Darstellung sozialer Angst vor Devianz als Folge der Familienerosion im japanischen Horrorfilm "Dark Water"


Dossier / Travail de Séminaire, 2014

22 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geistes- und Sozialgeschichtlicher Hintergrund I

3. Ängste - Diskurs über Familienerosion und Devianz

4. Ängste im Horrorfilm generell

5. Der Onryō als literarisches Motiv - Geistesgeschichtlicher Hintergrund II

6. Film Dark Water

7. Vergleich mit The Call und Ring

8. Führt die Familienerosion zum Zusammenbruch der Gesellschaft? - Fazit

Anhang

Literaturquellen

Filmquellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3

Abbildung 4

Abbildung 5

1. Einleitung

Man kann in jedem Filmgenre bestimmte gesellschaftliche Aspekte feststellen, wobei die Genres sich lediglich bei der Wahl und Darstellung ebendieser voneinander unterscheiden. Im Horrorfilm kann man vor allem gesellschaftliche Problematiken erkennen oder Abbildungen gesellschaftlicher Ängste und Alpträume, sowie unterdrückte Inhalte der Gesellschaft. So hat Hausmanninger den Horrorfilm als „Tummelplatz [...] des Unliebsamen und Verdrängten - individuell wie gesellschaftlich“1 bezeichnet. Wood stellte in seiner Theorie über Horrorfilme fest: „the true subject of the horror genre is the struggle for recognition of all that our civilization re presses or op presses“ und was unterdrückt wird, ist nach Tudor zum einen die Sexualität und zum anderen die Andersartigkeit, was sich vor allem in der Familie äußert2.

Ich möchte die kindlichen Rachegeister (Onry ō) japanischer Horrorfilme auf die gegenwärtige Angst bezüglich Devianz und deren Begründungsmöglichkeit in der Familienerosion beziehen. Ich werde mich in der Hausarbeit hauptsächlich mit dem japanischen Horrorfilm Dark Water beschäftigen, werde jedoch stellenweise zu Vergleichszwecken auch auf die Filme Ring und The Call verweisen, die ab dem Ende der neunziger Jahre entstanden sind und in deren Mittelpunkt die sogenannten Onry ō stehen. Obwohl in Ring die Technophobie stärker im Vordergrund steht, kann man auch dort Aspekte der hier thematisierten Problematiken erkennen. Um soziale Aspekte, vor allem Veränderungen, aus Filmen lesen zu können, ist es ratsam, eine Anzahl an Filmen, die über einen bestimmten Zeitraum erschienen sind, vergleichend zu analysieren. Wenn man zum Beispiel gegenwärtige Ängste feststellen möchte, ist es nötig, Horrorfilme aus einem zeitnahen Zeitfenster heranzuziehen und diese zu vergleichen. Da die von mir ausgewählten Horrorfilme in einem Zeitfenster von fünf Jahren produziert wurden, halte ich diese Filme für das erläuterte Vorgehen durchaus für sehr geeignet.

Um das Motiv des Onry ō und den Zusammenhang mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen zu verstehen, werde ich zuerst den geistes- und sozialgeschichtlichen Hintergrund Japans knapp zusammenfassen. Anschließend berichte ich über die Entwicklung der Familie im öffentlichen Diskurs und die Ängste um ebendiese und deren Verbindung zu der gegenwärtigen Jugend. Danach wird der Film näher untersucht. Dabei werde ich zuerst auf den Onry ō verweisen. Anschließend werde ich den Film selbst in Bezug auf die Darstellung von Familie und Jugend analysieren und mit einem zusammenfassenden Fazit abschließen.

Da es sich hierbei um eine Arbeit über Horrorfilme handelt und diese nicht als neutrale Dokumentationen, sondern als Abbild gesellschaftlicher Ängste und damit auch Weltansichten zu verstehen sind, möchte ich hier noch einmal darauf aufmerksam machen, dass ich in dieser Hausarbeit nicht versuchen werde, die allgemeinen Ansichten zu beweisen oder zu widerlegen. Ich werde lediglich die relevanten Aspekte der japanischen Weltanschauung abbilden, um Zusammenhänge zwischen ebendieser und der Filmumsetzung herstellen zu können.

2. Geistes- und Sozialgeschichtlicher Hintergrund I

Um die derzeitigen Ängste bezüglich Jugend und Familie zu verstehen, ist es zunächst nötig, sich zum einen die konfuzianistischen Einflüsse und zum anderen die gesellschaftlichen Verschiebungen anzusehen, die sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen haben. Da die Familie außerdem als wichtigste Sozialisationsinstitution gilt, ist es außerdem ratsam, sich zunächst die japanische Familie und die Auswirkungen der Modernisierungsprozesse zu betrachten, sowohl im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Kind und Eltern, jedoch auch zwischen Mann und Frau, bzw. der Entwicklung der Mutterrolle, da diese die Hauptbeauftragte in Erziehungsangelegenheiten ist.

Vor diesem Zeitraum waren die Aufgabengebiete innerhalb der Familie nach konfuzianistischen Prinzipien geregelt. Der Konfuzianismus besteht vor allem aus Verhaltensregeln innerhalb einer hierarchischen Ordnung. Es gibt fünf Beziehungen, von denen in Bezug auf das hier behandelte Thema vor allem die Beziehung zwischen Mann und Frau sowie Vater und Sohn, also jene, die die Hierarchie innerhalb der Familie bestimmen, wichtig sind. Mit der Einordnung in der Hierarchie werden gleichzeitig auch die Rollen, die die jeweilige Person in der Gesellschaft hat, bestimmt. Aus diesen Rollen gehen die Pflichten hervor, die man anderen Leuten gegenüber erfüllen muss. Wenn jemand nun aufhört seiner Rolle entsprechend zu handeln, führt dies zu einem sozialen Chaos. So waren beispielsweise Frauen und Kinder in einer sehr starken Abhängigkeit den Männern bzw. Vätern gegenüber, gleichermaßen waren sie aber ihre Schutzbefohlenen.

