Prozesse und Motive von Stadt-Umland-Wanderungen untersucht am Beispiel von Duisburg


Epreuve d'examen, 2001

117 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Einführung in das Thema
1.2 Problemstellung

2 Erklärungsansätze für Stadt-Umland-Wanderungen
2.1 Makroansätze
2.2 Verhaltenstheoretische Ansätze
2.3 Synthese der Ansätze und Bedeutung für die empirische Untersuchung
2.4 Allgemeine erkenntnisleitende Hypothesen

3 Eine allgemeine Standortbestimmung: Wanderungen in die und aus den Oberzentren seit Ende der 80er Jahre

4 Bevölkerungsentwicklung Duisburgs 1989-1999
4.1 Gesamtentwicklung des Einwohnerbestandes
4.2 Natürliche Bevölkerungsentwicklung
4.3 Wanderungen
4.4 Herkunft und Ziele der Wandernden
4.4.1 Wanderungen nach Strukturmerkmalen
4.5 Einwohnerentwicklung und Wanderungsbilanzen in den Duisburger Stadtbezirken
4.6 Zusammenfassung
4.7 Abgrenzung des Duisburger Umlands

5 Konzeption der Befragung
5.1 Forschungsleitende Hypothesen
5.2 Auswahl des Erhebungsinstruments
5.3 Konzeption des Messinstruments und Operationalisierungen
5.4 Pretests und Durchführung der Befragung
5.5 Grundgesamtheit, Stichprobe und Rücklaufquote

6 Wanderungsmotive ehemaliger Duisburger
6.1 Vorbemerkungen zur Statistischen Analyse des erhobenen Datenmaterials
6.2 Strukturelle Merkmale der fortgezogenen Haushalte
6.2.1 Altersstruktur
6.2.2 Typen fortgezogener Haushalte
6.2.3 Einkommen der Haushalte
6.3 Ziele und Herkunft der Gewanderten
6.3.1 Zielortpräferenzen der Haushalte – Überblick
6.3.2 Zielregion in Abhängigkeit vom Alter
6.3.3 Zielregion in Abhängigkeit vom Haushaltstyp
6.3.4 Haushalte mit Kindern unter 18 in den Zielregionen
6.3.5 Herkunft der Haushalte nach Stadtbezirken
6.3.6 Wanderungsströme aus den Stadtbezirken in die Nachbargemeinden
6.4 Weiterhin bestehende Beziehungen der Haushalte zu Duisburg
6.5 Eigentum und Miete
6.5.1 Suche nach geeignetem Wohnraum in Duisburg
6.5.2 Mieter und Eigentümer in den Zielregionen
6.5.3 Die Bildung von Eigentum nach strukturellen Merkmalen der Haushalte
6.5.4 Bewohnte Haustypen vor und nach dem Umzug
6.6 Motive für den Fortzug
6.6.1 Zufriedenheit mit dem alten und dem neuen Wohnstandort
6.6.2 Das Hauptmotiv für den Fortzug
6.6.3 Weitere Motive für den Fortzug
6.6.4 Hauptmotive nach Herkunftsort
6.6.5 Hauptmotive nach Zielregion
6.6.6 Hauptmotive nach Haushaltstyp
6.6.7 Hauptmotive des Fortzugs der ehemaligen Duisburger Eigentümer
6.6.8 Zusätzliche Motive der Käufer von Wohneigentum
6.7 Bewertung des neuen Wohnortes im Vergleich zu Duisburg

7 Zusammenfassung wesentlicher Untersuchungsergebnisse
7.1 Räumliche Muster und Umfang der Stadt-Umland-Wanderungen im Raum Duisburg, soziostrukturelle Merkmale der Migranten
7.2 Motive des Fortzugs

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Verzeichnis der Karten

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einführung

1.1 Einführung in das Thema

Die Raumentwicklung in Deutschland wird seit Jahrzehnten durch Suburbanisierung und Siedlungsdispersion in entscheidendem Maße geprägt. Dabei waren es quantitativ seit Anfang der 60er Jahre vor allem Stadt-Umland-Wanderungen der Wohnbevölkerung, die das Umland immer stärker suburbanisierte und verdichtete. Die Wachstumsraten der Städte lagen zwischen 1961 und 1970 bei lediglich 1,1 %, während das Umland Steigerungsraten von bis zu 22,3 % aufwies (Häußermann 1987: 25). Die Suburbanisierung des Einzelhandels und der Industrie wird dabei als Folgeentwicklung der Bevölkerungssuburbanisierung interpretiert.

Als Resultat der Dekonzentrationsprozesse können in den Stadtregionen die Ausweitung der Siedlungsfläche, die sozioökonomische Entmischung der Bevölkerung und die Zunahme von Pendlerbewegungen, ausgelöst durch die räumliche Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten sowie Versorgen (vgl. Burdack 1998: 26f) ausgemacht werden.

Die dynamische Bevölkerungsbewegungen seit den 60er und 70er Jahren im Umland der Kernstädte wurde in der Forschungsliteratur eingehend thematisiert. Entsprechende Gründe für die Bevölkerungsbewegungen aus den Städten in das Umland wurden herausgearbeitet (vgl. hierzu Burdack 1998: 26 und Heuer 1978: 31). Zu nennen sind hier

- der ökonomische Konzentrationsprozess und die damit einhergehenden Verdichtungsformen mit entsprechenden Konsequenzen hinsichtlich der Umweltqualität in den Städten und Verdrängungsprozessen von Wohnbevölkerung
- gewachsener Wohlstand und gestiegene Einkommen der Haushalte, worauf der Wunsch nach größerem und besser ausgestattetem Wohnraum in entsprechendem Wohnumfeld folgte, der für einen Teil der Bevölkerung in Form von „Einfamilienhäusern im Grünen“ finanzierbar wurde,
- in diesem Zusammenhang ist der (damals) unzureichende und mangelhafte Wohnraumbestand (Altbaubestand) in den Städten anzuführen sowie
- der angestiegene Motorisierungsgrad der Bevölkerung. Mit dem wachsenden Einkommen ging eine zunehmende Motorisierung der Bevölkerung einher, die den Fortzug in das Umland begünstigte. Der Ausbau des ÖPNV und des Straßennetzes trugen ebenfalls hierzu bei.

Nach dieser Hochphase der Suburbanisierung war ein Abflachen der Umlandwanderungen seit Mitte/Ende der 70er Jahre zu verzeichnen. In der Stadtplanung erfolgte ein Perspektivwechsel. Man konzentrierte sich zunehmend auf die Aufwertung der (Innen-) Städte und generelle Maßnahmen zur Stadtgestaltung sowie Stadtumbau und hoffte auf positive Entwicklungsschübe (Knoche 1987: 723). Das Thema „Stadt-Umland-Wanderung“ verschwand in den 80er Jahren mehr und mehr aus der politischen und fachwissenschaftlichen Diskussion.

