Sprachdominanz. Eine Studie zum Lexikon deutsch-spanischsprachiger Kindergartenkinder


Thèse de Bachelor, 2014

77 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Bilingualer Spracherwerb
2.1 Externe Phänomene
2.1.1 Erwerbsformen
2.1.2 Erwerbsstand
2.2 Interne Phänomene
2.2.1 Transfer und Interferenz
2.2.2 Code-switching
2.3 Theorien
2.3.1 Sprachsystem
2.3.2 Spracherwerb durch Sprachgebrauch

3 Sprachdominanz
3.1 Charakterisierung
3.1.1 Starke Sprache
3.1.2 Schwache Sprache
3.2 Einflussfaktoren
3.2.1 Familie
3.2.2 Kindergarten
3.2.3 Spezifische Kultur
3.3 Interne Phänomene
3.4 Kriterien zur Messung der Sprachdominanz
3.4.1 Quantitative Kriterien auf Ebene der Sprachperformanz
3.4.2 Qualitative Kriterien auf Ebene der Sprachkompetenz

4 Methode
4.1. Hypothesen und Zielsetzungen
4.2 Design der Studie
4.3 Auswahl der Stimuli
4.4 Fragebogen an die Eltern
4.5 Vorstudie
4.6 Durchführung der Studie

5 Ergebnisse
5.1 Quantitative Analyse
5.2 Qualitative Analysen
5.2.1 Deutsch-dominante Kinder
5.2.2 Spanisch-dominante Kinder
5.2.3 Balanciert-bilinguale Kinder
5.3 Diskussion

6 Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Elternfragebogen

1 Einleitung

Interkulturalität wird heutzutage in ganz Europa groß geschrieben. Insbesondere Deutschland ist aufgrund seiner erfolgreichen Wirtschaft zu einer der größten Einwanderergesellschaften dieses Kontinents geworden (vgl. Wisdorff 2014). Neben der Mischung verschiedener Kulturen kommt es automatisch zur Mischung verschiedener Sprachen. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund haben dadurch die Chance, (mindestens) zweisprachig und im Kontakt zu zwei oder mehreren Kulturen aufzuwachsen. Zweisprachigkeit wurde jedoch nicht immer als Chance betrachtet. Vielmehr gab es bis in die 1950er Jahre hinein Autoren, die davor warnten, Kinder mit mehr als nur einer Sprache aufwachsen zu lassen. Argumente, Kinder seien mit einer zweiten Muttersprache überfordert, würden öfter stottern oder seien weniger intelligent, wurden schon lange entkräftet (vgl. Kielhöfer/Jonekeit 1993: 9). Heute wird das Phänomen der Mehrsprachigkeit vor allem als Chance betrachtet, sich in unserer interkulturellen Gesellschaft leichter zurechtzufinden. Auch der gemeinsame europäische Referenzrahmen (Europarat 2001: 17) sieht zwischen Kultur und Mehrsprachigkeit einen signifikanten Zusammenhang:

Mehrsprachigkeit [...] betont die Tatsache, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert [...]. Diese Sprachen und Kulturen werden aber nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert, sondern bilden vielmehr gemeinsam eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren. (Europarat 2001: 17)

Mehrsprachig aufwachsende Kinder interagieren daher nicht nur mit verschiedenen Sprachen, sondern auch mit verschiedenen Kulturen. In dieser Interaktion nehmen die Kulturen Einfluss auf die Sprachen, die Sprachen Einfluss auf die Kulturen und gleichzeitig beeinflussen sich die Sprachen untereinander. Unter anderem ergibt sich aus dieser Interaktion ein Phänomen, das in der Mehrsprachigkeitsforschung als Sprachdominanz bezeichnet wird. Neben der Mehrsprachigkeitsforschung selbst, ist auch das Phänomen der Sprachdominanz für andere Forschungsbereichen von Interesse und kann damit in einen interdisziplinären Kontext eingeordnet werden. Nicht nur in den Disziplinen der Psychologie und der Pädagogik wird das Phänomen untersucht, sondern wird auch aus sozio- und neurolinguistischer Sichtweise erforscht.

In vorliegender Arbeit sollen bilinguale Kinder der Sprachen Deutsch und Spanisch in Bezug auf ihre Sprachdominanz untersucht werden. Es sollen neue Erkenntnisse erlangt werden, wie Sprachdominanz erklärt werden kann. Vor allem möchte ich dabei erforschen, ob sich Erfahrungen, die Kinder im Kontakt zu den verschiedenen Kulturen machen, in ihrem Lexikon niederschlagen und dadurch eine Sprachdominanz konstituieren können.

Diese Arbeit ist in zwei Teile untergliedert. Einen ersten theoretischen Teil, welcher durch die Auswertung einschlägiger Literatur unter anderem der Autoren Müller u.a. (2011), Meisel (1994) und González-Vilbazo u.a. (2013) einen Überblick über den Stand der Forschung zum bilingualen Spracherwerb mit seinen externen und internen Phänomenen geben soll. Hinsichtlich der unterschiedlichen Theorien zu den Sprachsystemen bilingualer Kinder soll auf die Ansichten des Autorenteams Volterra und Taeschner (1978) sowie Genesee (1989) eingegangen werden. Auch die aktuelle Theorie Tomasellos (2009) der “usage-based theory” zum bilingualen Spracherwerb soll im Vergleich mit Chomskys (1965) Ansatz vorgestellt werden. Der Fokus des ersten Teils liegt jedoch auf dem Phänomen der Sprachdominanz, welches zunächst u.a. durch Bermans (1979) Studie und den Forschungen der Autoren Kielhöfer und Jonekeit (1993) näher charakterisiert werden soll. Der Einfluss der Familie, des Kindergartens und vor allem der spezifischen Kulturen auf die Sprachentwicklung bilingualer Kinder sollen vorgestellt und diskutiert werden. Gegen Ende des ersten Teiles werde ich das Thema der internen Phänomene noch einmal im Zusammenhang mit der Sprachdominanz aufgreifen und vor allem Kriterien zur Messung dieses Phänomens vorstellen.

