Erziehung und Gesellschaft

Wie Erziehung und Gesellschaft sich wechselseitig beeinflussen


Fachbuch, 2008

134 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Was ist los in der Gesellschaft?
1.1. Alltägliche Ärgernisse und Sorgen
1.2. Umgang miteinander
1.3. Umgang mit Kindern
1.4. Leben wir noch in einer Demokratie?
1.5. Umgang mit Tieren und mit der Natur
1.6. Kriminalität und Gewalt

2. Was ist los mit unseren Kindern?
2.1. Die Situation an deutschen Schulen
2.1.1. Null Bock auf Schule (oder: Chaos im Klassenraum)
2.1.2. Sind unsere Kinder dumm?
2.1.3. Mobbing im Klassenzimmer
2.1.4. Gewalt an Schulen (oder: Tatort Schule)
2.1.5. Amoklauf und Suizid
2.2. Was machen Kinder in ihrer Freizeit?
2.2.1. Kinder allein zuhause
2.2.2. Fernsehen, Video, Computerspiele
2.2.3. Musik hören
2.2.4. Harmlose Partys?
2.2.5. Kinderkriminalität

3. Suche nach den Ursachen
3.1. Fehlende Werte
3.2. Orientierungslosigkeit in der Erziehung
3.3. Was macht intelligente Kinder dumm?
3.4. Wodurch werden Kinder gewalttätig?
3.4.1. Wie Kinder heute aufwachsen
3.4.2. Nährboden für Gewalt
3.4.3. Welche Rolle spielt Erziehung?
3.4.4. Fazit
3.5. Warum wollen Kinder sterben?

4. Das Dilemma der institutionellen Erziehung
4.1. Kindergärten und Kindertagesstätten
4.2. U3-Gruppen
4.3. Schulen

5. Die Erziehungssituation in Deutschland
5.1. Was bedeutet Nichterziehung?
5.2. Eltern haben es nicht leicht
5.3. Liberale Eltern, bequeme Eltern?
5.4. Verwöhnende Eltern / materialistisch eingestellte Eltern
5.5. Überbehütende Eltern
5.6. Ehrgeizige Eltern

6. Blick ins Ausland
6.1. Kinderbetreuung und Schulsysteme im europäischen Vergleich
6.1.1. Schweden
6.1.2. Finnland
6.1.3. Frankreich
6.1.4. England
6.2. Was können wir lernen?
6.2.1. Vorschulischer Bereich
6.2.2. Schulischer Bereich

7. Was muss sich ändern?
7.1. Änderungen im Bereich schulischer und vorschulischer Erziehung
7.1.1. Verbesserungen im vorschulischen Bereich
7.1.2. Verbesserungen im schulischen Bereich
7.2. Änderungen auf politischer Ebene
7.3. Ausblick

Quellen und Anmerkungen

Literatur

1. Was ist los in der Gesellschaft?

Verfolgt man die Entwicklung in unserem Land während der letzten zehn bis zwanzig Jahre, so kann man nicht umhin, festzustellen, dass einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Seit Jahren haben wir hohe Arbeitslosenzahlen, und die Schere zwischen arm und reich wird immer größer. Arbeitnehmer mussten viele Jahre auf Lohnerhöhungen verzichten, während die Preise und die allgemeinen Lebenshaltungskosten rasant anstiegen, insbesondere nach der Euro-Einführung. Auch die Kosten im Gesundheitswesen explodierten; wer zum Arzt gehen und sich behandeln lassen will, muss oft genug tief in die Tasche greifen.

Viele Arbeitslose erlebten einen schmerzhaften sozialen Abstieg, weil sie schon nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfe-Niveau landeten. Manager und Vorstandsvorsitzende dagegen genehmigten sich Gehaltserhöhungen oder Abfindungen in schwindelerregender Höhe. Auf der anderen Seite ist Sozialbetrug in größerem Ausmaß zu beobachten. Viele Menschen verbringen ihr Leben schon in der zweiten oder dritten Generation ohne Arbeit auf Kosten der Steuerzahler und ein großer Teil der Privathaushalte ist verschuldet.

Das soziale Klima in Deutschland hat sich immer mehr verschlechtert. Der Umgang miteinander ist oft geprägt von Kälte und Feindseligkeit, und Mobbing ist weit verbreitet. Kriminalität und Gewalt sind allgegenwärtig, Vandalismus ist an der Tagesordnung; überall trifft man auf eingeschlagene Scheiben und Ähnliches. Vieles geschieht am Rande der Legalität, Betrug ist alltäglich und die Verbraucher sind oft genug die Dummen. Die Politik scheint zu schwach zu sein, um ihre Bürger vor solchen Machenschaften zu schützen.

Die Hauptleidtragenden in unserer Gesellschaft aber sind die Kinder. Wir leben zwar in einem der reichsten Länder der Welt, aber viele Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze. Soziale Vernachlässigung und soziale Verwahrlosung ziehen sich durch alle sozialen Schichten. Mehr als hundert Kinder in Deutschland verhungern, verdursten oder sterben Jahr für Jahr an den Folgen von Misshandlungen durch ihre Eltern, viel zu viele Kinder sind sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Suizid bei Kindern und Jugendlichen ist die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen. Auf der anderen Seite wächst die Kinderkriminalität und deutsche Kinder greifen im europäischen Vergleich am häufigsten zu Drogen und Alkohol. Schulleistungen dagegen gehen kontinuierlich zurück.

All dies ist Anlass genug, sich über die dahinter liegenden Gründe und Ursachen Gedanken zu machen und die gesellschaftliche Entwicklung, die zu diesen Zuständen geführt hat, genauer zu betrachten. Die folgende Auflistung gesellschaftlicher Missstände erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur einen Eindruck vermitteln und ins Bewusstsein rücken, in was für einer Gesellschaft wir leben.

1.1. Alltägliche Ärgernisse und Sorgen

Darüber hat sich wahrscheinlich jeder schon einmal geärgert: man kauft sich etwas Neues und schon nach kurzer Zeit scheint das Teil kaputt zu sein. Ist noch Garantie darauf, wird es vielleicht eingeschickt und man hört wochenlang nichts mehr davon. Hat man Glück, bekommt man es ersetzt, doch siehe da: nach einigen Wochen ist es schon wieder kaputt. Es war wohl eine Fehlkonstruktion und man hatte nur Unkosten und Ärger damit. Manche Dinge scheinen auch so „programmiert“ zu sein, dass sie kurz nach Ablauf der Garantiezeit ihren Geist aufgeben. Andere, die vielleicht preiswerter waren und auf denen keine Garantie war, funktionieren von vorneherein nicht. Manche Verpackungen bekommt man nur auf, wenn man Werkzeuge zur Hilfe nimmt und alles ist so kundenunfreundlich wie nie zuvor. Man hat immer öfter das Gefühl, dass nur noch „Schrott“ hergestellt wird.

Auch über Handwerker wird sich jeder schon einmal geärgert haben. Sie lassen einen oft lange warten, sind teuer und leisten häufig keine gute Arbeit. In letzter Zeit kommen auch immer mehr Zweifel daran auf, ob sie seriös arbeiten: uns ist es z.B. mehr als einmal passiert, dass Geräte, die vor der Wartung in Ordnung waren, danach irgendeinen Mangel hatten. Bei Reklamation dieser Mängel bekamen wir aufwendige und teure Reparaturen in Aussicht gestellt.

Ähnliches hört man auch des Öfteren von Autowerkstätten: einerseits wird oft ohne vorherige Absprache mehr gemacht, als vereinbart, d.h. die Rechnung wird um einiges teurer; andererseits tauchen, kaum dass man ein paar Tage mit dem reparierten Wagen gefahren ist, neue Mängel auf, die vorher nicht da waren. Man muss also wieder in die Werkstatt und fragt sich, ob da nicht vielleicht manipuliert wurde.

Vieles bewegt sich heute am Rande der Legalität, ohne dass ernsthaft etwas dagegen unternommen wird. Am Ende ist der Verbraucher immer der Dumme, der die Rechnung begleichen muss. Vielen Telefonkunden ist es schon passiert, dass sie eine hohe Telefonrechnung erhielten, deren Höhe sie sich nicht erklären konnten. Dahinter steckte meistens die Verbindung zu teuren 190iger-Nummern, die der Kunde jedoch nicht wissentlich angewählt hatte. Er wurde jedoch so manipuliert, dass diese Verbindungen ohne sein Wissen zustande gekommen sind und muss nun für die Rechnung aufkommen.

Immer wieder werden Scheinfirmen gegründet, die auf Bestellung völlig wertlose Sachen verschicken und Vorkasse verlangen. Will der Kunde sein Geld zurück stellt sich heraus, dass es diese Firma gar nicht gibt. Der Kunde ist wieder der Dumme.

Versicherungen führen seit Jahren „schwarze Listen“ (HIS), in denen Menschen namentlich aufgeführt werden, die ein gesundheitliches Handicap haben, die irgendwann einmal eine Therapie gemacht haben oder die ganz einfach bereits Versicherungsleistungen in Anspruch genommen haben. Diese Menschen wundern sich dann, warum sie bei Abschluss einer neuen Versicherung Probleme haben und keine Versicherung sie nehmen will. Diese Praxis ist zwar illegal, doch es wird nichts dagegen unternommen.

Oft werden für angeblich gute Zwecke Spendengelder gesammelt und fließen zum größten Teil auf irgendwelche privaten Konten von Betrügern, die sich an der Hilfsbereitschaft von Menschen bereichern wollen.

Viele Menschen werden mehrmals in der Woche von Werbeanrufen belästigt. Lässt man sich auf ein Gespräch ein oder stimmt zu, sich Infomaterial schicken zu lassen, wird man bereits auf einen Vertrag festgenagelt. Um sich juristisch abzusichern kaufen diese Leute angebliche Einverständniserklärungen, die beispielsweise in Gewinnspielen in versteckter Form erschlichen wurden. Gesetze zum Schutz der Verbraucher werden nicht erlassen. Man muss zur Selbsthilfe greifen und sofort den Hörer auflegen, wenn man sich vor unerwünschten angeblichen Verpflichtungen schützen will.

