Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
2. Arbeitslosigkeit in Köln in der Weimarer Republik
3. Arbeitslosenunterstützung und öffentliches Wohlfahrtswesen
3.1 Die Erwerbslosenfürsorge
3.2 Die Arbeitslosen- und Krisenunterstützung
4. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit
4.1 Notstandsarbeiten
4.2 Arbeitspolitische Maßnahmen in Köln
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
Die Weimarer Zeit, also die Zeit von der Ausrufung der Republik 1918 bis zurMachtergreifungHitlers 1933, wird in der Nachbetrachtung vor allem mit einer krisenreichen Zeit verbunden. Schon bei der Gründung war „die Nation zerrissener denn je“[1]. Die allgemeine Uneinigkeit im Volk bezüglich der Demokratie und der Regierung verstärkten sich durch finanzielle, wirtschaftliche und soziale Unsicherheiten zusehends ins Negative. Nach der Bewältigung vieler Probleme durch die neue Regierung fasste das deutsche Volk ab 1924 langsam wieder Vertrauen. DieGoldenen Zwanzigervon 1924 bis 1919 stehen für Aufschwung, Wohlstand und Stabilität in der Weimarer Zeit. Jedoch handelte es sich eher um eine kulturelle Blütezeit, nicht um eine ökonomische[2]. Trotzdem fühlte sich die wirtschaftliche Lage für die Deutschen sicher an. „In dieser Dialektik der vorausgehenden Prosperität ist die gefühlte Heftigkeit der Zäsur zu sehen“[3], die der Bevölkerung noch bevorstand. In den fünf Jahren von 1924 bis 1929 stiegen zwar sowohl das Nettosozialprodukt als auch die Bilanzgewinne an, doch auch die Auslandseinlagen in der Deutschen Bank und die Exportquote[4]nahmen zu. Dadurch erhöhte sich die Betroffenheit Deutschlands, als im Oktober 1929 die Börse in den USA abstürzte. Die Folge war eine weltweite Wirtschaftskrise, die die Weimarer Regierung zu Fall und die Deutschen in die Arme der Diktatur führen sollte.
Eine unausweichliche Folge der wirtschaftlichen Krise war die Arbeitslosigkeit, welche ihrerseits wiederum Folgen hatte. So stieg nicht nur die Anzahl der Arbeitslosen von 1929 bis 1930 von 2,8 auf 3,5 Millionen an, sondern auch die Zahl der NSDAP-Wähler[5]. Bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 konnten die Nationalsozialisten einen Stimmenzuwachs von fast 16% verbuchen. In Zeiten der Not bauten immer weniger Deutsche auf die demokratische Regierung, ja, gaben ihr sogar die Schuld für ihr Elend und die wirtschaftliche Krisensituation. Je schlechter es den Deutschen ökonomisch ging, desto höher fielen die Wahlergebnisse der radikalen Parteien aus. Insofern ist die Betrachtung der sich entwickelnden und stetig steigenden Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik von großer Bedeutung, allerdings schwer zu erfassen. Einfacher und konkreter – und in mancher Hinsicht interessanter – ist es, diese Entwicklung an nur einer deutschen Stadt zu beobachten.
Hierzu bietet sich die Stadt Köln an – im Hochmittelalter die bevölkerungsreichste Stadt im Deutschen Reich, bedeutendes Handels- und Glaubenszentrum Westeuropas, bis ins 20. Jahrhundert die „stärkste Rheinfestung“[6]Preußens, im Ersten Weltkrieg „Versorgungszentrum der Westfront“[7]. Nicht nur die geographisch günstige Lage am Rhein verhalf Köln in seiner Geschichte des Öfteren zu einer hervorgehobenen Stellung. Immer wieder ging man hier einen anderen, eigenen Weg, der von dem der Regierung abwich. Vor allem politisch betrachtet blieb die erzkatholische Stadt Köln auch in den wechselhaften Jahren der Weimarer Republik relativ stabil. Anders als bei der reichsweiten Betrachtung konnte die NSDAP hier er spät Stimmen gewinnen, bis 1933 ging traditionell Zentrumspartei als Wahlsieger aus den Kommunalwahlen hervor.
