Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Theoretischer Teil
1. Bilingualismus
1.1 Zur Aktualität des Themas
1.2. Historischer Zusammenhang und Forschungsstand
1.3 Definitionen
1.4 Merkmale und Typen
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Verwendete Begriffe
2.2 Präferenz
III. Empirischer Teil
3. Methodik
3.1 Forschungsinstrument
3.2 Forschungsfragen und Hypothesen
3.3 Auswertungsschritte
3.4 Probanden
4. Auswertungen
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse und Hypothesenprüfung
5. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Erläuterungen zu den in den Tabellen angewandten Zeichen und Abkürzungen
Tabellenverzeichnis
Fragebogen
Liste einiger bis heute kategorisierten Bilingualismusarten
I. Einleitung
Das Interesse für eine empirische Untersuchung von Zweisprachigkeit wurde durch meine eigene Zweisprachigkeit ausgelöst. Ich bin als Deutsche in Portugal aufgewachsen, habe eine portugiesische Schule besucht und zu Hause nur Deutsch gesprochen. Ich habe mir schon immer die Frage gestellt, warum ich lieber deutsch spreche und lese, als portugiesisch, die Sprache, die ich besser beherrsche. Dass ich lieber in Deutsch lese, ist mir insofern klar, als dass in Portugal eine signifikante Literaturlücke herrscht, viele der bekanntesten internationalen Autoren sind nicht einmal übersetzt. Das hat meine Lektüregewohnheiten durchaus beeinflusst. Aber sprechen? Wie kommt das, geht es anderen Bilingualen auch so? Einige Vorüberlegungen zum Thema äußerten sich folgendermaßen: Wenn davon ausgegangen wird, dass ein Zweisprachiger beide Sprachen regelmäßig verwendet, hat sich dann eine subjektive Präferenz für eine dieser Sprachen entwickelt? Da Subjektivität nur schlecht definier- und messbar ist, wird Präferenz anhand der Sprachwahl in unterschiedlichen Bereichen untersucht. Kielhöfer/Jonekeit behaupten: „Allgemein gesehen ist die besser beherrschte Sprache die starke Sprache. Der Zweisprachige bevorzugt sie bei freier Sprachwahl, weil er sie besser kann, und er beherrscht sie wiederum besser, weil er sie häufiger benutzt“ (1995:12). Im Kontrast hierzu behaupten Müller et al., dass „die Verwendung der präferierten Sprache mit anderen Kindern, die auch zweisprachig sind, sowie die Traumsprache nicht notwendigerweise etwas darüber [aussagt], wie gut ein Kind eine Sprache beherrscht“ (2007: 84). Diesen beiden Thesen möchte ich im Verlauf dieser Arbeit mithilfe unterschiedlicher Variablen nachgehen. Hängt diese Präferenz mit der Familiensprache, bzw. Mutter- oder Vatersprache, oder eher mit der Sprache, die in der Umgebung und dem sozialen Netzwerk gesprochen wird, zusammen? Ist die stärkere Sprache wirklich die bevorzugte?
Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit beleuchtet den theoretischen Hintergrund des Themas Bilingualismus und ist in zwei Kapitel aufgeteilt. Eingangs wird die Aktualität des Themas, der historische Hintergrund und der Forschungsstand vorgestellt. Des Weiteren wird auf die Definition von Zweisprachigkeit eingegangen sowie auf die unterschiedlichen Arten und Merkmale der Zweisprachigkeit. Im dritten Kapitel wird eine umfassende Begriffsdefiniton geboten, in dem sowohl die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendete Begriffe, als auch der Terminus „Präferenz“ definiert werden. Der dritte Teil der Arbeit setzt sich mit der empirischen Untersuchung auseinander. Es wird auf die Methodik eingegangen, in der auch das Forschungsinstrument, die Forschungsfragen, Hypothesen, Auswertungsschritte und Probanden vorgestellt werden. Im Kapitel 3 werden die Ergebnisse dargestellt. Diese dienen als Grundlage für die Zusammenfassung und Hypothesenprüfung, die an den theoretischen Ansätzen des ersten Teils anknüpfen. Als Fazit wird ein Gesamtbild der Studienergebnisse skizziert, weitere sinnvolle Forschungsschwerpunkte werden definiert.
