Kriminalität und Lebenslauf. Beschreibung und Erweiterung des bio-psycho-sozialen Entwicklungsmodells nach Friedrich Lösel


Thèse de Master, 2013

123 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Bio-psycho-soziale Modell von Lösel
2.1 Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund
2.2 Konzeptionelle Grundlagen
2.2.1 Dissozialität
2.2.2 Delinquenz
2.2.3 Kriminalität
2.3 Methodik und Stichprobe
2.4 Risikofaktoren als zentrale Begrifflichkeit des Modells
2.5 Delinquenz als abhängige Variable
2.6 Beschreibung der einzelnen Risikofaktoren
2.6.1 Familiäre Disharmonie und Erziehungsdefizite
2.6.2 Multiproblem-Milieu und untere soziale Schicht
2.6.3 Genetische Faktoren und neurologische Schädigungen
2.6.4 Schwieriges Temperament und Impulsivität
2.6.5 Kognitive Defizite und Aufmerksamkeitsprobleme
2.6.6 Probleme in der Schule
2.6.7 Bindungsdefizite
2.6.8 Ablehnung durch Gleichaltrige
2.6.9 Anschluss an deviante Peergruppen
2.6.10 Verzerrte Verarbeitung sozialer Informationen
2.6.11 Problematisches Selbstbild und deviante Einstellungen
2.6.12 Defizite in Fertigkeiten und Qualifikationen
2.6.13 Problematische heterosexuelle Beziehungen
2.6.14 Probleme in Arbeit und Beruf
2.7 Schutzfaktoren
2.7.1 Resilienz und allgemeine Bedeutung der Schutzfaktoren
2.7.2 Freundschafts-Netzwerke als Schutzfaktoren
2.8 Wendepunkte im Lebenslauf
2.9 Zwischenfazit

3 Der labeling approach
3.1 Konzeptionelle Grundlagen
3.2 Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund
3.3 Beurteilung dieses Theorieansatzes und heutige Relevanz
3.4 Kritik am labeling approach
3.5 Zwischenfazit

4 Verbindung der besprochenen Ansätze

5 Eigene Befunde aus der Auswertung der Interviews
5.1 Stichprobe
5.2 Analysemethodik
5.3 Deskriptive Statistik und Limitationen

6 Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse

Anhang

Anhang I - Kategorisierungssystem

Literaturverzeichnis

Besonderer Dank gebührt meiner wundervollen Oma und meiner über alles geliebten Mutter, die mir mit ihrer Güte alles das möglich gemacht haben.

Zudem möchte ich vom Herzen meinem Ehemann Thorsten danken, der mir stets mit Rat, Tat und Geduld zur Seite steht.

Und Mustafa, der mich sicher durch schwere Lebenslagen navigiert hat.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Überschneidungen der Begriffsbezeichnungen für abweichendes Verhalten

Abbildung 2: Alterskurve der Kriminalität in Deutschland

Abbildung 3: Zusammensetzung der befragten Schüler bei Lösel und Bliesener (2003)

Abbildung 4: Kumulation bio-psycho-sozialer Risikofaktoren der Dissozialität

Abbildung 5: Kausales Modell struktureller Faktoren, Familienprozesse und Delinquenz nach den UJD-Daten

Abbildung 6: Erziehungsstile nach Baumrind (1989)

Abbildung 7: Wirkungsweise ökonomischer Belastungen auf Eltern-Kind-Konflikte und kindliche psychische Störungen

Abbildung 8: Modell des Prozesses zur Verarbeitung von sozialen Informationen in der sozialen Anpassung von Kindern von Crick und Dodge

Abbildung 9: Das erweiterte Löselmodell Stufe 1.

Abbildung 10: Das erweiterte Löselmodell Stufe 2

Abbildung 11: Das erweiterte Löselmodell Stufe 3

Abbildung 12: Das erweiterte Löselmodell Stufe 4

Abbildung 13: Das endgültige erweiterte Löselmodell

Abbildung 14: Verteilung der summierten Risikofaktoren in Prozent

Abbildung 15: Zusammenhang zwischen labeling, verzerrter Verarbeitung sozialer Informationen und problematischem Selbstbild

Tabelle 1: Die Risikofaktoren im klassischen bio-psycho-sozialen Modell im Rahmen der Auswertung der Texte

Tabelle 2: Verteilung der Summe von Risikofaktoren je Befragtem

Tabelle 3: Übersicht der paarweisen Korrelationen der erfassten Risikofaktoren und Länge der Strafe

1 Einleitung

Seit Menschengedenken spielt die Existenz von Gut und Böse im Menschen eine herausragende Rolle. Auch im religiösen Kontext des Abendlandes ist mit dem theologischen Sachverhalt der Erbsünde und der Zäsur, die diese hervorgebracht hat, das Bewusstsein für die Unterscheidung zwischen diesen beiden Grundelementen entstanden.

Ebenso basiert die Dramaturgie eines jeden Märchen auf dieser grundlegenden Unterscheidung und der Erkenntnis, dass mit der Existenz menschlicher Sozialnormen in jedem Bezugssystem die Existenz einer Abweichung dieser Normen einhergeht.

Die Ursache des Bösen oder – weniger spirituell – devianter bisweilen krimineller Verhaltensweisen ist in der Kriminologie, die sich nicht auf die Theorie von der Erbsünde als Urzelle der Delinquenz kapriziert, Grundlagenforschung allererster Güte.

Deshalb begnügen sich Kriminologen und Soziologen auch nicht damit solche menschlichen Wesensmerkmale als Determin nte qua Geburt hinzunehmen, sondern sind vielmehr seit Jahrhunderten auf der Suche nach den Bedingungsfaktoren für Kriminalität im Lebenslauf. Gleichzeitig steckt in der Bemühung zur Identifizierung kriminogener Umstände in der Biografie auch die Bemühung solche Risiken frühzeitig zu erkennen und dem scheinbaren Determinismus menschlicher Lebenswege entgegenzuwirken. Damit wird die kriminologische Lebenslaufanalyse und Biografieforschung auch für die Indikation und Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu einem wesentlichen Bestandteil.1

Am Anfang einer jeden Arbeit steht für den Verfasser die Frage nach dem ‚Warum‘. Warum beschäftigt man sich im Rahmen einer Abschlussarbeit mit einem ganz bestimmten Thema und wählt dafür einen ganz bestimmten Ausschnitt eines unter Umständen großen Themenkomplexes? Und darauf folgt unweigerlich die Frage danach, wohin die Arbeit will. Kommen wir zunächst zur Beantwortung der ersten Frage. Warum beschäftigt sich die Arbeit gerade mit diesem Thema? Zunächst wählt wohl jeder Verfasser das Thema, das in ihm eine gehörige Portion Neugierde hervorbringt – schließlich erfordert die Bearbeitung über einen längeren Zeitraum Disziplin und die Mobilmachung möglichst großer Faszination. Das Thema „Kriminalität und Lebenslauf“ spricht darüber hinaus zwei zutiefst menschliche Eigenschaften an: Der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Empathie und er will (seine Umwelt) verstehen. Er leidet mit den Opfern, aber auch mit den Tätern, die ihrerseits häufig Opfer ihrer eigenen Biografie zu sein scheinen. Zudem möchte er verstehen, warum manche Menschen sich gegen die Gesellschaft und ihre Regeln stellen, statt als aktiver Part positiv an ihr teilzuhaben. Hinsichtlich des ‚Warum‘ tritt ein weiterer Aspekt hinzu. Die folgende Arbeit entsteht im Ballungsgebiet Berlin: eine Stadt, die nicht nur für ihr buntes Treiben, die große Politik oder Toleranz gegenüber der Andersartigkeit mannigfaltiger Subkulturen steht, sondern sich auch auszeichnet durch eine zunehmende Segregation und Polarisierung bestimmter Bevölkerungsteile. Zudem ist gerade in Großstädten wie Berlin in letzter Zeit eine wachsende und schichtübergreifend, ja omnipräsente Kriminalitätsfurcht fast physisch zu spüren, gleichgültig ob man sich in der U-Bahn mit einer alten Frau oder mit den Nachbarn von nebenan austauscht. Diese Furcht wird durch die Massenmedien inszeniert und durch die Politik teilweise geschürt. Insbesondere Jugendliche geraten hierbei unter einen Generalverdacht. Diese Schieflage in der Wahrnehmung, die jeder empirischen Evidenz hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit oder realen Viktimisierungsrisiken trotzt, ist zwar eine Folge der medialen Aufbereitung und des Aufbauschens von individuellen Einzelschicksalen. Erschreckend und konstant hält sich allerdings die Beobachtung, dass sich das einmal gefestigte Bild der heutigen Gesellschaft gegenüber „realen Trends“, wie beispielsweise dem Rückgang der Tötungs- oder Sexualdelikte, verschließt.2 Der einmal gewonnene Eindruck bleibt fest in der kollektiven Wahrnehmung verankert und führt zu einem massiven Misstrauen innerhalb der Bevölkerung. Nur eine nüchterne, wissenschaftlich fundierte Ursachenforschung kann das Bild zurechtrücken und führt zu einer Entdämonisierung der Täter.

Ein weiterer wichtiger Beweggrund für die Entscheidung mit einem Thema zu arbeiten, ist die Beantwortung der Frage, ob das Thema im Verfasser eine Vision hervorzurufen vermag. Eine Idee, wie ein Sachverhalt zusammenhängt. Ein Gefühl, dass in der bisherigen Bearbeitung ein grundlegender Gedanke, eine Verknüpfung vernachlässigt wurde. Und einen Plan, der diese Idee ins Auge fasst, dem Gefühl nachgeht und der den ‚missing link‘ in den bisherigen Wissensfundus integriert. Dafür hat sich die Arbeit, die sich mit der Gewaltkriminalität Jugendlicher auseinandersetzt, zwei herausragende Ansätze gesucht, die jeder für sich in seinem Erklärungsgehalt wesentliche Vor- und Nachteile aufweist.

