Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Philosophie Ferrainolas’
2. Die Voraussetzungen in der amerikanischen Gesellschaft
3. Die Praxis in Glen-Mills und die Konfrontation
4. Deutsche Bedenken an Glenn-Mills
Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
Einleitung
Die Glen Mills Schools ist eine private, offene und stationäre Einrichtung in Philadelphia/ USA. Sie sind die älteste, heute noch bestehende ‚Jugend-Verbesserungs-Anstalt’ der Vereinigten Staaten. Sie ist unabhängig und eine gemeinnützige Stiftung in der Form eines Internates (vgl. Colla 2001: 56).
Sie beherbergt delinquente, gewalt- und gangorientierte jugendliche Wiederholungstäter aus New York, Washington, Baltimore und Philadelphia, die hier nicht negativ ‚gelabelt’ werden, sondern ‚normale’ ‚students’ sind. Diese Mehrfachtäter sind aggressiv-manipulativ und subkulturell engagiert (Weidner 2001a: 129).
Weidner beschreibt die Schools als eine Art Mischung „aus komfortablem, lern- und ausbildungsorientierten Universitäts-Campus und strukturiertem Alltag einer deutschen Sozialtherapie“ (Weidner 2001b: 22). Die Schule versteht sich nach dem Motto „Service to the Youth since 1826“ als Dienstleistungsanbieter für über 980 Täter, die von den Gerichten zugewiesen wurden (vgl. ebd.: 57).
Ziel dieser Anstalt ist die „Transformation vorinstitutioneller Verhaltensstandards in den institutionellen Alltag“ (Weidner 1986: 50). Dies geschieht durch die Neuorganisation der Gang-Strukturen.
Weidner selber lernte den Alltag in Glen Mills durch ein Universitäts-Praktikum im Jahre 1984/ 1985 für sechs Monate kennen (es folgten auch einige Studenten von ihm; Förster/ Schäfer 1999). Dort konnte er „24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche ... umfassende Erfahrungen mit der GM-Alltagspraxis sammeln“ (Weidner 2001b: 23).
Er zeigt, dass die am Anfang der 80er Jahre thematisierte Konfrontationspraxis, wie sie hier auch dargestellt werden soll, bis hin zur Jahrtausendwende deutlich verringert werden konnte, da die Normen in dieser Schule bis dahin schon in den Köpfen der Schüler und Sozialarbeiter solide implementiert sind. Denn bereits erfahrene students vermitteln die Normen relativ konfliktfrei und erfolgreich an die Neuen. Jedoch wird betont, dass dies ohne die engagierte Arbeit der 80er Jahre nicht möglich gewesen wäre. Deswegen scheint es wichtig für das Verständnis der Gegenwart die Behandlungs-Prozesse der 80er zu hinterleuchten (vgl. ebd.). Der geistige Vater dieser Behandlungsprozesse ist Dr. C. D. Ferrainola, dem Colla, Scholz und Weidner auch ihr Buch „Konfrontative Pädagogik – Das Glen Mills Experiment“ widmen.
1. Die Philosophie Ferrainolas’
„Dieses Buch ist dem Gründer der Glen Mills Schools gewidmet, Dr. C. D. Ferrainola der mit Leidenschaft und langem Atem, auch im Amerika des »zero tolerance«, seiner
Lebensmaxime treu geblieben ist: »There is no bad boy! «” (Colla, Scholz, Weidner 2001).
Mit dieser Lebensmaxime könnte man auch die Philosophie Ferrainolas zusammenfassen und auf den Punkt bringen.