Das Konzept, das lange als weibliches Ideal gegolten hat: Ry ō sai Kenbo oder auch auch „good wife, wise mother“3, entspringt dem Neo-Konfuzianismus der Meiji-Zeit (1868-1912). „As wife, the Meiji-era woman was to support her husband, and as mother, her children[…]. At the same time, the home itself, the ' uchi' (literally the 'inside'), became a location of value, distinct in its virtues and its ability to provide solace from the harsh impersonalities of the urban 'outside'“4, was bedeutet, dass die Frau sich nicht nur um Haushaltsaufgaben und Erziehung kümmert, sondern auch als eine Art moralisches Zentrum fungiert, das die Persönlichkeit des Kindes prägt. „The prevailing wisdom was that parents saw a newborn child as unmarked, as possessing no innate dispositions or talents, a blank shade. The cild's personality, abilities and motivations were all in the hands of her parents, for which read 'mother'“5. Wenn das Kind sich falsch entwickelt, ist dies also nicht die Schuld des Kindes selbst, sondern die der Mutter.

Der Mann kümmerte sich um die finanzielle Versorgung der Familie und die Frau agierte als „gute Ehefrau und weise Mutter“ im Haushalt. Das ist die Arbeitsteilung, die in der Meiji-Zeit gesetzlich festgelegt wurde und von dieser Zeit an dominierte. Obwohl Eltern und Kinder technisch zusammen eine Familie bilden, kann man sie räumlich unterteilen. Das oben angesprochene uchi bezieht sich auf das Innen, also das Haus der Familie, dem die Mutter und das Kind zugeordnet werden. Der Mann wird dem soto, dem Außen zugeordnet, da er fast seine komplette Zeit dafür aufbrachte zu arbeiten oder anderen mit seiner Arbeit zusammenhängenden Pflichten nachzugehen6.

Als am Ende der achziger Jahre die Spekulationswirtschaft zusammenbrach, verschoben sich diese Verhältnisse. Die wirtschaftliche Lage im gesamten Land verschlechterte sich, immer mehr Männer wurden aus ihrem Job entlassen und viele Frauen haben ihre Rolle als Hausfrau hinter sich gelassen und die Familie auch finanziell unterstützt. Obwohl in den neunziger Jahren bereits viele Frauen arbeiteten, stellte Koyama 1991 fest, dass dieses Ideal trotzdem noch weitläufig akzeptiert ist und die Erwartungen und Ziele vieler japanischer Frauen sich danach richten, auch wenn Ry ō sai Kenbo als Bezeichnung eher selten genannt wird7.

3. Ängste - Diskurs über Familienerosion und Devianz

Die Rolle der Familie in der Gesellschaft ist sehr zentral. Es handelt sich um die Hauptinstanz der Sozialisation. Bereits im frühen Kindesalter werden Werte und Normen vermittelt, die als relevant für den Erhalt der Gesellschaft angesehen werden. Dabei scheint, nach öffentlicher Auffassung, besonders die Mutter eine wichtige Rolle zu spielen, da ihr die Erziehungsverantwortung unterliegt. Daher ist es wichtig, für die Kinder und Jugendlichen betreffenden Ängste auch die Veränderungen in der Mutterrolle miteinzubeziehen. Die Ry ō sai Kenbo Ideologie wurde bis in die siebziger Jahre noch als normativ angesehen, jedoch wurde es für die meisten Frauen unmöglich, diesem Ideal gerecht zu werden, manche lehnten es sogar ab8.

Parallel zu den Veränderungen innerhalb der Familien (steigende Scheidungsrate, höhere weibliche Arbeitsbeteiligung, usw.) in den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre ist beispielsweise eine ab 1996 steigende Jugenddevianz und Jugenddelinquenz zu beobachten. In den Medien war besonders in den Jahren 1997, 1998 und 1999 regelmäßig von einer „Verrohung“, einem „Ausrasten“ und einer abnehmenden Normstabilität der Jugend die Rede9. Sie verstoßen also gegen die Normen und Ideale der älteren Generationen.

Die Handlungen, die dabei besondere Beachtung fanden, waren gewalttätige Übergriffe, das Mobbing (Ijime) und das bezahlte Dating von Schülerinnen mit zumeist älteren Männern (Enjo K ō sai). Besonders Letzteres fand man zu dieser Zeit fast jeden zweiten Tag in einer der Schlagzeilen japanischer Zeitschriften und Zeitungen wieder und hat zunächst einen Stereotypen bedient, den Cassing folgendermaßen zusammenfasst: „Kogyaru erfüllen sich ihre eigenen (überzogenen) Wünsche […] und zwar mit nicht lauteren Mitteln […]. Es handelt sich dabei um eine Tendenz, die sich nicht nur verschlechtert […], sondern gar nicht mehr aufzuhalten ist […], und die das Ende der Gesellschaft, das Ende der Welt heraufbeschwört“10 und auch die Asahi Shinbun, eine der auflagestärksten Zeitungen Japans, hat das Bild der heutigen Jugend als „[d]ie Haare braun gefärbt, in der Tasche einen Piepser, Erfahrungen mit Telefonclubs, […] manchmal sogar mit Enjo Kōsai“ beschrieben11. Kumagai führt als wichtigen Faktor dieser Problematik die Elternschaft der sogenannten „Baby-Boom“- Generation (1947-1949) an. Diese Eltern entwickelten ihrer Meinung nach „new concepts of family life and parenting that are somehow deficient in providing children with the love, affection, and discipline they need for proper emotional development. In consequence, Japanese youth today have turned into offenders and victims of bullying“12. Die Familie, als primäre Sozialisationsinstanz, bringt gesellschaftliche Veränderungen mit auf den Weg. Wenn nun als negativ erachtete soziale Veränderungen die Beziehung der Eltern und deren Art und Weise ihre Kinder zu erziehen betreffen, ist es naheliegend, dort auch Veränderungen sozialer Verhaltensweisen der Kinder zu suchen. Neben der Situation der Eltern ist es allerdings auch wichtig, sich die geschwisterliche Lage anzuschauen. Diese kann auch die soziale Kompetenz der Kinder fördern, da sich japanische Familien jedoch immer stärker der Konstellation einer Ein-Kind-Familie zuwendet, wird auch hier ein Aspekt vermutet, der negative Folgen für das Heranwachsen des Kindes haben kann. Fehlen nun auch Bindungen zu den Elternteilen, im Fall Japans speziell der Mutter, hat dies der Bindungs- und Kontrolltheorie, die in der japanischen Devianzforschung meist herangezogen wird, Auswirkungen auf die innere Kontrolle eines Menschen und somit auch sein Verhalten. „Bindungsstabilität entscheidet über den Grad von Konformität oder auch Abweichung des Einzelnen“13. Eine andere wichtige Form von Bindung kann die an andere soziale Netzwerke sein.