Im zweiten praktischen Teil wird versucht, die Ergebnisse der eigens erhobenen Eltern-Fragebögen zum sprachlichen Umfeld und der durchgeführten Sprachaufnahmen zwölf ausgewählter bilingualer Kinder im Kindergartenalter im Hinblick auf ihre Sprachdominanz zu untersuchen. Dabei soll eine quantitative und qualitative Analyse die zuvor aufgestellte Hypothese bestätigen oder widerlegen.

2 Bilingualer Spracherwerb

In diesem Kapitel werde ich einige notwendige theoretische Erwägungen des bilingualen Spracherwerbs vorstellen. Der Fokus liegt dabei auf dem Erwerbsverlauf und den internen und externen Phänomenen des kindlichen Bilinguismus. Nach Betrachtung der externen Phänomene des bilingualen Spracherwerbs in Kapitel 2.1 werde ich in Kapitel 2.2 auf verschiedene interne Phänomene eingehen. Das Kapitel 2.3 thematisiert in der einschlägigen Literatur diskutierte Theorien über die Sprachsysteme und den Spracherwerb bilingualer Kinder.

2.1 Externe Phänomene

Hinsichtlich der externen Phänomene des bilingualen Spracherwerbs werden vor allem die verschiedenen Formen des Bilinguismus differenziert. Einerseits werden der Erwerbszeitpunkt und die Erwerbsart der beiden Sprachen eines bilingualen Kindes behandelt, andererseits wird auch über einen ausgeglichenen bzw. unausgeglichenen Entwicklungsstand beider Sprachen diskutiert.

2.1.1 Erwerbsformen

In der einschlägigen Literatur findet man viele verschiedene Ansätze, die versuchen den Begriff des Bilinguismus zu definieren. Um einen besseren Überblick zu erhalten, was als ‘bilingual’ verstanden wird, sollen hier einige Ansätze verschiedener Autoren vorgestellt werden. Das Autorenteam Müller u.a. (vgl. 2011: 15) unterscheidet zwischen verschiedenen Spracherwerbsformen, die zur Zweisprachigkeit führen können. Wächst ein Kind in einem zweisprachigen Gebiet auf oder besitzen dessen Eltern unterschiedliche Erstsprachen, so ist es von Geburt an mit zwei oder mehreren Sprachen in Kontakt und erwirbt diese zeitgleich und auf natürliche Weise. Anders verhält es sich, wenn das Kind erst in der Schule auf eine weitere Sprache stößt und diese sukzessiv und durch gesteuerten Unterricht erlernt. Es wird also zwischen dem simultanen und natürlichen Erwerb einerseits und dem sukzessiven und gesteuerten Erwerb andererseits differenziert (vgl. Patuto 2012: 30).

Dabei vermuten die Autoren Müller u.a. (vgl. 2011: 16), dass das simultane Erlernen zweier Sprachen zügiger voranschreitet und durch weniger Spracheneinfluss gekennzeichnet ist, als beim sukzessiven Spracherwerb. Da vorliegende Arbeit jedoch nicht den sukzessiven und gesteuerten Spracherwerb thematisiert, soll dieser von hier an ausgeklammert werden.

Beim simultanen Spracherwerb wird häufig die Rolle des Alters thematisiert. Ausschlaggebend ist das ‘Aneignungsalter’, d.h. das Alter, in dem das Kind das erste Mal mit der Sprache in Kontakt kommt (vgl. Reich 2009: 13). Neurologische Studien zeigen, dass das menschliche Gehirn bis zum dritten Lebensjahr Sprachen am besten aufnehmen und ablegen kann. Doch obwohl die ersten drei Lebensjahre von großer Wichtigkeit für den Spracherwerb auf muttersprachlichem Niveau sind, ist dieser bis in die Pubertät hinein möglich (vgl. Müller u.a. 2011: 16-17). Eine weitere Unterscheidung zwischen kindlichem und erwachsenem Spracherwerb ist daher sinnvoll.

2.1.2 Erwerbsstand

Die soeben vorgestellten Unterscheidungen der verschiedenen Arten bilingualen Spracherwerbs geben allerdings noch keinen näheren Aufschluss darüber, inwieweit die Sprachentwicklung des Sprechers fortgeschritten sein muss, damit er als bilingual gilt. Daher sollten auch dahingehend weitere Differenzierungen vorgenommen werden. Einige Autoren, wie zum Beispiel Diebold (1961) und MacNamara (1967), vertreten bezüglich des Bilinguismus eine minimalistische Ansicht, die vom Sprecher lediglich ein geringes Wissen in einer zweiten Sprache verlangt, um ihn als bilingual zu bezeichnen (vgl. Patuto 2012: 22). Einen dazu gegensätzlichen maximalistischen Ansatz vertreten unter anderem das Autorenteam Kielfhöfer und Jonekeit (1993), Wei (2007) und Taeschner (1983). Sie verlangen eine hohe Sprachkompetenz des Sprechers, um ihn als bilingual einzustufen. Aus diesen konträren Ansichten wird deutlich, dass der Grad der Sprachbeherrschung bei der Erforschung des Bilinguismus eine wichtige Rolle spielt.

Da die vorliegende Studie die Sprachdominanz bilingualer Kinder untersucht, die ihre beiden Erstsprachen simultan erwerben, soll vor allem die Definition des Autors Wei (2007: 5) für den Begriff des Bilinguismus betrachtet werden:

The word ‘bilingual’ […] can, however, also be taken to include the many people in the world who have varying degrees of proficiency in and interchangeably use three, four or even more languages. […] It is important to recognize that a multilingual speaker uses different languages for different purposes and does not typically possess the same level or type of proficiency in each language. (Wei 2007:5).

