Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung (Alessandro Janus)
1.1 Problem- und Zielstellung (Alessandro Janus)
1.2 Fragestellung und Arbeitshypothesen (Benjamin Amthor)
1.3 Forschungsmethodisches Vorgehen (Benjamin Amthor)
2 Theoretische Aufarbeitung des Problemfeldes
2.1 Das Urphänomen Kämpfen (Benjamin Amthor)
2.2 Das Besondere am Zweikämpfen (Benjamin Amthor)
2.2.1 Kampfsport - gewaltfördernd oder gewaltpräventiv? Das Prosoziale am Kämpfen
2.2.2 Kampsport - sicher und gesund
2.3 Die Sinnhaftigkeit von Zweikämpfen im Kontext Schule (Benjamin Amthor)
2.4 Dokumentenanalyse (Alessandro Janus)
2.4.1 Kampfbetonte Übungen in den Lehrplänen
2.4.2 Lehrpläne Sachsens
2.4.3 Lehrpläne Niedersachsens
2.5 Einstellungen (Alessandro Janus)
3 Untersuchungsmethodik
3.1 Untersuchungsdesign (Benjamin Amthor)
3.2 Untersuchungsmethoden
3.2.1 Fragebogen (Benjamin Amthor)
3.2.2 Praxiseinheit (Alessandro Janus)
4 Ergebnisse
4.1 Befragung von Lehrerin W. (Benjamin Amthor)
4.2 Befragung von Lehrer U. (Alessandro Janus)
5. Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Zusammenfassung des Projektes (Benjamin Amthor)
5.2 Ausblick (Benjamin Amthor)
5.3 Diskussion (Alessandro Janus)
Literaturverzeichnis
1 Einleitung (Alessandro Janus)
Zu den elementaren motorischen Fertigkeiten gehören neben dem Gehen, Laufen, Springen, Werfen, etc. auch das Schieben, Ziehen, Schlagen, Stoßen, Treten u. a. Die Letzteren finden besonders in kampforientierten Sportarten ihre Anwendung. Weil die Aneignung dieser elementaren Fertigkeiten bereits im Kleinkind-, Vorschul- und Grundschulalter stattfindet, sollte den Zweikampfsportarten im Schulsport zu- nehmende Beachtung entgegengebracht werden. In der sportpädagogischen und sportdidaktischen Diskussion steht man dem Thema Kämpfen aktuell offener ge- genüber als zu früheren Zeiten (vgl. Kuhn, 2008). Vielen pädagogischen Bemühun- gen ist es zu verdanken, dass das Phänomen Kampf in seiner vielfältig wirksamen und erzieherischen Weise in den Schulsport integriert werden konnte. Der vorran- gig mehrperspektivische Ansatz des Sportunterrichts in Deutschland erlaubt zudem den gesonderten Zugang zur Sache, obwohl dem Zweikampf - bspw. im Fußball wie auch im Boxen - ein angebliches Gewaltpotenzial inhärent zu seien scheint und auch oft unterstellt wird1. Durch die Kommission Sport2 wurde der Auswahl an kampfsportlichen Inhalten Grenzen gesetzt. Mit Beschluss der KMK - Kommission Sport vom 8./9.6.1993 in Stuttgart wurde festgelegt:
„ [...] , daß bereits anläßlich der Beratungen der 72. Kommission ‚Sport‘ am 7./8.9.1989 TOP 33.8 ‚Sportarten im Pflichtunterricht und im außerunterrichtlichen Schulsport, hie r: 'Selbstvertei digung von Mädchen‘, festgestellt worden ist, daß Kampfsportarten mit Schlagtechniken im Schulsport nicht zulässig sind.“ 3
Dabei entscheiden die einzelnen Bundesländer selbst, in welchen Schulbereichen und Jahrgangsstufen entsprechende obligatorisch oder fakultativ zulässige Inhalte angeboten werden. Der Lehrplan in Sachsen verpflichtet bspw. in den Klassenstu- fen 5-10 mindestens in einer Klassenstufe den Lernbereich "Kampf- sport/Zweikampfübungen" zu unterrichten.