Diese notwendigen Bindungen sollen dabei helfen, das Ziel jugendlicher Persönlichkeitsentwicklung zu erreichen, was in Japan mit einer „Anpassung an gesellschaftliche Normen“ gleichgesetzt wird. Dementsprechend sind deviante Jugendliche „schlicht von den Sozialisationsaufgaben überfordert. Sie werden im Grunde als hilfsbedürftig betrachtet und bedürfen der erzieherisch korrigierenden Unterstützung durch Eltern[...]“14. Doch dadurch, dass sich ihre Eltern ihnen gegenüber als eine Art Freund präsentieren, können sie ihrer Erzieherrolle im traditionellen Sinne nicht nachkommen und ausfüllen.

Gemeinsam mit der steigenden Scheidungsrate, veränderten Geschlechterrollen oder auch Familienerosion und der sinkenden Normstabilität bei Jugendlichen, fallen immer mehr Menschen aus ihren zugeschriebenen sozialen Rollen heraus und stürzen, nach konfuzianistischem Glauben, die Welt in ein soziales Chaos

4. Ängste im Horrorfilm generell

„Wenigstens drei Aspekte: Der Horrorfilm betreibt existentiale Hermeneutik und darin einen konstruktiven Katastrophendiskurs. Er stößt in die Bereiche jenseits des Alltagsbewußtseins vor und macht zusammen mit Grundfragen des Menschseins ebenso katastrophische Urängste wie eschatologisch-utopische und metaphysische Hoffnungen zu seinem Gegenstand. Darin ist er beinahe so etwas wie ein Platzhalter existentieller Themen in einer Zeit ihrer oftmaligen Verdrängung[...]. Daneben widmet sich der Horrorfilm [...] der Zeitdiagnostik und der Gesellschaftsanalyse. Dabei kann er geradezu tagesaktuell werden und gesellschaftliche wie politische Themen aufgreifen. Für alle drei Aspekte hält der Horrorfilm zudem qua Genre eine Bandbreite an symbolischen Darstellungsmöglichkeiten bereit, die weit über die anderer Genres - insbesondere des realistischen Problemfilms - hinausgehen. In vielen Fällen unterstützt das eine vertiefte und differenzierte Behandlung entsprechender Themen eher, als daß es sie hindern würde“15.

Der Horrorfilm ist demnach ein Genre, das Ängste und Sorgen einer Gesellschaft aufgreift und verbildlicht. Dass nun gerade Sorgen, die die Familie und Jugend betreffen, verarbeitet werden, ist nicht verwunderlich, da das Thema Jugend gerne verwendet wird um Leute für eine bestimmte Thematik zu begeistern.

„[D]as Thema Jugend verfügt über enormes kulturelles Potential, und das aus zwei Gründen. Erstens, Jugend bedeutet Zukunft. Das heißt, eine Voraussetzung für den Erhalt der bestehenden Gesellschaft ist die Beobachtung von Jugendlichen und ihrem Verhalten, so daß den gesellschaftlichen Erwartungen widersprechende Entwicklungen gegebenenfalls rechtzeitig gebremst und umgelenkt werden können“16.

Die Jugend stellt allerdings nicht nur die Zukunft dar, sondern gleichzeitig auch die Vergangenheit17 und repräsentiert damit sie ihre Wurzeln - ihre Familie und die Gesellschaft als Ganzes. Die japanische Gesellschaft bedauert den Verlust ihrer traditionellen Wurzeln, die mit der Modernisierung zurückgedrängt und sogar unterdrückt wurden und diese zurückgedrängte Vergangenheit ist es, die in Gestalt eines Geistes als „link between past and present, a connection between these time periods that others would prefer to keep separate“, zurückkehrt und die gesellschaftlichen Prozesse, die sich vollzogen und die Vergangenheit untergraben haben, zu zerstören versucht18.

