Entwicklung eines Reifegradmodells für das klinische Risikomanagement in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen


Tesis de Máster, 2014

97 Páginas, Calificación: 1,5


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen der Arbeit
1.3 Forschungsdesign der Arbeit
1.3.1 Wissenschaftstheoretische Einordnung
1.3.2 Methodisches Vorgehen
1.3.3 Aufbau der Arbeit

2 Konzeptionelle Grundlagen
2.1 Kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen
2.2 Einführende Betrachtungen zu Modellen

3 Gestaltungsrahmen des Klinischen Risikomanagements
3.1 Grundverständnis von Risiko
3.1.1 Abgrenzung von Gefährdung, Risiko und Sicherheit
3.1.2 Grundarten von Risiken in Gesundheitsorganisationen
3.1.3 Zusammenhang zwischen Risiken und Patientensicherheit
3.2 Grundverständnis von klinischem Risikomanagement
3.2.1 Klinisches Risikomanagement als Begriff
3.2.2 Nutzen des modernen klinischen Risikomanagements
3.2.3 Entwicklungsstand des klinischen Risikomanagements
3.2.4 Ordnungspolitischer Rahmen
3.3 Referenzmodelle für das Risikomanagement
3.3.1 Grundverständnis für Referenzmodelle
3.3.2 Normenfamilie – ISO 31000
3.3.3 Normenfamilie – ONR 49000
3.3.4 DIN EN 15224
3.4 Zusammenfassung des Kapitels 3

4 Theoretische Grundlagen zu Reifegradmodellen
4.1 Grundverständnis über Reifegradmodelle
4.1.1 Begriff ‚Reifegradmodell‘
4.1.2 Abgrenzung – Reifegradmodell und Punktbewertungsmodell
4.1.3 Struktur von Reifegradmodellen
4.1.4 Ziele und Nutzen von Reifegradmodellen
4.1.5 Erhebungsmethoden für die Kompetenzmessung
4.2 Namhafte Vertreter von Reifegradmodellen
4.2.1 Historischer Abriss zur Entstehung von Reifegradmodellen
4.2.2 DIN EN ISO 9004
4.2.3 Capability Maturity Model Integration for Services
4.2.4 Normenfamilie – DIN ISO/IEC 15504
4.3 Zusammenfassung des Kapitels 4

5 Ausgestaltung des Reifegradmodells
5.1 Festlegung der Entwicklungsstrategie
5.2 Allgemeine Beschreibung des Reifegradmodells
5.2.1 Verwendungszweck des Modells
5.2.2 Anwendungsbereich des Modells
5.2.3 Anforderungen an das Modell aus Anwendersicht
5.2.4 Allgemeine Architektur des Modells
5.2.5 Zusammenfassung der allgemeinen Modellbeschreibung
5.3 Beschreibung des Vorgehens zur Modellausgestaltung
5.4 Referenzen für das Modell
5.5 Themenkatalog für das Modell
5.5.1 Anforderungen an den Katalog
5.5.2 Elemente im Katalog
5.5.3 Darstellung der Elemente im Katalog
5.5.4 Anforderungen an die Gestaltungsdimensionen
5.5.5 Bestimmung der Gestaltungsdimensionen
5.5.6 Bestimmung der Gestaltungskriterien
5.5.7 Ergebnis der Konzeption
5.6 Rahmenwerk zur Kompetenzmessung
5.6.1 Festlegung der Fähigkeitsgrade
5.6.2 Bestimmung des Fähigkeitsgrads
5.6.3 Festlegung der Reifegrade
5.6.4 Bestimmung des Reifegrades
5.7 Softwarebasierte Umsetzung des Modells
5.8 Fazit zum ausgestalteten Modell
5.8.1 Zusammenfassung der konkreten Modellbeschreibung
5.8.2 Erfüllung der Anforderungen an die Modellbildung
5.9 Zusammenfassung des Kapitels 5

6 Validierung des entwickelten Reifegradmodells
6.1 Pilotanwendung in einer Gesundheitsorganisation
6.1.1 Gültigkeit der Organisation für die Validierung des Modells
6.1.2 Fokus der Anwendung des Reifegradmodells
6.1.3 Ergebnisse der Anwendung des Reifegradmodells
6.2 Erfüllung der Anforderungen aus Anwendersicht
6.3 Anpassungen im entwickelten Reifegradmodell
6.4 Zusammenfassung des Kapitels 6

7 Zusammenfassung und Ausblick
7.1 Zusammenfassung
7.2 Ausblick

8 Anhang

8.1 Themenkatalog des kliRisk-Reifegradmodells

9 Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vorgehen nach Becker et al.

Abbildung 2: Eigenes Vorgehen der Modellentwicklung

Abbildung 3: Aufbau der Arbeit

Abbildung 4: Klassische Funktionsbereiche und Grundarten von Risiken

Abbildung 5: Risikoreduzierung durch Strategien der Risikobewältigung

Abbildung 6: Generische Struktur eines Kompetenzmodells

Abbildung 7: Stufenförmiger Entwicklungsprozess der Reife

Abbildung 8: Gegenüberstellung der Darstellungsvarianten in CMMI

Abbildung 9: Allgemeine Architektur des kliRisk-Reifegradmodells

Abbildung 10: Beschreibung des Vorgehens zur Modellausgestaltung

Abbildung 11: Grundstruktur zur Beschreibung der Elemente

Abbildung 12: Screenshot des Softwaretools - Fragebogen

Abbildung 13: Screenshot des Softwaretools - Darstellung der Reifegrade

Abbildung 14: Ergebnis der Reifebestimmung in der physiotherapeutischen Praxis

Coverbild: © gpointstudio - Fotolia.com

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Phasen im Vorgehen nach de Bruin et al.

Tabelle 2: Anforderungen an die Modellentwicklung nach Becker et al.

