wird und alle Sprachmischungen grammatisch sind, solange die sprachspezifischen Regularitäten der beiden Grammatiken nicht verletzt werden“ (Eichler, 2011: 46). Für das Code-Switching ergeben sich also die gleichen Mechanismen, die auch für die Grammatiken der involvierten Einzelsprachen benötigt werden.[73]

Bis zu dieser Definition von Eichler waren in der Literatur grammatische Restriktionen von Code-Switching vorherrschend, von denen die wichtigsten an dieser Stelle kurz angeschnitten werden sollen: „Equivalence Constraint“, „Free Morpheme Constraint“, „Governement Constraint“ und „Functional Head Constraint“

- Äquivalenzbedingung („Equivalence Constraint“)

Diese Restriktion wurde 1980 in Shana Poplacks Pionieraufsatz „Sometimes I'll start a sentence in English Y TERMINO EN ESPAÑOL “ begründet.[74] Nur wenn die lineare Abfolge der Konstituenten in beiden involvierten Sprachen äquivalent ist, ist der

Sprachwechsel möglich.[75] Die syntaktischen Strukturen der beiden Sprachen müssen also übereinstimmen, d.h. die Oberflächenstruktur der Sprachen muss gleich sein.[76] Müller et al. geben in „Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung“ auf Seite 192 folgende konstruierte Beispiele zur Verdeutlichung der Äquivalenzbedingung:

7. „die rote giacca (deutsches Äquivalent: die rote Jacke

Italienisches Äquivalent: la giacca rossa)“

8. „la borsa gelbe (deutsches Äquivalent: die gelbe Tasche

Italienisches Äquivalent: la borsa gialla)“

Nach Poplack wird die Äquivalenzbedingung in beiden Beispielen verletzt, dennoch werden solche Sprachmischungen bei mehrsprachigen Sprechern in der Spontansprache beobachtet.[77] Demzufolge trifft die Äquivalenzbedingung auf viel Kritik, so bemängeln Müller und Riemer beispielsweise die lineare Abfolge der Sprachelemente, wobei nach anderen Perspektiven eine hierarchische Struktur für grammatische Regularitäten gilt.[78] Ferner betrachtet diese Restriktion nur einen Sprachwechsel bei typologisch ähnlichen Sprachen.[79]

- Gemischte Morpheme müssen frei sein („Free Morpheme Constraint“)

Ebenfalls von Poplack definiert, gilt bei dieser Beschränkung die Bedingung, dass gemischte Morpheme frei sein müssen.[80] Die „Free Morpheme Constraint“ gilt auf Wortebene, innerhalb eines Wortes darf es also zu keinen Mischungen kommen.[81] Zur Veranschaulichung dieser Bedingungsmissachtung folgen an dieser Stelle erneut zwei konstruierte Beispiele aus „Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung“ von Müller et al. von Seite 193:

9. „Ich laufo“

10. „Siekochava“

Bei dieser Mischung aus italienischer Flexionsendung und deutschem Verbstamm ist es erneut umstritten, ob nach Poplack die Restriktion verletzt wurde und es sich nach ihrer Definition eindeutig um Entlehnung statt um Code-Switching handelt, oder ob beide Phänomene möglich seien.[82] Denn in der Spontansprache sind solche Mischungsarten erneut nachweisbar.[83] Poplacks Ansatz war in der Literatur der erste Versuch einer syntaktischen Erklärung für Sprachwechsel.[84]

- Rektionsbeschränkung („Governement Constraint“)

Nach Poplack befassten sich DiSciullo, Muysken und Singh 1986 mit einer strukturellen Beschränkung für Code-Switching.[85] Auf Grundlage der Rektionstheorie vertraten sie die Annahme, dass es eine strukturelle Beziehung zwischen dem Kopf einer Phrase und seinem Komplement gibt.[86] Eine Mischung ist nur möglich, wenn keine Rektionsbeziehung zwischen den Elementen besteht.[87] Demnach darf es keinen Wechsel zwischen dem regierenden und regierten Element geben, beispielsweise zwischen einem Verb und einem Objekt, einer Präposition und einer DP[88], oder zwischen einem Artikel und dem Nomen[89]. Auf Seite 194 von „Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung“ von Müller et al. finden sich folgende konstruierte ungrammatische Beispiele:

