Die vorliegende Arbeit stellt die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung dar und geht auf die Ursachen und Entstehungsbedingungen dieser Krankheit ein. Des Weiteren werden therapeutische Maßnahmen vorgestellt, sowie auf die Zusammenhänge zwischen der Ernährung und dem Verhalten hingewiesen.
Die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bezeichnet eine Entwicklungsstörung mit Beteiligung des Nervensystems, die sich bereits im frühen Kindesalter zeigt. Betroffene Kinder sind unaufmerksam, leicht ablenkbar, fallen durch hyperaktives Verhalten auf, haben ein geringes Durchhaltevermögen sowie ein leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zu unüberlegtem Handeln.
Die Symptome persistieren häufig bis ins Erwachsenenalter.
Inhalt
1. Die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung
1.1 Definition und Klassifikation der ADHS
1.2 Prävalenz der ADHS
1.3 Diagnostik der ADHS
1.4 Komorbidität
2. Ursachen und Entstehungsbedingungen der ADHS
2.1 Neurophysiologische und genetische Einflussfaktoren
2.2 Umweltfaktoren
2.3 Wechselwirkungen zwischen Einflussfaktoren
3. Therapeutische Maßnahmen bei ADHS
3.1 Verhaltenstherapie und Elterntraining
3.2 Medikamentöse Therapie
4. Zusammenhänge zwischen Ernährung und Verhalten
4.1 Nährstoffdefizite
4.2 Nahrungsmittelunverträglichkeiten
4.3 ADHS, Adipositas und Essstörungen
4.4 ADHS und Adipositas als Manifestationen eines Reizüberflutungs-Syndroms
4.5 Säuglingsnahrung auf Sojabasis als möglicher Einflussfaktor
5. Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
1. Die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung
Die vorliegende Arbeit stellt die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung dar und geht auf die Ursachen und Entstehungsbedingungen dieser Krankheit ein. Des Weiteren werden therapeutische Maßnahmen vorgestellt, sowie auf die Zusammenhänge zwischen der Ernährung und dem Verhalten hingewiesen.
1.1 Definition und Klassifikation der ADHS
Die Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bezeichnet eine Entwicklungsstörung mit Beteiligung des Nervensystems, die sich bereits im frühen Kindesalter zeigt. Betroffene Kinder sind unaufmerksam, leicht ablenkbar, fallen durch hyperaktives Verhalten auf, haben ein geringes Durchhaltevermögen sowie ein leicht aufbrausendes Wesen mit der Neigung zu unüberlegtem Handeln. Symptome persistieren häufig bis ins Erwachsenenalter (Bundesärztekammer 2005).
Es gibt mehrere Bezeichnungen und Abkürzungen, die teilweise dasselbe Störungsbild bezeichnen, teilweise aber auch für bestimmte Ausprägungen oder Typen stehen. Ein der ADHS synonymer Begriff ist Hyperkinetische Störung (HKS), wie die ADHS nach ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) benannt ist. Derzeit existieren zwei Klassifikationsysteme für ADHS. Das ICD-10 (International Classification of diseases – Internationale Klassifikation der Krankheiten) der World Health Organization hat in Europa die größere Bedeutung gegenüber dem Klassifikationsschema nach dem DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) der American Psychiatric Association (Amerikanische Psychiatrische Vereinigung) (Bundesärztekammer 2005).
Nach ICD-10 wird ADHS als HKS bezeichnet. Für die Diagnose der HKS werden folgende Kriterien vorausgesetzt:
- Symptome von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität in mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenem Ausmaß über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten,
- das Auftreten der Störung vor dem siebten Lebensjahr,
- die Symptome müssen situationsübergreifend auftreten, nicht ausschließlich zuhause oder ausschließlich in der Schule, und
- die Symptome verursachen deutliches Leiden oder eine Beeinträchtigung der sozialen oder schulischen/beruflichen Leistungsfähigkeit (Taylor et al. 2004).
Im DSM-IV ist die ADHS etwas weiter gefasst als die Hyperkinetische Störung nach ICD-10. Für eine Diagnose reicht es, wenn entweder Symptome von Unaufmerksamkeit oder von Überaktivität/Impulsivität auftreten. Somit bedingt diese Klassifikation eine höhere Prävalenz in epidemiologischen Studien (Bundesärztekammer 2005).