Tabelle 3: Definition für kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen

Tabelle 4: Beispiele für kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen

Tabelle 5: Zusammenfassung und Zuordnung des Entwicklungsstandes

Tabelle 6: Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses

Tabelle 7: Gegenüberstellung Reifegradmodell und Punktbewertungsmodell

Tabelle 8: Gegenüberstellung von Assessment und Audit

Tabelle 9: Entwicklungsstrategie für das vorliegende Reifegradmodell

Tabelle 10: Allgemeine Merkmale des kliRisk-Reifegradmodells

Tabelle 11: Elemente im Themenkatalog

Tabelle 12: Determinanten des klinischen Risikomanagements

Tabelle 13: Gestaltungsdimensionen im kliRisk-Reifegradmodell

Tabelle 14: Gestaltungsdimension „Mitarbeiter“

Tabelle 15: Bewertungssätze der Merkmalsausprägungen

Tabelle 16: Reifegrade im kliRisk-Reifegradmodell

Tabelle 17: Matrix zur Bestimmung des Reifegrades

Tabelle 18: Konkrete Merkmale des kliRisk-Reifegradmodells

Tabelle 19: Erfüllung der Anforderungen an die Modellbildung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Klinisches Risikomanagement – rückblickend lernen,gegenwärtig handeln, vorausschauend planen.1

1.1 Problemstellung

Mit der Gesundheitsversorgung sind stets klinische Risiken verbunden. Diese sind einerseits eng mit der gesundheitlichen Konstitution des Leistungsempfängers verknüpft und resultieren andererseits aus den Rahmenbedingungen sowie der Dienstleistungserbringung an sich. Infolge dieser klinischen Risiken können unerwünschte Ereignisse in der Gesundheitsversorgung auftreten. Von diesen werden einige als vermeidbar angesehen. Allerdings existieren im deutschen Gesundheitswesen keine genauen Zahlen und weitere Angaben, sondern lediglich Schätzungen über die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse.2

Als wichtigste Methode zur Reduzierung der Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen in der Gesundheitsversorgung gilt das klinische Risikomanagement, auch wenn es nicht vollkommen vor klinischen Risiken schützen kann. Jedoch ist ein klinisches Risikomanagement für viele Gesundheitsorganisationen noch längst keine Selbstverständlichkeit. Eine aktuelle Studie des Instituts für Patientensicherheit untersuchte den Entwicklungsstand des klinischen Risikomanagements in deutschen Krankenhäusern. Es zeigte sich, dass das Thema in deutschen Krankenhäusern durchaus auf der Tagesordnung steht, dass sich aber das klinische Risikomanagement erst in der Entwicklungs- und Implementierungsphase befindet. Wie es mit dem Entwicklungsstand in den anderen Sektoren der Gesundheitsversorgung aussieht, ist aufgrund fehlender Daten unklar.

Es ist davon auszugehen, dass Gesundheitsorganisationen bereits mehr oder weniger bewusste Praktiken zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen während der Gesundheitsversorgung nutzen, ohne dass diese unter dem Begriff „Klinisches Risikomanagement“ zusammengefasst werden. Diese Praktiken sind vom traditionellen Verständnis für das klinische Risikomanagement geprägt.

Das traditionelle Verständnis zeigt sich insbesondere in der weiten Verbreitung von Berichtssystemen für unerwünschte Ereignisse (Critical Incident Reporting System). Neben freiwilligen Berichtssystemen, in denen unerwünschte Ereignisse der Gesundheitsversorgung gemeldet werden können, gibt es auch gesetzlich begründete. Ein Beispiel hierfür ist die Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten.3 Nach § 3 dieser Verordnung sind Anwender und Betreiber von Medizinprodukten verpflichtet, aufgetretene Vorkommnisse der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden. Unabhängig davon, ob das Berichtssystem freiwillig oder gesetzlich begründet ist, ist die Zielstellung gleich. Aus den unerwünschten Ereignissen, die in der Vergangenheit eingetreten sind und über die Bericht erstattet wurde, soll Wissen generiert werden, um zukünftig klinische Risiken in der Gesundheitsversorgung zu bewältigen.

Das Schwinden der Akzeptanz auf breiter Basis, erst nach Eintritt von unerwünschten Ereignissen zu handeln, hat zu einem Paradigmenwechsel im klinischen Risikomanagement geführt, vom traditionell reaktiven hin zum modernen proaktiven.

Ein modernes Verständnis des klinischen Risikomanagements beinhaltet nicht nur Berichtssysteme über eingetretene unerwünschte Ereignisse, sondern insbesondere auch Methoden zur frühzeitigen Identifizierung und Analyse von klinischen Risiken. Infolge dessen können präventive Handlungen vorgenommen werden, die die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen verringern oder deren Eintreten vermeiden. Ein derartiges ganzheitliches Risikomanagement gewinnt zunehmend als Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor an Bedeutung. Zum Beispiel fordern Versicherungsgesellschaften zunehmend von Gesundheitsorganisationen vor Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung den Nachweis eines modernen Risikomanagements.4

Ordnungspolitisch unterstreicht das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten5 den Paradigmenwechsel im kurativen Sektor des deutschen Gesundheitswesens. Das Gesetz hat zu einer deutlichen Ausweitung und Präzisierung der Anforderungen an das klinische Risikomanagement in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement geführt. Zum Beispiel war in der ersten Version der Qualitätsmanagement-Richtlinie für die vertragsärztliche Versorgung6 (aus dem Jahre 2005) nur allgemein vom „Erkennen und Nutzen von Fehlern und Beinahefehlern zur Einleitung von Verbesserungsprozessen“ die Rede, in der aktuellen Fassung hingegen werden „Festlegungen zum Umgang mit Risiken und sicherheitsrelevanten Ereignissen“ gefordert.

Allerdings erfordert der Paradigmenwechsel – vom traditionellen hin zu einem modernen klinischen Risikomanagement – zusätzliche Ressourcen in den Gesundheitsorganisationen. Insbesondere in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen sind diese aber nur beschränkt vorhanden. Es gilt daher, anhand des bereits vorhandenen Entwicklungsstandes die Reife des klinischen Risikomanagements zu ermitteln, um die bereits bestehenden und bewährten Praktiken zu bewahren und die Ressourcen auf die systematische Weiterentwicklung auszurichten. Für die verlässliche Ermittlung der gegenwärtigen Reife eines Betrachtungsobjektes haben sich Reifegradmodelle seit Jahrzehnten als geeignete Diagnoseinstrumente bewährt; sie leisten wertvolle Unterstützung bei der Entwicklung von Organisationen.