II. Theoretischer Teil
1. Bilingualismus
Was ist Bilingualismus, wann ist von Bilingualismus die Rede? Wenn für einige das bloße Kommunizieren in zwei Sprachen dem Begriff Zweisprachigkeit gerecht wird, ist er für andere, im engeren Sinne, erst angebracht, wenn beide Sprachen ausgeglichen oder beinahe ausgeglichen in Wort und Schrift beherrscht werden (Wei 2007:14). Das Beherrschen einer Sprache variiert durch die Art der Zweisprachigkeit und kann sich im Laufe des Lebens von einer zur anderen Sprache verlagern. Adler hebt in seinem Buch „Collective and individual bilingualism“ die Ergebnisse einer Studie über kollektiven Bilingualismus am Beispiel Englisch-Walisisch hervor, in der schlussgefolgert wird, dass es zwei unterschiedliche „Sprachen-Egos“ gibt, die sich in beiden Sprachen unterschiedlich verhalten:
„The English learning ego is concearned more with learning, art and life in general; the Welsh language ego derives from a peasant heredity, environment and culture and is concearned with home, the family and the chapel. Thus the bilingual Welshman prefers to discuss some things in one, other things in the other language.” ( Adler, 1977: 41)
Das „Doppelleben“ eines Zweisprachigen kommt in diesem Ausschnitt sehr gut zur Geltung. Für den Zweisprachigen ist es meistens natürlich, dass in ihm nicht nur zwei Sprachen, sondern auch zwei unterschiedliche Kulturen und wie Adlers sagt „Egos“ leben. Doch für eine Reihe von Forschungsgebieten erweckt dieses Phänomen immer wieder neues Interesse. Für die Sprachwissenschaft, dessen Untersuchungsfokus die zwei nebeneinander „lebenden“ Grammatiken sind. Für die Psychologie, die sich u.a. mit der Frage beschäftigt, wie sich Zweisprachige in Bezug auf die parallelen Identitäten, Sprachen, Stigmas fühlen. Für die Soziolinguistik, die das Phänomen „Zwei Sprachen in einer Gesellschaft“ untersucht. Für die Pädagogik, die sich mit den Aspekten des Spracherwerbs beschäftigt. Für die Neurolinguistik, die dieses Phänomen neurologisch betrachtet. Und insbesondere auch für Eltern, die sich meist um die gesunde (Sprach-)Entwicklung ihrer Kinder sorgen.
Im folgenden Kapitel wird die Aktualität des Themas erläutert. Um dem Leser den Begriff greifbarer zu machen, wird dieser im Anschluss definiert, indem auch die in der Sprachwissenschaft dem Bilingualismus zugeordneten Merkmale und Typen kategorisch erläutert werden.
1.1 Zur Aktualität des Themas
„Zweisprachigkeit stellt für unzählige Menschen eine alltägliche Notwendigkeit ihres Lebens dar. Viele sind sich daher der Auseinandersetzung mit ihr oft gar nicht mehr bewußt“ (Weiss 1959:1).
Nahezu die gesamte Bevölkerung kommt regelmäßig mit einer zweiten Sprache in Kontakt. Die Europäische Union ist mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und 23 Amtssprachen ein Beispiel dafür, dass das Zusammenleben von verschiedenen Sprachen und dadurch auch Kulturen und Identitäten aus der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken ist. Im Gegenteil, die Notwendigkeit zwei oder mehr Sprachen zu beherrschen, steigt zunehmend. Li Wei sagt hierzu: „However, one thing is certain: more and more people in the world will become bilinguals, and bilingualism will stay as long as humankind walks the earth.“ (Wei 2007:22)
Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge1 zufolge, lebten 2007 15,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle von ihnen die Erfahrung der Migration gemacht haben, viele sind bereits in Deutschland geboren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nahezu alle regelmäßigen Kontakt zu zwei Sprachen haben. Hierzulande wird der Kontakt zu einer anderen Sprache immer früher gefördert, zum Teil wird sogar schon in der frühkindlichen Erziehung Wert auf eine zweisprachige Betreuung gelegt2. Die Verfasserin ist sich durchaus bewusst, dass auf dieser Ebene einiges verbesserungsfähig bleibt, doch auch wenn zweisprachige Bildung noch nicht optimiert ist, ist sie, als Zweisprachige, der Meinung, dass der Schritt in die richtige Richtung getan ist.