Die inzwischen veralteten Bezeichnungen Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) und Psychoorganisches Syndrom (POS) finden sich noch in älterer Literatur, meinen jedoch ADHS. Die gebräuchliche Bezeichnung Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS) trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht alle betroffenen Kinder zwangsläufig auch hyperaktives Verhalten zeigen. ADS wird auch manchmal als „vorwiegend unaufmerksamer Subtyp“ bezeichnet und so von einem „vorwiegend impulsiven“ oder einem „gemischten Subtyp“ abgegrenzt. Im internationalen Sprachgebrauch haben sich die Bezeichnungen Attention.Deficit/Hyperactivity Disorder (AD/HD oder ADHD) für ADHS sowie der Begriff Attention Deficit Disorder (ADD) für ADS durchgesetzt (Bundesärztekammer 2005).
1.2 Prävalenz der ADHS
Die ADHS ist eine der am häufigsten diagnostizierten Verhaltensstörungen im Kindesalter. In Deutschland zeigen Erhebungen im Rahmen des Kinder- und Jugendsurveys des Robert-Koch-Institutes (KiGGS) bei Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren eine Prävalenz von 4,8%, bei denen ADHS ärztlich oder durch einen Psychologen diagnostiziert wurde. Weitere 4,9% werden als Verdachtsfälle betrachtet. Jungen sind mit 7,9% deutlich häufiger betroffen als Mädchen mit 1,8% (Schlack et al. 2007). Auch unterscheiden Mädchen sich oft in der Ausprägung der Symptomatik von den Jungen. Im Vergleich zu Jungen zeigen Mädchen meist ein weniger ausgeprägtes hyperaktives und impulsives Verhalten und weniger Unaufmerksamkeit. Sie verhalten sich weniger auffällig, zeigen dafür aber größere intellektuelle Beeinträchtigungen sowohl bezüglich der Internalisierung als auch der Externalisierung von Lerninhalten (Gershon 2002).
Bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status wird ADHS häufiger diagnostiziert als bei Kindern aus Familien mit mittlerem oder hohem sozioökonomischem Status (Schlack et al. 2007). Je nachdem, welches Klassifikationssystem (DSM-IV oder ICD-10) zugrunde gelegt wurde, ergeben sich aus internationalen Studien Prävalenzen zwischen 1 - 7% (Taylor et al. 2004).
1.3 Diagnostik der ADHS
Die Diagnostik dient der Erfassung der klinischen Symptomatik und ihres Verlaufs. Dazu gehört neben der Anamnese auch die klinische Exploration der Eltern und Erzieher oder LehrerInnen des betroffenen Kindes. Sie beinhaltet zudem die Erfassung von Komorbiditäten wie Störungen des Sozialverhaltens, weiteren Entwicklungsstörungen, Tic-Störungen und emotionalen Störungen (Bundesärztekammer 2005).
Methodische Mittel für die Diagnostik sind standardisierte Fragebögen, testpsychologische Untersuchungen sowie internistische und neurologische Untersuchungen. Die Diagnose einer ADHS ist aufwändig und kann niemals allein auf der Grundlage von Fragebögen, testpsychologischen Untersuchungen oder Beobachtungen gestellt werden. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer empfiehlt, die multiaxiale Diagnostik durchzuführen, die die Störung auf sechs Achsen abbildet.
- klinisch-psychiatrisches Syndrom (1. Achse)
- umschriebene Entwicklungsstörungen (2. Achse)
- Intelligenzniveau (3. Achse)
- körperliche Symptomatik (4. Achse)
- assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände (5. Achse)
- globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus (6. Achse) (Bundesärztekammer 2005).
