Die Beschleunigung des Fortschritts

Warum die Welt so geworden ist, wie sie ist und welche Rolle dabei eine Formel spielt


Essay, 2015

6 Pages, Grade: 1


Excerpt


Die Beschleunigung des Fortschritts

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Die unendliche Treppe

Die Geschichte von Mensch und Natur ist sogleich eine Geschichte über die Anpassung und die Weiterentwicklung. Je nach Klima und örtlichen Bedingungen waren Lebewesen dazu gezwungen sich an ihre äußeren Umstände anzupassen.

Die Triebfeder des menschlichen Erfinderreichtums ist das Leben selbst. Durch den Fortschritt sichert er sein Überleben und dies seiner Sippschaft. Dass der Fortschritt nicht zum Erliegen kommt, liegt wiederum an denjenigen, die die Erfolgsmodelle nachahmen und somit einen gesellschaftlichen Standard herstellen. Das soziale Umfeld des Menschen spielt also eine entscheidende Rolle.

Unglücklicherweise ist der Mensch ein unvollkommenes Geschöpf. Mein Großvater pflegte stets zu sagen: „Als Gott einmal nicht aufpasste, kam der Teufel vorbei und pflanzte dem Menschen das Gehirn ein“. Und er hatte Recht. Denn einzig die Fähigkeit abstrakt zu denken machte ihn für alle anderen Lebewesen überlegen. Der Mensch hat die Macht, die Natur zu zerstören.

Den Fortschritt kann man sich als Treppe vorstellen, auf der es unterschiedlich hohe Stufen gibt. Die Höhe jeder einzelnen Stufe (n) stellt dabei die Höhe des Nutzens und der Auswirkungen einer Innovation auf die Menschheit dar. Das Phänomen könnte man mit folgender Formel beschreiben: . Das Tragische daran ist, dass diese Formel im Grunde genommen einer Sisyphosaufgabe gleichkommt, da jede Innovation irgendwann von der Umwelt kopiert wird und sich zum Standard etabliert (S). Das heißt, die Treppe steigt gen unendlich. Bereits jetzt erkennt man, dass die Gesellschaft daran irgendwann scheitern muss. Denn eine Formel die gegen Unendlich strebt und ein Planet, der in Fläche und Rohstoffen begrenzt ist, harmonieren nicht miteinander.

Beispielsweise war ein Bronzeschwert (n1) als ein Kupfer/Zinn-Gemisch stabiler als reines Kupfer (S), man konnte sich also besser im Kampf behaupten. Die nächste Entwicklungs-stufe ließ aber nicht lang auf sich warten: die Eisenzeit. Ein Schwert aus Eisen war noch robuster als Bronze, erforderte aber auch aufgrund des höheren Schmelzpunktes von Eisen mehr Ressourcen und Energiezufuhr.

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Das heißt, der Umweltschaden nimmt mit steigendem Fortschritt zu. Zugegeben es gibt auch Erfindungen, die den Verbrauch senken. So z.B. die Verarbeitung von Carbon in Flugzeugen. Das Dilemma ist nur: Eine steigende Energieeffizienz kurbelt den Verbrauch von Rohstoffen zumeist noch weiter an. "Rebound-Effekt" nennen Fachleute das Phänomen. Nach dem Motto: „Mit dem eingesparten Kerosin kann ich mir noch einen Extraflug in die Karibik leisten“.

II. Der Fortschritt nimmt Fahrt auf

Im Laufe der Evolution hat sich die Natur die tollsten Innovationen ausgedacht. Das Leben als solches entwickelte sich quasi aus „primitiven Aminosäuren“. Irgendwann krochen die ersten Ozeanbewohner aus dem Wasser und verloren ihre Flossen. Es bildeten sich komplexe Wesen, wie z.B. die Dinosaurier, wo wie gleich am Anfang schon zu einem interessanten Punkt kommen: Die Komplexität. Denn unsere Urzeitechsen waren insofern komplex als dass sie enorme Ressourcen verbrauchten um lebensfähig zu sein. Hier können wir also schon den Bogen zu unserer Neuzeit schlagen. Und wie die Geschichte der Dinosaurier ausgegangen ist, muss man wohl nicht weiter erläutern.