5. Der Onry ō als literarisches Motiv - Geistesgeschichtlicher Hintergrund II

Diese im japanischen Horrorfilm oft vorkommenden Onry ō sind keine Erfindung des japanischen Films, sondern wurzeln in der japanischen Geistesgeschichte, die vor allem vom Shintoismus, Buddhismus und Konfuzianismus geprägt ist. Diese Religionen und Philosophien ergänzen sich soweit sehr gut, dass sie stärker mit Dualismen arbeiten, während in den Glaubensrichtungen, die den Westen geprägt haben, mit einer Dialektik gearbeitet wird. Das führt dazu, dass im asiatischen Raum sowohl die lebenden Wesen, als auch die toten Wesen nicht als räumlich getrennt wahrgenommen werden. Auch werden sie nicht zwangsläufig in Gut und Böse aufgeteilt. So fügen Onry ō dem Lebenden zwar Leid zu, allerdings wurde der Onry ō von einem Lebenden zu dem gemacht, was er ist. Diesen Existenzgrund kann man aus dem Konfuzianismus gewinnen. Hierfür muss man sich mit dem Ursprung des oben angesprochenen sozialen Chaos beschäftigen, das in dem Moment entsteht, in dem ein Mensch seine soziale Rolle verstößt. Die Rolle der Frau besteht darin, das moralische Zentrum des Hauses zu sein und die Erziehung ihres Kindes als oberste Priorität zu sehen. Die Rolle des Mannes besteht darin, die Familie zu finanzieren und Schaden von ihr abzuwenden. Wenn nun der Mann seiner Aufgabe entgegenhandelt und wie in vielen Kaidan-Geschichten den Tod seiner Frau bewirkt, entsteht eben jenes soziale Chaos. Dieses kann nur dadurch wieder in Ordnung gebracht werden, dass die gepeinigte Frau sich gegen ihren Mann auflehnt. Zu diesem Zweck kehrt sie als Onry ō zurück und sucht ihn heim19. So hat in der klassischen Geschichte „Yotsuya Kaidan“ Iemon seine Ehefrau Oiwa getötet, um mit einer anderen Frau zusammen sein zu können. Sie kehrte daraufhin als Onry ō wieder und suchte ihn heim. Der Unterschied zwischen vielen klassischen Geschichten, wie dieser, und den gegenwärtigen Horrorfilmen ist, dass immer häufiger das Kind an der Stelle der Frau als Onry ō steht und dass dieses Kind durch die Taten der Eltern den Tod gefunden hat.

6. Film Dark Water

Da Kinder in Japan als grundlegend gut eingeschätzt werden, liegt der öffentliche Konsens darauf, dass schlechte Charaktereigenschaften durch falschen Umgang, aber vor allem auf eine schlechte Erziehung zurückzuführen sind. Da die Erziehung hauptsächlich der Mutter obliegt, ist es höchstwahrscheinlich ihrem Scheitern zuzurechnen, wenn die Tochter sich deviant verhält. Bei Dark Water, The Call und Ring ist sowohl die Thematik von Onry ō -Mädchen zu erkennen, als auch die Dyade der alleinerziehenden Mutter und ihrem Kind. In Dark Water gibt es dabei sogar drei Dyaden. Im Mittelpunkt des Filmes steht die Beziehung zwischen Yoshimi und Ikuko. Außerdem spielen die Beziehungen zwischen Yoshimi und ihrer Mutter und Mitsuko und ihrer Mutter eine wichtige Rolle. Jede Beziehung ist durch eine Vernachlässigung von Seiten der Mutter geprägt, unter der das Kind zu leiden hat und die im Falle Mitsukos sogar zu deren Tod und damit zur Entstehung des Onry ō führt.