11. „Er isst la mela ,Erisstden Apfel.’“

12. „Lei ha comprato ein Fahrrad ,Sie hat ein Fahrrad gekauft.’“

Ist der Komplementierer in einer anderen Sprache als der eingebettete Satz, ist der Satz trotzdem grammatisch, solange der Komplementierer und das regierende Verb aus der gleichen Sprache stammen, wie das folgende Beispiel von Eichler aus „Code-Switching bei bilingual aufwachsenden Kindern“ auf Seite 40 zeigt:

13. ,,Ε l'altro dice come s'appelle“

- Funktionaler Kopf + sein Komplement („Functional Head Constraint“)

1994 haben Belazi, Rubin und Toribio Sprachmischungen zwischen einem funktionalen Kopf und seinem Komplement beschränkt.[90] So dürfen keine Sprachmischungen zwischen beispielsweise einem Determinierer und einem Nomen auftreten.[91] Ferner besteht bei dieser Restriktion ein zusätzliches Sprachmerkmal (language feature), das den Sprachwechsel abbricht, sollte ein funktionaler Kopf und sein Komplement nicht in der gleichen Sprache sein.[92] Anders als bei der Rektionsbedingung darf beim „Functional Head Constraint“ der Komplementierer nicht in derselben Sprache wie der Komplementsatz sein.[93] Demnach sind die beiden folgende Beispiele (erneut aus „Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung“ von Müller et al. auf Seite 194) ungrammatisch:

14. „Ho sentito che sie nicht da ist

,Ich habe gehört, dass sie nicht da ist.’“

15. „Ich hoffedass luimiascolti ,Ich hoffe dass er mir zuhört.’“

Grammatisch wären aber die beiden Beispiele von Eichler nach Belazi, Rubin und Toribio (1994:224) aus „Code-Switching bei bilingual aufwachsenden Kindern“ auf Seite 41, da wie gesagt funktionaler Kopf und Komplement aus der gleichen Sprache stammen:

16. „The professor said que el estudiante había recibido unaA“

17. „*Elprofesor dijo that the student had received an A“

Die vorangehenden Seiten haben das Sprachkontaktphänomen Code-Switching in seiner Definition und Funktion im Laufe der Forschung erläutert. Wie angeführt, gibt es eine funktionale/nicht-funktionale und eine grammatische Betrachtungsweise. Bei der grammatischen Betrachtungsweise wurden Restriktionen aufgestellt, die allerdings nicht unproblematisch sind.

Für die Corpusanalyse in dieser Arbeit stellen sich nun folgende Fragen: Mischen die Probanden stets funktional differenziert oder lassen sich auch nicht-funktionale Mischungen nach trigger-words feststellen? Findet situationelles und konversationelles Code-Switching im Rahmen einer Diskursstrategie statt? Wurden beim Mischen grammatische Restriktionen missachtet? Anders formuliert soll in der Corpusanalyse untersucht werden, ob die sich in der Literatur belegten Tendenzen auch an dieser Stelle bestätigen oder negieren lassen.

Wie in 3.1 angesprochen gibt es neben dem Code-Switching weitere Sprachkontaktphänomene, die im Folgenden behandelt werden.

3.1.2 Code-Mixing: Definitionen und Funktionen

Auch das Sprachkontaktphänomen Code-Mixing wurde im Laufe der Forschung von verschiedenen Wissenschaftlern definiert. Demnach finden sich in der Literatur unterschiedliche Bestimmungen. Eichler führt beispielsweise zwei Betrachtungsweisen für das Code-Mixing an: Laut ihr sind die Begriffe Code-Switching und Code-Mixing entweder gleichzusetzen, oder Code-Mixing umschreibt das Mischen bei Kindern im Verlauf des Spracherwerbs.[94] Da es sich bei den Probanden für diese Arbeit um Erwachsene handelt und der Begriff Code-Switching eingehend erläutert wurde, wird sich an dieser Stelle von Code-Mixing als Spracherwerb bei Kindern distanziert und auf weitere Definitionsversuche eingegangen. Demnach kann Code-Mixing auch als ein nicht regelhaftes Mischen definiert werden.[95] Eichler erläutert ebenfalls die Auffassung von Muysken aus dem Jahr 2000, laut der Code-Mixing in Abgrenzung zu Code­Switching, also das Alternieren mehrerer Sprachen innerhalb einer Unterhaltung, durch das Auftreten lexikalischer Items und grammatischer Merkmale zweier Sprache innerhalb einer einzigen Aussage gekennzeichnet ist.[96] Somit wird das Code-Mixing dem intrasentiellen Code-Switching gleichgesetzt, wovon für diese Arbeit insofern

Distanz genommen werden soll, dass Code-Mixing zwar intrasentiell stattfinden kann, dies aber innerhalb der Aussage unsystematisch erscheint. Der Hauptunterschied zwischen Code-Mixing und Code-Switching in dieser Arbeit soll also nicht die grammatikalische Schnittstelle (intrasentiell oder intersentiell) sein, sondern soll auf einem unsystematischen bzw. systematischen Mischen liegen.