Jedoch sind hinsichtlich des scheinbaren Gefahrenpotenzials gewisser Kampf- sportarten eventuelle Unsicherheiten sowohl seitens der Lernenden als auch der Lehrenden denkbar und möglich. Daher stellt sich die Frage, ob die Implementie- rung von Kampfsport und Zweikampfübungen in den Schulsport tatsächlich wie er- wartet stattfindet.
1.1 Problem- und Zielstellung (Alessandro Janus)
Eine Literaturanalyse ergab keinen Aufschluss über bereits vorhandene Untersu- chungen und Studien bezüglich der Qualität und v. a. Quantität von Kampfsportun- terricht im Schulsport. Kampfkunst und Kampfsport als Feld der Wissenschaft er- fährt derzeit neue Erkenntnisse und Forschungsmöglichkeiten; speziell im Bereich des (Schul-)Sports, der Didaktik und der Pädagogik. In der Fachliteratur werden demnach verschiedene sportpädagogische und -didaktische Vorschläge und Ana- lysen präsentiert, als auch Ideen für Unterrichtsentwürfe unterbreitet (vgl. Bonfranchi, 2002; Clemens, Metzmann & Simon, 1989; Lange & Sinning, 2009). Ein breites thematisches Interesse nimmt ebenso die Frage nach Kampfsport als Mittel zur Gewaltprävention ein. Doch nicht nur die Frage nach der Begründbarkeit des Kampfsports im Schulsport sowie seine Perspektiven, Möglichkeiten, Chancen und Gefahren sind relevant. Auch zu den aktuellen Problemen der Durchführung und Umsetzung empfiehlt es sich, diese zu untersuchen und auf mögliche Ursa- chen und Empfehlungen hinzuarbeiten.
In der Schulpraxis ist der Anteil an kampforientierten Sportunterricht erfahrungsge- mäß4 gering bis überwiegend gar nicht vorhanden. Das betrifft zum einen den spe- ziellen Lernbereich „Kampfsport“, der das Ziel beinhaltet, ausgewählte Techniken aus verschiedenen Kampfsportarten den SuS durch geeignete Methoden zu vermit- teln. Zum anderen finden ebenso wenige Zweikampfübungen in anderen Lernbe- reichen Anwendung. Gemeint sind kleine Ring- und Raufspiele bspw. zur Erwär- mung und Vorbereitung der anstehenden Sportstunde, als Mittel zur Schulung und Verbesserung koordinativer und konditioneller Fähigkeiten oder als abschließen- des, ausgelassenes Spiel zum Ende der Stunde. Die Gründe, weshalb die Anwen- dung von kampforientierten Übungen vorzugsweise unterlassen wird, lassen sich nur vermuten.
Aus der Sicht der SuS oder Eltern gibt es möglicherweise schlechte Erfahrungen oder fortwährende Bedenken, ob der Kampfsport für den Sportunterricht geeignet ist. Es herrschen oft generelle Vorurteile über Gefahren, Risiken oder Tendenzen einer gesteigerten Gewaltbereitschaft vor. Das Feld Kampfsport im Schulsport ist demnach ein komplexes Phänomen und je nachdem, aus welcher Perspektive (Schüler, Eltern, aber auch Lehrer) es betrachtet wird, lassen sich wohlmöglich ver- schiedene Erwartungen und Einstellungen feststellen. In dem Zusammenhang möchten wir die Einstellungen und Erwartungen gegenüber dem kampfsportbezo- genen Sportunterricht aus der Sicht der LehrerInnen näher beleuchten.