Der Autor setzt einen Fokus auf die Untersuchung der “varying degrees of proficiency” (Wie 2007:5), die der bilinguale Sprecher in seinen beiden Sprachen besitzt. Es kann daher zusätzlich zwischen ausgeglichenem und unausgeglichenem Bilinguismus differenziert werden. Für diese Dichotomie wurde der Begriff der Sprachdominanz eingeführt, um welche es in dieser Arbeit vor allem gehen soll. Wei betrachtet das Phänomen des Bilinguismus zudem aus soziokultureller Perspektive, indem er Gründe untersucht, die die Sprecher mit (mindestens zwei) verschiedenen Sprachen in Kontakt bringen (vgl. Wei 2007: 3). Auch der Einfluss des soziokulturellen Hintergrundes auf die Entwicklung beider Sprachen wird in dieser Arbeit thematisiert.

2.2 Interne Phänomene

Bevor die Termini Tansfer und Interferenz näher betrachtet werden, möchte ich das Konzept von Performanz und Kompetenz kurz vorzustellen. Als Performanz versteht man in der generativen Grammatikforschung “die Anwendung des zugrunde liegenden Sprachwissens.” (Müller u.a. 2011: 17). Es handelt sich also bei Sprachperformanz einfach ausgedrückt um Sprachgebrauch. Das Sprachwissen, welches dem Sprachgebrauch zugrunde liegt, wird als Sprachkompetenz bezeichnet (vgl. Müller u.a. 2011: 17).1 Die Sprachaufnahmen der bilingualen Kinder, die in der vorliegenden Studie auf ihre Sprachdominanz analysiert werden, sind demnach Performanzdaten.

Problematisch bei der Analyse von den Daten der Kinder ist allerdings die Frage, inwieweit man von der Sprachperformanz des Kindes auf seine Kompetenz in der jeweiligen Sprache schließen kann (vgl. Patuto 2012: 83). Performanzdaten spiegeln lediglich dann Kompetenzphänomene wider, wenn das jeweilige Sprachphänomen im Sprachgebrauch mit einer bestimmten Häufigkeit auftritt (vgl. Müller u.a. 2011: 18).

2.2.1 Transfer und Interferenz

Beim Transfer und der Interferenz handelt es sich um Termini, die Phänomene des bilingualen Spracherwerbs bezeichnen und vor allem den Spracheneinfluss betreffen. Der Autor Clyne (1975: 16) versteht unter Transfer die “Übernahme von Elementen, Merkmalen und Regeln aus einer anderen Sprache”. Da das Sprachwissen der Sprache A auf die Sprache B übertragen wird, handelt es sich beim Transfer um Spracheneinfluss auf Kompetenzebene (vgl. Patuto 2012: 83). Das Übertragen dieses Sprachwissens kann in positive Richtung ausschwenken (positiver Transfer2 ) und das Erlernen einer Zweitsprache erleichtern (vgl. Müller u.a. 2011: 22). Allerdings kann Transfer sprachlichen Wissens auch in negative Richtungen ausschlagen und zur Verlangsamung des Zweitspracherwerbs führen (vgl. Müller u.a. 2011: 22). Negativer Transfer liegt vor allem dann vor, wenn grammatische Konstruktionen einer Sprache in die Zielgrammatik der anderen Sprache transferiert werden, mit der sie nicht übereinstimmen (vgl. Patuto 2012: 83).

Es soll nun der Interferenzbegriff betrachtet werden, den der Autor Mackey (1986: 303) folgendermaßen definiert: “Interference is the use of features belonging to one language while speaking or writing another”. Da also Interferenzen während des normalen Sprachgebrauchs auftreten, handelt es sich um Spracheneinfluss auf Performanzebene (vgl. Müller u.a. 2011: 18). Die Interferenz unterscheidet sich zudem von der Entlehnung – dem sogenannten borrowing – welche ein Phänomen auf Kompetenzebene beschreibt. Eine Entlehnung liegt vor, wenn “ein Wort oder eine syntaktische Konstruktion aus der Sprache A in der Sprache B integriert wird.” (Müller u.a. 2011: 246).

Da es sich bei dem erhobenen Sprachmaterial in vorliegender Studie um Performanzdaten handelt, soll im Laufe der Arbeit der Begriff der Interferenz – also spontan und sporadisch auftretender Spracheneinfluss – verwendet werden.

Der Begriff der Interferenz soll auch deshalb gebraucht werden, da bei dem von mir erhobenen Sprachmaterial lediglich auf die Sprachperformanz der Kinder geschlossen werden kann, jedoch dem Sprachmaterial kein tatsächliches Sprachwissen zugrunde liegt. Bei den Daten, die aus den Elternfragebögen erlangt wurden, handelt es sich streng genommen um Produktionsdaten, die durch die Repräsentationen der Eltern gewonnen wurden (vgl. Krefeld/ Pustka 2010: 12-13).

2.2.2 Code-switching

Das Thema der Sprachmischungen ist ein wichtiger Teilbereich der Mehrsprachigkeitsforschung. Als Überbegriff bezeichnen Sprachmischungen Sätze, die Elemente aus mehr als einer Sprache enthalten (vgl. Müller u.a. 2011: 250). Die Soziolinguistik untersucht Sprachmischungen bezüglich ihres Auftretens in verschiedenen Kontexten, wohingegen die Psycholinguistik – abhängig vom Gesprächspartner – die Aktivierung bzw. die Deaktivierung einer der beiden Sprachen erforscht (vgl. Müller u.a. 2011: 188).