Trotz der Vielzahl existierender Reifegradmodelle gibt es gegenwärtig kein in sich geschlossenes Modell, das eine Erhebung der momentanen Reife des klinischen Risikomanagements ermöglicht. Es gilt daher, ein anwendungsspezifisches Reifegradmodell zu entwickeln.

1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen der Arbeit

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines domänenspezifischen Reifegradmodells zur Bewertung der momentanen Reife des klinischen Risikomanagements. Dieses Modell soll insbesondere auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Gesundheitsorganisationen zugeschnitten sein.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst der Begriff ‚kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen‘ zu bestimmen.

Im Rahmen der Arbeit ist aufbauend die Frage zu beantworten, auf welchen Betrachtungsfokus klinisches Risikomanagement ausgerichtet ist. Die Forschungsfrage zu diesem Punkt lautet:

Die Bewertung der Reife des klinischen Risikomanagements muss sich nach der Erfüllung ordnungspolitischer Anforderungen richten. Entsprechend gilt es der folgenden Forschungsfrage nachzugehen:

Im Hinblick auf die Entwicklung des Reifegradmodells greift die vorliegende Arbeit inhaltlich auf anerkannte, allgemeingültige Referenzmodelle zum Risikomanagement zurück. Die Forschungsfrage lautet:

Zum anderen werden etablierte Reifegradmodelle, die in anderen Domänen etabliert sind, in der vorliegenden Arbeit als methodische Grundlage für die Entwicklung des domänenspezifischen Reifegradmodells herangezogen. In Anbetracht dessen ist folgende Forschungsfrage zu beantworten:

Zentrale Forschungsfrage

Die Fragestellung, wie die Reife des klinischen Risikomanagements in Gesundheitsorganisationen generell zu messen ist, wurde in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht erforscht. Demzufolge soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten. Bei der Gestaltung des Reifegradmodells soll auf die explizite Anwendbarkeit in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen geachtet werden. Aufbauend auf den vorangestellten Fragestellungen lautet die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit:

Unabhängig von dem Anwendungsfokus des zu entwickelnden Reifegradmodells (Anwendbarkeit explizit auf kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen) gilt es, die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit nach Möglichkeit auch in großen Gesundheitsorganisationen zu nutzen.

1.3 Forschungsdesign der Arbeit

Ein wesentlicher Kritikpunkt bei der Entwicklung von Reifegradmodellen stellt die unzureichende wissenschaftliche Dokumentation der ursächlichen Rahmenbedingungen und des Entwicklungsprozesses dar.7 Durch das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit wird einer solchen Kritik entgegengetreten.

1.3.1 Wissenschaftstheoretische Einordnung

Eine wissenschaftstheoretische Einordnung lässt sich hinsichtlich des Erkenntnisobjektes vornehmen. In dieser Arbeit handelt es sich bei dem Erkenntnisobjekt um das Artefakt ‚Reifegradmodell für das klinische Risikomanagement in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen‘.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit zur konstruktionsorientierten Forschung. Ein derartiger Forschungsansatz ist insbesondere in der Wirtschaftsinformatik weit verbreitet und als wissenschaftliche Methode anerkannt. Im Gegensatz zur klassischen behavioristischen Forschung, die Hypothesen auf Wahrheit prüft, ist das Ziel der konstruktionsorientierten Forschung, nützliche Artefakte für Organisationen zu schaffen.8

1.3.2 Methodisches Vorgehen

Das methodische Vorgehen für die vorliegende Arbeit soll sich an einer anerkannten Vorgehensweise zur Entwicklung von Reifegradmodellen orientieren.

In der wissenschaftlichen Literatur konnten drei Vorgehensweisen zur Entwicklung von Reifegradmodellen identifiziert werden. Da jede dieser Vor- und Nachteile hat, muss bezüglich des methodischen Vorgehens in der vorliegenden Arbeit eine Entscheidung getroffen werden, welches Vorgehen angewendet wird. Hierzu werden die identifizierten Vorgehensweisen untersucht, um im Anschluss eine Entscheidung über das anzuwendende Vorgehen zu treffen.

Vorgehen nach de Bruin, Rosemann, Freeze und Kulkarni

Das Vorgehen nach de Bruin et al. – erstmals veröffentlicht im Jahre 2005 – weist in der Literatur einen sehr hohen Bekanntheitsgrad auf. Es entstand unter anderem im Rahmen der Entwicklung des Business Process Maturity Model (BPMM). Die Entwicklung eines Reifegradmodells wird in sechs seriellen Phasen beschrieben, die nachfolgend kurz vorgestellt werden:9

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Phasen im Vorgehen nach de Bruin et al.

Quelle: Eigene Darstellung.

Vorgehen nach Becker, Knackstedt und Pöppelbuß

Das Vorgehen nach Becker et al. – veröffentlicht im Jahre 2009 – baut auf dem konstruktionsorientierten Forschungsansatz (Design Science) und den zugehörigen Forschungsrichtlinien (Design Science Research Guidelines) auf. Die Erkenntnisse für das Vorgehen beruhen auf der Entwicklung des IT Performance Measurement Maturity Model (ITPM3).10

Im Vorgehen zur Modellentwicklung werden acht Phasen unterschieden, die nachfolgend abgebildet sind. In der Darstellung sind neben den Phasen auch die acht Anforderungen festgehalten, die im Rahmen der Modellentwicklung zu berücksichtigen sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Vorgehen nach Becker et al.

Quelle: Becker, J., Knackstedt, R., Pöppelbuß, J. (2009b). S. 254.

