Achtsamkeitsmeditation im Schulalltag? Pilotstudie über die Effekte und die Realisierung von Meditationspraxis im Unterricht


Thèse de Master, 2013

64 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Praxis der Meditation
2.1 Ursprung der Meditation
2.2 Definition und Formen der Meditationspraxis
2.3 Achtsamkeit - ein wesentliches Element der Meditation
2.4 Bedeutung des mentalen Übens
2.5 Bedeutung des Atems
2.6. Die Meditationsform Ananapana Sati

3. Meditation und Wissenschaft
3.1 Wirkungen von Anapana Sati
3.2 Physiologische und neuronale Befunde

4. Meditation und Kinder
4.1 Ist Meditation für Kinder geeignet?
4.2 Meditieren in der Schule
4.2 Anapana Sati für Kinder

5. Empirische Untersuchung
5.1 Forschungsdesign
5.1.1 Versuchsplan
5.1.2 Probandinnen und Probanden
5.1.3 Hilfsmittel
5.1.4 Durchführung
5.1.4.1 Ablauf der Instruktion
5.1.4.2 Ablauf der Datenerhebung
5.1.4.3 Pädagogische Maßnahmen in Gruppe Meditation
5.1.5 Störvariablen
5.2 Ergebnisse
5.2.1 Auswertung des Konzentrationstests
5.2.2 Auswertung Klassenklima
5.2.3 Auswertung der Entschluss-Liste
5.2.4 Beobachtungen

6. Schlussfolgerungen
6.1 Wie lässt sich die Meditationspraxis als Ritual im Unterricht integrieren?
6.2 Wie kann eine förderliche Atmosphäre gestaltet werden?
6.3 Ist eine Ausbildung erforderlich, um Meditation anzuleiten?
6.4 Wie können Lehrkräfte das Anleiten von Meditation erlernen?
6.5 Worauf sollen Lehrkräfte bei der Anleitung achten?
6.6 Wie können Schülerinnen und Schüler motiviert werden, die sich der Meditation verweigern?

7. Fazit

8. Ausblick

9. Bibliografie

Anhang Elternbrief

1. Einleitung

Die Überforderung der Heranwachsenden in Schule und Privatleben ist ein Thema, welches nach der Umgestaltung der Bildungspraxis, angeregt durch die PISA- Ergebnisse von 2001, in pädagogischen Fachkreisen und der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wahlweise werden überfüllten Lehrpläne oder überehrgeizige Eltern für die Misere verantwortlich gemacht. Die jüngste Entwicklung des niedersächsischen Schulwesens, die G-8-Reform, verschärft den Erfolgsdruck und lässt weniger Zeit zur Vertiefung der Lerngegenstände. Die Jugendlichen müssen heute mehr leisten, um in der globalisierten Welt erfolgreich zu sein: Idealerweise sollen sie „überzeugende PowerPoint-Präsentationen vorbereiten, gesundheitsbewusst Sport treiben, mehrere Sprachen beherrschen, sich ökologisch und klimabewusst verhalten, über die Inhaltsstoffe [ihrer] täglichen Nahrung Bescheid wissen und (…) ebenso lässige wie kundige Nutzer der neuen Medien sein“ (Thimm 2011, 71).

Ob Kinder und Jugendliche dem 'LNWDW GHU /HLVWXQJVJHVHOOVFKDIW entsprechen oder resignieren: Die Anspannung ist da und hat fatale Auswirkung auf ihre physische und mentale Gesundheit. Sie haben einen schlechten Schlaf, sind appetitlos, häufig krank, nervös (Thimm 2011, 68). Ärzte nennen eine Reihe von Störungen und Auffälligkeiten im Verhalten, wie Lernschwierigkeiten, Essstörungen, Hyperaktivität und Aggression (Robert-Koch-Institut 20071 ), die durch die hohe Belastung ausgelöst werden. Neurologen belegen, dass sich das Gehirn unter solchen Umständen gestört entwickelt. Auch die Kinder selbst schätzen ihre Lebenssituation oftmals negativ ein: Über 15 Prozent der deutschen Heranwachsenden sind unzufrieden (Unicef 20132 ).

All das legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Schülerinnen und Schüler entlastet werden sollten.