Für die Diagnosestellung ist ein Beurteilungsprozess, während dessen Informationen über das Verhalten des Kindes in verschiedenen Situationen gesammelt werden, erforderlich. Diese können mit Hilfe strukturierter klinischer Interviews gewonnen werden; aber auch die Nutzung von Skalen zur Einschätzung des Verhaltens (behaviour rating scales) ist weit verbreitet. Mit ihnen können strukturierte Informationen auch von abwesenden Personen effizient übermittelt werden. Sehr häufig wird die so genannte Conners´ Teacher and Parent Rating Scale-Revised (CTRPS-R, Conners Lehrer- und Eltern-Verhaltens-Einschätzungsskala, im deutschen Sprachgebrauch meist Conners-Test) verwendet, die in einer langen oder einer kurzen Fassung zur Verfügung steht. Eine Reihe von Fragen wird jeweils mit Punkten zwischen 0 und 3 bewertet (0 bedeutet: trifft überhaupt nicht zu, 3 bedeutet: trifft vollkommen zu) und diese aufsummiert. Die lange Form des CTRPS-R ist eng mit den Diagnosekriterien nach DSM-IV verknüpft, kann innerhalb von 15 – 20 min. ausgefüllt werden und dient neben weiteren Untersuchungen vorwiegend der Erstdiagnose, während die kurze Version vorwiegend als Instrument zur Effektmessung von Interventionen in klinischen und epidemiologischen Studien verwendet wird (Carter und Syed-Sabir 2008).
1.4 Komorbidität
Die Koexistenz weiterer Störungen ist bei ADHS sehr verbreitet. Angaben zur Prävalenz von Komorbiditäten variieren in verschiedenen epidemiologischen Studien, wobei jedoch mindestens eine koexistierende Störung bei über 80% der Kinder auftritt (Jensen et al. 1997). Die folgenden kommen besonders häufig vor; die Prävalenzen sind, soweit Daten vorliegen, jeweils in Klammern angegeben:
- Störungen des Sozialverhaltens (43 – 93%),
- emotionale Störungen des Kindesalters (13 -51%) (Jensen et al. 1997),
- umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (Lese- und Rechtschreibstörung und weitere),
- tief greifende Entwicklungsstörungen (wie Störungen des autistischen Spektrums)
- Ticstörungen
- umschriebene Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen und
- Suchterkrankungen (Taylor et al. 2004).
Die Beziehung zwischen ADHS und Suchterkrankungen ist komplex und bisher wenig untersucht. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung entwickeln ADHS-Betroffene in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter häufiger eine Substanzabhängigkeit von Alkohol, Opiaten oder Kokain und rauchen häufiger. Sie beginnen früher mit dem Drogenmissbrauch und betreiben diesen intensiver und regelmäßiger. Somit wird vermutet, dass ADHS bei Erwachsenen einen Risikofaktor für Substanzmissbrauch darstellt (Taylor et al. 2004).
2. Ursachen und Entstehungsbedingungen der ADHS
Die Ursachen der ADHS konnten bis heute nicht vollständig aufgeklärt werden. Als erwiesen gilt, dass es sich um ein komplexes, multifaktorielles Geschehen handelt, so dass die Störung sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen lässt (s. Abb. 1). Die derzeit bekannten Einflussfaktoren werden im Anschluss beschrieben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Biopsychosoziales Modell zur Entstehung von Aufmerksamkeitsstörungen
(Quelle: nach Döpfner et al. 2000)
2.1 Neurophysiologische und genetische Einflussfaktoren
Bildgebende Untersuchungen sowie elektrophysiologische und pharmakologische Befunde zeigen bei Personen mit ADHS Auffälligkeiten in Struktur, Funktion und Stoffwechsel des Gehirns. Diese sprechen für genetisch bedingte, möglicherweise von weiteren Faktoren mit beeinflusste Entwicklungsabweichungen verschiedener zentralnervöser Regelkreise. Daher wird die ADHS oft als Entwicklungsstörung mit Beteiligung des Nervensystems (neurodevelopmental disorder), aber auch als striatofrontale Dysfunktion bezeichnet (Krause und Krause 2007, Bundesärztekammer 2005).