Auch im Nahrungsmittelsektor werden Kunden betrogen. Oft ist nicht das in der Packung, was drauf steht. Ein gutes Beispiel dafür ist der Gammelfleischskandal. Der Verbraucher kann sich nur am Etikett orientieren und geht davon aus, einwandfreie Ware zu kaufen, wenn das Haltbarkeitsdatum nicht überschritten ist, denn schließlich gibt es ja ein Lebensmittelgesetz. In Wirklichkeit bekommt er chemisch aufbereitetes, geschöntes, aber halb verdorbenes Fleisch, das von verantwortungslosen, geldgierigen Händlern um etikettiert wurde.

Auf der einen Seite gibt es eine ungenügende Kontrolle von Gesetzen, auf der anderen Seite aber nimmt der Bürokratismus in Deutschland immer mehr überhand. Zwar wird ständig von Bürokratieabbau gesprochen, in der Realität nimmt er aber immer mehr zu. Menschen mit Eigeninitiative, die sich z.B. selbständig machen wollen, scheitern oft an der Fülle von Vorschriften, die es zu beachten gilt. Bei Anträgen wird nicht nach menschlichen Aspekten oder gesundem Menschenverstand entschieden, sondern rein nach Paragraphen. Vielen Menschen geschieht auf diese Weise Unrecht.

Ein ganz persönliches Beispiel: ich durfte als Diplom-Pädagogin mit dem Schwerpunkt „Vorschulische Erziehung“ lange Zeit nicht in Kindergärten arbeiten, obwohl ich genau für diese Alterstufe ausgebildet wurde. Es gab einen gesetzlichen Paragraphen, der untersagte, dass Diplom-Pädagogen die Stelle einer Erzieherin einnehmen. Als schlechtbezahlte Zweit- oder Ergänzungskraft dagegen hätte ich jederzeit arbeiten dürfen, da man dafür keine Ausbildung braucht.

Auch die offizielle Gründung unserer privaten Spielgruppe wäre beinahe an zahlreichen Vorschriften und Auflagen gescheitert. Wir mussten jahrelang auf unsere Betriebserlaubnis warten.

Im Gesundheitswesen kann man eine ähnliche Entwicklung beobachten: obwohl Patienten immer mehr zur Kasse gebeten werden und vieles selber bezahlen müssen, kommt es immer häufiger vor, dass aufgrund von Vorschriften lebenswichtige Therapien von den Krankenkassen verweigert werden. In einigen Fällen, von denen in Nachrichtenmagazinen berichtet wurden, ging es dabei tatsächlich um Leben und Tod. Patienten, die nicht das Geld haben, eine solch kostspielige Therapie selbst zu finanzieren, haben das Nachsehen. Die Angestellten der Krankenkassen ziehen sich auf ihre Vorschriften zurück und machen sich anscheinend keinerlei Gedanken darüber, dass diese Menschen vielleicht sterben müssen. Dies zeigt in drastischer Weise, dass die Zweiklassenmedizin in Deutschland bereits Realität ist.

Vielfach kann auch beobachtet werden, dass soziale Notlagen von Menschen ausgenutzt werden, um Geschäfte damit zu machen. Es ist bekannt, dass Arbeitlose regelmäßig Stellenanzeigen durchsehen. Bei vielen dieser angeblichen Stellenanzeigen geht es jedoch nur darum, weitere Informationen zu erhalten und zwar gegen Bezahlung. Meist stellt sich jedoch heraus, dass diese Informationen so allgemein formuliert und nichtssagend sind, dass ein Arbeitssuchender nichts damit anfangen kann.

Oft geht es auch darum bestimmte Waren zu kaufen, die sich dann als nahezu unverkäuflich herausstellen. Wer nicht aufpasst, schließt bei der Bestellung solcher Ware Verträge für mehrere Monate oder Jahre ab.

Auch mit pflegebedürftigen Menschen versucht man möglichst viel Geld zu verdienen: häusliche Pflege wird von einigen privaten Pflegediensten gegen teure Bezahlung angeboten, getan wird aber nur das Nötigste. Plätze in Altenpflegeheimen kosten ein kleines Vermögen; in vielen dieser Heime werden alte Menschen aber mehr als unzureichend versorgt, weil immer mehr Personal eingespart wird, um die Gewinnspanne zu erhöhen.

Ähnliche Zustände herrschen mittlerweile in vielen Krankenhäusern. Ausgebildete Krankenpflegekräfte werden entlassen, stattdessen stellt man Krankenpflegehelfer und Aushilfen ein. Oft wird im Spätdienst auf einer Station nur noch eine ausgebildete Krankenpflegekraft eingeteilt, die für alles verantwortlich ist. Gibt es Notfälle oder geht etwas schief, so leiden die Patienten darunter.

Im Politmagazin „Report“ vom 16.Juli 2007 wurde darüber berichtet, dass Patienten in Krankenhäusern nicht mehr optimal versorgt werden können. Das überlastete Krankenpflegepersonal ist auf die Mithilfe von Angehörigen angewiesen, wenn es um pflegerische Tätigkeiten geht; wenn Notfälle auftreten, befinden sich manche Patienten in Lebensgefahr. Auch hier wird auf höherer Ebene in höchstem Maße unverantwortlich gehandelt.

1.2. Umgang miteinander

Die Art und Weise, wie Menschen in Deutschland miteinander umgehen, ist oft geprägt von Kälte, Feindseligkeit und Gleichgültigkeit. So ist z.B. Mobbing ein häufig beobachtetes Phänomen unserer Zeit. Der Begriff „mobben“ kommt aus dem englischen Sprachraum und heißt übersetzt „jemanden fertigmachen“. Man spricht von Mobbing, wenn feindselige Worte und Handlungen über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr anhalten und mindestens einmal pro Woche stattfinden.

Mobbing ist weit verbreitet in Deutschland. Es geht durch alle Berufsgruppen und kommt vor in Betrieben, Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten, eigentlich überall, wo Menschen zusammenarbeiten und wo ein gewisser Konkurrenzkampf entstehen kann. Meistens geht es darum, sich selbst auf Kosten anderer zu profilieren.

Auch Streitigkeiten unter Nachbarn häufen sich in den letzten Jahren. In 80% aller zivilrechtlichen Verfahren geht es um nachbarliche Streitfälle. Nicht selten handelt es sich dabei um Bagatellen, die aber oft genug vor Gericht entschieden werden müssen. Keiner ist bereit nachzugeben oder auf den anderen zuzugehen. Häufig wird noch nicht einmal miteinander geredet, geschweige denn, ein Kompromiss gesucht. Jeder beharrt auf seinem Recht und der Streit eskaliert.

Immer mehr Menschen schotten sich ab und kümmern sich nicht um ihre Nachbarn, auch wenn diese vielleicht alt und krank oder behindert sind. Nicht selten sterben Menschen in ihren Wohnungen oder Häusern und keiner bemerkt es. Leider interessiert sich kaum noch jemand dafür, wie es den Menschen in der unmittelbaren Umgebung geht.

Auch in vielen Ehen findet keine Kommunikation mehr statt. Es gab noch nie so viele Scheidungen, wie in der heutigen Zeit: jede dritte Ehe wird bereits geschieden. Möglicherweise ist das Wissen darüber verlorengegangen, dass eine Beziehung nicht von selber funktioniert, sondern dass beide Seiten daran arbeiten und manchmal Zugeständnisse machen müssen. Vor allem sind offene Gespräche notwendig und in einigen Bereichen müssen Kompromisse gefunden werden, die beiden Partnern gerecht werden. Nimmt jedoch jeder nur sich selber wahr, sieht nur seine eigenen Interessen und ist unfähig, auf den anderen zuzugehen, so steht am Ende meist die Trennung. Die Kinder sind dann die Leidtragenden.

Der Umgang mit alten Menschen ist ebenfalls ein Indiz für Kälte und Gleichgültigkeit in unserem Land. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und Kulturen wird alten Menschen in Deutschland kaum Respekt entgegengebracht. Man nimmt sie oft nicht für voll und gesteht ihnen vieles nicht mehr zu. Banken z.B. weigern sich, Menschen ab einem bestimmten Alter noch einen Kredit zu geben, auch wenn Sicherheiten vorhanden sind.

In Altenpflegeheimen werden alte Menschen oft wie Kinder behandelt: man nimmt ihnen ihre Würde, indem man sie nur unzureichend versorgt. Schon oft wurde in den Medien z.B. darüber berichtet, dass alte Menschen beim Essen auf einen Toilettenstuhl gesetzt werden oder Windeln tragen müssen, weil niemand Zeit hat, mit ihnen zur Toilette zu gehen. Auch wird ihnen, da die Heime viel kosten, oft nur ein geringes Taschengeld zugestanden, so dass sie sich nur noch das allernotwendigste leisten können.

Auch Kindern gibt man oft das Gefühl, unerwünscht zu sein. Deutschland gilt im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern als wenig kinderfreundlich. Fast überall ist es verboten, zu spielen, Rasenflächen dürfen nicht betreten werden, in der Stadt ist es wegen der Autos unmöglich draußen herumzulaufen. Zwar gibt es Spielplätze, diese sind jedoch für kleinere Kinder meist nur in Begleitung ihrer Eltern erreichbar. Kinderlärm wird oft nicht toleriert und in nur wenigen Restaurants gibt es Kinderstühle oder einen Spielraum für Kinder. In vielen anderen Ländern ist dies die Regel.

Wesentlich schlimmer aber ist es, dass immer mehr Kinder von ihren Eltern vernachlässigt oder misshandelt werden.

1.3. Umgang mit Kindern

Man kann unterscheiden zwischen körperlicher Misshandlung, seelischer Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern. Die körperliche Misshandlung umfasst alle Arten von körperlicher Gewalt, wie schlagen, schütteln, würgen oder verbrennen.

Seelische Misshandlung ist dann gegeben, wenn Eltern ihre Kinder ablehnen oder eine gleichgültige oder sogar eine feindselige Haltung ihnen gegenüber einnehmen. Solche Eltern kritisieren ihre Kinder häufig, setzen sie herab, erniedrigen oder kränken sie. Die Grenzen zwischen Bestrafung und Misshandlung sind oft fließend. Eltern, die häufig strafen, bedienen sich beider Formen: häufige Schläge gehen einher mit seelischer Missachtung. Außerdem wirkt körperliche Züchtigung immer auch im seelischen Bereich, da sie eine Verletzung der Würde des Kindes darstellt. (1)

In der heutigen Zeit beobachtet man immer häufiger eine weitere Form der Misshandlung: die unverantwortliche Vernachlässigung von Kindern. Existenzielle Bedürfnisse, wie Ernährung, Fürsorge, Pflege werden ignoriert und nur unzureichend oder gar nicht befriedigt, d.h. Kinder müssen hungern, frieren, werden in der Wohnung eingeschlossen und erfahren keine menschliche Wärme. Die Entwicklung solcher Kinder wird nachhaltig geschädigt und in Einzelfällen kann die Vernachlässigung zum Tod führen.

