Die Realität, die uns zur Verfügung steht. Das Filmische bei Kracauer im zeitgenössischen rumänischen Film


Hausarbeit, 2014

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Physische Realität: Das Filmische bei Kracauer

3. Kracauers „physische Realität“ am Beispiel der „Neue Rumänische Welle“
3.1 Filmische Bewegungformen
3.2. Enthüllung der verborgenen Realität
3.1.1 Dem Auge Entzogenes
3.1.2 Sensorische Überwältigungen

4. Fazit

5. Schlussbetrachtungen

1. Einleitung

Nachdem ich mich im Rahmen des Seminars „Filmtheorie“ mit Siegfried Kracauers Texten beschäftigt und dabei seinen Realismusbegriff vertieft habe, konnte ich feststellen dass seine ästhetische Theorie eine Verbindung zu bestimmten rumänischen Filme nahe legt. Die Filme die ich meine sind nach 2000 entstanden, und wurden schon von manchem Filmkritiker als Bewegung bezeichnet. Eine Neigung zum (Neo-)Realismus1 wird ihnen nachgesagt und sie werden als „Manifestationen einer ‹neuen rumänische Welle› betrachtet“ (Kirsten 2013: 246). Gewisse Gemeinsamkeiten der Filme liegen in der gehäuften Verwendung langer Einstellungen, im weitgehenden Verzicht auf extradiegetische Musik, in einer eher naturalistischen Inszenierungsweise, in der Beschränkung auf einen kurzen diegetischen Zeitraum, in der Auseinandersetzung mit der sozialen Gegenwart oder der jüngeren Vergangenheit. Die Sichtung der Filme weckte in mir immer wieder Assoziationen zu den von Kracauer beschriebenen Wirkungen. Die Realität in den Bildern erinnern an die von Kracauer beschriebene filmische Realität. Kracauer versucht mit seiner Ästhetik den „fragmentarischen Menschen“ (Thal 1985: 130) zur Kontemplation des Lebens zu bringen.

Diese Arbeit setzt sich deshalb zunächst mit Kracauers Ansichten zur „physischen Realität“ auseinander. Auf dieser Grundlage sollen ausgewählte Filme, die zur „Neuen rumänische Welle“ gezählt werden, betrachtet werden. Hierzu untersuche ich zunächst die von Krakauer beschriebenen zwei Funktionen des Films, die Realität aufzuzeichnen und zu enthüllen. Für Kracauer gibt es bestimmte filmische „äußere Erscheinungen“2. Am Beispiel der Verfolgungsjagd, des Tanzes, von Gewaltdarstellungen, sowie von Phänomenen, die vom menschlichen Auge übersehen werden, jedoch von besonderer Bedeutung sein können, werde ich die Sichtweisen Kracauers vorstellen und sie in einem nächsten Schritt Beispielen aus dem zeitgenossischen rumänischen Film gegenüberstellen.