In diesem Zusammenhang ist vor allem Konrad Adenauer zu nennen, der Köln als Oberbürgermeister von 1917 bis ins Jahr derMachtergreifungdurch viele Krisen führte. In den zwanziger Jahren „erscheint [er] […] als konservativer Modernisierer“[8]. Vor allem des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit nahm er sich an. Für ihn, als sich selbst gegenüber sehr strengen und pflichtbewussten Menschen, heute würden wir ihn alsWorkaholicbezeichnen, war Arbeit nicht nur eine finanzielle Notwendigkeit, sondern eine „fundamentale Seinskategorie menschlicher Existenz“[9], unverzichtbar für den Erhalt menschlicher Moral[10].
Deshalb werde ich in dieser Arbeit neben der Entwicklung der Kölner Arbeitslosigkeit auch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen dagegen eng mit Konrad Adenauer verknüpft betrachten. Einleitend werde ich jedoch zunächst die allgemeine wirtschaftliche, politische und soziale Lage in Köln nach dem Ersten Weltkrieg, die verschiedenen Problemstellungen und die Entwicklung der Arbeitslosigkeit darstellen. Anschließend folgt eine Darstellung über das kommunale Wohlfahrtswesen und über die 1927 eingeführte staatliche Arbeitslosenversicherung. Nach der oben bereits erwähnten Betrachtung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter besonderer Berücksichtigung Adenauers werde ich die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und ihre Folgen auf die Stadt Köln im Fazit noch einmal zusammenfassen.
2. Arbeitslosigkeit in Köln in der Weimarer Republik
Die wirtschaftspolitische Lage nach dem Ersten Weltkrieg
„Ich habe noch nie eine politische und wirtschaftliche Situation
seit 1918 so gründlich verfahren angeschaut wie die gegenwärtige.
Wie Deutschland daraus herauskommt […] ist mir einstweilen völlig schleierhaft.“
K. Adenauer an G. Heinemann, Januar 1932
Im Jahre 1919 zählte die Domstadt am Rhein 630.900 Einwohner, bis 1922 stieg die Bevölkerungszahl durch immer mehr Eingemeindungen bis auf 674.000 und in den folgenden zehn Jahren noch einmal auf über 750.000[11]. Trotz – oder auch wegen - dieses Wachstums hatte die Stadt Köln in der Nachkriegszeit Probleme verschiedener Naturen. Denn in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war die geographische Lage Kölns ausnahmsweise nicht von Vorteil. Zwischen Arbeiter- und Soldatenräten, den britischen Besatzungstruppen, separatistischen Bewegungen und dem Ruhrkampf zeigte sich der Stadt schon früh der politisch unstete Charakter, der die Weimarer Zeit prägte.
Zu den politischen kamen auch noch soziale Unsicherheiten hinzu, die das Reich auf die Kommunen abwälzte. Dazu zählten Wiedereingliederung der Kriegsheimkehrer und deren finanzielle Unterstützung in sozialen Notlagen[12]. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich außerdem sowohl in Köln als auch im ganzen Reich die Lage auf dem Arbeitsmarkt spürbar. Noch im Oktober 1918 kamen auf etwa 4.000 Stellensuchende fast 5.900 Angebote. Im März 1919 hingegen suchten rund 18.000 Kölner eine Beschäftigung, es gab aber nur 14.000 offene Stellen[13]. Die steigende Arbeitslosigkeit im ganzen Reich war eine natürliche Folgeerscheinung der „wirtschaftlichen Schrumpfung“[14]. Hinzu kam das Ende des Krieges, welches zur Auflösung des Heeres, Einstellung der Rüstungsindustrie und Umstellung auf Friedenswirtschaft führte[15]. Außerdem hatte das Deutsche Reich im Krieg wichtige Marktbeziehungen und Auslandskapital verloren und musste nun die „Abtretung wertvoller Gebiete [wie Elsass-Lothringen] und von Kolonialbesitz“[16]sowie den Verlust der Handelsflotte verkraften. Köln lag in dieser Zeit, wie das gesamte Rheinland, im negativen Sinne über dem Reichsdurchschnitt. Das lag hauptsächlich am Ruhrkampf und dem passiven Widerstand der Bevölkerung, der die Währung noch stärker schwächte[17].
Durch die stetig ansteigenden Arbeitslosenzahlen musste das städtische Wohlfahrtswesen in den ersten fünf Jahren der Weimarer Republik stark ausgebaut werden[18]. Ein schwieriges Unterfangen angesichts der immer schlechter werdenden Haushaltslage der Kommunen. Bis 1923 stieg die Zahl der Kölner ohne Beschäftigung auf über 50.000 an – Dimensionen, auf die die Fürsorge der Kommune nicht ausgerichtet war. Noch fünf Jahre zuvor lag die Zahl der Arbeitslosen bei nur rund 25.000[19], also erst der Hälfte. DieGoldenen Zwanzigerbegannen 1924 mit einem kurzen Rückgang der Arbeitslosenzahlen, doch 1926 wurde in Köln eine neue Rekordarbeitslosigkeit erreicht. Über 60.000 Kölner waren ohne Arbeit, jeder Fünfte war „unterstützungs- und hilfsbedürftig“[20].