Zum einen wird das Entwicklungsmodell Lösels vorgestellt, das im Zuge der Erlangen-Nürnberger Präventionsstudie von 1998-2004 entwickelt wurde und das mehrere Bedingungsfaktoren aufgreift, die in der Forschung als kriminogene Merkmale identifiziert wurden. Das Vorliegen dieser Faktoren wird als ein Indikator gerade für das medial so präsente Thema der Gewaltdelinquenz unter Jugendlichen gesehen, weil es in der Kumulation Bedingungsfaktoren auf dem Weg zu einer antisozialen Persönlichkeit abbildet. Bei diesem Modell handelt es sich um einen Mehrfaktorenansatz, der – gleich einer Kettenreaktionsfunktion aufzeigt – wie einzelne Risikofaktoren ineinander greifen und im Fortgang die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeit begünstigen. Ein weiteres Anliegen der Studie war die Erforschung des sog. Resilienz-Ansatzes, sowie die Erarbeitung valider Ergebnisse zur sozialen Informationsverarbeitung von delinquenten Jugendlichen.3

Der zweite Ansatz mit dem sich die Arbeit auseinandersetzt, ist der sog. labeling approach. Der labeling approach geht der Frage der Delinquenz in diametraler Weise auf den Grund. Als sozialer Reaktionsansatz widerspricht er den ätiologisch ausgerichteten Theorien, indem er nicht die „Ursachen von, sondern die Reaktion auf abweichendes“4 beziehungsweise kriminelles Verhalten ergründet. Die daraus unterstellte langfristige Änderung des Selbstbildes als Ergebnis des labeling ist hier der zentrale Aspekt.5 Beide Modelle haben unterschiedliche Bezugspunkte, an denen sie ansetzen. Bisher stehen sie eher nebeneinander, haben verschiedene Untersuchungsgegenstände. Beide haben empirische Bestätigung erfahren. Aber während das bio-psycho-soziale Modell Lösels vor allem die Entwicklung der primären Devianz abbildet, wird der labeling approach vorwiegend für die Begründung sekundärer Devianz herangezogen.

Damit kommen wir zur Frage, ‚wohin die Arbeit will‘. Die Arbeit wird zeigen, dass der Hauptaspekt des labeling approach, namentlich die Veränderung des Selbstbildes unter dem Ein-/Druck äußerer Zuschreibungsprozesse der missing link ist, der im Lösel´schen Modell noch nicht berücksichtigt wurde, im Sinne eines vollständigen Mehrfaktorenansatzes jedoch zu integrieren ist. Da im Mittelpunkt der Arbeit das bio-psycho-soziale Modell steht, wird sie zunächst auf die einzelnen Risikofaktoren eingehen, diese beschreiben und mit ausgewählten Studien inhaltlich unterfüttern. Lösel selber hat die einzelnen Risikofaktoren unterschiedlich ausführlich dargestellt und damit innerhalb seiner Erhebung eigene Schwerpunkte gesetzt. Diese wurden übernommen. Zur Vervollständigung des Konzepts wird die Arbeit den Begriff der Schutzfaktoren erläutern. Sodann werden der labeling approach und seine wesentlichen Vertreter dargestellt. Es folgt die Verbindung der beiden Forschungsblöcke und die Vorstellung des um das labeling erweiterte bio-psycho-soziale Modell. Mit einem Sample von 178 Interviews werden schlussendlich die Annahmen Lösels überprüft, auf etwaige labeling-Erfahrungen hin untersucht und die Resultate aus der Stichprobe vor dem Hintergrund der Verbindung der Ansätze besprochen. Zunächst soll jedoch ebendieses Modell isoliert betrachtet und besprochen werden. Dafür werden die konzeptionellen Grundlagen erläutert, die den Weg bereiten sollen.

2 Das Bio-psycho-soziale Modell von Lösel

2.1 Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund

Bei dem Modell der Kumulation von biologischen, psychologischen und sozialen Risikofaktoren der Dissozialität von Friedrich Lösel handelt es sich um einen sog. Mehrfaktorenansatz. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er keine in sich geschlossene, selbstständige Theorie im engeren Sinne ist. Vielmehr vereinigt er mehrere Faktoren und deren theoretische Grundlage, die die möglichen Entwicklungsbedingungen einer dissozialen Persönlichkeit beschreiben. Der Mehrfaktorenansatz zeichnet sich durch seine interdisziplinäre Herangehensweise aus, die geprägt ist von der Vorstellung, dass die Einbeziehung der unterschiedlichen Funktionsebenen des Menschen (von neurologischer Aktivität über individuelle Regulation bis hin zu gesellschaftlichen Prozessen), sowie die Erforschung der Person in ihrer natürlichen und dynamischen Umwelt erst ein ganzheitliches Bild zur Analyse eines probabilistischen Zusammenhangs zwischen Risikofaktoren und Problemverhalten ermöglichen.6

Diese wertende Entscheidung von monokausalen Erklärungsansätzen abzurücken7 und die Ursache für Kriminalität im Lebenslauf nicht nur in einem Umstand zu suchen, sondern der Vielschichtigkeit der Kriminalität und krimineller Karrieren Rechnung zu tragen, indem man das Ursachenfundament breiter aufstellt, ist keine Idee, die erst im letzten Jahrhundert oder durch Lösel begründet wurde.

Die ersten Bemühungen in diese Richtung unternahm bereits v. Liszt in seinem Marburger Programm von 1883, in dem er innerhalb seiner Vereinigungstheorie die Anlage-Umwelt-Formel postulierte. Demnach wird Kriminalität zum einen bedingt durch die angeborene Eigenart des Täters, zum anderen durch die gesellschaftlichen Einflüsse, die auf den Täter wirken.8

Eine erneute intensive Hinwendung fand dann im letzten Jahrhundert statt: Der amerikanische Forscher Healy9 sammelte Einflussfaktoren für Delinquenz aus dem mikro-, meso- und makrosozialen Kosmos einer Person und untersuchte den Einfluss biologischer, psychologischer und physischer Prädiktoren in diesem Kontext. Seine Ergebnisse erlangten allerdings keine besonders hohe Aufmerksamkeit. Anders erging es dem Ehepaar Glueck. Mit seinem viel beachteten Werken „Unraveling Juvenile Delinquency“ und „Delinquents in the making – Paths to Prevention“ gilt das Ehepaar Sheldon und Eleanor Glueck zu den Pionieren des sog. multi-factor approach. Von 1939 bis 1963 untersuchten sie insgesamt 1.000 Jugendliche aus der Bostoner Unterschicht auf ihre biografischen Daten hin. Dafür erhoben sie ein umfangreiches Sample von sozialen, psychologischen und biologischen Charakteristika in drei Erhebungswellen und machten im Rahmen dessen sowohl quantitative als auch qualitative Erhebungstechniken für ihre Paneluntersuchung fruchtbar.

Ein weiteres Beispiel für eine großangelegte Mehrfaktorenuntersuchung, die darüber hinaus in Deutschland vorgenommen wurde, ist die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung von Hans Göppinger, die ab 1965 unter der Berücksichtigung mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen durchgeführt wurde. Auch hier überlagern Faktoren der mikrosozialen- und mesosozialen Dimension das Primat etwaiger (als antiquiert geltender) einseitig biologischer Erklärungsschemata.

Anders als bei diesen Ansätzen handelt es sich bei dem Modell von Lösel um die Darstellung eines Entwicklungspfades von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter, bei dem die einzelnen potentiellen Risikofaktoren wie bei einer Kettenreaktion10 ineinander greifen und zu einer „früh einsetzenden, vielfältigen, schwerwiegenden und relativ dauerhaften Delinquenz“11 beziehungsweise einer antisozialen Persönlichkeit führen. Der Erklärungsgehalt der einzelnen im Modell enthaltenden Risikofaktoren ist für sich genommen eher gering. Dennoch erhöht sich erst in der Kumulation trotz der geringen Effekte einzelner Einflussgrößen das Delinquenzrisiko insgesamt deutlich, teilweise um das Doppelte oder Vierfache.12 Häufen sich also in einer Person die einzelnen Faktoren, verringern sich für diese Person signifikant und Schritt für Schritt nondeviante Faktoren.13

Da die Wirklichkeit in einem hohen Maße komplex ist, kann keine Theorie jede Form von Delinquenz abbilden. Gemäß der Intention des Begründers und des Auftraggebers14 eignet sich das Modell von Lösel gut als Basis für die Darstellung von Lebenswegen von Aggressions- und Gewalttätern, weil gerade diese Tätergruppe häufig eine Verzahnung mehrerer Risikoelemente in ihrer Person vereinigen. Zudem bietet es aufgrund der empirischen Ausrichtung eine sinnvolle Vorstufe für die spätere Herausbildung von Tatumstands- oder Tätertypologien.

Eine wesentliche Erweiterung stellt das Lösel´sche Modell auch deshalb dar, weil es neben den Risiken, die delinquente Verhaltensweisen begünstigen, Faktoren einbezieht, die diese negative Entwicklungsabfolge hemmen oder verhindern können, die sog. protektiven Faktoren.

Wann immer in der folgenden Arbeit auf das Modell Lösels Bezug genommen wird, wird auf die Ausführungen und den Stand rekurriert, der in dem Gemeinschaftswerk15 mit Thomas Bliesener beschrieben ist. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass das Modell nicht in einer einzigen wissenschaftlichen Publikation niedergeschrieben wurde, sondern es um einen Ansatz geht, der seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1999 weiterentwickelt und weiter verifiziert und differenziert wurde. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, bezieht sich die vorliegende Arbeit bei der Darstellung auf die aktuellste Publikation, namentlich dem Werk von Lösel und Bliesener von 2003.

2.2 Konzeptionelle Grundlagen

Gerade im Kontext von Untersuchungen zur Jugendkriminalität wird meist nicht ausschließlich Kriminalität im normativen Sinne untersucht, sondern es werden auch „niedrigschwelligere“ soziale Normbrüche in den Untersuchungsrahmen mit einbezogen, um eine Entwicklung beziehungsweise Vertiefung hin zu einer dissozialen Persönlichkeit möglichst früh zu erkennen und daraus für die weitere Forschung und für Präventionsmaßnahmen Erkenntnisse zu gewinnen.16 In dieser Weise gehen auch Lösel und Bliesener in ihrer Studie zur Entwicklung einer dissozialen beziehungsweise antisozialen (sie gebrauchen die Begriffe in ihrer Arbeit synonym) Persönlichkeit vor. Dissoziales Verhalten bildet hier die Überkategorie „Problemverhaltensweisen“, wie folgende Abbildung verdeutlichen soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 1: Überschneidungen der Begriffsbezeichnungen für abweichendes Verhalten17

Nachfolgend werden die unterschiedlichen Ebenen dissozialen Verhaltens betrachtet.