2. Physische Realität: Das Filmische bei Kracauer

Kracauer schreibt, dass Filme „dann Anspruch auf ästhetische Gültigkeit erheben können, wenn sie sich ihren Grundeigenschaften gemäß verhalten; das heißt, sie müssen, wie die Fotografie, physische Realität wiedergeben und aufdecken“ (Kracauer 1964: 65). Eine Besonderheit des Films ist, dass es innerhalb der „äussere[n], nach allen Richtungen sich erstreckende[n] Welt“ (Kracauer 1964: 71), die den „Aktionsradius“ (ebd.) der Kamera umfasst, Objekte gibt, Gegenstände, die Kracauer „filmisch“ nennt, weil „sie eine besondere Anziehungskraft auf das Medium auszuüben scheinen“ (ebd.). Der Film, der sich filmischen Objekten zuwendet, hat nach Kracauer zwei Funktionen: eine registrierende und eine enthüllende. Die erste Funktion drückt sich durch eine starke Affinität des Films zu Bewegungen aus, letztere durch Aufzeigen visueller Phänomene, die normalerweise nicht unmittelbar wahrgenommen werden (vgl. Thal 1985: 135). Für Kracauer ist Bewegung filmisch, weil nur der Film sie wiedergeben kann. Er lässt die „spannende[n] physische[n] Aktionen als eine Kontinuität erscheinen“ (Kracauer 1964: 72). Einen besonders hohen Stellenwert als Form der Bewegung haben dabei für Kracauer die Verfolgungsjagd und der Tanz. Die als Verfolgungsjagd dargestellten physischen Handlungen erscheinen im Film als Kontinuität und stellen einen Höhepunkt der gesamten Handlung dar. Der Tanz als zweites filmisches Mittel wirkt anziehend, weil seine Bewegungen „dem Leben selber entfließen“ (Kracauer 1964: 74). Hier ist zu betonen, dass Kracauer eine klare Unterscheidung zwischen Bühnentanz und „››natürliche[m]‹‹ Tanzen“ (Kracauer 1964: 74) trifft, nur letzterer ist für Kracauer von Bedeutung. Tanzen hat nur da einen filmischen Effekt, „wo es Bestandteil physischer Realität bildet“ (ebd.).

Für Kracauer zählen zu den stilistischen Mitteln zur Enthüllung der Realität: die Aufzeichnung von Details mittels Großaufnahmen, die Darstellung von Menschenmengen durch Kombination von unterschiedlichen Einstellungen und Perspektiven, flüchtigen Erscheinungen, und Ereignissen, die den Menschen wiederfahren.

Die Großaufnahme dient nicht nur dazu, etwas darzustellen, sondern kann auch wesentliche Bedeutung für die Aufdeckung der physischen Realität haben.

Ihre Bedeutung für die Handlung ist nicht von ihrem Inhalt herzuleiten, sondern ergibt sich aus der Kombination der Aufnahmen3. Über einen sinnvollen Gebrauch von Großaufnahmen schreibt Kracauer:

„Dennoch sollte die Tatsache, dass diese Großaufnahmen leicht in frei schwe- bende Abstraktionen überführt werden können, uns nicht vergessen lassen, dass sie ihrem Wesen nach von der Kamera-Realität abgeleitet sind. Was auf

sie zutrifft, gilt natürlich auch für alle Bildtypen, die der Realität einer anderen Dimension angehören. Folglich werden diese abweichenden Bilder filmisch umso sinnvoller sein, je enger sie sich an das Wirklichkeitsmaterial halten,

dem sie entnommen sind; nur dann steht zu erwarten, dass sie die dem Medium eigentümlichen aufdeckenden Funktionen erfüllen“ (Kracauer 1964: 82).

Kracauers Interesse gilt insbesondere den Massen. Hier kommen die technischen Eigenschaften der Fotografie zum Tragen, denn sie kann „Menschenmengen als [...] zufällige[...] Anhäufungen ab[...]bilden“ (Kracauer 1964: 83). Der Film bietet als erstes die Möglichkeit sie „in Bewegung einzufangen“ (ebd.).

Als „Phänomene, die das Bewusstsein überwältigen“ erwähnt Kracauer Krieg, Gewalttaten, erotisches Triebleben und den Tod, also „Manifestationen rohermenschlicher oder außermenschlicher-Natur“ (Kracauer 1964: 91), Geschehnisse, die einen starken Eindruck hinterlassen. Die davon ausgelösten Emotionen und Ängste verhindern eine objektive Beobachtung. Nur die Kamera kann sie „unverzerrt darstellen“ (ebd.).