Trotzdem setzten sich die Entwicklungen abgeschwächt an den Rändern der Stadt und vor allem darüber hinaus fort. Der klassischen Suburbanisierung im „Ergänzungsraum“ folgte das Wachstum jenseits „Suburbia“ , so dass die Suburbanisierung der 60er und 70er Jahre als eine Phase der Stadtentwicklung interpretiert werden kann, der weitere Phasen folgten.

Die Grenze des Umlandes wurde so seit Mitte der 70er Jahre weiter nach außen verschoben und auch das hochverdichtete Umland musste neben den Kernstädten Bevölkerungsverluste hinnehmen (Burdack 1998: 27). Dem Prozess der Suburbanisierung folgte die Deurbanisierung, also die Verlagerung des Bevölkerungswachstums in den jenseits des suburbanen Gürtels liegenden ländlicheren Raum, bzw. in den weniger stark verdichteten Teil des Umlandes.

Aring (1999) spricht in diesem Zusammenhang von einer Polarisierung zwischen Kernstadt und Umland (Speckgürtel Umland gegenüber der Armutsinsel Kernstadt) einerseits, anderseits zeigten sich aber zunehmend auch unübersehbare Tendenzen einer abgeschwächten Polarisierung innerhalb des Umlandes ab.

Das das Thema seit Begin der 90er Jahre erneut große Beachtung findet, liegt in den Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit begründet: Die Kernstädte verzeichneten seit Ende der 80er Jahre zwar generell Bevölkerungszuwächse als Folge regen Zuzugs aus dem Ausland, seit Mitte der 90er Jahre jedoch müssen sie durch steigende negative Wanderungssalden gegenüber dem Umland und einer Abschwächung der internationalen Zuwanderung Bevölkerungsverluste hinnehmen (Aring 1999: 13). Herfert zufolge verloren die deutschen Oberzentren zwischen 1993 und 1995 rund 880.000 Personen an ihre Umlandgemeinden, was den neuen Trend der Stadt-Umland-Wanderung deutlich belegen dürfte (Herfert 1998: 763).

Generell lässt sich die neue und aktuelle Bedeutung des Themenkomplexes anhand zahlreicher Bearbeitungen der Fachöffentlichkeit feststellen. Die nachfolgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch zeigt die Auswahl deutlich, dass das Thema Stadt-Umland erneut zu aktuellem Diskussionsstoff der Fachöffentlichkeit und Gegenstand empirischer Untersuchungen geworden ist:

- Zahlreiche Kommunen führten empirische Untersuchungen zu den Prozessen und Motiven der Stadt-Umland-Wanderung durch. Zu nennen sind hier beispielsweise folgende Berichte:
- Stadt Hagen (1998): Warum wir gingen. Ex-Hagener geben Auskunft,
- Stadt Münster (1995): Die Wanderungsverflechtungen der Stadt Münster,
- Stadt Karlsruhe (1998): Motive der Stadt-Umland-Wanderung in der Region Karlsruhe 1997,
- Stadt Karlsruhe (1995): Die Verstädterung in der Stadtregion Karlsruhe – Folgen für die Stadt und Regionalentwicklung,
- Stadt Essen (1999): Bevölkerungsbewegen. Entwicklungen und Ursachen, Wanderungsmotive,
- Landeshauptstadt Hannover (1994): Wanderungen zwischen Stadt und Landkreis Hannover,
- Stadt Dortmund (1998): Wohnortwechsel und Wegzugsgründe,
- Gewos (1996): Umlandwanderung in der Region Bremen.

- Einzelne Veröffentlichungen setzen sich mit der Problematik intensiv auseinander, wobei vor allem auch die Entwicklungen in den neuen Länder großes Interesse finden:
- Einzelne Themenhefte aus der Reihe „ Informationen zur Raumentwicklung“ ( 7/8 1998: „Stadt-Landschaft“, 4/5 1996: „Stadt-Umland-Beziehungen“, 11/12 1998: „Wanderungen – regionale Strukturen und Trends“).
- Im Sommersemester 1997 fand an der Technischen Universität Hamburg-Harburg im Studiengang Städtebau/Stadtplanung eine hochschulöffentliche Vortragsreihe unter dem Titel „ Die unaufhaltsame Auflösung der Stadt in die Region“ statt. Die Ergebnisse wurden im neunten Band der Harburger Berichte zur Stadtplanung zusammengetragen.
- Unter dem Titel „Stadt, Umland, Region“ wurden einzelne Berichte zu den Entwicklungen und Konfliktfeldern im Raum Hamburg, Bremen und Hannover verfasst (Mensing 1997).
- Im Oktober 1997 veranstaltete das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einen Kongress zum Thema „Die Zukunft der Stadtregionen“ (BMBau 1998).
- Jürgen Aring beschäftigt sich in seinem Band „Suburbia -Postsuburbia - Zwischenstadt „ mit der Wohnsiedlungsentwicklung im Umland der großen Städte (Aring 1999).

Aus gegebenen Anlass soll daher in Kapitel 3 kurz der aktuelle Trend der Wanderungsbewe-gungen in die und aus den Oberzentren der Bundesrepublik kurz umrissen werden, bevor auf die spezielle Situation in Duisburg eingegangen werden soll.

1.2 Problemstellung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den aktuellen Prozessen der Stadt-Umland-Wanderung im Raum Duisburg. Dabei stehen vor allem die Motive, die sich hinter der Stadt-Umland-Mobilität der aus der Kernstadt abwandernden Haushalte verbergen, im Vordergrund des Interesses.

Durch die in Deutschland gut ausgebaute amtliche Wanderungsstatistik können Angaben über Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Ziel- bzw. Herkunftsgebiete der Migranten ausgewertet werden. Sowohl die Kommunen selbst als auch die Landesämter verfügen über ausgereifte und zugängliche Datenbanken. Jedoch können mit Hilfe dieser Statistiken keine Rückschlüsse auf die Einflussgrößen der Wohnmobilität gezogen werden. Weder sozioökonomische Merkmale oder Informationen zum Wohnbereich, noch die zur Entscheidung der Wanderung führenden Motive sind festgehalten. Um Informationen über eventuelle Faktoren der Wohnmobilität zu erhalten, ist man auf empirische Untersuchungen, etwa Befragungen der bereits Fortgezogenen (retrospektive Untersuchungen) oder zu potentieller Wanderungen der Bevölkerung, angewiesen. Hierdurch können detaillierte Informationen hinsichtlich des Ausmaßes, der Gründe und Entscheidungszusammenhänge von Wanderungen sowie wichtige Aspekte der sozioökonomischen Zusammensetzung der mobilen Bevölkerung herausgearbeitet werden.