1.2. Historischer Zusammenhang und Forschungsstand
Der Standpunkt der Sprachwissenschaft vor den 60er Jahren, wo Zweisprachigkeit eher als Belastung galt, ist nicht mit dem heutigen zu vergleichen. Lange wurde geglaubt, der Mensch sei durch zwei verschiedene Sprachen und Kulturen überfordert, seine Intelligenz, seine „seelische Ganzheit“ (Weiss, siehe Zitat unten), seine Entwicklung würden dadurch beeinträchtigt. Diese negative Grundeinstellung wird sowohl aus Titeln damaliger Arbeiten ersichtlich, die u.a. „Die Hauptprobleme der Zweisprachigkeit“ (Weiss, 1959) oder „Das Problem der Zwei- und Mehrsprachigkeit und seine Bedeutung für den Unterricht und die Erziehung in deutschen Grenz- und Auslandsschulen“ (W. Henß, 1927) benannt wurden, als auch an unpräzisen Studien, die beispielsweise den soziologischen Hintergrund der Probanden nicht in Betracht zogen und dadurch zu nicht verifizierten Ergebnissen führten. Edwards beschreibt dieses Problem in seinem Buch „Multilingualism“ folgendermaßen:
„Early Studies [1900-20] tended to associate bilingualism with lowered intelligence, and its unsurprising that many of them were conducted, in America, at a time of great concern with the flood of immigrants from Europe. (…) Suffice it to say here that the 'objective' intelligence tests of the time reflected a very culture-bound ideal and, consequently, immigrants … - did not fare well.“ (Edwards 1994:68)
Weiterhin erwähnt Edwards in diesem Zusammenhang, dass Intelligenz in den damaligen Zweisprachigkeitsforschungen an der sprachlichen Kompetenz der englischen Sprache (Zweitsprache) gemessen wurde, was unter den Umständen aufgrund mangelnder Bildung und finanziellen Not nur schlecht zu beurteilen war, da keine Förderung im sprachlichen Bereich vorhanden war, die es rechtfertigen würde eine Messung der Intelligenz durchzuführen. Er kritisiert daraufhin die Kriterien, die hinzugezogen wurden, um diese zu beurteilen.
Doch nicht nur mangelnde Intelligenz warf man dem zweisprachigen Individuum vor, auch die Psychologie war der Ansicht, dass Zweisprachigkeit den Menschen daran hindere, eine „seelische Ganzheit“ zu formen. Weiss sagt in diesem Zusammenhang:
„ Die Zweisprachigkeit muß demnach die durch den Einfluß einer Sprache gewährleistete Bildung fester Charaktere gefährden. Die seelische Ganzheit des zweisprachigen Menschen leidet unter dem Zusammenstoß zweier sprachlich fixierter Begriffssysteme.“ (Weiss, 1959:15)
Mit jeder weiteren Forschung begann dieser zu der damaligen Zeit allgemeine Glauben allmählich zu schwinden. Einen wichtigen Schritt zur positiven Bewertung der Zweisprachigkeit wurde zwar bereits 1932 von H. Strecker und 1937 durch S. Arsenian getan; letzterer unternahm in New York eine Studie an 3000 zweisprachigen Kindern, in der er zu dem Ergebnis kam, dass Intelligenz durch Zweisprachigkeit nicht geschädigt wird (Weiss, 1959:13). Doch die Zweisprachig- und Mehrsprachigkeitsforschung gewann erst in den 60er Jahren an neuem Interesse, etwa durch die von Lambert durchgeführten Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen Intelligenz und Bilingualismus erneut bewiesen (Edwards, 1994:69). Bis zur heutigen Zeit wurden unzählige Untersuchungen durchgeführt, die dieses Phänomen immer wieder aus neuen Blickwinkel analysieren. Eine Auswahl von Studien werden in diesem Zusammenhang chronologisch vorgestellt.