3. Kracauers „physische Realität“ am Beispiel der „Neue Rumänische Welle“

Der Film ist nach Kracauer das ideale Medium um physische Realität darzustellen. Kracauer bezeichnet die Verfolgungsjagd sowie Tanzdarstellungen als stilistische Elemente von besonderem ästhetischem Wert. Um das Verborgene der Realität zu zeigen, betrachtet Kracauer Aufnahmen als angemessen, die den Zuschauern das zeigen, was er ohne die Filmkamera nicht wahrnehmen könnte: zu kleine oder zu große Dinge, Gewaltdarstellungen, flüchtige Erscheinungen, etc. Die Rolle des Films soll entweder die schönen Aspekte des physischen Wirklichkeit zeigen oder, wie das Schild der Athene, den Zuschauer beschützen um nicht zu erstarren, wenn er erschreckende Aspekte der Realität anschaut. Hierbei sind Konfrontationen des Zuschauers mit der ungeschminkten Realität nötig (Thal 1985:137). Durch die Erfahrung der physischen Realität wird der Zuschauer aus der Abstraktheit seiner eigenen Realität befreit.

3.1 Filmische Bewegungformen

Der Film POLIZIST. ADJEKTIV (ROM 2009, R: Corneliu Porumboiu) stellt die Verfolgung auf eine besondere Art dar. Verfolgung gehört im Leben des Politisten Cristi zur Routine. Der Regisseur schildert eine eher banale Geschichte: Ein Junge wird von dem Polizisten acht Tage lang beschattet und verfolgt, weil er Haschisch konsumiert. Der Polizeichef und der Staatsanwalt drängen Cristi ihn zu verhaften, doch sein Gewissen erlaubt ihm nicht, den Jungen dafür sieben Jahre hinter Gitter zu bringen. Diese Bewegungsart spielt räumlich eine wichtige Rolle in diesem Film, sie zieht sich visuell durch den gesamten Film: Die Verfolgung wird nach jeder Unterbrechung fortgesetzt. Der Polizist folgt dem Verdächtigen unauffällig durch die Straßen Bukarests, um nicht entdeckt zu werden. Die langen Einstellungen geben dem Zuschauer Zeit, die Umgebung zu betrachten4. Er hält an, um sie beim Rauchen zu beobachten, um die Reste der Joints als Beweismaterial zu sichern oder um sich an einem Strommasten anzulehnen, um das Haus des Hauptverdächtigen zu beschatten. Die Zwischenmomente in denen er still steht, die die schwache Dynamik der Bewegung unterbrechen, erzeugen im Film das „Vakuum“ (vgl. Kracauer 1964: 74 ) von dem Kracauer spricht, das als Folge das Bewusstwerden der Bewegung als wesentliches Element der äusseren Welt hat. Der Konflikt wird hier ständig verschoben, aber seine unterschwellige Präsenz erzeugt eine innere Aufregung die eine physiologische Spannung auslöst.

Neben der Verfolgungsjagd findet sich auch die zweite von Kracauer besonders hervorgehobene Bewegungsform im zeitgenössischen rumänischen Film: der Tanz. Tanzdarstellungen sind als Bestandteil der Realität der rumänischen Gesellschaft zu finden.

[...]


1 Kirsten beispielsweise spricht vom „neuen rumänischen Realismus“, vgl. Kirsten: 245.

2 Vgl. hierzu das Kapitel „Die Darstellung physischer Realität“ in: Kracauer 1964: 71-94.

3 In seinen Ausführungen zur Nahaufnahme und sinngebende Funktion bezieht sich Kracauer auf Eisenstein (Kracauer, 78).

4 https://www.freitag.de/autoren/peter-knobloch/der-polizist-als-adjektiv Knobloch, Peter `Der Polizist als Adjektiv`(18.01.2013)

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Realität, die uns zur Verfügung steht. Das Filmische bei Kracauer im zeitgenössischen rumänischen Film
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Film und Theaterwissenschaften)
Veranstaltung
Filmtheorie
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
14
Katalognummer
V295623
ISBN (eBook)
9783656937128
ISBN (Buch)
9783656937135
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
realität, verfügung, filmische, kracauer, film
Arbeit zitieren
Roxana Rotaru (Autor:in), 2014, Die Realität, die uns zur Verfügung steht. Das Filmische bei Kracauer im zeitgenössischen rumänischen Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295623

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