2.2.1 Dissozialität

Der Begriff ist eine Wortzusammensetzung aus dem lateinischen Präfix ‚dis‘-, das in etwa „entzwei“, „auseinander“ oder „weg“ bedeutet, und dem lateinischen Wort ‚socius‘ für „gemeinsam“, „verbunden“ oder „zusammengesetzt“. Es handelt sich um die Bezeichnung für ein Verhalten einer Person, die nicht die Fähigkeit besitzt, sich in einen Verbund zu integrieren. Als dissoziales Verhalten wird daher eine Problemverhaltensweise gesehen, die die Verletzungen von altersgemäßen sozialen Erwartungen oder Normen darstellt.18 Eng verbunden damit ist der Begriff der

Devianz

Dieser Begriff kommt aus dem Französischen (dévier) und bedeutet in diesem Kontext „ausschlagen“ oder „abweichen“. Er findet vor allem in der Soziologie Verwendung und bezeichnet zunächst wertneutral den sozialen Tatbestand, dass mit dem Entstehen und der Wirksamkeit von Normen stets eine Abweichung von diesen einhergeht; in diesem Sinne ist Devianz „normal“ und ein Ergebnis der Sozialisation.19 Außerdem beschreibt er eine Abweichung bezüglich verschiedener Eigenschaften, Merkmale oder Verhaltensweisen, die aufgrund von Zuschreibungen durch die soziale Kontrolle20 beziehungsweise durch Fremdzuschreibungen einer in einem bestimmten Bezugssystem dominanten Gruppe auf eine Minderheitengruppe.21 Im Kontext normsetzender Institutionen, z. B. des Strafrechts, wird als Abweichung eine Handlung verstanden, die mit gültigen Normen und Wertvorstellung in krassem Kontrast steht.22 Damit wird in einem bestimmten Bezugssystem durch den Prozess der Fremdzuschreibung aus einer wertneutralen Beobachtung ein relevantes Werturteil. In den Theorien des Rechts und des Verbrechens wird Devianz relativ zum Standard gesetzlicher Regulierung betrachtet und einschlägig abweichendes Verhalten als delinquent beziehungsweise kriminell subsumiert.23 Das Gegenteil zur Abweichung stellt der Begriff Konformität dar. Beide Formen sind Ausprägungen sozialen Handelns.24

Diese Umschreibung legt den Begriff der mehrheitlichen Abgrenzung zugrunde. Danach liegt abweichendes Verhalten vor, wenn dadurch die Erwartung der übrigen Mitglieder einer Gruppe oder eines Konventionskreises verletzt sind. Für größere Konventionskreise oder, nach Subgruppen heterogene, moderne Gesellschaften kann es sich dabei um eine quantitative Betrachtung handeln, d. h. die Erwartung der meisten Mitglieder wird bei einem Verstoß gegen solche Normen verletzt. Ob es wünschenswert erscheint, dass hierdurch die Erscheinung „abweichendes Verhalten“ zum Resultat einer empirischen Untersuchung innerhalb der Gesamtgesellschaft gemacht wird, ist eine rechtsphilosophische Frage, die hier nicht erörtert werden kann.

2.2.2 Delinquenz

Delinquente Handlungen von Jugendlichen sind solche, die verboten oder nach behördlich fixierten Erziehungsvorstellungen unerwünscht sind und offiziell sanktioniert werden.25 Der durch Delinquenz ungefähr charakterisierte Gegenstandsbereich ist somit weiter, als der der „Jugend-/Kriminalität“. Insbesondere im angloamerikanischen Schrifttum wird unter Delinquenz jedwede Verhaltensweise verstanden, die gegen die öffentliche Ordnung verstößt.26

2.2.3 Kriminalität

Kriminalität ist die Summe aller gegen die Strafnormen verstoßenden und damit potenziell kriminalisierbaren Handlungen.27 Kriminalität umfasst damit den Teil des abweichenden Verhaltens, der von der Gesellschaft als besonders schwerwiegend angesehen wird und deshalb mit Strafe belegt ist. Gemäß dem mehrheitlichen Abweichungsbegriff stellt Kriminalität damit zumeist, aber nicht notwendig, eine Teilmenge der „mehrheitlich“ als abweichend erachteten Verhaltensweisen dar. Ausnahmen ergeben sich unter Umständen bei raschem sozialen Wandel oder auch dann, wenn die gesetzlich verankerten Normen dominanter Subgruppen einer Gesellschaft von den anderen Subgruppen nicht internalisiert werden (z. B. das Downloaden von Musik).

Diese Arbeit wird sich als primärem Untersuchungsgegenstand insbesondere der Gewaltkriminalität jugendlicher Täter widmen, weshalb die Begriffe im Folgenden definitorisch präzisiert werden sollen.

Gewaltkriminalität

Gewalt hat viele Facetten, neben struktureller, verbaler oder psychischer Gewalt ist das Hauptaugenmerk gerade im Kontext der Jugendkriminalität auf physische Formen der Gewalt und hier vor allem auf schwere Formen der Aggression gerichtet.28 Der normative Gewaltbegriff versteht unter Gewalt körperlich wirkenden Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkungen, die nach ihrer Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder -betätigung eines anderen zu beeinträchtigen.29 Das heißt, es werden alle Formen von personaler Gewalt erfasst, die zu einer körperlichen Schädigung einer anderen Person führen – beziehungsweise zu dem Versuch oder der Androhung einer solchen – und nicht gegen Sachen gerichtet sind.30

Jugendkriminalität

Jugendkriminalität ist ein Phänomen, das heute primär mit der Loslösung aus dem elterlichen Schoße und den ersten Versuchen ein selbstständiges Wertebild und Lebensmodell zu etablieren, erklärt wird. Für den Terminus „Jugendlicher“ beziehungsweise „Jugendkriminalität“ wird grundsätzlich auf die Begriffsbestimmung des JGG rekurriert. Dort heißt es in § 1 JGG:

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

Durch die Präsenz in den Medien und der daraus resultierenden Kriminalitätsfurcht ist dieses Thema von gesellschaftspolitischer Wichtigkeit und wird von den unterschiedlichen Akteuren allzu oft für die Profilierung oder Instrumentalisierung in eigener Sache genutzt.

In der Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenenalter steigt die Delinquenzbereitschaft. Daher ergibt sich für die Darstellung von Kriminalität in den unterschiedlichen Lebensphasen eine Alterskurve. Sie hat ihren Namen inne, weil sie gerade in der Adoleszenz eine hoch ausschlagende Amplitude aufzeigt, die seit Jahrhunderten historisch und kulturell universell gilt.31 Es können drei Merkmale für die Konstanz von Jugendkriminalität ausgemacht werden, die diese spezielle Form der Delinquenz kennzeichnen: Zunächst zeichnet sich das Phänomen durch Ubiquität und Episodenhaftigkeit aus, d. h. eine weite Verbreitung unterschiedlicher Delikte, die gerade in der in Rede stehenden Lebensphase vermehrt vorkommt; des Weiteren tritt häufig eine Spontanbewährung auf, d. h. ein überwiegender Abbruch der Taten ohne formelle Kontrollinterventionen. Schließlich wird das Phänomen dadurch gekennzeichnet, dass sich am Ende die Intensität und langfristige Beibehaltung dieses Lebensstils lediglich auf einige, wenige Mehrfachtäter konzentriert.32

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 2: Alterskurve der Kriminalität in Deutschland

Wie man an dieser Alterskurve erkennen kann, steigt die Prävalenz der strafrechtlich relevanten Formen von Delinquenz im Jugendalter an und erreicht im Alter zwischen 18 und 23 Jahren ihren Höhepunkt, während sie anschließend absinkt. Für dieses Phänomen werden verschiedene Tätertypen unterschieden:

Lebenslauf-persistente und Adoleszenz-limitierte Tätergruppen Die Erkenntnis, dass es unterschiedliche Verlaufsformen kriminellen Verhaltens gibt, hat auch Lösel in seinem Modell aufgegriffen. Hierbei folgt er grundsätzlich der auf zwei Typen basierenden Taxonomie Moffitts, die zwischen der ubiquitären Delinquenz im Jugendalter und längerfristiger gravierender Dissozialität unterscheidet.33

Dabei geht Moffitt davon aus, dass sich deviante Jugendliche zum einen in solche einteilen ließen, die im Laufe des Heranwachsens temporär deviante Lebenseinstellung aufweisen (adolesence limited offender).34 Zum anderen gebe es eine konstant kleine Zahl von Jugendlichen (ca. 5% der männlichen Jugendlichen35 ), deren Entwicklung durch häufiges und gravierendes deviantes Verhalten über den gesamten Lebensweg hinweg gekennzeichnet sei (life-course-persistent offender).36 Heute geht man davon aus, dass die Bedingungsfaktoren zur Herausbildung einer lebenslang persistenten „antisociality“ andere sind als solche, die eine Adoleszenz limitierte Delinquenz hervorrufen.37 Innerhalb der Gruppe der lebenslang persistenten Täter wurde beobachtet, dass sie häufig schon in der Kindheit erhebliche aufeinander folgende Verhaltensauffälligkeiten aufzeigen, die später über den gesamten Lebensweg stabil bleiben, weil der Lebenspfad infolge von gestörten Entwicklungsprozessen immer tiefer in Richtung eines persistent antisozialen Lebensweges abgleitet. Die auf das Jugendalter beschränkte Delinquenz führte sie auf eine Reifelücke (maturity gap) der Jugendlichen zurück.38 Ähnliche Erfahrungen zu den Hintergrundfaktoren der unterschiedlichen Verlaufsform haben auch Lösel und Bliesener in der Untersuchung gemacht, die dieser Arbeit zugrunde liegt: Während bei der jugendtypischen Dissozialität eher temporäre Entwicklungsprozesse, wie der Einfluss von Peergruppen, von Bedeutung ist, stehen bei der schwerwiegenden, überdauernden Dissozialität die Lernbedingungen für aggressives und delinquentes Verhalten sowie Persönlichkeitsdispositionen und deren Wechselwirkungen mit sozialen Erfahrungen im Vordergrund. Auf letztere Gruppe ist das Modell Lösels vor allem zugeschnitten, während die Gruppe der Adoleszenz-limitierten Straftäter die folgenden Risikofaktoren nicht zwingend aufweisen müssen.