Es gibt bedauerlicherweise keine verlässlichen Zahlen darüber, wie weit Vernachlässigung von Kindern in Deutschland verbreitet ist. Leider wird in dem gesamten Themenbereich in Deutschland noch zuwenig geforscht. Immer wieder jedoch werden in den letzten Jahren durch die Medien Fälle bekannt, von Babys und Kleinkindern, die verhungert oder verdurstet sind oder misshandelt wurden und auf diese Weise zu Tode kamen. Die schockierendsten Meldungen waren wohl die, dass Babys oder Neugeborene im Müll gefunden wurden. Eine größere Missachtung menschlichen Lebens ist kaum vorstellbar.

Eine Befragung des kriminalistischen Forschungsinstituts Niedersachsen ergab vor etwa zehn Jahren, dass 10% aller Kinder vor ihrem zwölften Lebensjahr schwere bis mittelschwere Misshandlungen erlebten, wie zusammengeschlagen werden oder Faustschläge ins Gesicht. Weiteren Aufschluss gibt eine großangelegte internationale Studie von UNICEF, die über mehrere Jahre lief (1995-2003). Nach den Ergebnissen dieser Studie sterben in den Industrieländern jährlich 3500 Kinder an den Folgen von Misshandlungen; in Deutschland sind es zwei pro Woche. In einem Zeitraum von fünf Jahren starben in Deutschland 523 Kinder, 148 davon waren noch im ersten Lebensjahr. (2)

Die Fälle alltäglicher Gewalt gegen Kinder sind jedoch ungleich häufiger. Da es aus Deutschland hierzu leider keine Zahlen gibt, kann man höchstens Rückschlüsse im Vergleich mit anderen Ländern ziehen: in Frankreich kommen auf einen Todesfall ca. 300 Fälle körperlicher Misshandlungen, in Australien 150 Fälle; in Kanada liegt das Verhältnis bei 1:1000. Jedoch muss man überall von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, da sich vieles im Verborgenen abspielt und die Kinder meistens schweigen.

Auch in England und in den USA werden Kinder häufig geschlagen. Eine Befragung in England Mitte der 90iger Jahre ergab, dass 97% der ein- bis vierjährigen gelegentlich geschlagen wurden; zwei Drittel der Kinder waren noch unter einem Jahr. In den USA ergab sich im Jahr 2000 ein ähnliches Bild: 94% der Kinder zwischen einem und vier Jahren wurden dort von ihren Eltern geschlagen.

Aus Deutschland ist bekannt, dass Eltern ihre Kinder nicht nur schlagen, sondern häufig auch schütteln. Das klingt vielleicht harmlos, doch es ist viel zuwenig bekannt, dass starkes, anhaltendes Schütteln irreversible Schädigungen verursachen oder bei sehr kleinen Kindern auch zum Tod führen kann.

Einer Umfrage zufolge, durchgeführt von der Universität Bielefeld, lehnt die Mehrheit der Erwachsenen in Deutschland körperliche Gewalt in der Erziehung ab. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen einer offiziell geäußerten Meinung und dem tatsächlichen Verhalten. Zwar ist die Anzahl der Kindestötungen innerhalb der letzten dreißig Jahre aufgrund von Kinderschutzprogrammen und Aufklärung leicht zurückgegangen, die Anzahl von Misshandlungen ist jedoch angestiegen und wächst weiter.

Welche Eltern sind es, die ihre Kinder schlagen und misshandeln? Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die dazu führen können. Eine wichtige Rolle spielen z.B. Armut und Arbeitslosigkeit, also letztendlich Existenzprobleme und Perspektivlosigkeit. Weitere Risikofaktoren sind beengte Wohnverhältnisse, Stress und Isolation. Viele Eltern, die ihre Kinder misshandeln, haben auch Alkohol- oder Drogenprobleme. Sie sind meist psychisch gestört oder zumindest labil, haben keine Kontrolle über sich und haben in ihrer eigenen Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht. (3) Gewalt gegen Kinder hängt laut der UNICEF-Studie auch signifikant mit der allgemeinen Verbreitung von Gewalt in der Gesellschaft zusammen. Länder mit den wenigsten Tötungsdelikten haben auch die geringste Anzahl an Kindestötungen und umgekehrt.

Und: Männer, die ihre Frauen schlagen und für die Gewalt zum Alltag gehört, misshandeln auch ihre Kinder.

Damit wird eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt: Kinder, die ihre gesamte Kindheit hindurch diese negativen Erfahrungen machen, werden in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stark beeinträchtigt und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch sie später Kinder misshandeln und sich in vielen Situationen gewalttätig verhalten.

1.4. Leben wir noch in einer Demokratie?

Zwar sinken momentan die Arbeitslosenzahlen, doch wird von Arbeitnehmern weiterhin verlangt, zurückzustecken. So kommt es immer wieder vor dass im Zuge der Aufspaltung in Tochtergesellschaften, viele Tausend Mitarbeiter mehr Wochenstunden arbeiten sollen für weniger Lohn. Ähnliches erlebte man in den vergangenen Jahren immer wieder.

Großunternehmen und Banken dagegen streichen seit Jahren satte Gewinne ein, Gehälter von Managern und Vorstandsvorsitzenden steigen rapide an, es werden Abfindungen in Millionenhöhe gezahlt. Auf der anderen Seite wurden und werden, gerade in Großunternehmen im erheblichen Maße Stellen abgebaut, damit die Aktienkurse der Unternehmen steigen. Firmen werden aufgekauft, in den Konkurs geführt und zum Zweck der Gewinnmaximierung ausgeschlachtet; die Mitarbeiter stehen auf der Straße.

Wir haben also auf der einen Seite eine ansteigende Verarmung in der Bevölkerung, die vor allem auch Kinder betrifft, auf der anderen Seite eine extreme Anhäufung von Kapital auf Kosten anderer. Die soziale Marktwirtschaft ist immer mehr in einen „Raubtierkapitalismus“ umgeschlagen. Massenentlassungen alleine aufgrund von Habgier lassen soziale Verantwortung in den Großkonzernen vermissen.

Seit etwa Anfang der 90iger Jahre wurden Kapital und Besitz in den Köpfen vieler Mitglieder der Gesellschaft immer wichtiger, Anhäufung von Geld wurde zu einem der wichtigsten Ziele. Ökonomische Interessen wurden immer deutlicher über ethische Werte gestellt. Traditionelle Methoden, auf ehrliche Weise zu Geld und Wohlstand zu kommen, verloren dagegen immer mehr an Anerkennung.

Heute haben Macht und Reichtum eine so große Bedeutung, dass zur Erreichung dieser Ziele oft auch illegale und unmoralische Mittel eingesetzt werden. Leider wird dies gesellschaftlich immer mehr akzeptiert. Gewinner sind sozial anerkannt, auch wenn sie auf illegale Weise reich geworden sind. Es gilt als normal, dass sich jeder nimmt, was er bekommen kann.

Welche Rolle spielt dabei die Politik? Es ist bekannt, dass viele Politiker gleichzeitig in Aufsichtsräten von Großunternehmen sitzen. Wollen sie einen Interessenkonflikt vermeiden, müssen sie die Entscheidungen der Unternehmen mittragen, auch wenn sie den Interessen ihrer Wähler zuwiderlaufen. Politiker dagegen, die noch ein soziales Gewissen besitzen und die Zusammenhänge durchschauen, sind oft machtlos. Sobald versucht wird, seitens der Politik arbeitnehmerfreundliche Entscheidungen zu treffen, wird von Wirtschafts-leuten mit dem Abbau von Arbeitsplätzen oder einer Standortverlegung ins Ausland gedroht.

Innerhalb der Politik wird fast nur noch in kurzfristigen Zeitspannen, auf die laufende Legislaturperiode hin, gedacht und gehandelt. Den Wählern kommt man gerade so weit entgegen, dass eine Wiederwahl gesichert erscheint. Oft wird auch das Eine gesagt und das Andere getan. In erster Linie jedoch geht es um finanzielle Interessen und Machterhalt. Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wird selten das getan, was dringend geboten wäre und was für die meisten Menschen gut und richtig wäre. Vielmehr wird in den allermeisten Fällen zugunsten wirtschaftlicher Interessen entschieden.

Lobbyisten haben einen großen Einfluss in unserem Land. Ob es um Tempolimit, Rauchverbot oder Klimaschutz geht – Lobbyisten haben eine so große Macht, dass die dahinter stehenden wirtschaftlichen Unternehmen (Autoindustrie, Tabakindustrie, Energiekonzerne) keinen Nach-teil befürchten müssen. Auf diesem Hintergrund muss man sich die Frage stellen, ob unser Land überhaupt noch von Politikern oder von Lobbyisten, bzw. dahinter stehenden Wirtschaftsunternehmen regiert wird? Ist unsere Demokratie zur Scheindemokratie geworden?

Viele Menschen spüren mittlerweile, dass einiges nicht mehr stimmt in unserem Land. Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit sind die deutlichen Folgen. Die verschiedenen Parteien verlieren immer mehr an Profil und man weiß nicht mehr so recht, welche Partei für was steht. Außerdem kann man sich des Gefühls nicht erwehren, als Bürger keinen Einfluss mehr zu haben. Die wachsende Unzufriedenheit hat dazu geführt, dass extremistische Parteien, insbesondere die Rechtsradikalen immer stärker werden.

Auch das Ausmaß an Korruption, die schon fast zur Normalität geworden ist, führt zu berechtigten Zweifeln am demokratischen Prozess. Während in den Bereichen, wo es um Menschen und insbesondere um Kinder und Jugendliche geht, gespart wird, werden in anderen Bereichen Millionen verpulvert oder in den Sand gesetzt. Auf der einen Seite werden Gelder gestrichen für Schulen, Kindergärten, Jugendzentren und Beratungsstellen, auf der anderen Seite werden Straßen dreimal hintereinander aufgerissen oder ein Kreisel nach dem anderen gebaut, auch wenn dies eigentlich überflüssig ist.

Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr, dass sich Baufirmen ihre Aufträge regelrecht „erkaufen“ und die Bestechungsgelder mit auf die Rechnung setzen. Bezahlen darf dann letztendlich der Steuerzahler. So lagen z.B. in einem Fall die Kosten für den Wiederaufbau eines Schwimmbades durch Bestechungsgelder bei über 500 000 Euro und damit 168% über der ursprünglichen Auftragssumme. In den Augen der Beteiligten war dieses Vorgehen völlig in Ordnung, sie zeigten keinerlei Unrechtsbewusstsein. (4)

Beamte galten immer als unbestechlich, doch heutzutage sind auch sie in Korruptionsaffären verstrickt. Sogar gegen das Bundeskriminalamt und gegen zahlreiche BKA-Mitarbeiter wird wegen Korruption ermittelt.

In den letzten Jahren fällt auf, dass Handlungen, die sich am Rande der Legalität bewegen oder die die Grenze zur Illegalität schon überschritten haben, immer weniger Unrechtsbewusstsein hervorrufen. So ist z.B. in der Pharmaindustrie ein sehr lascher Umgang mit Gesetzen und moralischen Normen die Regel. Kleinere Betrügereien der Angestellten werden großzügig übersehen, weil sie bei den Millionenumsätzen der Unternehmen nicht ins Gewicht fallen. Wenn es aber keine Sanktionen gibt, entsteht auch kein Unrechtsbewusstsein.

Auch der schon erwähnte Sozialbetrug kann in diesem Kontext gesehen werden. Man sichert sich staatliche Gelder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Kaum jemand hat dabei das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, weil eine gesellschaftliche Akzeptanz dafür besteht, sich zu nehmen, was man kriegen kann.

Im Gesundheitsbereich werden jedes Jahr Schäden in Millionenhöhe verursacht. Ärzte berechnen Leistungen über den Tod von Patienten hinaus, Geräte und Behandlungen werden zu überhöhten Preisen abgerechnet, Orthopäden geben gegenüber Krankenkassen Maßanfertigungen an, verschreiben den Patienten aber nur Standardprodukte.

Wirtschaftskriminalität wird in vielen Fällen, auch wenn sie offensichtlich ist, nicht angezeigt, da meistens die gesamte Belegschaft mit beteiligt ist. Das unmoralische Handeln wird zur Normalität, man gewöhnt sich daran.

Auch die deutsche Justiz kann nicht freigesprochen werden: Gerichtsurteile werden oft im Sinne der Machterhaltung gefällt. Wer Parteispendenskandale oder Ähnliches aufdecken will, dem kann es passieren, dass er sein Amt verliert. (5)

1.5. Umgang mit Tieren und mit der Natur

Tiere werden in unserer Gesellschaft in vielen Fällen wie leblose Gegenstände behandelt. Das augenfälligste Beispiel dafür sind Tiere, die für die Nahrungsmittelindustrie aufgezogen werden. Ob Massentierhaltung oder Legebatterien: Tiere werden regelrecht zu Maschinen degradiert und nicht als lebende Wesen, sondern nur als Produzenten von Fleisch, Milch und Eiern betrachtet. Schon oft wurden in den Politmagazinen von ARD und ZDF Beispiele für Tierhaltung gezeigt, die diesen Namen nicht verdient, da die einzige Erfahrung dieser Tiere Leiden und Krankheit ist. Von den Besitzern wird dieses Leiden scheinbar gar nicht mehr wahrgenommen, da sie nur auf Profit fixiert sind.

Auch von Rinder -und Schweinetransporten wird in den Medien immer wieder berichtet. Die Tiere sind oft ganze oder halbe Tage in den Containern eingepfercht, ohne Nahrung und Wasser, teilweise bei heißer Witterung. Obwohl dies alles seit Jahren bekannt ist, und von Seiten der Politik auch immer mal wieder halbherzige Versuche unternommen werden, die Zustände zu verbessern, ändert sich letztendlich nichts. Besonders von den Grünen hätte man sich in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung eine wesentliche Verbesserung erhofft, leider Fehlanzeige. Bedauerlicherweise reicht es in Deutschland nicht aus, Gesetze zu erlassen. Meist scheitert es daran, dass die Beachtung dieser Gesetze nicht ausreichend kontrolliert wird. Außerdem stehen auch hinter der Fleisch -und Milchindustrie einflussreiche Lobbyisten.

Auch Tierversuche sind nach wie vor an der Tagesordnung. Während man Tierversuche im medizinischen Bereich vielleicht tolerieren kann, sind sie in der Kosmetikbranche mehr als fragwürdig, selbst wenn sie gegenüber früher eingeschränkt wurden. Niemand scheint sich die Frage zu stellen, ob wir Menschen das Recht haben, leidensfähige Lebewesen so zu missbrauchen.

In den Familien werden Tiere oft als Spielzeug für die Kinder betrachtet. In vielen Fällen wird es versäumt, Kindern eine artgerechte Tierhaltung beizubringen und Tiere nicht wie leblose Dinge zu behandeln. Man hört oft davon, dass solche Tiere im Urlaub einfach ausgesetzt werden.

Nur wenige Erwachsene greifen ein, wenn sie sehen, dass Kinder Tiere quälen. Man sagt sich, dass dies eine normale Phase sei, in der die Kinder Erfahrungen sammeln. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es kleinen Kindern oft noch gar nicht bewusst ist, dass auch Tiere Empfindungen haben und leiden können. Man muss es ihnen schlicht und einfach sagen, so dass ein respektvoller Umgang mit der Natur gelernt werden kann.

Ein respektvoller Umgang mit der Natur ist leider auch für viele Erwachsene nicht selbstverständlich. Geht man nach Schönwetterperioden im Wald spazieren, so kann einem manchmal die Lust dazu vergehen: besonders die häufig frequentierten Wege gleichen einer Müllhalde. Jeder, der sich bei dem schönen Wetter im Wald aufgehalten hat, scheint es als sein Recht anzusehen, dort seinen gesamten Müll zu hinterlassen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer dies wieder wegräumen soll.

Auch wenn man sich das Handeln auf politischer Ebene anschaut, können einem Zweifel kommen, ob es dort tatsächlich ein ernstzunehmendes Umweltbewusstsein gibt. Obwohl Klimaschutz das Umweltthema Nummer eins ist und angeblich alles dafür getan werden soll, sind Flüge bei Politikern in großem Ausmaß an der Tagesordnung, obwohl viele bei besserer Organisation überflüssig wären. Dabei ist allgemein bekannt, dass Flugzeuge durch ihr Kerosin die Ozonschicht um ein Vielfaches mehr belasten als z.B. Autos.

Auch der Industrie werden im Hinblick auf Richtwerte für Schadstoffausstoß immer wieder Zugeständnisse gemacht. Kohlekraftwerke, die ebenfalls mit zu den Klimakillern gehören, werden weiterhin geplant und in Betrieb genommen.

Vor einiger Zeit wurde darüber berichtet, dass seit Jahren in regelmäßigen Abständen giftiger Müll aus Australien nach Deutschland gebracht wird, der im Herkunftsland aus Umweltschutzgründen nicht entsorgt werden soll. Im Frühjahr 2007 sollten 22.000 Tonnen Hexachlorbenzol verseuchter Abfall durch Nordrhein-Westfalen und Schleswigholstein transportiert werden, um in den Müllverbrennungsanlagen in Dormagen, Leverkusen, Herten und Brunsbüttel entsorgt zu werden. HCB gehört zu den zwölf gefährlichsten Chemikalien der Welt.

Giftmüll wird also um die halbe Welt transportiert, um hier bei uns verbrannt zu werden. Anscheinend ist dies so lukrativ, dass der Klimaschutz nur eine untergeordnete Rolle spielt und die Anreicherung der Luft mit Schadstoffen in Kauf genommen wird. Wie in vielen anderen Bereichen werden auch hier eindeutig ethische Überlegungen ökonomischen Interessen untergeordnet.

Ein wenig Hoffnung gibt jedoch die Tatsache, dass in diesem Fall aufgrund von massiven Bürgerprotesten der Transport gestoppt wurde. Mitte Juni 2007 lehnten die Umweltminister von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die Einfuhr des hochgiftigen Abfalls ab; zuvor war jedoch auf allen politischen Ebenen grünes Licht gegeben worden.

1.6. Kriminalität und Gewalt

Kriminalität und Gewalt gehören heute zu unserem Leben. Wir werden täglich damit konfrontiert, sei es im Fernsehen, in der Tageszeitung oder in der Realität. Einbrüche beispielsweise kommen so häufig vor, dass man sich kaum traut, abends, wenn es dunkel wird das Haus oder die Wohnung zu verlassen, ohne, dass ein Licht brennt. Auch wenn man in Urlaub fährt, muss man entsprechende Vorkehrungen treffen. Lässt man sein Auto in bestimmten Stadtteilen von größeren Städten stehen, so muss man damit rechnen, dass es aufgebrochen wird oder dass die Scheiben eingeschlagen werden. Man muss aufpassen, wenn man abends oder in der Mittagspause zur Bank um die Ecke oder noch mal schnell zur Tankstelle muss: dort könnte gerade ein Überfall stattfinden. Ist man in einem größeren Einkaufszentrum zum Einkaufen unterwegs, sollte man seine Tasche gut festhalten, sonst ist sie weg. Schließt man im Schwimmbad seine Wertsachen in ein Schließfach, so kann es vorkommen, dass es aufgebrochen wurde, wenn man sie wieder abholen will. Auch an seinem Arbeitsplatz kann man sich nicht sicher fühlen: lässt man nur für ein paar Minuten seine Handtasche unbeaufsichtigt liegen, sind wahrscheinlich Portemonnaie und Papiere fort. All diese Dinge geschehen täglich und sind uns selbst oder in unserer unmittelbaren Umgebung passiert. Der Raum im letzteren Fall war sogar abgeschlossen.

In der Kriminalstatistik spiegelt sich dies wieder: obwohl die Kriminalitätsrate leicht gesunken ist, wurden noch im Jahr 2006 über sechs Millionen Straftaten registriert; das sind mehr als 500 000 pro Monat und über 125000 pro Woche.

Ganz besonders betroffen sind ältere Menschen. Gelingt es einem Kriminellen, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ihre Wohnung zu gelangen, so sind sie ihm in der Regel hilflos ausgeliefert. Auch wagen sie es kaum, abends mit der Straßenbahn oder der U‑Bahn ins Theater oder Konzert zu fahren, weil sie Überfälle fürchten. Oft genug hat man schon gehört, dass im Falle eines Falles niemand eingreift, weil die Zivilcourage fehlt. Auch allein einen Waldspaziergang zu machen, ist in manchen Gegenden kaum möglich.