Letztlich leisten empirische Untersuchungen zur Wohnmobilität einen wertvollen Beitrag zur Stadtentwicklung. Aus den gewonnenen Erkenntnissen können entsprechende Handlungsbedarfe abgeleitet und gezielte Maßnahmen ergriffen werden.

So ist die vorliegende empirische Untersuchung das Ergebnis eines Forschungsauftrages, den die Stadt Duisburg im Sommer 2000 an das Geographische Institut der Universität Duisburg herantrug.

Aufgrund der Wanderungsbewegungen der Bevölkerung aus der Ballungskernstadt Duisburg in das Umland (siehe Kapitel 4) werden selektive Rückwirkungen mit entsprechenden Folgeproblemen befürchtet. Damit einher geht die Frage nach eventuellen stadtplanerischen Maßnahmen, die eine Fortsetzung der bereits angedeuteten und in späteren Kapiteln näher beschriebenen Entwicklungen eindämmen bzw. zum Teil verhindern.

Über Wanderungsprozesse der Bevölkerung aus der und in die Stadt Duisburg liegt zwar sekundärstatistisches Datenmaterial vor, auch existieren einige Untersuchungen anderer Kommunen zu dem Phänomen gegenwärtiger Stadt-Umland-Wanderungen, doch über die Motivkonstellationen der Duisburger Stadt-Umland-Wanderer liegen keine detaillierten Informationen vor.

Durch eine retrospektive Befragung der fortgezogenen Haushalte sollten hinreichende Erkenntnisse über die Stadt-Umland-Wanderung der Duisburger Bevölkerung gewonnen werden. Der Anspruch der vorliegenden empirischen Untersuchung, Einflussfaktoren der individuellen Wanderungsentscheidung der Haushalte zu untersuchen, basiert dabei auf den zentralen Inhalten handlungstheoretischer Ansätze der Wanderungsforschung. Allerdings wird die handlungstheoretische Perspektive teilweise in der Form erweitert, als sie mit objektiven Rahmenbedingungen innerhalb des Untersuchungsraumes verknüpft wird (siehe Kapitel 2).

Die Auswertung des empirischen Datenmaterials bietet vor allem für städtische Planung Ansatzmöglichkeiten zur gezielten Intervention. Erst die Kenntnis darüber, warum Bevölkerung aus der Kernstadt in das Umland zieht, ermöglicht es den Entscheidungsträgern der Politik und Verwaltung mögliche Maßnahmen zu ergreifen. Hierzu soll die empirische Untersuchung beitragen, indem versucht wird, die hinter der Wanderung stehenden Motive und Einflussgrößen aufzuzeigen. Besondere Aufmerksamkeit wurde daher in der Anlage des Erhebungsinstruments vor allem den wohnungs- und wohnumfeldbezogenen Determinanten geschenkt, da hier bedeutende Einflussfaktoren, die zur Abwanderung führten, vermutet werden.

2 Erklärungsansätze für Stadt-Umland-Wanderungen

Die Wohnung als privater Raum stellt einen „örtlich gebunden Aktions- und Lebensraum“ dar, der sich nur begrenzt individuell gestalten lässt. Um eine den Bedürfnissen und Anforderungen entsprechende Veränderung der Wohnsituation vorzunehmen, ist zumeist ein Wohnungswechsel die einzige Alternative, da am aktuellen Wohnort in den meisten Fällen nur wenige Möglichkeiten bestehen, die Situation zu beeinflussen (vgl. Schneider 1999: 63).

Wanderung kann in diesem Zusammenhang allgemein als eine aktive, nutzenorientierte Bedürfnisrealisierung einer Person oder eines Haushaltes verstanden werden. Wohnmobilität spielt also eine zentrale Rolle für die Realisierung von Bedürfnissen an Wohnung oder Wohnumfeld. Sie kann Folge einschneidender Ereignisse im Lebensverlauf, wandelnder Anspruchsniveaus, zwingender externer Umstände oder veränderter Rahmenbedingungen sein.

Die Auseinandersetzung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen mit Umfang, der Richtung sowie den Ursachen räumlicher Mobilität brachte eine ganze Reihe empirischer und theoretischer Ansätze und Modelle zur Erklärung hervor. Frick spricht in diesem Zusammenhang von einem „Nebeneinander“ einzelner „Partialmodelle“ (vgl. Frick 1996: 27). Im Wesentlichen jedoch können vor allem Mikro- von Makroansätzen unterschieden werden.

Gemäß Makroansätzen liegen dem Wanderungsverhalten einzelne objektive, strukturelle Bedingungen zu Grunde. Wanderung wird hier durch existierende Ungleichheiten, etwa ökonomischer oder sozialer Natur, zwischen raumbezogenen Systemen ausgelöst. Daher wird auch zwischen einem „Abgabe-“ und „Aufnahmesystem“ bzw. einer „Herkunfts-„ und „Zielregion“ differenziert (vgl. Wagner 1989: 20, Bähr 1992: 297). Wanderungen werden hiernach generell als kollektive Reaktion homogen handelnder Individuen verstanden (vgl. Frick 1996: 40).

Mikroansätzen zufolge wird Wanderung hingegen als ein Resultat eines Entscheidungsprozesses von Personen oder Haushalten interpretiert. Der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung der Umwelt durch den Akteur kommt hierbei die entscheidende Rolle zu. Sie werden daher oftmals auch als verhaltensorientierte Ansätze bezeichnet, was die zentralen Aussagen der theoretischen Überlegungen stärker unterstreicht.

Im Folgenden sollen zunächst wichtige Aussagen der Makro- und der Mikroansätze umrissen werden, bevor in einem weiteren Schritt die untersuchungsrelevanten Inhalte der Ansätze zu einem synthetischen Ansatz vereint und allgemeine forschungsleitende Hypothesen formuliert werden.

2.1 Makroansätze

Neben den klassischen Distanz- und Gravitationsmodellen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, wurden zur Erklärung von Wanderung vor allem Ansätze herangezogen, die einen Zusammenhang zwischen den Wanderungsbewegungen (Richtung und Stärke) und der sozioökonomischen Struktur im Herkunfts- und Zielgebiet herstellen. Hiernach werden Wanderungsströme durch Pushfaktoren (abstoßende Kräfte) im Herkunfts- und Pullfaktoren (anziehende Kräfte) im Zielgebiet determiniert (vgl. Bähr 1992: 297)

In klassischen makro-ökonomischen Modellen beispielsweise wird Wanderung aufgrund von Entlohungsunterschieden oder auch von vorherrschenden Differenzen im Arbeitsplatzangebot zwischen Regionen zu erklären versucht. Dabei wird dem Individuum eine rationale Kosten-Nutzen-Berechnung unterstellt.