In dieser Arbeit wird hinterfragt, ob Meditationspraxis diese Forderung einlösen kann. Angesetzt wird nicht an der Ursache für die Belastung - nicht die Umstände im Schulwesen werden geändert - sondern eine mentale Technik eingeübt, die bessere Umgangsweisen mit den Umständen schafft. Durch die Meditationspraxis, die auch als Achtsamkeitstraining verstanden werden kann, werden die Symptome behandelt, unter denen Schülerinnen und Schüler leiden.

In den letzten Jahrzehnten ist die Effektivität der Meditation durch zahlreiche Studien belegt worden. Regelmäßiges Meditieren wirke sich auf das gesamte Leben positiv aus: das Befinden werde verbessert, auch in Stresssituationen kann Ruhe bewahrt werden und die Aufmerksamkeit sei geschärft (Zeidan et al. 2010, 601).

Kann Meditationspraxis zudem das schulische Lernen begünstigen? Können Kinder überhaupt gleichermaßen wie Erwachsene meditieren oder haben sie nicht die nötige Selbstdisziplin? Kann die Meditationspraxis außerdem die Konzentrationsleistung der Schülerinnen und Schüler stärken und ein besseres Klassenklima kultivieren? Und wie können Meditationssitzungen praktisch umgesetzt und in dem Schultag sinnvoll untergebracht werden?

Innerhalb eines dreiwöchigen Projektes an einer Integrierten Gesamtschule in Niedersachsen bin ich diesen Fragen auf den Grund gegangen. Die Schülerinnen und Schüler drei fünfter Klassen beteiligten sich an dem Unterfangen. In einer Klasse wurde täglich zehn Minuten die Meditation $QDSDQD 6DWL angeleitet, eine Technik bei der sich auf den natürlichen Atemfluss konzentriert wird. Die zwei weiteren Klassen wirkten als Kontrollgruppen. Eine davon bekam in gleicher Länge ein Hörbuch vorgespielt, die andere hatte regulären Unterricht. Die Forschungsarbeit hat zweierlei Anliegen: Zum einen werden Hypothesen empirisch überprüft. Zum anderen ist es ein Versuch darüber, wie Meditation als Ritual innerhalb des Schultags funktionieren kann. Gibt es Schwierigkeiten und wie kann diesen begegnet werden?

Die Schlussfolgerungen generierte ich aus unterschiedlichen Quellen: empirischen Tests und eigenen Beobachtungen, sowie dem Empfinden der Schülerinnen und Schülern, dem Meinungsaustausch mit beteiligten Lehrkräften und dem Lehrerkollegium und Meditationslehrern.

Mein persönliches Hauptanliegen ist mit der Vermittlung einer Entspannungstechnik zu größerem Wohlbefinden und zu einer VHOEVW EHZXVVWHQ Persönlichkeit beizutragen.

2. Praxis der Meditation

Heute meditieren nicht mehr nur buddhistische Mönche in indischen Ashrams, die Meditation konnte sich weltweit verbreiten. In Deutschland gibt es eine bemerkenswerte Anhängerschaft (Langer 2007, 3). So haben 17 Prozent der Deutschen schon einmal mentales Training, Yoga oder Meditation ausprobiert (Statista 20133 ). Meditation scheint in Mode gekommen zu sein - dies zeigt auch das reichhaltige Angebot von Yogaschulen, die es mittlerweile wohl in jeder deutschen Kleinstadt gibt. Das Interesse ist so groß, dass 2012 zum zweiten Mal der interdisziplinäre Meditationskongress 0HGLWDWLRQ :LVVHQVFKDIW in Berlin stattgefunden hat.4 Woher die Geistesübungen stammen, die hier zunehmende Beliebtheit erfahren, wird im Folgenden erläutert.

2.1 Ursprung der Meditation

Denkbar ist, dass Meditation eng mit dem Menschsein verbunden und Bestandteil menschlichen Lebens seit jeher ist. Die unterschiedlichen Meditationstechniken, die wir heute vorfinden - unter anderem Vipassana, Zazen und Transzendentale Meditation - sind auf die fernöstliche Kultur zurückzuführen. In Indien gibt es seit über 2500 Jahren spirituelle Schulen, in denen sogenannte Gurus ihr Konzept aus Meditation und oft auch ethischem Handeln lehren (Engel 1999, 17ff). Bereits Siddhartha Gautamas alias %XGGKD (Sanskrit für Erleuchteter) eignete sich in solchen Ashrams unterschiedliche Meditationsformen an. Aus diesen Kenntnissen entwickelte er eine Lehre, die noch zu seinen Lebzeiten Millionen von Menschen erreichte (Lay 2002, 50f). So wurde Meditation ein grundlegender Bestandteil der Religionen Buddhismus, Hinduismus und Tantrismus (Engel 1999, 19). In abendländischen Kulturen, der jüdischen, christlichen und islamischen hatte Meditation ursprünglich wurden ebenfalls meditative Rituale ausgeführt (Engel 1999, 32f). Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurde das Wissen um die altbewährten Techniken auch in den Westen getragen. Einige Meditationsformen wurden in der Urform vermittelt, andere der westlichen Kultur angepasst (Mehr dazu im folgenden Kapitel).