Aber auch Frauen und junge Mädchen sind gefährdet, wenn sie abends allein unterwegs sind. Sie sind einer besonderen Gefährdung ausgesetzt, der sexuellen Gewalt. Von dieser besonderen Form der Gewalt sind junge Mädchen und Frauen betroffen, hauptsächlich aber Kinder und zwar oft genug in ihrem eigenen Zuhause. Täter sind in den allermeisten Fällen Männer: Väter, Onkel, ältere Brüder.

Aktuelle Informationen vom Bundesamt für Jugend und Familie deuten darauf hin, dass sexueller Missbrauch für sehr viele Kinder zum alltäglichen Leben gehört. Man kann davon ausgehen, dass in jeder Gruppe von Kindern, sei es im Kindergarten oder in der Schule, einige von ihnen betroffen sind. Dabei handelt es sich zum Teil um noch sehr kleine Kinder.

Die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet steht in Deutschland erst am Anfang, im Gegensatz zu anderen Ländern, wie z.B. den USA. Das tatsächliche Ausmaß sexueller Gewalt bei Kindern, kann daher nur geschätzt werden. Beim BKA werden jedes Jahr 15 bis 16 000 Fälle sexuellen Missbrauchs angezeigt; so wurden z.B. im Jahr 2004 insgesamt 15255 Fälle registriert, annähernd doppelt so viele, wie Vergewaltigungen von Frauen. (6) Die Dunkelziffer ist jedoch sehr hoch und wird auf 1:20 geschätzt. Das bedeutet, dass jährlich ca. 300 000 Kinder sexuell missbraucht werden. Jedes dritte bis vierte Kind ist also betroffen.

Die Gründe, warum so viele Fälle nicht ans Licht kommen und die Täter nicht angezeigt werden, ist darin zu suchen, dass die meisten Täter aus dem familiären Bereich oder dem unmittelbaren sozialen Umfeld des Kindes kommen. Es ist bekannt, dass Fremdtäter in der Regel angezeigt werden, Täter aus der Familie aber nicht. Für die betroffenen Kinder ist es eine traumatische Erfahrung: dort, wo sie eigentlich Geborgenheit finden müssten, also innerhalb der Familie, wird ihnen Gewalt angetan. Da sie außerdem abhängig und auch emotional betroffen sind (in der Regel lieben Kinder beide Eltern), ist es für diese Kinder ganz besonders schwierig, sich zu wehren. Ambivalente Gefühle und das Verbot, jemandem davon zu erzählen, veranlassen sie zu schweigen.

Der Tatbestand der sexuellen Gewalt ist dann gegeben, wenn Erwachsene ihre sexuellen Bedürfnisse an Kindern befriedigen, auch wenn das Kind dabei körperlich nicht verletzt wird. Zugleich liegt immer auch Missbrauch von Macht vor, weil das Kind abhängig ist und sich nicht wehren kann.

Besonders betroffen sind Kinder, die ein großes Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit haben und Kinder, die zu Gehorsam und Anpassung erzogen wurden.

Die Folgen für die Kinder sind ähnlich dramatisch wie bei körperlicher und seelischer Misshandlung: schwere Entwicklungsstörungen im geistig-seelischen Bereich, bis hin zu Depressionen. Sexuelle missbrauchte Kinder senden oft, genau wie misshandelte Kinder Signale aus: Leistungsabfall in der Schule, Ängstlichkeit, Rückzugstendenzen, Nervosität, gewalttätiges oder sexualisiertes Verhalten.

Die hohe Dunkelziffer im Bereich sexueller Gewalt an Kindern, legt die Vermutung nahe, dass es eine sehr große Zahl von Pädophilen geben muss. Weitere Hinweise darauf findet man im Internet: Pornographie mit Kindern boomt. Das Bundeskriminalamt registrierte im Jahr 2004 insgesamt 4819 Fälle von Besitz von Kinderpornographie. In jüngster Zeit ist bekannt geworden, dass auch in der Parallelwelt von „Second Life“ sich jede Menge Pädophile tummeln. Die Verantwortlichen dieses „Spiels“ versuchen, dies zu unterbinden. Zum Glück sind in letzter Zeit mehrere Anbieter von Kinderpornographie gefasst und verhaftet worden. Es ist nicht hinzunehmen, dass Kinder entführt, zu sexuellen Handlungen gezwungen und dabei gefilmt werden. Allein die Vorstellung übersteigt das Maß des Erträglichen.

Aber auch viele Frauen leiden unter sexueller Gewalt. In der Statistik des BKA von 2004 sind Vergewaltigungen mit 8831 und sexuelle Nötigung mit 6792 Fällen registriert. (7) Sehr viele Frauen werden an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt. Gehen sie nicht auf die sexuellen Avancen ein, schlägt das Ganze schnell um in Mobbing, und sie müssen mit Benachteiligungen rechnen oder sogar um den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchten.

Viele Frauen wagen es auch nicht, abends ohne Begleitung aus dem Haus zu gehen, weil dies für einige Männer ein Freibrief für sexuelle Nötigung oder sogar Vergewaltigung zu sein scheint.

2. Was ist los mit unseren Kindern?

Kinder und Heranwachsende sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Kinder werden in ihrer Sozialisation geprägt durch die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, besonders dann, wenn der erzieherische Einfluss der Eltern nur schwach ausgeprägt ist. Auf der anderen Seite jedoch sind Kinder die Bürger von morgen und prägen auch die Gesellschaft mit. Einige von ihnen werden vielleicht Macht und Einfluss in Wirtschaft und Politik gewinnen und wichtige Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes treffen. Grund genug, der Entwicklung von Kindern die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr gebührt. Aber was beobachten wir, wenn wir mit Kindern zu tun haben? Was sind das für Meldungen, die fast täglich durch die Medien auf uns einstürmen? Es ist leider wenig erfreulich, was wir da erleben und erfahren; im Gegenteil: vieles ist so schockierend, dass man sich fragen muss, was denn da schief gelaufen ist.

2.1. Die Situation an deutschen Schulen

Motivierte Schüler, diszipliniertes Arbeiten, ein friedliches Miteinander in der Schule, wie ich es aus meiner Kindheit und Jugend kenne: all das scheint Vergangenheit zu sein. Lehrer zu sein ist mittlerweile einer der schwierigsten Berufe geworden. Lehrer müssen sich heute mit Verhaltensauffälligkeiten, Aggressionen, Disziplinlosigkeit und fehlendem Respekt herumschlagen. Leistungsbereitschaft und Motivation ist bei vielen Schülern kaum noch vorhanden. An vielen Schulen werden Drogen konsumiert, kriminelles und gewalttätiges Verhalten ist an der Tagesordnung. Lehrer haben teilweise Angst, zum Unterricht zu erscheinen, weil einige Schüler bewaffnet zur Schule kommen. An mehreren deutschen Schulen gab es bereits einen Amoklauf.

2.1.1. Null Bock auf Schule (oder: Chaos im Klassenraum)

Eine alltägliche Szene an deutschen Schulen: Schüler laufen durch den Klassenraum, einige hören Musik, andere unterhalten sich lautstark, Gegenstände fliegen durch die Luft; der Lehrer steht hilflos daneben und versucht, seinen Unterricht durchzuziehen, obwohl ihm kaum jemand zuhört.

Man mag es kaum glauben, aber so oder ähnlich spielt sich heutzutage der Unterricht an vielen Schulen ab. Der Bildungsexperte der evangelischen Fachhochschule Freiburg, Klaus Fröhlich-Gildhoff, weist darauf hin, dass etwa jeder fünfte Grundschüler verhaltensauffällig ist. Schon seit einigen Jahren fällt auf, dass immer mehr Schüler bereits bei der Einschulung massive Probleme haben. Sie weisen Verhaltensauffälligkeiten auf, können nicht stillsitzen, zeigen wenig Leistungsbereitschaft, haben Konzentrationsprobleme und Defizite vor allem im sprachlichen Bereich. Viele Kinder verhalten sich frech, aufsässig und respektlos gegenüber Lehrern und anderen Erwachsenen. Lehrer dagegen fühlen sich oft hilflos und machtlos, angesichts dieser Situation.

Was ebenfalls auffällt: viele Kinder leiden heutzutage an Willensschwäche. Sie verhalten sich passiv, sind lustlos und ohne Ideen und Initiative. Am liebsten lassen sie sich unterhalten. Dieses Verhalten ist schon im Vorschulbereich zu beobachten. Sie wollen immer im Mittelpunkt stehen und nehmen in erster Linie nur sich selbst wahr. Älteren Kindern fehlt es oft an den elementarsten Umgangsformen, wie ich selbst bei meiner Tätigkeit in der Offenen Ganztagsschule beobachten konnte. Sie reden dazwischen, wenn sich andere unterhalten, lassen einen nicht ausreden oder hören nicht zu. Viele von ihnen haben so gut wie keine Tischmanieren, grüßen weder, wenn sie kommen, noch verabschieden sie sich, wenn sie gehen.

Schule schwänzen kommt häufiger vor, als man denkt und ist an manchen Schulen so verbreitet, dass die Schüler zwangsweise zur Schule gebracht werden müssen.

Viele Schüler nehmen auch Medikamente. Sie sind scheinbar nicht in der Lage, einen Schultag ohne das Medikament Ritalin, das beruhigend wirkt, durchzustehen. Laut Aussagen von Lehrern und Lehrerinnen sind manche Kinder ohne Ritalin nicht "beschulbar“. Ritalin wird vielen Kindern verordnet, die angeblich an ADS oder ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) leiden und es werden immer mehr. Ritalin muss nach Ansicht von Ärzten ein Leben lang genommen werden und hat zahlreiche Nebenwirkungen. Man hat festgestellt, dass die Verschreibung von Ritalin in bestimmten Regionen gehäuft auftritt und leider drängt sich der Verdacht auf, dass es dort Ärzte gibt, die mit der Pharmaindustrie zusammenarbeiten.

Der Medikamentenmissbrauch hat sich in den letzten dreißig Jahren immer mehr nach vorne verlagert: heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, dass bereits Kindergartenkinder Medikamente einnehmen.