Zu Beginn des Filmes ist Yoshimi gerade mitten im Scheidungsprozess und auf der Suche nach einer neuen Wohnung für sich und ihre Tochter Ikuko. Außerdem muss sie einen Job finden, um besagte Wohnung und Ikukos Kindergarten zu finanzieren. Das heißt, sie muss zum einen die Aufgaben fortführen, die sie in ihrer Ehe bereits übernommen hat, muss nun aber auch noch die Rolle des Geldverdieners übernehmen, die für gewöhnlich dem Mann zukommt. Zusätzlich scheint sie von ihrem sozialen Umfeld isoliert zu leben und kaum Hilfe zu erhalten. Auch die finanzielle Problematik, sowie Diskriminierungen in Ikukos Kindergarten werden realitätsgetreu dargestellt. So spielt Ikukos Kindergartenleiter direkt auf Yoshimis Scheidung an, nachdem Ikuko beginnt, sich ungewöhnlich zu verhalten. Obwohl Yoshimi und Ikuko zu Beginn noch zufrieden zu sein scheinen und Yoshimi ihr Bestes gibt, trotz ihres Jobs und dem Scheidungsprozess genügend für Ikuko da zu sein, gibt es im Film vermehrt Hinweise darauf, dass sie nicht dazu in der Lage ist. Ihr seelischer Zustand wird immer instabiler, weil die Umstände, die nicht alle durch Mitsuko hervorgerufen werden, sie überfordern. So hat sie beispielsweise einen Nervenzusammenbruch bei einem der Scheidungstermine und des Öfteren Kopfschmerzen. Außerdem erfährt man bereits zu Beginn des Filmes, dass Yoshimi vor ihrer Hochzeit aufgrund ihres Jobs in psychologischer Behandlung war in der Zeit nach der Scheidung ihrer eigenen Eltern Probleme wie Schlafwandeln hatte. Dies ist eine Parallele zu Ikuko, die nach Yoshimis Scheidung ebenfalls beginnt, schlaf zu wandeln. Dass Yoshimi also trotz des Wissens um die schwierige Situation Geschiedener und obwohl es so viele Anzeichen dafür gibt, dass sie nicht in der Lage ist, sich angemessen um ihre Tochter zu kümmern, trotzdem darauf beharrt, das Sorgerecht für ihre Tochter zu bekommen, lässt sie egoistisch wirken. Dieses soziale Fehlverhalten von Seiten der Mutter wird den ganzen Film hindurch wiederholt aufgegriffen. Von dem Moment an, in dem Yoshimi mit Ikuko das Haus ihres Mannes und damit ihre soziale Rolle als Mutter verlässt, bringt sie Ikuko in Gefahr20. In einem Moment, in dem Yoshimi ihrer Tochter nicht genug Aufmerksamkeit schenkt, schlüpft Ikuko aus der Wohnung und findet auf dem Dach Mitsukos rote Mimiko-Tasche. Dies ist der Zeitpunkt, von dem an Mitsuko immer wieder auftaucht, zunächst als Ikukos imaginäre Freundin, später als Onry ō, der Yoshimi dazu drängen will, die Rolle einzunehmen, die Mitsukos eigene Mutter abgelehnt hat. Es ist also immer der Moment, in dem die Mutter dem Ideal von Ry ō sai Kenbo den Rücken zukehrt, in dem das Unglück über das Kind hereinbricht. Das Unglück, das im Zentrum des Filmes steht ist jenes, das über Mitsuko hereinbrach. Das Fehlverhalten von Mitsukos Mutter hat zu Mitsukos Tod und damit zur Geburt des Onry ō geführt. Ein zentraler Punkt, der Mitsuko jedoch von dem klassischen Onry ō unterscheidet, ist, dass sie lediglich eine Mutter sucht. Während andere Onry ō tatsächlich auf Rache für ihren vorzeitigen Tod aus sind, versucht Mitsuko Yoshimi für sich zu gewinnen. Die einzigen Indizien für Mitsukos Präsenz sind zunächst der sich immer weiter ausweitende Wasserfleck an Yoshimis Schlafzimmerdecke, die überflutete Wohnung, in der Mitsuko früher mit ihrer Familie lebte und kleinere Pfützen im Aufzug. Sie ist vorerst nichts weiter als eine Präsenz, die zwar gruselig sein mag, aber keine größere Gefahr darstellt. Erst nachdem ihr Yoshimis Aufmerksamkeit verwehrt bleibt, wird sie Ikuko gegenüber sozusagen 'handgreiflich'. Mitsukos aggressive Herangehensweise steht dabei im starken Kontrast zu Ikuko, die die Abwesenheit ihrer Mutter eher im Stillen zu ertragen scheint, obgleich es offensichtlich ist, dass sie darunter leidet. Ikuko macht im Laufe des Films jedoch diesbezüglich eine Entwicklung durch. Obwohl im Großen und Ganzen der oben genannte Kontrast zwischen ihr und Mitsuko bestehen bleibt, hat auch sie zwei Dinge, die sie sich wünscht; Das eine ist ihre Mutter und eine gesunde Familie. Man kann, obwohl sie zunächst nichts dergleichen sagt, erkennen, dass Ikuko unter der ständigen Abwesenheit ihrer Mutter leidet. Dabei sind besonders die Szene auf der Brücke zwischen Ikuko und ihren Eltern und die darauffolgende Szene mit der glücklichen Familie und dem Feuerwerk hervorzuheben. Ikukos sehnsüchtiger Blick und Yoshimis Frage „Möchtest du auch sowas? [Pause] Sieht schön aus, findest du nicht?“21 kann dabei auf das Feuerwerk bezogen sein, aber gerade im Kontrast zur vorigen Szene auch auf das generelle Familienglück, dass die beiden beobachten22. In der letzten gemeinsamen Szene, bevor Yoshimi auf das Dach geht, fordert Ikuko sie sogar verbal auf, bei ihr zu bleiben. Kurz vor dieser Aufforderung ist erneut Mitsukos Mimiko-Tasche aufgetaucht. Diese Tasche ist das zweite Objekt, das sie sich wünscht und obwohl sie zu Beginn noch auf ihre Mutter gehört hat, wenn diese ihr verbot, die Tasche an sich zu nehmen, scheint ihr das Verbot in dieser Szene egal zu sein, da sie trotz des Verbotes die Tasche öffnet. Yoshimi scheint also immer mehr ihren mütterlichen Einfluss auf Ikukos Entwicklung zu verlieren und damit zu bewirken, dass auch Ikuko sich in eine ähnliche Richtung entwickelt, wie die neuen jungen Mädchen der neunziger Jahre gesehen wurden: egoistisch und materialistisch.

Außerdem kann man wiederholt die Isolation der Mädchen beobachten. Jedes der drei Mädchen musste vor dem Kindergarten auf das Auftauchen der Mutter warten. Eine andere Gemeinsamkeit in dieser Szene ist der strömende Regen, der wie eine Mauer zwischen den Mädchen und den anderen Kindern wirkt23. Eine weitere Szene, die auf die soziale Isolation Ikukos hinweist, ist eine Szene im Kindergarten, kurz bevor Ikuko Mitsuko begegnet. Die Kinder sollen miteinander Verstecken spielen, auf Ikukos Frage, ob sie das Versteck zweier anderer Kinder teilen kann, wird sie prompt abgewiesen und weggeschickt, woraufhin sie ihre Suche fortsetzt und sich in einem verlassenen Gang wiederfindet und versteckt. Dies ist zugleich der erste Moment, in dem Mitsuko ihr Schaden zufügt. Man kann in Ikuko also zum einen ein Mädchen sehen, das sich auf dem Weg zur Devianz befindet, allerdings auch ein Mädchen, das aufgrund ihres Mangels an Einbindung in soziale Netzwerke und andere Bindungen zum Opfer von Ijime geworden ist

In dem Moment, in dem Yoshimi sich Mitsuko opfert24, ist Ikuko jedoch nicht nur von Mitsukos Übergriffen selbst befreit, sondern wird auch in ihrer Umwelt anders dargestellt. Sie lebt seitdem bei ihrem Vater, dessen neuer Frau und deren gemeinsamen Kindern. Dort ist sie zwar mit dem Gefühl aufgewachsen, eine Außenseiterrolle einzunehmen, jedoch kann man erkennen, dass sie in dieser kompletten Familie besser aufgezogen wurde, als Yoshimi alleine es geschafft hätte. Der Regen, der zuvor noch so stark präsent war, hat sich verzogen und Ikuko ist gemeinsam mit zwei anderen Mädchen unterwegs, was darauf hinweist, dass sie auch sozial eingegliedert ist.