Der auf das Wanderungsverhalten bezogene Erklärungsgehalt der auf Makroebene argumentierenden, deterministischen Ansätze ist insgesamt vergleichsweise gering. Zwar können mit Hilfe von Aggregatdaten Stärke und Richtung von Wanderungsströmen beschrieben werden. Bestimmte soziökonomische Bedingungen im Herkunfts- und Zielgebiet werden hier in Form abstoßender und anziehender Kräfte lediglich in Beziehung zu einer „aggregierten, wandernden Masse“ gesetzt. Jedoch bleibt das individuelle Verhalten, bestimmt durch persönliche Wertmaßstäbe, Bewertungen, Erwartungen und Motive, sowie die Selektivität von Wanderung unberücksichtigt. Hinzu kommt, dass lediglich einzelne gesellschaftliche Determinanten Gegenstand der Ansätze oder Modelle sind, etwa regionale Disparitäten im Erwerbsbereich bzw. Arbeitsmärkten oder hinsichtlich des Wohnungsmarktes. Natürliche oder physikalische Umweltbedingungen sind beispielsweise weitgehend ausgeklammert, obwohl gerade hier Determinanten, die die Wohnstandortwahl der Akteure beeinflussen, zu finden sind. Letztlich endet die Wohnortsuche hiernach an einem optimalen Standort unter der Annahme, dass die mobile Bevölkerung sich der Theorie nach rational - entsprechend eines Nutzenmaximierungsverfahrens - verhält.

Diese Erklärungsversuche sind in Fachkreisen heftig kritisiert worden, da sie das Wanderungsverhalten generell auf einen Nutzenmaximierungsprozess der Migranten zurückführten, ohne die durch Mikrodaten belegen zu können (vgl. Frick 1996: 32). Hinzu kommt, dass durch die Reduktion auf sozistrukturelle Determinanten anders motivierte Wanderung unberücksichtigt bleibt.

2.2 Verhaltenstheoretische Ansätze

Die zur Erklärung von Wanderung (bzw. Wohnortwechseln) entwickelten Mikroansätze haben den Akteur und seine Wahrnehmung, Vorstellungen sowie das Verhalten im Blickfeld des Interesses. Einzelne Merkmale der Persönlichkeit werden hierbei als Erklärungsfaktoren angesehen; es handelt sich um eine verhaltenstheoretische Perspektive, die Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen und Motive der mobilen Individuen untersucht und interpretiert.

Hiernach analysiert eine Person (oder Haushalt) zunächst den gegenwärtigen „Wohnzustand“ (Ist-Zustand), der sowohl die Wohnung als auch die Wohnumgebung betreffende Aspekte beinhaltet. Neben diesen Aspekten können jedoch auch Faktoren von Bedeutung sein, die nicht in Zusammenhang mit der Wohnung oder dem Wohnumfeld stehen. Vor allem sind hier die Bereiche Ausbildung – Arbeit, Freizeit und das Familienleben anzuführen. Als Messlatte gelten jeweils die aktuellen bzw. zukünftigen Wohnbedürfnisse der jeweiligen Person.

Geht man von einem Wohngleichgewicht, also einem Zustand ausreichender Befriedigung der Wohnbedürfnisse aus, so stellt sich bei negativer Bewertung der Wohnsituation bzw. bei mangelnder Bedürfnisbefriedigung ein Ungleichgewicht ein, was sich schließlich in Wohnunzufriedenheit äußert und impliziert die Vorstellung von einem Soll-Zustand, der den Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Grundsätzlich hat der Akteur mehrere Möglichkeiten, dieser Unzufriedenheit zu begegnen und einen akzeptablen (Soll-) Zustand herzustellen. Zu nennen sind hier vor allem

- die Herabsetzung des Ziel- und Bedürfnisniveaus,
- die Möglichkeit, negativen Faktoren entgegenzuwirken und
- die Realisierung eines Wohnortwechsels.

In Anlehnung an Wagner (1989) sind hierbei als wesentliche Komponenten des Entscheidungsprozesses folgende zu berücksichtigen:

a) Die Motivation

Sie bezeichnet im Mobilitätszusammenhang „den Anreizwert einer Zielsituation für den Akteur“. „Der Anreizwert hängt ab von Art und Ausmaß der jeweiligen Bedürfnisse oder Motive und der diesbezüglichen Bewertung der einzelnen Elemente der Zielsituation“ .

b) Der Wissens- und Kontrollaspekt

Umrissen ist hiermit die Erwartung eines handelnden Individuums, dass eine Handlung in eine nächste Situation führt. Der Akteur geht davon aus, dass er in der Lage ist, die Handlung durchzuführen, die zur jeweiligen nächsten Situation (Ziel) führt. Es handelt sich letztlich um ein „generalisiertes Vertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Tuns, in die Kontrollierbarkeit der Umgebung (...)“ (Esser 1980: 183). Der Selbsteinschätzung der handelnden Person kommt damit ein hoher Stellenwert zu. Im Vorfeld der Handlung muss dem Akteur klar sein, dass er sich in der folgenden Situation zurechtfindet. Durch Antizipation möglicher Handlungen, beispielsweise des Wohnortwechsels, können vor einer konkreten Handlung verschiedene Möglichkeiten durchgespielt werden, bevor es zur eigentlichen Entscheidung kommt.

Als mobilitätsfördernd kann in diesem Zusammenhang Risikobereitschaft in Bezug auf das eigene Handeln angesehen werden.

c) Der Kostenaspekt

Grundsätzlich kann angenommen werden, dass durch Mobilität Kosten entstehen. Wanderung wird nicht um ihrer selbst Willen vollzogen, sie wird dann ausgeführt, wenn zum Erreichen der gewünschten Zielsituation subjektiv annehmbare (monetäre und nicht-monetäre) Kosten entstehen.

Der Entscheidung zugunsten eines Wohnortwechsel folgt die Auswahl des zukünftigen Wohnstandorts. Dabei wird der Ist-Zustand mit möglichen Standortalternativen verglichen. Das Ergebnis – die Wahl des Zielortes – hängt dabei von den persönlichen Präferenzstrukturen ab. Einzelne Standortfaktoren werden hierbei unterschiedlich gewichtet oder werden erst gar nicht berücksichtigt.

Generell ist bei der Analyse von Wohnortwechseln zu berücksichtigen, dass der Entscheidung der Akteure ein besonderes Verfahren der Wohnstandortsuche zu Grunde liegt.

