Der Prolog des Kaukasischen Kreidekreises von Bertolt Brecht


Hausarbeit, 2008

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Über den kaukasischen Kreidekreis

2. Die Bedeutung des Prologs

3. Die Stellung der Gemeinschaft

4. Die Funktion des Sängers

5. Die Rolle von Instinkt und Vernunft im Prolog

6. Die Sprache des Prologs

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Bertolt Brecht gehört zu den beliebtesten Autoren der ganzen Welt. Seine Werken: „Der gute Mensch von Sezuan“, „Leben des Galilei“, „Mutter Courage und ihre Kinder“ und viele andere lassen den Leser und den Zuschauer nicht gleichgültig.

„Brecht sei im Berlin der 'goldenen' zwanziger Jahre entdeckt und uraufgeführt worden. Davon kann keine Rede sein. Weder die großen Theater Berlins noch die mit Berlin konkurrierenden Wiener Bühnen haben sich damals an eine Brecht- Uraufführung herangewagt“.[1] Eins der bekannten und in der ganzen Welt gelesenen Werke von Bertolt Brecht ist das Stück “Der kaukasische Kreidekreis“. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Analyse des Prologs des Kaukasischen Kreidekreises. Die Grundlage für die Analyse dieses Werkes ist die bis zurzeit umstrittene Frage, ob der Prolog für das Verständnis des Stücks nötig ist oder nicht. Diese Frage wird auf den folgenden Seiten erforscht. Dabei wird der Prolog interpretiert und die Verbindung mit dem ganzen Stück untersucht werden.

Das erste Kapitel dieser Arbeit behandelt Informationen über das ganze Stück. Das zweite Kapitel ist der Frage der Funktion des Prologs gewidmet und erforscht ausführlich die Verbindung zwischen den zwei Geschichten. Eine wichtige Rolle spielt Brechts Darstellung der Gemeinschaft im Prolog und der Sänger. Abschließend wird ein Blick auf die im Prolog verwendete Sprache geworfen werden. Es soll auch bemerkt sein, dass die Kürze diese Arbeit weder die gesamte Tiefe, noch die Breite des Themas annähernd bestimmen kann. Es bleibt also weiteren Studien vorbehalten, sich dieses Themas weiter anzunehmen.

1. Über den kaukasischen Kreidekreis

Seit der Mitte der zwanziger Jahre beschäftigte sich Bertolt Brecht mit dem Kreidekreisstoff. Die Arbeit an den verschiedenen Versionen umfasste eine Zeit von etwa neun Monaten, vom Winter 1943/44 bis Herbst 1944. Noch im Jahre 1944, bald nach der Fertigstellung der “ersten Niederschrift“, arbeitete Brecht an einer zweiten, kürzeren Fassung des Stücks, deren Text er zu einem erheblichen Teil aus dem Ersttext und der “ersten Niederschrift“ übernahm.[2] Brecht schrieb das Stück im Exil in den USA. Es wurde 1948 in Northfield uraufgeführt. Als Brecht nach Ost-Berlin zurückkehrte, musste er seinem Stück erst den Weg ebnen.[3] In Europa ist das Kreidekreismotiv durch verschiedene Übersetzungen und Bearbeitungen bekannt geworden.[4]

Der Textgeschichte des kaukasischen Kreidekreises ist im Gegensatz zu seiner Stoffgeschichte einfach. Der Stoff des Kaukasischen Kreidekreises stammt aus dem Chinesischen. Durch die Bekanntschaft mit Klabund kam Brecht in den Kontakt mit der abendländisch gefärbten Nachdichtung des chinesischen Singspiels von Li Hsing-tao und die Bedeutung dieser Szene. Er griff die Fabel zunächst im Lustspiel "Mann ist Mann" auf. Er verwendete sie des Weiteren im "Odenseer Kreidekreis" sowie im "Augsburger Kreidekreis", der als Vorläufer des kaukasischen Kreidekreises gesehen werden kann.[5]

Es gibt auch den Nachweis einer anderen, älteren Quelle dieses Stoffes: Ein Urteil des Königs Salomo, die sehr bekannt ist[6]

Am siebten Oktober 1954 wurde das Stück im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm vor Publikum das erste Mal in deutscher Sprache inszeniert.[7] Das Stück hat weltweiten Erfolg bekommen. Die Musik zu diesem Drama wurde von Paul Dessau geschrieben.[8]