Seit den 1970ern gibt es einen regelrechten spirituellen Boom: Yoga und Meditation erreichen große Teile der westlichen Gesellschaft. Heute geht der „Bund Deutscher Yogalehrer (BDY) (…) in Deutschland von ‚mindestens drei Millionen’ Yogapraktizierenden aus“ (Langer 2007, 3).

2.2 Definition und Formen der Meditationspraxis

An den lateinischen Wortstamm 0HGLWDUL angelehnt, bedeutet Meditation: über etwas nachdenken, über etwas sinnen. Der Begriff wird vielfach kritisiert, da 1DFKVLQQHQ keinen Teil der Praxis darstellt (Lay 2002, 51; Singer & Ricard 2008, 27f). In der mittelindischen Sprache Pali wird stattdessen der Begriff VPDWKD EKDYDQD verwendet. 6DPDWKD umfasst Unterschiedliches: Konzentration, Friedfertigkeit und Ruhe. 6PDWKD EKDYDQD meint die Kultivierung der Konzentration oder die Entwicklung der fokussierten Aufmerksamkeit (Lay 2002, 51). Hier wird deutlich, dass Meditation nicht mit einer Entspannungsübung gleichzusetzen ist. Es ist vielmehr ein Konzentrationstraining, welches den Körper entspannt und achtsames Handeln kultiviert. In der Meditationsforschung gibt es eine nahezu einstimmige Einteilung der unterschiedlichen Techniken in zwei Kategorien: Konzentrations- und Achtsamkeitsmeditation (Cahn & Polich 2006, 172ff). Definiert werden sie wie folgt:

„In concentrative meditation we focus on a single point, such as the breath, with singleminded attentiveness.“ (Rubin 2001, 122)

“In concentrative meditation, thoughts are directed toward something, such as an objekt, word, image or sound, the breath, or an emotion.” (Kane 2006, 503)

„By contrast, mindfulness meditation does not restrict attention to a single point; rather, awareness follows thoughts, feelings, and sensations as they arise, flowing freely from one to another.“ (Kane 2006, 503)

Es wird eingestanden, dass sich eine Klassifizierung von Meditationsformen als schwierig gestaltet (Cahn & Polich 2006, 180). Konzentration und Achtsamkeit werden einander gegenübergestellt, dabei gehen sie, meinem Verständnis nach, +DQG LQ +DQG. Auch in der Achtsamkeitsmeditation muss eine Fokussierung stattfinden. Wie sonst können Gedanken, Gefühle und Empfindungen ausschließlich betrachtet werden? Wenn es hier um den hervorgehoben Aspekt ankommt, dass es sich nicht nur um einen „single point“ handelt, sondern um wandelbare Phänomene, muss ich dem entgegenhalten, dass es nach meiner Auffassung keine Meditation gibt, in der statische Objekte, Gegenstände der Betrachtung werden, weil alles Wandelprozessen unterworfen ist. Ein deutliches Beispiel ist das von Kane genannte Meditationsobjekt des Atems. Bei der Konzentration auf die Atmung wird die Aufmerksamkeit auf Empfindungen, die durch die Atmung ausgelöst werden, gerichtet. Eine Konzentration auf den Atmungsprozess, ohne das Spüren dessen, scheint mir unmöglich. Die Empfindungen waren allerdings der Achtsamkeitsmeditation zugeordnet.