Moffitt hat die Tätergruppen vor allem in Bezug auf die zeitliche Dimension ihrer Problemverhaltensweisen kategorisiert. Darüber hinaus gibt es Abstufungen in quantitativer Hinsicht. So werden jugendliche Straftäter, die durch die Häufigkeit und Intensität ihrer Taten auffallen, in Deutschland in einer Intensivtäterdatenbank geführt.39 Zudem gibt es den Begriff des Mehrfachtäters, der eine Zwischenstufe zwischen dem Intensivtäter und dem Einfachtäter darstellt.40 Allerdings entbehren diese Täterkategorisierungen bisweilen weitgehend einer einheitlichen Definition.41

2.3 Methodik und Stichprobe

Das bio-psycho-soziale Modell wurde im Rahmen eines Querschnitts- und Längsschnittprojekts erarbeitet, das seit Mitte der 1990er Jahre am Institut für Psychologie und Sozialwissenschaften in Erlangen entwickelt wurde.42 Zu diesem Zweck wurden 1.163 Schüler befragt.43 Wie in Abb. 3 zu erkennen ist, wurden nur Schüler aus der siebten und achten Klassen von Gymnasien, Real- und Hauptschulen44 befragt, um eine möglichst geringe Differenz in Bezug auf das Alter der Befragten zu erhalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 3: Zusammensetzung der befragten Schüler bei Lösel und Bliesener (2003)

Im Anschluss daran wurden bestimmte Sachverhalte durch Lehrerinterviews authentifiziert beziehungsweise intensiver hinterfragt und offizielle Kriminalstatistiken mit einbezogen. Das Ziel war eine komplexe Bedingungsanalyse für aggressives und gewalttätiges, sowie andere Formen dissozialen Verhaltens.45 Des Weiteren sollte die Untersuchung eine Vorabbetrachtung, ein „Screening“, für eine zweite Erhebungswelle vorbereiten, in der ausgewählte Gruppen erneut und vertieft befragt werden sollten.46 Dafür wurde ein multimethodischer Ansatz gewählt: In der ersten Erhebungsphase wurden die eben genannten Instrumente verwendet, während in der zweiten Erhebungsphase Verhaltensbeobachtungen, Interaktionsanalysen, Interviews, Tests und Experimente mit den Jugendlichen vorgenommen wurden.47 Durch diese zweite Erhebung wurde die bisherige Querschnittsstudie um eine längsschnittliche Dimension erweitert. Die Rücklaufquote betrug im Durchschnitt 91,5%. Theoretisch und methodisch wurde im Sinne der theoretischen Grundlagendiskussion in der Entwicklungspsychopathologie sowohl eine personenbezogene als auch eine variablenbezogene Perspektive gewählt. Dieses Vorgehen wählten die Autoren, um die Befunde wechselseitig zu validieren und für die spätere Praxis besser nutzbar zu machen.48

2.4 Risikofaktoren als zentrale Begrifflichkeit des Modells

Für das Grundverständnis ist es unabdingbar, sich mit den zentralen Einflussfaktoren des Modells begrifflich auseinanderzusetzen. Unter Risikofaktoren sind alle Merkmale gefasst, die die Wahrscheinlichkeit eines Problemverhaltens oder einer Fehlanpassung erhöhen.49 Sie wirken dabei nicht deterministisch, sondern erhöhen lediglich die Wahrscheinlichkeit persistent delinquenter Lebenswege.50 Desweiteren wurde in der Planung der Studie ein Forschungsschwerpunkt im Bereich des sog. Resilienz-Ansatzes gelegt. Dieser relativ junge Ansatz geht von der Existenz sog. protektiver Faktoren aus, die den Eintritt in eine delinquente Laufbahn hemmen oder vollständig verhindern. Diesen Punkt greift die Arbeit ebenfalls auf.

Die verschiedenen Risikofaktoren haben unterschiedliche Wirkintensität bzw. ‑richtungen, die mit Bezug auf den Erklärungsgehalt weiter ausdifferenziert werden müssen. So geht von kausal wirkenden ein direkter risikoerhöhender Effekt aus. Darüber hinaus gibt es die sog. distalen Risikofaktoren, die einen eher schwachen direkten Zusammenhang mit dem Problemverhalten aufweisen, jedoch über sog. Mediatorvariablen51 auf das Individuum und seine Entwicklung Einfluss nehmen. Wenn hingegen die direkte Mediatorvariable in der Gleichung fehlt, kann unter Umständen bei den distalen Risikofaktoren die Auswirkung gänzlich ausbleiben.52 Weiterhin können Risikofaktoren statisch oder dynamisch sein.53 Erstere bezeichnen unabänderliche Merkmale (z. B. neurobiologische Schädigungen), während dynamische Risikofaktoren bestimmten Schwankungen im Entwicklungsverlauf unterliegen (z. B. delinquente peers). Risikofaktoren können sowohl initiierend als auch stabilisierend wirken.54

Die Wahrscheinlichkeit negativer Verhaltensauffälligkeiten steigt mit der Anzahl vorliegender Risikofaktoren drastisch. Gerade bei Mehrfach- und Intensivtäter konnte eine hohe Anzahl an Risikofaktoren aus unterschiedlichen Bereichen ausgemacht werden.55

2.5 Delinquenz als abhängige Variable

Wie schon in der Einleitung beschrieben, ist das zentrale Untersuchungsobjekt und damit die abhängige Variable der statistischen Untersuchung des bio-psycho-sozialen Modells von Lösel das Auftreten von Dissozialität im weiteren Sinne. Lösel und Bliesener untergliedern dies in ihrer Studie in die Dissozialität im Schulkontext (dem sog. Schul-bullying) und Delinquenz, die außerhalb dieses Rahmens auftritt. Nach Lösel und Bliesener überwiegen beim bullying verbale und relationale Aggressionsformen, während es seltener zu schweren körperlichen Aggressionen kommt.56 Aus diesem Grund wird die nähere Betrachtung der Ergebnisse zum Schul-bullying vernachlässigt, weil das Hauptaugenmerk der Arbeit auf der physischen Gewaltkriminalität liegt. Die Delinquenz außerhalb des Schulkontextes wird von Lösel und Bliesener anhand der von Lösel im Jahre 1975 entwickelten DBS-Skala57 erfasst und kann in drei Subskalen beziehungsweise Delinquenzformen unterteilt werden: Erfasst werden Eigentumsdelinquenz58, Aggressionsdelinquenz59 und Rückzugsdelinquenz60. Aus diesen Subskalen ist insbesondere die Aggressionsdelinquenz von Interesse. Weiterhin wechseln Lösel und Bliesener die Benennung ihrer Subskala im Rahmen der Ergebnispräsentation von „Aggressionsdelinquenz“ hin zu „Aggressionsdelikte“, was auf strafrechtliches Fehlverhalten und damit Delinquenz im engeren Sinne hinweist.61 Bei der Untersuchung des Einflusses der einzelnen Risikofaktoren differenzieren die Autoren nicht zwischen den Ergebnissen für die einzelnen Subskalen. Vielmehr unterscheiden sie für die Auswertungen das Schul-bullying, Delinquenz62 und Dissozialität63. Da die drei Subskalen der DBS-Skala untereinander gut64 korrelieren, wird die vorliegende Arbeit sich an den Ergebnissen für Delinquenz orientieren.

2.6 Beschreibung der einzelnen Risikofaktoren

Im Folgenden werden die Risikofaktoren vorgestellt. Im Rahmen dieser Darstellung wurde ein Schwerpunkt im Bereich Familie und Erziehung, Peerbeziehungen und Wohnumfeld gewählt. Insbesondere für die Beschreibung des familiären Klimas wird zunächst die Studie des Ehepaars Glueck vorgestellt65. Hier kann der Forschungsprozess gut in seiner Entwicklung erfasst werden. Waren die Arbeitsschritte der Gluecks, die als Pioniere des Mehrfaktorenansatzes gelten, mit sehr unausgereifter Methodik verübt, so ist die Erhebung von Lösel hingegen ein Beleg dafür, wie viel sich in den letzten Jahren in der kriminologischen und soziologischen Forschung gerade in Bezug auf die Qualität der methodischen Instrumente bewegt hat.

Ein letzter Hinweis sei vorangestellt: Da die von Lösel und Bliesener verwendete Stichprobe sich aus Probanden im Alter von durchschnittlich 14,1 Jahren zusammensetzt66, wurden im Rahmen der empirischen Erhebung durch Lösel und Bliesener einige Risikofaktoren, die erst in den späteren Entwicklungsstadien zum Tragen kommen, namentlich Defizite in Fertigkeiten und Qualifikationen, problematische heterosexuelle Beziehungen67 und Probleme in Arbeit und Beruf, nur sehr begrenzt, teilweise gar nicht erfasst.

Eine weitere Erklärungsnotwendigkeit ergibt sich ferner aus dem Umstand, dass Lösel und Bliesener innerhalb der Arbeit die Dimensionen Medienkonsum und Freizeitverhalten der Jugendlichen ansprechen und ihren Bedeutungsgehalt für die Entwicklung umreißen, sie aber nicht zu Risikofaktoren erklären. Da diese beiden Faktoren keine originären Bestandteile im Sinne von Risikofaktoren des vorgestellten Modells sind, verzichtet diese Arbeit auf die Darstellung eines etwaigen kausalen Wirkungszusammenhangs.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 4: Kumulation bio-psycho-sozialer Risikofaktoren der Dissozialität68

2.6.1 Familiäre Disharmonie und Erziehungsdefizite

Die Problematik einer negativen Entwicklung infolge einer defizitären familiären Sozialisation ist ein in der Literatur weit verbreiteter, aber nicht gänzlich unumstrittener69 Prädiktor für die Entwicklung von dissozialem Verhalten bei Jugendlichen.70 Gleichzeitig stellt die Problematik den ersten Risikofaktor im Modell von Lösel71 dar. Unterteilt ist der Risikofaktor in die Kriterien Familiäre Disharmonie und Erziehungsdefizite. Der Aspekt familiäre Disharmonie umfasst allgemein innerfamiliäre Konflikte, verbaler oder physischer Art, die sich auf das Familienklima insgesamt negativ auswirken und nachhaltig eine bestimmte Stimmung im Elternhaus manifestieren.72 Während familiäre Disharmonie damit eher einen Zustand beschreibt, können Erziehungsdefizite an Verhaltensweisen festgemacht werden und resultieren aus einem „falschen“ Erziehungsstil. Dieser zeichnet sich insbesondere durch eine vernachlässigende, aggressive oder eine inkonsistente Erziehung aus.73 Mittlerweile gilt aufgrund verschiedener empirischer Belege vor allem ein direkter Zusammenhang zwischen den Variablen Delinquenz und Familienklima als sehr gut bestätigt74. Denn ein belastetes Familienklima, in dem eine unterkühlte oder sogar feindselige Atmosphäre herrscht, begünstigt und verfestigt in seiner Konsequenz Bindungsprobleme und Defizite im Bereich sozialer Kompetenzen.75 Durch eine aggressive, übermäßig strenge, inkonsistente oder zu nachlässige Erziehung wird das Erlernen sozialer Regeln eklatant erschwert.76 Zudem kann ein solcher Umgang Modellcharakter für den Umgang mit anderen Sozialisationsagenten haben. Ferner hat sich in verschiedenen Untersuchungen die Hypothese bestätigt, dass eine überproportional strenge Erziehung mit physischer Gewalt durch einen Familienangehörigen zu einem bedeutenden Bedingungsfaktor für spätere eigene Delinquenz wird.

Diese möglichen Fehlentwicklungen, die aus der elterlichen Erziehung mit negativen Vorzeichen resultieren können, untermauern die Bedeutung dieses mittlerweile gut durchleuchteten Risikofaktors.

Die erste großflächig angelegte Untersuchung war die sog. „Unraveling Juvenile Delinquency”-Studie des Ehepaar Glueck77. Diese Studie wird im Folgenden ausführlich dargestellt, um die frühen Ansätze und Fehler in der Wahl der methodischen Instrumente darzustellen und so die Entwicklung und Verbesserung zum heutigen Mehrfaktorenansatz im direkten Vergleich zu verdeutlichen.