Wird von der Perspektive der Lehrkraft ausgegangen, so lässt sich annehmen, dass möglicherweise fehlende Kompetenzen und damit einhergehende Selbstein- schätzungen, sowie Unsicherheiten in der Vermittlung zur Vermeidung des Lehr- stoffes führen. Die Schulung von Kompetenzen für den Kampfsportunterricht ma- chen während der studentischen Ausbildung oft nur einen geringen oder keinen Anteil aus. Ebenso ist es denkbar, dass bereits aus erfolgten Versuchen, die Lehr- inhalte zu vermitteln, schlechte Erfahrungen resultierten, die somit weitere Ambitio- nen für die Lehrkraft unmöglich machen. Unterdessen können die besagten Erfah- rungen durch unglückliche Zwischenfälle (z.B. Verletzungen) hervorgerufen worden sein, die aus der Unsicherheit der Lehrkraft resultieren. Dies hatte eben dann zur Folge, dass die SchülerInnen zu undisziplinierten Handeln anregt worden sind. Das derartige Vorkommnisse nicht der Regelfall sind, wird später noch zu kennzeichnen sein. Im Zusammenspiel mit der den Kampfsportarten gegenüber geäußerten Skepsis gemäß kumulativer Gewaltbereitschaft und Verletzungsanfälligkeit, werden jedoch derartige Fallbeispiele des Öfteren überspitzt dargestellt und als Appell für andere KollegInnen begriffen, ein weiteres Unterrichten zu unterbinden. Derartig aus dem Kontext gerissen fällt es schwer, jenen Sachverhalt in seiner Entstehung objektiv zu betrachten, worin die Autoren letztlich den eigentlichen Hauptgrund für einen Vernachlässigung des Zweikämpfens im Schulsport ausmachen: eine unreflektierte abschätzige Grundhaltung hinsichtlich des Kämpfens im Sportunterricht seitens der SportlehrerInnen, welche ihren Ursprung vor allem in einer verzerrten Außendarstellung von Kampfsportarten besitzt.
Um bestehende Problematiken in der Unterrichtspraxis aus mehreren Perspektiven beleuchten und einzuschätzen, und auch praktische Lösungen abzuleiten, bedarf es deren Analyse. Die vorliegende Arbeit untersuchte die Einstellung zum Kampf- sport im Sportunterricht aus der Perspektive der Lehrerkraft. Welche Erfahrungen die Lehrkraft mit dem Kämpfen im Sportunterricht bereits sammeln konnte, ist ein entscheidender Faktor in der Wertung der Sinnhaftigkeit eines Unterrichtens von Kampfsportarten. Zudem beeinflusst es somit die Motivation der LehrerInnen maß- geblich, ob und wie weitere Unterrichtsversuche unternommen werden. Letztlich sollte es v. a. darum gehen, wie Kämpfen im Schulsport seitens der LehrerInnen allgemein bewertet wird und ob diese Einschätzung, wie vermutet, in der Tat un- günstig ausfällt.
1.2 Fragestellung und Arbeitshypothesen (Benjamin Amthor)
Basierend auf der geschilderten Annahme, wonach der Lernbereich Kampfsport/Zweikampfübungen aufgrund skeptischer Bewertung und mangelhafter Einstellung seitens der SportlehrerInnen nur eine begrenzte Anwendung im Schulsport findet, sollte hierbei der Versuch unternommen werden, jene lehrkraftspezifischen Ansichten offenzulegen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Erhebungen zur Schülerperspektive bereits existieren5, äquivalente Befragungen der SportlehrerInnen jedoch bis heute ausstehen.
Federführend waren hierbei zwei Fragestellungen. Zunächst galt es zu hinterfra- gen, welche Einschätzung exemplarisch befragte Lehrkräfte hinsichtlich der Thematik Kämpfen im Schulsport selbst äußerten.
1. Welche Einstellung äußern LehrerInnen hinsichtlich der Thematik Kämpfen im Schulsport ? Desweiteren wurde erprobt, ob sich infolge einer beispielhaften Praxiseinheit, welche an den Schulen stets durch einen der Autoren angeleitet wurde, etwaige Änderungen bzgl. der Meinung der LehrerInnen ergaben.
2. Ergeben sich Änderungen infolge der vorgenommenen Praxiseinheit?
Aufgrund der Tatsache, dass die Autoren unter den geschilderten Umständen die inadäquate Grundhaltung der Sportlehrkräfte als Ausgangspunkt für das begrenzte Anbieten von Kampfsportangeboten in Schulen hervorheben, ergaben sich in Verbindung zu beiden Fragestellungen folgende Hypothesen.
1. Lehrer besitzen eine verhaltene Einstellung der Thematik gegenüber.
2. Lehrer ändern ihre Einstellung infolge der vorgenommenen Praxiseinheit positiv.
Die erste Hypothese bekennt sich dabei, wie beschrieben, zu der zu Beginn aufge- worfenen Problemstellung und soll im zweiten Punkt dieser Projektarbeit (Theoreti- sche Aufarbeitung des Problemfeldes) weitgehender vertieft werden. Letztere Hypothese impliziert die Annahme, wonach sich aufgrund der jeweils exemplarisch durchgeführten Praxiseinheit substanzielle Meinungsänderungen be- züglich der Thematik Kämpfen im Sportunterricht seitens der LehrerInnen ergeben würden. Im dritten Punkt dieser Projektarbeit (Untersuchungsmethodik) werden die in der Praxis erprobten Unterrichtsbausteine detailliert beschrieben.
1.3 Forschungsmethodisches Vorgehen (Benjamin Amthor)
Nach dem zunächst die Problemstellung der Projektarbeit einschließlich der abge- leiteten Zielstellung dargestellt und die sich ergebenden Fragestellungen inklusive der inhärenten Hypothesen vorgestellt wurden, schließt sich im Folgenden ein Ab- riss über die zugrundeliegende Forschungsmethodik an. Die einzeln enthaltenen Aspekte werden an gegebener Stelle innerhalb dieser Projektarbeit wiederum sorg- fältig ausgeführt.
Eine Voraussetzung für die Gewinnung entsprechender Datensätze in der vorliegenden Erhebung war der Sachverhalt, wonach die Autoren in verschiedenen Bundesländern tätig gewesen sind. Dieser Umstand sollte folglich gewinnbringend für eine tiefgründige Betrachtung genutzt werden können.
Im Allgemeinen werden Kampfsportelemente in den jeweiligen Lehrplänen der an- gesprochenen Bundesländer unter der Bezeichnung Lernbereich Kampf- sport/Zweikampfübungen (Sachsen) bzw. Erfahrungs- und Lernfeld Kämpfen (Nie- dersachsen) aufgeführt. Mit der Absicht, innerhalb der Projektarbeit die Lehrpläne Sport der Bundesländer Sachsen und Niedersachsen einer Dokumentenanalyse zu unterziehen, soll aufgezeigt werden, welchen Stellenwert die Zweikampfübungen, neben in eigens dafür vorgesehenen Lernbereichen, in anderen Themengebieten besitzen. In Hinblick auf den Freistaat Sachsen wird unter Beachtung der jeweiligen Potenzen des korrespondierenden Lernbereichs eine mehrperspektivische Unter- richtsgestaltung vorgeschlagen. Dieser allgemeine Zusatz ist für das Themengebiet Kampfsport essentiell. So heißt es in den festgeschriebenen Vorbemerkungen, dass jener Lernbereich neben körpernahen Auseinandersetzungen v. a. die Per- spektiven Wagnis, Gesundheit und Kooperation betont (Sächsische Staatsministe- rium für Kultus und Sport, 2011). In Anlehnung an die allgemeinen fachlichen Ziele versteht sich der hierbei innewohnende Doppellehrauftrag, neben der Entwicklung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, zuvörderst soziale Lernprozesse zu in- tegrieren. In Niedersachsen unterliegt der Lehrplan einer Zweiteilung in Sekundar- stufe 1 und 2. Transformiert man dessen Angaben innerhalb des Bereiches der Zweikampfübungen in eine entsprechende mehrperspektivische Ausrichtung, so wie sie in Sachsen vorzufinden ist, kann man hierbei bereits festhalten, dass in den Klassen 5 bis 10 die Rubriken Kooperation und Körpererfahrungen verstärkt betont werden, während in der Oberstufe v. a. die Leistung der SchülerInnen hervorgeho- ben wird (Niedersächsisches Kultusministerium, 2007 & 2010). Gemäß der Zielstellung der Projektarbeit, zum einen Einstellungen der Lehrkräfte zu erheben, diese eben aber auch zu beeinflussen, bedurfte es des Entwurfs einer selbst arrangierten Praxiseinheit, die die Thematik Kämpfen im Sportunterricht treff- lich aufnahm. Jene sollte sich planmäßig über zwei Unterrichtsblöcke à 90 min. er- strecken. In einer Art Einführung sollten Basiserfahrungen im Kämpfen ermöglicht werden, da zum einen nicht davon ausgegangen werden konnte, dass das Kämp- fen bereits im Unterrichtsgeschehen ausreichend thematisiert worden ist und somit zum anderen eine einheitliche Basis nach der Vorstellung der Autoren geschaffen werden sollte. Gemeinsam einigte man sich vorzugsweise auf den Zweikampfsport Ringen, da hierbei auf ausgereifte Vorkenntnisse zurückgegriffen werden konnte. Im Stoffgebiet wurde sich mit Rückbezug auf differenzierte Unterrichtsbausteine chronologisch fortbewegt, wodurch Zweikampferfahrungen allgemein gehalten werden konnten, ohne mustergültige Technikleitbilder zu vermitteln. Nach ersten Körperkontaktformen und Gleichgewichts- bzw. Körperspannungsübungen sollte allmählich auf anfängliche Kampfformen übergeleitet werden. Mit Ausnahme spezi- fischer technischer Vermittlungen wurde induktiv und variantenreich vorgegangen. Besondere Beachtung sollte in Hinblick auf eine Wertorientierung und Wahrneh- mungssensibilisierung das reflexive Lernen finden. Es bleibt zu erwähnen, dass die letztlich entstandene Praxiseinheit nicht den Anspruch eines konzeptuellen Muster- beispiels erhebt. Sie steht in Verbindung zur Kampfsportaffinität der Autoren und deren Erfahrungen im Umgang mit der Pädagogik und Didaktik dieses Themenbe- reiches. Schlussendlich sollte die Projektarbeit der Empirie dienen, indem Lehrer- einstellungen gemäß der Problemstellung hinterfragt wurden.
Die Bemühung, die Auffassung der Lehrkräfte gegenüber der Materie Kämpfen im Schulsport exemplarisch zu erheben, verwies auf die Konstruktion eines analogen Fragebogens. Jenes Erhebungsinstrument ermöglichte es, sich unter Beachtung des Forschungsgegenstandes dem Konstrukt der Einstellung aus Sicht der Sport- lehrerInnen gegenüber der Thematik Kämpfen im Sportunterricht zu nähern. Von entscheidender Bedeutung waren an dieser Stelle die Variablen Erfahrung, Kompetenz und im Besonderen die Bewertung von Kampfsport im Kontext Schule. Die Variable Bewertung von Kampfsport im Kontext Schule wurde hierbei nochmals in Indikatoren zerlegt. Dabei wurden folgende Aspekte herausgestellt:
- Sinnhaftigkeit in der Schule,
- soziales Lernen,
- Gewalt/Aggressivität, Sicherheit und
- Förderung von Gesundheit.
Der Struktur nach ist der Fragebogen eine schriftliche Einzelbefragung. Dieser wurde stark strukturiert, indem jeder Frage eine korrespondierende 5-stufige Ra- tingskala zugrunde lag, wobei der Zustimmungsgrad der jeweiligen Lehrperson er- mittelt und separat ausgewertet wurde (Atteslander, 2008; Raithel, 2006). Eine vorangestellte intensive Literaturrecherche diente dem Zweck, die Thematik Kämpfen im Sportunterricht theoretisch fundiert zu erörtern. Bedeutend war es, herauszuarbeiten, was das Phänomen Kämpfen allgemein kennzeichnet und wel- che Bezüge zu Schule und den im Fragebogen aufgeführten Elementen Sinnhaftig- keit in der Schule, soziales Lernen, Gewalt/Aggressivität, Sicherheit und Gesund- heit hergestellt werden konnten. Hinzukommend interessierte es zu hinterfragen, welche gesicherten Ergebnisse zur Einstellung von SchülerInnen und LehrerInnen in Anlehnung an die Materie Kampfsport unlängst vorliegen.
2 Theoretische Aufarbeitung des Problemfeldes
2.1 Das Urphänomen Kämpfen (Benjamin Amthor)
„Das Kämpfen ist in seinen vielfältigen Erscheinungsformen oft nicht ungefährlich und die B e- schäftigung mit dem (Ur-, d. Autor) Phänomen des Kämpfens birgt ebenfalls Gefahren und Wi- derstände. Gerade als Pädagoge ist man dabei nicht selten mit etablierten Vorurteilen und ab- lehnenden Haltungen konfrontiert. Vor allem das körperlich aktualisierte Kämpfen galt lange Zeit in der pädagogischen und soziologischen Diskussion der letzten vier Jahrzehnte als brutal, roh, primitiv und vor allem als unkommunikativ. […] Wo nicht mehr geredet […] werde, gehe die kommunikative Kompetenz verloren und niedere Kräfte setzen sich durch“ (Lange & Leffler, 2010, S. 139).
In der Öffentlichkeit publizierte Statistiken über zunehmende Gewaltexzesse bei Kindern und Jugendlichen tragen generell zu einer Meinung bei, die aus Angst vor einer weiteren Freisetzung libidinöser Energien sich gegen das Unterrichten von Kampfsport und Zweikampfübungen, insbesondere an schulischen Einrichtungen, ausspricht. Dass sich Gewalt, betrachtet man verbale sowie eher indirekte Formen wie Mobbing oder Vernachlässigung, nicht ausschließlich auf das Körperliche be- schränkt, und sich andernfalls bei semantischer Erschließung des Wortes Wett- kampf innerhalb des öffentlichen Lebens vielfältige Kämpfe im Rahmen von Musik, Literatur, Politik, Kochkunst und Sport ergeben (Lange & Leffler, 2010), wird dabei oft außeracht gelassen. Selbst wenn unweigerlich von einer polaren Beziehungs- struktur auszugehen ist, die sich aus der spannungsvollen Bezogenheit der Gegner im Kampf zueinander ergibt, stellt sich gerade durch eine derartige Be- gegnung zweier Athleten ein Beziehungsgefüge heraus. „Beziehungen aber können gar nicht anders gestaltet werden, als kommunikativ. In der Bezogenheit aufeinander kann man ‚nicht nicht kommunizieren‘“ (Watzlawick, 1993, S. 53, in Lange & Leffler, 2010, S.144).
