Wann wird das /∫/-Phonem im südhessischen Dialekt benutzt?

Phonologische Bedingungen


Hausarbeit, 2014

19 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung:

2. Die Varietät „Dialekt“

3. Das „Hessische“

4. Das /∫/-Phonem im südhessischen Dialektraum
4.1. /∫/-Phonem statt /ç/-Phonem
4.1.1 Konsonanten
4.1.2 Vokale.

5. Phonemverbindungen [st] und [sp]
5.1 Die fest/fescht-Linie (<st> im Auslaut>)
5.2 <st> im Inlaut
5.3 <sp> im Inlaut
5.4 <st> und <sp> im Anlaut

6. Die g-Spirantisierung:

7. Der ch-Laut

8. Das /∫/-Phonem

9. Transkription des Südhessischen in der Dialektliteratur.

10. Zusammenfassung

11. Fazit

12. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Der deutsche Sprachraum gliedert sich in zahlreiche Varietäten. Diese wiederum weisen verschiedene Varianten auf. Varietäten können unter diastratischen, diaphasischen und diatopischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Diese Hausarbeit befasst sich in deskriptiver Weise mit der Varietät des hessischen Dialekts - also einer diatopischen Betrachtungsweise - und speziell mit dessen südhessischer Variante.

Ein auffälliges phonetisches Phänomen und ein primäres Merkmal des Südhessischen ist die Anwendung des /∫/-Phonems. In welchem Zusammenhang es eingesetzt wird soll im Rahmen dieser Hausarbeit untersucht werden, ohne jedoch den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Um die Anwendungsbeispiele zu transkribieren, wird die Lautschrift der International Phonetic Association (IPA) benutzt. Einzelne Phoneme werden innerhalb der Zeichenfolge / /, die phonetische Transkription mit [ ], Grapheme/Graphien mit den Zeichen < > dargestellt. Zur Herausarbeitung der lautlichen Unterschiede wird hauptsächlich die Zungenbewegung beschrieben.

Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Zuerst wird auf den Begriff der „Varietät“ im Allgemeinen und dann auf das Südhessische im Speziellen eingegangen. Anschließend werden die verschiedenen Anwendungen des /∫/-Phonems in Verbindung mit Konsonanten und Vokalen beschrieben. Unter Punkt 5 wird die Anwendung im Zusammenhang mit den Buchstabenkombinationen <st> und <sp> näher beleuchtet. Nach der Beschreibung der standardmäßigen g-Spirantisierung werden die Realisierungsarten des ch-Lautes aufgezeigt. Eine Betrachtung zur Transkription des ich-Lauts in der Mundartliteratur findet sich unter Punkt 9. Danach werden die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und ein Fazit gezogen. Den Abschluss der Hausarbeit bildet eine kurze Betrachtung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Dialekten.

2. Die Varietät „Dialekt“

Der Begriff „Dialekt“ wird von Joachim Herrgen[1] wie folgt definiert:

„Dialekte sind die areal differenten, jeweils homogen gedachten, von der ältesten Generation der Landbevölkerung gesprochenen Varietäten.“[2]

Diese Definition muss hinterfragt werden, denn Dialekte werden nicht nur von der ältesten Generation gesprochen, sondern – je nach Sozialisation – von allen Altersgruppen der Bevölkerung. Außerdem ist der Gebrauch des Dialekts nicht ausschließlich bei der Landbevölkerung zu finden. Auch innerstädtisch wird Mundart gesprochen. Dem Dialekt der südhessischen Stadt Darmstadt zum Beispiel hat Ernst Elias Niebergall[3] im 19. Jahrhundert mit der Lokalposse „Datterich“ ein Denkmal gesetzt. Zwar zeigt es sich, dass sich die Anwendung der Dialektsprache immer weiter reduziert, aber gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren Interessegruppen gebildet, die sich der Pflege des Dialekts widmen und ihn bewahren möchten.[4]

3. Das „Hessische“

Das sogenannte „Hessische“ existiert, ebenso wie alle anderen Mundarten, nicht in einer einheitlichen Form. Betrachtet man es innerhalb der geographischen Grenzen des heutigen Bundeslandes Hessen, so findet sich im Norden das Niederhessische, im mittleren Bereich das Mittelhessische, daran angrenzend das Osthessische und im Süden, im Rhein-Main-Gebiet, das Südhessische, dessen südlicher Bereich durch das Rheinfränkische beeinflusst wird. In der Gegend von Lahn und Taunus hört man auch das Mittelfränkische, das Niederhessische grenzt an die Benrather Linie[5] und vermischt Die Dialekträume Hessens[6] sich dort mit dem Niederdeutschen. Im hessischen Süden spielt das Ostfränkische ebenso eine Rolle wie das Rheinfränkische. Im Norden findet der Wechsel zum Ostmitteldeutschen statt. Das Ostmitteldeutsche gehört ebenso wie das Westmitteldeutsche, zu dem die Hessische Varietät gezählt wird, zum „Oberdeutschen“, das sich im Verlauf der zweiten Lautverschiebung vor über tausend Jahren vom „Niederdeutschen“ abtrennte[7]. Die einzelnen Varietäten und Varianten sind nicht eindeutig abgrenzbar, sondern vermischen sich in ihren Randbereichen.