Die UJD-Studie des Ehepaar Glueck

Im Rahmen der bereits UJD-Studie78 untersuchten Eleanor und Sheldon Glueck ab 1939 eine Vielzahl von Faktoren, die mit dem Aufwachsen im jeweiligen Elternhaus im Zusammenhang standen.

Als ein wesentliches Element für die Entwicklung im elterlichen Sozialisationsbereich und als Richtwert für die innere Beziehung der Familie wurde die Beziehung der Eltern untereinander näher betrachtet. Dieser Gesichtspunkt ist bei Lösel durch den Faktor Familiäre Disharmonie repräsentiert. Im Ergebnis stellten die Gluecks fest, dass lediglich ein Drittel (3:10) der kriminellen Jugendlichen über ein harmonisches Zusammenleben berichteten. In der Kontrollgruppe fand man hingegen ein umgekehrtes Bild vor: Hier schilderten ein Drittel der Jugendlichen mangelnde Empathie und Wärme der Eltern, während die restlichen zwei Drittel von einer fürsorglichen und einfühlsamen Erziehung berichteten.

Weiterhin wurde im Zuge der Datenerhebung durch Gespräche mit den Probanden eruiert, dass die Mütter der straffälligen Jugendlichen häufiger nicht wussten welchen Freizeittätigkeiten ihre Sprösslinge nachgingen. Der Unterschied zur Kontrollgruppe lag bei diesem Item sogar mit 1:10 zu 7:10 bei den Nichtkriminellen sehr ausgeprägt vor. Auch der Familienzusammenhalt, der dem Kind schon früh innere Sicherheit und ein Urvertrauen in die kleinste Zelle der Gesellschaft vermitteln soll, war in den Familien der Kriminellen weniger häufig zu messen. Ein weiterer Punkt in diesem Themenkomplex um die Eltern-Kind-Beziehung ist die Verbundenheit zwischen den Eltern und ihrem Kind. Hier interessiert insbesondere die Vater-Sohn-Beziehung, denn gerade der Vater spielt als Vorbild und Identifizierungsfigur für den Jungen eine herausragende Rolle. Fehlt diese Identifikationsfigur in der Kindheit, suchen sich Jugendliche häufig einen Ersatz in kriminellen Peerbeziehungen.79 Die Untersuchung ergab, dass bei den straffälligen Jugendlichen lediglich 4:10 zu 8:10 bei den Nichtkriminellen von ihrem Vater Gefühle wie Wärme, Empathie und Zuneigung entgegengebracht wurden. Weiterhin wurde gemessen, dass lediglich 2 von 10 Jugendlichen im Gegensatz zu über 5 von 10 Nichtkriminellen ihren Vater als den Mann ansahen, dem sie aufgrund seiner Werte und seiner beruflichen und sozialen Position im Leben gleichen wollten.80 Zudem wurde beobachtet, dass bei den delinquenten Jungen ein Viertel der Mütter dem Kinde gegenüber offenkundig gleichgültig oder feindselig eingestellt waren.81 Die Bedeutung der elterlichen Beziehung zum Kinde untermauern die Gluecks mit der Expertise verschiedener Studienpsychiater, wonach der Prozess der Identifizierung eines Kinds mit seinem Vater, dem er bewusst oder auch unbewusst nacheifert, essentiell für die Persönlichkeitsentwicklung und die Herausbildung von wesentlichen Charaktereigenschaften und Lebenseinstellungen ist.82

Nachuntersuchung durch Sampson und Laub Heute wird dieser erste multifaktorielle Ansatz kritisch gewürdigt. Die Kritik setzt sich hauptsächlich mit methodischen Unzulänglichkeiten auseinander.

So wird das 50:50 Verhältnis von kriminellen Jugendlichen zu unauffälligen Jugendlichen in der Untersuchung beanstandet, die nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht, in der, vermittelt durch Hellfeld- und auch Dunkelfeldstatistiken, das Kriminalitätsvorkommen mit 10:90 vorliegt83. Sie kann daher nicht genutzt werden, um die Gesellschaft zu repräsentieren.

Zudem wurde der UJD Studie vorgeworfen, sie verfüge über eine „mangelnde kausale Ordnung“.84 Dieser Vorwurf zielt auf die dargestellte Kausalkette ab. Laub und Sampson, die in den 1980er Jahren eine Reanalyse des Glueck-Datensatzes85 vornehmen, erklären diesen Missstand anhand des Beispiels, dass arbeitende Mütter neben dem Mangel an Aufsicht des Kindes jeweils für sich gesehen zum direkten Risikofaktor stilisiert werden. Vielmehr, so Laub und Sampson, bestehe ein Zusammenhang dergestalt, dass arbeitende Mütter meist nicht die Möglichkeit haben, das Kind ausreichend zu überwachen und diese Situation dann unmittelbar die spätere Entwicklung des Kindes beeinflusst.86 Mit anderen Worten kritisieren sie den Umstand, dass alle Variablen mit der gleichen Wertigkeit und der gleichen Einflussstärke ausgestattet sind, als methodisch unzulänglich. In ihrer Reanalyse korrigieren sie mit moderneren statistischen Methoden und einem hierarchischen Modellansatz diese Schieflage und zeigen auf, dass der Einfluss bestimmter Variablen nur indirekt über das Erziehungsverhalten der Eltern als Mediatorvariable87 auf den Jugendlichen wirkt88.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 5: Kausales Modell struktureller Faktoren, Familienprozesse und Delinquenz nach den UJD-Daten89

Das Erziehungsverhalten der Eltern wird in dem Modell über die Dimensionen Fehlverhalten des Vaters, Fehlverhalten der Mutter90, fehlende Überwachung des Kindes durch die Mutter, die emotionale Wärme bzw. Zurückweisung der Eltern gegenüber dem Kind und die emotionale Bindung des Kindes zu seinen Eltern abgebildet91. Diese Kausalkette konnte von Sampson und Laub bestätigt werden92. Bemerkenswert ist der Umstand, dass innerhalb der Hintergrundvariablen nur die Umzugshäufigkeit einen signifikanten Effekt auf die Delinquenz des Jugendlichen aufwies. Die Umzugshäufigkeit wiederum wird im Lösel´schen Modell im Rahmen des Multiproblemmilieus und der Bindungsdefizite näher erörtert. Im Ergebnis kann also festgehalten werden, dass Sampson und Laub strukturelle Hintergrundfaktoren wie Familiengröße, Wohnverhältnissen etc. nur insofern einen Erklärungsgehalt im Zusammenhang mit Delinquenzvorkommen beimessen, als sie die Bedingungen, unter denen informelle soziale Kontrolle in der Familie stattfindet, beeinflussen und damit durch die Mediatorvariablen über eine negative Auswirkung verfügen.

Weitere Kritik ergibt sich aus heutiger Sicht aus dem Umstand, dass die Studie einen Mangel an multivariaten Analysemethoden aufweist. Multivariate Analysemethoden ermitteln die jeweilige Einflussstärke von einzelnen Faktoren auf das Ergebnis.

Die Arbeitsweise des Ehepaars fassen Hirschi und Selvin wie folgt zusammen: „They used what can be called a ‘hit and run’ technique, which in effect gave equal weight to all findings.”93

Die im Ergebnis genutzten Signifikanzwerte sind aufgrund der atypischen Stichprobe nicht valide. Insgesamt kann man sagen, dass diese Studie mit ihrer umfänglichen Datengenerierung und den sich anschließenden, weit angelegten follow-up-Untersuchungen94 als wegweisend gilt. Allerdings hat sie auch in besonders anschaulichem Maße die Fehlerquellen der ersten multifaktoriellen Analysen vor Augen geführt: So haben die von den Gluecks auf Grundlage der Daten hervorgebrachten Prognosetafeln, auf denen man gute und schlechte Faktoren wie Kugeln auf einem Abakus hin und her addiert, in der Realität eine geringe Aussage- und Wahrheitskraft.

Im Modell von Lösel werden diese methodischen Neuerungen aufgegriffen und die familiären Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen des Modells verortet. So wird das Merkmal empathische und warmherzige Eltern-Kind-Beziehung in den vorliegenden Risikofaktor einbezogen, während andere Gesichtspunkte, die in der Gluecks Studie nur unter dem Aspekt Familie zusammengefasst waren, wie etwa finanzielle Sicherung der Familie oder das Aufwachsen bei nur einem Elternteil, eher die Modelldimension „Multiproblemhaushalt“ betreffen.

Zur Operationalisierung des Erziehungsklimas verwenden Lösel und Bliesener für ihre eigene Untersuchung eine gekürzte Version des Familiendiagnostischen Testsystems von Schneewind, Beckmann und Hecht-Jackl95, das seinerseits auf der Familiy Environment Scale von Moos96 basiert. Insgesamt erfassen sie innerhalb dieser Unterkategorie unterschiedliche Faktoren wie positive Emotionalität, Normorientierung, Anregung, elterliche Unterstützung, elterliche Aggression und Strenge, der familiäre Zusammenhalt, eine aktive Freizeitgestaltung der Eltern, elterliche Inkonsistenz oder elterliche Konflikte und den elterlichen Alkoholkonsum97. Wie man an den gemeinsam untersuchten Dimensionen erkennt, trennen die Autoren an diesem Punkt die beiden Begriffsmerkmale Disharmonie auf der einen Seite und Erziehungsdefizite auf der anderen nicht mehr dezidiert.

Korrespondierend mit den Dimensionen elterlicher Fehlerziehung nach Lösel und Bliesener bilden die Arbeiten von Maccoby und Martin sowie Baumrind98 die Koordinaten ab, innerhalb derer sich Erziehungsstile vollziehen. Maccoby und Martin einerseits und Baumrind andererseits, der thematisch auf den Erkenntnissen der beiden Erstgenannten aufbaut, differenzieren zwischen autoritativen, autoritären, permissiven und vernachlässigenden Erziehungsstilen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 6: Erziehungsstile nach Baumrind (1989)

Im Ergebnis bestätigen Lösel und Bliesener die hohe Relevanz der familienbasierten Risiken für die Entwicklung von Jugendlichen, weisen jedoch darauf hin, dass „die Effektstärken in diesem Bereich im Vergleich zu anderen Risiken nicht so groß [sind], dass das aggressive und delinquente Verhalten nur mit ungünstigen Erfahrungen und Sozialisationsdefiziten in der Familie erklärt werden kann.“99 Vielmehr erfährt der Aspekt negativer Erziehungsstil in Kombination mit dem Faktor familiäre Disharmonie, vermittelt durch beispielsweise geringe emotionale Wärme, einen starken Einfluss100, interagiert mithin mit Merkmalen des Multiproblem-Milieus.101

2.6.2 Multiproblem-Milieu und untere soziale Schicht

Unter diese Kategorie fassen Lösel und Bliesener neben binnenfamiliären Faktoren wie alleinerziehende junge Elternteile, geringe Familieneinkommen, langfristige Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse und Alkoholismus beziehungsweise Kriminalität der Eltern auch äußere Kontextfaktoren wie sozial desintegrierte verwahrloste Nachbarschaften und schließlich die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht.102 Hier lassen sich sowohl Wechselwirkungen als auch unabhängige Effekte als Wirkmechanismen belegen. Auch hier bestätigte sich gleichermaßen, dass der positive Befund eines einzelnen Faktors grundsätzlich wenig die starke Varianz des Verhaltens klären konnte, während die Kumulation mehrerer dieser Binnenfaktoren zu signifikanten Werten führte.