Die Begriffe code-mixing, code-switching, code-blending3 und code-shifting4 sind allesamt verschiedene Formen von Sprachmischungen. Im Rahmen dieser Arbeit soll vor allem das code-switching und das code-mixing näher betrachtet werden. Der Begriff code-switching “is the alternation of two languages within a single discourse, sentence or constituent” (Poplack 1982: 583). Um eine Abgrenzung zum Begriff des code-mixing zu erlangen, erscheint es sinnvoll, Meisels (1994: 415) Sichtweise zum Phänomen code-switching zu betrachten:

Code-switching is the ability to select the language according to the interlocutor, the situational context, the topic of conversation, and so forth, and to change languages within an interactional sequence in accordance with sociolinguistic rules and without violating specific grammatical constraints. (Meisel 1994: 415)

Aus dieser Definition können viele wichtige Rückschlüsse gezogen werden. So sieht Meisel code-switching nicht etwa als sprachliches Defizit an, sondern vielmehr als Fähigkeit des mehrsprachigen Sprechers, zwischen seinen Sprachen je nach Kontext und Thema hin und her zu wechseln (vgl. Müller u.a. 2011: 189). Die syntaktische Basis bildet im code-switching eine sogenannte Matrixsprache, in die Elemente der embedded language einfließen. Dabei wird gefordert, dass der Sprecher die embedded language unter Berücksichtigung der grammatikalischen Vorgaben der Matrixsprache integriert (vgl. Neidig 2008: 39). Daher wird das Phänomen code-switching auch mehr in Studien zur Untersuchung von Erwachsenensprache angewandt, da hier unterstellt wird, dass erwachsene Spracher über diese Kompetenzen verfügen. Vor allem wird dem Sprecher das Bewusstsein des code-switching unterstellt, d.h. der Wille in einer gegebenen Situation zwischen den Sprachen zu wechseln (vgl. Häcki Buhofer/Burger 1998: 35).

Die Autoren DiSiciullo, Muysken und Singh (1986) grenzen das code-mixing vom code-switching ab, indem sie das code-mixing als auftretende Sprachmischungen ohne pragmatische und grammatikalische Regularitäten charakterisieren (vgl. Müller u.a. 2011: 188). Damit schließen sie sich der Meinung des Autors Meisel (1994) an, der code-mixing ebenfalls als einen Sprachwechsel bezeichnet, der keinen dieser Regularitäten folgt. Code-mixing tritt vor allem im Verlauf des kindlichen bilingualen Spracherwerbs auf (vgl. Müller u.a. 2011: 187). Bei bilingualen Kindern darf von code-switching erst dann die Rede sein, wenn diese sich an die Regeln des Sprachwechsels halten (vgl. Müller u.a. 2011: 189). Man nimmt an, dass der Unterschied zwischen Sprachmischungen bei Erwachsenen und jenen bei Kindern darin besteht, dass Kinder die Mischungen nicht systematisch oder durch die Einhaltung von linguistischen Regeln vornehmen (vgl. Genesee 1989: 164). Der Begriff des code-mixing unterliegt aufgrund der Unterstellung einer mangelnden Sprachkompetenz einer negativen Konnotation. Daher soll fortan der allgemein akzeptierte Begriff des code-switchings verwendet werden.

In welchen Situationen kommt es also bei bilingualen Kindern zum Auftreten von code-switching? In dem Artikel Methodological Considerations in Code-Switching Research (González-Vilbazo u.a. 2013: 122) gehen die Autoren davon aus, dass code-switching auftritt” […] whether there is a trigger for switching languages within the utterance.”

Es wird also ein bestimmter Auslöser gefordert, der die Sprachmischung nach sich zieht. Satzrhythmus, Phonologie oder auch bestimmte Lexeme können einen Auslöser darstellen. Zudem können bestimmte ausgewählte Lexeme (z.B. Lexeme, die in beiden Sprachen ähnlich sind) das Auftreten von code-switching steigern (vgl. González-Vilbazo u.a. 2013: 123). Dies wird unter anderem in vorliegender Studie untersucht.

Wie bereits erwähnt wurde, stellt code-switching aus soziolinguistischer Sichtweise auch die Fähigkeit dar, eine Sprache abhängig sowohl von der Situation als auch des Interaktionspartners zu wählen und diese gegebenenfalls zu wechseln. Der dem Kind gegenüberstehende Gesprächspartner kann also auch Auslöser für einen Sprachwechsel sein. Daher gehen viele Autoren (vgl. z.B. Genesee 1989) davon aus, dass auch Ein-Wort-Äußerungen als Mischung gelten, wenn sie im jeweils anderen Sprachkontext auftreten (vgl. Müller u.a. 2011: 208). Aus der Studie von Cantone (2007) geht jedoch hervor, dass Kinder ihre Sprache in Abhängigkeit des Kontextes meist richtig wählen. Auch diese Annahme soll im zweiten Teil vorliegender Arbeit näher untersucht werden. Neben den verschiedenen Auslösern von code-switching spielt auch das sprachliche Umfeld der bilingualen Kinder eine wichtige Rolle. Befinden sich die Kinder in einem Umfeld, in der Sprachmischungen als ‘normal’ erachtet werden – z.B. durch das Vorbild der Eltern – neigen sie automatisch vermehrt dazu, ihre Sprachen miteinander zu vermischen (vgl. Genesee/Nicoladis/Paradis 1995: o.s. zit. nach Patuto 2012: 96).

2.3 Theorien

In diesem Kapitel werde ich auf die verschiedenen Theorien zu den Sprachsystemen und den Spracherwerb bilingualer Kinder eingehen. Es soll dabei die Theorie des fusionierten Sprachsystems der Theorie der getrennten Sprachsysteme gegenübergestellt werden. Zuletzt werde ich den Ansatz der sogenannten usag-based theory Tomasellos (2009) zum Spracherwerb vorstellen.