Weil ich eine Klassifizierung zur Konzentration oder zur Achtsamkeit aus besagten Gründen nicht griffig finde, möchte ich mich dieser nicht bedienen. Stattdessen wird hier die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Meditationsformen genannt, um die Wesenszüge der Technik zu verdeutlichen. Im Weiteren sind unterschiedliche Ausprägungen aufgezeigt. Eine Kategorisierung kann auf die Überschneidungen (aufmerksamer, nicht wertender Fokus) aufbauen und dann zwischen den Betrachtungsobjekten differenzieren. Der Gegenstand der Meditation kann dann intern liegen oder ein externes Objekt sein. Auch die Gegenüberstellung von einer möglichst objektiven Wahrnehmung zur Suggestion von Empfindungen finde ich sinnvoll zur Unterscheidung von Meditationsformen. Im Folgenden wird die Klassifikation vorgestellt.

Normalerweise ist die Aufmerksamkeit von äußeren oder inneren Impulsen getrieben. Es wird etwas wahrgenommen und darauf reagiert - meist im Affekt. Die Meditationspraxis steht in einem Gegensatz zu dieser „automatisierten, halbbewussten Informationsverarbeitung“ (Heidenreich & Michalak 2011, 55). In der Meditationspraxis wird der Strom aus Gedanken und emotionaler Bewertung unterbrochen. Die Aufmerksamkeit wird gelenkt und der Versuch verfolgt, ohne Unterbrechung wachsam zu sein. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen je nach Meditationsform unterschiedliche Betrachtungsgegenstände. Häufig erfolgt ein %OLFN QDFK ,QQHQ: Es werden zum Beispiel Empfindungen im Körper oder einzelnen Körperstellen beobachtet. So ist es in der 9LSDVVDQD -Meditation: Empfindungen, wie Wärme, Druck, Schmerz, Kribbeln, Pulsieren, etc., wird nachgespürt, ohne sie als angenehm oder unangenehm zu deuten (Goenka 2002, 7ff). Auch das %HREDFKWHQ YRQ *HGDQNHQ, wie es Tätigkeit der Zen-Meditation ist, gilt als eine beliebte Technik. Es wird nicht aktiv gedacht, sondern aus einer gewissen Distanz betrachtet, wie Gedanken entstehen und durch andere abgelöst werden, bis eine Art Gedankenlosigkeit entsteht (Engel 1999, 133).

Bei anderen Techniken wird sich auf einen externen Reiz konzentriert. Hier werden die Sinne nach außen gelenkt. Dazu gehört die kontinuierliche Wahrnehmung von Geräuschen (3UDW\DKDUD) oder, wie im %DKLU 7UDWDND, die Betrachtung eines Gegenstands, wie den glühenden Punkt eines brennenden Dochts (Janakananda 1994, 97/107).

Die meisten Meditationsformen werden im stillen Sitzen praktiziert. Die Regungslosigkeit wird als Notwendigkeit begriffen, um die Wachsamkeit zu steigern. Allerdings gibt es auch Formen der Meditation, die bei Bewegung ausgeführt werden (Ott 2004, 186). Bekannt sind die Gehmeditation ,UL\DSDWKD und Oshos so genannte '\QDPLVFKH 0HGLWDWLRQ (Wolff 2012, 74). Innerliches oder lautes Rezitieren von 0DQWUHQ, also absichtsvollen Sprüchen oder Liedzeilen, wird ebenfalls als Meditationsform betrachtet (7UDQV]HQGHQWDOH 0HGLWDWLRQ und 0DQWUDP <RJD), (Engel 1999, 108).

Nicht alle Techniken berufen sich auf eine möglichst objektive Wahrnehmung. Es gibt auch solche, die sich auf die Imagination und Suggestion berufen. In Meditationsformen dieser Art werden positive Bilder, Gedanken und Empfindungen hervorgerufen, damit eine optimistische Sichtweise kultiviert wird. Dazu gehört 0HWW Ɨ, eine Technik in der wohlwollend an alle Lebewesen gedacht wird (Wolff 2012, 75) und die relativ junge /LFKWPHGLWDWLRQ, nach welcher Licht innerhalb des Körpers visualisiert wird (Boff 2010, 65).

Welches Objekt sie auch in den Mittelpunkt stellen, gemein ist den Techniken die Fokussetzung. Für die Dauer der Meditationsübung wird versucht, in stetigem Kontakt zum Objekt zu stehen. Ablenkende Gedanken sollen akzeptiert, jedoch nicht bewertet oder begründet werden. Nach der Wahrnehmung der Ablenkung folgt das Zurückkehren zur Aufgabe.