Wie bereits erwähnt, definiert das Vorgehen nach Becker et al. acht Anforderungen, die im Rahmen der Modellentwicklung zu berücksichtigen sind. Diese leiten sich aus den Design Science Research Guidelines ab. In der folgenden Tabelle sind die Anforderungen überblicksartig aufgeführt.11

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Anforderungen an die Modellentwicklung nach Becker et al.

Quelle: Eigene Darstellung.

Vorgehen nach Mettler

Das Vorgehen nach Mettler – veröffentlich im Jahre 2010 – beruht auf den Erkenntnissen seiner Dissertation, die sich der Konstruktion und Evaluation eines konfigurierbaren Reifegradmodells zur zielgerichteten Gestaltung des Supply Managements im Krankenhaus widmet.

Mettler schlägt sechs Schritte zur Entwicklung von Reifegradmodellen vor. In den Schritten eins bis drei werden die einzelnen Modellinhalte ermittelt, evaluiert und operationalisiert. Der vierte Schritt dient der inhaltlichen Implementierung des Modells, um die Umsetzbarkeit allgemein zu evaluieren. Im fünften Schritt werden die Reife- und Fähigkeitsgarde abgeleitet. Die Evaluation des Gesamtkonzeptes erfolgt im Schritt sechs.12

Darüber hinaus hat Mettler mögliche Gestaltungsoptionen der generellen, konstruktspezifischen und modellspezifischen Merkmale eines zu entwickelnden Reifegradmodells erarbeitet.13

Entscheidung für das methodische Vorgehen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Vorgehensweisen zu den Modellentwicklungen voneinander unterscheiden. Im Laufe der Zeit wurden die Hinweise zur Entwicklung eines Reifegradmodells detaillierter und konkreter. Jedoch ist die Vorgehensweise immer an ein konkretes Gestaltungsobjekt geknüpft und nicht allgemein gültig. Dies erschwert eine begründete Entscheidung für die Wahl eines bereits bekannten Vorgehens zur Entwicklung eines neuen, domänenspezifischen Reifegradmodells.

Deshalb wurde letztendlich für das methodische Vorgehen diese Arbeit ein eigener Ansatz zur Modellentwicklung gewählt, der sich sowohl an das Vorgehen nach Becker et al. und dessen Anforderungen als auch an das nach Mettler und dessen Gestaltungsoptionen anlehnt. Wichtige Gründe für die Anlehnung an das Vorgehen nach Becker et al. sind die erfolgreiche Umsetzung in der Praxis14 und das Beruhen auf einem anerkannten wissenschaftlichen Forschungsansatz. Für die Anlehnung an das Vorgehen nach Mettler sprechen insbesondere die dezidierte Beschreibung der Modellentwicklung und der Branchenbezug.

Das eigene Vorgehen zur Modellentwicklung wird in der folgenden Abbildung skizziert und veranschaulicht. Der direkte Bezug zu den Anforderungen an die Modellentwicklung nach Becker et al. wird in Abbildung entsprechend visualisiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Eigenes Vorgehen der Modellentwicklung

Quelle: Eigene Darstellung.

1.3.3 Aufbau der Arbeit

Der Aufbau der vorliegenden Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel.

Im Anschluss an das einleitende Kapitel 1, welches die Problemstellung, die Zielsetzung und die abgeleiteten Forschungsfragen enthält sowie das Forschungsdesign aufzeigt, werden in Kapitel 2 die konzeptionellen Grundlagen der vorliegenden Arbeit dargestellt. Diese beantworten die Frage, was kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen im Verständnis der vorliegenden Arbeit sind und führt in das Thema „Modelle“ ein.

Für die Entwicklung eines Modells wird Wissen über die abzubildende Realität benötigt. Das Wissen über das Betrachtungsobjekt dieser Arbeit – klinisches Risikomanagement – wird in Kapitel 3 ermittelt. Neben einer Abgrenzung des klinischen Risikomanagements gegenüber anderen Anwendungsdomänen, werden die ordnungspolitischen Anforderungen an das klinische Risikomanagement untersucht. Abgerundet wird das Kapitel durch das Aufzeigen von Referenzmodellen für das Risikomanagement. Sodann werden aus dem gewonnenen Wissen erste grundsätzliche Anforderungen an das zu entwickelnde Reifegradmodell formuliert.

Im Kapitel 4 wird durch Betrachtungen zu Reifegradmodellen weiteres Wissen für die Modellentwicklung generiert. Abgesehen von der Erarbeitung des Verständnisses für Struktur und Aufbau sowie Nutzen von Reifegradmodellen werden bekannte Vertreter hinsichtlich ihrer Eignung für das Betrachtungsobjekt „klinisches Risikomanagement“ untersucht. Auf dieser Grundlage werden die Anforderungen an das zu entwickelnde Reifegradmodell ergänzt.

Die Ausgestaltung des Reifegradmodells, auf Basis des zuvor erworbenen Wissens und der aufgestellten Anforderungen, erfolgt im Kapitel 5, das somit den Hauptteil der vorliegenden Arbeit darstellt.

Im Kapitel 6 wird bei einer Pilotanwendung das entwickelte Reifegradmodell validiert. Dies erfolgt insbesondere im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen aus Sicht des Modellanwenders – einer kleiner oder mittleren Gesundheitsorganisation.

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung über die Entwicklung des Reifegradmodells für das klinische Risikomanagement im Kapitel 7 ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Aufbau der Arbeit

Quelle: Eigene Darstellung.

2 Konzeptionelle Grundlagen

Das zu entwickelnde Reifegradmodell richtet sich an kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen im deutschen Gesundheitswesen. Vor diesem Hintergrund gilt es in diesem Kapitel zunächst, den Begriff ‚Kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen‘ herzuleiten. Zudem bedarf es für die vorliegende Arbeit eines allgemeinen Verständnisses für Modelle, sodass dieses Kapitel auch grundlegende Betrachtungen über Modelle beinhaltet.

2.1 Kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen

Das zu entwickelnde Reifegradmodell ist auf die Nutzung in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen15 fokussiert. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Typologie für kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen zu bestimmen. Diese sollte in der Praxis leicht anwendbar sein und nach Möglichkeit auf bereits vorhandenen Definitionen beruhen. Im Folgenden werden einige existierende Typologien vorgestellt und auf ihre Eignung für die vorliegende Arbeit hin bewertet.