Der kaukasische Kreidekreis ist ein episches Drama, das aus 5 Akten und dem Vorspiel besteht. Im Mittelpunkt dieses Werkes liegt das Schicksal des Kindes und seiner Mutter. Es hängt von dem Richter ab, der entscheiden soll, ob das Kind zu der leiblichen Mutter gehört oder der Frau, die es erzogen hat. Der Autor verwendet die Kreidekreisprobe, um zu vermitteln, dass Familienverhältnisse nicht nach biologischen oder tradierten formal-juristischen Regeln, sondern nach Maßstäben der 'Produktivität', danach, was dem Kind am meisten bringt, beurteilt werden sollten. Die alte chinesische Fabel vom Streit zweier Mütter um ein Kind ist nach den Gesetzen der neuen Klassenmoral ausgelegt, sozusagen umgekehrt geworden.[9]

Die wichtige Idee von Brecht war, in der postmodernen Zeit die funktionalen Beziehungen zwischen Bühne-Publikum, Text-Aufführung, Regisseur-Schauspieler, als auch zwischen Text-Leser, Wort-Realität und Autor-Sprache zu verändern.[10] In diesem Drama versucht der Autor diese Funktionen wiederzuspiegeln. Die Zuschauer und Leser werden in Distanz zu den Helden gehalten. Brecht stellt die Geschichte des „Vorspiels“ und die Kreidekreisgeschichte einander gegenüber und zwingt den Leser und das Publikum, sich mit seiner Interpretation dieses Motivs auseinanderzusetzen.

2. Die Bedeutung des Prologs

Das Vorspiel hat hier eine Bedeutung der formalen Funktion und bietet den äußeren Anlaß, das Stück vom kaukasischen Kreidekreis aufzuführen.[11] Es spiegelt die Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wider. Die Mitglieder zweier Kolchosen streiten sich um ein Tal. Der Ziegenkolchos “Galinsk“ übergibt das ihnen vom Recht zustehende Tal dem Obstbaukolchos “Rosa Luxemburg“, die für das Tal ein Erfolg versprechendes Bewässerungsprojekt erarbeitet hat. Zu Ehren der Gäste und zur Feier des Tages wird das Theaterstück „Kaukasischer Kreidekreis“ von dem Sänger Arkadi Tscheidse aufgeführt. Das epische Drama von Bertolt Brecht “Kaukasischer Kreidekreis“ schließt in sich zwei sowohl verschiedene, als auch gleiche Geschichten „Der Streit um das Tal“; „Der Streit um das Kind“ ein.

Durch das „Spiel im Spiel“ wird eine Distanz zum Publikum erreicht.[12]

Das Vorspiel ist mit der ganzen Geschichte verbunden und kann nicht von dieser Geschichte getrennt werden. In seinem Brief an Peter Suhrkamp schrieb Brecht:

Dass das Vorspiel Ihnen nicht gefällt, verstehe ich nicht ganz, es war das erste, was ich von dem Stück schrieb, in den Staaten. Ohne das Vorspiel ist weder ersichtlich, warum das Stück nicht der chinesische Kreidekreis geblieben ist (mit der alten Richterentscheidung), noch, warum es der „kaukasische“ heißt.[13]

Nach Brecht hat das Vorspiel einen historischen und erklärenden Hintergrund. Der Prolog umreißt die Ereignisse des Jahres 1917, die Zeit der Februar- und der Oktoberrevolution. Dabei werden hier zwei Probleme offensichtlich, die die russischen Sozialdemokraten 1917 bereits seit langer Zeit beschäftigten. Zum einen geht es um die Umwandlung des Agrarlandes Russland in einen Industriestaat, zum anderen um die Spaltung in die zwei Parteien, die Bolschewiki und die Menschewiki. Im Jahre 1917 ist Russland von der absoluten Monarchie frei. Die Menschen haben das Recht zur freien Meinungsäußerung. Am Anfang des Prologs wird deutlich, dass die Leute selbst entscheiden können, wem dieses Tal gehören soll. Sie treffen ihre Wahl selber.

Im Prolog wird auch gezeigt, dass auch nach der Zeit des Krieges, verschiedene Entscheidungen getroffen werden können.