4. Das /∫/-Phonem im südhessischen Dialektraum

Zum südhessischen Dialektraum zählt der deutsche Philologe Hans Friebertshäuser[8] die Kreise „Groß-Gerau, Darmstadt-Dieburg, die Stadt Darmstadt, den Kreis Bergstraße und den Odenwaldkreis“.[9] Zu den auffälligsten Merkmalen der südhessischen Mundart gehört die Häufigkeit, mit der das /∫/-Phonem vorkommt. Die unterschiedlichen Realisierungs-bereiche werden nachfolgend beschrieben.

4.1. /∫/-Phonem statt /ç/-Phonem

Besonders häufig wird das Phonems anstelle des /ç/-Phonems eingesetzt. Dieses Phänomen wird sehr oft als typisch für das Hessische angesehen.

4.1.1 Konsonanten

Konsonanten artikulieren sich dadurch, dass dem aus der Lunge kommenden Luftstrom ein Hindernis entgegengesetzt wird. Die Art des Hindernisses ergibt deren Eigenart. Dieser Vorgang unterscheidet sie von den Vokalen.[10] Konsonanten beschreibt man über deren Artikulationsort im Rachenraum, über das Artikulationsorgan (Artikulator), z.B. die Zunge und die Artikulationsart (Artikulationsmodus). Unterschieden wird zwischen Plosiven (Verschlusslaute) und Frikativen (Reibelaute). Außerdem definiert man Affrikate (enge Verbindung eines Verschlusslautes mit einem Reibelaut) sowie Nasale (der Luftstrom entweicht durch den Nasenraum) und Liquide (bei mittig verschlossenem Mundraum strömt die Luft an beiden Seiten der Zunge vorbei).[11]

Über die postkonsonantische Anwendung des /∫/-Phonems vermitteln die nachstehenden Beispiele einen Eindruck.

Beispiele:

Zungenbewegung:

Die oben genannten Konsonanten <d>,<l>, <n> und <r> werden alle im alveolaren Bereich realisiert. Im südhessischen Dialekt bewegt sich die Zunge dann zur Bildung des Folgelautes vom alveolaren Bereich zum alveolarpalatalen Bereich, während sie sich in der Standardsprache bis zum hinteren Gaumen, dem Velum, bewegt.

Betrachtet man die unten stehende Tabelle, so stellt man fest, dass ein Großteil des Konsonanteninventars im Bereich zwischen den Schneidezähnen und dem Vordergaumen artikuliert wird. Im velaren Bereich finden sich die Plosive /k/- und /g/ sowie die Nasale /ŋ/. Die Allophone des <ch>-Lautes und des Konsonanten <r> werden zwischen hartem Gaumen und Zäpfchen gebildet, der Knacklaut /ʔ/ und der Konsonant <h> im Kehlkopfraum. Die phonologischen Merkmale der Konsonanten [12]

4.1.2 Vokale.

Vokale werden an unterschiedlichen Stellen im Rachenraum gebildet (s. Grafik: die Zungenstellung wird durch Position im Vokaldreieick dargestellt). Hierbei ist die Lippenrundung sowie die Stellung der Zunge, speziell die des Zungenrückens, entscheidend. Unterstützend wirkt die Öffnung des Kiefers. [13]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Anordnung der Vokale im Vokalraum[14]

Vokal i:

Artikulationsort: Vokalraum vorne, oben.

Zungenstellung: angehoben, nach vorne geschoben.

Lippenstellung: ungerundet.

Vokal e:

Artikulationsort: Vokalraum vorne, mittig.

Zungenstellung:, im mittleren Rachenraum, nach vorne geschoben.

Lippenstellung: ungerundet.

Vokal a .

Artikulationsort: Vokalraum unten.

Zungenstellung: flach liegend im Rachenraum.

Lippenstellung: andeutungsweise gerundet.

Vokal u:

Artikulationsort: Vokalraum hinten, oben.

Zungenstellung: angehoben, nach hinten gezogen.