Für Plankrankenhäuser16 existiert in den Landesgesetzen für das Krankenhauswesen eine größenbezogene Typologisierung. Als Kriterium wird der Umfang der Versorgung heran gezogen, den das Plankrankenhaus innerhalb der Gesundheitsversorgung zu erfüllen hat. Je nach Bundesland unterscheidet sich die diesbezügliche Einteilung der Plankrankenhäuser. Zum Beispiel gibt es in Hessen nach § 16 Hessisches Krankenhausgesetz17 vier Versorgungsstufen, das Bayerische Krankenhausgesetz18 hingegen definiert im Artikel 4 drei Versorgungsstufen. Eine andere Möglichkeit zur Typologisierung von Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen ist die nach der Anzahl der Behandlungsbetten. Für Praxen der Vertragsärzte und der nichtärztlichen medizinischen Berufe lassen sich in der Literatur keine allgemein anerkannten Typologien hinsichtlich der Größen identifizieren.

Das zu entwickelnde Reifegradmodell soll auch in Gesundheitsorganisationen mit relativ begrenzten Ressourcen zur Anwendung kommen und Nutzen stiften. Der Anwenderkreis für das Modell wird also nicht durch die Art oder den Umfang der von den Gesundheitsorganisationen erbrachten Dienstleistungen, sondern in erster Linie durch den Umfang der dort vorhandenen Ressourcen bestimmt. Als führende Ressource wird die Anzahl der beschäftigten Personen (Mitarbeiter) angesehen.

Die vorgestellten Typologien bieten nicht die Möglichkeit, kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen nach der Anzahl der beschäftigten Personen allgemeingültig und eindeutig zu kategorisieren. Insofern bedarf es einer eigenen quantitativen Definition von kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen. Einen diesbezüglich geeigneten Ausgangspunkt liefert die von der Europäischen Union formulierte Typologie für kleine und mittlere Unternehmen.19 Im Zusammenhang mit der Unterscheidung von kleinen und mittleren Unternehmen, erfolgt eine weitere Differenzierung in Kleinstunternehmen.

In der weiteren Verwendung des Begriffs ‚kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen‘ sind kleinste Gesundheitsorganisationen eingeschlossen. Für die vorliegende Arbeit werden die Schwellenwerte, in Abhängigkeit von der Mitarbeiterzahl, wie folgt festgelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Definition für kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen

Quelle: Eigene Darstellung.

Mit einer eigenen Definition von kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen ist die Frage nach der Gültigkeit verbunden. Für den Nachweis, dass die festgelegten Größenklassen und deren Merkmale allgemeingültig und brauchbar sind, erfolgte eine Recherche nach Beispielen für Mitarbeiterzahlen von Gesundheitsorganisationen im Internet. Aufgrund der Annahme, dass die Klassifikation ‚Kleinste Gesundheitsorganisation‘ gültig ist, liegt der Fokus der Gültigkeitsprüfung auf kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen. Die empirische Überprüfung der Gültigkeit erfolgte durch die objektiven Ergebnisse der Internetrecherche. In der folgenden Tabelle sind Beispiele von Gesundheitsorganisationen und deren Mitarbeiterzahl aufgeführt, die die Gültigkeit der eigenen Definition bekräftigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Beispiele für kleine und mittlere Gesundheitsorganisationen

Quelle: Eigene Darstellung (Alle Downloads vom 04.04.2014).

2.2 Einführende Betrachtungen zu Modellen

Aus der Zielsetzung, ein Reifegradmodell für das klinische Risikomanagement zu entwickeln, ergibt sich die Notwendigkeit, einführende Betrachtungen zu Modellen vorzunehmen. Die daraus gewonnen Erkenntnisse sind eine notwendige Voraussetzung für das Verständnis der weiteren Ausführungen in der vorliegenden Arbeit.

Nach Stachowiak liegen einem Modell drei Hauptmerkmale zu Grunde:20

Abbildungsmerkmal: Das Modell ist ein Abbild des Originals.

Verkürzungsmerkmal: Das Modell erfasst nur die relevanten Eigenschaften des Originals.

Pragmatisches Merkmal: Das Modell ist auf den zu erfüllenden Zweck zugeschnitten.

Das Verständnis für die Modelle ist sowohl von der alltäglichen als auch von der wissenschaftlichen Begriffsverwendung geprägt. Aufgrund dieser vielschichtigen Verwendung existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen für den Begriff ‚Modell‘. Es ist demnach notwendig, ein allgemeines Begriffsverständnis festzulegen, das in der vorliegenden Arbeit Berücksichtigung findet. Herangezogen wird die von Thomas aufgestellte Definition, die auf den oben genannten Hauptmerkmalen beruht: „Ein Modell ist eine durch einen Konstruktionsprozess gestaltete, zweckrelevante Repräsentation eines Objekts.“21

Im Ergebnis des Konstruktionsprozesses (Konstruieren im allgemeinen Sinne als Gestalten) entsteht ein erster Modell-Prototyp, dessen Gültigkeit im Rahmen der Validierung zu überprüfen ist. Aufgrund des beschränkt vorhandenen Wissens zu Beginn der Konstruktion und der vorgenommenen Abstraktionen während der Konstruktion ist jedoch davon auszugehen, dass eine erste Validierung oft zu negativen Ergebnissen führt. Bereits eine Änderung von Modellparametern kann zu einem positiven Ergebnis der erneuten Validierung führen. Es kann jedoch auch notwendig sein, dass Modellelemente mit neu gewonnenem Wissen erneut zu konstruieren sind. Insofern stellt die Validierung einen kontinuierlichen Prozess dar, der das Modell der Realität näherbringt.22

Die Gültigkeit des konstruierten Modells spiegelt sich auch in der Akzeptanz seitens der Modellanwender wider.

