Vorgeburtlicher Lebens- und Gesundheitsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Notwendigkeit der Regulierung von Hebammendienstleistungen bei Hausgeburten


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2014

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
a) Hintergrund
b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

2. Hausgeburten und Artikel 8 EMRK
a) Schutzbereich
b) Eingriff
c) Rechtfertigung

3. Ergebnis

1. Einleitung

a) Hintergrund

Während in Deutschland Hausgeburten mittlerweile wenn schon nicht Standard dann doch zumindest nicht mehr gänzlich unüblich sind, so sind sie in anderen europäischen Ländern durchaus noch umstritten. Besonders kontrovers wird dieses Thema seit 2013 in Litauen diskutiert. Dort ist es medizinischem Personal gesetzlich untersagt, Dienstleistungen beim Patienten zuhause vorzunehmen. Die vorherrschende Regulierung des litauischen Gesundheitssektors stellt eine Nachwirkung des Versorgungssystems zur Zeit der sowjetischen Besatzung dar, welches, wie in vielen anderen Ostblockstaaten, auf eine System staatlicher Polikliniken setzte. Auch wenn sich der Gesundheitssektor in Litauen seit Jahren im Umbruch befindet, so lassen sich noch immer Auswirkungen der Sowjetzeit feststellen. Hinzu kommt in Litauen, dass es in jüngster Vergangenheit zu Todesfällen Neugeborener bei Hausgeburten gekommen ist.1 Derzeit sind in diesem Zusammenhang in Litauen mehrere Strafverfahren anhängig.2 Insgesamt werden rund 400 Fälle untersucht.3 Das litauische Gesundheitsministerium vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass Geburten am sichersten in gynäkologische Abteilungen von Krankenhäusern durchgeführt werden könnten4 und dass eine Betreuung aller Frauen, welche eine Hausgeburt wünschten, zu teuer sei.5 Hiergegen entsteht seit einiger Zeit eine Gegenbewegung, die insbesondere unter Bezugnahme auf die europäische Menschenrechtskonvention6 (EMRK) für ein Recht der Mutter auf selbstbestimmte Wahl des Geburtsortes eintritt.7

Das Problem ist im Übrigen keineswegs auf Litauen begrenzt, auch wenn die Rechtslage andernorts nicht so gravierend erscheinen mag. In der Praxis wird insbesondere die Frage nach einer Kostenübernahme für die durch den Einsatz einer Hebamme, die qualifiziert und willens ist, Hausgeburten zu betreuen, für die Eltern von Relevanz sein. Grundsätzlich besteht in Deutschland in Anspruch auf ambulante oder stationäre Entbindung nach § 24f Satz 1 SGB V, wobei in § 24f Satz 2 SGB V sogleich klargestellt wird, dass hiervon auch Hausgeburten erfasst sind. Diese Vorschrift wurde erst durch das Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung8 mit Wirkung zum 30.10.2012 eingefügt. In Österreich stellt sich die Problematik etwas anders dar, da die Schwangere bereits durch § 3 Absatz 1 (österreichisches) Hebammengesetz9 verpflichtet ist, eine Hebamme zur Geburt heranzuziehen, während dies Schwangeren in Deutschland freigestellt bleibt. § 3 Absatz 2 des österreichischen Hebammengesetzes verdeutlicht die Bedeutung dieser Verpflichtung, da für den Fall, dass die Heranziehung einer Hebamme vor der Geburt nicht möglich war, nach der Geburt unverzüglich eine Hebamme zur Betreuung von Mutter und Kind herangezogen werden muss. Letztgenannte Vorschrift greift einen Aspekt auf, der in der Diskussion um das Recht auf Durchführung des Geburtsvorganges zuhause häufig übersehen wird - das Recht des Kindes auf Schutz von Leben und Gesundheit. Dabei ist der Schutzzweck des zweiten Absatzes der Norm kaum ein anderer als der des ersten Absatzes, auch wenn sich dies aus dem Wortlaut des § 3 Absatz 1 des österreichischen Hebammengesetzes nicht ohne weiteres ergibt. Wenn aber die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit von Mutter und Kind während und nach der Geburt schützenswertes Rechtsgut ist, so sollte dieses Rechtsgut auch bei der menschenrechtlichen Bewertung des geforderten Rechts auf Hausgeburt mit medizinischer Unterstützung berücksichtigt werden.

b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist dies bislang nur unzureichend geschehen. Bislang liegt insofern lediglich die Entscheidung des EGMR im Fall Ternovszky gegen Ungarn10 vor. Ein weiteres Verfahren ist derzeit gegen Litauen anhängig.11