Aufgrund der Relevanz der genannten Rahmenbedingungen für die spätere Delinquenzentwicklung wird die Arbeit im folgenden Abschnitt zusätzlich zur Darstellung der Operationalisierung bei Lösel einige Theorien vorstellen und die Hauptaussagen dieser Theorien in die Lösel´schen Deutungen einbetten. Zur Erläuterung des von Lösel und Bliesener gewählten Oberbegriffs ‚desintegrierte Nachbarschaften’ wird die Arbeit von Shaw und McKay im Unterabschnitt Wohnumfeld eingeführt, die sehr früh schon den Risikofaktor desintegrierte Nachbarschaften untersucht und somit diesen Begriff maßgeblich geprägt hat.

Zugunsten der Übersichtlichkeit wird von der Präsentationsweise Lösels dergestalt abgewichen, dass der zusammengesetzte Risikofaktor in drei Abschnitte, namentlich dem Multiproblemmilieu im engeren Sinne, dem Wohnumfeld und der Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht aufgegliedert wird. Der Inhalt bleibt davon unberührt.

Multiproblem-Milieu im engeren Sinne

Unter dem Multiproblem-Milieu im engeren Sinne fassen Lösel und Bliesener in ihrer Untersuchung familiäre Gegebenheiten wie Scheidung, alleinerziehende Eltern, Alkoholismus oder Kriminalität der Eltern. Schon die Gluecks weisen auf die Eltern als elementaren Entwicklungskontext in frühen Jahren hin. Das Elternhaus ist der Mikrokosmos, in dem Werte und der Umgang miteinander erlernt werden und spielt eine zentrale Rolle in der Vermittlung eines positiven Selbstbildes überdies auch in der Vermittlung von Einstellungen und Vorurteilen. Die frühe Trennung oder eine Suchterkrankung der Eltern sind daher starke Indizien für die Entstehung von Problemverhalten des Kindes.

Diese Diagnose impliziert keinesfalls, dass alleinerziehende oder alkoholkranke Elternteile per se die schlechteren Eltern seien. Allerdings wird durch den Partnerverlust oder durch die Alkoholkrankheit des erziehenden Elternteils der Fokus sehr stark auf die eigenen Probleme gelenkt, so dass dem Kind gerade in der wichtigen Orientierungsphase allenfalls geteilte Aufmerksamkeit zukommt. Den Zusammenhang zwischen alleinerziehenden Eltern und Delinquenz des Kindes deuten auch Sampson und Laub (s. Abb. 5) an, indem sie aufzeigen, dass eine derartige strukturelle Familienvariable über die Merkmale fehlende Überwachung des Kindes durch die Eltern und fehlende emotionale Bindung bzw. Zurückweisung der Eltern vermittelt wird und so moderierend auf die Delinquenzentwicklung wirken. Zudem hat jede dieser Variablen für sich in der Regel eine messbare Auswirkung auf die finanzielle Lage des Elternhauses. Geringe finanzielle Mittel wirken sich zwar ebenfalls nicht direkt auf die negative Entwicklung eines Jugendlichen aus, stellen jedoch insofern eine risikoerhöhende Variable dar, als sie das Familienklima negativ beeinflussen können (s. Abb. 7). Eine weitere Variable im Gesamtkonzept des Multiproblem-Milieus nach Lösel ist das

Wohnumfeld

So wie die Innenansicht einer Wohnung in der Regel sehr viel über die Seele, oder – will man es weniger exaltiert – zumindest über private Vorlieben der Bewohner verrät, so sagt das Viertel, in dem eine Person lebt, sehr viel über ihre Position („standing“) in der Gesellschaft und ihr sozioökonomisches Umfeld aus. Denn die Hauptdeterminante (neben anderen entscheidungsrelevanten Variablen) bei dem Entschluss für oder gegen eine Wohngegend ist zumeist finanzieller Natur.

Nicht umsonst haben Banken komplexe Programme mit noch komplexeren Algorithmen, die für Kreditanfragen auch in Betracht ziehen aus welchem Ortsteil der Kunde kommt und diese Information dann maßgeblich zur Berechnungsgrundlage machen.103 Und nicht umsonst interessiert sich die Kriminalitätsforschung schon seit Jahrzehnten für die Wechselbeziehung zwischen Kriminalität und der unmittelbaren physisch-räumlichen Umwelt einer Person oder Personengruppe. Ihre Anfänge hat dieses Betätigungsfeld in den Untersuchungen der Chicago-Schule. Heute kann man auf eine umfangreiche neighborhood-effect-Literatur zurückgreifen.104

Die Theorie der sozialen Desorganisation

Die Soziologen der Chicagoer Schule Shaw und McKay105 haben in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts als eine der ersten verschiedene Faktoren untersucht, die die unmittelbare Wohnumgebung zu einem Risikofaktor für die Delinquenzgenese ihrer Bewohner hochstilisieren. Bedingt durch die Erkenntnis, dass ein niedriger sozioökonomischer Status und eine marode und heruntergekommene Bausubstanz106 eine starke Auswirkung auf das Leben in einem solchen Viertel haben, wird die Benachteiligung von Wohngebieten im Kontext der Delinquenzforschung als ein multidimensionales Konzept verstanden, das auf verschiedenen Ebenen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einwirkt. Insbesondere Aspekte wie wenig institutionelle beziehungsweise informelle Kontrolle und soziale Unterstützung und mehr Kriminalität im Umfeld,107 in dem sich schnell Lernmodelle für deviantes Verhalten finden,108 interagieren hier mit schwierigen Konstellationen im Elternhaus und psychologischen oder kognitiven Störungen. Hinzu komme häufig, dass gerade in Wohnquartieren in schlechter Lage auf engstem Raum viele Familien aus sozial schwachen und problematischen Verhältnissen zusammenleben. Diese zunehmende Segregation109 vor allem in Großstädten führe ferner dazu, dass gerade in sogenannten Problemvierteln eine Konzentration von Menschen gefördert wird, die in ihrem sozialen Außenseiterstatus homogen vereint sind.

Elliott et al. sehen daher in Nachbarschaften „transactional settings“, die das individuelle Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung sowohl direkt als auch indirekt signifikant beeinflussen können.110 Es gibt kaum eine Arbeit, die so oft rezensiert und reformuliert wurde wie die Shaws und McKays. So sekundieren Fox, Lane und Akers111 deren Ergebnisse folgendermaßen: „This ecologically-based explanation for delinquency (Anm. d. Verf.: from Sampson and Laub) assumes that rapid urbanization leads to a deterioration of community controls, resulting in disorganization and the replacement of traditional values with criminal values. Then, the area, not individuals, breeds crime regardless of who moves in and out of these neighborhoods.”

Schneider hat in Deutschland Untersuchungen vorgenommen, um zu eruieren, ob der amerikanische Tatbestand der desorganisierten Nachbarschaft auch hier zu finden ist und beschreibt in diesem Zusammenhang: „Soziale Organisation und Desorganisation sind die beiden Endpunkte eines Kontinuums, das sich auf systematische Netzwerke und die Gemeinschaftskontrolle bezieht. Ein soziales System, eine Gemeinschaft (…) bezeichnet man dann als sozial organisiert oder integriert, wenn seine Mitglieder in ihren Normen und Werten übereinstimmen, wenn zwischen ihnen ein enger Zusammenhalt herrscht und wenn sie in geordneter Weise miteinander interagieren. Eine Gemeinschaft ist sozial desorganisiert, wenn ihr sozialer Zusammenhalt zerfällt, wenn ihre soziale Kontrolle zusammenbricht. Je größer die Dichte und Vielfalt der interpersonellen Netze in einer Gemeinschaft, desto größer ist die informelle Kontrolle delinquenten Handelns in diesem Gebiet.“112 Beelmann und Raabe, die in ihrem Buch113 den Lösel-Ansatz ihrerseits reformulieren, nennen insgesamt vier Mechanismen, die eine benachteiligte Wohngegend identifizieren: Erstens die hohe Verfügbarkeit devianter Rollenmodelle, die in deprivierten Wohnvierteln durch dissoziale Agenten besteht. Dieser Mechanismus wirkt gemäß der Theorie der differentiellen Assoziation nach Sutherland dergestalt, dass angenommen wird, Kriminalität sei die Folge einer speziellen Lernumwelt. Wenn also ein aufgeschlossener, offener, kommunikativer Junge in einer schlechten Umgebung aufwächst, wird er sich aufgrund seines offenen Charakters und seines Kommunikationsbedürfnisses an devianten peers orientieren; wächst er hingegen in einer gut bürgerlichen, intellektuellen Umgebung auf, kann er auch Pfadfinder oder Intellektueller werden. 114

Zweitens ergeben sich durch schwache soziale Bindungen und das Fehlen eines öffentlichen Kommunikationsraums nach Beelmann und Raabe Gelegenheiten für kriminelle Machenschaften, die durch die Anonymität und die geringe Interaktion der Bevölkerung noch begünstigt werden. Hier wird erneut der Risikofaktor „Bindungsdefizite“ zur Sprache gebracht, der insbesondere durch seine starke Wechselwirkung mit anderen Kontextfaktoren seine herausragende Stellung im System der Risikofaktoren innehat.115

Drittens steigt durch die hohe Kriminalitätsbelastung die Wahrscheinlichkeit selbst Opfer zu werden. Dieser Punkt wird meist in der Literatur nur en passant miterklärt. Dabei besitzt er hohe Brisanz: Denn überall dort, wo sowohl formelle als auch informelle Sozialinstanzen weitgehend inexistent sind oder ihren Rückzug angetreten haben und die Gefahr, selbst Opfer zu werden, gegenwärtig ist, ergeben sich für jeden einzelnen hit-and-run-Szenarien. Entweder man lebt in der Erwartung, jederzeit selber Opfer zu werden, oder man organisiert sich ebenfalls, sozusagen als präventiver Erstschlag, in devianten Gruppen. Insbesondere Jugendliche verfügen nicht über die Entscheidungsbefugnis, ob sie eine bestimmte Wohngegend verlassen. Insofern verdichtet sich ihre Entscheidungsgewalt auf die eben angesprochenen Varianten. Und so wie ein Dominostein auf den anderen folgt, folgt im Kettenreaktionstheorem Lösels auf den einen Risikofaktor unter Umständen der nächste.116