Der Fortschritt verläuft exponentiell und seine Auswirkungen auch, wie wir später sehen. Die ersten Innovationsetappen haben noch sehr lang gedauert, sie ähneln einer logarithmischen Entwicklung. Nehmen wir den aufrechten Gang (106 Jahre), die Anwendung des Feuers und der ersten einfachen Werkzeuge (105 Jahre), die Erfindung der Schrift (104 Jahre), die Einführung von Mathematik und Astronomie (103 Jahre) sowie die Anfänge von ernsthaft betriebener Physik, Chemie und Biologie (102 Jahre).

Die Entwicklung schritt in allen denkbaren Disziplinen voran. In den Naturwissenschaften, der Muse, dem Sport, im Militär- und Finanzwesen, der Industrialisierung oder der späteren Digitalisierung. Jede Disziplin profitierte zudem durch die andere. Allein durch die Sprache und die Schrift war es erst möglich das Wissen eines einzelnen zu teilen, worauf andere ihr Wissen begründen (z.B. der Buchdruck oder physikalische Gesetze) konnten. Was der Fortschritt aber bei allem gemein hat. Er gestaltet die Lebensabläufe effizienter, wodurch er sie beschleunigt. Das heißt, wir haben es also mit einer steigenden Prozessgeschwindigkeit zu tun.

Nun kommt aber eine interessante physikalische Gesetzmäßigkeit ins Spiel. Möchte ich eine bestimmte Masse, gedanklich die Summe aller globalen Ressourcen, auf die doppelte Geschwindigkeit bringen, muss man die 4fache Energie hineinstecken. Der Energie-verbrauch steigt also mit steigenden Fortschritt (v²) exponentiell an:[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

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Und nun die Preisfrage. Die Kurve kennen wir doch irgendwo her? Richtig, die berühmte Hockeyschlägerkurve, die wir auch beim Anstieg der Weltbevölkerung der letzten Jahrhunderte, des Ressourcenverbrauchs oder auch des CO2-Ausstoßes beobachten können.

Mit dem nächsten Beispiel wird dieser Zusammenhang noch etwas besser veranschaulicht. Für die Strecke von A nach B benötigt ein Segelschiff, sagen wir 1 Tag um 20 Tonnen Kupfer zu befördern. Die gleichschwere Dampflok ist doppelt so schnell und benötigt für die gleiche Distanz nur einen halben Tag. Um die gleiche Menge Kupfer zu befördern, musste sie jedoch bei doppelter Geschwindigkeit 4mal so viel Energie verbrauchen als das Segelschiff, dessen Energiequelle sogar noch erneuerbar war. Ferner verschlingt die Herstellung der Dampflok mehr Ressourcen (Abbau Eisenerz und Kohle, Eisenschmelze, Schmiede, Fertigung usw.) als ein Segelschiff, wodurch sich die Prozesskette verlängert.

Und nun kommt ein weiterer entscheidender Punkt hinzu. Die Dampflok braucht nur einen halben Tag um von A nach B zu kommen. Sie kann also am Bahnhof neue Rohstoffe (z.B. Silber) aufladen und zum Bahnhof A zurückfahren. Und genau das tut sie um gegenüber ihren Wettbewerbern am Markt im Vorteil zu sein. Dies hat zwei schwerwiegende Folgen: Erstens, es wird mehr Silber am Standort B abgebaut. Zweitens, die Segelschiffreederei ist auf diesem Niveau nicht lang konkurrenzfähig und steigt auf Dampfloks um.

Das moderne Finanzwesen beschleunigt diese Übergangszeiten mit ihrer Zinspolitik enorm. Denn aufgrund der Vergabe von Darlehen erhöht sich der Renditedruck auf Unternehmer, wodurch sie noch effizienter wirtschaften müssen. Grundsätzlich widerstrebt es einer beständigen Ökonomie, wenn ein Individuum (Staat, Unternehmen oder Private) mit Mitteln arbeitet, die ihm eigentlich nicht zur Verfügung stehen. Die Konsequenz: Die Gesellschaft lebt über ihre Verhältnisse.

