Leseprobe
Michael Moore: If you were to talk directly to the kids at Columbine or the people in that community, what would you say to them if they were here right now?
Marilyn Manson: I wouldn't say a single word to them I would listen to what they have to say, and that's what no one did.1
Die ständig neu aufkommende Diskussion in der Presse über den Einfluß blutiger oder psychologisch verstörender Gewaltszenen besonders auf Jugendliche hat bis zum heutigen Tage weder ein Ende noch eine befriedigende Antwort gefunden. Die Rezeption der dargestellten Gewalt in einschlägigen Medienformaten wie Fernseh- filmen oder Computerspielen durch den Benutzer kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Die Debatte darüber ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern sehr praxisbezogen, da damit jeder Mensch dieser Gesellschaft immer wieder auch im Privatleben konfrontiert wird.
Dieses Essay behandelt genau diese Art der Wahrnehmung und analysiert darüber hinaus, ob die Vermutung, Gewaltszenen würden Menschen, insbesondere Jugendliche, tatsächlich zu gewaltätigem Handeln inspirieren, wirklich so unbelegbar und offensichtlich ist. Ein leichter Augenmerk liegt hierbei auf Amokläufern, da dieses Phänomen unter Jugendlichen in neurer Zeit häufiger auftritt.
In der Psychologie der Gewaltwirkungsforschung wurden zahlreiche Thesen erarbeitet, die analysieren, wie eben diese Darstellungen rezipiert werden könnten. Die dabei populärsten sind die Katharsisthese, die besagt, dass die mediale Gewalt die eigentlichen Aggressionen senke, da sie als eine Art "Blitzarbeiter" fungiere und somit das Stresspotential senken würde, die Inhibitionsthese, laut der die Gewaltszenen Angst erzeugen und dadurch das Gewaltpotential hemmen würde und zuletzt die Habitualisierungsthese und die Stimulationsthese, die ähnliche Ansätze haben während die eine besagt, der Empfänger gewöhne sich an die Gewalt und stumpfe dadurch ab und die andere diese Darstellungen sogar als aggressionsfördernd hält2. Die letzten beiden Thesen, grade die der Stimulation, sind die, die das Gros der Presse nach Gewaltakten meistens vertritt. Es gibt noch weitere Theorien, die die obigen verfeinern oder etwas variieren. Auf die Erklärung dieser wird aber verzichtet.
Da es keine wissenschaftliche Antwort, keine wirkliche Lösung für die Frage, inwiefern das Verhalten von Kindern durch Computerspiele und Filme beeinflusst wird, gibt, muss sich jeder selbst eine Meinung bilden,.
Ich persönlich glaube, dass es sich die Politiker, die Presse und diejenigen, die sich über diese Darstellungen ereifern, sehr leicht machen, in dem sie bestimmte Musiker, Regisseure oder Spielentwickler zu den Sündenböcken stilisieren. Damit kann man sich selbst von jeder Eigenverantwortung lösen, ohne das eigentliche Problem zu ergründen. Kaum ein Mensch, der eine "normale" Sozialisation erfahren und die nötigen kognitiven Voraussetzungen hat, wird sich durch diese "Second-Hand-Erlebnisse" so beeinflussen lassen, dass er zum Amokläufer wird. Die Kritiker der Gewaltszenen müssten eigentlich auch die expliziten Bildern in den Nachrichten verurteilen, da auch diese inspierend sein könnten.
Dass die Gewaltdarstellungen nicht absolut problem- und folgenlos wären, soll hier gar nicht gesagt werden. Natürlich vermittelt das Fernsehen in gewisser Weise verzerrte Konsequenzen, da der stereotype Bösewicht meistens als besonders "cool" präsentiert wird und nicht immer die Folgen seiner Handlungen tragen muss. Die Abstumpfung ebenfalls kann sich allein schon durch ein Gedankenexperiment belegen lassen. Man stelle sich vor, einer Person in den 50er Jahren würde ein Film aus unserer Zeit gezeigt werden, in dem mehrere Menschen auf brutalste Weise ums Leben kämen und im Umkehrschluß könnte man dem typischen Jugendlichen der Mediengeneration einen Film zeigen, der vor mehreren Jahrzehnten schockierte. Die jeweiligen Reaktionen kann sich jeder denken - der mediengewöhnte Jugendliche würde sich garantiert über den Aufbau der Spannung und die Effekte amüsieren, während ein aus einer anderen Zeit stammender Mensch vermutlich äußerst pikiert oder geschockt über die plakativen Bilder wäre.
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1 Michael Moore - Bowling for Columbine, Dog Eat Dog Films, 2002
2 Theunert (2000) S.30ff.