7. Vergleich mit The Call und Ring

Wer misshandelt wurde, wird sp ä ter einmal selbst misshandeln Auch wenn zunächst einmal keine direkte Kette von Vernachlässigung und den direkten Folgen auf die Handlungsweisen des Kindes im Film The Call zu finden sind, liefert der Film doch einige kleinere Anhaltspunkte, die die Einflüsse der Mütter doch ein wenig beleuchten. Ich beziehe mich dabei zunächst auf Informationen, die wir aus Yumis Vorlesung und sonstiges Fachwissen aus ihrer Universität erhalten. Wir haben dabei zwei wichtige Faktoren. Zum einen das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Im Film wird zunächst angenommen, dass Marie ihre Tochter misshandelte und aus dem Mitleid und der Bewunderung, die daraufhin auch ihr zuteil wurde, positive Gefühle schöpfte. Später stellt sich heraus, dass es nicht Marie, sondern Mimiko war, die Nanako verletzte. Sie nahm in dieser Situation genau die Rolle ein, in der man zuvor Marie vermutet hat. Wenn man sich nun an die Vorlesung erinnert, die Yumi besucht hat, erkennt man bereits die Rolle, die die Mutter spielen könnte: es geht um Aufmerksamkeit. Man erfährt über Marie, dass sie oft nicht zuhause war.

Beim Betrachten von Yumis Elternhaus, findet man einen Haushalt mit drei Personen: Yumis Mutter, Yumis Großmutter und Yumi selbst. Interessant dabei ist die Kleiderwahl der Charaktere. Während Yumis Mutter in einer Rückblende moderne, westliche Kleidung trägt und raucht, ist Yumis Großmutter in der einzigen Szene, in der sie dem Zuschauer gezeigt wird, in einen Kimono gekleidet. Diese Szene zeigt außerdem den Tod der Großmutter, der eine unnatürliche Ursache hat25. Ob es letztendlich Yumis Mutter ist, die sie tötete oder ob es sich um Selbstmord handelt, wird nicht eindeutig aufgeklärt, jedoch schließt der augenscheinliche Triumph, den die Mutter empfindet, einen Mord nicht aus. Auch die Rollen der beiden werden von Yumi eindeutig beschrieben: Yumis Mutter hat sie verletzt und Yumis Großmutter konnte sie nicht aufhalten. Hier wird der Kontrast zwischen der schädlichen Erziehung der jetzigen Elterngeneration und deren Eltern dargelegt.

Wie bereits die Mütter in Dark Water, haben hier Mimikos und Yumis Mütter ihre Rolle verlassen und nicht ausreichend auf ihre Töchter aufgepasst. Und wie bereits Mitsuko in Dark Water, schadet auch Mimiko einer dritten Partei, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie von ihrer Mutter vermisst. Auf diese Unaufmerksamkeit, die sie durch ihre Mutter erfährt, folgt eine Art Eskalation, die zu Mimikos Tod führt: Marie ertappt sie dabei, wie sie Nanakos Arme aufschneidet. Mimiko erleidet einen Asthma-Anfall, jedoch entscheidet sich Marie dafür, ihr nicht zu helfen und stattdessen Nanako ins Krankenhaus zu bringen. Daraufhin stirbt Mimiko und kehrt als Onry ō zurück.

Nun kommt Yumi ins Spiel. Sie wurde als Kind von ihrer Mutter misshandelt und trug, wie man bereits zu Beginn des Filmes erfährt, psychische Folgen in Form von Phobien mit sich.

"Wer misshandelt wurde, wird später einmal selbst misshandeln"26 und so endet der Film, indem der Geist Mimikos Yumis Körper besetzt und Yamashita als neues Opfer für sich gewinnt27.

Wenn man das Prinzip „Wer misshandelt wurde, misshandelt später selbst“ und Mimikos Motiv der Suche nach Aufmerksamkeit nun auf den Film Dark Water überträgt, kann man feststellen, dass es auch dort zutrifft. Yoshimi, die von ihrer Mutter vernachlässigt wurde, vernachlässigt ihre eigene Tochter und Mitsuko, die darin scheitert, Yoshimis Aufmerksamkeit zu erlangen, beginnt Ikuko Schaden zuzufügen, um diese Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Ursprung des Fehlverhaltens ist in der Beziehung zwischen Mutter und Tochter zu finden und wenn man die oben genannten Aussagen nun wieder verallgemeinert, kommt man auf den Ausgangspunkt zurück, der auch auf die Entstehung der kindlichen Onry ō zutrifft. Wenn die Mutter ihrer Rolle nicht nachkommt und ihrem Kind schadet, entwickelt es sich zu etwas, das der Gesellschaft als Ganzer Schaden zufügt.