Leider ist das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern oft sehr negativ eingefärbt; es findet kein Miteinander, sondern eher ein Gegeneinander statt. Schüler fühlen sich oft nicht richtig wahrgenommen, unverstanden und ungerecht behandelt. Lehrer sind aufgrund der schwierigen Situation frustriert und wenig motiviert, ihren Unterricht lebendiger und interessanter zu gestalten. Starre Abläufe und einpauken von Unterrichtsinhalten sind immer noch die Regel.

Insbesondere an städtischen Hauptschulen kommt es seit einiger Zeit immer häufiger vor, dass Schüler bewaffnet zur Schule kommen und in gewalttätige Auseinandersetzungen mit anderen Schülern verstrickt werden. Auch Lehrer müssen damit rechnen, angegriffen zu werden. Ein gutes Beispiel ist die Rütlischule in Berlin.

Angesichts all dieser Probleme ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass Lehrer heutzutage einen der schwierigsten und anstrengendsten Berufe haben. Wegen Dauerstress müssen sie mit psychischen und körperlichen Erkrankungen rechnen. Viele Lehrer beklagen, dass sie kaum Disziplinierungsmöglichkeiten haben. Traditionelle Strafen, wie Nachsitzen oder Strafarbeiten sind mancherorts untersagt; Kinder dürfen auch nicht ohne Aufsicht aus der Klasse geschickt werden. (1)

Versucht ein Lehrer trotzdem, sich durchzusetzen, muss er damit rechnen, dass die Eltern einschreiten und sich über ihn beschweren. Auch eine negative Benotung, selbst wenn sie gerechtfertigt ist, wird von manchen Eltern als persönliche Beleidigung empfunden.

Ein Problem an vielen Schulen ist auch, dass kein Konsens unter den Lehrern herrscht: jeder vertritt eine andere Meinung und es gelingt nicht, sich auf allgemeingültige Kriterien festzulegen. Viele Lehrer scheuen sich auch, mit Kollegen über Probleme mit Schülern zu sprechen, um nicht als unfähig dazustehen. Dabei könnte man viele Probleme gemeinsam viel besser in den Griff bekommen.

Es ist mittlerweile bekannt, dass es in Deutschland nur eine geringe Durchlässigkeit zwischen den sozialen Schichten gibt. Der Politiker und Wissenschaftler Karl Lauterbach fand heraus, dass nur 9% aller Arbeiterkinder in Deutschland Abitur machen und später studieren. Zum Vergleich: in Schweden sind es 40%. (2)

Leider werden Schüler aus sozial schwachen Familien in der Schule oft von Anfang an benachteiligt. Sie können durchaus intelligent sein, bringen aber von ihrem Elternhaus her ungünstige Voraussetzungen mit, weil sie dort nicht gefördert wurden. Auch im Kindergarten und in der Grundschule wird es oft versäumt, diesen Kindern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Am Ende der vierten Klasse bekommen sie unabhängig von ihrer Intelligenz meist nur die Empfehlung für die Hauptschule. Nur wenige schaffen es, sich danach aus eigener Kraft auf dem zweiten Bildungsweg hochzuarbeiten.

Schüler, die auf der Hauptschule landen, sind sich meist darüber bewusst, dass sie kaum eine Zukunft haben. Nur wenige finden eine Lehrstelle, oft erst nach Jahren. Viele andere haben nur die Perspektive von Arbeitslosigkeit und Hartz IV.

Doch auch die Schüler aus sozial schwachen Familien, die es aufs Gymnasium oder auf die Realschule geschafft haben, sind damit noch nicht auf der sicheren Seite. In den höheren Klassen steigt der Leistungsdruck oft rapide an. Häufig ist dann Nachhilfeunterricht nötig, der in der Regel sehr teuer ist. Zwanzig Euro muss man mindestens hinlegen für eine einigermaßen qualifizierte Nachhilfestunde, einige Institute verlangen auch mehr als das doppelte. Natürlich können sich dies nur die gut situierten Familien leisten und die Schüler aus sozial schwachen Familien sind wieder einmal benachteiligt.

2.1.2. Sind unsere Kinder dumm?

Die Ergebnisse mehrerer PISA- Studien waren verheerend: Deutschland lag auf einem der hinteren Plätze. Die Zeitschrift McKinsey Wissen bemerkt dazu“: Wenn Deutschland den Anschluss an die Weltspitze nicht verlieren will, braucht das Land ein Bildungswunder.“

Lehrstellen werden oft nicht besetzt, weil es keine kompetenten Bewerber gibt; die Bewerbungsschreiben wimmeln nur so von Rechtschreibfehlern. In einer Studie aus Chemnitz fiel auf, dass auch Erwachsene Probleme haben: fast 50% von ihnen hatten Schwierigkeiten, Texte zu verstehen und zu erfassen.

Unter den Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern fallen besonders auf: Konzentrationsprobleme, Wahrnehmungsstörungen, Hyperaktivität, allgemeine Lernprobleme; der weitaus größte Teil jedoch sind Sprachdefizite. Der Anteil der Kinder mit ernsthaften Sprachproblemen stieg seit Anfang der 90iger Jahre von 4% auf 25% an. Auch von Legasthenie und ADS (Aufmerksamkeitsdefizit- Syndrom) sind heutzutage allem Anschein nach viele Kinder betroffen. Früher fand man diese Störungen und Auffälligkeiten eher bei Kindern aus sozial schwachen Familien, heute ziehen sich die Probleme durch alle sozialen Schichten.

Schon jedes dritte Grundschulkind hat heute ernsthafte Sprachprobleme. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass, im Vergleich zu früher, weniger mit Kindern gesprochen wird. Oft haben die Eltern zuwenig Zeit, da beide berufstätig sind. Viele Kinder sind heutzutage auch Einzelkinder und haben keine Geschwister, mit denen sie reden können. Da es insgesamt weniger Kinder gibt, sind auch weniger Spielkameraden vorhanden. Stattdessen verbringen Kinder immer mehr Zeit vor dem Fernseher oder vor anderen Bildschirmen, z.B. mit Computerspielen, bei denen sprachliche Kommunikation überflüssig ist.

Da Eltern immer weniger Zeit haben, kommen auch viele Dinge zu kurz, die sprachfördernd wirken: das Vorlesen von Geschichten, das gemeinsame Singen von Kinderliedern oder die Beschäftigung mit Fingerspielen.

Viele Kinder kennen heutzutage kein einziges Märchen mehr. Dabei wirkt die reiche, bildhafte Sprache in Märchen in höchstem Maße sprachfördernd. Auch die Inhalte der Märchen haben einen positiven Einfluss: sie begleiten die Entwicklung der Kinder und wirken präventiv oder sogar therapeutisch im Hinblick auf Verhaltensstörungen. Darauf werde ich später noch genauer eingehen. Stattdessen wachsen Kinder heute mit Comicfiguren auf, die eine sehr reduzierte, vereinfachte Sprechweise haben. (3)

Die meisten Eltern verlassen sich darauf, dass ihre Kinder in den Kindergärten und Kindertagesstätten ausreichend gefördert werden. Doch ist das tatsächlich der Fall?

Die Kindergärten, die ich kennen gelernt habe, waren nicht in der Lage, diese Defizite auszugleichen. Ich habe mehrere Erzieherinnen erlebt, die von sich sagten, sie kennten keine Kinderlieder und könnten auch nicht singen. Außer im Waldorfkindergarten habe ich auch noch keine Erzieherin gesehen, die regelmäßig Fingerspiele mit den Kindern gemacht hätte. Ebenso war das Vorlesen von Geschichten eher eine Ausnahme.

Es scheint also eine Tatsache zu sein, dass viele Kinder weder in der Familie, noch im Kindergarten eine ausreichende Sprachförderung erfahren. Auf der anderen Seite hat fast jedes Grundschulkind bereits einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer. Eltern erlauben das Fernsehen oft in guter Absicht: sie sind davon überzeugt, die Kinder könnten durch bestimmte Sendungen lernen. Doch die übermäßige Dauer des Fernsehkonsums vieler Kinder macht diesen Effekt schnell wieder zunichte. Schon morgens vor der Schule sehen Kinder die ersten Serien, nachmittags setzt sich das fort und häufig wird sogar noch abends ferngesehen, am Wochenende oft bis tief in die Nacht. Insgesamt verbringen Kinder mehr Zeit vor dem Fernseher, als in der Schule.

Auch einen eigenen Computer haben viele Schulkinder schon, mit der Begründung, die Kinder müssten lernen, damit umzugehen. Aber was bedeutet das wirklich? Kinder stellen schnell fest, dass man mit dem Computer viel einfacher schreiben und rechnen kann. Warum soll man sich also die Mühe machen, dies mit der Hand oder dem Kopf zu tun? Auch malen kann man mit dem Computer: die Bilder sehen viel perfekter aus, als wenn man sie mit Stiften, Wachsmalkreide oder Wasserfarben malt. Kinder entdecken ebenfalls schnell, dass man viele verschiedene Spiele auf dem Computer machen kann. Das lenkt einerseits ab von den Hausaufgaben, für die dann nicht mehr viel Zeit übrig bleibt und andererseits auch vom realen, phantasievollen Spiel, welches für eine gesunde Entwicklung sehr wichtig ist.

Insgesamt kann man feststellen, dass Kinder heute einen Großteil ihrer Zeit vor Bildschirmen verbringen, sei es mit Fernsehsendungen oder mit Computerspielen, beides ist kommunikationsfeindlich. Da sie außerdem zuwenig Gelegenheit haben mit ihren Eltern oder anderen Kindern zu sprechen und in Familie und Kindergarten zuwenig sprachfördernde Dinge erfahren, sind Sprachdefizite fast vorprogrammiert.

Sprache ist jedoch der Schlüssel für Denkvorgänge, Gedächtnis und Problemlösungsverhalten, kurz für alle kognitiven Prozesse. Wenn nun alles, was sprachfördernd wirkt immer mehr verloren geht, und stattdessen kommunikationsfeindliche Medien die Hauptrolle im Leben eines Kindes spielen, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Intelligenzentwicklung behindert wird.

2.1.3. Mobbing im Klassenzimmer

Mobbing ist heutzutage Realität an fast jeder Schule. Es fängt bereits in der Grundschule an und zieht sich durch alle Schulformen, Altersklassen und sozialen Schichten.