2.3.1 Sprachsystem

Die zuletzt vorgestellten Interferenzphänomene zeigen, dass beide Sprachen des bilingualen Kindes in gegenseitiger Einflussnahme zueinander stehen. Spracheneinfluss ist daher ein wichtiger Aspekt, wenn es um den Spracherwerbsverlauf bilingualer Kinder geht. Aufgrund des Spracheneinflusses wird von einigen Wissenschaftlern vermutet, dass in den ersten Phasen des (kindlichen) bilingualen Spracherwerbs nur ein einziges fusioniertes Sprachsystem besteht, da die Sprachentrennung noch nicht vollzogen wurde (vgl. Patuto 2012: 70). Die Sichtweise der unitary language system hypothesis wird vor allem von den Autorinnen Volterra und Taeschner (1978) vertreten, die mit ihrem Beitrag des sogenannten Drei-Phasen-Modells den bilingualen Spracherwerb in drei Entwicklungsphasen einteilen. Über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg untersuchten sie in einer Studie zwei Kinder, die nach der une persone - une langue Methode deutsch-italienischsprachig aufwuchsen. Diese von Jules Ronjat (1913) vorgeschlagene Methode ist wohl die verbreitetste zur bilingualen Spracherziehung. Dabei spricht jeder Elternteil nur seine jeweilige Muttersprache mit dem Kind. Mittels dieser Methode wird meist eine funktionale Trennung beider Sprachen erreicht (vgl. Köppe 1997: 17).

Die erste Entwicklungsphase der untersuchten Kinder war von vielen gemischtsprachlichen Äußerungen geprägt. Daher nahmen die Forscherinnen an, dass bilinguale Kinder in der ersten Phasen ihrer Sprachentwicklung nur über ein einziges fusioniertes, lexikalisches System verfügen. In der zweiten Phase wird davon ausgegangen, dass die Kinder zwar ihre beiden Lexika voneinander trennen können, jedoch der syntaktische Bereich noch nicht sprachspezifisch differenziert wurde. Erst in der letzten Phase ist vom Bestehen zweier unterschiedlicher Sprachsysteme die Rede, da erst dann die Sprachentrennung auf syntaktischer Ebene vollzogen wurde und Interferenzen nur noch in geringem Maße auftreten (vgl. Patuto 2012: 71-72). Volterra und Taeschner bezeichnen das Kind erst in dieser letzten Phase als ‘wirklich’ bilingual (vgl. Volterra/Taeschner 1978 o.s. zit. nach Müller u.a. 2011: 108). Taeschner unterscheidet darüber hinaus über zwei verschiedene Phasen des Lexikonerwerbs. Die erste Phase zeichnet sich dadurch aus, dass das bilinguale Kind über keine Äquivalente bzw. Synonyme verfügt. Erst in der zweiten Phase beginnt es seine beiden lexikalischen Systeme zu trennen, indem es anfängt Äquivalente zu produzieren (vgl. Taeschner 1983 zit. nach Köppe 1997: 62).

Nach dem heutigen Stand der Forschung geht man jedoch davon aus, dass Sprachentrennung von Anfang an existiert. Auftretende Sprachmischungen, die als Beleg für die Theorie des fusionierten Sprachsystems angesehen wurden, sind nach Meinung des Forschers Genesee lediglich Ausdruck sprachlicher Interaktion zwischen den beiden Sprachsystemen bilingualer Kinder (vgl. Genesee 1989: 162). In seinem Artikel zur bilingualen Sprachentwicklung kritisiert Genesee (1989) vor allem das von Volterra und Taescher (1978) entworfene Drei-Phasen-Modell und die unitary language system hypothesis. Es wird darüber diskutiert, ob bilinguale Kinder nicht doch über differenzierte Sprachsysteme verfügen und dadurch von Anfang an dazu fähig sind, ihre beiden Sprachen in verschiedenen Kontexten richtig einzusetzen (vgl. Genesee 1989: 161). Die language seperation system hypothesis geht von einer sehr frühen Sprachentrennung bilingualer Kinder aus. Auch der Autor Meisel (1989) reagierte in seiner Arbeit kritisch auf das Drei-Phasen-Modell und schließt sich Genesees Meinung an, indem er davon ausgeht, dass bilinguale Kinder von Beginn an beide Sprachen voneinander trennen können. Beide Autoren sind der Ansicht, dass von einer Sprachentrennung deshalb auszugehen ist, weil gar keine bzw. eine sehr geringe gegenseitige Beeinflussung beider Sprachen festgestellt wurde. Dies untersuchten sie am Beispiel von gemischtsprachlichen und einsprachigen Äußerungen bilingualer Kinder. Die Autoren führten vielmehr andere Faktoren an, wie zum Beispiel eine zeitweise auftretende Sprachdominanz, die für das Auftreten von Interferenzen verantwortlich ist (vgl. Müller u.a. 2011: 111). Genesee (1989: 169) betont, dass “[…] [i]n neither of these cases is it necessary to assume that the languages are represented in a unified system.”

2.3.2 Spracherwerb durch Sprachgebrauch

Theorien darüber, wie der Mensch Sprache erwirbt, werden in der einschlägigen Literatur häufig diskutiert. Dazu möchte ich vor allem die Exemplartheorie vorstellen, ein Ansatz, der davon ausgeht, dass Sprache durch Sprachgebrauch erworben wird, d.h. in erster Linie durch die Nachahmung von Sprache. Der Autor Tomasello (2009: 86) beschreibt den kindlichen Spracherwerb mit folgenden Worten: “Children acquire language first and foremost by understanding how others use language.”

