Rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Parteien in Frankreich, Italien und Bulgarien


Seminar Paper, 2013

33 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Rechtspopulisten – die schweigende Mehrheit?

2. Begriffsdefinitionen
2.1. Partei
2.2. Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus
2.3. Rechtspopulismus

3. Frankreich: Le Front National
3.1. Die Geschichte des „Front National“
3.2. Ideologie des Front National
3.3. Wähler und Anhängerschaft des Front National
3.4. Der Front National heute
3.5. Andere rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Parteien in Frankreich

4. Italien: Alleanza Nazionale, Lega Nord und Popolo della Libertà
4.1. Movimento Sociale Italiano und Alleanza Nazionale
4.2. Forza Italia und Popolo della Libertà
4.3. Silvio Berlusconi – Politik im Stil eines elected dictatorship?
4.4. Lega Nord
4.5. Weitere rechtspopulistische bzw. rechtsextreme Parteien in Italien

5. Bulgarien: Ataka
5.1. Geschichte und Auftreten von Ataka
5.2. Ideologie von Ataka
5.3. Atakas Wählerschaft
5.4. Weitere rechte Parteien in Bulgarien

6. Schlussbetrachtung

7. Quellenverzeichnis
7.1. Literaturquellen
7.2. Wissenschaftliche Aufsätze
7.3. Zeitungsquellen
7.4. Internetquellen
7.5. Bildquellen

1. Einleitung: Rechtspopulisten – die schweigende Mehrheit?

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind Begriffe, die nahezu täglich in den Medien auftauchen, vor allem dann, wenn in einem Land das Parlament neu gewählt wurde, wie es jüngst in Deutschland und Österreich der Fall war. Hierzulande wurde die „Alternative für Deutschland“ immer wieder als rechtspopulistisch bezeichnet. In Österreich hatte die FPÖ, die spätestens seit ihrem schillernden Vorsitzenden Jörg Haider als rechtspopulistisch gilt, im Vergleich zu den Nationalratswahlen 2008 über drei Prozentpunkte dazugewonnen und erreichte 20,6 Prozent.1

Die FPÖ gilt als eine etablierte rechtspopulistische Partei in Österreich. Ebenso finden sich in Italien, Frankreich und Bulgarien rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien, die mehr oder minder als etabliert gelten können. Einige wissenschaftliche Werke sehen ein europaweites Erstarken von Rechtspopulismus.

Doch wie kann es sein, dass rechte Parteien derart großen Wählerzuspruch bekommen? Ist es so, wie Roland Sturm schreibt, dass „[d]er Begriff des Rechtspopulismus […] häufig für die Charakterisierung solcher polit[ischen] Strömungen benutzt [wird], die sich als Anwälte unterdrückter Interessen nicht von Minderheiten, sondern der ‚schweigenden Mehrheit‘ begreifen“2 ? Ist es wirklich die „schweigende Mehrheit“? Wie kann es sein, dass in Italien die „Lega Nord“, die eine Abspaltung Norditaliens vom Rest des Landes fordert, regelmäßig große Unterstützung findet? Womit locken diese Parteien ihre Wähler? Wie muss eine Partei ausgestaltet sein, um eine große Anhängerschaft zu finden, die die rechten Anschauungen teilt?

Diese Arbeit soll einen Einblick in die Methoden und die Verbreitung von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien in Frankreich, Italien und Bulgarien bieten. Wegen der gebotenen Kürze beschränkt sich der Verfasser auf Grundstrukturen und repräsentative Beispiele. Auch wenn diese Hausarbeit umfassender ausfällt als vorgesehen – das Thema würde eine weitaus ausführlichere Behandlung durchaus erlauben.

Neben einigen Dissertationen, die einen Teilbereich dieser Thematik abdecken, fällt auf, dass sich vor allem Parteien, Stiftungen und Wissenschaftler, die politisch eher „links“ zu verorten sind, mit dem Thema Rechtsextremismus und Rechtspopulismus auseinandersetzen. Trotz dieser Arbeitsgrundlage bemüht sich der Verfasser um eine objektive Untersuchung.