Brecht schrieb, dass das Vorspiel also keineswegs aus irgendwelchen politischen Erwägungen heraus zu dem Stück hinzugefügt worden war, sondern als erstes entstand.[14] Erwähnt werden muss hier, dass einige Kritiker der Meinung waren, dass das Vorspiel und die Geschichte selbst keine Sinnverbindung haben und in einigen Theatern wurde der Prolog einfach ausgelassen. Jürgen Rühle, ein deutscher Journalist und Schriftsteller bemerkt dazu:

Die Bauern zweier Kolchosen streiten sich um ein Tal. Den einen gehört es von altersher und sie wollen es behalten, das Brot schmeckt da besser, der Himmel ist höher, die Luft ist da würziger, der Boden begeht sich da leichter“! Aber als die anderen mit dem Projekt rausrücken, das Tal zu bewässern und eine Obstkultur anzulegen, geben die eigentlichen Besitzer nach. Vielleicht bin ich schwach in Kombinationsfähigkeit, aber mir scheint der Zusammenhang zur Haupthandlung („Die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen, und das Tal den Bewässerern. Damit es Frucht bringt“) an den Haaren herbeigezogen.[15]

Auf den ersten Blick scheint es so, dass diese zwei Geschichten nichts Gemeinsames haben und also ob sie von einander getrennt existieren können. Auf den zweiten Blick gibt es in beiden Geschichten Streit; im ersten Fall wegen des Tals, im zweiten wegen des Kindes. In beiden Fällen soll eine Entscheidung getroffen und Gerechtigkeit ausgeübt werden und die Handlung dieser zwei Geschichten findet in einem Dorf “Nukha“ statt.

Der Kolchos "Rosa Luxemburg“ hat vieles gemacht, um das Tal zu bekommen, wie auch Grusche für das Kind. Die Partei, die das Tal kriegen wollte und sich darum bemühte, gewinnt, wie auch Grusche das Kind bekommt. Sie hat das Kind nicht verlassen. Der Streit wird hier durch die „Liebe“ assoziiert; Liebe zur Heimat und Liebe zum Kind. Und am Ende dieser zwei Geschichten, die miteinander unmittelbar verbunden sind, wird die Lösung des Problems gefunden.

„In Wirklichkeit gewinnen beide, weil beide die Gesellschaftsordnung anerkennen, in der sie leben“.[16]

Im Epilog des Theaterstücks wird abschließend die Meinung Kund gegeben, dass die Kinder den Mütterlichen gehören, damit sie gedeihen und das Tal den Bewässereren gehört, damit es Frucht bringt. Der Autor unterstreicht mit diesen Sätzen den gesamten Sinn dieser zwei, auf den ersten Blick unterschiedlicher Geschichten und zieht eine umfassende Schlussfolgerung, verkündet sozusagen eine menschliche Weisheit.

Aus den beiden Entscheidungen wird eine Lehre gezogen und diese zum Prinzip erhoben: Über den Besitz -- sei es eines Kindes, sei es eines Stück Landes oder etwas anderes – entscheidet nicht die Anciennität, sondern die Tauglichkeit. In diesem Punkte liegt das Gemeinsame von Vorspiel und Kreidekreisgeschichte.[17]

3. Die Stellung der Gemeinschaft

Die Geschichte des Vorspiels findet in einem Land statt, in dem schon eine sozialistische Gesellschaftsordnung besteht. Der Streit um den Besitz eines Tals wird ohne Richter und nicht nach den Gesetzesregeln gelöst. Diese Leute stammen aus den gewöhnlichen Sozialkreisen. Sie führen ein gewöhnliches Leben und kennen einander und leben nach ihren Gewohnheiten. Die meisten haben keine Namen in Brechts Drama. Zur gleichen Zeit zeigt Brecht, dass diese Leute nicht nur einfache Leute sind, sondern, Menschen, die vieles in ihrem Leben erreicht haben. Sie sind eine Gemeinschaft. Sie lösen das Problem alle zusammen, z.B. hat jeder das Recht wegen des Tals seine Meinung zu sagen. Brecht unterstreicht hier die Bedeutung der Gemeinsamkeit und der Geschlossenheit der Menschen. Trotz des Streites herrscht in diesem Kreis eine angenehme, heitere Atmosphäre. Man kann sagen, dass es kein Streit ist. Es wird oft gelacht, aber nie geschrieen und nur einmal etwas bitter angemerkt. Der Alte ist derjenige, der einmal bitter war, einmal geseufzt hat und einmal düster ist. Alle diese Emotionen sind mit dem Unterliegen konnotiert.