Viertens, so Beelmann und Raabe, mangelt es in solchen Wohngegenden an Bildungseinrichtungen oder einer institutionellen Infrastruktur für Jugendliche.117

Die Broken-Windows-Theorie

Die meisten Aussagen, die sich heute mit dem Wohnumfeld als Risikofaktor auseinandersetzen, fußen maßgeblich auf den Ausführungen zur sog. Broken-Windows-Theorie. Als Wegbereiter dieser Theorie gilt Philip Zimbardo,118 der den Versuch unternahm, sowohl in der Bronx (New York) als auch in einem wohlhabenden Viertel in Palo Alto (Kalifornien) jeweils ein vergleichbares Auto ohne Plaketten und mit geöffneter Motorhaube zu positionieren. Das Auto in der Bronx wurde innerhalb von zehn Minuten von den ersten Vandalen attackiert. Sie entnahmen dem Auto das Radio und die Batterie. Innerhalb der nächsten 24 Stunden wurde alles, was irgendwie verwertbar erschien, aus dem Auto entfernt und das Auto komplett demontiert. Dann begann die destruktive Randale, indem Fenster eingeschmissen und die Polster zerstört wurden. Das Auto in Palo Alto wurde eine ganze Woche nicht angerührt bis Zimbardo selbst das erste Fenster mit einem Hammer zerschlug. Sehr schnell fanden sich Nachahmer. Innerhalb weniger Stunden wurde das Auto auf das Dach gedreht und vollständig zerstört. Damit lieferte Zimbardo den Beweis, dass Vorbeschädigungen an einem Objekt eine vollständige Beschädigung des Gegenstands zur Folge haben könnten.

Die kriminalpolitische Transformation119 dieser Befunde wurde in den 1980er Jahren durch Kelling und Wilson vorgenommen120. In ihrem Artikel „Broken windows. The police and neighborhood safety.”, der mittlerweile zur meist zitierten Literatur in den USA121 zählt, bestätigten sie, dass vernachlässigtes bzw. ungepflegtes Eigentum anderer zur Zielscheibe von Vandalen wird.

Insbesondere aufgrund der in der Bronx vorhandenen Umstände, wie der hohen Anonymität der Bewohner, der Häufigkeit von Autodiebstählen und der ständigen Zerstörungsgewalt in diesem Viertel, so Wilson und Kelling, konnte man einen schnelleren Zerstörungsprozess verzeichnen als in Palo Alto122. Aber auch in einer besseren Wohngegend wie Palo Alto kommen solche Zerstörungen vor, wenn der „erste Stein erst einmal geworfen wurde“ 123, wenn also Vorbeschädigungen vorhanden sind.

Unordnung und Kriminalität, so das Fazit der Autoren, seien unauflöslich miteinander verbunden („inextricably linked”). Sie beschreiben den Prozess der Entwicklung hin zu einer desorganisierten Nachbarschaft demnach als Abwärtsspirale, aus der gut situierte Familien weg und junge, vorwiegend alleinstehende Erwachsene, die ob der Anonymität oder der preiswerten Mieten diese Gegenden präferieren, hin ziehen. Zurück bleiben sozial Schwache, die sich einen Umzug nicht leisten können, und alte Leute, die in aller Regel ebenso immobil sind und sich in solchen Zuständen besonders hilflos fühlen. Insgesamt färbt sich die Atmosphäre in dieser Gegend in eine angespannte Lage, die von Unsicherheiten geprägt ist. An diesem Punkt kommt es nun zu einer Verfestigung ernsthafter Kriminalität.

Analog zu dieser Darstellung präsentierte Heitmeyer in einem verwandten Kontext in seinem Vortrag über regionale Herausforderungen für ländliche Räume im Rahmen des Symposiums zum Thema „think rural!“ im Oktober 2012 in Greifswald ein Beispiel für kleine Kommunen in Deutschland. Der Rückzug finanzkräftiger Familien und gut ausgebildeter junger Menschen, vorwiegend Frauen, führe zunehmend zu „Geisterstädten“, deren Bild vom Prozess der Deindustrialisierung, einem Abbau der Infrastruktur und einer schlecht ausgebildeten, männlich dominierten und alten Bevölkerung gekennzeichnet ist. Diese Gegenden werden dauerhaft unattraktiv für neue frische Impulse, junge Familien oder die Industrie. Heitmeyer schlussfolgert, dass mit solchen Entwicklungen die Zivilgesellschaft in diesen Teilen Deutschlands tatsächlich in Gefahr gerät124. Das Gewicht, das diesem Merkmal zukommt, zeigt sich auch an einer Studie, auf die Lösel und Bliesener im Rahmen ihrer Arbeit verweisen. Hier untersuchten Peeples und Loeber125 den negativen Effekt von deprivierten Nachbarschaften. Auch nach Abzug verschiedener Kontrollvariablen, wie der elterlichen Erziehung und dem kindlichen Temperament, blieb der Einfluss des Wohnumfelds signifikant.

Zugehörigkeit zur unteren soziale Schicht

Der letzte Aspekt dieses ausführlich dargestellten Risikofaktors ist die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht. Auch wenn die Annahme prekär erscheint, dass die Zugehörigkeit zur (unteren) sozialen Schicht auf einem Risikofaktor deutet, so affirmieren diverse Studien dennoch einen Zusammenhang insbesondere zwischen der Schichtzugehörigkeit und der hier behandelten Gewaltkriminalität.126 Eine der bekanntesten Theorien in diesem Kontext ist die Theorie der Unterschichtkultur von Walther Miller. Nach Miller gehört der Aspekt Aggressionskriminalität zu einer über Jahrhunderte tradierten eigenen Kultur, die nicht als Opponent zur Kultur der Mehrheitsgesellschaft verstanden wird.127 Vielmehr wird diese Kultur wie unter einer Käseglocke abgeschottet gelebt und nach eigenen Gesetzmäßigkeiten praktiziert. Eben weil hier das Gesetz des Stärkeren eine zentrale Rolle spielt und Stärke vor allem in dominierender Maskulinität und Physis ausgedrückt wird, wird Aggression nicht abgelehnt, sondern oftmals kultiviert, und erfährt eine positive Resonanz. Heute geht man allerdings davon aus, dass ein Zusammenhang indirekter Natur sei und eher über andere Kontextfaktoren vermittelt werde.

Auch Conger et al., deren Ergebnisse von Lösel und Bliesener für ihre Untersuchung aufgegriffen und fruchtbar gemacht wurden, schreiben dem Prädiktor lediglich einen distalen Effekt zu wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Abbildung 7: Wirkungsweise ökonomischer Belastungen auf Eltern-Kind-Konflikte und kindliche psychische Störungen128

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die einzelnen Variablen im Rahmen des Multiproblem-Konzepts für sich genommen keinen großen Erklärungsgehalt hinsichtlich des Problemverhaltens bieten. Eine hohe statistische Signifikanz wurde hingegen bei multipler Korrelation zwischen den Sozialisationsbelastungen und dem Problemverhalten zu Tage gefördert. Auch die Werte, die Lösel und Bliesener in ihren Regressionsanalysen diesbezüglich generierten, waren überwiegend ausgeprägt. So zeigte sich, dass Jugendliche, die in einem warmherzigen Familienklima mit hoher Akzeptanz aufwuchsen und ein harmonisches Elternhaus hatten, in dem beide Eltern die Erziehung konsistent wahrnahmen, wesentlich weniger über eigene Aggressionen berichteten. Jugendliche, die hingegen in einem Multiproblem-Milieu aufwuchsen, in dem die Eltern sich beispielsweise früh getrennt hatten und zudem die Wohnumgebung den Kontakt zu devianten peers förderte, waren häufig ein negatives Beispiel für einen aggressiven Umgang mit anderen.129

[...]


1 Beelmann/Raabe 2007, S. 47.

2 Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006, S. 61.

3 Lösel/Bliesener 2003, S. V, VII.

4 Beelmann/Raabe 2007, S. 108.

5 Vgl. Knutsson 1977, S. 67.

6 Beelmann/Raabe 2007, S. 48.

7 Lösel 1999a, S. 221.

8 So v. Liszt 1883, S. 1 ff. (Marburger Programm).

9 Healy 1922.

10 Lösel 1999a, S. 225.

11 Lösel 1999a, S. 225.

12 Vgl. Lösel/Bliesener 2003, S. 18.

13 Lösel 1999a, S. 224.

14 Lösel 1999a, S. 5; Lösel/Bliesener 2003, S. 33; s. auch Begründung für dieses Projekt vom Ersten Direktor des BKA, Leo Schuster in Lösel/Bliesener 2003, S. V.

15 Vgl. Lösel/Bliesener 2003.

16 Boers et al. 2002, S. 144.

17 Bliesener et al. 2012, S. 8.

18 Beelmann/Raabe 2007, S. 17.

19 instruktiv dazu Lamnek 2007, S. 14, 15ff.

20 Kühnel/Matuschek 1995, S. 174.

21 Peters 1995, S. 19.

22 Jung 2005, S. 19.

23 Jung 2005, S. 19f.

24 Kühnel/Matuschek 1995, S. 174.

25 Bliesener et al. 2012, S. 5.

26 Kühne 1989, S. 117.

27 Schwind 2011, S. 3.

28 Lösel 1999b, S. 235.

29 Joecks 2004, S. 550; Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006, S. 63.

30 Böttger 1998, S. 12.

31 Lösel/Bliesener 2003, S. 1, 9; Schwind 2011, S .64; Moffitt 1993, S. 675; Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006, S. 357.

32 Oberwittler/Reinecke 2008, S. 55.

33 Moffitt 1993, S. 674ff.; Lösel 1999a, S. 224; Lösel/Bliesener 2003, S. 9f.

34 Moffitt 1993, S. 676.

35 Lösel/Bliesener 2003, S. 48.

36 Moffitt 1993, S. 676, 679f.

37 Lösel/Bliesener 2003, S. 9; Loeber 1982, S. 1431 m. w. N.

38 Bliesener et al. 2012, S. 10.

39 Müller Onlinedokument: http://5566139.de.strato-

hosting.eu/Material/Jugendstrafrecht/Band34_Labeling_Mueller_prnt.pdf S. 182f.

