Wer sich mit dem Thema Menschenfresser befasst ist leicht geneigt, durch Abwägen von Fakten ein Urteil zu fällen, ob es eine menschliche Bestie mit anthropophagem Appetit denn überhaupt gab. Es steht mir in dieser Arbeit allerdings fern, derart vorzugehen, denn dazu wären archäologische Kenntnisse gefragt, was nicht in meinem Bereich liegt. Stattdessen setzte ich mich mit Form und Funktion des Kannibalismus auseinander, mit besonderem Augenmerk auf die frühe Neuzeit. Ich möchte ein Panorama von Kannibalismusvorstellungen aus dieser Zeit wiedergeben. Die Form, aber auch die Funktion unterliegt einem ständigen Veränderungsprozess, der durch die jeweilig vorhandene Mentalität geprägt ist. Zum Teil sind Parallelen über einen längeren Zeitraum festzustellen - die Vorstellungen der Menschenfresserei unterlagen sicherlich der Überlieferung. Aus diesem Grunde erscheint es mir sinnvoll, zuerst einen Blick zurück zu werfen und einige Grundlagen für neuzeitliche Kannibalismusvorstellungen zu betrachten. Es gibt zwischen der Antike und der frühen Neuzeit beispielsweise Ähnlichkeiten, was die Vorstellung von der unbekannten Welt betrifft. Beiderseits wurden ausserhalb der bisher existenten Welt Wilde und Unförmige erwartet. Eine Erwartungshaltung, die fatale Folgen für die Urbevölkerung Amerikas hatte. Die Arbeit ist so gegliedert, dass nach dem Rückblick in frühere Zeit die verschiedenen Formen von Anthropophagie, wie sie in der Neuzeit existierten, dargestellt werden. Zuerst befasse ich mich mit Hungerkannibalismus, einer Form die in Hungerszeiten oder bei Belagerungen den Ausweg vor dem Hungertod bedeutete. Danach wende ich mich den Medizinern zu, die zur Herstellung von Pflastern, Latwergen, Essenzen und vielem mehr, menschliche Substanz benutzten. Diese Form nenne ich medizinischen Kannibalismus. Der Übergang zur dritten Form ist fliessend. Hexen praktizierten oftmals eine ähnliche Heilkunst wie es die Mediziner taten. Ihnen wurde allerdings Kinderfresserei nachgesagt. Im selben Kapitel zeige ich auf, dass auch Juden und Ketzer von diesem Vorwurf nicht frei waren. Alle drei Gruppierungen wurden gezielt verfolgt. Dabei bekommt die Anthropophagie eine andere Funktion, als bei den vorgenannten Formen. Zu guter Letzt thematisiere ich eine entstehe nde Randgruppe der Neuzeit, „die Wilden“. Ich möchte dabei aufzeigen, wie ein Bild des Kannibalen geschaffen wurde, das eine ähnliche Funktion hatte wie schon bei den zuvor genannten Gruppierungen.[...]
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Hauptteil
- 2.1 Anthropophagie vor der Neuzeit
- 2.2 Hungerkannibalismus
- 2.3 Medizinischer Kannibalismus
- 2.4 Hexen, Juden, Ketzer
- 2.5 "Wilde"
- 3. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Formen und Funktionen des Kannibalismus in der frühen Neuzeit. Sie beleuchtet die Entwicklung kannibalistischer Vorstellungen im historischen Kontext und analysiert, wie diese Vorstellungen von der jeweiligen Mentalität geprägt wurden. Die Arbeit verzichtet auf ein moralisches Urteil über die Existenz von Kannibalismus, konzentriert sich stattdessen auf die Darstellung verschiedener Ausprägungen und deren soziokulturelle Bedeutung.
- Entwicklung kannibalistischer Vorstellungen von der Antike bis zur Neuzeit
- Hungerkannibalismus als Reaktion auf extreme Nahrungsmittelknappheit
- Medizinischer Kannibalismus und der Gebrauch menschlicher Substanzen in der Heilkunde
- Kannibalismusvorwürfe gegen Hexen, Juden und Ketzer als Instrument der Verfolgung
- Das Bild des "Wilden" Kannibalen in der europäischen Wahrnehmung der Neuen Welt
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung umreißt die Zielsetzung der Arbeit, welche darin besteht, Formen und Funktionen des Kannibalismus in der frühen Neuzeit zu untersuchen, ohne ein Urteil über dessen tatsächliche Existenz zu fällen. Der Fokus liegt auf der Darstellung kannibalistischer Vorstellungen und deren Wandel im Laufe der Zeit, wobei Parallelen zwischen der Antike und der Neuzeit herausgearbeitet werden. Die Arbeit skizziert den Aufbau, der einen Rückblick auf frühere Vorstellungen beinhaltet, bevor die verschiedenen Formen des Kannibalismus in der Neuzeit (Hungerkannibalismus, medizinischer Kannibalismus, Vorwürfe gegen Hexen, Juden und Ketzer, sowie das Bild der "Wilden") behandelt werden. Die verwendeten Quellen werden kurz vorgestellt, wobei die Auswahl aufgrund von Platzgründen eingeschränkt ist.