Zur Erinnerung: der Begriff „Mobbing“ stammt aus dem Englischen und bedeutet: anpöbeln, fertig machen und meint in der aktuellen Bedeutung einen lang andauernden Psychoterror in der Schule. Nach der offiziellen Definition ist Mobbing eine negative kommunikative Handlung, die mindestens einmal pro Woche und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten vorkommt.

Konkret läuft das meist folgendermaßen ab: ein Gruppe von Kindern sucht sich ein schwächeres Kind oder eines in einer Außenseiterposition und attackiert es verbal oder mit böswilligen Handlungen, mit dem Ziel, dieses Kind „fertigzumachen“. Dabei geht es in den meisten Fällen gar nicht um persönliche Feindschaft oder Ähnliches.

Vielmehr geht es um ein Ventil für Aggressionen, das Herabsetzen von anderen, um sich selbst stark zu fühlen oder das Abreagieren von Frustration. Manchmal steckt auch nichts anderes dahinter als Zeitvertreib.

Wahrscheinlich hat es Mobbing schon immer gegeben. Ich kann mich an Fälle aus meiner eigenen Schulzeit erinnern. Was jedoch neu ist, ist die Häufigkeit, Dauer und Böswilligkeit, mit der Mobbing heutzutage betrieben wird. Dabei beginnt es oft ganz harmlos: es fallen gehässige oder verletzende Bemerkungen, die das Opfer vielleicht zuerst gar nicht ernstnimmt. Im nächsten Schritt werden die Angriffe deutlicher und führen zu einer Ausgrenzung; Mitschüler beginnen sich zu distanzieren, das Ansehen in der Klasse leidet. Manchmal wird das Opfer auch bei Lehrern angeschwärzt. Langsam wird das Selbstvertrauen des Kindes untergraben. Hinter seinem Rücken wird über es hergezogen, es werden Gerüchte verbreitet, das Kind wird lächerlich gemacht. Eine Variante ist auch, jeglichen Kontakt zu verweigern und das betreffende Kind wie Luft zu behandeln. Im letzten Schritt kann es zu Einschüchterung, Drohungen oder auch Telefonterror kommen.

Mobbing-Opfer sind meist Schüler, die in irgendeiner Weise andersartig sind: wegen ihrer Nationalität, ihrer Rasse, ihrer Religionszugehörigkeit oder einer Behinderung.

Auch der soziale Status kann eine Rolle spielen: Kinder, die sich beispielsweise keine Markenkleidung leisten können werden häufig ausgegrenzt. Markenklamotten werden ab einem bestimmten Alter zum Zwang erhoben. Wer nicht die „richtigen“ Klamotten trägt, wird als „Aldi“ beschimpft. Was richtig oder falsch ist, wird dabei willkürlich festgelegt. In einer Schule ist es vorgekommen, dass alle Schultaschen, die nicht von der Marke Scout waren, in den Abfalleimer geworfen wurden. (4)

Was bedeuten all diese Angriffe für die Mobbing-Opfer? Beschimpfungen, Drohungen und Ausgrenzung führen für die Betroffenen zu extremen Stresssituationen. Starker Stress wiederum hat Konzentrations- und Gedächtnisstörungen oder auch Erschöpfungszustände zur Folge. In der Regel wird das Selbstwertgefühl beschädigt. Auch Versagensängste bis hin zu Schulversagen können die Folge von Mobbing sein. Manche Kinder werden auch einfach krank, wenn die Belastung zu groß wird, sie entwickeln psychosomatische Symptome oder reagieren mit Depressionen.

Laut Focus Online sprechen viele Schüler, die von ihren Klassenkameraden gemobbt werden, weder mit Lehrern noch mit ihren Eltern darüber. Die Angst, dass dann alles noch schlimmer wird, ist wahrscheinlich zu groß. In vielen Fällen dürfte es auch eine Rolle spielen, dass Eltern oft nicht verfügbar sind. Sie sind vielleicht beide berufstätig, müssen nebenbei den Haushalt organisieren und signalisieren ihren Kindern allzu oft, dass sie im Stress sind und keine Zeit haben. Nur 50% der Eltern sind informiert und können Gegenmaßnahmen ergreifen. Bei einigen Kindern, die sich mit ihren Problemen alleingelassen fühlen, kommt manchmal jede Hilfe zu spät: sie nehmen sich das Leben.

Leider gibt es Mobbing nicht nur unter Schülern. Gerade in den letzten Jahren ist bekannt geworden, dass Schüler auch von Lehrern gemobbt werden und allem Anschein nach gar nicht so selten. Volker Krumm („Machtmissbrauch von Lehrern“, Journal für Schulentwicklung, 1999) hat sich mit dieser Thematik beschäftigt und eine Studie über einen Zeitraum von sechs Jahren durchgeführt(Krumm u. Krumm et al. 1997-2003). Er befragte insgesamt 3000 Studenten zu ihren Erfahrungen mit Lehrern. Dabei interessierte nicht das Lehrerverhalten gegenüber verhaltensauffälligen oder aggressiven Schülern; auch ging es nicht um Regelverstöße, sondern gefragt wurde nach ganz durchschnittlichen, unauffälligen Schülern, die einfach in einigen Merkmalen nicht der Erwartung des Lehrers entsprachen. Bei diesen Merkmalen handelte es sich in der Regel um persönliche Dinge, wie Aussehen, Gewicht, Kleidung, ungeschicktes Verhalten, Beruf des Vaters oder andere Familienmerkmale.

Die Befragung ergab, dass ausnahmslos alle Studenten während ihrer Schulzeit Kränkungen durch Lehrer erlebt hatten, entweder an sich selber oder bei Mitschülern; nur 23% gaben an, selber keine Kränkungen erfahren zu haben.

Beim Mobbing durch Lehrer ging es in dieser Studie um ganz ähnliche Verhaltensweisen, wie unter Schülern: Kinder und Jugendliche wurden vor der Klasse lächerlich gemacht, vorgeführt, gedemütigt, attackiert und schikaniert, ganz besonders dann, wenn sie dem Lehrer widersprachen, kritische Einwände machten oder eine andere Meinung vertraten.

Während die meisten ehemaligen Schüler Strafen bei Regelverstößen (z.B. Stören des Unterrichts) akzeptierten und als gerechtfertigt einstuften, wurden Kränkungen oder Strafen bei persönlichen Defiziten als ungerecht, unfair und beleidigend empfunden.

Volker Krumm kommt zu dem Schluss, dass es sich hierbei um „pädagogisch inakzeptables Lehrerverhalten“ handelt und „um Verstöße gegen pädagogisch gültige Normen“. Sein Fazit ist, dass Lehrer in diesen Fällen ihre Macht missbrauchen, um Schüler „fertigzumachen“; nichts anderes ist Mobbing und auch die Folgen sind die gleichen. (5)

Eine andere quantitative Erhebung zu diesem Thema wurde in Österreich durchgeführt, die so genannte TIMS-Studie. Hier wurden Schüler verschiedener Schulformen der Klassen sieben bis dreizehn befragt. 70% der Schüler gaben an, in dem der Befragung vorausgegangenen Monat mindestens einmal von Lehrern gekränkt, gedemütigt, beleidigt oder ungerecht behandelt worden zu sein; bei 34% war dies dreimal und häufiger der Fall.

Das beschriebene Phänomen ist in Fachkreisen schon seit längerer Zeit bekannt. Bereits 1982 schrieb J. Korte dazu in seinem Buch „Disziplinprobleme im Schulalltag“: „Eine Maßnahme, die Herabsetzung, Demütigung und Schmerz beinhaltet, kann gestörten Frieden nicht wiederherstellen. Sie stiftet selbst Unfrieden und löst Aggressionen aus.“ Seiner Meinung nach bedeuten solche Maßnahmen „Krieg zwischen dem Erwachsenen und dem Kind und Gewalt als Erziehungsmittel löst das Erziehungsverhältnis auf.“(6)

Auch ich habe in meiner eigenen Schulzeit und während der Schulzeit meines Sohnes Erfahrungen, wie die oben beschriebenen gemacht. Manche Lehrer scheinen ihren persönlichen Frust und ihre Unzufriedenheit mit dem Schulalltag unreflektiert an ihren Schülern abzulassen, anstatt ihnen ein Vorbild zu sein. Natürlich ist es ganz und gar nicht einfach, in der heutigen Zeit vor einer Klasse zu stehen. Doch eine Gegnerschaft zu den Schülern aufzubauen und nur die eigenen Belange durchzusetzen ist kontraproduktiv. Denn Lehrer verlieren ihren pädagogischen Einfluss, wenn sie in der Achtung der Schüler sinken und setzen damit ungewollt einen Teufelskreis in Gang. Pädagogische Einflussnahme ist nur möglich, wenn die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern stimmt.

Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden ist für viele Schüler sehr schwer zu ertragen und schürt Hass- und Rachegefühle. Aggressionen werden also gefördert statt eingedämmt, und da man sich meist nicht an dem Lehrer selber rächen kann, weil dieser zu viel Macht besitzt, werden Aggressionen an Schwächeren ausgelassen.

Vielleicht wirft die Beschreibung dieser Mechanismen auch ein neues Licht auf Gewalttaten, wie z. B. Prügeleien, Vandalismus, Amoklauf: irgendwann ist das Maß voll und ein Schüler rastet aus.

2.1.4. Gewalt an Schulen (oder: Tatort Schule)

Gewalttätige und kriminelle Handlungen an deutschen Schulen nehmen in den letzten Jahren immer mehr zu. Man beobachtet die gesamte Bandbreite krimineller Gewalttaten, die auch in der Welt der Erwachsenen vorkommen: Nötigung, Erpressung, Bandenkriminalität, Drogenhandel, sexuelle Übergriffe. Von 2005 auf 2006 ist die Gewalt an deutschen Schulen um 75% gestiegen. Zum Teil ist das auf ein verändertes Meldeverhalten zurückzuführen, zum großen Teil handelt es sich aber um einen tatsächlichen Anstieg.

Seit die große Koalition an der Regierung ist, hat laut den Informationen von Focus Online die Gewalt an Schulen, sowie rechtsradikale Gewalt noch zugenommen. (Info vom 13.06.06)

Aus der gleichen Quelle stammt eine chronologische Auflistung von Fällen schwerer Körperverletzung, bis hin zu Mord, die zwischen 1999 und Ende 2006 an verschiedenen Schulen in Deutschland begangen wurden.