Bereits Aristoteles betrachtete den Zins als widernatürlich: „Daher wird mit allergrößter Berechtigung eine dritte Form der Erwerbstätigkeit, der Geldverleih gegen Zinsen, gehasst; denn dabei stammt der Gewinn aus dem Münzgeld selber, nicht aus der Verwendung, für die es geschaffen wurde, denn es entstand zur Erleichterung des Tauschhandels. …Zins aber ist Geld gezeugt von Geld. Daher ist auch diese Form von Erwerb am meisten wider die Natur.“

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Das grenzenlose Wachstum ist daher eine Illusion. Die Kraft, die wir aufwenden müssen um in der Entwicklung eine Stufe höher zu kommen, steigt exponentiell an. Wir müssten also irgendwann unendlich viel Kraft aufbringen.

III. Biotop Erde

a. Faktor 25

An dieser Stelle habe ich mir einmal den Spaß erlaubt über gewisse Korrelationen zwischen dem Fortschritt und der geschichtlichen Entwicklung nachzudenken. Die Quellen berichten uns, dass ein Bauer im späten Mittelalter aus einem gesäten Getreidekorn ca. 3-4 erntete. Ein Bauer aus der modernen Landwirtschaft erzielt in etwa das Fünfzigfache, also fast 15mal mehr als noch vor 1000 Jahren. Hinzu kommt, dass durch die stetige Optimierung (Zucht, Dünger und Gentechnik) die Korngröße fast verdoppelt werden konnte.

Multipliziere ich nun die Weltbevölkerung, die im 11. Jhd. (300 Mio.) unseren Erdball besiedelte, mit der Ertragssteigerung, erhalte ich 7,5 Mrd. Erdbewohner. Also fast genau die heutige Anzahl. Man sieht also durch das exponentielle Wachstum des Fortschritts hat sich die Menschheit in nur 1000 Jahren um den Faktor 25 vergrößert. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass jeder Homo Sapiens heute 25mal weniger wert ist, da die Summe an Rohstoffen auf der Erde immer gleich bleibt. Man könnte also von einer „humanen Inflationen“ sprechen.

Hat ein moderner Popsong mit 5 Minuten auch nur noch 1/25 der Spielzeit einer alten Oper, weil wir mit einer 25fach höheren Geschwindigkeit unterwegs sind und deshalb 25mal weniger Zeit haben?

Jeder Erdenbürger lebt heute mit einer viel höheren Prozessgeschwindigkeit – wir erinnern uns an die Dampflok. Gegenwärtig greifen außerdem mehrere Multiplikatoren ineinander und lassen das Gesellschaftskarussell noch schneller rotieren. Die Schwachen werden an den Rand getrieben während sich die Widerstandsfähigsten an der Spitze der Evolutionskette festsetzen: Das berühmte 1% in unserer Gesellschaft, das rund die Hälfte des Vermögens kontrolliert. Die Ungleichheit hat sich jedoch über die Jahre kaum verändert. Was früher dem Adel gehörte, nennen heute Banken ihr Eigen.

Jetzt können wir jedenfalls beantworten, warum sich ein Flugpassagier quasi mit einem Flug die gesamte CO2- und Energiebilanz ruiniert. Ein Flugzeug bewegt sich mit annähernder Schallgeschwindigkeit (331 m/s) fort, wodurch es rund 10mal schneller ist als unsere Dampflok. Das bedeutet im Quadrat 100mal mehr Energieverbrauch. Weil das Flugzeug aber in der gleichen Zeit 10 Reisen absolvieren kann, resultiert hieraus sogar eine 1000fach höhere Umweltbelastung.

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Abb. Kolorit von Heikenwaelder Hugo, Paris 1888

Wie sehr dieser Faktor in Zukunft noch steigen wird, ist die große Frage. Anzumerken ist, dass der Mensch mit Einsteins Relativitätstheorie inzwischen ein physikalisches Zeitfenster erklommen hat, von wo er an die Gesetze des Universums kratzt. Seine Formel sagt uns, dass bereits in einer kleinen Masse unvorstellbar viel Energie steckt. Ein Kilogramm Materie birgt eine Energiemenge in sich, wie bei der Verbrennung von 3 Millionen Tonnen Braunkohle frei wird. Unsere Dampflok könnte damit rund 4000mal den Globus umfahren.