2. Hauptteil 2.1 Anthropophagie vor der Neuzeit: Dieses Kapitel beleuchtet die Vorstellung von Kannibalismus in der Antike, insbesondere bei den Griechen. Es wird beschrieben, wie die Griechen fremde Völker als "Barbaren" bezeichneten und unterschiedliche Grade von "Wildheit" einstuften. Am Beispiel der Skythen und Massageten wird ritueller Kannibalismus dargestellt, wobei die Quellenlage und deren mögliche Verzerrung betont werden. Die Erzählungen über die Issedonen und Arimaspen verdeutlichen die oft indirekte und ungenaue Informationsübermittlung über fremde Kulturen. Der Kyklop Polyphem aus Homers Odyssee wird als Beispiel für einen kannibalistischen Riesen aus der griechischen Mythologie genannt. Schließlich werden auch Beispiele für Anthropophagie in der griechischen Götterwelt erwähnt (Kronos, Thyestes).
Schlüsselwörter
Anthropophagie, Kannibalismus, Frühe Neuzeit, Hungerkannibalismus, Medizinischer Kannibalismus, Hexenverfolgung, Judenverfolgung, Ketzerverfolgung, "Wilde", Neue Welt, Mentalitätsgeschichte, Herodot, Mythos.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Form und Funktion des Kannibalismus in der Frühen Neuzeit
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht Formen und Funktionen des Kannibalismus in der frühen Neuzeit. Sie analysiert die Entwicklung kannibalistischer Vorstellungen im historischen Kontext und deren Prägung durch die jeweilige Mentalität. Der Fokus liegt auf der Darstellung verschiedener Ausprägungen und deren soziokulturelle Bedeutung, ohne ein moralisches Urteil zu fällen.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Entwicklung kannibalistischer Vorstellungen von der Antike bis zur Neuzeit, Hungerkannibalismus als Reaktion auf Nahrungsmittelknappheit, medizinischen Kannibalismus und den Gebrauch menschlicher Substanzen in der Heilkunde, Kannibalismusvorwürfe gegen Hexen, Juden und Ketzer als Verfolgungsinstrument und das Bild des "Wilden" Kannibalen in der europäischen Wahrnehmung der Neuen Welt.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, einen Hauptteil und ein Fazit. Der Hauptteil unterteilt sich in Abschnitte zu Anthropophagie vor der Neuzeit, Hungerkannibalismus, medizinischem Kannibalismus, Kannibalismusvorwürfen gegen Hexen, Juden und Ketzer sowie dem Bild der "Wilden".
Was wird in der Einleitung beschrieben?
Die Einleitung umreißt die Zielsetzung der Arbeit, die darin besteht, Formen und Funktionen des Kannibalismus in der frühen Neuzeit zu untersuchen, ohne ein Urteil über dessen Existenz zu fällen. Sie skizziert den Aufbau der Arbeit und stellt die verwendeten Quellen kurz vor.
Was ist der Inhalt des Kapitels "Anthropophagie vor der Neuzeit"?
Dieses Kapitel beleuchtet die Vorstellung von Kannibalismus in der Antike, insbesondere bei den Griechen. Es beschreibt die Darstellung rituellen Kannibalismus bei Skythen und Massageten, die oft indirekte Informationsübermittlung über fremde Kulturen und Beispiele für Anthropophagie in der griechischen Mythologie (Kyklop Polyphem, Kronos, Thyestes).
Welche Schlüsselwörter sind relevant für diese Arbeit?
Wichtige Schlüsselwörter sind Anthropophagie, Kannibalismus, Frühe Neuzeit, Hungerkannibalismus, Medizinischer Kannibalismus, Hexenverfolgung, Judenverfolgung, Ketzerverfolgung, "Wilde", Neue Welt, Mentalitätsgeschichte, Herodot und Mythos.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Arbeit nennt zwar keine expliziten Quellen, erwähnt aber eine eingeschränkte Quellenwahl aufgrund von Platzgründen. Die Einleitung deutet an, dass antike Quellen (z.B. Herodot) und möglicherweise weitere Quellen zur frühen Neuzeit herangezogen wurden.
Wie wird der Kannibalismus in dieser Arbeit dargestellt?
Die Arbeit behandelt den Kannibalismus deskriptiv und analytisch. Sie verzichtet auf moralische Bewertungen und konzentriert sich auf die historischen Kontexte und die soziokulturellen Bedeutungen der verschiedenen Formen des Kannibalismus.
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- lic. phil. I Markus Fuchs (Autor), 2002, Menschenfresser in der Neuzeit - Formen und Funktion der Anthropophagie in der Neuzeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29243