In den letzten Jahren lassen sich im Dokumentarfilm vermehrt Tendenzen finden, Animation und Medien- oder Web 2.0 Archivmaterial in die Darstellung einzubinden. Eines der prominentesten Beispiele ist hier "Waltz with Bashir", auf den später noch eingegangen wird. So wie Animation im Dokumentarfilm schon als Ästhetik verbreitet Anwendung findet, ist die Praxis Archivbilder aus Medien- oder Privatarchiven zu verwenden ebenfalls schon länger etabliert. Der getrennte Gebrauch von diesen ästhetischen Mitteln ist also keine Neuerung, aber in der Zusammenführung von Animation, gefilmtem Material und den, vor allem über soziale Netzwerke und Portale wie YouTube oder herkömmliche Medien verbreiteten Aufnahmen, als bereits mediatisierte Elemente, ist eine neue dokumentarische Darstellungsform entstanden die bisher wenig betrachtet wurde.
"The Green Wave", ein Dokumentarfilm von Ali Samadi Ahadi über die Aufstände während der Präsidentschaftswahlen im Iran 2009, greift unter anderem Found Footage der Grünen Revolution aus dem Web 2.0 auf. In einer Kombination von aufgenommenen Bildern interviewter Beteiligter, animierten Erlebnissen aus Blogeinträgen, Handyvideos der Demonstranten, Twitter-Meldungen und Medienarchivmaterial umkreist die Erzählung die Vorgänge der niedergeschlagenen Revolution. Die Kurzdokumentation "Reality 2.0" beschäftigt sich in nachgezeichneten Amateurvideos und freier Animation mit der (medialen) Rezeption des Drogenkriegs in Mexiko. Diese beiden letztgenannten Dokumentarfilme bedienen sich neben Animation, gefilmtem und weiteren Materialien, auch den Aufnahmen aus dem Web 2.0 und (herkömmlichen) Medienarchiven, um die jeweiligen gesellschaftspolitischen Konflikte darzustellen. Mit der größeren Verbreitung und Zugänglichkeit zum Internet wächst das Spektrum der von und mit dem Publikum darin geteilten Inhalte exponentiell und eröffnet ein Archiv in neuer Größenordnung und Form. Wobei der user-generated content die Grenzen von öffentlich und privat vermehrt verwischen lässt. Diese Dokumentarfilme greifen bei der Darstellung eines Ereignisses mit der Integration mediatisierter Archivbilder aus dem Web 2.0 auf diese Weise ein medial-gesellschaftliches und -soziales Phänomen auf.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- (An)Zeichen des Dokumentarischen
- Dokumentierte Zeichen der Wirklichkeit?
- Fotografische und animierte Bilder im Widerstreit des Wirklichen
- Vor-Zeichen der Zuschauerwahrnehmung
- Vorverständnis des Dokumentarischen
- Der Zuschauer und sein Dokumentarfilm
- Mit dem Zuschauer im Hinterkopf
- Im Hinterkopf des Zuschauers
- Im Zeich(n)en der Veränderlichkeit
- ‚Ausdruckskraft‘ des Materials - Zeichen am Rand der Entstehung
- Im Off der Gesellschaft - Found Footage 2.0
- Kunst der Sensation - mediale Gewaltdarstellung 2.0
- Vorzeichen der Gewaltwahrnehmung
- ‚Macht der Korrespondenz‘ – Gewalt im Diskurs der Zeichen
- Zeichen am Rand der medialen Wirklichkeit
- Überlagerte Überladung der Bilder
- ‚Macht der Verwandlung‘ – Weichen der Wahrnehmung
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rezeption von Dokumentarfilmen, die Animation und Found Footage Material aus dem Web 2.0 in ihre Darstellung einbinden. Insbesondere wird analysiert, wie die Kombination dieser unterschiedlichen Bildmaterialien und -ästhetiken die Zuschauerwahrnehmung beeinflusst und wie sich die Rezeption dieser Collagedokumentarfilme im Kontext gesellschaftlicher Dimensionen darstellt.
- Die Rolle von Animation und Found Footage Material im Dokumentarfilm
- Der Einfluss von medialen Vorzeichen auf die Zuschauerwahrnehmung
- Die Bedeutung der Kombination verschiedener Ästhetiken für das Wahrnehmungserlebnis
- Die Rezeption von Collagedokumentarfilmen im Kontext gesellschaftlicher Dimensionen
- Die Frage, ob ein gemeinsames Wahrnehmungserlebnis aus der Kombination unterschiedlicher Materialien geschaffen werden kann
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel behandelt die Frage nach dem Wesen des Dokumentarischen und geht dabei auf die Schwierigkeiten ein, die damit verbunden sind. Es wird argumentiert, dass der Dokumentarfilm, trotz seiner Beschäftigung mit Themen der „wirklichen“ Welt, in eine Legitimationskrise gerät, wenn er den Anspruch auf objektive Darstellung der Wirklichkeit vollständig aufgibt.
Das zweite Kapitel fokussiert auf die Diskursivität von Found Footage aus dem Web 2.0, gefilmtem Material und Animation. Es wird untersucht, wie die Kombination dieser Materialien die Bedeutung des Dokumentarfilms beeinflusst und welche Auswirkungen sie auf die Zuschauerwahrnehmung hat.
Das dritte Kapitel analysiert die „Macht der Verwandlung“ - wie die Kombination verschiedener Ästhetiken die Weichen der Wahrnehmung stellt. Es wird untersucht, wie sich die einzelnen Teile des Films auf perzeptueller Ebene entwickeln und wie sie sich auf die Betrachtung des Ereignisses, den Konflikt und die affektive Involvierung des Zuschauers auswirken.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Animation, Found Footage Material aus dem Web 2.0, Dokumentarfilm und Zuschauerwahrnehmung. Dabei stehen die Themen der medialen Gewaltdarstellung, der medialen Wirklichkeit und der gesellschaftlichen Dimensionen der Rezeption im Vordergrund. Die Untersuchung umfasst auch die Konzepte des ‚Vorverständnisses‘, der ‚Diskursivität‘ und der ‚perzeptuellen Ebene‘ im Kontext des Dokumentarfilms.
- Arbeit zitieren
- Sarah Dombrink (Autor:in), 2014, Variation im Zeich(n)en der Bilder. Einflüsse von Animation und Found Footage Material aus dem Web 2.0 auf die Wahrnehmung von Dokumentarfilmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295487