Da es sich bei der Suche nach Wohnraum um eine höchst komplexe Entscheidungssituation handelt, neigen die Akteure dazu, eine reduzierte und vereinfachte Lösungsstrategie zu entwickeln, in der Literatur auch als "heuristisches Verfahren" bezeichnet. Im Wesentlichen versuchen die Akteure, die Entscheidung auf wenige überschaubare aber zugleich subjektiv wichtige Dimensionen zu reduzieren. Hinzu kommt eine eingeschränkte Informationsgrundlage über mögliche Wohnstandortalternativen. Schon aufgrund zeitlicher Beschränkung ist von einer unvollkommenen Marktinformation auszugehen. Die Entscheidungsträger sind also nicht in der Lage, die Wanderungsentscheidung absolut zu optimieren. Dennoch ist diese Vorgehensweise erfolgreich, wenn so eine akzeptable Lösung gefunden wird, die das Wohngleichgewicht wieder herstellt.

In der Praxis wird ein Haushalt relevante Standortfaktoren der Wichtigkeit nach unterscheiden. Wie bedeutend ein Faktor für einen Akteur ist, hängt dabei im Wesentlichen vom Typ des Haushalts bzw. dem Stand innerhalb des Lebenszyklus ab, was sich in entsprechenden Bedürfnisstrukturen äußert. Eine Kleinfamilie mit einem Kind wird beispielsweise andere Ansprüche an die Wohnung stellen als etwa ein zwanzigjähriger Student.

Lebenszyklusansätze[1] argumentieren, dass sich bestimmte Ereignisse im Lebenslauf auf das Wanderungsverhalten von Personen oder Haushalten auswirken. Zu nennen sind hier einerseits berufliche Ereignisse wie etwa die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums, das Ende einer Ausbildungsphase, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder der Übergang in den Ruhestand, andererseits spielen daneben aber auch familienbezogene Aspekte wie der Auszug bei den Eltern, Heirat, Trennung, Scheidung oder die Geburt eines Kindes eine bedeutende Rolle.

So ist beispielsweise bei Familienhaushalten zu beobachten, dass die Geburt eines Kindes den Wohnflächenbedarf schlagartig steigert, was sich auf die Wahrnehmung der Räumlichkeit und somit auf die allgemeine Zufriedenheit mit der Wohnsituation auswirkt, schließlich sogar zu einer Umzugsentscheidung führen kann. Andersherum jedoch ist eine Wanderung unwahrscheinlich, wenn die Kinder eines Haushalts bereits an die Institution Schule und somit örtlich gebunden sind. Umzuge finden dann eher vor der Einschulung oder mit dem Wechsel des Kindes auf eine höhere Schule nach den Grundschuljahren statt.

Die Entscheidung über den neuen Wohnstandort ist insgesamt also erstens ein Ergebnis eines Reduktionsprozesses relevanter Aspekte auf nur wenige Dimensionen und zweitens steht sie in Abhängigkeit der bedürfnisspezifischen Wahrnehmung von Wirklichkeit, die durch Art und Umfang an Informationen über Entscheidungsalternativen determiniert wird. Die Suche nach Standortalternativen ist dabei abhängig von objektiven Rahmenbedingungen, die jedoch erst durch „individuelle Perzeption“ Gültigkeit erlangen oder erst gar nicht wahrgenommen werden (Frick 1996: 69).

2.3 Synthese der Ansätze und Bedeutung für die empirische Untersuchung

Dem Vorwurf, dass sich verhaltenstheoretisch ausgerichtete Wanderungsanalysen im Einzelfall verlaufen und wenig Möglichkeit zu Verallgemeinerung bieten, kann begegnet werden, indem räumliche Mobilität in der Form systematisiert wird, dass individuelle Merkmale der Akteure mit Merkmalen, die im regionalen Kontext stehen, verknüpft werden (vgl. Wagner 1989: 59).

Diesen objektiven Faktoren kann aber eben nur dann ein besonderer Erklärungsgehalt beigemessen werden, wenn sie handlungstheoretisch rekonstruierbar sind, beispielsweise über Befragungen der Akteure operationalisiert werden können (vgl. Wagner 1989: 24)

Makroansätze können anders herum eine Erweiterung dadurch erfahren, dass der relevanten Größe, nämlich der Wahrnehmung durch die Individuen, Rechnung getragen wird. Insofern stellt die zusammengefasste Bevölkerung keine homogene Masse mehr dar, sondern vielmehr ein Sammelsurium individuell Handelnder, die ähnlich jedem anderen auf ein entsprechendes Faktorenbündel im Ziel- und Herkunftsgebiet mit Wanderung reagieren (vgl. Frick 1996: 54). Hier bietet sich eine gruppenspezifische Modellierung insofern an, als etwa Altersgruppen oder Haushaltstypen innerhalb der gesamten Gruppe der Wandernden unterschieden werden.

Die folgende empirischen Untersuchung stützt sich im Wesentlichen auf die zuvor beschriebenen Inhalte verhaltensorientierter Ansätze zur Erklärung von Wanderung, da sie besser geeignet zu scheinen, Wanderung und vor allem das Wanderungsverhalten und sich dahinter verbergende Determinanten zu erklären. Allerdings erscheint es notwendig, eine Brücke zwischen den komplementären Mikro- und Makroansätzen zu schlagen, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass externe Rahmenbedingungen wie etwa die Begebenheit auf regionalen Wohnungsmärkten durchaus von den Entscheidungsträgern wahrgenommen werden und mitunter als Pullfaktor Einfluss auf die Standortwahl haben können.

Diesen Überlegungen soll in der folgenden Analyse der Stadt-Umland-Wanderungen im Raum Duisburg Rechnung getragen werden. Bezogen auf den Wohnungsmarkt bedeutet dies vor allem, zu untersuchen, ob die Befragten vorliegende Preisunterschiede innerhalb des Wanderungsumfeldes der Stadt Duisburg wahrgenommen und diesem Faktor während ihres Entscheidungsprozesses eine besondere Bedeutung beigemessen haben[2].

2.4 Allgemeine erkenntnisleitende Hypothesen

In Anlehnung an die in den vorherigen Kapiteln diskutierten theoretischen Annahmen sollen folgende, erkenntnisleitende Hypothesen formuliert werden.

- Die Bewertung der aktuellen Wohnsituation (Ist-Zustand) erfolgt nach persönlichen Präferenzstrukturen. Die Bewertung kann hierbei über die Zufriedenheit mit dem Wohnort operationalisiert werden. Starke Unzufriedenheit kann hierbei als besonders mobilitätsfördernd angesehen werden. Bemerkt sei jedoch, dass der Anreizwert einer Zielsituation von Motiven abhängig sein kann, die nicht in Zusammenhang mit der Wohnung oder dem Wohnumfeld stehen. Ein Wohnortwechsel aufgrund persönlicher oder beruflicher Motive muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine allgemeine Unzufriedenheit in Bezug auf den alten Wohnort vorherrschte.
- Die Suche nach Wohnraum ist abhängig von externen Rahmenbedingungen und kann sich auf den individuellen Entscheidungsprozess auswirken, sofern sie von den Akteuren wahrgenommen werden und von Relevanz sind.
- Je nach persönlichen Bewertungskriterien wird die Verbesserung der Wohnsituation, besonders hinsichtlich bestimmter wohnungs- oder wohnumfeldbezogener Faktoren angestrebt. Dabei werden entsprechende Erwartungen an den zukünftigen Wohnort gestellt. Der Wohnortwechsel selbst stellt eine positive Handlungsalternative dar, die in einer Verbesserung der Wohnsituation mündet und kann über eine vergleichende Bewertung des alten mit dem neuen Wohnort operationalisiert werden („indirekte“ Messung des Nutzens).