Die Meditationsdauer ist meist unabhängig von der angewandten Technik. Je nach belieben, kann kurzweilig, wie etwa zehn Minuten, oder lang, eine Stunde oder mehr, die Geistesübung ausgeführt werden. Viele fortgeschrittene Meditierende nehmen sich täglich eine oder zwei Stunden Zeit für Übungssequenzen (Engel 1999, 131).

2.3 Achtsamkeit - ein wesentliches Element der Meditation

Wenn die volle Aufmerksamkeit auf ein Objekt gerichtet ist, sind im Kehrschluss alle anderen Reize ausgeblendet. Was aufmerksam beobachtet wird, sind gegenwärtige Phänomene. Während routiniertes Denken meist ein gedankliches Beschäftigen mit zukünftigen oder vergangenen Situationen bedeutet, wird in der Meditationspraxis im so genannten +LHU XQG -HW]W verweilt (Heidenreich & Michalak 2011, 55). Von Moment zu Moment wird beobachtet, in den Körper gespürt oder gelauscht. Weil sich das Betrachtungsobjekt stetig verändert, nicht wechselt, kann der natürliche Prozess des Entstehens und Vergehens nachempfunden werden. Es wird also nicht an etwas festgehalten, sondern das Gegenwärtige wahrgenommen. Hinzu kommt die offene Haltung mit der beobachtet wird: Die :LUNOLFKNHLW wird akzeptiert, es erfolgt keine Bewertung der wahrgenommenen Realität. Ob Geräusche, Gedanken oder Empfindungen angenehm oder unangenehm sind, spielt keine Rolle (Singer & Ricard 2008, 12ff).

Unter dem Begriff Achtsamkeit wird diese bewusste, nichtwertende Aufmerksamkeit zusammengefasst (Heidenreich & Michalak 2011, 55). Die Achtsamkeit ist ein wesentliches Element der Meditation. Durch das Ausführen achtsamer Handlungen wird Achtsamkeit auch für künftige Momente gestärkt. Bei der Internationalen psychologischen Konsensuskonferenz 2004 wurde der Achtsamkeit eine duale Wirkung zugeschrieben: Die Mitglieder entwarfen ein zwei-Komponenten-Modell, welches besagt, dass praktizierte Achtsamkeit zum einen die Fähigkeit verbessere,

„die Aufmerksamkeit auf das reine Erleben des gegenwärtigen Moments zu richten“, und zum anderen eine Haltung hervorbringe, „die geprägt ist von wohlwollender Toleranz gegenüber sich selbst und den Dingen, so wie sie sind.“ (Bohus 2012, 1480). Die gleichmütige Zentriertheit auf gegenwärtige Phänomene hat noch weitere Auswirkungen, die unmittelbar erfahrbar werden. So erfährt die meditierende Person eine tiefe Ruhe und es werden Qualitäten wie Konzentration, Zuversicht und Kondition entwickelt (siehe Kapitel 3.1).

2.4. Bedeutung des mentalen Übens

Eigentlich ist das konkrete +LQVHW]HQ und Praktizieren einer Meditationstechnik in Wirklichkeit ein Achtsamkeitstraining. Es geht weniger darum, für eine Stunde am Tag eine Sitzmeditation zu leisten und anschließend von der positiven Wirkung zu zehren bis sie vergangen ist. Die Sitzungen, in denen Meditation geübt wird, werden abgehalten, weil der Mensch während alltäglicher Handlungen nur schwer lernen kann, wachsam im gegenwärtigen Moment zu verweilen. Meditationssitzungen schaffen also die Möglichkeit und Situation, in Abgeschiedenheit von Alltagsaufgaben - in vollkommener Ruhe und ohne Zeitdruck-, die Achtsamkeitstechnik zu erlernen (Singer & Ricard 2008, 64ff). Sinn der Methode ist es, sie jeden Moment anzuwenden - begleitend zu allen Handlungen: Sowohl während der Arbeit als auch der Freizeit können Tätigkeiten bewusst ausgeführt oder in den Körper gespürt werden (Heidenreich, Ströhle & Michalak 2006, 37)5. Auf diese Weise kann der Kontakt zu den Körperempfindungen aufrechterhalten werden.

Für therapeutische Zwecke wurden in den späten 1970er Jahren Übungsprogramme entworfen, die das Ziel hatten, durch achtsame Praxis das Stressempfinden und Verstimmungen zu mindern. John Krabat-Zinn hat das weitverbreitete Konzept 0LQGIXOQHVV %DVHG 6WUHVV 5HGXFWLRQ (MBSR) entwickelt, welches bereits als wirksam belegt ist. Die 0LQGIXOQHVV EDVHG &RJQLWLYH 7KHUDS\ (MBCT) von Segal, Williams und Teasdale ist speziell zur Behandlung von depressiven Störung konzipiert und ebenfalls effektiv (Bohus 2012, 1479).

2.5 Bedeutung des Atems

Die Atmung ist in nahezu allen spirituell hochentwickelten Praxen, wie Yoga und dem Buddhismus, zentral (Bouin 2000, 18). Der hohe Stellenwert lässt sich über die existentielle Bedeutung der Atmung für alles Leben begründen: Sie ist notwendig für den Erhalt des Lebens. Von der Geburt bis zum Tod wird unentwegt ein- und ausgeatmet: Dabei filtern die Lungen den lebensnotwendigen Sauerstoff aus der Luft und reichern ihn im Blut an. Der Atemzyklus vollzieht sich von ganz alleine. Gesteuert wird er über das im Gehirn liegende Atemzentrum - es muss sich also nicht um die Atmung bemüht werden (Deltz 1994, 85).

Innerhalb östlicher Traditionen wird dem Atem eine größere Bedeutung beigemessen als dem bloßem /XIWKROHQ: In einer bestimmten Weise durchgeführtes und bewusstes Atmen wirkt sich gesundheitsfördernd aus (Sharamon & Baginski 1989, 199). Das Wissen um eine gesunde Atmung wird besonders im Yoga nutzbar gemacht. Die einzelnen $VDQDV, Yogaübungen, werden so ausgeführt, dass Atem und Bewegung aufeinander abgestimmt sind (Janakananda 1994, 60). Es gibt zahlreiche Übungen, die ausschließlich mit dem Atem arbeiten. Hier wird die Ein- und Ausatmung reguliert und eine tiefe Entspannung und Harmonisierung erreicht. .DEDOKDEDWL zum Beispiel ist eine Übung, in der schnell und kräftig geatmet und schließlich die Luft angehalten wird. Unmittelbar soll eine %HOHEXQJ erfahren werden. Die Atemübungen des Yogas werden unter dem Begriff 3UDQD\DPD zusammengefasst. Pranayama bedeutet Beherrschung des 3UDQD, der sogenannten Lebensenergie. Prana wird mit der Atmung gleichgesetzt, das heißt, dass Atmung als Lebensenergie betrachtet wird. Pranayama umfasst die Theorie, dass Praktizierende „bestimmte Energiefrequenzen in der Atemluft erschließen und nutzbar machen können.“(Sharamon & Baginski 1989, 199). Eine Technik, in der die Atmung nicht verändert sondern sie in ihrem natürlichen Sein beobachtet wird, gilt als meditative Technik.

2.6 Die Meditationsform Anapana Sati

“If one wants to understand one`s own physical and mental nature, one must use a pure object of concentration - natural, normal respiration.” (Goenka 2002, 72). Wenn wir nervös sind, atmen wir flach und schnell. Sind wir fröhlich, haben wir einen normal ruhigen Atem. Die Art des Atmens verrät immer etwas über unser Befinden. Der Atem wird als geeignetes Konzentrationsobjekt aufgefasst, weil er etwas ist, das tatsächlich physisch erschlossen werden kann. Die flüchtige Natur des Atems - die Luft strömt permanent ein und aus - begünstigt er das Gewahrwerden über den gegenwärtigen Augenblick (Goenka 2002, 72f). In den Achtsamkeitstrainings MBSR und MBCT wird ebenfalls über den Atem meditiert. Die Technik, die hier angewandt wird ist eine der ältesten buddhistischen Meditationsformen: $QDSDQD 6DWL. Der Überlieferung zufolge ist sie über 2500 Jahre alt (Vipassana-Vereinigung e.V. 20026 ). Es handelt sich um eine Atemmeditation - eine Meditation über den natürlichen Atemstrom. $QD bedeutet Einatmung, $SDQD Ausatmung und 6DWL Aufmerksamkeit sowie Achtsamkeit.7

Im Sitzen und mit geschlossenen Augen wird die Konzentration auf die Atmung in der Nase gelenkt. Der spontanen Ein- und Ausatmung soll nachgespürt werden. Dabei ist es wesentlich, den Atem nicht zu regulieren, das heißt ihn „zu hemmen, zurückzuhalten oder zu beschleunigen. Er hat sein eigenes Tempo und seine eigene Tiefe“ (Janakananda 1994, 112), nichts davon soll bewusst verändert werden. Sobald ablenkende Gedanken aufkommen, sollten diese nicht wertend zur Kenntnis genommen und gleich mit der Atembeobachtung fortgefahren werden (Goenka 2001, 73).

Das Betrachtungsobjekt kann weit gefasst oder begrenzt sein (Engel 1999, 131). So gibt es den Ansatz, den gesamten Atemzyklus zu beobachten: Die Atmung im Körper wird hier im vollen Umfang genutzt, das Ein- und Ausströmen der Luft durch die Nase sowie das Erleben des Atmens in Brust- und Bauchraum (Deltz 1994, 85). Eine noch schärfere Konzentration ist gefragt, wenn der Fokus auf einen kleinen Bereich innerhalb der Nase gerichtet ist. Dann wird Empfindungen in den Nasenlöchern nachgespürt, die beim Ein- und Ausatmen entstehen. Oft wird dies als höhere Stufe der Anapana Sati verstanden, weil Empfindungen in der Nase subtiler als in der Brust oder dem Bauch sind.

Anapana Sati lässt sich als Achtsamkeitsmeditation beschreiben, da das feinsinnige Verfolgen des Atemprozess der Inbegriff der Achtsamkeit ist. Die Technik begreife ich als ein reines Praktizieren von Achtsamkeit, weil erstens im gegenwärtigen Moment verweilt wird, zweitens der Kontakt zu Körperempfindungen hergestellt wird und drittens Achtsamkeit kultiviert wird.

Anapana Sati ist Bestandteil vieler Meditationsprogramme. In der Vipassana- Meditation und den Yogasutras des Patanjali wird sie als rigoroses Konzentrationstraining eingesetzt (Goenka 2002, 72). Hier wird die Problematik der dualen Klassifizierung nochmals deutlich, da Anapana Sati beiden Dimensionen, Achtsamkeit und Konzentration, zuzuordnen ist. Sobald die Technik mühelos gelingt, wird die eigentliche Praxis gelehrt. Auch im <RJD 1LGUD, einer Übung die Tiefenentspannung herbeiführt, ist die Atemmeditation integriert (Janakananda 1994, 99). In dem vorliegenden Projekt des Meditierens mit Schülerinnen und Schülern wird alleinig Anapana angewandt.

[...]


1 URL: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/Bgbl_2012_55_836- 842.pdf?__blob=publicationFile [Letzter Zugriff: 15.04.2013].

2 URL: http://www.unicef.de/presse/2013/unicef-bericht-20130/ [15.04.2013].

3 URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/174371/umfrage/haeufigkeit-des-betreibens-von- mentalem-training-in-der-freizeit/ [15.04.2013].

4 Mehr Informationen zum Konzept und Programm: www. PHGLWDWLRQ ZLVVHQVFKDIW RUJ.

5 Die Autoren entwickelten 2006 den Freiburger Achtsamkeitsfragebogen, der international zu (Meditations-)Forschungszwecken eingesetzt wird.

6 URL:www.dvara.dhamma.org/index.php?id=dvara_vipassana&L=1 [15.04.2013].

7 URL:www.children.dhamma.org [15.04.2013].

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Résumé des informations

Titre
Achtsamkeitsmeditation im Schulalltag? Pilotstudie über die Effekte und die Realisierung von Meditationspraxis im Unterricht
Université
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
64
N° de catalogue
V288750
ISBN (ebook)
9783668326453
ISBN (Livre)
9783668326460
Taille d'un fichier
639 KB
Langue
allemand
Annotations
Konzentrationstest, Fragebogen zum Klassenklima und Meditationsanleitung sind nicht im Umfang der Arbeit enthalten.
Mots clés
Meditation, Entspannungstechnik, Achtsamkeit, Konzentrationsförderung, Schule, Atem, Anapana Sati
Citation du texte
Lissy-Marie Baumgarten (Auteur), 2013, Achtsamkeitsmeditation im Schulalltag? Pilotstudie über die Effekte und die Realisierung von Meditationspraxis im Unterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288750

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