Auch Krefeld setzt in „Einführung in die Migrationslinguistik“ den Fokus beim Code­Mixing auf ein scheinbar unsystematisches Mischen. Er sieht Code-Switching in seiner kommunikativen Funktionalität als kausal oder final plausibel, während das Code­Mixing funktional gar nicht oder nur kaum einsichtig erscheint.[97] Krefeld verwendet einen Auszug von Berruto (1999), um die beiden Begriffe zu differenzieren und das Code-Mixing zu erklären, wobei hier Code-Mixing wieder mit intrasentiellem Code­Switching gleichgesetzt wird:

„,Bisogna introdurre qui una distinzione terminologica-nozionale non sempre tenuta presente negli studi sul code-switching, ma concettualmente importante: quella fra commutazione di codice vera e propria ed enunciazione mistilingue (detta per lo più nella letteratura internazionale code-mixing, o anche intrasentential code-switching). Si ha propriamente enunciazione mistilingue quando il passaggio avviene all'interno di un singolo atto linguistico e una singola frase, e consiste nella formulazione di uno o più costituenti della frase in una lingua diversa da quella in cui la frase è stata iniziata, talché il risultato è una frase i cui costituenti appartengono a diversi sistemi linguistici. Normalmente è difficile assegnare un valore discorsivo o una funzione pragmatica a passaggi di questo genere, che non coincidono con un cambiamento nel flusso della situazione comunicativa e paiono dovuti semplicemente all'equiparabilità funzionale dei due diversi codici e all'interpenetrabilità della loro grammatica (Berruto 41999, 261f.)’“ (Krefeld, 2004: 91)

Man findet also keinen plausibel kommunikativen Grund oder keine pragmatische Funktion für den Wechsel in die andere Sprache beim Code-Mixing. Das Code-Mixing scheint einfach durch die funktionale und grammatische Ähnlichkeit der beiden Sprachen bestimmt zu sein (equiparabilità funzionale und interpenetrabilità della loro grammatica).

Weitere Definitionsversuche von Code-Mixing als unsystematische Mischform finden

sich bei Roche, der sich auf Auer beruft und Code-Mixing vom systematischen

Codewechsel abgrenzt und es als eine „beliebig und unsystematisch erscheinende Mischung verschiedener Sprachen, die keinem erkennbaren Muster folgt“ (Roche, 2013: 185) definiert.

Neben dem unsystematischen Fokus beruft sich Riehl auf die Definitionsversuche von Auer (1999) und Muysken (2000), laut denen von Code-Mixing zu sprechen ist, wenn beim Mischen nicht feststellbar ist, welche der beteiligten Sprachen als Matrix-Sprache anzusehen ist.[98] Ferner gilt Code-Mixing laut Clyne (2003) als Sprechstil, nach dem also bewusst oder unbewusst Identitätsmischungen ausgedrückt werden können.[99] Code­Mixing ist hier laut Riehl (2005) psychologisch motiviert und beschreibt einen gemeinsamen Speicher für Begriffe, der - wie schon beim Code-Switching - durch implizite Markierungen (Tagging) verdeutlicht wird.[100] Somit kann es wider grammatischer Restriktionen, wie sie für das Code-Switching aufgestellt wurden (vgl. 3.1.1.3), an allen möglichen Stellen innerhalb eines Gesprächs, beispielsweise innerhalb einer Nominalphrase zwischen Artikel und Nomen, zum Sprachwechsel kommen, und dies auch mehrfach innerhalb des Gesprächs.[101] Der kommunikative Aspekt spielt hierbei die größere Rolle: Der Sprecher verfolgt ein kommunikatives Ziel beim Wechsel innerhalb einer normalerweise zusammengehörigen Einheit.[102] Roche verweist in „Mehrsprachigkeitstheorie. Erwerb - Kognition - Transkulturation - Ökologie“ auf Seite 185f in einer Fußnote auf einen Auszug aus einem Interview von Pütz (2004), um dieses mehrfache und scheinbar diffuse Mischen zu verdeutlichen:

18. „,[...] wenn ich jetzt anfange um elf, dann ist es busy flat out sagen

wir mal bis um zwei Uhr half past two kommt drauf an, welche Tage es sind, Wochenende, Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sonntag immer sehr, sehrbusy [...] [A:34,17-24]’“