Als Gegenreaktion lacht man und man fällt sich in die Arme und ist nur einmal misstrauisch .“ Wie soll der als Beeinflussung gedacht sein, Surab, du Talräuber! Man weiß, dass du den Käse nehmen wirst und das Tal auch.“[18] Wir sehen, dass trotz der Bezeichnung als “Räuber“ der Alte und anderen dabei anlacht. Sie haben alle Rechte auf das Tal. Und nach der Lösung des Problems sind alle fröhlich und gehen sofort essen. Es gibt keinen Ausdruck der Wehmut, kein Zögern.

Der Sachverständige der Wiederaufbaukommission lässt sie selbst die Entscheidung treffen. Und wenn ein Mitglied sagt, dass nach dem Gesetz das Tal ihnen gehört, so hört es die Antwort, dass die Gesetze auf jeden Fall überprüft werden müssen, ob sie noch stimmen. Es gibt keine schwierige Diskussion bei ihnen, sie sieht anderes aus.

„Wir sehen keine Menschen der modernen Industriegesellschaft, sondern Bauern und Hintern, die, in abgeschlossenen Tälern lebend, einander kennen und schätzen, die ihre Streitigkeiten mit Hilfe der Vernunft lösen, ohne sich darüber persönlich zu entzweien.“[19]

Keine der Seiten verliert bei der Debatte, da die getroffene Entscheidung zum Wohl aller ist. Das Allgemeinwohl hat Vorrang vor dem Wohl des Einzelnen.[20]

[...]


[1] Helmut Kindler, Begleitmusik zum Welterfolg in Brecht in der Kritik, Rezensionen aller Brecht-Uraufführungen sowie ausgewählter deutsch-und fremdsprachiger Premieren. Eine Dokumentation von Monika Wyss mit einführenden und verbindenden Texten von Helmut Kindler, München 1977, S.18.

[2] Betty Nance Weber, Brechts“ Kreidekreis “, Ein Revolutionsstück, Frankfurt am Main 1978, S. 36.

[3] Bertolt Brecht, Der kaukasische Kreidekreis, Frankfurt 1962, S.2.

[4] Hubert Witt, „Der kaukasische Kreidekreis“ in: Brechts “Kaukasischer Kreidekreis“, Werner Hecht (Hrsg.), Frankfurt am Main, 1985, S.131.

[5] Vgl. Therese Poser, Bertolt Brecht, Der kaukasische Kreidekreis, München 1988, S. 10-14.

[6] Ebd., S. 10.

[7] Brecht 1962, S. 2.

[8] Fritz Hennenberg, "Zur Musik von Paul Dessau in Brechts Kaukasischer Kreidekreis “, Werner Hecht (Hrsg.), Frankfurt am Main 1985, S.110-112, hier: S.110.

[9] Vgl. Sabina Lietzmann, "1954 die deutschsprachige Erstaufführung in Berlin-Ost" in: Brecht in der Kritik, S. 262-263,hier: S.262.

[10] Vgl. Peter Leiser, Bertolt Brecht Mutter Courage und ihre Kinder Der kaukasische Kreidekreis, Standpunkte, Materialen und unterrichtsbezogene Auswertung, Hollfeld 1982, S.15-18.

[11] Poser 1988, S. 41.

[12] Ebd., S. 41.

[13] Brief an Peter Suhrkamp (Mai 1954 Hecht 1985). In: Werner Hecht, Selbstaussagen zum Stück; Aus den Briefen, Werner Hecht (Hrsg), Frankfurt am Main 1985, S. 19.

[14] Poser 1988, S.42.

[15] Jürgen Rühle, "1954 die deutschsprachige Erstaufführung in Berlin-Ost; Der Sonntag, Berlin-Ost

(17.10.1954)“ 1954 die deutschsprachige Erstaufführung in Berlin-Ost“ in: Monika Wyss, S.264-267,hier: S. 266.

[16] Werner Hecht, Hans-Joachim Bunge, Käthe Rülicke-Weiler, Bertolt Brecht Sein Leben und Werk, Berlin 1969, S.187.

[17] Poser, S.45.

[18] Brecht, 1962, S.8.

[19] Poser, S.39.

[20] Vgl. J. M. Ritchie, Brecht: Der kaukasische Kreidekreis, London 1976. S 20.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Prolog des Kaukasischen Kreidekreises von Bertolt Brecht
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Literaturwissenschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V288575
ISBN (eBook)
9783656888277
ISBN (Buch)
9783656888284
Dateigröße
394 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prolog, kaukasischen, kreidekreises, bertolt, brecht
Arbeit zitieren
julia skrypnikova (Autor:in), 2008, Der Prolog des Kaukasischen Kreidekreises von Bertolt Brecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288575

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