Ergebnisse genetischer und bildgebender Untersuchungen weisen auf eine überwiegend genetisch bedingte Störung im Neurotransmitterstoffwechsel hin. Insbesondere sind der Dopamin- und der Noradrenalinstoffwechsel betroffen; möglicherweise ist auch der Serotoninstoffwechsel beteiligt (vgl. Tab.1, Abb. 2) (Krause und Krause 2007). Die katecholaminergen Neurotransmittersysteme, v. a. der Dopaminstoffwechsel, sind wesentlich an der Steuerung von Aufmerksamkeit, Motorik und Impulskontrolle beteiligt (Bundesärztekammer 2005: 22ff). Im Dopaminstoffwechsel bei ADHS-Betroffenen ist die Wiederaufnahme des Dopamins (s. Abb. 2) durch die präsynaptische Membran erhöht und die Sensitivität der Dopaminrezeptoren auf der postsynaptischen Membran vermindert (Banaschewski et al. 2004). Anhand von Computersimulationen wurde im Jahr 2007 erstmals versucht, diese neurobiologischen Regelkreise optisch darzustellen und zu zeigen, inwiefern ADHS-Betroffene bei der Lösung spezifischer Aufgaben durch funktionelle Störungen beeinträchtigt sein können (Frank et al. 2007).
Eine genetische Prädisposition für Besonderheiten im Neurotransmitterhaushalt wird derzeit als wichtigste Ursache der ADHS angenommen. Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien zeigen hinsichtlich der Heritabilität, dass etwa 80% der Verhaltensvarianz bei ADHS genetisch determiniert ist (Banaschewski et al. 2004). Molekulargenetische Befunde sprechen dafür, dass das genetische Risiko in einem Zusammenwirken mehrerer Gene besteht, die komplexe Neurotransmitterfunktionen steuern. Dem gegenüber erhöht das bloße Vorhandensein identifizierter Risiko-Allele das relative Risiko einer ADHS nur gering (Relatives Risiko: 1,2 – 1,9). Diesbezüglich haben seltene genetische Veränderungen größeren Einfluss (Banaschewski et al. 2004).
Tab. 1: Eigenschaften der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin (eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dopamin
Dopamin ist ein biogenes Amin aus der Gruppe der Katecholamine und gilt als Glücks-, Euphorie- oder Belohnungshormon. Es wird im Gehirn in der Pars compacta der Substania nigra aus der Vorstufe Tyrosin (oder Phenylalanin) gebildet und von dort zum Striatum (Teil der Basalganglien im Großhirn) geleitet. Im Gehirn kann Dopamin verschiedene Wirkungen erzielen. Für Antrieb und Motivation spielt es eine entscheidende Rolle. Es gibt D1 - D5-Rezeptoren; einzelne Rezeptoren weisen genetische Polymorphismen auf. Auch hängt die Wirkung des Dopamins von second messengern und deren Wirkung in den Zielzellen ab. Dopamin spielt höchstwahrscheinlich für die Funktion des Präfrontalen Cortex eine wichtige Rolle. Eine Dysfunktion des Dopaminstoffwechsels kann möglicherweise zu ADHS führen.
Unter vielen Dopaminsystemen sind die drei wichtigsten in Bezug auf ADHS das mesolimbische, das mesostriatiale und das mesocorticale System. Alle drei haben ihren Ursprung in der Substantia nigra im Mittelhirn. Das mesolimbische System projiziert zum limbischen System. Dieses gilt als Belohnungssystem des Gehirns, das der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient. Auch werden ihm intellektuelle Leistungen zugesprochen. Bestimmte Drogen, wie Amphetamine und Kokain, wirken auf dieses System. Das mesostriatale System projiziert zu den Basalganglien, die eine wichtige Rolle bei der Bewegungssteuerung spielen. Das mesocorticale System projiziert zum präfrontalen Cortex. Nach derzeitigem Verständnis hat es eine Bedeutung für exekutive Funktionen sowie für die Motivation.
Noradrenalin
Noradrenalin (auch Norephidrin) ist eng verwandt mit dem Stresshormon Adrenalin und gehört ebenfalls zu den Katecholaminen mit Tyrosin bzw. Phenylalanin als Vorstufe. Es wird im Peripheren Nervensystem von sympathischen Nervenfasern ausgeschüttet. Als Neurotransmitter der postganglionären Synapsen des sympathischen Nervensystems entfaltet es dort weitgehend die gleiche Wirkung wie Adrenalin: es steigert den Blutdruck, erhöht allerdings die Herzfrequenz in geringerem Ausmaß als Adrenalin. Die dichteste Verteilung von Noradrenalin herrscht in der primären, visuellen, auditiven, somatosensorischen und motorischen Regionen vor. Noradrenalin wird eine wichtige Bedeutung für die Funktion des Präfrontalen Cortex zugeschrieben.
