Umwelterfahrung und Umweltaneignung durch spielerische Auseinandersetzung und Imitation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

40 Seiten, Note: Leistungsnachweis


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Spieltheorien
2.1 Der entwicklungstheoretische Ansatz von Piaget
2.2 Der handlungstheoretische Ansatz von Oerter
2.3 Ökologische Ansätze: Einsiedler, Schäfer, Heimlich

3 Der Prozess der Umweltaneignung: Entwicklungspsychologie vs. Ökopsychologie
3.1 Umwelterfahrung und Umweltaneignung
3.2 Imitation: Umweltaneignung durch Verinnerlichung
3.3 Spiel als Beitrag zur ökologischen Sozialisation

4 Spiel und Imitation als Auseinandersetzung mit der Umwelt
4.1 Spielumwelt, Spielräume und Spielsituation
4.2 Erfahrung der Umwelt im Spiel
4.2.1 Erfahrung als aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt
4.2.2 Das Erleben im Spiel
4.2.3 Empirisches Beispiel: Spielen mit Wasser
4.3 Aneignung der Umwelt im Spiel
4.3.1 Exploration, Erkundung, Erforschung
4.3.2 Umweltaneignung durch gestalterisches Spiel
4.3.3 Umweltaneignung und -gestaltung mittels Spielzeug
4.3.4 Empirisches Beispiel: Spielen mit Plastilin

5 Spielen und Kreativität
5.1 Der Gestaltungsraum der Fantasie
5.2 Exkurs: Spielen und Erzählen als Verbindung von Innen und Außen

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang: Abbildungen

1 Einführung

Seit Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beschäftigen sich Spieltheoretiker und Spielforscher zunehmend mit den konkreten Bedingungen kindlicher Spielumwelten. Durchgängiges Kennzeichen dieser Neuorientierung ist die Möglichkeit der Beeinflussung kindlicher Spieltätigkeit durch die Gestaltung der Spielumwelt (Heimlich 2001, S. 73). In der vorliegenden Arbeit soll jedoch eine ökopsychologische Perspektive der Spielforschung dargestellt und diskutiert werden, die in der Literatur bislang selten zu finden ist. Im Spiel wird nämlich auch die Fähigkeit sichtbar, sich nicht nur von der Wirklichkeit vereinnahmen zu lassen, sondern selbst zu dieser Wirklichkeit Stellung zu nehmen und eigene Spielwirklichkeiten zu entwerfen (Heimlich 2001, S. 60). Der Fokus liegt in dieser Arbeit daher weniger auf dem Einfluss der Umwelt auf das Spiel, viel mehr geht es um jene ökopsychologischen Aspekte des Spiels, die von der Erfahrung und Aneignung der Umwelt durch das Spiel und letztlich von einer interaktiven Auseinandersetzung des spielenden Kindes mit seiner Umwelt gekennzeichnet sind.

Dazu werden zuerst die für diese Arbeit interessanten theoretischen Konzepte kurz vorgestellt, wobei schon hier ein Schwerpunkt auf den neueren ökologischen Spieltheorien liegt. Für das weitere Verständnis ist es wichtig, die Prozesse rund um die Umweltaneignung zu verdeutlichen. Hier soll Umweltaneignung im Spannungsfeld von entwicklungs- und ökopsychologischen Erklärungen diskutiert werden. Im größten Abschnitt der Arbeit wird dargestellt, wie Umwelterfahrung und Umweltaneignung im kindlichen Spiel als interaktive Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt stattfindet. Dabei soll eine dezidiert ökopsychologische Perspektive entfaltet werden. Es werden die Übergänge von Nachahmung und Spiel beleuchtet und Imitation als ein Aneignungsprozess in diesem Zusammenhang betrachtet. Hauptaugemerk bleibt jedoch auf dem kindlichen Spiel. Vor allem durch die gestalterischen und kreativen Aspekte des Spiels soll dargestellt werden, wie nachhaltig spielerische Aneignung durch interaktive Auseinandersetzung mit der Umwelt sein kann. Zwei Beispiele aus der empirischen Forschung werden hierzu kurz vorgestellt. Abschließend soll auf die gestalterische Kraft der Spielfantasie als eine besondere Form symbolischer Umweltaneignung und in diesem Zusammenhang auf das erzählerische Element im Spiel eingegangen werden.