Sadakos Auge

In Filmen symbolisiert der Blick einer Person immer Wünsche oder Verlangen. Dies ist auch der Grund dafür, dass in klassischen Filmen der Blick der Mädchen selten auf ihre männlichen Gegenspieler fiel. Oftmals wurden sie sogar als blind dargestellt28, was Laura Mulvey mit der männlichen Dominanz und der weiblichen Existenz als etwas, das nur angesehen wird29 und kein eigenes Verlangen hegt, vergleicht. „But even when heroine is not literally blind, the failure and frustration of her vision can be the most important mark of her sexual purity“30 Der Blick der Frau, gerade, wenn er auf einen Mann fällt, symbolisiert eine existente Sexualität der Frau. Genau dies geschieht in dem Höhepunkt von Ring , in dem Sadako aus dem Fernseher klettert und Ryuji niederstarrt31, woraufhin dieser stirbt. Diese Kraft konnten wir bei Sadako, im Gegensatz zu den beiden zuvor erwähnten Mädchen, bereits zu ihren Lebzeiten erkennen und zwar in der Szene, in der sie den Reporter tötet, der ihre Mutter des Betruges beschuldigt. Auch ihre Mutter hatte eine Gabe; sie konnte hellsehen und hat somit beispielsweise ein Dorf vor einem Vulkanausbruch warnen können. Auch hier kann man, wie bereits bei den anderen beiden

Filmen, erkennen, welche Eigenschaften, bzw. Gaben die Töchter von ihren Müttern erhalten haben.

Die Gefühle Sadakos sind, wie die Mimikos, so stark, dass es Sadako nicht genügt, allein ihre Peiniger zu töten. Sie wählt ihre Opfer aus der gesamten Menschheit aus. Was die Opferauswahl von der Mimikos jedoch unterscheidet, ist, dass Sadakos Fluch abzuwenden ist. Sadako kann nicht besänftigt werden, jedoch ist es möglich, den Fluch an eine andere Person weiterzuleiten, indem man das Video kopiert und einer anderen Person zeigt32.

8. Führt die Familienerosion zum Zusammenbruch der Gesellschaft? - Fazit

Die Katastrophen in den behandelten Filmen, bzw. die Entstehung der Onry ō ist dem Fehlverhalten der Eltern, insbesondere der Mutter, zuzuschreiben. Der öffentlichen Meinung nach liegen Gründe des Fehlverhaltens der Kinder in der Erziehung innerhalb der Familie, die der Mutter obliegt.

Durch die Modernisierung, und damit zum einen die einhergehende Verschiebung der Mutter- und Frauenrolle und zum anderen die steigende Scheidungsrate, werden die Unabhängigkeit der Frauen gefördert und Ängste, sowohl vor dem Mächtegleichgewicht, als auch der Zukunft der Kinder, geweckt. Wie soll eine berufstätige, alleinerziehende Mutter ihr Kind nach dem gesellschaftlichen Ideal erziehen, das sie selbst nicht befolgt? Jeder Mensch muss seiner Position entsprechend handeln, weil sonst ein gesellschaftliches Chaos hereinbricht. Dieses Chaos äußert sich sowohl in den klassischen Kaidan-Geschichten, als auch in den modernen Horrorfilmen im Auftauchen des Onry ō. Mitsuko ertrank im Wassertank des Gebäudes, weil ihre Mutter ihrer Rolle entgegenhandelte und nicht auf sie aufpasste. Sadako wurde von ihrer Mutter betrogen und später von ihrem Vater ermordet. Mimikos Mutter sah, dass ihre Tochter einen Asthma-Anfall hatte, entschied sich aber dazu, ihr nicht zu helfen, sondern Mimikos kleine Schwester ins Krankenhaus zu bringen. Alle drei kehrten nach ihrem Tod als Onry ō zurück, Sadako und Mimiko um Rache zu nehmen, Mitsuko um ihrem eher kindlichen Wunsch eine Mutter zu haben, nachzugehen.

Während die Charaktereigenschaften von Mitsuko und Mimiko sich noch auf das bloße Verhalten der neuen weiblichen Jugend beziehen, kommt bei Sadako, die bereits im Teenageralter ist, in dem Moment, in dem sie Ryuji niederstarrt, die Sexualität dazu. Alle drei Filme folgen auf eine Zeit, in der die Problematiken der Jugend, besonders dem Enjo K ō sai, von den Medien stark verfolgt und dramatisiert wurden, was die Ängste innerhalb der gesamten Gesellschaft, obwohl die Problematiken zuvor schon bekannt waren, weiter geschürt hat. Die Verarbeitung sozialer Ängste bezüglich der Familie beschränkt sich allerdings nicht auf die Gestalt des Onry ō. Sie ist auch immer in den Hauptfiguren zu finden. So kommt auch Yoshimi selbst aus einem Familienverhältnis, in dem sie von ihrer Mutter vernachlässigt wird und führt diese Vernachlässigung in ihrer Beziehung mit ihrer eigenen Tochter fort. In The Call misshandelt Mimiko vor ihrem Tod regelmäßig ihre kleine Schwester, was für längere Zeit trotz der häufigen Krankenhausaufenthalte weder von den Krankenhausangestellten, noch von der Mutter, die oft außer Haus ist, wahrgenommen wird. Dazu kommt, dass die Hauptfigur Yumi selbst von ihrer Mutter misshandelt wurde und später Yamashita misshandelt. Auch in Ring sind Sadakos übernatürliche Fähigkeiten, mit denen sie das Video erstellt hat und später die Gesellschaft heimgesucht hat, eine Art Erbe ihrer Mutter.

Während die Geister in Ring und The Call jedoch nicht besänftigt werden können, gelingt es Yoshimi durch den Verzicht auf ihre eigenen Wünsche und ihr Leben, Mitsuko zu besänftigen. Sie opfert sich Mitsuko und befindet sich auch zehn Jahre später, als Geist, noch mit ihr in dem, zu diesem Zeitpunkt, bereits verlassenen und zerfallenen Gebäude. Mit diesem Opfer ist sie außerdem in die Mutterrolle zurückgekehrt, die jede der thematisierten Mütter zuvor verlassen hatte. Mit dieser Rückkehr wird die soziale Ordnung wieder hergestellt und die Bedrohung ist vorüber.