3 Gestaltungsrahmen des Klinischen Risikomanagements

Den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildet das klinische Risikomanagement. Dementsprechend gilt es, dessen Gestaltungsrahmen zu untersuchen, soweit es für die Entwicklung des Reifegradmodells von Bedeutung ist. Aus den gewonnenen Erkenntnissen sind Anforderungen an das zu entwickelnde Reifegradmodell abzuleiten.

Im ersten Abschnitt werden das Grundverständnis für den Begriff ‚Risiko‘ erarbeitet und die Risikoarten in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen erläutert. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen erfolgt im zweiten Abschnitt eine Einführung in das klinische Risikomanagement. Nach Erläuterung des Begriffs und des Nutzens wird der Entwicklungsstand des klinischen Risikomanagements analysiert. Im Hinblick auf die Formulierung der Anforderungen werden die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen identifiziert und im dritten Abschnitt ausgewählte Referenzmodelle im Risikomanagement überblicksartig vorgestellt.

3.1 Grundverständnis von Risiko

Der Begriff ‚Risiko‘ wird in sehr vielen Anwendungsbereichen unterschiedlich verwendet, weshalb er ein großes Bedeutungsspektrum aufweist. Im Folgenden wird daher zunächst der Begriff ‚Risiko‘ allgemein definiert und abgegrenzt. Anschließend werden Grundarten von Risiken in der Gesundheitsversorgung kleiner und mittlerer Gesundheitsorganisationen näher betrachtet, um einzuschränken, was klinische Risiken sind. Aufbauend auf dem Grundverständnis von klinischen Risiken erfolgt die Betrachtung des Begriffs ‚Patientensicherheit‘.

3.1.1 Abgrenzung von Gefährdung, Risiko und Sicherheit

Die Begriffe ‚Gefährdung‘ (im Englischen hazard) und ‚Risiko‘ (im Englischen risk) werden nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch oft unterschiedlich verstanden, angewendet und definiert, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur. Dabei stellen sie jedoch streng genommen unterschiedliche Ausprägungen dar.23 Hinzu kommt, dass für beide Begriffe eine semantisch korrespondierende Beziehung zum Begriff ‚Sicherheit‘ (im Englischen safety) besteht. Aus dieser Situation heraus ist für das Verständnis dieser Arbeit eine einführende Abgrenzung der drei genannten Begriffe notwendig.

Eine einheitliche terminologische Basis der Begriffe ‚Gefährdung‘, ‚Risiko‘ und ‚Sicherheit‘ liefert, zumindest für den Anwendungsbereich auf Medizinprodukte, die internationale Norm DIN EN ISO 14971.24 Die genannten Begriffe werden in der Norm wie folgt definiert:

Gefährdung als „potentielle Schadensquelle“ (nach Kapitel 2.3)

Risiko als „Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schadens und des Schweregrades dieses Schadens“ (nach Kapitel 2.16)

Sicherheit als „Freiheit von unvertretbaren Risiken“ (nach Kapitel 2.24)

Die Übertragung der normbasierten Definitionen aus DIN EN ISO 14971 auf das folgende, selbst formulierte Beispiel soll in anschaulicher Weise die Begriffe Gefährdung, Risiko und Sicherheit erklären und ihre korrespondierende Beziehung abschließend verdeutlichen:

Von elektrischer Spannung geht für den Menschen eine generelle Gefährdung aus. Zum Beispiel in Form eines Stromschlags, aufgrund einer Berührung von elektrischer Spannung. Das Risiko eines Stromschlags, ausgedrückt in der Wahrscheinlichkeit einer solchen Berührung, ist in Abhängigkeit von der konkreten Situation größer oder kleiner. Durch technische, organisatorische und/oder personelle Maßnahmen kann jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Berührung so weit verlässlich gemindert werden, dass der Mensch vor der elektrischen Spannung weitestgehend in Sicherheit ist. Ein zu akzeptierendes Restrisiko für eine Berührung von elektrischer Spannung wird jedoch immer bestehen bleiben.

Bislang wurden die oben genannten Begriffe sehr allgemeingültig betrachtet. Da der Schwerpunkt des zu entwickelnden Reifegradmodells auf dem klinischen Risikomanagement liegt, werden nachfolgend Grundarten von Risiken in Gesundheitsorganisationen näher beleuchtet.

3.1.2 Grundarten von Risiken in Gesundheitsorganisationen

Bei der Betrachtung und Systematisierung von Risiken können die aus der betriebswirtschaftlichen Sicht geprägten Funktionsbereiche einer Organisation herangezogen werden. Als allgemein geltende Beispiele seien das Personalmanagement, das Finanzmanagement oder das Marketing aufgeführt. Ein weiteres Unterteilen der Funktionsbereiche findet in vielen Organisationen statt.

In Anlehnung an DIN 1308025 können Gesundheitsorganisationen, insbesondere kleine und mittlere, in drei klassische Hauptfunktionsbereiche gegliedert werden. Abgeleitet vom jeweiligen Funktionsbereich lassen sich verschiedene Einzelrisiken zu übergeordneten Risikoarten einer Gesundheitsorganisation zusammenfassen – die folgende Abbildung zeigt diese.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Klassische Funktionsbereiche und Grundarten von Risiken

Quelle: Eigene Darstellung.

Für das grundlegende Verständnis des klinischen Risikomanagements und des zu entwickelnden Reifegradmodells ist es wichtig, dass die oben genannten Risikoarten an dieser Stelle der Arbeit eindeutig voneinander abgegrenzt und definiert werden. Eine weitere Untergliederung der aufgeführten Risikoarten ist möglich und bei größeren Gesundheitsorganisationen durchaus sinnvoll. Die Gliederungstiefe lässt sich somit nicht allgemeingültig bestimmen, sondern ist an die jeweiligen Bedürfnisse der Organisation anzupassen.

Die nachfolgend aufgezeigten Beispiele zu den Funktionsbereichen und Risikoarten dienen lediglich zum besseren Verständnis und stellen keine abschließende Aufzählung dar.