Serotonin
Serotonin, auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT), ist ebenfalls ein biogenes Amin. Es wirkt im Organismus als Gewebshormon und als Neurotransmitter im ZNS, Darmnervensystem, Herz-Kreislauf-System und im Blut. Der Name leitet sich von seiner regulierenden Wirkung auf den Blutdruck ab. Es wird in ZNS, Leber, Milz und Darmschleimhaut aus der Aminosäure Tryptophan synthetisiert. Im ZNS entfaltet es eine antidepressive Wirkung und wird deshalb oft als Glückshormon bezeichnet. In der Raphe pontis befinden sich die Somata serotoninerger Nervenbahnen, deren Axone in alle Teile des Gehirns ausstrahlen. An ihren Endigungen wird Serotonin als Neurohormon ausgeschüttet. Die Gehirnstruktur der Raphe pontis liegt im Stammhirn im Medianbereich zwischen dem verlängerten Rückenmark und dem Mittelhirn . Die dort lokalisierte Hypnogene Zone ist zuständig für die Auslösung des synchronen Schlafes. Durch eine unterschiedliche Beschickung verschiedener Gehirnregionen mit Serotonin kann die Raphe das globale Erregungsmuster im Gehirn beeinflussen. Serotonin spielt eine wichtige Rolle für Verhalten wie Nahrungsaufnahme, Aktivitätsrhythmus, emotionale Befindlichkeit und Sexualverhalten. Durch Interaktionen mit dem cholinergen, glutaminergen, dopaminergen und GABAergen System beeinflusst Serotonin auch Lernen und Gedächtnis. Bei Stresszuständen wird die Ausschüttung von Serotonin in den verschiedenen Gehirnteilen verändert. In der Großhirnrinde ist sie dann erhöht, im Stammhirn und Zwischenhirn dagegen vermindert. Es ist anzunehmen, dass das Serotonin-System entscheidend ist für die Aufrechterhaltung einer normalen kognitiven Funktion, bzw. bei Dysfunktion für die Entstehung kognitiver Störungen. In bestimmten Hirnarealen besteht zwischen Serotonin und Dopamin eine inverse Beziehung.
Serotonin kann die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Ein Mangel an Serotonin kann durch verminderte Verfügbarkeit von Tryptophan in der Gehirnflüssigkeit entstehen. Insulin ermöglicht den Übertritt von Tryptophan an der Blut-Hirn-Schranke. Bei normaler Verfügbarkeit von Tryptophan steuert das Gehirn die Synthese von Serotonin, entsprechend der Aktivität der Raphe-Neuronen, selbst. Deshalb führt ein (z. B. durch Süßigkeiten) erhöhter Tryptophan-Spiegel im Gehirn nicht automatisch zu mehr Serotonin.
(Hiedl 2004)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Strukturformel des Neurotransmitters Dopamin (Quelle: NLM o. J.)
2.2 Umweltfaktoren
Exogene Risikofaktoren
Unter exogenen Risikofaktoren werden Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, niedriges Geburtsgewicht, Infektionen und Toxine (z.B. Bleiintoxikationen, pränatale Alkohol-, Nikotin- oder Benzodiazepinexposition) zusammengefasst (Banaschewski et al. 2004). Zur Bedeutung von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen existieren widersprüchliche Befunde. Möglicherweise sind andauernde hypoxische Zustände, die zudem gehäuft mit geringem Geburtsgewicht assoziiert sind, in Bezug auf ADHS relevant (Banaschewski et al. 2004). Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft geraucht haben, sind nachweislich häufiger von ADHS betroffen als Kinder von Nichtraucherinnen. Nikotin entfaltet an Dopamin-Transportern (DAT) eine stimulanzienartige Wirkung (Krause und Krause 2007). Eine pränatale Nikotinexposition reduziert vermutlich die Dichte nikoninerger Rezeptoren, die wiederum die dopaminerge Aktivität regulieren (Banaschewski et al. 2004). Auch hier spielt eine mögliche genetische Prädisposition eine Rolle. Gleiches gilt für Alkoholabusus während der Schwangerschaft (Krause und Krause 2007), PCB-Intoxikationen (Das Banerjee et al. 2007) sowie Bleiintoxikationen (Banaschewski et al. 2004).