Im November 1999 stürmte ein 15jähriger Schüler eines Gymnasiums in Meißen in ein Klassenzimmer und stach mit einem Messer auf seine Lehrerin ein. Im März 2000 schoss ein 16jähriger Schüler eines Internats in Bayern dem Schulleiter eine Kugel in den Kopf. Er war vom Internat verwiesen worden. Im Januar 2005 wurde eine Lehrerin erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden. Angeklagt wurde ein 18jähriger Schüler; sein Motiv: schlechte Schulnoten.

Im Jahr 2006 häufen sich die Fälle: im Mai wurde in einem Internat in Schenklingen ein Jugendlicher von einem Mitschüler erstochen. Der Grund: der Jugendliche schuldete ihm 50 Euro. Im November gab es eine Massenschlägerei an einer Berliner Schule, bei der ein 15jähriger so schwer verletzt wurde, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. An einer Kreuzberger Schule wurde ein 16jähriger Schüler von einer Gruppe Jugendlicher mit einem Messer verletzt und ein 13jähriger wurde so stark gewürgt, dass er das Bewusstsein verlor. Er musste ebenfalls in ein Krankenhaus eingeliefert werden, da Lebensgefahr bestand.

Auch diese beiden Taten ereigneten sich im November 2006; ab diesem Zeitpunkt häufen sich auch Androhungen von Gewalttaten in Internet.

Immer mehr Schüler kommen heute bewaffnet zur Schule, wie die oben geschilderten Angriffe auf Lehrer und Schüler dokumentieren. In letzter Zeit ist eine neue Variante hinzugekommen: Prügeleien und insbesondere Verletzungen mit Waffen werden von Schülern mit dem Handy gefilmt. Diese Video-Clips werden dann ins Internet gestellt oder an andere Handybesitzer weitergegeben und sind begehrte Tauschobjekte, besonders, wenn Blut fließt.

Schon 1998 stellte der Soziologe Klaus Hurrelmann im „Spiegel“ fest, dass in jedem Altersjahrgang etwa 5% der Kinder und Jugendlichen „eine Brutalität und Erbarmungslosigkeit in bisher nicht gekanntem Ausmaß“ zeigen. (7)

Inzwischen dürfte der Prozentsatz noch höher sein.

Wie man festgestellt hat, kommen die meisten dieser Kinder nicht, wie man vielleicht annehmen würde, aus offensichtlich kaputten Familien, sondern aus Durchschnittsfamilien. Auffällig ist jedoch, dass die Eltern dieser Heranwachsenden kaum Zeit für ihre Kinder hatten und für die Kinder keine wirklichen Bezugspersonen darstellen. Aufgrund dessen konnten sie ihren Kindern weder Orientierung noch Sicherheit vermitteln.

An vielen Schulen findet auch Drogenhandel statt. Leider sind dazu wenig aktuelle Zahlen im Internet zu finden. Eine Information aus Hessen besagt jedoch, dass nach Expertenmeinung in Hessen kaum eine Schule drogenfrei ist. Was für Hessen gilt, trifft mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf andere Bundesländer zu. Wo Drogen konsumiert werden, gibt es meist auch Drogenhandel.

Drogenkonsumenten werden immer jünger. Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben Kinder heute nicht nur sehr früh Kontakt zu legalen und illegalen Drogen, sondern dieser frühe Konsum führt auch häufig zur Sucht.

Ist ein Kind oder Jugendlicher erst mal abhängig, steht an erster Stelle das Problem, sich das nötige Geld für Drogen zu beschaffen; ein Drogenabhängiger braucht etwa 50 Euro pro Tag. Um diese Summe zusammenzubekommen, werden oft Diebstähle und Einbrüche begangen; auch Prostitution ist, vor allem für Mädchen, eine gängige Praxis. Einige Heranwachsende werden aber auch selbst zu Dealern und gefährden ihre Freunde und Klassenkameraden dadurch, dass sie sie zum Drogenkonsum animieren, damit sie ihre „Ware“ loswerden.

Viele Kinder werden auch von Schülerbanden erpresst. Man lauert ihnen auf und verlangt von ihnen, dass sie ihr Taschengeld oder andere Wertgegenstände herausrücken. Wer sich weigert, dem werden Prügel angedroht. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Kinder zahlen oder ihre Wertsachen hergeben und aus Angst auch niemandem davon erzählen. Eltern und Lehrer können höchstens durch genaue Beobachtung an einem veränderten Verhalten des Kindes merken, dass etwas nicht stimmt.

Auch sexuelle Übergriffe an Schulen sind keine Seltenheit mehr und nehmen insgesamt zu. Allem Anschein nach ist es seit einiger Zeit nicht ungewöhnlich, dass Kinder ab dem Grundschulalter Pornovideos auf ihrem Handy haben. Die Videoclips können aus dem Internet ohne Probleme aufs Handy geladen werden. Sie werden in den Pausen angeschaut und ausgetauscht. Sexualität wird in diesen Videos fast immer mit Gewalt und Demütigung verknüpft. Aufgrund der ständigen Präsens wird das Dargestellte nach einer gewissen Zeit von vielen Kindern als „normal“ empfunden. Die Folgen sind alarmierend: die Hemmschwelle sinkt immer mehr und die Neigung, Triebimpulse uneingeschränkt auszuleben, steigt an. (8)

Es werden immer mehr Fälle bekannt von sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen auf Schultoiletten. In den Medien wurden Erfahrungen von Mädchen geschildert, die in die Schultoilette gelockt, dort mit Gewalt entkleidet und dann gefilmt wurden. Auch von Vergewaltigung wurde berichtet. Psychologen, die zu diesen Vorkommnissen befragt wurden, fürchten eine ganze Welle von Vergewaltigungen, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird.

Die meisten Eltern wissen nichts von diesem Videokonsum ihrer Kinder. In diesem Bereich muss viel mehr Aufklärung stattfinden. Einigen Eltern aber scheint es auch gleichgültig zu sein. In sozial schwachen Familien kommt es sogar nicht selten vor, dass Eltern sich tagsüber Pornofilme anschauen und ihre Kinder dabei zusehen lassen.

Augen werden oft als Fenster zur Seele bezeichnet. Wenn jedoch durch dieses Fenster überwiegend Schund und Gewalt dringt und dem nichts entgegengesetzt wird, braucht man sich über Fehlentwicklungen der Persönlichkeit nicht zu wundern.

Eine besonders brutale Form der Gewalt an Schulen ist der Amoklauf. Menschen werden, oft wahllos, verletzt und getötet; meist endet der Amoklauf mit Suizid.

2.1.5. Amoklauf und Suizid

1999 passiert es zum ersten Mal an einer deutschen Schule: ein 16jähriger Schüler dringt in Bad Reichenhall mit einer geladenen Pistole in seine Schule ein; er schießt um sich und tötet insgesamt vier Menschen.

Drei Jahre später, im Frühsommer 2002, erschießt ein 19järiger Schüler am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt insgesamt sechzehn Menschen: 12 Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten. Anschließend tötet er sich selbst. Er war zuvor von der Schule verwiesen worden.

Im November 2006 geschieht es wieder: ein 18jähriger Schüler aus Emsdetten dringt in seine ehemalige Schule ein und schießt wahllos um sich; siebenunddreißig Menschen werden verletzt, dann nimmt er sich selbst das Leben. Er hatte seine Tat vorher im Internet angekündigt. Eine Woche später droht ein Sechzehnjähriger mit einem Anschlag auf seine Schule. Nur kurze Zeit später kündigen zwei fünfzehnjährige Schüler eines Gymnasiums in Brandenburg eine Gewalttat gegen ihre Lehrer und ihre Schule an. Eine Woche vorher war an einer Berliner Schule ein Anschlag verhindert worden.

Der Amoklauf von Bad Reichenhall wurde später von dem Jugendpsychiater Rudolf Winkler näher untersucht. Er fand in der Biographie des Schülers einige Auffälligkeiten. So hatte dieser zum Beispiel nicht gelernt, „die normalen Triebbedürfnisse mit den Notwendigkeiten des sozialen Zusammenlebens zu vereinbaren“. (9)

Winkler stellte fest, dass der Amokläufer sozial vernachlässigt, vereinsamt und emotional gestört war; in der Schule war er jedoch unauffällig.

Man muss unterscheiden zwischen passiv und aktiv gestörten Schülern. Lehrer haben meist die aktiv gestörten Schüler im Blick, die in der Regel ständig auf sich aufmerksam machen. Sie stören den Unterricht, sind laut und unruhig, verhalten sich unter Umständen aggressiv.

Passiv gestörte Schüler dagegen fallen kaum auf. Sie verhalten sich unauffällig, fressen alles in sich hinein und sind oft Außenseiter in der Klasse. Aus diesem Grund sind sie oft allein und vereinsamen inmitten einer Gruppe von Kindern. Auch in ihrem Elternhaus haben sie meist keinen Rückhalt. Die Eltern sind i.d.R. beide berufstätig und haben keine Zeit. Sie stehen weder als Gesprächspartner, noch als Vorbild oder Orientierungshilfe zur Verfügung. Da diese Schüler niemanden zum Reden haben, stauen sich Probleme und negative Gefühle auf: Frustration, eine fehlende Lebensperspektive und möglicherweise die Überzeugung, ungerecht behandelt zu werden.

Es fehlt nur noch ein Auslöser und der Schüler „dreht durch“. Am Anfang steht vermutlich das Bedürfnis, Rache zu üben im Vordergrund, am Ende überwiegt die Verzweiflung, so dass ein Amoklauf meist mit Suizid endet.

Suizid unter Kindern und Jugendlichen kommt häufiger vor, als man denkt. In der Gruppe der unter 20jährigen ist Suizid nach dem Unfalltod die häufigste Todesursache. Bereits 1996 wurden Zahlen veröffentlicht, nach denen in Deutschland täglich drei Kinder durch Selbstmord ums Leben kommen, weitere 40 versuchen, sich das Leben zu nehmen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 134 Seiten

Details

Titel
Erziehung und Gesellschaft
Untertitel
Wie Erziehung und Gesellschaft sich wechselseitig beeinflussen
Autor
Jahr
2008
Seiten
134
Katalognummer
V293944
ISBN (eBook)
9783656925057
ISBN (Buch)
9783656925064
Dateigröße
960 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erziehung, gesellschaft
Arbeit zitieren
Diplom-Pädagogin Brigitte Halfkann (Autor:in), 2008, Erziehung und Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293944

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Erziehung und Gesellschaft



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden