Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Literatur
2.1 Die Situation der Frauen im alten China
2.1.1 Frauenerziehung im alten China. Eine Analyse der Frauenbücher. - Martin-Liao, Tienchi (1984)
2.1.2 The Inner Quarters. Marriage and the Lives of Chinese Women in the Sung Period - Ebrey, Patricia Buckley (1993)
2.2 Die Situation der Frauen im neuen China
2.2.1 The Unfinished Liberation of Chinese Women, 1949-1980 - Andors, Phyllis (1983)
2.2.2 Gender and Work in Urban China: Women Workers of the Unlucky Generations - Liu, Jieyu (2007)
2.2.3 Dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen - Li, Wanwei / Pun, Ngai (2008)
3 Zusammenfassung
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Mit den Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping und der Öffnungspolitik der Volksrepublik China (VR China) gegenüber dem Westen begannen erstmals feministische Sozialwissenschaftlerinnen und Sinologinnen sich intensiv mit der Stellung und der Rolle der Frau im alten und neuen China zu befassen. Im Rahmen der Entwicklung der internationalen neuen Frauenbewegung und der Frauenforschung wurden zahlreiche Studien über die Geschichte der Frauenbewegung in China und die aktuelle Situation der Frauen in der VR China nun aus einer feministischen Perspektive untersucht und neu bewertet.1
Seit den 60er Jahren erschienen auch in Deutschland die ersten Arbeiten - jedoch von NichtSinologinnen - zum Thema Frauen in China. Diese Publikationen beschäftigen sich vorwiegend mit der Suche nach der emanzipierten chinesischen Frau, die sich von den konfuzianischen Traditionen und ihrer patriarchalischen Unterdrückung befreit und somit als Vorbild der feministisch-sozialistischen Bewegung in Europa und den USA dienen sollte.2
Ende der 70er Jahre begannen Chinawissenschaftlerinnen die Entwicklung der Frauenbewegung in China seit dem 19. Jahrhundert, die Frauenpolitik, die Stellung und Rolle der Frau in der Volksrepublik sowie ihr Beitrag zu den historischen Ereignissen darzulegen.3 Diese Wissenschaftlerinnen waren nun auch in der Lage, ihre Quellen selbst zu erschließen und somit „ihre Studien zu Frauen in China in die allgemeine chinesische Entwicklung einzubetten“4, wodurch sich neue feministische Ansätze zur chinaspezifischen Frauenforschung entwickelten. Die Geschichte der Frauen wurde nun nicht mehr isoliert betrachtet, sondern in die allgemeine chinesische Geschichte und auch in konkrete Themen wie politische Geschehnisse integriert. Die Entwicklung neuer feministischer Ansätze und die Herausarbeitung spezifischer Kategorien zur chinabezogenen Frauenforschung sind laut Leutner notwendig, „um nicht in die Nische von ‚women studies’ abgedrängt zu werden [...]“5.6
In dieser Arbeit geht es vorrangig darum, einige methodische Ansätze zum Forschungsthema Frauen in China von einzelnen Wissenschaftlerinnen darzulegen. Dazu sollen im folgenden Kapitel fünf ausgewählte Werke zur Situation der Frauen im alten (Kapitel 2.1) und neuen China (Kapitel 2.2) betrachtet werden. Anschließen werden in Kapitel 3 die Ergebnisse kurz zusammengefasst.
2 Literatur
Im ersten Teil des Kapitels soll die Situation der Frauen im alten China dargelegt werden. Hierzu dienen die Arbeiten Frauenerziehung im alten China. Eine Analyse der Frauenbücher von Martin-Liao und The Inner Quarters. Marriage and the Lives of Chinese Women in the Sung Period von Ebrey. Der zweite Teil befasst sich mit der Situation der Frauen im neuen China. Diesbezüglich werden die Arbeiten The Unfinished Liberation of Chinese Women, 1949-1980 von Andors, Gender and Work in Urban China: Women Workers of the Unlucky Generations von Liu sowie Dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen von Pun/Li betrachtet. Dabei werden die Werke nach ihrem Erscheinungsjahr chronologisch aufgeführt.
2.1 Die Situation der Frauen im alten China
2.1.1 Frauenerziehung im alten China. Eine Analyse der Frauenbücher. - Martin-Liao, Tienchi (1984)
Martin-Liao befasst sich in ihrem Buch Frauenerziehung im Alten China - Eine Analyse der Frauenbücher mit der Rolle der Frau im traditionellen China und beschreibt ausführlich die Entwicklung der Erziehungs- und Bildungssituation chinesischer Frauen von der HanDynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) bis zum Ende der Qing-Zeit (1644-1911). Hierbei bilden insbesondere die in diesen Epochen entstandenen Frauenbücher, wie zum Beispiel das von Wang Xiang zusammengestellte Werk Die Vier Bücher für Frauen (女四书 Nü Si Shu)7, die Grundlage dieser Arbeit.
Das traditionelle Frauenbild wurde hauptsächlich durch die konfuzianische Ideologie geprägt. Konfuzius hatte klare Vorstellungen, wie sich eine Frau innerhalb der Familie zu verhalten und welche Position sie dort einzunehmen hat. Diese werden in den „drei Gehorsamkeiten“ (三从 san cong), welche im konfuzianischen Kanon stehen, deutlich: „Ein unverheiratetes Mädchen hat dem Vater zu gehorchen, nach der Heirat dem Ehemann, nach dem Tod des Ehemannes dem Sohn.“8 Im Konfuzianismus ist das Hierarchiebewusstsein ganz besonders ausgeprägt, bei dem die Frau in der Hierarchie noch unter ihren eigenen Söhnen stand.
Die Bewegungsfreiheit der Frau wurde in der Song-Dynastie vor allem durch die Einführung des Füßebindens noch weiter eingeschränkt. Durch die physischen Beschränkungen wurde sie an das Haus gebunden und nahm kaum noch am gesellschaftlichen Leben teil. So bestand ihre Aufgabe darin, Kinder zu gebären und sich um ihren Ehemann zu kümmern. Die Frau sollte sich aber nicht nur gegenüber ihrem Ehemann pietätvoll verhalten, sondern auch im besonderen Maße gegenüber ihren Schwiegereltern, die sie, zusätzlich zu ihrer eigenen Familie, ebenfalls zu versorgen hatte.
Da Frauen „hinter den verschlossenen Türen der Frauengemächer zu bleiben [hatten]“9, gab es im traditionellen China keine öffentlichen Bildungsanstalten für Mädchen und Frauen. Sie wurden grundsätzlich von ihren Familien zu Hause unterrichtet und erzogen. Ihr Lernstoff bestand fast ausschließlich aus einer Auswahl der auf konfuzianischer Ethik beruhenden Frauentraktate. Literatur und Musik gehörten nicht zum Lerninhalt, da diese als schädlich für die Charakterbildung der Mädchen und Frauen angesehen wurden. Viele Gelehrte, darunter auch Konfuzius, waren der Meinung, dass Frauen gar keine Bildung bekommen sollten, da sie die Unwissenheit und den Mangel an Begabung als Tugend bei einer Frau ansahen.10
Die erste Frauenerzieherin Chinas Ban Zhao (ca. 45-120 n. Chr.)11 sagte, dass Frauen und Mädchen nur ein Lernziel haben sollten, nämlich dem Ehemann und Herrn zu dienen. Wie die Frauen dieses Ziel erreichen konnten, schrieb Ban Zhao in ihrem Buch Nü Jie (Gebote für Frauen)12 auf. Die wesentlichen inhaltlichen Bestandteile der Frauenerziehung waren Frauentugend, Frauensprache, Frauenanmut und Frauenarbeit. Diese gewünschten Eigenschaften sollten die Frauen lernen und verinnerlichen. Martin-Liao beschreibt die traditionelle Frauenerziehung folgendermaßen:
„Die traditionelle Mädchen- beziehungsweise Frauenerziehung zielte daraufhin, junge Mädchen so zu formen, dass sie später ihre Funktion in der Familie richtig ausübten. Dies bedeutete in erster Linie, sich in die pyramidenartige Hierarchie und Werteeinstellung einzupassen und die zugeteilte Rolle erwartungsgemäß zu übernehmen.“ 13
Des Weiteren thematisiert die Autorin in ihrem Werk die aus der Frauenerziehung resultierenden gesellschaftlichen und politischen Folgen, wie Frauen und Analphabetismus, Frauen-Selbstmord und die Perspektivlosigkeit für die Frauen der oberen Schichten, die sich entweder durch die Einnahme von Opium selbst zerstörten oder in die Religion flüchteten.
Was die Arbeit von Martin-Liu besonders auszeichnet, ist die im sechsten Kapitel des Buches vollständige Übersetzung der Vier Bücher für Frauen und die Auswertung alter Schriften, die sie teilweise als Quellen verwendet. Mit Hilfe dieser Frauenbücher zeigt sie, dass die Unterdrückung der Frauen und die Vernachlässigung ihrer Bildung im traditionellen China Gang und Gebe war.
2.1.2 The Inner Quarters. Marriage and the Lives of Chinese Women in the Sung Period Ebrey, Patricia Buckley (1993)
Die Historikerin Patricia Ebrey beschreibt in ihrem Werk The Inner Quarters. Marriage and the Lives of Chinese Women in the Sung Period wie chinesische Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten in der Song-Dynastie (960-1279 n. Chr.) lebten. Dabei geht sie auf die verschiedenen Aspekte im Leben dieser Frauen ein, insbesondere auf das Thema Frauen und Heirat. Ebrey verwendet eine Vielfalt an Quellen, unter anderem songzeitliche Gesetzestexte, Gedichte, Heiratsanträge, Ehearrangements sowie Bilder, die in diesem Werk auch illustriert werden. Diese Bilder geben einen guten Einblick in die Song-Dynastie und veranschaulichen das Leben von (Ehe-)Mann und (Ehe-)Frau, ihr Verhältnis zueinander, die Mutterschaft, die Frauenarbeit etc. Die physische Trennung der Geschlechter wird ebenfalls bildlich dargestellt. Ebrey erläutert, dass sich Frauen nur in „ the inner quarters “ aufhalten durften und dass Männer und Frauen den Körperkontakt möglichst vermeiden sollten.
In der Einleitung des Werkes erklärt Ebrey, dass die Song-Dynastie eine interessante Epoche für die Frauenforschung darstellt, da sich die Situation chinesischer Frauen in dieser Zeit stark veränderte und viele Widersprüche entstanden. Einerseits verschlechterte sich ihre Situation als das Füßebinden eingeführt und die Wiederverheiratung von Witwen verurteilt wurde, andererseits wurden ihnen Eigentumsrechte zugesprochen. Weder in früheren noch in späteren Dynastien durften Frauen über so viele Besitztümer verfügen. Dies führte dazu, dass nun auch die Töchter die Familienlinie weiterführen und den Familienbesitz erben konnten, weshalb einige Männer sogar in eine uxorilokale Heirat14 einwilligten. Diese widersprüchlichen gesellschaftlichen Veränderungen regen diverse Forscher dazu an, die Situation der Frauen in der Song-Dynastie zu untersuchen.
Das zentrale Thema Ehe stellt Ebrey hauptsächlich aus der weiblichen Perspektive dar. Dabei bezieht sie die Themen Heiratspolitik, Ehearrangements sowie Rituale, die vor allem bei der Mitgift und Eheschließung eine große Rolle spielen, mit ein. Die Autorin beschreibt die Ehe als Fundament für die Verbindung zweier Familien, für die Elternschaft und letztlich auch für die Gründung der eigenen Familie. Wie das Eheleben jedoch zu dieser Zeit ausgesehen hat, ist nicht eindeutig. Einige von Ebrey verwendeten Quellen besagen, dass sich die Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau in der Song-Dynastie nicht geändert habe und die Frau sich dem Mann immer noch unterwerfen musste. Andere Quellen widerlegen dies und schildern, dass das Eheleben vielmehr von Gefühlen wie Liebe, Hass, Enttäuschung und Eiversucht bestimmt war.
Des Weiteren beschäftigt sich die Autorin mit den unterschiedlichen Rollen und sozialen Stellungen der Frauen in der songzeitlichen Gesellschaft. Sie zeigt auf, dass die gebildeten Frauen der Oberschicht als „inner Helpers“ die Möglichkeit hatten, das Geschehen in der Familie zu beeinflussen. Die ideale Frau der Song-Zeit sollte nicht nur ihrem Mann und seiner Familie ergeben sein, sondern auch die Fähigkeit besitzen, die Familie und den Haushalt zu managen sowie über literarisches Talent und soziale Kompetenzen verfügen. Auch die Rolle der Frauen der Unterschicht änderte sich, da sie zum Beispiel durch die Herstellung von Kleidungen nun auch zum Haushaltseinkommen beitrugen. Diese Beispiele zeigen, dass es in der Song-Dynastie durchaus Frauen gab, die ihre passive Rolle ablegten und sich vor allem im Familiengeschehen aktiv einbrachten.
Mit diesem Werk hat Ebrey nicht nur die Veränderung der Rolle der Frau in der SongDynastie aufgezeigt, sondern auch die gesellschaftliche und familiäre Relevanz der Frauen in dieser Zeit dargelegt. Abschließend merkt sie an, dass bei der Betrachtung der chinesischen Geschichte den Frauen mehr Beachtung geschenkt werden sollte, denn “Chinese history and culture [...] look different after we have taken the effort to think about where the women were.“ 15
[...]
1 Vgl. Leutner (1992): S. 25ff.
2 Vgl. Leutner (1992): S. 27.
3 Vgl. Leutner (1992):7.S. 27.
4 Leutner (1992): S. 27..
5 Leutner (1992): S. 28f.
6 Leutner (1992): S. 27f.
7 Der Autor Wang Xiang (1789-1852) stellte vier Frauenbücher zusammen und taufte sie Die vier Bücher für Frauen (女四书 Nü Si Shu). Diese von Frauen verfassten Bücher blieben seitdem in Anlehnung an die seit der Song-Zeit als Kanon präsentierten konfuzianischen Vier Klassiker das Standardwerk der Frauenerziehung (vgl. Martin-Liao, 1984. S. 3). Martin-Liao hat in ihrem Werk Frauenerziehung im alten China. Eine Analyse der Frauenbücher die vier Frauenbücher Nü Jie (女诫, Han-Zeit, 206 v. Chr. - 220 n. Chr.); Nü Lunyu (女论语, Tang-Zeit, 618-907 n. Chr.); Nei Xun (内训, Ming-Zeit, 1368-1644); Nü Fan Jie Lu (女范捷录, Ming-Zeit) vollständig übersetzt.
8 Martin-Liao (1984): S. 14.
9 Martin-Liao (1984): S. 6.
10 Der Leitsatz „Der Mangel an Begabung ist eine Tugend bei einer Frau“ stammt wahrscheinlich aus der MingDynastie (vgl. Martin-Liao, 1984, S. 8).
11 Ban Zhao (ca. 45-120 n. Chr.) stammte aus einer adligen Familie. Sie war Historikerin, Schriftstellerin, Astronomin und Mathematikerin (vgl. Martin-Liao, 1984. S. 7, 48, 49).
12 Das NüJie (女诫) gehört zu den vier Frauenbüchern.
13 Martin-Liao (1984): S. 33.
14 Eine uxorilokale Heirat bzw. Ehe bedeutet, dass das Ehepaar bei der Familie der Braut lebte. Diese Form der Heirat war vor allem üblich, wenn die Familie keine eigenen Söhne hatte (vgl. Davin, 2008, S.299).
15 Ebrey (1993): S. 271.