40 Bliesener et al. 2012, S. 9, 50.

41 Kunkat 2002, S. 8.

42 Vgl. Lösel/Bliesener 2003, S. VIII.

43 Davon 52,8% Jungen, 47,2 % Mädchen. Das Durchschnittsalter betrug 14,1 Jahre. Die Schüler besuchten in Erlangen und Nürnberg Gymnasien (35,6%), Real- (26,5%) und Hauptschulen (37,9%). In direktem Vergleich gab es sowohl bei der physischen als auch bei der verbalen Aggressivität bzw. bezüglich der Gewaltbilligung insbesondere für die Hauptschüler signifikante Werte im Gegensatz zum Gymnasium; die Realschule nahm eine mittlere Stellung ein. 74,4% der Schüler sind deutscher Nationalität, von den restlichen 25,6% stammen 8,5% aus der Türkei, 6,8% aus Südosteuropa (vor allem Ex-Jugoslawien), 1,9% aus Osteuropa und 0,4% aus Nordwesteuropa oder den USA. Bei diesen Werten wurde darauf geachtet, dass die Zusammensetzung der Stichprobe weitestgehend der Schülerpopulation der Städte entspricht.

44 Wegen der „zu erwartenden Verständigungsschwierigkeiten“ wurde auf die Einbeziehung von Förderschulen verzichtet, was einen hohen Verzerrungsgrad für die gesamte Untersuchung darstellt, insbesondere aus der Erwägung heraus, dass ausbleibender schulischer Erfolg auch bei Lösel als ein Risikofaktor für Devianz bzw. dissoziale Entwicklungen angesehen wird und ein negatives Selbstlabeling zur Folge haben kann. Der Schultyp Gesamtschule ist in Bayern eher selten vorhanden und wurde daher nicht in die Betrachtung aufgenommen (vgl. Lösel/Bliesener 2003, S. 33).

45 Lösel/Bliesener 2003, S. VIII.

46 Lösel/Bliesener 2003, S. VIII.

47 Lösel/Bliesener 2003, S. IX.

48 Lösel/Bliesener 2003, S. 31.

49 Bender/Lösel 1997, S. 662.

50 Beelmann/Raabe 2007, S. 49.

51 Mediatorvariablen vermitteln die Wirkung der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable.

52 Lösel/Bender 1997, S. 137.

53 Bliesener et al. 2012, S. 11.

54 Beelmann/Raabe 2007, S. 49f.

55 Lösel/Bliesener 2003, S. 10.

56 Lösel/Bliesener 2003, S. 26.

57 Vgl. Lösel 1975, S. 146ff.

58 Z.B.: Laden-, Fahrraddiebstahl, Betrug, Diebstahl von und aus Kfz (insgesamt 12 Items).

59 Z.B.: Raub, vorsätzliche Körperverletzung, Waffengebrauch, Sachbeschädigung (7 Items insgesamt).

60 Z.B.: Schulschwänzen, Weglaufen, Alkohol- und Drogenmissbrauch (5 Items insgesamt).

61 Vgl. Lösel/Bliesener 2003, S. 54 Abb. 5 und Abb. 9.

62 Gemessen anhand der DBS-Skala (vgl. Lösel/Bliesener 2003, S. 61).

63 Erweiterung der Delinquenzvariable um weitere dissoziale Verhaltensweisen (siehe Lösel/Bliesener 2003, S. 61).

64 Korrelationswerte zwischen .57 und .69, s. Lösel/Bliesener 2003, S. 36.

65 Glueck/Glueck 1950.

66 Lösel/Bliesener 2003, S. 33.

67 Zwar heißt der Risikofaktor ‚problematische heterosexuelle Beziehungen‘; er ist allerdings nicht so eng zu verstehen. Vielmehr werden darunter alle Formen von Lebensgemeinschaften in intimen zwischenmenschlichen Beziehungen verstanden.

68 Lösel/Bliesener 2003, S. 11.

69 Harris 1995, S. 461; Wilkinson 1974, S. 726.

70 Vgl.; Farrington 1992; Farrington/Loeber 2001, S. 361; Kolvin et al. 1990; Lytton 1990; Grossmann/Grossmann 1991.

71 Vgl. Lösel 1999b; Lösel/Bliesener 2003.

72 Lösel/Bliesener 2003, S. 12.

73 Lösel 1999a, S. 226

74 Lösel/Bliesener 2003, S: 10; Dünkel/Gebauer/Geng 2008, S. 90 mit guter Übersicht über die Prävalenzraten elterlicher Gewalt S. 91; Farrington/Loeber 2001, 361; Skepenat 2000, S. 34.

75 Cassidy et al. 1996, S. 898.

76 Bliesener et al. 2012, S. 15.

77 Glueck/Glueck 1950.

78 Hierfür wählten sie 500 jugendliche Rückfalltäter (criminals) zwischen 11 und 17 Jahren und verglichen sie mit 500 „nachweislich nicht kriminellen Jungen“ (non criminals) in einem 1:1-Matching-Ansatz: Für ihre Untersuchung stellten sie bestimmte „Paare von Jugendlichen zusammen, die sich in Alter, rassischer und volkstümlicher Herkunft glichen“, für die ein gleicher Intelligenzgrad ermittelt wurde und die aus der gleichen Großstadtumgebung kamen. Eruiert wurde das Verhältnis der Eltern zueinander, wie geordnet der Haushalt war, der kulturelle Zuschnitt der Familie, die Bereitschaft der Mutter ihre Verantwortung bei der Beaufsichtigung des Kindes wahrzunehmen sowie der familiäre Zusammenhalt. Im Rahmen dieser umfangreichen Datengenese wurden auch das Freizeitverhalten der Jugendlichen sowie das schulische Leistungsniveau erfasst. Die Gruppe jugendlicher Täter und ihr Pendant als Kontrollgruppe wurden in Interviews aufgefordert, von ihren Verfehlungen zu berichten. Dabei wurden teilweise signifikante Abweichungen ermittelt, sowohl in der Qualität als auch in der Quantität der selbstberichteten Delinquenz. Die Gruppe der sog. criminals, also der Jugendlichen mit Delinquenzhintergrund, berichtete deutlich mehr über eigene Rechtsübertretungen. Ferner wurde das Alter ermittelt, in dem diese Jugendlichen erstmals verurteilt wurden und die Häufigkeit mit der sie vor Gericht standen. Das durchschnittliche Alter betrug 12,5 Jahre, während die Kinder 3,4 Mal vor Gericht gestanden hatten.

79 Glueck/Glueck 1972, S. 59.

80 Glueck/Glueck 1972, S. 59.

81 Glueck/Glueck 1972, S. 59.

82 Glueck/Glueck 1972, S. 59.

83 Für eine detaillierte Darstellung dieser methodischen Kritik: Vgl. Reiss, 1951, S. 118f.

84 Vgl. Hirschi/Selvin 1967.

85 Laub/Sampson 1988, S. 359.

86 Laub/Sampson 1988, S. 359.

87 Müller 2007, S. 254.

88 Die indirekten Variablen auf der linken Seite werden hierbei als familiäre Umstände mit nur geringem oder ohne direkten Effekt auf die Delinquenz des Jugendlichen gesehen. Sie haben aber einen starken direkten Einfluss auf das Erziehungsklima (Mediatorvariable). Diese Variablen des Elternverhaltens haben wiederum deutlichen Einfluss auf die Delinquenz des Jungen.

89 Laub/Sampson 1988, S. 366.

90 Fehlverhalten der Elternteile wurde gemessen an Hand der Häufigkeit von Gewaltausübung gegenüber dem Kind, Einschüchterungen, harter bzw. inkonsistenter Disziplin in der Erziehung (s. Laub/Sampson 1988, S. 365).

91 Laub/Sampson 1988, S. 365

92 Vgl. Laub/Sampson 1988, S. 375.

93 Hirschi/Selvin 1967, S. 360.

94 Laub/Sampson 1988, S. 355f.

95 Schneewind/Beckmann/Hecht-Jackl 1985.

96 Moos 1974.

97 Lösel/Bliesener 2003, S. 37

98 Vgl. Maccoby/Martin 1983; Baumrind 1989.

99 Lösel/Bliesener 2003, S. 146.

100 Lösel/Bliesener 2003, S. 147.

101 Lösel 1999a, S. 226.

102 Lösel/Bliesener 2003, S. 12.

103 Sog. Geo-Scoring; vgl. bsw. http://www.tagesgeldvergleich.com/kredit-vergleich/bonitaet.

104 Sampson et al. 2002, S. 443ff. mit guter Übersicht über 40 relevante Studien zu diesem Themenkomplex.

105 Shaw/McKay 1942, bsw. S. 141 ff.; 1932.

106 Toprak/Nowacki 2012, S. 34.

107 Elliott et al. 1996, S. 400f.

108 Lösel/Bliesener 2003, S. 12.

109 Toprak/Nowacki 2012, S. 34.

110 Elliott et al. 1996, S. 391.

111 Fox/Lane/Akers 2010, S. 721.

112 Schneider 2001, S. 46.

113 Beelmann/Raabe 2007, S. 98 f.

114 Sutherland/Cressey 1974, S. 398.

115 Beelmann/Raabe 2007, S. 100 f.

116 Beelmann/Raabe 2007, S. 101 f.

117 Beelmann/Raabe 2007, S. 102 f.

118 Vgl. Wilson/Kelling 1982, S. 30f. und Zimbardo 1969.

119 Streng 1999, S. 6.

120 Vgl. Wilson/Kelling 1982.

121 Schwind 2011, S. 333.

122 Vgl. Wilson/Kelling 1982.

123 Schwind 2011, S. 331.

124 Vgl. hierzu auch Heitmeyer 1992; Heitmeyer 2010.

125 Peeples/Loeber 1999, S. 146 ff.

126 Peters 1995, S. 57 m.w.N.

127 Miller 1958, S. 5 ff.; Miller 1968, S. 359.

128 Conger et al. 1994, S. 556.

129 Lösel/Bliesener 2003, S. 81.

Fin de l'extrait de 123 pages

Résumé des informations

Titre
Kriminalität und Lebenslauf. Beschreibung und Erweiterung des bio-psycho-sozialen Entwicklungsmodells nach Friedrich Lösel
Université
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät)
Cours
Master of Laws
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
123
N° de catalogue
V287148
ISBN (ebook)
9783656874188
ISBN (Livre)
9783656874195
Taille d'un fichier
1394 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kriminalität, Lebenslauf, Friedrich Lösel, Labeling Approach, Risikofaktoren für kriminelle Karrieren, Mehrfaktorenansatz, peer groups, familiäre Disharmonie, jugendliche Straftäter, Interviews, deskriptive Inhaltsanalyse, qualitative Inhaltsanalyse, Probleme in der Schule, Schulabbrecher, Religion, Islam, soziale Ausgrenzung, Soziologie
Citation du texte
Yasmin Hamed-Schrader (Auteur), 2013, Kriminalität und Lebenslauf. Beschreibung und Erweiterung des bio-psycho-sozialen Entwicklungsmodells nach Friedrich Lösel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287148

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