Berichte über wiederkehrende saisonale Muster bezüglich der Geburtstermine von Kindern mit ADHS führten zu der Vermutung, dass bestimmte saisonbedingte Virusinfektionen zur Manifestation von ADHS beitragen können. Im September und danach bis in den Winter hinein geborene Kinder sind häufiger betroffen als andere. Virusinfektionen während der Schwangerschaft, unter der Geburt und in der frühen Kindheit sind mit einem erhöhten Risiko, eine ADHS zu entwickeln, verbunden. Auch nicht-saisonbedingte virale Erkrankungen wurden bei bestehender ADHS gehäuft beobachtet (Millichap 2007).
Psychosoziale Einflussfaktoren
Auch ungünstige familiäre psychosoziale Bedingungen können eine ADHS-Symptomatik mit bedingen, ohne ursächlich zu sein, indem sie insbesondere dissoziale und aggressive Verhaltensauffälligkeiten verstärken. Als positiv erlebte Beziehungen in Familie und Schule hingegen wirken als protektive Faktoren (Banaschewski et al. 2004). Obwohl zahlreiche Studien Zusammenhänge zwischen psychosozialen Bedingungen und der Prävalenz von ADHS aufzeigen, gelten negative psychosoziale Einflussfaktoren nicht als ADHS-spezifische Wirkungsvariable. Es wird davon ausgegangen, dass sie als unspezifische Trigger eine bestehende Prädisposition modulieren können (Faraone und Biederman 1998).
Ernährungsbedingte Einflussfaktoren
Die Ernährung stellt einen Umweltfaktor dar, der bei ADHS als Ursache und/oder als Wirkung eine Rolle spielen kann. Das Ess- und Trinkverhalten beeinflusst möglicherweise die ADHS-Symptomatik; aber sowohl die Symptomatik selbst als auch deren medikamentöse Behandlung können auch das Ess- und Trinkverhalten beeinflussen. Spezifische Reaktionen auf Nahrungsmittel scheinen bei manchen Kindern bei der Ätiologie der ADHS eine Rolle zu spielen (Taylor et al. 2004).
2.3 Wechselwirkungen zwischen Einflussfaktoren
Banaschewski et al. (2004) warnen vor einem neurobiologischen Reduktionismus, der die Komplexität der Störung unterbewertet. Zwischen allen genannten Einflussfaktoren bestehen Wechselwirkungen. Umwelteinflüsse können auch auf genetischer Ebene die Ausprägung eines Störungsbildes beeinflussen (Genexpression). Bestimmte Genotypen weisen möglicherweise eine gesteigerte Vulnerabilität gegenüber Umwelteinflüssen auf (Krause und Krause 2007). Das Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren (gene-environment-interaction, G x E) beeinflusst das sich entwickelnde Gehirn höchstwahrscheinlich, indem es zu einem heterogenen Profil neuropsychologischer, struktureller und funktionaler Auffälligkeiten führt (Das Banerjee et al. 2007, Faraone und Biederman 1998).
Ein wichtiges Ziel neurobiologischer Forschung ist derzeit, Modelle für so genannte Endophänotypen zu entwickeln, um Erkrankungsrisiko und Therapiemöglichkeiten gezielter abschätzen zu können (Banaschewski et al. 2004, Krause und Krause 2007).
3. Therapeutische Maßnahmen bei ADHS
Zur Behandlung von ADHS werden Psychotherapie und Psychoedukation in Form von Verhaltenstherapie und Elterntraining, medikamentöse Therapie und Diäten eingesetzt. Alle diese Möglichkeiten sollen laut den europäischen klinischen Leitlinien zur Verfügung stehen, und die Therapie soll einem individuell zugeschnittenen Behandlungsplan folgen. Die diätetische Therapie wird zwar erwähnt, aber nicht konkretisiert (Taylor et al. 2004).