3 Eine allgemeine Standortbestimmung: Wanderungen in die und aus den Oberzentren seit Ende der 80er Jahre

Wie bereits in der Einführung angedeutet, ist das Thema Stadt-Umland-Wanderung in den 90er Jahren erneut in den Brennpunkt politischer und fachwissenschaftlicher Diskussion gerückt, nachdem man in den 80er Jahren annahm, das Problem habe sich verflüchtigt.

In diesem Kapitel soll der aktuelle Trend als allgemeine Standortbestimmung kurz umrissen werden, bevor sich die nachfolgenden Kapitel mit der konkreten Entwicklung im Raum Duisburg beschäftigen, und die Befragungsergebnisse vorgestellt werden sollen.

So wurde die Bevölkerungsentwicklung in den Städten der Bundesrepublik in der jüngsten Vergangenheit wesentlich und nachhaltig durch internationale, intra- sowie interregionale Wanderungsbewegungen der Bevölkerung bestimmt.

Westdeutsche Städte konnten auf der einen Seite einen hohen Zugewinn an Bevölkerung durch Zuwanderung von Ausländern besonders seit 1987, auf der anderen Seite durch Binnenwanderung von Ost- Richtung Westdeutschland in Folge der Wiedervereinigung bis Mitte der 90er Jahre verzeichnen. Durch die ausgeprägten interregionalen Wanderungen verloren dabei Städte der neuen Länder entsprechend hohe Anteile ihrer Bevölkerung während dieser Periode. Beispielsweise musste Leipzig zwischen 1988 und 1996 eine negatives Saldo von rund 100.000 Personen hinnehmen. Insgesamt verließen zwischen 1991 bis Mitte 1998 rund 1,4 Mio. Ostdeutsche die neuen Länder Richtung alte (vgl. Maretzke 1998: 746). Zudem wird die Situation durch den vergleichsweise geringen Anteil ostdeutscher Städte an den Außenwanderungsgewinnen verstärkt. Da sich die zuwandernde ausländische Bevölkerung vornehmlich auf die alten Bundesländer konzentrierte, konnten die Wanderungsverluste aus den interregionalen Wanderungen nicht kompensiert werden (vgl. Neumann 1997: 86).

Insgesamt zogen in den Jahren von 1991 bis 1996 knapp 7,1 Mio. Personen aus dem Ausland in die Bundesrepublik, während 4,3 Mio. ins Ausland zogen. Per Saldo ein Gewinn von 2,8 Mio. Einwohnern (vgl. Maretzke 1998: 744).

Der Verlust an Bevölkerung wurde in den Städten der neuen Länder seit 1993 jedoch weniger durch Ost-West-Wanderungen als vielmehr durch Stadt-Umland-Wanderungen verursacht (siehe Tabelle 1). Die allgemeine Wanderungsbewegung Richtung alte Länder flachte mit jedem Jahr nach der Wiedervereinigung weiter ab (siehe Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Wanderungen zwischen den neuen Ländern einschließlich Berlin-Ost und dem früheren Bundesgebiet (1980-1994)

Quelle: KSWP 1996, S. 176

Die Wanderung von Bevölkerung aus den ostdeutschen Oberzentren ins Umland kann dabei als klassische Wohnsuburbanisierung, wie sie in der alten Bundesrepublik hauptsächlich in den 60er Jahren zu verfolgen war, verstanden werden. Selektive Wanderungsströme aus dem Umland in die Ostdeutschen Kernstädte fehlen, und generell verzeichnen die Städte in dieser Zeit kaum Zuzüge (vgl. Institut für Länderkunde Leipzig 1997: 59). So wanderten 1994 fast 8 % der Schweriner und mehr als 5 % der Leipziger Bevölkerung in das Umland ab. Solch hohe Werte erreicht beispielsweise eine Großstadt wie Hamburg während der Hochsuburbanisierungsphase der 60er und 70er Jahre nicht (vgl. Institut für Länderkunde Leipzig 1997: 60).

Tabelle 1: Wanderungsbeziehungen von Oberzentren mit ihrem Umland in den alten und neuen Ländern 1993-1995

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Herfert 1998, S. 76, veränderte Darstellung

In den alten Ländern zeigte sich, nachdem die Wanderungsgewinne aus den neuen Ländern abgeflacht waren, dass die interregionalen Bewegungen die Umlandwanderung lediglich überlagert hatten, der alte Trend der Umlandwanderung und -urbanisierung keineswegs der Vergangenheit angehört. Wie Tabelle 1 zeigt, lag das Wanderungssaldo der Oberzentren auch der alten Länder zwischen 1993 und 1995 deutlich im negativen Bereich. Damit beeinflussten die Stadt-Umland-Wanderungen nach dem Abflachen der internationalen Zuwanderung in erheblichem Maß die Bevölkerungsentwicklung der Zentren.

Herfert beschreibt die Entwicklungen in den alten Ländern als „reife“ Wohnsuburbanisierung mit „zunehmend postfordistischer Prägung“ (Herfert 1998: 773). Gemeint ist hiermit vor allem die generelle Ausweitung der Stadtregion als Folge des Siedlungsdrucks, bedingt durch starke Zuwanderung aus dem Ausland und Wanderungsgewinne gegenüber den neuen Ländern, wobei das bereits urbanisierte und zumeist hochverdichtete direkte Umland der Kernstädte zwar immer noch vielfach als bevorzugter Wohnstandort der Migranten gewählt wird, der Prozess jedoch im Gegensatz zu den Entwicklungen in den neuen Ländern auch die äußeren Ränder der Stadtregionen erfasst (vgl. Aring 1997: 102, siehe Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schema der Wanderungsbewegungen der Oberzentren in den alten und neuen Bundesländern 1993 – 1995

Quelle : Institut für Länderkunde Leipzig 1997, S. 58

Abweichend von den allgemeinen fordistischen Mustern der Wohnsuburbanisierung der 60er und 70er Jahre zeigt sich dabei die Haushaltsstruktur der Umlandwanderer. Die Bewegung wird nicht mehr allein durch das vorwiegende Abwandern der Kleinfamilie getragen, sondern auch kinderlose Zweipersonen- und Singlehaushalte zieht es vermehrt ins Umland ( vgl. Herfert 1998: 770).