Die Ausführungen beziehen sich auf das kindliche Spiel vom Säuglings- bis zum Grundschulalter, da die Bedeutung von Spiel und Imitation als eine frühe und wesentliche Stufe eines kognitiven Entwicklungsprozesses von Umwelterfahrung und Umweltaneignung im Vordergrund steht. Diese Prozesse werden im Kontext einer ökologischen Sozialisation dargestellt.

2 Spieltheorien

Die verschiedenen theoretischen Ansätze haben zu zahlreichen Versuchen von Definitionen des Spiels geführt und rücken im Wesentlichen ihre jeweiligen Perspektiven und Aspekte in den Vordergrund. Deshalb existieren bis heute nur Teiltheorien, eine geschlossene Spieltheorie liegt hingegen nicht vor.

Der kurze Aufriss nachfolgender Konzepte soll die für diese Arbeit notwendigen Denkansätze vorstellen. In diesem Zusammenhang ist die Spieltheorie von Piaget unverzichtbar. Der Bogen spannt sich in der Folge über die handlungstheoretische Spieltheorie von Oerter zu den ökologischen Ansätzen von Einsiedler, Schäfer und Heimlich.

2.1 Der entwicklungstheoretische Ansatz von Piaget

Für Jean Piaget (1969) hat das Spiel vor allem eine kognitive Funktion in der kindlichen Entwicklung. Er überträgt seine Theorie der kognitiven Entwicklung auf die Spieltätigkeit. Piaget nimmt an, dass die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten bei Kindern in enger Beziehung zu ihren sensumotorischen Aktivitäten entsteht. Die kognitive Durchdringung der Wirklichkeit entsteht dabei durch einen Adaptionsprozess. Adaption meint eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt. Der Adaptionsprozess selbst wird zwischen den Polen Assimilation und Akkomodation angesiedelt. Akkomodation bezeichnet eine Adaption im Sinne von Anpassung des Organismus an die Umwelt, als Assimilation beschreibt Piaget hingegen jene Form von Adaption, die sich aus der Aufnahme von Umweltanregungen in den Organismus ergibt. Beide Teilprozesse treten gemeinsam auf und führen zur Herausbildung kognitiver Schemata, die wiederum in einen strukturellen Zusammenhang gestellt werden (Heimlich 2001, S. 48).

Kindliche Spieltätigkeit wird von Piaget auf der Basis dieses Adaptionsmodells interpretiert, d.h. mit Hilfe der Assimilations- und Akkomodationsprozesse dargestellt und parallel zur Nachahmung gesehen. Als Spiel bezeichnet Piaget im Wesentlichen Vorgänge, die sich auf Assimilation beziehen, also die Umwelt in sich aufnehmen und sie für diese Aufnahme adaptieren, sich diese aneignen und in das bereits Vorhandene einpassen (wozu sowohl der Intellekt als auch die bisherigen Erfahrungen gezählt werden). Überwiegt andererseits die Akkomodation d.h. der Organismus ist mehrheitlich damit beschäftigt, sich den vorgegeben Eindrücken anzupassen, so wird dieser Zustand von Piaget als Imitation beschrieben (Flitner 2002, S. 60).

Piaget (1969) hat drei Typen der Spieltätigkeit unterschieden: das Übungsspiel (Funktionsspiel), das Symbolspiel und das Regelspiel. Die verschiedenen Spielformen sind dabei jeweils Ausdruck des erreichten kognitiven Entwicklungsgrades. Für die Phase der sensumotorischen Intelligenz ist das Übungsspiel typisch, in dem einfache Verhaltensweisen reproduziert oder vorhandene Schemata miteinander kombiniert werden. In der Phase der konkreten Operationen lässt sich vor allem das symbolische Spiel als Spiel mit Vorstellungen und Symbolen beobachten. Das Regelspiel funktioniert dem Namen gemäß nach Regeln, d.h. es werden soziale oder inter-individuelle Beziehungen vorausgesetzt und in das Spiel einbezogen.