Betriebswirtschaftliche Risiken

Bezogen auf den Funktionsbereich „Verwaltung“ findet sich in der Literatur kein einheitliches Verständnis für den Begriff ‚betriebswirtschaftliche Risiken‘. Eine mögliche Herleitung kann aus § 91 Absatz 2 Aktiengesetz26 erfolgen. Der Paragraph verpflichtet den Vorstand einer Aktiengesellschaft zu: „(…) hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“. Zu diesen bestandgefährdenden Entwicklungen „gehören insbesondere risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken.“.27

Beispiel: Liquiditätsengpass in Gesundheitsorganisationen infolge einer verzögerten Vergütung von bereits erbrachten Gesundheitsdienstleistungen.

Technische Risiken

Bezogen auf den Funktionsbereich „Technische Anlagen“ findet sich eine Definition für den Begriff ‚Technisches Risiko‘ beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Dieses definiert den Begriff ‚Technisches Risiko‘ als unerwarteten Ausfall von normal funktionierenden technischen Anlagen oder Einrichtungen. Infolgedessen kann es zu negativen Auswirkungen auf Gebäude, andere technische Anlagen, Personen oder die Umwelt kommen.28

Beispiel: Ausfall der primären Energieversorgung einer Gesundheitsorganisation. Im Gegensatz zu Krankenhäusern, werden in Organisationen der ambulanten Gesundheitsversorgung selten sekundäre Energieversorgungen (z.B. Notstromaggregate) vorgehalten.

Klinische Risiken

Bezogen auf den Funktionsbereich „Gesundheitsversorgung“ findet sich in der Norm DIN EN 15224 eine Definition für den Begriff ‚klinisches Risiko‘. „Das klinische Risiko bezeichnet jedes Risiko, das negative Auswirkungen auf die Ergebnisse einer der Qualitätsanforderungen haben könnte. Die Risikofaktoren könnten nichtklinisch sein, das Risiko wird aber als ein klinisches Risiko angesehen, wenn ein negativer Einfluss auf eine der Qualitätsanforderungen bestehen könnte.“

Der Zusatz ‚klinisch‘ bezieht sich dabei nicht hauptsächlich auf das Risikomanagement in Krankenhäusern (umgangssprachlich Kliniken), sondern soll vielmehr eine Abgrenzung zu anderen Betrachtungsbereichen des Risikomanagements schaffen. DIN EN 15224 definiert im Kapitel 3.1 den Begriff klinisch als „Kontext, in dem Patienten und Personal der Gesundheitsversorgung hinsichtlich eines Gesundheitsproblems aufeinander einwirken“. In der zugehörigen Anmerkung wird ergänzend formuliert: „Der Begriff „klinisch“ wird ungeachtet des Typs der beteiligten Dienstleistung, Organisationen oder Ebene der Gesundheitsversorgung benutzt.“

Beispiel: Unbeabsichtigte Verwechslung von Arzneimitteln, die entweder gleich aussehen (look-alike) oder gleich klingen (sound-alike).

In Bezug auf die dargestellten Grundarten von Risiken in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass es zwischen diesen Risikoarten Wechselwirkungen geben kann.

So kann zum Beispiel ein Ausfall der primären Energieversorgung (technisches Risiko) zu einem unerwünschten Ereignis in der Gesundheitsversorgung (klinisches Risiko) führen.29 Ein weiteres Beispiel sind Medizinprodukte, die primär ein technisches Risiko darstellen, aber aufgrund eines Defekts oder einer unzulässigen Anwendung die Gesundheitsversorgung negativ beeinflussen können.

3.1.3 Zusammenhang zwischen Risiken und Patientensicherheit

Anhand des vorgenommen Literaturstudiums ist festzustellen, dass zum Begriff ‚Patientensicherheit‘ unterschiedliche Definitionen vorliegen. Stellvertretend werden nachfolgend zwei repräsentative Definitionen vorgestellt.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit definiert Patientensicherheit als „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“.30

Der Rat der Europäischen Union definiert Patientensicherheit als „Bewahrung des Patienten vor unnötigen Schädigungen oder potenziellen Schädigungen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung“.31

Nach diesen Definitionen wird erkennbar, dass im Zusammenhang mit Patientensicherheit weniger von Risiken als vielmehr von unerwünschten Ereignissen beziehungsweise Schäden des Patienten gesprochen wird. Unerwünscht sind in der Gesundheitsversorgung jene Ereignisse, die in der Gesundheitsversorgung begründet sind und zu einem Schaden beim Patienten geführt haben. Abhängig von der Ursache kann es sich um vermeidbare oder unvermeidbare Ereignisse handeln.32 Als vermeidbar gelten unerwünschte Ereignisse, wenn die Gesundheitsversorgung nach den anerkannten Regeln der aktuellen Wissenschaft, Technik und Rechtsprechung durchgeführt wird. Beispiel hierfür ist die Vermeidung von nosokomialen Infektionen durch Einhaltung der Hygienestandards, die vom Robert-Koch-Institut herausgegeben werden.

Aufgrund der nicht eindeutigen sowie nicht allgemein akzeptierten Verwendung von Begrifflichkeiten im Themenfeld Patientensicherheit wird nachfolgend nicht von unerwünschten Ereignissen, sondern nur von klinischen Risiken (im Sinne von DIN EN 15224:2012) gesprochen.

3.2 Grundverständnis von klinischem Risikomanagement

Zur Bewältigung der einzelnen Risiken einer Organisation bedarf es der systemischen Anwendung eines Managementansatzes. Das Risikomanagement lässt sich in diesem Zusammenhang allgemein als „koordinierte Aktivitäten zur Lenkung und Steuerung einer Organisation in Bezug auf Risiken“33 definieren. Aus der einführenden Betrachtung möglicher Risikoarten in Gesundheitsorganisationen wird deutlich, dass der Begriff ‚Risikomanagement‘ zu allgemein ist und es einer Abgrenzung bedarf, damit der Bezug auf klinische Risiken deutlich wird.

3.2.1 Klinisches Risikomanagement als Begriff

Das deutsche Gesundheitswesen ist geprägt von der anhaltenden Diskussion um das klinische Risikomanagement. Wie beim Begriff ‚Patientensicherheit‘ existiert auch beim klinischen Risikomanagement keine abschließende Definition darüber, was unter dem Begriff zu verstehen ist.

Eine Definition findet sich in der Studie des Deutschen Krankenhausinstituts.34 Hier wird, bezogen auf das Krankenhaus, die folgende Definition nach Briner et al., in Anlehnung an Middendorf, verwendet: „(…) die Strukturen, Prozesse, Instrumente und Aktivitäten, welche die Mitarbeitenden eines Krankenhauses unterstützen, die medizinisch-pflegerisch-therapeutischen Risiken bei der Patientenversorgung zu erkennen, zu reduzieren und zu bewältigen.“35

[...]


1 Dieses Leitmotiv des ganzheitlich verstandenen klinischen Risikomanagements ist vom Verfasser der Arbeit formuliert worden.

2 Der „Krankenhaus-Report 2014“ [Vgl. Klauber, J., Geraedts, M., Friedrich, J., Wasem, J. (2014)] schätzt bei fünf bis zehn Prozent aller Behandlungen in deutschen Krankenhäusern ein vermeidbares unerwünschtes Ereignis, das jedoch keinen Schaden beim Patienten verursacht hat. Bei circa 19.000 Ereignissen in einem Jahr kam es infolge eines unerwünschten Ereignisses zum Tod des Patienten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht hingegen von ungefähr 1.200 Todesfällen pro Jahr aufgrund unerwünschter Ereignisse. Die Datenlage bezüglich der anderen Sektoren des deutschen Gesundheitswesens ist allenfalls rudimentär vorhanden und erlaubt keine wissenschaftlichen Rückschlüsse über die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse in der Gesundheitsversorgung.

3 MPSV (2010).

4 Beispiel hierfür ist die aktuelle Diskussion über die Berufshaftpflichtversicherung für Hebammen [Vgl. http://www.gdv.de/2014/02/warum-bezahlbarer-versicherungsschutz-fuer-hebammen-immer-schwieriger-wird/ (Download vom 01.05.2014)].

5 PatRechteG (2013).

6 ÄQM-RL.

7 Vgl. Becker, J., Knackstedt, R., Pöppelbuß, J. (2009a). S. 3.

8 Vgl. Zelewski, S.,Akca, N. (2006). S. 2 f.

9 Vgl. De Bruin, T., Freeze, R., Kaulkarni, U., Rosemann, M. (2005). S. 3 ff.

10 Vgl. Mettler, T. (2006). S. 132.

11 Vgl. Becker, J., Knackstedt, R., Pöppelbuß, J. (2009b). S. 250 ff.

12 Vgl. Mettler, T. (2006). S. 135 f.

13 Im Anhang der vorliegenden Arbeit sind die möglichen Gestaltungsoptionen abgebildet.

14 Zum Beispiel im Rahmen der Entwicklung des Further Education Maturity Model an der Universität Osnabrück.

15 Der Begriff ‚Gesundheitsorganisation‘ wird in der Literatur uneinheitlich definiert. Im allgemeinen Begriffsverständnis werden darunter Erbringer von unmittelbaren Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung verstanden. Diese umfassen sowohl Gesundheitsdienstleistungen in Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege des deutschen Gesundheitswesen.

16 Plankrankenhäuser sind Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines Bundeslandes aufgenommen sind.

17 HKHG 2011 (2010).

18 BayKrG (2012).

19 Vgl. 2003/361/EG (2003).

20 Vgl. Vom Brocke, J. (2002). S. 9.

21 Thomas, O. (2005). S. 25.

22 Vgl. Rauchenberger, J. (2010). S. 50 f.

23 Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat sich in zwei Studien zum Thema „Evaluierung der Kommunikation über die Unterschiede zwischen ‚risk’ und ‚hazard’“ intensiv mit der Verwendung der Begriffe in unterschiedlichen Bereichen auseinandergesetzt.

24 DIN EN ISO 14971:2013-04 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte.

25 DIN 13080:2003-07 Gliederung des Krankenhauses in Funktionsbereiche und Funktionsstellen.

26 AktG (2013).

27 Deutscher Bundestag (1998). S. 15.

28 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (o.J.).

29 Am 30.10.2013 berichteten verschiedene Medien über den Ausfall der primären Energieversorgung in der Helios-Klinik Schwerin. In Folge dessen kam es zu einer kurzzeitigen Unterbrechung der Energieversorgung auf der Intensivstation und zum Ausfall der Beatmungsgeräte, trotz vorhandener Notstromaggregate. Während dieser Zeit verstarb ein junger beatmungspflichtiger Patient. [Vgl. http://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/helios171.html (Download vom 01.05.2014)].

30 Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.

31 2009/C 151/01 (2009).

32 Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.

33 ISO Guide 73:2009, Kapitel 2.1.

34 Die Studie wurde vom Institut für Patientensicherheit der Universität Bonn (IfPS) heraus gegeben. Im Rahmen der Studie wurde eine Befragung zum Einführungsstand von klinischem Risikomanagement in deutschen Krankenhäusern durchgeführt.

35 Lauterberg, J., Blum, K., Briner, M., Lessing, C. (2012). S. 3.

Final del extracto de 97 páginas

Detalles

Título
Entwicklung eines Reifegradmodells für das klinische Risikomanagement in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen
Universidad
University of Applied Sciences Riedlingen
Calificación
1,5
Autor
Año
2014
Páginas
97
No. de catálogo
V286242
ISBN (Ebook)
9783656874966
ISBN (Libro)
9783656874973
Tamaño de fichero
2330 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
klinisches Risikomanagement, Reifegrad, Gesundheitsorganisation, Kleine und mittlere Organisationen, Krankenhaus, ONR 49001, ISO 31000, Patientensicherheit, Organisationsentwicklung, Qualitätsmanagement
Citar trabajo
Peter W. Janakiew (Autor), 2014, Entwicklung eines Reifegradmodells für das klinische Risikomanagement in kleinen und mittleren Gesundheitsorganisationen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286242

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