Im Bereich der zweisprachigen Erziehung hat Mackey (1977:333-344) anhand einer zehnjährigen Langzeitstudie an mehreren internationalen Schulen untersucht, ob und weshalb Lehrer während des Unterrichts Sprachen wechselten und ob, dies dem Unterricht und den Schülern schädige. Obwohl deutlich geworden ist, dass wenn besipielsweise ein deutscher Text behandelt wurde, die darauf folgende Diskussion auch auf Deutsch geführt wurde, sagt Mackey, dass viele Lehrer den Sprachwechsel nicht nur anhand des Stoffes abhängig machten, sondern auch ihre Sprachgewohnheiten von Klasse zu Klasse wechselten. 57,4 % der Unterrichtsstunden werden in diesen Schulen gleichmäßig auf zwei Sprachen unterrichtet, während 32 % eine Sprache mehr benutzt, als die andere. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Wechsel von Sprachen während des Unterrichts längst nicht so „universally harmful“ ist, wie es bis dato angenommen wurde. Es wurden keine Nachteile durch diese Art Schulbildung entdeckt, doch die einzelne Bereitschaft des Kindes zur Zweisprachigkeit wurde als wichtiger Faktor zum Erfolg des Unterrichts hervorgehoben:
„If however the child is linguistically, emotionally or intellectually unprepared for such an adventure, it might seem wise to concentrate on the strengthening of one of his languages before aiming at the objective of a bilingual education.“ (Mackey 1977:344)
Im Bereich der Sozialwissenschaften hat Georgogiannis (1985) eine Studie an 155 Kindern zur Erfassung ihrer Identität bzw. zum Aufbau dieser durchgeführt. Die Probanden teilten sich in einsprachig und zweisprachig aufwachsenden Kindern auf. Den Kindergruppen (fünfte, sechste und siebte Klasse) wurden verschiedene Aufgaben gegeben, darunter eine Malaufgabe mit dem Thema “Ich male mich selbst” und ein Aufsatz mit dem Thema “Wie ich bin” in beiden Sprachen. Diese wurden anhand ihrer Symbolik in Bezug auf die Identität und anhand der Fehler in Bezug auf die Sprachkompetenz analysiert. Georgogiannis kam dabei zu folgenden Ergebnissen: Die zweisprachigen Befragten stellen sich in beiden Sprachen unterschiedlich dar, sie passen sich den „Erwartungen und Normensystemen“ an, zeigen sich weniger egozentrisch und setzen sich mehr mit der eigenen Person und den beiden Kulturen, in denen sie leben, auseinander.
Im Bereich der Linguistik wurde von Olsson und Sullivan3 2005 eine Fallstudie durchgeführt, die sich mit Sprachdominanz bei Kindern beschäftigt und anhand eines Experiments analysiert, wie sich diese Dominanz verschiebt. Untersuchungsobjekte sind zwei in Schweden aufwachsende Kinder, deren Familiensprache Englisch und Schwedisch ist. Durch längere Besuche in den USA wurde die sprachliche Umgebung verändert. Es wurde Tonmaterial der beiden Kindern gesammelt, aus dem der sukzessive Sprachwechsel ersichtlich wurde. Eines der Kinder kommunizierte vor den Besuchen im Land der schwachen Sprache überwiegend auf Schwedisch. Als Resultat der Studie wurde deutlich, dass die Sprachdominanz zwar nicht verschoben, jedoch ein Sprachinteresse geweckt wurde. Dies führte dazu, dass das Kind zunehmend auf die schwache Sprache reagierte und ihm die Vorteile der Zweisprachigkeit nähergebracht worden sind.
Rethfeldt (2010:110) hat bei einer Studie zur Erfassung der Sprachkompetenz von 25 Migrantenkindern in Deutschland Selbsteinschätzungen und Fragen zur Sprachpräferenz angewandt, die zu dem Ergebnis führten, dass 72 % der Kinder die deutsche Sprache, also die Umgebungssprache, bevorzugen.