3.1.2.1 Klassifikationskriterien für Code-Mixing

Es handelt sich beim Code-Mixing also um diskursiv unvorhersehbare Mischkonstruktionen.[103] Von einer grammatischen Bestimmung, wie es im Laufe der Forschung für das Code-Switching unternommen wurde, ist an dieser Stelle also abzuraten, da das Code-Mixing, wie angeführt, keinen erkennbaren Mustern folgt und sowohl bewusst als auch unbewusst motiviert sein kann. Es lassen sich also unmöglich alle sprachlichen Elemente aufzählen, die beim Code-Mixing in die andere Sprache eingebettet werden können. Viel mehr stellt sich beim Code-Mixing die Frage, wie oft diese sprachlichen Mittel, also mit welchem Integrationsgrad, in der ein und selben Konstituente fixiert werden.[104] Hierfür gilt es laut Krefeld die folgenden drei Dimensionen zu beachten: das relative diskursive Gewicht, Mischung und Konstituenz und gegebenenfalls eine unbekannte 'unerhörte' Technik der Kodierung, die beim Sprachwechsel emergieren kann.[105] Für diese drei Dimensionen hat Krefeld für das Sprachpaar Italienisch-Deutsch die Frage nach Klassifikationskriterien und der Konstituenten, in die gemischt wird, folgende Belege und Tendenzen zusammengetragen:

- Das relative diskursive Gewicht

Bei der Gewichtsverteilung der beteiligten Sprachen stellt sich nach Krefeld folgende Frage: Wie oft kommt die andere Sprache in gemischten Äußerungen vor? Sind nur einzelne anderssprachige Elemente im sonst klar einzelsprachlich geprägten diskursiven Kontext eingefügt worden?[106] Wenn man diese Fragen zu beantworten versucht kann gegebenenfalls eine klare Dominanz einer einzigen Sprache (19a) festgestellt werden.[107] Verlässliche Indikatoren für die Beantwortung der Frage nach der dominierenden Sprache sind Präsenz und Frequenz von satzwertigen oder satzgrenzüberschreitenden Diskursanteilen (19b).

19. a) ,,KF 9: Eh eh eh sì, per fa la Kosmetikerin ci vuole il ehm il so'n Pass, ich glaub' per fare la, du musst halt in die neunte gehen, e se poi

[...]


[1] Agl. Weinreich, 1977: 15

[2] vgl. Bechert/Wildgen, 1991: 1

[3] vgl. Riehl, 2009: 11

[4] ebd.

[5] vgl. Bechert/Wildgen, 1991: 1

[6] vgl. Riehl, 2009: 11

[7] ebd.

[8] ebd.

[9] vgl. Bechert/Wildgen, 1991:4

[10] vgl. Weisgerber, 1996: 266

[11] vgl. Bechert/Wildgen, 1991:4

[12] vgl. Rindler Schjerve, 1998: 15

[13] ebd.

[14] vgl. Riehl, 2009: 15

[15] vgl. Rindler Schjerve, 1998: 15

[16] vgl. Weisgerber, 1996: 266

[17] ebd.

[18] vgl. Riehl, 2009: 16f

[19] vgl. Riehl, 2009: 17

[20] ebd.

[21] vgl. Weisgerber, 1996: 266

[22] vgl. Riehl, 2009: 17

[23] vgl. Bechert/Wildgen, 1991: 3f

[24] vgl. Rindler Schjerve, 1998: 15

[25] vgl. Bechert/Wildgen, 1991: 4

[26] ebd.

[27] ebd.

[28] vgl. Eichler, 2011: 27

[29] vgl. Müller/Kupisch/Schmitz/Cantone, 2007: 183

[30] vgl. Roche, 2013:182

[31] vgl. Riehl, 2009: 220f

[32] vgl. Eichler, 2011:28

[33] vgl. Riehl, 2009: 22

[34] vgl. Müller et al., 2007: 185

[35] vgl. Riehl, 2009: 22

[36] vgl. Riehl, 2009: 22

[37] vgl. Eichler, 2011: 31f

[38] vgl. Müller et al., 2007: 186

[39] ebd.

[40] ebd.

[41] vgl. Roche, 2013: 182f

[42] vgl. Riehl, 2009: 23

[43] vgl. Eichler, 2011:30

[44] ebd.

[45] vgl. Müller et al.,2007: 189

[46] vgl. Riehl, 2009: 23

[47] ebd.

[48] vgl. Riehl, 2009: 24

[49] vgl. Riehl, 2009: 24

[50] ebd.

