„Wie müsste denn so ein Text klingen, der von unserem Leben handelt?“ fragt das erzählende Subjekt in Rainald Goetz' Erzählung Rave und reflektiert damit das Verhältnis von Wirklichkeit und Text. Eine Wirklichkeit, die in Rave aus wilden Techno-Partys, elektronischer Musik und Drogenkonsum besteht und der mit Sprache scheinbar nicht gänzlich beizukommen ist. Goetz, der als „rastloser und akribischer Stenograph“ dauerhaft an einer „Geschichte der Gegenwart“ schreibt, versucht es trotzdem. Er möchte vom Techno der 1990er Jahre erzählen, so „wie alles wirklich war“ (R, 23). Doch gelingt ihm das auch? Man könnte T. Assheuers Ansicht zustimmen, wonach sich dieser Wunsch in Rave „leider […] restlos erfüllt“: „ein namenlose[r] Held säuft und kokst [sich] durchs Nachtleben und will davon groß erzählen.“ Assheuer liest hier eine Geschichte von „erhabener Banalität“, in der „Literatur als Ästhetik der Leere“ fungiert und sich in „Affirmation“ und „Nihilismus als Glücksgefühl“ zerstreut. Ähnlich eindimensional rezipiert auch Patrick Walder Goetz´ Erzählung, in der er „Sinn und Verstand“ hinter dem Wunsch nach Vertextung von „einer Art Körpergefühl und Klang“ zurückbleiben sieht.
Diese Kritiken zeugen nicht nur von einer oberflächlichen Lektüre, denn der Held in Rave bleibt keinesfalls namenlos, sie unterschlagen auch eine zentrale Leistung des Textes. Es stimmt, Rave handelt von der Auflösung von Sinn im endlosen Takt der Musik, von Frauen, die zu „süßen Mäusen“ (R, 81) degradiert erscheinen, von Exzess und Nihilismus. Darüber hinaus stellt sich Goetz allerdings, und das ebenfalls im Text, die Frage „wann, wo, und wie kann dieses ALLES in welchen Portionen und Teilchen, und zwar an welcher Stelle genau gesagt werden?“ (R, 209) Damit öffnet er eine Ebene der Reflexion über Literatur und Sprache, die sich nach Stephan Wackwitz in eine Genealogie zu Friedrich Schlegel und Novalis, den „Kritikerpoeten“ der deutschen Frühromantik, setzen lässt. Was bisher oft betont, aber nie umfassend analysiert wurde, ist das Verhältnis von inhaltlicher Darstellung und poetischer Reflexion dieser Darstellung. Gerade in diesem Wechselverhältnis, so die These dieser Arbeit, greift jedoch die zentrale Analogie zu einer Poetologie und Kunstphilosophie der Frühromantik. Erst durch das Konzept der „Transzendentalpoesie“ werden jene Grundmuster frühromantischer Literaturtheorie signifikant, die das Fundament bilden für dessen komplexe Formgebungsverfahren.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die unendliche Reflexion: Transzendentalpoesie in der Frühromantik
- 2.1. Philosophische Grundlagen der Transzendentalpoesie: Kant und Fichte
- 2.2. Die Transzendentalpoesie – eine frühromantische Idee
- 2.3 Friedrich Schlegels Konzept der Transzendentalpoesie
- 2.3.1. Kritik
- 2.3.3. Die Reflexion der Reflexion
- 3. Transzendental poetische Vertextungsverfahren in Rainald Goetz' Erzählung Rave
- 3.1. >>Rainald<< - das polyvalente Subjekt
- 3.2. >> Die Ästhetische Theorie gilt, wo es um Binnenprobleme des Kunstwerkes geht<< - Reflexion der poetischen Form
- 3.3. >>so komisch verschraubt...« - Kritik im Text
- 4. Fazit
- 5. Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Rainald Goetz' Erzählung Rave im Kontext der frühromantischen Transzendentalpoesie. Sie analysiert, wie Goetz' Text die Reflexion der Reflexion in der Textform umsetzt und dabei zentrale Elemente der frühromantischen Poetik integriert. Dabei fokussiert die Arbeit insbesondere auf die Frage, wie Goetz' textuelle Verfahren der Transzendentalpoesie in seiner Darstellung von Techno-Partys, Drogenkonsum und jugendlicher Lebenswelt Ausdruck verleihen.
- Frühromantische Transzendentalpoesie
- Reflexion der Reflexion in der Textform
- Vertextungsverfahren und ihre Beziehung zur frühromantischen Poetik
- Darstellung von Techno-Partys, Drogenkonsum und jugendlicher Lebenswelt in Rainald Goetz' Rave
- Analogien zwischen Goetz' Text und der frühromantischen Theorie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt Goetz' Erzählung Rave vor. Sie diskutiert kritische Rezeptionen des Textes, die Rave als banale Beschreibung einer nihilistischen Lebenswelt interpretieren, und beleuchtet das zentrale Anliegen dieser Arbeit, Goetz' Text im Lichte der frühromantischen Transzendentalpoesie neu zu interpretieren.
Kapitel 2 beleuchtet die philosophischen Grundlagen der Transzendentalpoesie. Es stellt zunächst die erkenntnistheoretischen Ansätze Immanuel Kants und Johann Gottlieb Fichtes dar, um anschließend Friedrich Schlegels Konzept der Transzendentalpoesie zu erläutern. Dieses Kapitel analysiert zentrale Elemente der Transzendentalpoesie, die für die Analyse von Goetz' Text relevant sind, darunter das schöpferische Subjekt, die Reflexion der Reflexion und die Theorie der Kritik.
Kapitel 3 widmet sich den transzendentalpoetischen Vertextungsverfahren in Goetz' Erzählung Rave. Es untersucht, wie Goetz die Erkenntnisse seiner transzendentalpoetischen Reflexion in die Formgebung des Textes integriert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die Themen Frühromantik, Transzendentalpoesie, Rainald Goetz, Rave, Reflexion der Reflexion, Vertextungsverfahren, Textform, Techno-Kultur, Drogenkonsum, jugendliche Lebenswelt und die Kritik an nihilistischen Interpretationen.
- Citation du texte
- Ludwig Lohmann (Auteur), 2014, Transzendentalpoesie bei 160 BPM. Frühromantische Reflexion in Rainald Goetz' Erzählung "Rave", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288313