Auch aus neurologischer Sicht stellen Zweisprachige ein interessantes Forschungsobjekt dar: Was geschieht bei einem Bilingualen, wenn er von der einen Sprache in die andere wechselt? Wie ist das „bilingual brain“4 organisiert? Den Forschern zufolge befindet sich unser Sprachzentrum auf der linken Hemisphäre des Gehirns. Viele untersuchten den Zustand der Aphasie5, die, im weiteren Sinne, eine Störung der Sprache nach einem Unfall oder Erkrankung bedeutet. Zweisprachige in diesem Zustand haben oft eine der Sprachen „verlernt“ oder vergessen. Die Erkrankten durchleben dann meist verschiedene Phasen, in der die Sprachen langsam wieder hergestellt werden. Warum verlieren einige ihre Erst- und andere ihre Zweitsprache? Und welche Sprache kehrt zuerst zurück? Das sind einige der Fragen, mit denen sich die Forscher beschäftigen.
Im Forschungszweig der Neurologie belegt eine aktuelle Studie (vgl. Garcia-Serra), dass zweisprachig aufwachsende Säuglinge ihre Bereitschaft zu Sprachen länger aktiviert haben als monolinguale. Die Forscher fanden heraus, dass obwohl bei einsprachigen Babys, im Alter von sechs bis neun Monaten das Hirn auf beide Sprachen reagierte, das Hirn der Bilingualen zu diesem Zeitpunkt keine Reaktion zeigte. Dies wendete sich schon ab dem 10 Monat in das Gegenteil. Hier schloss die Hirnreaktion auf Laute der jeweiligen Sprachen bei den Einsprachigen früher ab, schon ab dem 10 Monat reagierten einige nur noch auf die Muttersprache. Die Zweisprachigen hingegen reagierten weiterhin auf beide Sprachen. Die Forscher nennen diesen Prozess “phonetic discrimination.” „Based on the data available at present from our studies, we put forward the hypothesis that bilingual and monolingual infants show a different timetable for developmental change, with bilingual infants remaining ‘‘open’’ to the effects of language experience longer than monolingual infants, a highly adaptive response to the increased variability of language input that bilingual infants experience“, berichtet Forscher Garcia Serra im Fachmagazin "Journal of Phonetics". Die Behauptung beruht darauf, dass Bilinguale durchaus schon im Säuglingsalter durch die unterschiedlichen Laute der Sprachen, mit denen sie aufwachsen, eine gewisse Vorliebe für Sprachen entwickeln.
1.3 Definitionen
Die ethymologische Herkunft des Begriffs Bilingualismus geht zurück auf das lateinische Wort bilingual, was bi – zwei / lingual – sprachig bedeutet, daher zweisprachig. In Lexikas kann unter Bilingualismus folgende Beschreibung gefunden werden: „Bezeichnung für den Zustand einzelner oder einer sozialen Gemeinschaft, die sich bei der Kommunikation zweier unterschiedlicher Sprachen bedienen“ (Metzler Lexikon Sprache, 2005:102).
Obwohl der Begriff, auf den ersten Blick, keinen Raum für Missverständnisse lässt, teilen sich die Meinungen der Linguisten, Pädagogen, Neurologen und Psychologen zunehmend. Es gibt unzählige und sehr gegensätzliche Definitionen von Bilingualismus.