Die Entwicklung kann dabei als Ausdruck generell veränderter Haushaltsstrukturen interpretiert werden (Stichwort Haushaltsverkleinerung). Dabei spielt neben dieser strukturellen Veränderung zusätzlich der in diesem Zusammenhang stehende, allgemein beobachtete Anstieg des individuellen Wohnflächenbedarfs eine bedeutende Rolle.

4 Bevölkerungsentwicklung Duisburgs 1989-1999

Die Entwicklung der Bevölkerung von Städten wird generell und wesentlich durch zwei Faktoren bestimmt: Zum einen sind es natürliche Bevölkerungsbewegungen (Geburten und Sterbefälle), zum anderen beeinflussen Wanderungen (Zu- und Fortzüge) die Zusammensetzung und Struktur der Bevölkerung sowie die Gesamteinwohnerzahl.

In den folgenden Abschnitten soll die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Duisburg seit 1989 auf sekundärstatistischer Basis aufgezeigt werden. Die Ergebnisse der Analyse stellen dabei die Ausgangssituation für die vorliegende Untersuchung dar. Besonderes Augenmerk wird daher vor allem auf den Umfang und die Richtung der Wanderungsbewegungen aus und nach Duisburg gelegt.

4.1 Gesamtentwicklung des Einwohnerbestandes

Die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Duisburg zeigt sich insgesamt negativ. Ende der 80er Jahre konnten noch Bevölkerungszuwächse in der Einwohnerstatistik[3] verzeichnet werden, seit dem Jahr 1992 jedoch ist der Trend negativ. Im Jahr 1999 sind es insgesamt 20.492 Einwohner weniger als noch im Jahr 1993.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Gesamtentwicklung der Einwohnerzahl Duisburgs 1989 bis 1999

Seit dem Ende des Jahres 1988 (528.062) bis 1999 (518.448) beträgt der Einwohnerverlust insgesamt 9.614 Personen, das sind 1,86 % der Bevölkerung, wobei der Verlust sowohl durch die Abwanderung als auch durch die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung, vornehmlich der deutschen Bevölkerung, zustande kam. Sowohl die Wanderungsbilanz als auch die natürliche Bevölkerungsentwicklung der ausländischen Bevölkerung fiel dagegen in dem betrachteten Zeitraum insgesamt positiv aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Jährliche Bestandsveränderung deutscher und nichtdeutscher Bevölkerung 1989 bis 1999 (Wanderungsbilanz und natürliche Bevölkerungsentwicklung)

4.2 Natürliche Bevölkerungsentwicklung

In dem betrachtetem Zeitraum fiel die natürliche Bevölkerungsentwicklung in Duisburg negativ aus. Die Zahl der Sterbefälle lag deutlich über der Geburtenzahl, so dass sich insgesamt eine negative Bilanz von 7.154 Personen ergab, was im jährlichen Mittel ein Verlust von 650 Einwohnern bedeutete.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Natürliche Bevölkerungsentwicklung insgesamt sowie deutscher und ausländischer Bevölkerung 1989 bis 1999

Hierbei ist zu beachten, dass das Verhältnis zwischen Geburten und Sterbefällen nicht bei allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen ausfiel. Der beschriebene Einwohnerverlust erklärt sich vor allem aus der negativen natürliche Bevölkerungsentwicklung deutscher Einwohner.

Im jährlichen Mittel lag die Zahl der Sterbefälle hier um 2.083 höher als die Geburtenzahl, was für den gesamten Zeitraum einen natürlichen Bevölkerungsrückgang von 22.911 Deutschen ergibt.

Demgegenüber fiel die natürliche Bevölkerungsbewegung des ausländischen Bevölkerungsteils Duisburgs in allen Jahren positiv aus. Insgesamt waren es 15.757 ausländische Einwohner, die die Stadt Duisburg zwischen 1989 und 1999 durch Geburtenüberschüsse hinzugewonnen hat.

Insgesamt musste die Stadt Duisburg einen Einwohnerverlust durch negative natürliche Bevölkerungsbewegungen hinnehmen (7.154 Einwohner), wobei sie in besonders starkem Maß durch den ausgeprägten Sterbefallüberschuss deutsche Bevölkerung verlor (minus 22.911 Personen) und gleichzeitig ausländische Bevölkerung durch Geburtenüberschüsse hinzugewann (plus 15.757 Personen).

4.3 Wanderungen

Wanderungen werden in Abgrenzung zu innerörtlichen Umzügen als „Wohnortwechsel mit Überschreitung der Gemeindegrenzen“ definiert. Die Wanderungsrichtung wird mit Fortzug oder Zuzug beschrieben. Die Wanderungsbilanz für den Zeitraum 1989 bis 1999 ist in Duisburg leicht positiv ausgefallen. In den betrachteten elf Jahren gewann die Stadt durch Wanderungen 1.664 Personen hinzu.

Der Wanderungsgewinn konnte jedoch die Verluste der natürlichen Bevölkerungsentwicklung von 7.154 Personen nicht ausgleichen. Insgesamt sind in diesem Zeitraum 218.981 Personen zugezogen, 217.317 haben die Stadt Duisburg verlassen. Das Mobilitätsvolumen entsprach also in jeder Wanderungsrichtung gut 40 % der Gesamtbevölkerung der Stadt. Dies ist im Vergleich zu anderen Großstädten ähnlicher Größe eine verhältnismäßig niedrige Mobilitätsintensität.

Die Wanderungsbewegungen nach oder aus Duisburg sind zu verschiedenen Zeitpunkten des Zeitabschnitts sehr unterschiedlich ausgefallen. So konnte die Stadt Duisburg im Jahr 1989 einen Bevölkerungszugewinn durch Wanderungen von 5.295 Personen verzeichnen, musste jedoch im Jahr 1998 einen Wanderungsverlust von 4.604 Einwohnern hinnehmen. Die Differenz von knapp 10.000 Personen zeigt die hohe Variabilität des Wanderungsgeschehens in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum.

Wie in Abbildung 6 zu erkennen ist, lässt sich in der Wanderungsentwicklung eine Trendwende um die Mitte der 90er Jahre feststellen. Bis einschließlich 1992 konnte die Stadt Wanderungsgewinne verzeichnen, in den folgenden drei Jahren war das Wanderungssaldo nahezu ausgeglichen, fällt dann aber in den Folgejahren in negative Bereiche ab, so dass ab 1996 klar erkennbare Wanderungsverluste zu verzeichnen sind. Die Wanderungsbilanz erreichte damit wieder ähnlich negative Werte wie bereits in den 70er und frühen 80er Jahren. In längerfristiger Perspektive erweisen sich die positiven Werte der Jahre um 1990 als vorübergehendes Sonderphänomen.