Mit seiner These der usag-based theory of language acquisition widerspricht er dem nativistischen Ansatz nach Chomsky (1965), der die Meinung vertritt, dass der Mensch eine angeborene Universalgrammatik besitzt.5 Wie andere Vertreter der Exemplartheorie auch, geht Tomasello davon aus, dass dem Menschen keine Universalgrammatik angeboren ist (vgl. Behrens 2009: 429). Vielmehr gehen Befürworter dieser Theorie davon aus, dass grammatikalische Strukturen gebrauchsbasiert erworben werden, d.h., aus sprachlichem Input, dem das Kind ausgesetzt ist, abgeleitet werden können.

Für den Autor Tomasello (vgl. 2009: 70) steht beim Spracherwerb die kommunikative Funktion von Sprache im Vordergrund. Menschliche Gesten, die bereits bei Säuglingen beobachtet werden können, dienen der kommunikativen Funktion und werden schon sehr früh an die kontextuelle Umgebung angepasst. Ihre ersten Wörter erwerben Kinder schließlich, indem sie diese von einer längeren Äußerung ‘extrahieren’ und versuchen sie mit dem relevanten Aspekt der kommunikativen Situation (in der sie sich mit dem Erwachsenen befinden) in Verbindung zu bringen (vgl. Tomasello 2009: 75). Diese Theorie zum Spracherwerb ist vor allem deshalb interessant, da in nachfolgender Studie ebenfalls davon ausgegangen wird, dass Kinder ihre beiden Sprachen abhängig von ihrer Umgebung und anderen externen Einflüssen erlernen. Eine Mittelposition dieser beiden gegensätzlichen Theorien ergibt sich aus der Ansicht, dass interne Mechanismen des Menschen zusammen mit den externen Lebensbedingungen dazu führen, dass Sprache erworben wird und sich im Laufe der Zeit entwickelt (vgl. Oerter 1998: 713).

3 Sprachdominanz

Dieses Kapitel wird sich mit dem Phänomen der Sprachdominanz im bilingualen Spracherwerb beschäftigen. Zunächst werden starke und schwache Sprache näher charakterisiert und Einflussfaktoren aufgezeigt, die Sprachdominanz konstituieren. Die bereits in Kapitel 2 erörterten internen Phänomene des bilingualen Spracherwerbs sollen noch einmal aufgegriffen und in Zusammenhang mit dem Phänomen der Sprachdominanz gebracht werden. In der Literatur vorgeschlagene quantitative und qualitative Kriterien zur Messung von Sprachdominanz sollen das Kapitel abrunden.

3.1 Charakterisierung

Zum besseren Verständnis, welche Eigenschaften die starke und die schwache Sprache bilingualer Kinder besitzt, werde ich eine Studie zur Sprachdominanz der Wissenschaftlerin Berman (1979) vorstellen. Dadurch soll das Phänomen der Sprachdominanz näher definiert werden.

3.1.1 Starke Sprache

Bei der starken Sprache handelt es sich meist um die sich schneller entwickelnde und weiter fortgeschrittene Sprache, wobei nicht genau festgesetzt ist, wie weit sie entwickelt sein muss, um als die ‘dominante Sprache’ zu gelten. Es werden dabei Parallelen zwischen dem Entwicklungsverlauf der starken Sprache bilingualer Kinder und der Sprachentwicklung monolingualer Kinder gezogen (vgl. Müller u.a. 2011: 65). Die Autoren Kielhöfer und Jonekeit (1993: 11) sprechen vom “Grad der jeweiligen Sprachbeherrschung”, der vorhanden sein muss, um überhaupt von Zweisprachigkeit sprechen zu können. Da sie davon ausgehen, dass immer ein bestimmter Grad an Unbalanciertheit zwischen beiden Sprachen gegeben ist, schließen sie dieses Ungleichgewicht zwischen den Sprachfertigkeiten sogar in ihrer Definition für Bilinguismus mit ein (1993: 12): “Zweisprachigkeit ist in der Regel durch das Miteinander einer starken und einer schwachen Sprache bestimmt.”

Durch erste Sprachdominanzstudien Ende der 1950er Jahre fand man heraus, dass Fertigkeiten der starken Sprache meist auf Kompetenz- und Performanzebene vorhanden sind, wohingegen die schwache Sprache Defizite auf beiden Ebenen aufweist (vgl. Müller u.a. 2011: 68). Anhand einer näheren Betrachtung der Studie Bermans (1979) sollen nun einige Faktoren aufgezeigt werden, die zur Dominanz in einer Sprache führen können.

Berman erforschte das Sprachverhalten des englisch-hebräischsprachigen Kindes Shelly. Bis Shelly zweieinhalb Jahre alt war lebte sie mit ihrer englischsprachigen Familie in Israel. In dieser Zeit galt sie als hebräisch-dominant. Die Bereiche der Sprachproduktion und des Sprachverständnisses waren bei Shellys Hebräisch weit fortgeschritten. Ihre Englischkenntnisse waren lediglich auf den Bereich des Sprachverständnisses beschränkt (vgl. Patuto 2012: 93). Berman bezeichnete Shelly in dieser ersten Phase als semilinguales Kind, da sie weder die eine noch die andere Sprache perfekt beherrschte.6 Mit dem Umzug der Familie in die USA veränderte sich neben der Umgebungssprache auch Shellys Verhalten bezüglich ihrer Sprachdominanz. Durch den Eintritt in einen englischsprachigen Kindergarten wurde das Englische für sie allgegenwärtig und führte schließlich auch zu einer Vernachlässigung und letztendlich einer Verweigerung des Hebräischen. Nachdem die Familie ein Jahr später wieder zurück nach Israel gezogen war, zeigte Shelly lediglich in den ersten vier Monaten ein unsicheres Sprachverhalten im Hebräischen, bis sie wieder sicher kommunizieren konnte (vgl. Müller u.a. 2011: 67).