Im Fall Ternovszky, in dem das Fehlen genauerer Regelungen, welche medizinischem Personal Rechtssicherheit bei der Betreuung von Hausgeburten gegeben hätten, gerügt wurde,12 stellte der EGMR eine Verletzung des Rechts der Mutter auf Achtung ihres Privatlebens aus Artikel 8 EMRK fest,13 Der Verstoß gegen Artikel 8 EMRK mit dem Mangel an entsprechender Rechtssicherheit für die Beteiligten begründet.14 Auf mögliche Gefahren für das Kind wurde lediglich mit der Feststellung, dass die Gefährlichkeit von Hausgeburten unter Medizinern umstritten sei,15 sowie im gemeinsamen Sondervotum der Richter András Sajó (Ungarn) und Françoise Tulkens (Belgien) und auch dort nur am Rande eingegangen.16

Wenn das Gericht aber zumindest die Möglichkeit erkannt hat, dass eine Hausgeburt einen anderen Gefährdungsgrad für das Kind beinhaltet als eine Geburt im Krankenhaus, so hätte es auf den ersten Blick nahegelegen, zu prüfen ob vor diesem Hintergrund das ungarische Gesetz dem Schutz des Kindes dient und deshalb ein Eingriff in das Recht der Mutter aus Artikel 8 EMRK gerechtfertigt sein könnte. Diese Möglichkeit hatte der EGMR jedoch nicht, da dies scheinbar nicht Schutzzweck der ungarischen Regelung war. Wäre es dem ungarischen Verordnungsgeber um den Schutz von Mutter oder Kind gegangen, so wäre jede Form der Hausgeburt verboten gewesen, dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr gibt es dem Verordnungsgeber in Ungarn lediglich um eine Regelung der Berufsausübung im Bereich medizinischer Berufe. Daher konnten Rechte des Kindes im Fall Ternovszky gegen Ungarn von Seiten des beklagten Staates nicht ins Feld geführt werden. Dieser Regelungscharakter lässt die in seinem abweichenden Sondervotum vertretene Ansicht des serbischen Richters Dragoljub Popović, die Beschwerdeführerin sei nicht einmal selbst Geschädigte im Sinne des Artikels 34 EMRK17 nicht abwegig erscheinen. Insbesondere erscheint die Ansicht beachtenswert, dass das bloße Fehlen detailierterer Regelungen zu Hausgeburten im innerstaatlichen Recht nicht zur Folge hat, dass ein Opferstatus im Sinne des Artikels 34 EMRK vorliegt, sofern das von der Beschwerdeführerin angestrebte Verhalten durch innerstaatliches Recht nicht verboten ist.18 Auch wenn in Ternovszky die Mehrheit der Richter anderer Ansicht war als Richter Popović, so wird sein Sondervotum doch auch im derzeit gegen Litauen anhängigen Fall nicht ignoriert werden können.

2. Hausgeburten und Artikel 8 EMRK

Die Frage, ob der Schutz der Gesundheit und des Lebens des Kinder geeignet ist, einen Eingriff in Artikel 8 EMRK dahingehend zu rechtfertigen, dass Hausgeburten verboten oder nur in bestimmten Fällen erlaubt werden, ist daher noch immer nicht beantwortet (weil sie dem EGMR noch nicht gestellt worden ist). Auch muss sich der deutsche Gesetzgeber angesichts der österreichischen Regelung die Frage gefallen lassen, ob nicht zumindest die Hinzuziehung einer Hebamme zu Hausgeburten zum Zwecke des Schutzes von Gesundheit und Leben von Mutter und Kind nicht nur grundsätzlich geboten ist sondern , wie im Nachbarland, gesetzlich verlangt werden sollte.

In der menschenrechtlichen Diskussion auf europäischer Ebene steht insbesondere das Recht der Mutter auf Schutz des Privatlebens aus Artikel 8 EMRK im Vordergrund. Offen bleibt zumeist, ob der Lebens- und Gesundheitsschutz des noch ungeborenen Kindes einen legitimen Grund für die Einschränkung der Rechte der Mutter darstellt.

a) Schutzbereich

Unumstritten ist, dass das Recht auf Achtung des Privatlebens auch das Recht einschließt, zu wählen, ob die Entbindung zuhause, in einem Geburtshaus oder in einer Klinik stattfindet.19

b) Eingriff

Zweifelsohne stellt, ebenso wie im vorgenannten Fall betreffend Ungarn, eine Regelung, welche zwar nicht Hausgeburten, wohl aber die medizinische Betreuung im Rahmen einer Hausgeburt rechtlich unmöglich macht, ein Eingriff in das Recht der Frau aus Artikel 8 EMRK dar.

c) Rechtfertigung

Der Gesundheitsschutz sowie die Rechte anderer sind, ergänzt um das im Rahmen der EMRK übliche Erfordernis der Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft, als mögliche Rechtfertigungsgründe anerkannt. Daher stellt sich die Frage, ob auch dem noch ungeborenen Kind ein enstprechender Schutz zukommt, der einen Eingriff in Rechte der Mutter rechtfertigen könnte.