In Bezug auf die Jugendproblematik in den neunziger Jahren kann man diesen Filmausgang als Bestätigung der japanischen Tendenz, Problematiken von Kindern und Jugendlichen auf ihre Erziehung und damit die Mütter zurückzuführen, sehen. Ring und The Call enden mit einem negativen Ausblick und suggerieren, dass die durch die Modernisierung eingetretenen Veränderungen bestehen bleiben und dadurch, dass Sadako und Mimiko nicht mit dem Morden aufhören werden, letztendlich die Gesellschaft, bzw. die dort vertretenen und angestrebten Ideale und Normen, wie man sie kennt, auslöscht. Der Tod von beiden wurde von ihren Eltern herbeigeführt und genau dort liegt der Verbindungspunkt zu den gegenwärtigen Diskussionen. Dark Water endet mit der Aussage, dass eine Rückkehr zu den alten Familienstrukturen die einzige Möglichkeit ist, die Jugend zu einer ansehnlichen Generation zu erziehen. Dafür müssen allerdings die Mütter ihre eigenen Wünsche, insofern sie ihrer sozialen Rolle entgegenhandeln, zugunsten der Erziehung ihrer Kinder aufgeben.

Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Yoshimi und Ikuko schauen einer anderen Familie beim Feuerwerk machen zu Dark Water 00:31:08 und 00:31:14

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Yoshimi (oben links), Mitsuko (oben rechts) und Ikuko (unten) schauen beim Warten auf die anderen Kinder, die von ihren Eltern abgeholt werden

Dark Water 00:01:28, 00:26:48 und 00:48:32

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: Yoshimi opfert sich Mitsuko um ihre Tochter zu retten Dark Water 01:20:37

Abb.4: Yumis tote Großmutter ist mit einem Kimono bekleidet gestorben The Call 01:00:16

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Sadako starrt auf Ryuji nieder und tötet ihn Ring 01:27:30

Literaturangabe

Albers, Thies; Grundmann, Matthias (2008): Familie im Film - Die Familie im filmischen Wandel. In: Schroer, Markus: Gesellschaft im Film, Konstanz.

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Cassing, Katja (2001): Bezahltes Dating (Enjo K ō sai) in japanischen Zeitschriften, Zeitungen und in der Literatur, zugl. Diss., Trier.

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Kumagai Fumie (1996): Unmask Japan today, Westport, Conn. [u.a.].

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Metzler, Anne (1999): Jugenddeliquenz und Jugenddevianz in Japan - Eine Datensammlung, (=Materialien zu Jugend und Devianz in Japan Band 5), Halle [u.a.]

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Williams, Linda (1996): When the Woman Looks; In: Grant, Barry Keith : The Dread of Difference - Gender and the Horror Film, Austin, Texas.

White, Merry (2011): Change and diversity in the Japanese family, In: Bestor, Victoria Lyon et. al (Hrsg.): Routledge Handbook of Japanese Culture and Society, London.

Filmquellen

Dark Water, Regie: Nakata Hideo, 2002; (Orig. Honogurai mizu no soko kara, Japan: Honogurai mizu no soko kara Seisaku Iijnkai [u.a.], 2001)

The Call, Regie: Miike Takashi, 2006, (Orig. Chakushin Ari, Japan: Kadokawa-Daiei Eiga K.K., 2003)

Ring - Das Original, Regie: Nakata Hideo, 2003, (Orig. Ringu, Japan: Omega Project [u.a.], 1998)

[...]


1 Hausmanninger 2000

2 Grant 1996:4

3 Koyama:2013 (preface)

4 White 2011:132

5 White 2011:134

6 s. White 2011:133

7 Koyama 2013:5

8 White 2011:130

9 Metzler 1999:Vorwort

10 Cassing 2001:48

11 Asahi 1996:31 nach Cassing 2001:65

12 Kumagai 1996:87

13 Foljanty-Jost 1998:17

14 Metzler 2000:9

15 Hausmanninger 2000

16 Cassing 2001:12

17 Sobchack 1996:148

18 Tateishi 2003:296f

19 s. Wee 2014: 68f

20 s. Wee 2014:104

21 Dark Water 00:30:35 bis 00:31:49

22 Abb. 1

23 Abb 2

24 Abb 3

25 Abb 4

26 The Call 00:08:44

27 Zu dem Ende des Filmes gibt es grob zusammengefasst zwei Interpretationsarten: Die eine ist, dass Yumi ihm das Bonbon gegeben hat, es aber als eine Art Witz gemeint hat, da sie hinterher lacht. Ich interpretiere das Ende jedoch so, dass sie vom Geist Mimikos besetzt war und sich wie damals bei Nanako, zunächst um ihn kümmern wollte, um ihn danach wieder zu verletzen.

28 Williams 1996: 15f.

29 Williams 1996:15

30 Williams 1996:16

31 Abb 5

32 Ich beziehe mich hier nur auf den ersten Teil der jeweiligen Filmreihe, nicht aber auf den zweiten und dritten Teil der The Call -Filme, in denen das weiterleiten in unterschiedlichen Varianten möglich ist.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Darstellung sozialer Angst vor Devianz als Folge der Familienerosion im japanischen Horrorfilm "Dark Water"
Université
University of Trier
Cours
Soziologie des Films – Klassiker und Genreanalyse
Note
1,3
Auteur
Année
2014
Pages
22
N° de catalogue
V286667
ISBN (ebook)
9783656869597
ISBN (Livre)
9783656869603
Taille d'un fichier
599 KB
Langue
allemand
Mots clés
Horrorfilm, Japan, The Ring, Ring, One Missed Call, Chakushin Ari, Dark Water, Honogurai mizu no soko kara, Filmsoziologie, Genreanalyse, Familienerosion, Devianz
Citation du texte
Marika Bierau (Auteur), 2014, Darstellung sozialer Angst vor Devianz als Folge der Familienerosion im japanischen Horrorfilm "Dark Water", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286667

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