[51] vgl. Riehl, 2009: 25

[52] vgl. Riehl, 2009: 25

[53] vgl. Riehl, 2009: 30

[54] ebd.

[55] ebd.

[56] vgl. Riehl, 2009: 26

[57] ebd.

[58] vgl. Riehl, 2009: 26

[59] ebd.

[60] ebd.

[61] ebd.

[62] vgl. Riehl, 2009: 27

[63] ebd.

[64] vgl. Riehl, 2009: 27

[65] vgl. Riehl, 2009: 29

[66] vgl. Müller et al., 2007: 190

[67] vgl. Müller et al., 2007: 190

[68] ebd.

[69] vgl. Eichler, 2011: 36

[70] vgl. Riehl, 2009: 31

[71] vgl. Eichler, 2011: 36

[72] vgl. Eichler, 2011: 45

[73] vgl. Mülleretal., 2007: 191

[74] vgl. Eichler, 2001: 37

[75] vgl. Müller et al., 2007: 192

[76] vgl. Eichler, 2011:38

[77] ebd.

[78] vgl. Müller et al., 2007: 192

[79] vgl. Eichler, 2011:38

[80] vgl. Müller et al., 2007: 193

[81] ebd.

[82] ebd.

[83] vgl. Eichler, 2011:39

[84] ebd.

[85] ebd.

[86] vgl. Müller et al., 2007: 193

[87] vgl. Eichler, 2011:39

[88] vgl. Eichler, 2011:39

[89] vgl. Müller et al., 2007: 194

[90] vgl. Eichler, 2011:41

[91] ebd.

[92] vgl. Müller et al., 2007: 194

[93] ebd.

[94] vgl. Eichler, 2011:29

[95] ebd.

[96] vgl. Eichler, 2011:31

[97] vgl. Krefeld, 2004: 127

[98] vgl. Riehl, 2009: 23

[99] vgl. Roche, 2013:185

[100] ebd.

[101] vgl. Roche, 2013:186

[102] ebd.

[103] vgl. Krefeld, 2004: 99

[104] ebd.

[105] vgl. Krefeld, 2004: 99ff

[106] vgl. Krefeld, 2004: 99

[107] vgl. Krefeld, 2004: 100

Fin de l'extrait de 103 pages

Résumé des informations

Titre
Fragen von Interferenz und Code-Switching beim Sprachkontakt zwischen Deutsch und italienischen Varietäten
Université
Saarland University  (Dolmetscherinstitut - FR 4.6 Angewandte Sprachwissenschaft sowie Übersetzen und Dolmetschen)
Cours
Translationswissenschaft, Sprachkontaktforschung
Note
1,7
Auteur
Année
2014
Pages
103
N° de catalogue
V286178
ISBN (ebook)
9783656862680
ISBN (Livre)
9783656862697
Taille d'un fichier
839 KB
Langue
allemand
Annotations
Masterarbeit zum Thema Sprachkontaktforschung. Die Arbeit besteht aus einem fundierten Theorieteil und eine empirischen Analyse, die ich mit Hilfe von Probanden durchgeführt habe (sog. teilnehmende Beobachtung). Die untersuchten Sprachen sind Deutsch, Italienisch und eine Varietät des Italienischen, das sogenannte Malitano (ein Dialekt aus der Region Kalabrien).
Mots clés
Sprachkontaktforschung, Sprachwissenschaft, Sprache, Sprach-, Code-Switching, Code-Mixing, Interferenz, Transfer, Sprachkontakt, Migration, italienisch, deutsch, Sprachkontaktphänomene, Identität, Übersetzen, Dolmetschen, Translation, Translationswissenschaft, Varietät, Varietätenkontakt, Gradata, Dialekt, italienischer Dialekt, Kalabrien, Kalabresisch, teilnehmende Beobachtung, Einsprachigkeit, Diglossie, Triglossie, Domänen, H-Varietät, L-Varietät, we-code, they-code, Akkommodation, Zweisprachigkeit, Bilingualismus, Mehrsprachigkeit, Sprachwechsel, Kontaktphänomen, Isolationsphänomen, Alternation, Insertion, kongruente Lexikalisierung, Matrix-Sprache, Matrixsprache, Kontextualisierungshinweise, Sprachmodus, monolingual, bilingual, Equivalence Constraint“
Citation du texte
Carmen Mamiani (Auteur), 2014, Fragen von Interferenz und Code-Switching beim Sprachkontakt zwischen Deutsch und italienischen Varietäten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286178

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