Lippenstellung: gerundet.

Vokal o:

Artikulationsort: Vokalraum hinten, mittig.

Zungenstellung: angehoben, nach hinten gezogen.

Lippenstellung: gerundet.

4.1.2.1 Monophthonge

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zungenbewegung:

Bei den Vokalen e und i, die im vorderen mittleren und vorderen hohen Rachenraum gebildet werden, bewegt sich die Zunge ausschließlich im vorderen Bereich. Der Vokal a wird im unteren Rachenraum artikuliert, während o und u im hinteren, mittleren und oberen Rachenraum gebildet werden

Bei den oben genannten Beispielen <echt> und <ich> bewegt sich die Zunge vom vorderen Rachenraum zum alveopalatalen Bereich, dem Übergang von den Schneidezähnen zum harten Gaumen, dem Artikulationsort des /∫/-Phonems. Die weiter hinten im Rachenraum liegende Artikulationsstelle des/ç/-Phonems wird zur Lautbildung nicht herangezogen, so dass statt [ɛç] [ɛ∫t] und statt [ɪç] [ɪ∫] artikuliert wird.

Bei <Dach>; <Tochter> und <Tuch> bewegt sich die Zunge vom unteren oder hinteren Rachenraum direkt zur Artikulationsstelle des /x/-Phonems im hinteren Rachenraum.

4.1.2.2 Diphthonge

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zungenbewegung:

Bei der Artikulation der Diphthonge bewegt sich die Zunge vom Artikulationsort des ersten Vokals zum Artikulationsort des zweiten Vokals. Bei <ai> und <ei> erfolgt die Bewegung vom unteren und mittleren vorderen Bereich zur i-Artikulationsstelle im oberen vorderen Bereich. Der Diphthong <eu > ergibt den Laut / ɔɪ̯/, der zwischen /o/ und /i/, im mittleren Rachenraum gebildet wird.

Bei <ai> und <ei> bewegt sich die Zunge ausschließlich im vorderen Rachenbereich, während sie sich bei <eu> über den mittleren zum vorderen Bereich bewegt.

Beim Diphtong <au> bewegt sich die Zunge vom unteren Rachenraum zum hinteren oberen Rachenraum und stellt dann die Verbindung zum Gaumensegel her, der Stelle, an der das /x/-Phonem artikuliert wird. Der Lautbildungsvorgang beim Regiolekt entspricht hier dem des Standarddeutschen.

[...]


[1] Herrgen, Joachim, geb. 1954, deutscher Germanist.

[2] Herrgen, Joachim: Die Dialektologie des Deutschen, in: Sylvain Auroux [u.a.] (Hg.): Geschichte der Sprachwissenschaften. Bd. 2, Berlin, New York 2001, S. 1514.

[3] Ernst Elias Niebergall (1815-1843), deutscher Schriftsteller.

[4] Vergl. Friebertshäuser, Hans: Das hessische Dialektbuch, München 1987, S. 12.

[5]. Benrather Linie: Isoglosse innerhalb des kontinental-westgermanischen Dialektkontinuums die den nördlichen Bereich der Zweiten Lautverschiebung markiert.

[6] s.Friebertshäuser, Hans: Ländlicher Raum im Wandel, Mundart und Dorfleben in Hessen, Frankfurt/Main, Leipzig 1993, S. 41.

[7] Vergl. König, Werner: dtv-Atlas Deutsche Sprache, München 16 2007, S. 230.

[8] Hans Friebertshäuser (*1929) deutscher Philologe und Dialektologe.

[9] Vergl. Friebertshäuser: Ländlicher Raum, S. 47.

[10] Vergl. Becker, Thomas: Einführung in die Phonetik und Phonologie des Deutschen, Darmstadt 2012; S. 20 f.

[11] Vergl. Dudenredaktion (Hrsg.): Duden, Die Grammatik, Bd. 4, Mannheim u.a.,8 2009, S. 22 ff.

[12] s. Becker: Einführung, S. 23.

[13] ebd. S. 30 f.

[14] ebd. S. 43.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wann wird das /∫/-Phonem im südhessischen Dialekt benutzt?
Untertitel
Phonologische Bedingungen
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (FB 2)
Veranstaltung
Varietäten des Deutschen in Text und Gespräch
Note
2,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
19
Katalognummer
V287929
ISBN (eBook)
9783656884026
ISBN (Buch)
9783656884033
Dateigröße
1004 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wann, dialekt, phonologische, bedingungen
Arbeit zitieren
Gudrun Kahles (Autor:in), 2014, Wann wird das /∫/-Phonem im südhessischen Dialekt benutzt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287929

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