Bis 1923 war in ganz Deutschland aber vor allem die finanzpolitische Lage sehr kritisch. 90% der Kriegskosten wurden durch Schuldaufnahmen finanziert, ab 1918 kamen noch die Reparationszahlungen hinzu[21]. Das führte zu einem „Verfall der Wechselkurse“[22], eine Spätfolge der Aufhebung der Golddeckung zu Kriegsbeginn 1914. Das Geld, welches im Umlauf war, hatte schlicht und einfach keinen Gegenwert mehr und die Bevölkerung verlor das Vertrauen in ihre Währung. Insgesamt gesehen ging Köln jedoch als Gewinner aus der großen Inflation bis 1923 hervor, was vorrangig Adenauers Geschick zu verdanken war. Da die Reichsbank angesichts der schier unglaublich großen Geldmassen mit den Notenpressen nicht hinterher kam, durften einige Städte sogenanntes Notgeld drucken. „Adenauer hatte die Unfähigkeit der Reichsbank […] umgehend und intensiv zum Druck städtischen Notgeldes genutzt“[23]was ihm das anhaltende Misstrauen des Reichsbankpräsidenten Schacht einbrachte[24], aber auch einen kurzzeitigen finanziellen Vorteil für Köln zur Folge hatte. Mit der Währungsreform und der neuen Übergangswährung, der Rentenmark, kam es 1924 im ganzen Reich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und einem damit verbundenen Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Reichsweit sank die Zahl der Erwerbslosen bis 1927 auf unter eine Million, um dann jedoch wieder stärker als zuvor anzusteigen.
Der kurze Aufschwung reichte nicht aus, um den Haushalt der Stadt Köln zu sanieren. Hinzu kommt, dass die Erzbergsche Finanzreform von 1920 ein neues Steuersystem eingeführt hatte, das die Finanzkraft der Kommunen, und damit auch den Föderalismus, durch eine „zentrale Steuerverwaltung“[25]des Reiches schwächte. Nicht nur die Finanzreform, auch die Bankenkrise und die fehlenden Steuergelder belasteten die kommunalen Haushalte[26]. Allein im Jahre 1928 gingen über 10.000 deutsche Unternehmen in Konkurs[27], was beträchtliche Insolvenz- und Gewerbesteuerverluste bedeutete. Außerdem fiel ein Großteil der Einkommensteuer wegen der immer weniger werdenden Erwerbstätigen weg. Daher wurden in Köln während der Zwanziger Jahre die meisten Projekte durch „Anleihen oder andere Schuldaufnahmen finanziert“[28]. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte die rheinische Großstadt 301 Millionen Mark Schulden angehäuft, für die Adenauer des Öfteren kritisiert wurde. Dieser entgegnete Kritikern zwar immer, dass die Stadt Köln drei mal so hohe Vermögenswerte besäße wie Schulden, doch konnte man dieses Argument leicht entkräften[29]. Zwar hatte die Stadt Köln eine Großteil der Schuldaufnahmen investiert und besaß viele öffentliche Gebäude, war jedoch nicht liquide. Und eine Schule, ein Rathaus oder gar ein Stadion zu verkaufen schien in der damaligen wirtschaftlichen Situation ziemlich unrealistisch. Trotzdem verfolgte Adenauer als Oberbürgermeister von Köln durchweg und allen Kritikern zum Trotz sein Ziel, durch Investitionen die Steuerkraft und die Einkommensquellen der Stadt zu stärken und so aus dem Teufelskreis der Krise auszubrechen. Das bedeutete die Ansiedlung großer Firmen und die dadurch steigenden Gewerbesteuern sowie die daraus resultierende Schaffung von Arbeitsplätzen[30]. Daher wurde unter Adenauer während der Inflation in viele städtische Projekte investiert, auch „gegen den Willen der Berliner Zentralbehörden“[31].
Der Börsensturz in den USA im Oktober 1929 markierte einen neuen Abschnitt der Weimarer Zeit – die erste große Wirtschaftskrise, die globale Auswirkungen hatte. Auf Köln wirkte sie sich zunächst kaum aus, was dadurch zu erklären ist, dass die sie „zuerst die ungelernten Arbeitskräfte“[32]traf und erst „dann die Facharbeiter der Eisen- und Stahlindustrie, des Baugewerbes und schließlich die Angestellten in den Verwaltungsberufen“[33]. Den letzteren Berufsgruppen gehörte der Großteil der Kölner Erwerbstätigen an. Doch schon 1931 war die Stadt zahlungsunfähig[34]. Dabei fuhr selbst Adenauer seit 1930 einen harten Sparkurs, hatte beispielsweise alle baulichen Maßnahmen einstellen lassen[35]. Auf dem Kölner Arbeitsmarkt wurde die Lage immer prekärer. Die reichsweite Einführung einer Arbeitslosenversicherung verfehlte ihr Ziel, die Kommunen zu entlasten und führte viele Erwerbslose in die Dauerarbeitslosigkeit. Im ganzen Reich war die Zahl der Arbeitslosen bis 1933 auf sechs Millionen angestiegen – das entspricht einem Drittel der deutschen Erwerbsfähigen. In Köln sah die Situation nicht wirklich besser aus. Im Sommer 1932 wurden 40% der Bevölkerung von städtischen Geldern unterstützt[36], 72 Millionen Reichsmark flossen in die Fürsorge. Die „Entwicklung auf dem Kölner Arbeitsmarkt entsprach [zwar] […] in etwa der auf Reichsebene“[37], doch im Juni 1933 lag die Erwerbslosenquote im gesamten Rheinland weit über dem Reichsdurchschnitt von etwa 18%[38]. Trotz Einrichtung einer Arbeitsvermittlung, dem Vorgänger des heutigen Arbeitsamtes, fanden immer weniger Erwerbslose den Weg zu einer neuen Arbeitsstelle. Im Jahre 1930 konnte noch 27% der Kölner Arbeitslosen erfolgreich eine Beschäftigung vermittelt werden, zwei Jahre später waren es nur noch 14%[39]. Viele Kölner versprachen sich eine Verbesserung ihrer Lebenssituation durch Emigration. 1930 wollten fast 6.700 Kölner Deutschland verlassen, 1932 waren es trotz Einwanderungsbeschränkungen vieler Länder immer noch rund 5.000.
[...]
[1]Möller: Republik. S.7.
[2]Walter: Wirtschaftsgeschichte. S.169.
[3]ebd. S. 181.
[4]vgl. ebd. S. 181.
[5]vgl. Möller: Republik. S. 323ff.
[6]Herrmann: Wirtschaftsgeschichte. S. 360
[7]ebd. S. 360.
[8]Müller: Europa- und Kulturpolitik. S. 50.
[9]Frielingsdorf: Wirtschaftspolitik. S. 148.
[10]vgl. ebd. S. 147.
[11]Herrmann: Wirtschaftsgeschichte. S. 365.
[12]Schulz: Adenauer. S. 18.
[13]vgl. Statistisches Amt der Stadt Köln: Jahrbuch. S. 47.
[14]Walter: Wirtschaftsgeschichte. S. 184.
[15]Tschoepe: Aufgaben. S. 88.
[16]Walter: Wirtschaftsgeschichte. S. 156.
[17]vgl. Köhler: Republik. S. 134.
[18]Schulz: Adenauer. S. 18.
[19]vgl. ebd. S. 28.
[20]Kuske: Groszstadt. S. 48.
[21]vgl. Henning: Vorstellungen. S. 125.
[22]Walter: Wirtschaftsgeschichte. S. 162.
[23]Köhler: Adenauer. S. 191.
[24]vgl. Henning: Vorstellungen. S. 130.
[25]Walter: Wirtschaftsgeschichte. S. 157.
[26]vgl. Henning: Vorstellungen. S. 147.
[27]vgl. Walter: Wirtschaftsgeschichte. S. 183
[28]Henning: Vorstellungen. S. 129.
[29]vgl. ebd. S. 130.
[30]vgl. ebd S. 131.
[31]ebd. S. 129f.
[32]Weiß: Großstädte. S. 73.
[33]ebd. S. 75.
[34]Schulz: Adenauer. S. 59.
[35]vgl. Henning: Vorstellungen. S. 147.
[36]Schulz: Adenauer. S. 19.
[37]Frielingsdorf: Wirtschaftspolitik. S. 149.
[38]vgl. Weiß: Großstädte. S. 75.
[39]Frielingsdorf: Wirtschaftspolitik. S. 149.