Der europäische Einigungsprozeß steht heute — „mal wieder“ — vor der „größten“ Herausforderung in seiner Geschichte: dem Beitritt der ost- und mitteleuropäischen Länder und der damit verbundenen Notwendigkeit, eine tragfähige und funktionierende Ordnung für ein Europa der 27 (und mehr) zu finden. Wichtiger Bestandteil der in diesem Zusammenhang geführten Debatte — unter anderem vor dem Konvent, der sich unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d’Estaing Gedanken zur institutionellen Zukunft Europas machen soll — ist die Auseinandersetzung um die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen europäischer, nationaler und regionaler Ebene. Auch von nationaler, nicht zuletzt von deutscher Seite, gibt es immer wieder Vorschläge, die in die Debatte eingebracht werden, so jüngst erneut der Wunsch nach einem europäischen Kompetenzkatalog. Dabei wird der „Vorbildcharakter“ der bundesdeutschen Kompetenzordnung hervorgehoben. Dieser ist jedoch mit einem Fragezeichen zu versehen, war doch die bundesrepublikanische Kompetenzordnung insbesondere in den letzten zehn Jahren auch von Probleme gezeichnet. Allerdings argumentieren fast alle Teilnehmer der Debatte auf einem abstrakten Niveau — konkrete Belege, warum eine bestimmte Politik besser auf europäischer oder auf nationaler Ebene durchzuführen ist, bleiben sie schuldig. Mit dieser Arbeit möchte ich einen Beitrag zur „Versachlichung“ der Auseinandersetzung liefern. Sie wird sich deshalb—nachdem überlegt wurde, was eigentlich „besser durchführen“ heißt und wie bundesdeutsche und europäische Kompetenzordnung zur Zeit ausgestaltet sind—mit zwei Politikbereichen auseinandersetzen, anhand derer beispielhaft die Durchführung bewertet werden kann. Dabei soll nicht die europäische Kompetenzordnung als Ausgangspunkt dienen—sie ist schließlich Frage und Ziel zugleich. Stattdessen soll die bundesrepublikanische Zuständigkeitsverteilung Fixpunkt sein. Aus der Perspektive von fünfzig Jahren Föderalismus ergeben sich andere, die Debatte ergänzende Einblicke. Dies erklärt auch die — zu begründende — Auswahl der Beispiele, stehen doch nicht finanziell oder inhaltlich wichtige Gemeinschaftspolitiken auf dem Programm, sondern Bereiche, in denen die Länder der Bundesrepublik eine Rolle spielen: die Bildungspolitik als — überblickshaft — einer der Kernbereiche der „Kulturhoheit“ der Länder und der Verbraucherschutz als Bestandteil der konkurrierenden Gesetzgebung.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Bundesrepublikanische und europäische Kompetenzordnung: Bewertungsmaßstäbe und Bestandsaufnahme
- Wie soll und wie kann man Kompetenzen in Verfassungen verteilen?
- Allgemeine Kriterien
- Juristische Grundsätze
- Kompetenzordnungen
- Die bestehenden Kompetenzordnungen
- Strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen bundesrepublikanischer und europäischer Kompetenzordnung
- Mit den beiden Kompetenzordnungen verbundene Probleme
- Beispiele: Politikbereiche
- Verbraucherschutz
- Die Herausbildung eines neuen Politikbereichs
- Nationale und europäische Zuständigkeiten
- Politikinhalte
- Probleme und Veränderungsmöglichkeiten
- Bildung
- Bildung ist Ländersache?
- Die Verteilung der Zuständigkeiten
- Möglichkeiten einer Neuverteilung: Problem oder Lösung?
- Verbraucherschutz
- Schlußfolgerungen
- Europäische Kompetenzordnung
- Bewertung der bestehenden Ordnung
- Reformvorschläge
- Probleme und Lösungen für die/in der Bundesrepublik
- Zusammenfassung
- Europäische Kompetenzordnung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als Vorbild für ein europäisches Gegenstück. Ziel ist es, die Debatte um die Verteilung von Zuständigkeiten zwischen europäischer, nationaler und regionaler Ebene zu versachlichen und konkrete Beispiele für die Durchführung von Politikbereichen zu analysieren. Die Arbeit hinterfragt den „Vorbildcharakter“ der bundesdeutschen Kompetenzordnung, der in jüngster Zeit immer wieder in der Debatte um die Zukunft Europas hervorgehoben wird.
- Verteilung von Kompetenzen in Verfassungen
- Vergleich der bundesrepublikanischen und europäischen Kompetenzordnung
- Bewertung der Kompetenzordnung anhand von Beispielen: Verbraucherschutz und Bildung
- Möglichkeiten und Herausforderungen einer europäischen Kompetenzordnung
- Relevanz des deutschen Föderalismus für die europäische Integration
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die aktuelle Debatte um die zukünftige europäische Ordnung, insbesondere die Frage der Kompetenzverteilung. Sie stellt den „Vorbildcharakter“ der bundesdeutschen Kompetenzordnung in Frage und erläutert die Zielsetzung der Arbeit.
Das zweite Kapitel analysiert die bundesdeutsche und die europäische Kompetenzordnung. Es werden allgemeine Kriterien für die Verteilung von Kompetenzen in Verfassungen sowie die bestehenden Kompetenzordnungen beider Systeme betrachtet. Die Analyse umfasst auch die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie die mit den beiden Kompetenzordnungen verbundenen Probleme.
Im dritten Kapitel werden anhand von Beispielen aus dem Bereich Verbraucherschutz und Bildung die Auswirkungen der jeweiligen Kompetenzordnung auf die politische Praxis dargestellt. Die Analyse konzentriert sich auf die Herausbildung der Politikbereiche, die Verteilung der Zuständigkeiten und die Probleme und Veränderungsmöglichkeiten.
Schlüsselwörter
Kompetenzordnung, Grundgesetz, Europäische Union, Föderalismus, Subsidiarität, Verbraucherschutz, Bildung, Kompetenzverteilung, Politikbereiche, nationale und europäische Zuständigkeiten, Reformvorschläge.
- Arbeit zitieren
- Michael Krax (Autor:in), 2002, Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als Vorbild für ein europäisches Gegenstück?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29429