Ferrainola stellt die Charakteristika seiner Glen Mills Schools sehr anschaulich in einem sozialwissenschaftlichen Modell dem der beaufsichtigten und klinischen ‚Normaltypen’ gegenüber (vgl. Ferrainola 1999):
Beaufsichtigend/ klinisch:
1. Jugenddelinquenz ist kein normales Verhalten
2. Reagiert auf Delinquenz als psychiatrisches Syndrom
3. Das Modell betont familiäre Dysfunktionen, frühe
Soziologisches Modell:
1. Jugenddelinquenz ist normales Verhalten
2. Reagiert auf Delinquenz als soziale Erscheinung
3. Das Modell betont die Verhaltensveränderung und die Entwicklungsstörungen und psychosoziale Probleme
4. Der Charakter des Jugendlichen wird als grundsätzlich deviant angesehen
5. Individuelle Schwerpunktsetzung: Änderung des Verhaltens durch Veränderung der Persönlichkeit
6. Betonung der Eins-zu-Eins-Betreuung
7. Professionelle Mitarbeiter haben die entscheidende Behandlungskompetenz, Gruppenerzieher sind ausführende Organe
8. Familie, Schule, Erzieher, Eltern, Gesetzgeber, Richter werden für die Unfähigkeiten des Jugendlichen, lebenspraktische Fähigkeiten zu verändern, auszureifen und zu entwickeln, verantwortlich gemacht
9. Geschlossene Einrichtungen, medikamentöse Behandlung, Eins-zu-Eins-Betreuung dienen zur Verhaltenskontrolle
10. Dem Schutz des Jugendlichen in der Gruppe wird nicht nachdrücklich genug begegnet. Daraus resultiert eine Straßenkultur der Einschüchterungen, Betrügereien, Körperverletzungen und Stehlereien
11. Da sich die Grundannahmen als fehlerhaft erweisen, setzen sich die Probleme fort und werden größer. Die Leiter der traditionellen sozialen Dienstleistungsorganisationen fordern beständig mehr Geld, um immer mehr das zu tun, was nicht funktioniert Entwicklung lebenspraktischer Fähigkeiten
4. Der Jugendliche wird grundsätzlich gut und respektierungswürdig angesehen
5. Das System betont die allmähliche Persönlichkeitsveränderung durch Verhaltensveränderung
6. Betonung der Gruppenverhaltenskultur (Gruppennormenkultur)
7. Gruppenerzieher sind für das Gruppenleben und die Entwicklung von Fähigkeiten verantwortlich. Spezialisten werden nur dann hinzugezogen, wenn sie durch das Gruppenteam angefragt werden.
8. Der Jugendliche, die Erzieher und das Programm sind gemeinsam verantwortlich (nur das Programm und seine Ausführenden können gemeinsam versagen)
9. Peergruppendruck, Belohnungen und abwechslungsreiche Programmgestaltung dienen der Verhaltensveränderung
10. Inneren Systemen für eine sichere Umgebung wird große Aufmerksamkeit gewidmet
11. Benötigt keine bezahlten
Sicherheitsabteilungen und noch mehr professionelle Mitarbeiter. Das Modell operiert effizient mit einem Tagessatz, der weit unter dem des anderen Programmes liegt.
12. Betrachtet Beaufsichtigung und geschlossene Gruppen als notwendig für die Sicherheit
12. Sieht Beaufsichtigung und geschlossene Gruppen als Sicherheitshindernis an
Er sagt , dass es offensichtlich ist, dass die beaufsichtigten und klinischen Modelle der 50er Jahre „nicht funktioniert haben, nicht funktionieren und nicht funktionieren werden“. In seinem entgegengesetzten Soziologischem Modell sieht er ein funktionierendes und weitgehend billigeres System, was seiner Meinung nach durchaus positive Ergebnisse erzielt (vgl. Ferrainola 1999).
Ferrainola gab das, bis dahin in Glen Mills dominierende, klinische Modell deswegen 1976 auf und installierte das Soziologische.
Eine weitere Maxime von ihm ist, dass von einer solchen Erziehungs-Einrichtung nicht weniger erwartet werden muss, als von der Harvard-Universität, deren Studiengebühren im Gegensatz zu den Unterbringungskosten als Kleingeld erscheinen. Das scheint ihm auch der Grund, warum seine Schüler „mehr Selbstdisziplin haben, höflicher, gepflegter und stolzer als die meisten Gruppierungen junger Menschen in regulären Schulen“ (Weidner 2001b: 22) sind.
Das Erziehungsziel in Glen Mills ist, prosoziales, leistungsorientiertes und gesetzestreues Verhalten. Dabei soll vor allem der ‚american way of life’ näher gebracht werden.
Um diese Dinge zu erreichen hat die Institution folgende Rahmenprinzipien (vgl a. ebd.:23):
1. Sie bevorzugt eher Luxus als Kargheit, damit die Jugendlichen sich mit bestimmten Werte-Symbolen umgeben können, deren Nicht-Besitz sie vorher zu einer solchen Karriere gebracht hat.
2. Es wird eine Vielfalt an Programm geboten, damit die Jugendlichen nie dazu kommen über falsche Dinge nachzudenken.
3. Es werden sehr gute Schul-, Ausbildungs- und Studienbedingungen geboten, damit eine ‚normale’ soziale Bildung möglich wird und die Voraussetzung für eine erfolgreiche Resozialisierung geschafft werden kann.
4. Es gelten bestimmte Verhaltensregeln bei Konflikten, die Mobbing und Schlägereien verhindern.
5. Für die Mitarbeiter gelten abgestimmte Regeln, damit es nicht individuell-professionelle Unterschiede gibt. Sie müssen sich also der Institution, genau so wie die Jugendlichen, unterordnen.
6. Es findet kein Labeling statt und die Vergangenheit wird aufgearbeitet, sondern es in der Gegenwart und für die Zukunft gelebt.
7. Es wird ein subkulturfreies Milieu geboten, damit antisoziales Verhalten kontrolliert werden kann. Außerdem findet dazu noch eine systematische Modellierung der Gleichaltrigengruppenkultur statt.
8. Die Behandlung zielt auf eine Anpassung der institutionellen Werte und Normen ab, um im besten Falle, über eine Identifikation derselben, eine Internalisierung der amerikanischen Gesellschaftsstrukturen zu erreichen.
Zu diesen ganzen Punkten ist anzumerken, dass sie speziell auf diese aggressiven, manipulativen, antisozialen, gruppenorientierten, delinquenten Jugendlichen ausgelegt sind. Das heißt, dass das ganze Programm delikt- bzw. defizitspezifisch ausgelegt ist.
Was Weidner auch dazu bringt das Konzept näher zu hinterleuchten ist, dass auch die meisten deutschen Mehrfachtäter den vorher genannten Attributen entsprechen (vgl. ebd.). Trotzdem ist es nicht so einfach, wie man im ersten Moment bei einem erfolgreichen Projekt vielleicht denkt, diese Punkte in ein deutsches System einzubetten (vgl. hierzu u. a. DJI 2002).
2. Die Voraussetzungen in der amerikanischen Gesellschaft
Die Voraussetzungen in der amerikanischen Gesellschaft sind grundsätzlich andere als im westlichen Europa und besonders in Deutschland. In Amerika gilt in manchen Bundesstaaten heute noch die Todesstrafe und Bootcamps werden in manchen Städten als Prestige-Objekte angesehen. In Amerika geht der Trend in Richtung einer härteren Konfrontation mit Straftätern und somit ist man autoritativen Erziehungsmethoden von vornherein auch nicht abgeneigt.
Dennoch ist auch Glen Mills in den USA eine Institution die aus dem ‚main-stream’ ausbricht und sich gegen ihn behauptet.
In den USA sitzen mehr Gefangene in Gefängnissen ein, als in fast jedem anderen Land der Welt. 725 von 100.000 oder auch 29 von 4.000 Amerikanern sitzen in Gefängnissen ein. Insgesamt etwa über zwei Millionen Strafgefangene. In Deutschland sind es pro 100.000 Einwohner etwa 90 Gefangene oder auch 9 von 10.000 Deutschen (vgl. Colla 2001: 55 f.).
Hier werden für die Strafjustiz viel mehr Gelder ausgegeben, als für das ganze soziale Netz und die Präventionsprogramme. Im Vergleich werden mit 41 Milliarden Dollar für 2 Millionen Häftlinge ca. 50% mehr ausgegeben, als für 8,5 Millionen Sozialhilfeempfänger. Seit 1995 wird außerdem mehr Geld in den Aufbau von Gefängnissen gesteckt, als in den von Schulen und Universitäten (vgl. ebd.).
Polsky formuliert es wohl treffend wenn er sagt „Sperrt sie ein und schmeißt den Schlüssel weg“ (Polsky zitiert ebd.: 56).
In vielen Bundesstaaten wird sogar auf die vollständige Trennung von jugendlichen und erwachsenen Straftätern verzichtet. Bei den Rehabilitationsprogrammen wird meistens die Ineffektivität und das Kostenargument ins Feld geführt, während eine andere Gruppe sagt, dass der Jugendvollzug hauptsächlich von Interessengruppen eingerichtet worden sei, die die Jugendlichen bevormunden wollten. Dies entspreche nicht dem heutigen Zeitgeist.
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