2.2 Der handlungstheoretische Ansatz von Oerter

Rolf Oerter (1999) entwickelt mit Bezug auf die aus Russland kommende Tätigkeitspsychologie eine Psychologie des Gegenstandsbezugs. Im Gegenstandsbezug, der sich auf die Präsenz von Gegenständen in der greifbar nahen Umgebung des Kindes bezieht, sieht Oerter ein Grundmerkmal allen Spielens. Aus Sicht des handlungstheoretischen Ansatzes ist das Spiel eine von vielen Tätigkeitsformen (wie Arbeiten, Lernen, Entspannen, etc.), die der Mensch zur Verfügung hat. Eine übergreifende und allgemein gültige Abgrenzung von anderen Tätigkeiten lässt sich allerdings nicht festmachen. Vielmehr bestimmt sich das Spiel aus dem jeweils situativ hergestellten Handlungsrahmen, in den nach Oerter (1999) auch ein übergeordneter Gegenstandsbezug (damit meint Oerter den unmittelbaren Alltagshandlungen übergeordnete Lebens- und Sinnmotive) aller Beteiligten eingeht (siehe dazu vor allem 4.2.1). Oerter versucht schließlich eine Kennzeichnung des Spiels anhand dreier „Tiefenmerkmale“ (Oerter 1999, S. 1):

Handlung als Selbstzweck: Dieses Merkmal umfasst zum einen das von Spielforschern immer wieder genannte Kriterium der Zweckfreiheit und zum anderen den inneren Anreiz zur Spieltätigkeit („intrinsische Motivation“).

Realitätskonstruktion: Im Spiel wird eine andere Realität konstruiert, als sie im Alltag erfahren und erlebt wird. Diese neue Realität existiert nur vorübergehend und in gegenseitiger Vereinbarung.

Wiederholung und Ritual: Wiederholung bildet die Grundlage des Lernens, da nur durch sie eine hinreichende Festigung der Erfahrung möglich ist. Rituale versetzen den Menschen aus der Alltagssituation in besondere Bewusstsein- und Erlebnislage. Gleichzeitig sorgen einschränkende Rituale (Regeln) für Geborgenheit und Sicherheit.

2.3 Ökologische Ansätze: Einsiedler, Schäfer, Heimlich

Die Erforschung des Spiels im ökologischen Kontext kann als einer der aktuellen Haupttrends in der Spielforschung identifiziert werden. Deshalb sollen in aller Kürze die für diese Arbeit interessantesten Konzepte vorgestellt werden.

Wolfgang Einsiedler (1999 ) hat das Spiel in eine systematisch-ökologische Gesamtbetrachtung eingefügt und damit den interaktiven Charakter des Spielens, wie er für das Kinderspiel charakteristisch ist, deutlich herausgearbeitet. Interaktiv bezieht sich dabei auf den Austausch mit den Menschen und mit den Dingen, die die nächste und fernere Umwelt bilden. Einsiedler unterscheidet in Anlehnung an Bronfenbrenner (1981) verschachtelte Umfeldsysteme, in denen die Interaktionen des Kindes mit Personen und Objekten eingebettet sind (vgl. 3.3): Im Mikrosystem sowie im Mesosystem lassen sich die Bedingungen und Strukturen der nahen Umgebung des Kindes, der Familie, des Alltagslebens und der Wohn- und Sachbedingungen finden. Das Makrosystem bildet danach den sozialen und ökonomischen Kontext, und schließlich das Exosystem als der gesellschaftlich-kulturelle Zusammenhang (siehe Abbildung 1 im Anhang).

Gerd Schäfer (1989) formuliert eine ökologische Spieltheorie, die im Wesentlichen aus psychoanalytischen Traditionen zu verstehen ist. Zum zentralen Terminus gerät bei Schäfer der intermediäre Bereich, der innere und äußere Dimensionen des Selbst- und Welterlebens miteinander verbindet und den Raum des Spiels bezeichnet. Die innere, subjektive Welt entfaltet sich in verschiedenen Weisen des Selbstbezugs und der Selbstentwicklung. Äußere Welt kommt durch das Spiel in vieldimensionalen Mustern mit der inneren Welt in Berührung. Der Austausch zwischen innerer und äußerer Realität bzw. zwischen der Person und der Umwelt erfolgt über den intermediären Zwischenraum. Ein Anzeichen für das Vorhandensein eines solchen Zwischenraumes ist das Übergangsobjekt, konkret fassbar als Stofftier, Schmusetuch oder sonstige Gegenstände, die Kinder gerne zum Einschlafen nehmen. Übergangsobjekte entstammen zwar der äußeren Realität, aber sie besitzen für das Kind eine subjektive Bedeutung. Durch die Ausweitung der Zahl dieser Gegenstände, die zwischen Innen und Außen platziert werden und durch die zunehmende Ausprägung der Fantasie kann das Spiel die Übergangsobjekte im intermediären Bereich ablösen. Spielen wird als intermediärer Gestaltungsprozess beschrieben, der eine vieldimensionale Verschränkung von Innen und Außen ermöglicht und in dem der Spontaneität und Kreativität des Individuums wesentliche Bedeutung beigemessen wird (Schäfer, 1989). In Übereinstimmung mit Bateson (1981) sieht Schäfer das Spiel als besonders gut geeignet an, um Transformationen aus der äußeren Realität in die innere Realität zu vollbringen. Im Unterschied zur klassischen Psychoanalyse betont Schäfer neben den innerpsychischen Anteilen der Spieltätigkeit auch die Austauschbeziehungen mit der Umwelt und die Prozesse der Transformation bzw. Fantasie zur Konstituierung des intermediären Bereichs, in dem das Spiel angesiedelt ist. Insofern kann der Beitrag von Schäfer als ökopsychologische Betrachtungsweise bezeichnet werden, da er eine „Verbindung zwischen räumlichen und innerpsychischen Aspekten des kindlichen Spiels“ (Heimlich 2001, S. 74) anstrebt.

Eine explizit ökologische Theorie des Kinderspiels hat Ulrich Heimlich (1993) konzipiert. Er weist dem Spiel insgesamt drei Ebenen zu: eine personale, eine soziale und eine ökologische. Die personale Ebene bestimmt Heimlich als die Ebene der personalen Entwicklung des Kindes. Das Kind lernt sich der Welt zu nähern und sich gleichzeitig als etwas Eigenständiges von ihr abzugrenzen. Die soziale Ebene betrifft im engeren Sinn die sozialen Interaktionen, da sich die eigenständige Wirklichkeit des Spiels auch aus den sozialen Interaktionen heraus erklären lässt. Damit wird das Spiel zur notwendigen sozialen Basis für alles nachfolgende soziale Lernen in der weiteren Entwicklung. Mit der ökologischen Ebene meint Heimlich schließlich, dass neben den personalen und sozialen Aspekten auch die Interaktion mit Spielmitteln und Spielräumen hinzutritt und damit zur Umweltinteraktion wird (Goetze 2002, S. 14). Die drei Ebenen sind insofern als Modell zu verstehen, als die personale Ebene von der sozialen umfasst wird, und diese wiederum in die „Um-Welt“ der ökologischen Ebene eingebettet ist (siehe Abbildung 2 im Anhang).

Für Heimlich (2001) wird das Spiel allerdings nicht nur von den Lebensbedingungen vereinnahmt. Eine ökologische Betrachtungsweise des Spiels ist nach seiner Ansicht bemüht, das komplexe Netzwerk von Umfeldbedingungen, in welches Spielaktivitäten eingebettet sind, bei Spielinterpretationen heranzuziehen. Es gilt daher stets, die ganze ökologische Situation der Spielenden mit in die Betrachtung des Spiels aufzunehmen. Spiel ist demnach „,diejenige Interaktion mit Objekten und Personen auf verschiedenen Umweltebenen, in deren Verlauf personal-soziale, räumlich-materielle sowie temporale Bestandteile der Umweltebenen eine fiktive Bedeutung erhalten und so zur Spielumwelt transformiert werden“ (Heimlich 2001, S. 76).

3 Der Prozess der Umweltaneignung: Entwicklungspsychologie vs. Ökopsychologie

Umweltbedingungen haben einen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Daraus resultiert, dass Umwelterfahrung und Umweltaneignung selbst Entwicklungsprozesse darstellen. Mit dieser stark abgekürzten These möchte ich zum Ausdruck bringen, dass eine entwicklungspsychologische Perspektive des Spiels den ökologischen Kontext einbeziehen muss, und umgekehrt eine Ökologie des Spiels die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse nicht untergraben darf. Insbesondere der Vorgang der Aneignung von Umwelt muss daher sowohl entwicklungs- als auch ökopsychologische Aspekte integrieren. Bevor die Prozesse der Umwelterfahrung und Umweltaneignung als Integration von entwicklungs- und ökopsychologischen Erkenntnissen vorgestellt werden, möchte ich noch kurz auf die Prozesshaftigkeit dieser Phänomene selbst eingehen, da mir die Prozessorientierung wie sie beispielsweise bei Wohlwill (1973) beschrieben ist, dafür sehr geeignet scheint. Wohlwill beschreibt Entwicklung als Veränderung und weist dabei auf den funktionalen Zusammenhang von Umweltvariablen und entwicklungsbedingt signifikanten Prozessen des Verhaltens hin. Er bezieht sich auf die Langzeitwirkungen von besonderen Umwelterfahrungen und sieht die Umwelt als eine Quelle von Reizen und Möglichkeiten für aktives Verhalten. Die Prozessorientierung dient Wohlwill aber auch dazu, Person-Umwelt-Beziehungen überhaupt interdisziplinär zu betrachten, und zwar sowohl theoretisch als auch in der empirischen Forschung (Heft, 1998).

3.1 Umwelterfahrung und Umweltaneignung

Umwelterfahrung bezieht sich in dieser Arbeit auf das von Mogel (1984) erklärte Zusammenwirken von Selbst- und Gegenstandserleben. Zur individuellen Wirklichkeit gehören das Individuum selbst und alle Gegenstände. Das können sowohl Dinge als auch Personen sein. Frühe Bewertungen durch andere bedingen, wie das Individuum sich selbst erlebt, und wie es auf diesen Erfahrungen beruhend sich selbst und die Umwelt bewertet. Durch den Bezug zu Gegenständen entwickelt sich nach und nach ein System von Erfahrungen, in dem die verschiedenen Gegenstandsbezüge organisiert sind (Mogel 1984, S. 67). Dabei kann ein Gegenstand, auf den ein Individuum bezogen ist, entweder es selbst (eigene Körperzustände wie Hunger und Durst) oder ein Bestandteil der Umwelt (z.B. eine Trinkflasche) sein. Hier wird deutlich, dass die eigenen Bedürfnisse die Erfahrungswelt von vornherein mitstrukturieren: Sie legen Zielgegenstände fest, bezüglich derer gehandelt wird und bilden damit die Grundlage der Motivation. Individuelles Selbsterleben ist also von vornherein damit verbunden, wie die äußere Umwelt erfahren und damit Bestandteil der Innenwelt wird. Das Erleben der Gegenstände hängt nach Mogel (1984) davon ab, ob und wie bereits vorhandene Umweltgegenstände auf das Individuum einwirken, ob das Individuum selbst Umweltgegenstände herstellt und wie es dabei vorgeht. Gegenstandserleben ist damit abhängig von den Einflüssen, die Individuum und Gegenstände der Umwelt aufeinander ausüben. Aus ihnen resultiert die persönliche Bedeutsamkeit der Gegenstände, weitere individuelle gegenstandsbezogene Handlungen sind darin begründet (Mogel 1984, S. 72). Der Zusammenhang von Selbst- und Gegenstandsbezug bedeutet daher, dass die innere und äußere Welt des Individuums nicht getrennt sondern nur im Zusammenhang untersucht werden dürfen. Daraus ergibt sich nach Mogel (1984) die gesamte Wirklichkeit des Individuums, die gemäß den ökopsychologischen Individuum-Umwelt-Verknüpfungen ebenso als Ganzheit zu erforschen ist. Weder die Wirkungen des Individuums auf die Umwelt noch der Einfluss der objektiven Umwelt auf das Individuum können isoliert betrachtet werden.

Wie das Individuum in Abhängigkeit von aller Erfahrung die Wirklichkeit strukturiert und welche inneren und äußeren Bedingungen des Handelns daraus entstehen, soll mit dem Prozess der Umweltaneignung dargestellt werden, der explizit die interaktive Komponente des Mensch-Umwelt-Verhälntisses bezeichnet. Aneignung bedeutet weniger die sachliche Inbesitznahme noch das Erlernen einer Fertigkeit sondern den Tatbestand, dass Menschen sich innerhalb einer relativ kurzen Zeit die Errungenschaften einer ganzen Kultur zu eigen machen können (Graumann 1990, S. 124). Der ökopsychologische Aneignungsbegriff bezieht sich also auf Verinnerlichung. Graumann (1990) unterscheidet im ökopsychologischen Konzept der Aneignung zwei Prozesse, einen a) anthropologisch-historischen Prozess der Umweltaneignung, dessen Subjekt die Menschheit insgesamt und differenziert nach ihren Kulturen ist, und einen b) psychologisch-biographischen Prozess der individuellen Aneignung, dessen Subjekt das einzelne Individuum als gesellschaftliches Wesen ist. Der Umgang mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs sowie mit kulturellen Errungenschaften wie der Sprache muss zwar von jedem einzelnen durch individuelle Erfahrungen von Versuchen und Fehlern gelernt werden, braucht aber nicht immer wieder neu erfunden, sondern kann aus der Umwelt (Personen, Gegenstände und Räume) übernommen werden, wobei diese modellhaft anleitend, korrigierend und bekräftigend mitwirkt. Aus dieser „doppelten Sozialität“ (Graumann 1990, S. 124) der Aneignung ergibt sich eine Vielzahl von Aneignungsmodalitäten, die von frühen Formen menschlicher Auseinandersetzung mit der Natur bis zu modernem Umweltschutz reichen, von ersten Versuchen des Säuglings, seine räumliche Innen- und Außenwelt zu ertasten bis zu den gestalterischen Aspekten der Personalisierung der unmittelbaren Umwelt. Die für diese Arbeit interessante Aneignungsmodalität bezieht sich auf die Umwelt von Kindern, die sich diese vor allem durch ihre Spiele aneignen und in weiterer Folge in Spielumwelten, Spielräume und Spielzeuge (siehe 4.1) ausdifferenzieren. Die spielerische Aneignung der Welt verlangt konsequenterweise eine Umwelt, die sich für das Kind anregend und herausfordernd darstellt. Umweltaneignung bezieht sich also nicht auf passive Erfahrung und Konsum, sondern kann nur dann sinnvoll stattfinden, wenn ihr Aktion und Interaktion sowie Gestaltung und Umgestaltung mittels körperlicher, geistiger und kreativer Anstrengung abverlangt wird. Eine Voraussetzung dafür ist der Umgang mit Vorstellungskraft und Fantasie, wie er im Spiel geboten und praktiziert wird (Graumann und Kruse 1998, S. 366).

3.2 Imitation: Umweltaneignung durch Verinnerlichung

Imitation oder Nachahmung bezeichnet die „Tendenz, motorische, kognitive, soziale und emotionale Verhaltensweisen eines – auch symbolischen – Vorbildes zu kopieren“ (Arnold 1987, S. 1443). Ein Verhalten wird in der Folge dann imitativ genannt, wenn eine Ähnlichkeit zwischen dem Verhalten des Modells und dem des Nachahmenden festzustellen ist und wenn eine direkte Zuordnung des Vorbildverhaltens zum Verhalten des Nachahmenden hergestellt werden kann, also alle anderen Reize und Ursachen ausgeschlossen werden können (Arnold 1987, S. 1443).

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Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Umwelterfahrung und Umweltaneignung durch spielerische Auseinandersetzung und Imitation
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Psychologie)
Note
Leistungsnachweis
Autor
Jahr
2004
Seiten
40
Katalognummer
V29031
ISBN (eBook)
9783638306584
ISBN (Buch)
9783640857616
Dateigröße
1133 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es geht um jene ökopsychologischen Aspekte des Spiels, die von der Erfahrung und Aneignung der Umwelt durch das Spiel und letztlich von einer interaktiven Auseinandersetzung des spielenden Kindes mit seiner Umwelt gekennzeichnet sind.
Schlagworte
Umwelterfahrung, Umweltaneignung, Auseinandersetzung, Imitation
Arbeit zitieren
Reinhold Stumpf (Autor:in), 2004, Umwelterfahrung und Umweltaneignung durch spielerische Auseinandersetzung und Imitation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29031

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