Die soeben geschilderte Studie zeigt, dass sich Sprachdominanz in Abhängigkeit von der Umgebungssprache entwickeln kann und daher an den jeweiligen sprachlichen Kontext gebunden ist. Durch die Entwicklung der starken in die schwache Sprache und umgekehrt wurde schlussgefolgert, dass Sprachdominanz nie absolut ist, sondern sich im Laufe der Jahre und je nach Kontext verändern kann (vgl. Müller u.a. 2011: 67-68).

Der intensive Sprachgebrauch des Englischen in den USA – der durch den Eintritt in den Kindergarten nochmals vermehrt wurde – führte bei Shelly dazu, dass sie es mit der Zeit besser beherrschte als das Hebräische und daher präferierte. Kielhöfer und Jonekeit sprechen in diesem Zusammenhang von einem “Kreislauf von Ursache und Wirkung” (Kielhöfer / Jonekeit 1993: 12). Sprachpräferenzen von bilingualen Kindern können also ebenfalls Aufschluss darüber liefern, welche der beiden Sprachen die dominante ist (vgl. Müller u. a. 2011: 68). Auch soziopsychologische Faktoren, wie zum Beispiel die Einstellung des Sprechers zur Sprache, spielen bei der Entwicklung einer Präferenz für eine bestimmte Sprache eine wichtige Rolle (vgl. Meisel 2007: 499). Der Autor Meisel unterscheidet zwischen der dominance, die sich nur auf das Vorherrschen einer der beiden Sprachen in einer bestimmten Situation bezieht, und der language preference. Diese resultiert in einem regelmäßigen und situationsunabhängigen Vorziehen einer Sprache (vgl. Meisel 2007: 498). Weitere Einflussfaktoren, die Sprachdominanz konstituieren, sollen in Kapitel 3.2 vorgestellt werden.

3.1.2 Schwache Sprache

Nach Schlyter (1993) ist die schwache Sprache “die sich sichtbar langsamer entwickelnde Sprache eines bilingualen Kindes.” (Müller u.a. 2011: 68). Die Autoren Müller u.a. (vgl. 2011: 68-69) gehen im Detail auf grammatikalische Phänomene ein, die erst sehr spät entwickelt werden, auf syntaktische Funktionswörter, die weitestgehend ausgelassen werden und auf die Größe des Lexikons, das meist weniger umfangreich ist als das der starken Sprache. Auf Kompetenzebene wird sprachliches Wissen der starken Sprache in die schwache Sprache transferiert, was zum Auftreten von Interferenzen auf Performanzebene führen kann. Auf die Diskussion, welche Rolle die Sprachdominanz bei auftretenden Sprachmischungen spielt, soll jedoch in Kapitel 3.3 näher eingegangen werden. Neben Sprachmischungen greift das bilinguale Kind in seiner schwachen Sprache oft auf Umschreibungen zurück (vgl. Müller u.a. 2011: 69).

Denkt man an die bilinguale Shelly aus Bermans Studie, so kam es hier auch zur Verweigerung der schwachen Sprache, da bei ihr nur ein Beherrschen der Sprache auf rezeptiver Ebene bestand (vgl. Müller u.a. 2011: 72). Meisel (2007: 489) charakterisiert die schwache Sprache als die weniger verwendete Sprache des bilingualen Kindes.

Dieser Logik folgend, ist auch hier dieselbe Wechselwirkung wie bei dominanter Sprache und Sprachpräferenz zu beobachten: Aufgrund des geringen Sprachgebrauchs der schwachen Sprache ist das Sprachwissen nur beschränkt. Da das Sprachwissen der schwachen Sprache jedoch nur beschränkt ist, wird sie nicht so oft genutzt wie die starke Sprache Die soeben beschriebenen Transfererscheinungen und auftretenden Umschreibungen bei Äußerungen in der schwachen Sprache geben einigen Autoren (vgl. Schlyter 1993) Grund zur Annahme, dass zwischen dem Erwerb der schwachen Sprache und dem Erwerb einer L2 (Zweitsprache) gewisse Parallelen bestehen. Die herrschende Meinung geht jedoch davon aus, dass die Entwicklung der schwachen Sprache zwar langsamer voranschreitet, jedoch im Grunde dem Erwerbsverlauf einer Erstsprache gleicht (vgl. Müller u.a. 2011: 69). Ein Grund, weshalb die von Schlyter postulierte Parallele nicht sinnvoll erscheint, ist, dass der Erwerb einer L2 meist ein Erlernen auf muttersprachlichem Niveau ausschließt. Es ist sogar umstritten, ob dies überhaupt möglich ist. Vor allem verläuft die natürliche und meist simultane Entwicklung einer zweiten Erstsprache (2L1) bei bilingualen Kindern schneller als der gesteuerte L2-Erwerb, der meist erst ab dem Schulalter beginnt. Daher ist es fraglich, ob diese Parallele zwischen L2-Erwerb und dem Erwerb der schwachen Sprache überhaupt sinnvoll ist, da die Erwerbsformen selbst sehr unterschiedlich sind (vgl. Meisel 2007: 496-497).

3.2 Einflussfaktoren

Neben der Umgebungssprache, die in Bermans Studie zur Entwicklung der Sprachdominanz Shellys führte, sollen hier weitere Einflussfaktoren genannt werden. Dabei haben diese Einflussfaktoren unterschiedliche Wertigkeiten, sind jedoch in einer Gesamtbetrachtung der Sprachdominanz wichtig, genannt zu werden.