Bloomfield definiert Bilingualismus 1935 folgendermaßen: “ In (…) cases (…) where perfect foreign-language is not accompanied by loss of the native language, it results in bilingualism, native-like control of two languages” (1935:55 zitiert nach Beardsmore 1982:1). Nach Bloomfield formt sich Bilingualismus erst aus dem „perfekten“ Beherrschen beider Sprachen heraus. In dieser Definition sind die Anforderungen an den Sprecher außerordentlich hoch. Wo werden etwa Bilinguale eingestuft, die grammatikalisch und morphologisch beide Sprachen „perfekt“ beherrschen, aber einen leichten Akzent haben? Dass beide Sprachen perfekt beherrscht werden ist extrem selten. Li Wei zufolge sind „Balanced bilinguals“ eine Rarität. Die zwei Sprachen eines Bilingualen berühren und konkurrieren ständig miteinander. (Wei 2007:5) Konträr zur Definition von Bloomfield sagt Haugen 1953, dass Bilingualismus beginnt, wenn “the speaker of one language can produce complete, meaningful utterances in the other language”(Haugen 1953:7). Aus dieser Formulierung geht hervor, dass die bloße Fähigkeit, einen sinnvollen Satz in einer anderen Sprache zu äußern, als Zweisprachigkeit gewertet werden kann. Wird jemand, der einen Sprachkurs besucht, oder sogar in der Schule einige Jahre eine andere Sprache lernt, dadurch zum Bilingualen? Die finnische Linguistin und Pädagogin Skutnabb-Kangas behauptet, dass es beinahe so viele Definitionen für Bilingualismus gibt wie Forscher (Aleemi, 1991:12), deren Meinungen vom einen Extrem zum anderen tendieren.
Weiss definiert Zweisprachigkeit folgendermaßen: „Zweisprachigkeit ist ein auf der natürlichen Sprachigkeit des Menschen gegründeter Umfang der Sprachfertigkeit, deren Quantität durch den unmittelbaren aktiven und passiven Gebrauch zweier Sprachen gekennzeichnet und deren Qualität von der individuellen Sprachbegabung des Doppelsprachträgers abhängig ist.“ (Weiss, 1959:161)
Die Definition von Weiss legt ihren Schwerpunkt auf natürlich erworbenen Bilingualismus und engt dadurch die Kriterien ein. Ist man wirklich nur Zweisprachig, wenn der Spracherwerb auf natürliche Art stattfand? Es ist ersichtlich, dass eine einheitliche Definition, durch die vielen unbeantworteten Fragen, nicht leicht zu finden ist.
Im Rahmen dieser Arbeit ist jemand Bilingual, wenn seine beiden Sprachen entweder von Geburt an oder bis zum 11. Lebensjahr erworben wurden. Die Art des Erwerbens, ob simultan oder sukzessiv, gesteuert oder natürlich ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Der Bilinguale sollte sich selbst als Bilingual ansehen, sich sicher in beiden Sprachen fühlen. Zweisprachigkeit hat nicht nur mit Spracherwerb und -kompetenz zu tun.
1.4 Merkmale und Typen
Wenn jeder, der in seinem Alltag regelmäßig eine zweite Sprache benutzt als bilingual bezeichnet werden würde, wäre das nahezu die gesamte Bevölkerung. Es gibt gewisse Anforderungen, die gewährleistet sein müssen, um bilingual zu sein. Li Wei führt in ihrem Buch “The Bilingualism Reader” eine umfassende, alphabetische Liste, der bis heute kategorisierten Arten von Zweisprachigkeit; diese Liste geht von “achieved bilingual” bis “vertical bilingual” (siehe Anhang).
Ohne zu sehr auf die unterschiedlichen Kategorien einzugehen, möchte ich jedoch einige grundsätzliche Merkmale auflisten (vgl. Aleemi, Beardsmore, Kielhöfer/Jonekeit), die trotz der Einzigartigkeit jedes Bilingualen, existieren:
Bilingualismus kann:
kollektiv oder individuell sein. Kollektiv bezieht sich auf eine Bevölkerungsgruppe, während individuell sich auf eine Einzelperson bezieht.
simultan oder sukzessiv sein, wobei simultaner Erwerb natürlich und meist von Geburt an geschieht und sukzessiver Erwerb durch verschiedene Lebensumstände, erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet. natürlich oder gesteuert sein, d. h. mit oder ohne formalem Unterricht erworben.
Weiterhin werden vier variable Punkte definiert, die bei der Definition eines Bilingualen zu berücksichtigen sind:
„age and manner of acquisition“: Die Faktoren Alter und Art des Erwerbs helfen bei dem Unterscheiden von simultanen und sukzessiven Bilingualen, und von denen, die die Zweitsprache auf natürliche oder gesteuerte Weise erlernt haben.