Angesichts dieser Dimensionen ist es denkbar, dass die Menschheit noch unvorstellbare Fortschritte machen wird, die womöglich noch in fremde Sonnensysteme führen. Der Punkt ist nur, dass mit extremeren Technologien auch immer extremere Auswirkungen einhergehen. Erinnern wir uns an die Zerstörungskraft der Atombombe. Ob die positive oder die negative Seite einer Technologie zum Vorschein kommt, ist eine moralische Frage und entscheidet zuletzt der Mensch.

b. Die Regenerationsgeschwindigkeit der Erde

Der Begriff Nachhaltigkeit (N) unterstellt, dass eine Sache beständig ist. Diese Gleichung geht auf, wenn weniger Ressourcen verbraucht werden als zur Verfügung stehen. Hierbei spielen Lebenszeiträume von biologischen Ressourcen eine große Rolle, von denen das „Superindividuum“ Mensch abhängig. Wir denken z.B. an das Wachstum eines Baumes oder die Bildung eines Fischbestands. Dies schließt fossile Energieträger ein, da sie ebenfalls biologischen Ursprungs sind und als Energieträger bzw. Kohlenstoffspeicher eine wichtige Rolle spielen, nicht zuletzt des Klimas wegen.

Auf der anderen Seite ist es entscheidend, im welchem Maß wir den Abbau von Ressourcen betreiben und Technologien einsetzen, die einen negativen Einfluss auf die Natur und ihre Regeneration haben. Hierzu gehören z.B. die Abholzung unserer Wälder, nuklearer Abfall oder der Anbau von Monokulturen.

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Insgesamt reden wir also von zwei Geschwindigkeiten. Die Eine, in der wir Rohstoffe verbrauchen (VGes) und die Andere, in der sich neue Rohstoffe regenerieren (VReg) können. Fatal wird es, wenn die Umwelt nicht mehr mit unserer Prozessgeschwindigkeit und des damit verbundenen Ressourcenabbaus Schritt halten kann. Umweltexperten sagen, dass wir schon jetzt durchschnittlich 1,5 Erden beanspruchen um die derzeitige Nachfrage an Ressourcen zu decken. Ein Mensch aus den Industriestaaten braucht sogar 5 Erden um seinen Konsumhunger stillen zu können. Wir leben also auf Pump.

Eine nachhaltige Möglichkeit (ohne die Flucht auf fremde Planeten), wie man die ewige Wachstumsspirale aushebeln könnte, wäre, dass wir unser Tempo dem Biotop Erde anpassen. Das wird jedoch nur möglich sein, wenn wir unser Leben verlangsamen und dezentralisieren (kurze Stoffströme). Denken wir an unser Segelschiff. Der entscheidende Vorteil an einer Entzerrung ist, dass durch die Entschleunigung der Ressourcenverbrauch exponentiell sinkt, da die Physik (v²) zwingend für beide Richtungen gilt. Eine Stufe auf der Treppe zurückzugehen hätte also eine große Wirkung.

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Details

Title
Die Beschleunigung des Fortschritts
Subtitle
Warum die Welt so geworden ist, wie sie ist und welche Rolle dabei eine Formel spielt
College
University of Applied Sciences and Arts Hildesheim, Holzminden, Göttingen
Grade
1
Author
Year
2015
Pages
6
Catalog Number
V288483
ISBN (eBook)
9783656887737
ISBN (Book)
9783656887744
File size
926 KB
Language
German
Keywords
beschleunigung, fortschritts, aristoteles, dampflok, hockeyschläger, Fortschritt, Energie, Umwelt, kinetische Energie, Zinsen, Klima, Ökonomie, Ökologie, Co2, Gesellschaftskarussell, Biotop, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Geschwindigkeit, Hockeyschlägerkurve, fossilie Energien, erneuerbare Energien, Industrielle Revolution, Optimierung, Rationalisierung, Ressourcen, Rohstoffe, Albert Einstein, Kernenergie, Natur, Komplexität, Wachstum, Geld, Weltbevölkerung, Gesellschaft, Klimawandel, Dampfmaschine, 21. Jhd, Banken, Kapitalismus, Erfindungen, Ressourcenverbrauch, Erneuerebare Energien, Moderne, Kunst, Philosophie, Erdöl, Fossile Energieträger, Landwirtschaft, Evolution, Moral, Ethik, Finanzwirtschaft, Grenzen des Wachstums, Entschleunigung, Logarithmus, Masse, Globalisierung, e=mc², Erderwärmung, Treibhauseffekt, Treibhausgase, Atombombe
Quote paper
Diplom-Wirtschaftsingenieur, Master of Engineering (Erneuerbare Energien) Lars Pingel (Author), 2015, Die Beschleunigung des Fortschritts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288483

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