3.2.1 Familie

Sprachen, die in der Familie gesprochen werden, können einen starken Einfluss auf die Sprachdominanz bilingualer Kinder ausüben. Wendet sich ein Elternteil besonders stark dem Kind zu, lässt er ihm seine emotionale und somit auch sprachliche Zuwendung zuteilwerden (vgl. Kielhöfer/Jonekeit 1993: 15). Eine unausgeglichene Bindung des Kindes an Eltern mit unterschiedlichen Erstsprachen kann daher auch zur Herausbildung einer starken und einer schwachen Sprache führen. Eltern bilingualer Kinder sollten daher auf eine Ausgewogenheit in der Spracherziehung achten (vgl. Kielhöfer/ Jonekeit 1993: 20). Diese kann beispielsweise mittels der bereits erwähnten une personne - une langue Methode erreicht werden. Kinder, die mit dieser Methode aufwachsen, halten meist dieses Partnerprinzip ein. Es ist jedoch interessant zu wissen, in welcher Situation das Kind ausnahmsweise die andere Sprache spricht, da es uns Aufschluss darüber gibt, welche Sprache ihm in diesem Moment verfügbarer bzw. abrufbarer erscheint. In der Mehrsprachigkeitsforschung wird in diesem Zusammenhang auch von der sogenannten Ausdrucksökonomie gesprochen: “Die Sprachverteilungsordnungen werden auf Kosten der schwachen Sprache geändert.” (Kielhöfer/ Jonekeit 1993: 39). Andere Emotionen wie Angst, Aufregung oder Trauer können einen ähnlichen Wechsel in der Sprachwahl bzw. die Aktivierung einer bestimmten Sprache hervorrufen.

[...]


1 Diese Aufteilung in Performanz und Kompetenz geht bereits auf Saussures (1916) strukturalistische Unterscheidung zwischen langue und parole zurück, die Sprache und den Sprachakt selbst voneinander abgrenzen soll (vgl. Patuto 2012: 81).

2 Ein gutes Beispiel für positiven Transfer (z.B. bei Schülern) ist wohl der Erwerb einer romanischen Sprache mit Vorwissen im Lateinischen. Beherrscht der Schüler Latein oder auch nur Grundzüge der lateinischen Grammatik und des Vokabulars, so geht man davon aus, dass dadurch das Erlernen der vom Latein abstammenden Sprachen erleichtert wird. Es erfolgt also ein positiver Transfer des lateinischen Sprachwissens auf die neu zu erlernende (romanische) Sprache (vgl. Müller-Lancé 2009).

3 unter code-blending versteht man Sprachmischungen, die durch Verwendung einer gesprochenen Sprache zusammen mit einer Gebärdensprache entstehen (vgl. Müller u.a. 2011: 245).

4 code-shifting bezeichnet eine besondere Form des code-switching. Dabei werden vor allem typologisch sehr ähnliche Sprachen miteinander gemischt (vgl. Müller u.a. 2011: 190).

5 Chomsky (1965) seinerseits geht von einem angeborenen Wissen für die Grundstrukturen von Sprache aus und ist der Meinung, dass das Kind anhand von bestimmten Lautfolgen gleichbleibende Muster entdeckt, mit Hilfe derer es einfache und später auch komplexere Hypothesen konstruieren kann (vgl. Hörmann 1977: 158). In diesem Zusammenhang spricht er von dem sogenannten language acquisition device (LAD), ein Modell, welches von ihm entworfen wurde und einen Mechanismus des Spracherwerbs postuliert, der dem Menschen angeboren ist. (vgl. Schrey-Dern 2006: 77)

6 Der von Hansegard (1968) eingeführte Begriff des Semilingualismus bzw. der doppelten Halbsprachigkeit soll Formen von Zweisprachigkeit definieren, in denen keine der beiden Sprachen so gut gesprochen wird, wie es bei monolingual aufwachsenden Kindern der Fall ist (vgl. Romaine/Martin-Jones 1986: 32-33). Es ist allerdings fraglich, inwieweit der Begriff des Semilingualismus gerechtfertigt ist, da bei einem zweieinhalb-jährigen Kind – monolingual oder bilingual – die Sprachentwicklung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Müller u.a. 2011: 67). Denn wie die Autorin Skutnabb-Kangas (1981: 263 zit. nach Romaine/Martin-Jones 1986: 33) in diesem Zusammenhang anmerkt, geht die Semilingualismus-Theorie von einem monolingualen ‘Ideal’ aus.

Fin de l'extrait de 77 pages

Résumé des informations

Titre
Sprachdominanz. Eine Studie zum Lexikon deutsch-spanischsprachiger Kindergartenkinder
Université
LMU Munich  (Institut für Romanische Philologie)
Note
1,0
Auteur
Année
2014
Pages
77
N° de catalogue
V286896
ISBN (ebook)
9783656871972
ISBN (Livre)
9783656871989
Taille d'un fichier
1198 KB
Langue
allemand
Annotations
Susanne Zeller beschäftigt sich in ihrer BA-Arbeit mit der Frage, inwiefern sich ungleiche lexikalische Kompetenzen in den Sprachen mehrsprachiger Kinder mit ungleichen Erfahrungen in ihrer Umwelt erklären lassen. Für diese innovative Fragestellung hat sie eine umfangreiche empirische Studie in zwei deutsch-spanischen Münchner Kindergärten durchgeführt: Zum einen hat sie sich mittels eines Fragebogens bei den Eltern über das Sprachverhalten der Kinder informiert, zum anderen hat sie ein Experiment mit Bildkarten an 13 Kindern durchgeführt.
Mots clés
Bilingualität, Mehrsprachigkeitsforschung, Sprachdominanz, Biliguale Kinder;
Citation du texte
Susanne Zeller (Auteur), 2014, Sprachdominanz. Eine Studie zum Lexikon deutsch-spanischsprachiger Kindergartenkinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286896

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