Seit den Judenemanzipationsgesetzen von 1867 und 1895 genossen Juden nirgendwo in Europa eine solche Gleichberechtigung wie in Ungarn. Sie waren vollwertige Mitglieder der ungarischen Nation und Gesellschaft und der wirtschaftliche Motor der „Goldenen Zeit“, der Ungarn zu einer führenden Kulturnation in Europa aufsteigen ließ. Während der Jahrzehnte des Aufschwungs hatte sich ein einzigartiges Bündnis zwischen der ungarischen Herrscherschicht und den im einstigen Habsburgischen Vielvölkerstaat zu patriotischen Ungarn gewordenen Juden herausgebildet, wie es so in Europa kein zweites Mal existierte. Juden fieberten Seite an Seite mit den Ungarn während des Habsburgeraufstands mit, opferten sich im Ersten Weltkrieg für das ungarische Vaterland auf und trauerten zusammen mit ganz Ungarn um die im Trianonvertrag verlorenen Gebiete. Die ungarischen Juden wurden zu heissblütigen ungarischen Patrioten, die in ihr Heimatland geradezu vernarrt waren. Die Sympathie ging so weit, dass sich der nach dem Ausgleich der Doppelmonarchie gewordene Ministerpräsident Graf Gyula (Julius) Andràssy nicht weniger, sondern mehr Juden in Ungarn wünschte.
Dass knapp 77 Jahre später deutsche Truppen in Ungarn einmarschieren und den von einem herangereiften ungarischen Antisemitismus angefeuerten ungarischen Holocaust auslösen würden, hatte sich niemand vorstellen können. Das während Jahrzehnten aufblühende ungarische Judentum wurde auf einen Schlag durch die deutsche Besatzung in Budapest, durch den deportationsbesessenen Reichsbevollmächtigten Edmund Veesenmayer, durch die SS-Schergen des Eichmann-Sonderkommandos und dessen ungarische Handlanger sowie durch die Pfeilkreuzlerbewegung unter dem Szalasi-Regime ausgelöscht. Davon hat sich das ungarische Judentum bis heute nicht erholt. Unter den ungarischen Juden war auch die Familie meiner Grossmutter, die den unvergleichlichen Aufstieg der ungarischen Juden miterlebte und zu Opfern des aberwitzigen Industriemords wurde. Was war der Grund dafür, dass sich dieser tragische Pendelschlag von der Emanzipation zur Deportation ereignen konnte? Wie kam es von der Emanzipation der Juden zu ihrer Deportation?
Inhaltsverzeichnis
- Historischer Teil
- Einleitung
- Die ungarische Nation in der Geschichte
- Die Ungarn, ein einsames Volk.
- Die Zerstörung der historischen Integration Ungarns.
- Die Geburt der ungarischen Staatsidee.
- Der Aufstieg der ungarischen Juden
- Die Rolle der Minderheiten bei der Magyarisierung Ungarns.
- Die Judenemanzipation.
- Das Goldene Zeitalter.
- Der Niedergang der ungarischen Juden
- Die Todesurkunde Trianon.
- Die Zerstörung des historischen Paktes.
- Die Entrechtung der ungarischen Juden.
- Persönlicher Teil
- Vom Kindermädchen bis zum Pfeilkreuzlerputsch
- Die Verhaftung des Kindermädchens.
- Das Kallay-Doppel.
- Ausschaffung und Arbeitsdienst.
- Der Tag der Schakale und seine Folgen.
- Vom Pfeilkreuzlerputsch bis zum sowjetischen Einmarsch
- Ferenc Szalasi ergreift die Macht.
- Die Verhaftung von Lenke Weiss.
- Die Befreiung Lenkes und das Schweizer Schutzhaus.
- Überlebenskampf im Ghetto.
- Vom Kindermädchen bis zum Pfeilkreuzlerputsch
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Aufstieg und dem Niedergang der ungarischen Juden im 20. Jahrhundert. Sie untersucht die historische Entwicklung des ungarischen Judentums, insbesondere die Emanzipation nach 1867 und die darauf folgende Deportation während des Holocaust. Im Fokus steht dabei die persönliche Geschichte der Grossmutter des Autors, die die Entrechtung und Verfolgung der ungarischen Juden im Kindesalter erlebte.
- Die Emanzipation des ungarischen Judentums im 19. Jahrhundert.
- Der Aufstieg der ungarischen Juden zur wirtschaftlichen und kulturellen Elite.
- Die Folgen des Ersten Weltkriegs und des Trianon-Vertrags für das ungarische Judentum.
- Der Antisemitismus in Ungarn und seine Folgen für die ungarische jüdische Bevölkerung.
- Die Deportation der ungarischen Juden im Holocaust und die persönlichen Erlebnisse der Grossmutter des Autors.
Zusammenfassung der Kapitel
Der historische Teil der Arbeit beleuchtet die Entwicklung des ungarischen Judentums vom Aufstieg im 19. Jahrhundert bis zum Niedergang während des Holocaust. Die Kapitel 2-4 beschreiben die Integration der ungarischen Juden in die ungarische Gesellschaft, die Rolle der Minderheiten bei der Magyarisierung, die Judenemanzipation und das „Goldene Zeitalter“. Sie untersuchen auch die Folgen des Trianon-Vertrags und die Entrechtung der ungarischen Juden. Der persönliche Teil konzentriert sich auf die Erlebnisse der Grossmutter des Autors während des Holocaust. Die Kapitel 5 und 6 schildern ihre Verhaftung, die Deportation und ihren Überlebenskampf im Ghetto. Die Kapitel thematisieren den Wandel der ungarischen Politik, die Rolle des Antisemitismus und die persönlichen Erfahrungen der Grossmutter während dieser Zeit.
Schlüsselwörter
Ungarisches Judentum, Emanzipation, Antisemitismus, Holocaust, Deportation, Trianon-Vertrag, Pfeilkreuzler, Szalasi-Regime, Edmund Veesenmayer, Eichmann-Sonderkommando, Familie, Geschichte, Erinnerung.
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- Robert Gregorio Lukacs (Author), 2011, Von der Emanzipation bis zur Deportation der ungarischen Juden. Die Erlebnisse von Agnes Buchwald, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295927