Der Bundesverband Arbeitskreis Überaktives Kind (BV AÜK) hat gemeinsam mit der Berliner Charité die ADHD-Profilstudie durchgeführt. Aus dieser Untersuchung liegen Daten zur Behandlung der ADHS von Kindern in Deutschland vor: Von einer Gesamtstichprobe von 1.624 Kindern wurde ein überwiegender Anteil von 1.239 Kindern medikamentös mit Stimulanzien behandelt. Die meisten nahmen diese über mehrere Jahre ein; einige Kinder erhielten die Medikation schon ab einem Alter von 3 Jahren (Huss und Högl 2005). Insbesondere der Wirkstoff Methylphenidat ist erst ab einem Alter von 6 Jahren zugelassen, da eine frühere Einnahme nicht als sicher gilt. Ein Teil der Kinder erhielt Ergotherapie (n=799) oder eine Verhaltenstherapie (n=582) (Huss und Högl 2005).
3.1 Verhaltenstherapie und Elterntraining
Unter den psychotherapeutischen Ansätzen haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Elterntrainings bewährt, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist (Bundesärztekammer 2005). Dabei geht es darum,
- besondere Problemsituationen und Auslöser von Verhaltensproblemen zu identifizieren,
- Problemverhalten zu analysieren,
- die Interaktion zwischen Eltern und Kind positiv zu beeinflussen,
- verhaltenstherapeutische Techniken und deren Übertragung in den Lebensalltag des Kindes an Eltern und LehrerInnen zu vermitteln sowie
- den Kindern kognitive Techniken zu vermitteln (Taylor et al. 2004).
Seit über 20 Jahren gibt es in Deutschland eine aktive Selbsthilfe, die anfänglich nur für Eltern konzipiert war, inzwischen aber zu einem Hilfsnetzwerk für alle Betroffenen herangewachsen ist, das Informationen zur Verfügung stellt und versucht, Betreuungsangebote zu optimieren und Betroffene vor unseriösen Behandlungsangeboten zu schützen (Bundesärztekammer 2005).
3.2 Medikamentöse Therapie
Grundlagen
Die Behandlung der ADHS mit Stimulanzien ist weit verbreitet. Bereits in den 1930-er Jahren wurde Amphetaminsaft zur Behandlung der ADHS verabreicht. Später folgten das heute etablierte Methylphenidat (z.B. unter dem Handelsnamen Ritalin) und weitere Medikamente (Homann 2003).
Der Wirkstoff erster Wahl ist der Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Methylphenidat, eine gewöhnlich stimulierend wirkende, amphetaminähnliche Substanz, die sich in zahlreichen placebo-kontrollierten, randomisierten Studien als wirksam in der Therapie der Kernsymptome der ADHS erwiesen hat. Alternativ kann auch d-l-Amphetamin eingesetzt werden. Die Stimulanzientherapie ist jedoch nicht für alle Kinder geeignet. Häufig wird sie von der Familie abgelehnt, wenn diese die Ursachen für die Symptomatik eher im sozialen Umfeld vermutet. Dies kann die Compliance und damit die Effektivität einer medikamentösen Therapie verringern. Manchmal sind auch unerwünschte Nebenwirkungen so stark, dass die Medikation abgebrochen werden muss (Taylor et al. 2004).
Laut Bundesärztekammer (2005) ist die Indikation für eine Stimulanziengabe dann angezeigt, wenn die Symptomatik ausgeprägt ist und psychoedukative Maßnahmen nicht durchführbar sind oder innerhalb von einigen Wochen erfolglos bleiben. Die Dosierung richtet sich nach der Wirkung bzw. nach unerwünschten Nebenwirkungen; die Zeitpunkte für die Medikation in Form von zwei bis drei Einzeldosen werden so gewählt, dass das Kind die täglichen Anforderungen wie Schule, Hausaufgabenzeit und kritische Freizeitaktivitäten bewältigen kann. Unter bestimmten Bedingungen können an Wochenenden, Feiertagen oder in der Ferienzeit Therapiepausen eingelegt werden. Die teureren Retardpräparate enthalten Methylphenidat, das zu einem Teil sofort, zum anderen Teil verzögert freigesetzt wird, so dass deren Wirkung 8 – 12 Stunden anhält. Sie sind dann indiziert, wenn eine verlässliche Mehrfachgabe nicht möglich ist und ein stabiler Effekt über den ganzen Tag anders nicht erreichbar ist (Bundesärztekammer 2005).
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