Im Rahmen der EMRK handelt es sich bei einer Schwangerschaft gerade nicht nur um eine private Angelegenheit der Mutter.20 Vielmehr hat Straßburg seit jeher die enge Verbundenheit der Frau mit dem ungeborenen Kind betont.21 Dementsprechend war es auch nur konsequent, dass der EGMR davon abgesehen hat, aus Artikel 8 EMRK ein Recht auf gewillkürte Abtreibung herzuleiten.22

Dieser Ansatz ist inkonsequent, da der Ablehnung der Herleitung eines Rechts auf Abtreibung aus Artikel 8 EMRK die (unausgesprochene) Annahme eines wie auch immer gearteten Rechtsstatus des ungeborenen Kindes zugrunde liegt. In der Tat sprechen gewichtige Argumente für einen Einschluss ungeborener Kinder in der personalen Schutzbereich des Artikels 2 EMRK. Eine Auslegung der Norm dahingehend, dass nur geborene Menschen vom personalen Schutzbereich erfasst seien, ist zumindest “nicht zwingend”.23 Vielmehr indiziert zumindest die verbindliche24 englische Sprachfassung mit der Verwendung des Wortes “everyone” die Möglichkeit einer weiten Auslegung der Norm.25 Dem könnte entgegengehalten werden, dass die französische Sprachfassung statt von jedermann (“everyone”) von jeder Person (“toute personne”) spricht.26 Jedoch hat der EGMR bislang die Einbeziehung ungeborener Kinder in den personalen Schutzbereich von Artikel 2 EMRK nie ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr finden sich in der Straßburger Rechtsprechung Hinweise darauf, dass diese Möglichkeit zumindest gesehen wird:

[...]


1 Ieva Ulozeviciute, The home births scandal which resulted in infant deaths: an expert shared secret information with illegal doctors, in: Lithuania Tribune, 27. Februar 2013, verfügbar online unter www.lithuaniatribune.com/30769/the-home-births-scandal-which-resulted-in-infant-deaths-an-expert-shared-secret-information-with-illegal-doctors-201330769/=""> zuletzt besucht am 14. April 2014.

2 Ebenda.

3 Ebenda.

4 Ebenda.

5 Ebenda.

6 European Treaty Series Nr. 5.

7 Siehe Linas Jegelevicius, Home labor is not “medieval,” but the 21st century’s right of choice!, in: The Baltic Times, 20. Februar 2013, verfügbar online unter http://www.baltictimes.com/news/articles/32593/#.u0ualoasx68="" zuletzt besucht am 14. April 2014.

8 Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23. Oktober 2012, BGBl. 2012 I 2246.

9 Bundesgesetz über den Hebammenberuf (Hebammengesetz - HebG), österreichisches BGBl. Nr. 310/1994.

10 EGMR, Ternovszky gegen Ungarn, Beschwerde Nr. 67545/09, Urteil vom 14. Dezember 2010.

11 EGMR, Kosaitė-Čypienė u.a. gegen Litauen, Beschwerde Nr. 69489/12, Statement of Facts.

12 EGMR, Ternovszky gegen Ungarn (Fn. 11), Rn. 6.

13 Ebenda, Rn. 27.

14 Ebenda, Rn. 24.

15 Ebenda.

16 Ebenda, Joint Concurring Opinion Sajó und Tulkens.

17 Ebenda, Dissenting Opinion Popović.

18 Ebenda, Dissenting Opinion Popović, Nr. 1 ff.

19 Ebenda, Urteil, Rn. 22.

20 Europäische Kommission für Menschenrechte, Brüggemann und Scheuten gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 6959/75, Bericht der Kommission vom 12. Juli 1977, Rn. 59.

21 Ebenda.

22 EGMR, A, B und C gegen Irland, Beschwerde Nr. 25579/05, Urteil vom 16. Dezember 2010, Rn. 214.

23 Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Auflage, Verlag C.H. Beck, München (2008). S. 131 f.

24 Allein die englische und französische Sprachfassung der EMRK sind international verbindlich, siehe den vorletzten Satz der Konvention (ohne Nummerierung, unmittelbar nach Artikel 59 EMRK).

25 Grabenwarter (Fn. 24), S. 132; Stefan Kirchner, The Pre-Natal Personal Scope of Article 2 Section 1 Sentence 1 of the European Convention on Human Rights, 1. Auflage, Vytauto Didžiojo universiteto leidykla, Kaunas (2012), S. 125 f.

26 Siehe hierzu Kirchner (Fn. 26), S. 126.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Vorgeburtlicher Lebens- und Gesundheitsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Notwendigkeit der Regulierung von Hebammendienstleistungen bei Hausgeburten
Autor
Jahr
2014
Seiten
12
Katalognummer
V294641
ISBN (eBook)
9783656924449
ISBN (Buch)
9783656924456
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EMRK, Menschenrechte, Hausgeburt, Schwangerschaft, Europa, Menschenrechtskonvention, Gesundheit, Krankenhaus, Frauenrechte, Kinderrechte
Arbeit zitieren
Dr. Stefan Kirchner (Autor:in), 2014, Vorgeburtlicher Lebens- und Gesundheitsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Notwendigkeit der Regulierung von Hebammendienstleistungen bei Hausgeburten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294641

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