2. Begriffsdefinitionen

In der politikwissenschaftlichen Literatur gibt es unterschiedliche Parameter, die verwendet werden, um zu definieren, was als rechtspopulistisch und rechtsextrem gilt. Deswegen werden im Folgenden Begriffe definiert, die für diese Arbeit gelten sollen. Das bedeutet nicht, dass andere Definitionen in anderen Arbeiten, Aufsätzen und Dissertationen als weniger richtig anzusehen sind.

2.1. Partei

Unter einer Partei versteht man im allgemeinen Sinne einen Zusammenschluss von Menschen mit gleichen oder sehr ähnlichen Interessen zu einer Organisation. Ziel dieser Organisation ist die Durchsetzung gemeinsamer politischer Ziele.3 Ein wichtiges Moment dabei ist:

„P[arteien] repräsentieren Teilinteressen und streben doch nach Totalität, indem sie ihr Partikularinteresse als allgemeines durchzusetzen versuchen. P[arteien] sind einerseits um so schlagkräftiger, je homogener sie sind und je authentischer sie ihr Partikularinteresse vertreten können; zur Verwirklichung ihrer Ziele bedürfen sie andererseits einer möglichst breiten Unterstützung (in Wettbewerbsdemokratien der parlamentarischen Mehrheit), was zu Kompromissen und Verwässerung ihrer Ziele zwingt sowie geringere Kohäsion und verminderte Schlagkraft zur Folge hat.“4

Letzteres ist eine Tatsache, mit der sich Parteien wie etwa die italienische „Lega Nord“ immer wieder auseinandersetzen müssen. Um in politische Führungspositionen zu gelangen, müssen manche Parteien bestimmte Inhalte ad acta legen. So arbeitet beispielsweise der französische „Front National“ derzeit daran, gesellschaftsfähig zu werden, und weicht seine ideologischen Vorstellungen auf.5 Wie in den folgenden Punkten beschrieben werden wird, haben viele rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien eine große Diversität in ihrer Anhängerschaft, was zum einen eine große Gefolgschaft ermöglicht, zum anderen aber viele verschiedene Meinungen bedeutet.

2.2. Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus

Der Wissenschaft fällt es schwer, Rechtsextremismus eindeutig zu definieren. Tim Spier findet in seiner Dissertation folgenden Definitionsvorschlag:

„Grundidee des Rechtsextremismuskonzepts ist, dass es sich um eine Ideologie handelt, die den ‚äußersten Rand‘ (von lat. extremus, ‚das Äußere‘, ‚das Entfernteste‘) des rechten politischen Spektrums bildet. […] Insbesondere in Deutschland ist darüber hinaus eine normative Begriffsverwendung verbreitet, die auf totalitarismustheoretische Erwägungen zurückgreift und Extremismus – gleich ob von links oder rechts – als Feindschaft gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat definiert.“6

Für den Begriff Rechtsextremismus gilt also: „Parteien, Ideologien, Menschen […] mit dem Begriff ‚rechtsextrem‘ zu belegen, setzt […] voraus, bei ihnen ‚Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung‘ nachgewiesen zu haben.“7

Rechtsradikalismus gilt von seiner Wortherkunft her (lat. radix = die Wurzel) ebenfalls als eine ideologische Überzeugung „von Grund auf“. In der internationalen Fachliteratur wird zwischen extreme right und radical right nur in seltenen Fällen unterschieden.8 Im deutschen politikwissenschaftlichen Gebrauch hingegen gibt es nach Spier jedoch Unterscheidungsmerkmale, „umfasst der breiter gefasste Begriff des Rechtsradikalismus doch auch Akteure, Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich nicht gegen den demokratischen Verfassungsstaat als solchen richten“9. Eine Abgrenzung zum Rechtspopulismus wird durch solche Definitionen nicht einfacher; die Grenzlinien verkommen zu marginal dünnen Strichen.

2.3. Rechtspopulismus

Im alltäglichen Sprachgebrauch gilt als Populist, wer dem Volk nach dem Mund redet. Das Wort Populismus hat hier im Allgemeinen eine negative Konnotation. Die Wissenschaft hingegen benötigt mehrere vergleichbare Parameter. Das Problem dabei:

„Populismus lässt sich […] nicht durch Identifizierung bestimmter Wählergruppen oder politischer Inhalte fassen. Er ist vielmehr eine spezifische politische Vorstellungsweise, in der ein Volk, das als moralisch rein und dem Ideal harter Arbeit verpflichtet imaginiert wird, einer korrupten, gar parasitären Elite entgegengesetzt wird. Daraus folgt: Die Eliten gehören eigentlich gar nicht zum Volk. […] Populismus ist im Kern eine moralische Konzeption von Politik: Sie geht davon aus, dass das vereinte, homogene Volk einen gemeinsamen, auf das wahre Gemeinwohl gerichteten Willen bildet – und dass ein authentischer Repräsentant des Volkes diesen Willen auch umsetzen kann. Dies erklärt, warum Populisten ihre politischen Gegner prinzipiell nicht als legitim anerkennen. […] Nur die eigenen Wähler sind das Volk; die Ansprüche der anderen kann man ignorieren – und das auf ganz legitime Weise.“10

Als passend empfand der Verfasser deswegen die – um einige Aspekte erweiterte – Aufgliederung in drei Bedeutungsebenen von Frank Decker und Marcel Lewandowsky:

Gesellschaftliche Entstehungshintergründe:

„Populistische Parteien und Bewegungen sind ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisierungskrisen; sie treten auf, wenn infolge zu raschen Wandels oder zu großer Verwerfung bestimmte Bevölkerungsgruppen Wert- und Orientierungsverluste erleiden.“11

Dadurch dass sich viele Nationen in einem ständigen Wandel von Kultur, Bevölkerung, Politik und Wirtschaft befinden, können sich populistische Parteien dauerhaft etablieren.12

„Rechtspopulismus verweist damit auf das Problem demokratischer Repräsentation innerhalb der repräsentativen Demokratie, das u.a. in der sinkenden Akzeptanz repräsentativ-demokratischer Institutionen seit den 1970er Jahren deutlich wird. […] [Rechtspopulisten] inszenieren sich als RepräsentantInnen gesellschaftlich vorhandener Interessen, die (angeblich oder tatsächlich) keine parlamentarische Repräsentation über etablierte Parteien finden.“13

Die Wählerschaft, die die Populisten zu erreichen versuchen, kann durch solche Feindbilder durchaus heterogener Natur sein.

„Ein soziologisches Klischee will es, dass man [dem Populismus] eine Art Klassenbasis zuteilen kann: Es seien immer die vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichten oder die ‚Modernisierungsverlierer‘, welche ihr politisches Heil bei den Populisten suchten. Empirisch lässt sich diese auf den ersten Blick einleuchtende These nicht halten […]. Deswegen ist es auch wenig plausibel, den typischen Populisten in eine psychologische Schablone vom ressentimentsgeladenem Loser zu pressen.“14

Andere hingegen bringen durchaus den sozialen Status und den Bildungsabschluss in Verbindung mit Rechtspopulismus:

„For Kriesi et al., the ‚globalization losers‘ are the most likely to turn against immigrants, seen as an economic but also cultural and political threat, and support far right parties (Kriesi et al., 2008).“15

Am Beispiel des „Front National“ wird später gezeigt, dass es durchaus nicht als abwegig erscheint, eine Verknüpfung zwischen Bildungsabschluss und Wahlverhalten zu erkennen. Als Gegenbeispiel kann hier auf die bulgarische Partei Ataka verwiesen werden. Der größte Teil ihrer Wählerschaft hatte ein Gymnasium / eine Oberschule besucht (Vgl. S. 28).

Selbstverständnis, Methoden und Ideologie

„Charakteristisch für die politischen Inhalte des Populismus sind das Zusammentreffen von Personalismus und Gemeinschaftsdenken und sein ‚gespaltenes‘ Gleichheitsverständnis. Einerseits bringen die Populisten das Volk in Stellung gegen die herrschende Elite, die sie in verschwörungstheoretischer Manier als Verräter des eigentlichen Volkswillens brandmarken. Andererseits grenzen sie das ‚einheimische‘ Volk von den vermeintlichen Nicht-Zugehörigen anderer Nationen oder Kulturen ab. Es ist nicht in erster Linie die Rückwärtsgewandtheit, sondern das anti-egalitäre Moment, das solche Abgrenzungen als ideologisch ‚rechts‘ qualifiziert.“16

Um sich als (Volks-)Bewegung darzustellen, wird von den Parteien das Bild erzeugt, dass ein „geschlossenes Volk“ gegen gemeinsame Feindbilder, wie beispielsweise Ausländer, angehen muss.17

Das „geschlossene Volk“ besteht hierbei aus der anzusprechenden Wählergruppe, was bei den rechtspopulistischen Parteien oftmals eine nationale Konnotation mit sich bringt: Der „kleine Mann“ ist hier der „deutsche Familienvater“. Bei Linkspopulisten wird mehr auf den Sozialstatus abgezielt. Hier könnte dann beispielsweise die Rede vom „hart arbeitenden Arbeitnehmer“ sein.18

Das erschaffene Feindbild gilt es als möglichst klar zu zeichnen: „Populismus ist immer auch eine Abgrenzungsideologie.“19 Zum einen wird die politische Klasse als nur von Eigeninteressen getriebene Kaste, als die Obersten des „Establishments“ dargestellt.20 So sehen einige Rechtspopulisten Europas auch die europäische Integration als „von oben“ beschlossen und gegen den Willen des Volkes.21 Zum anderen „schließt [der Populismus] auch diejenigen aus, die nicht in seine kulturellen Maßstäbe passen. So werden, je nach Spielart, religiöse oder sexuelle Minderheiten oder Migranten ausgegrenzt. Populismus hat daher auch eine anti-pluralistische Komponente, die sich bis zur offenen Fremdenfeindlichkeit steigern kann.“22

Auftreten und Organisation

„In formaler Hinsicht treten als Hauptmerkmale rechtspopulistischer Parteien ihr Bewegungscharakter und das Prinzip der charismatischen Führerschaft hervor. Darüber hinaus kennzeichnet den Populismus eine bestimmte Art und Weise, wie er sich zu den umworbenen Wählern in Beziehung setzt. […] So wie die Ausrichtung auf eine Führerfigur etwas über das inhaltliche Selbstverständnis der Partei aussagt, so kommt in den Techniken der Wähleransprache die Anti-Establishment-Orientierung des Populismus zum Vorschein.“23

Dabei ist Rechtspopulismus zwar ein europa- und weltweit auftretendes Phänomen, die jeweilige Reichweite von rechtspopulistischen Parteien allerdings lokal begrenzt. Der Rechtspopulismus schöpft „[s]eine Mobilisierungskraft und Popularität […] aus den Spezifika des Unwillens vor Ort, der zeit- und kontextgebunden ist. […] Rechtspopulisten sind umso erfolgreicher, je mehr sie sich auf nat[ionale] Unzufriedenheit spezifisch und ganzheitlich einlassen. Ein internationalistischer Populismus ist eine contradictio in adjecto.“24

3. Frankreich: Le Front National

Der Front National kann als ein Musterbeispiel einer rechten Partei gesehen werden. Ob er dabei als rechtspopulistisch, rechtsextrem oder rechtsradikal gesehen wird, hängt von der Betrachtungsweise und den berücksichtigten Zeitrahmen ab. Der Front National hatte verschiedene Entwicklungen durchlaufen, unterschiedliche Polit-Strömungen in sich vereint – und wieder ausgeschlossen.

3.1. Die Geschichte des „Front National“

Rechte Strömungen hat es in der Geschichte wohl in jedem Land immer wieder gegeben. Der 1972 gegründete Front National (FN) wird oftmals mit den Begriffen rechtsextrem und rechtspopulistisch belegt. Dabei hat das Politikverständnis des FN eine lange Tradition in Frankreich. Die Unterscheidungsmerkmale zwischen dem bürgerlich-republikanischen und dem populistisch-nationalistischen Lager sind bereits im 18. Jahrhundert zu finden.25 Nach der Französischen Revolution 1789 hatten sich drei Strömungen herausgebildet: der Legitimismus, der Orléanismus und der Bonapartismus. Aus diesen drei Strömungen entstanden nach und nach der Konservatismus, der Liberalismus und der Nationalismus.26 Während der Zeit der deutschen Besatzung 1940 splitterten sich diese Strömungen in Anhänger und Gegner einer Kollaboration mit den Deutschen auf.27 „Unter Marschall Pétain sammelten sich im Regime von Vichy die Befürworter einer Kollaboration, unter General de Gaulle in London ihre Gegner.“28 Somit spaltete sich das „rechte“ Lager wiederum.

Nach 1944 schlossen sich konservative Kirchenanhänger, die sich der Widerstandsbewegung angeschlossen hatten, dem Mouvement républicain populaire (MRP) an.29 Sie bildeten in der V. Republik das Zentrum auf der politischen Rechts-Links-Skala.30 In diesen kirchlich-konservativen Kreisen stieß das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) nicht bei allen auf Gegenliebe, weswegen sich einige Konservative der nationalistischen Rechten anschlossen und später im Front National zeitweise eine bedeutende Rolle spielten.31

Dieser fand Anhängerschaft, obwohl sich drei bürgerlich-rechte Parteien zur Union pour le mouvement populaire (UMP) zusammengeschlossen und einen Großteil des politisch rechts der Mitte stehenden Lagers vereint hatte. Der FN „[…] bildete sich 1972 durch die Vereinigung der Überreste des Traditionalismus und Rechtsextremismus mit dem neuen Nationalismus, der sich während der Dekolonisierung der Jahre 1945-1962 gebildet hatte […]“32. Ihr Gründer, Jean-Marie Le Pen, hatte bereits Jahre davor den „Front National des Combattants“ gegründet.33 Ziel dieser politischen Organisation war es, für eine Beibehaltung der Kolonie „Französisch-Algerien“ zu werben. „Le Pen repräsentiert in jenen Jahren eine pro-koloniale Rechte, mit ihren inneren Widersprüchen, die sich vom späteren identitär-ethnischen Diskurs im Bezug auf die in ihren Grenzen ‚zurückgezogene‘ Nation unterscheidet.“34 Damals machte sich Le Pen sogar für eine Integration von Muslimen stark, weil ihm bewusst war, dass nur durch Integrationsarbeit die Kolonie zu halten gewesen wäre.35 Anders hingegen sah die Ideologie des 1972 gegründeten Front National aus.

Bis zur Ablösung durch seine Tochter im Jahr 2011 stand Jean-Marie Le Pen dem Front National vor. Und „um besser in die gesellschaftlichen Tiefenstrukturen vorzudringen und das rechte Gedankengut einsickern zu lassen, baute [Jean-Marie] Le Pen einen starken Parteiapparat auf, zu de[m] auch ein weites Netz von Satellitenorganisationen – darunter Zeitschriften wie die National Hebdo sowie diverse Vereine und Verbände – gehörten und organisierte große nationale Festivitäten.“36

Die Erfolge des Front National in den 1980er und 1990er Jahren können zum Teil mit der einsetzenden Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, sozioökonomischen Veränderungen, der Anerkennung von Minderheiten und der beginnenden Globalisierung erklärt werden.37 Denn: „Die rechten Bewegungen dieser Zeit beantworteten diese Umwälzungen mit einer Konterrevolution, die traditionelle Werte wie Ordnung, Hierarchie, Tradition und die Nation in den Vordergrund stellte.“38

Unter Jean-Marie Le Pen konnte die Partei bemerkenswerte Erfolge erzielen, wie Grafik 1 zeigt. Jedoch mussten zeitweise auch schlechte Wahlergebnisse hingenommen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Grafik 1: Wahlergebnisse des Front National von 1978 bis 2007.39

3.2. Ideologie des Front National

„Im Mittelpunkt des Nationalismus der nationalpopulistischen Rechten steht […] die Verteidigung der nationalen Identität gegen innere und äußere Feinde, bei [dem rechtsgesinnten französischen Schriftsteller] Charles Maurras Juden, Protestanten, Freimaurer, Kosmopoliten, bei Jean-Marie Le Pen nordafrikanische bzw. islamische Einwanderer, Intellektuelle, Etatisten und Kommunisten, bei Marine Le Pen, seiner Tochter und Nachfolgerin, Muslime, Anhänger der Europäischen Integration und der NATO.“40

Eine eindeutige Ideologie für alle Anhänger des Front National zu finden, ist dennoch ein wohl nicht zu bewältigendes Unterfangen, gilt der Front National doch als „ein Sammelbecken für sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Gruppen und Strömungen“41. Jedoch gibt es einige Grundelemente, denen sich Front National-Anhänger verschrieben haben:

„They intensely reject foreigners, immigrants, minorities, and call for tough law and order policies. Such a vision is more frequent on the right than on the left of the ideological spectrum, but it reaches a peak among both Jean-Marie and Marine Le Pen voters.“42

Der Front National „fischt“ also nicht nur am rechten, sondern auch ein wenig am linken Rand.

„Er verstärkte [seine Wählerbasis] durch seine Thematisierung sozialer Missstände und übernahm so die Funktion des Volkstribuns (fonction tribunitienne), die vorher die kommunistische Partei ausgeübt hatte. Dadurch wurde er für ehemalige Linkswähler attraktiv.“43

Auch propagiert der Front National immer wieder, er sei „weder links noch rechts, schon gar nicht rechtsextrem“44. 2011 betonte die damals neu gewählte Vorsitzende Marine Le Pen bei einem Pressegespräch, dass sie das Links-Rechts-Denken für überholt halte. „Die wahre Trennlinie verlaufe zwischen den Befürwortern der Globalisierung und den Verteidigern der Nation, die verheerende Souveränitätstransfers rückgängig machen wollen.“45

Diese Anti-Establishment-Haltung hingegen ist, wie oben definiert, ein Indiz für eine populistische Partei. Dazu kommt das anti-egalitäre Moment, dass sich in den Parolen „La France d’abord“ und „La préférence nationale“ ausdrückt.46 Dahinter steckt eine nationalistische Sicht, die Jean-Marie Le Pen zu erklären versuchte, indem er ein „Recht auf Unterschied“ forderte und seine Aussagen keinesfalls als Angriff gegen andere Nationalitäten verstanden wissen wollte.47 Vielmehr sei es ihm darum gegangen, „die französische Identität und die fundamentalen Werte der europäischen Zivilisation zu verteidigen“48.

Wenn sich Jean-Marie Le Pen dem Vorwurf ausgesetzt sah, er sei rassistisch, antwortete er darauf „mit dem Vorwurf eines ‚antifranzösischen Rassismus‘, der sich, von Ausländern ausgeübt, gegen die Franzosen richte und vor dem die Eliten die Augen verschlössen“49.

Seitdem seine Tochter Marine Le Pen den Vorsitz des Front National innehat, hat sich die Partei gewandelt. „In ihr vereinen sich rechte Tradition und ein populistisches Momentum.“50 Sie sieht ihre große Aufgabe darin, den Front National zu entdiabolisieren.

Aber dennoch: Grafik 2 veranschaulicht, dass seine Tochter vor allem auch bei Themen punkten konnte, die bei Jean-Marie Le Pen einst auf der Agenda standen. Le Pen-Wähler sorgten sich um das Thema Unsicherheit, vor allem aber um Einwanderung. Die sozialen Themen Arbeitslosigkeit, Minderheiten, Ungleichheit und Umwelt haben bei Le Pen-Wählern einen deutlich niedrigeren Stellenwert als beim Durchschnittswähler.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Grafik 2: Probleme, die für Wähler von Marine Le Pen 2012 wichtig waren (dargestellt werden die Abweichungen von den Angaben der Durchschnittswähler) 51

Im Unterschied zu ihrem Vater legt Marine Le Pen Wert auf ein intellektuelles Auftreten, das besonnener wirkt als bei Jean-Marie Le Pen. „Ausländerfeindliche Ressentiments verpackt sie in die Formel, bei Sozialleistungen ‚eine nationale Priorität‘ wahren zu wollen – diese also Kindern von Eltern ohne französischen Pass zu verweigern.“52

3.3. Wähler und Anhängerschaft des Front National

Wie bereits erwähnt, versucht der FN nicht nur Wählerstimmen im rechten Lager zu gewinnen. Dabei stützt sich die Partei vor allem auf wirtschaftliche Argumente und fordert, den französischen Wohlfahrtsstaat gegen das weltweite Finanzsystem und dessen Profiteure, wie beispielsweise Banker, zu verteidigen.53 Hier zeigt sich wieder ein typisches Momentum von Populisten: Banker müssen als Feindbild herhalten. Zugleich will Le Pen auch das langjährige Stammklientel der Händler und Handwerker von „ausufernde[r] Bürokratie und den unerträglichen Steuerlasten befreien“54.

Der Front National wirbt also quasi in allen sozialen Schichten, die Basis der Wählerschaft allerdings setzt sich „aus Menschen aus von der ‚Modernisierung‘ bedrohten ‚milieux populaires‘, aus HandwerkerInnen und GeschäftsinhaberInnen und zunehmend aus von sozialer Unsicherheit bedrohten Angehörigen der Mittelschicht zusammen“55.

„Der Front hatte in früheren Zeiten […] Gewaltbereite, Antisemiten und Neofaschisten in seinen Reihen geduldet. Auch Nostalgiker des mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regimes fühlten sich bei [Jean-Marie] Le Pen aufgehoben. [Marine Le Pen] warf einige Extremisten aus der Partei, um diese nicht länger als Hort von Neofaschisten, Antisemiten und Vichy-Romantikern erscheinen zu lassen. Alte Kader wurden durch junge, smarte Kandidaten ersetzt, um auch bei gemäßigten Wählern zu punkten.“56

[...]


1 Vgl. http://orf.at/wahl13/ergebnisse/#ergebnis, aufgerufen am 2.10.2013.

2 Sturm, Roland: Rechtspopulismus. In: Nohlen, Dieter / Grotz, Florian [Hrsg.]: Kleines Lexikon der Politik. Bonn: Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, S. 506.

3 Vgl. Schultze, Olaf-Rainer: Partei. In: Nohlen, Dieter / Grotz, Florian [Hrsg.]: Kleines Lexikon der Politik. Bonn: Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, S. 423 – 426.

4 Ibidem, S. 423 f.

5 Vgl. Lowin, Yannick: Von Jean-Marie zu Marine Le Pen. Der Front National im Spiegel dreier Jahrzehnte. München: Grin Verlag, 2012, S. 22.

6 Spier, Tim: Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S. 26.

7 Gessenharter, Wolfgang: Was ist Rechtsextremismus? In: Spöhr, Holger / Kolls, Sarah [Hrsg]: Rechtsextremismus in Deutschland und Europa. Aktuelle Entwicklungstendenzen im Vergleich. Frankfurt am Main: Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, 2010. S. 28f.

8 Vgl. Spier, Tim: Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Am angegebenen Ort, S. 26.

9 Ibd.

10 Müller, Jan-Werner: Das Leiden ist real. In: Süddeutsche Zeitung vom 24.7.2013, Nr. 169, S. 11.

11 Decker, Frank / Lewandowsky, Marcel: Populismus. URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41192/was-ist-rechtspopulismus. Aufgerufen am 7.7.2013.

12 Vgl. ibd.

13 Huke, Nikolai / Triandafilidou, Haris: Rechtspopulismus in der Euro-Krise. In: Forschungsgruppe Europäische Integration [Hrsg.]: Rechtspopulismus in der Europäischen Union. Hamburg: VSA: Verlag, 2012. S. 16 – 18.

14 Müller, Jan-Werner: Das Leiden ist real. A.a.O., S. 11.

15 Mayer, Nonna: From Jean-Marie to Marine Le Pen: Electoral Change on the Far Right. In: Parliamentary Affairs (2013), Nr. 66, S. 162.

16 Vgl. Decker, Frank und Lewandowsky, Marcel: Populismus. A.a.O.

17 Vgl. Spier, Tim: Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. A.a.O.,S. 20.

18 Vgl. Decker, Frank und Lewandowsky, Marcel: Populismus. A.a.O.

19 Vgl. ibd.

20 Vgl. ibd.

21 Vgl. Sturm, Roland: Rechtspopulismus. A.a.O., S. 507.

22 Decker, Frank und Lewandowsky, Marcel: Populismus. A.a.O.

23 Ibd.

24 Sturm, Roland: Rechtspopulismus. A.a.O., S.507 f.

25 Vgl. Höhne, Roland: Die französischen Rechten zwischen Einheit und Vielfalt. In: Hanns-Seidel-Stiftung: Politische Studien 447. Frankreichs neues Profil. München: Hanns-Seidel-Stiftung, 2013, S. 24.

26 Vgl. ibd.

27 Vgl. ibd.

28 Ibd.

29 Vgl. ibd., S. 26.

30 Vgl. ibd.

31 Vgl. ibd.

32 Ibd., S. 34.

33 Vgl. Schmid, Bernhard: Die Rechten in Frankreich. Berlin: Elefanten Press Verlag, 1998, S.111.

34 Ibd.

35 Vgl. ibd.

36 Lowin, Yannick: Von Jean-Marie zu Marine Le Pen. Der Front National im Spiegel dreier Jahrzehnte. A.a.O., S. 7.

37 Vgl. ibd., S. 14.

38 Ibd.

39 Vgl. Nordsieck, Wolfram: Parties and elections in Europa. France. URL: http://www.parties-and-elections.eu/france2.html. Aufgerufen am 10.10.2013.

40 Höhne, Roland: Die französischen Rechten zwischen Einheit und Vielfalt. A.a.O., S. 24.

41 Ibd., S. 35.

42 Mayer, Nonna: From Jean-Marie to Marine Le Pen: Electoral Change on the Far Right. A.a.O., S. 165.

43 Höhne, Roland: Die französischen Rechten zwischen Einheit und Vielfalt. A.a.O., S. 35.

44 Zit. n. Lowin, Yannick: Von Jean-Marie zu Marine Le Pen. Der Front National im Spiegel dreier Jahrzehnte. A.a.O., S. 24.

45 Zit. n. ibd.

46 Vgl. ibd., S. 12.

47 Vgl. ibd.

48 Ibd.

49 Ibd.

50 Ibd., S. 21.

51 Mayer, Nonna: From Jean-Marie to Marine Le Pen: Electoral Change on the Far Right. A.a.O., S. 166.

52 Wernicke, Christian: Ernste Warnung. In: Süddeutsche Zeitung vom 8.8.2013, Nr. 232, S. 8.

53 Vgl. Lowin, Yannick: Von Jean-Marie zu Marine Le Pen. Der Front National im Spiegel dreier Jahrzehnte. A.a.O.,S. 27.

54 Ibd.

55 Gauthier, Elisabeth: Der extremen Rechten entgegentreten. In: In: Forschungsgruppe Europäische Integration [Hrsg.]: Rechtspopulismus in der Europäischen Union. Hamburg: VSA: Verlag, 2012, S. 155f.

56 Ulrich, Stefan: Madame Le Pens giftiger Cocktail. In: Süddeutsche Zeitung vom 27.06.2013, Nr. 146, S. 8.

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Details

Title
Rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Parteien in Frankreich, Italien und Bulgarien
College
Munich University of Policy
Grade
1,0
Author
Year
2013
Pages
33
Catalog Number
V286279
ISBN (eBook)
9783656865124
ISBN (Book)
9783656865131
File size
974 KB
Language
German
Keywords
rechtsextreme, parteien, frankreich, italien, bulgarien
Quote paper
Thomas Michael Klotz (Author), 2013, Rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Parteien in Frankreich, Italien und Bulgarien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286279

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