„profenciency level in specific languages“: es wird die Sprachkompetenz bewertet. Man kann nicht sagen, dass simultane Bilinguale beide Sprachen gleich gut beherrschen. Der sukzessive gesteuerte Erwerb einer Sprache kann durchaus zu einer sehr guten Sprachkompetenz führen, da z. B. der Erwerb einer Zweitsprache im Erwachsenenalter sehr gute Fachkenntnisse mit sich bringen kann. „domains of language use“: Die Sprachkompetenz verteilt sich teilweise auf unterschiedliche Themenbereiche. „Jeder Zweisprachige macht die Erfahrung, daß bestimmte Dinge in eine der beiden Sprachen besser und einfacher sagbar sind.“ (Kielhöfer; Jonekeit 1995:97) „self-identification and attitude“: Li Wei merkt diesbezüglich an, dass auch, wie man zur Sprache oder zur Zweisprachigkeit steht, zur Kategorisierung von Bilingualen beiträgt. „Not all bilinguals want to be described as bilinguals. Some may find themselves in a socially disadvanteged position and would prefer to conceal their true bilingual identity.“ (2007:7)
In ihrem Buch „Bilingualism“ kategorisiert Suzanne Romaine unterschiedliche Bilingualismustypen:
Typ 1: Die Eltern haben zwei verschieden Muttersprachen und jeder spricht mit dem Kind seine eigene Sprache. Die Umgebung, in der das Kind aufwächst, ist monolingual und spricht dieselbe Sprache wie ein Elternteil. Dieser Bilingualismustyp wird auch als une personne - une langue (eine Person - eine Sprache) bezeichnet.
Beispiel: Der Vater spricht Portugiesisch, die Mutter deutsch, die Familie lebt in Portugal. Zu Hause spricht jedes Elternteil seine Muttersprache mit dem Kind, die Familiensprache ist jedoch portugiesisch.
Typ 2: Bei Typ 2 haben die Eltern auch unterschiedliche Muttersprachen. Der Unterschied zum ersten Typ besteht darin, dass die Familie die Nicht-Umgebungssprache spricht, meist aus einer bewussten Entscheidung heraus, diese zu fördern.
Beispiel: Der Vater spricht portugiesisch, die Mutter deutsch, die Familie lebt in Deutschland. Beide Elternteile sprechen innerhalb der Familie und mit dem Kind portugiesisch.
Typ 3: Die Eltern haben dieselbe Muttersprache, die Umgebungssprache ist nicht die Familiensprache. Die Umgebung ist monolingual. Dieser Typ ist die typische Konstellation bei Migrantenfamilien.
Beispiel: Vater und Mutter sprechen portugiesisch, die Familie lebt in Deutschland. Zu Hause spricht die Familie portugiesisch und außerhalb der Familie deutsch.
Typ 4: Bei diesem Typ werden nicht nur zwei, sondern drei Sprachen simultan erworben. Da sich keiner der Befragten in diesen Typ einordnen lässt, werde ich nicht näher darauf eingehen.
Typ 5: Da sich meine Fragestellung nur im Zusammenhang mit einer Muttersprache entwickeln kann, werde ich auch diesen Bilingualismustyp nicht weiter erläutern. Es handelt sich bei Typ 5 um eine monolinguale Familie, die die zweite Sprache zwanghaft erzeugt, dem Kind wird eine Nicht-Muttersprache weitergegeben.
Typ 6: Ist ein Paradebeispiel für Sprachkombinationen, die sich in einer bilingualen Umgebung, wie Belgien oder Luxemburg, entwickeln. Beide Eltern sind bilingual und die Umgebung ist bilingual. Beide Sprachen werden gemischt gesprochen. Auch dieses Beispiel kommt in der folgenden Arbeit nicht vor.
2. Begriffsdefinitionen
Was ist bei einem Bilingualen, der beide Sprachen von Geburt an gehört hat, die Muttersprache bzw. die Erstsprache? Was bedeutet Familiensprache? Was ist, wenn beide Eltern unterschiedliche Sprachen sprechen, welche ist dann die Familiensprache? Das Kapitel soll wichtige Begriffe klären, die im weiteren Verlauf des Textes verwendet werden.
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