Diese Entwicklung hing von einer Reihe Faktoren ab. Sowohl wirtschaftliche als auch politische Entwicklungen und Trends in Deutschland und im Ausland spielten hierbei eine wichtige Rolle. Als einschneidendes politisches Ereignis kann die Deutsche Wiedervereinigung angesehen werden, in deren Vorfeld und Nachfolge umfangreiche Mobilitätsströme in den Westen der Bundesrepublik zu verzeichnen waren. Neben den Binnenwanderungen kann in Deutschland bis zum Jahr 1992 eine positive Außenwanderungsbilanz sowohl durch den Zuzug von Deutschen (Aussiedler) als auch von Ausländern festgestellt werden (vgl. Kapitel 3). Die Zahl der zugezogenen Ausländer lag in Duisburg im Jahre 1989 (13.924) mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 1999 (6.468).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Wanderungen 1989 bis 1999

Die Wanderungsbilanz deutscher Bevölkerung zeigte sich in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums ausgeglichen, erst seit dem Jahr 1992 traten Wanderungsverluste ein. Hieraus erklären sich die vergleichsweise hohen Wanderungsgewinne der Stadt Duisburg in den ersten Jahren und umgekehrt die hohen Wanderungsverluste gegen Ende des Untersuchungszeitraums.

Abbildung 7 zeigt deutlich die unterschiedlichen Wanderungsbilanzen der beiden Bevölkerungsgruppen. Während die deutsche Bevölkerung mit Ausnahme des Jahres 1990 (+355) einen negativen Wanderungssaldo aufweist, ist es bei der ausländischen Bevölkerung Duisburgs genau umgekehrt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Wanderungsbilanz deutscher und ausländischer Bevölkerung 1989 bis 1999

Außer im Jahr 1998 (-1.067) verzeichnete diese Bevölkerungsgruppe jährlich Wanderungsgewinne. Bei der Betrachtung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung und der Wanderungsbewegungen stellt sich heraus, dass in dem besagtem Zeitraum die Zahl der deutschen Einwohner Duisburgs in erheblichem Maße abgenommen hat, wogegen die Zahl der ausländischen Bevölkerung deutlich gestiegen ist. Insgesamt ist der Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung von 13,87 % (1989) um gut zwei Prozentpunkte auf 15,85 % im Jahr 1999 angestiegen. In den Jahren 1994 bis 1998 lag der Anteil ausländischer Bevölkerung sogar bei über 16,5 %.

4.4 Herkunft und Ziele der Wandernden

Jeder dritte Zuwanderer nach Duisburg kommt aus dem Ausland (36,23 %). Umgekehrt ziehen jedoch nur 19,73 % der aus Duisburg Fortziehenden in das Ausland.[4]

Der Austausch von Personen mit dem Umland zeigt hingegen ein umgekehrtes Verhältnis. Hierher kommen 28,78 % der Zuwanderer, und 38,53 % der Fortgezogenen sind in das Umland abgewandert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Zuzüge nach Herkunftsregion 1989 bis 1999 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9 Fortzüge nach Zielregion 1989 bis 1999 (in %)

Wie in Abbildung 10 zu sehen, findet der stärkste Austausch von Bevölkerung seit 1993 zwischen Duisburg und dem Umland statt, wobei dieser Anteil in dem Untersuchungszeitraum deutlich angestiegen ist, während der Anteil der Wanderungen aus dem und in das Ausland zurückgegangen ist. Allerdings ist das Wanderungsvolumen im Austausch mit dem Umland seit 1989 auch absolut angestiegen. Waren es im Jahr 1989 noch 11.295 Wanderungen, so stieg die Zahl auf 14.075 im Jahr 1999. Im Zeitraum 1989 bis 1999 konnten insgesamt 436.298 Wanderungen zwischen Duisburg und seiner Umlandregion verzeichnet werden.

[...]


[1] Der Lebenszyklusansatz soll an dieser Stelle nicht detailliert referiert werden. In der Fachliteratur sind die grundlegenden Annahmen und empirische Befunde zahlreich dokumentiert: Bähr 1992, Frick 1996, Ipsen 1999, Schneider 1999, Wagner 1989.

[2] Die vorherigen Kapitel stellten jeweils die grundlegenden Annahmen der Mikro- und Makroansätze dar. Es wurde darauf verzichtet, einzelne Ansätze, etwa den integrativen Wohnungsmarktansatz, eingehend darzulegen. Eine umfassende Zusammenfassung der Ansätze und Modelle zur Beschreibung und Erklärung von Wanderungen findet sich in dem Band „Bevölkerungsgeographie“ von Jürgen Bähr (1992, S. 277-363).

[3] Die Einwohnerstatistik der Stadt Duisburg bezieht sich auf Einwohner mit Hauptwohnung in Duisburg. Darüber hinaus sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Summen der Veränderungen (errechnete Summe aus Geburten, Sterbefällen, Zugezogenen und Fortgezogenen), die in den folgenden Kapiteln angegeben wird, nicht mit Angaben der Bestandsveränderung (Einwohner am Jahresende) vergleichbar ist, da die Bestandsveränderung die Registerbereinigung und den Wechsel von Haupt- und Nebenwohnungen bzw. den Wechsel der Staatsangehörigkeit beinhaltet.

Sofern nicht anders ausgewiesen, ist die Quelle der Abbildungen, Karten und Tabellen der folgenden Abschnitte die Einwohnerstatistik der Stadt Duisburg. Alle Abbildungen wurden eigens erstellt, wenn keine anderen Angaben gemacht werden.

[4] Angaben und Abbildungen zu Daten des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW (LDS NRW) beziehen sich jeweils auf den Zeitraum 1989 bis 1998. Werte für das Jahr 1999 lagen zum Bearbeitungszeitpunkt noch nicht vor. Angaben und Abbildungen mit Werten aus der Einwohnerstatistik der Stadt Duisburg beziehen sich auf den Zeitraum 1989 bis 1999.

Fin de l'extrait de 117 pages

Résumé des informations

Titre
Prozesse und Motive von Stadt-Umland-Wanderungen untersucht am Beispiel von Duisburg
Université
University of Duisburg-Essen  (Staatliches Prüfungsamt)
Note
1,3
Auteur
Année
2001
Pages
117
N° de catalogue
V290
ISBN (ebook)
9783638102131
Taille d'un fichier
2717 KB
Langue
allemand
Mots clés
Stadt-Umland, Suburbanisierung, Statistik, Duisburg, Befragung, Stadt-Land, Bevölkerungsmobilität, Mobilität, Motiv der Haushalte
Citation du texte
Markus Jeschke (Auteur), 2001, Prozesse und Motive von Stadt-Umland-Wanderungen untersucht am Beispiel von Duisburg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/290

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