Die enge Verbundenheit des Kämpfens mit lebensweltlichen Gegebenheiten erhellt sich unter Betrachtung natürlicher Vorgänge wie etwa Entstehen - Vergehen und Sich durchsetzen - Verdrängt werden, so Binhack (ebd., 1998). Kennzeichnend für eine jede Art des Kämpfens ist die grundlegende duale antagonistische Grund- struktur zweier widerstrebender Parteien (u. a. Beudels & Anders, 2001; Binhack, 1998; Lange & Leffler, 2010). In Bezug auf den Sport ergeben sich somit Wettstrei- te zweier konkurrierender Sportlager, die sich im sportlichen Wettkampf gegen- überstehen. Geprägt von diesem binärem Inhaltsaspekt und der hierbei implemen- tierten Zweckgerichtetheit - es wird um etwas gekämpft - sowie der innewohnenden Entscheidungsorientiertheit - der Kampf möchte entschieden werden - unterscheidet sich das Kämpfen zunächst grundlegend von dem Phänomen des Spiels. Die konstitutive Verbindung beider im Sinne des Wettkampfes und somit des Kampfspiels ist es, welche unter Vorbehalt gesellschaftlich vereinbarter Regeln die auf Eskalation gerichtete strukturelle Tendenz des Kampfes eindämmt und somit das Kämpfen für die Pädagogik attraktiv macht. Die hierin wohnende Chance, Sieg und Niederlage für SchülerInnen ohne weitreichende Folgen erfahrbar zu machen, ist aus pädagogischer Sicht essentiell (Binhack, 1998).
„Das Urbedürfnis des Menschen nach Berührung ist genetisch veranlagt“ (Beudels & Anders, 2001, S. 12). Das sich messen mit dem Gegenüber, den eigenen Körper kennenlernen, Kräfte mobilisieren ist somit naturgegeben. In der körperlichen Aus- einandersetzung mit dem Partner kommt es dabei zum Ausleben natürlichster Be- wegungslust (Beudel & Anders, 2001). Als psycho-physisches Regulativ halten or- ganisierte Zweikämpfe für SchülerInnen hiermit Möglichkeiten bereit, Dränge und Bedürfnisse eben nicht an ungeeigneten Orten oder zu ungünstigen Anlässen aus- zuleben, wodurch letztlich individuelle und soziale Ressourcen gefordert und geför- dert werden (Beudels & Anders, 2001).
2.2 Das Besondere am Zweikämpfen (Benjamin Amthor)
„Wrestling for fun and fundamentals for all kids“ (Werbeslogan in den USA der 1980er Jahre, in Gerr, 1982, S. 7), also Ringen für alle Kinder, weil es Spaß macht und die Bewegungsgrundlagen fördert. Auf diese Art und Weise deklariert man in den Vereinigten Staaten von Amerika den Bildungsgehalt von Zweikampfsportarten wie dem Ringen für die SchülerInnen und stellt somit gleichzeitig derartige Erfahrungen als essentiell heraus.
Parallel zu der mehrfach in der Literatur vertretenen Meinung, Zweikampfsport, ins- besondere Ringen, besäße einen pädagogischen Mehrwert (vgl. Beudels & Anders, 2001; Busch, 2002; Ruch, 2012; Wolters, 2008), existieren gegenteilige Meinungen und Vorurteile wie die hohe Verletzungsgefahr und die ihm innewohnende Verro- hungstendenz (Gerr, 1982). Dass derartige Leichtgläubigkeiten aus einer fragwür- digen Unwissenheit darüber entstehen, was das Wesen von Zweikämpfen bedingt, ist zu unterstreichen (u. a. Gerr, 1982). Gleichwohl steckt es jedoch den Rahmen dieser Projektarbeit ab, infolge derer die Einstellung von Sportlehrkräften beispiel- haft dargelegt werden soll. Es ist zu konstatieren, dass Rohheiten im Griffrepertoire durch ein strenges Reglement der Zweikampfsportarten verhindert werden. Um die heilpädagogische und sozialisationsimmanente Wirkkraft des Zweikampfes zu mo- dulieren (Beudels & Anders, 2001; Wolters, 2008), werden desweiteren die folgen- den Annahmen gemacht. Den Einwänden, Zweikämpfen fördere die Aggression, mindere durch Niederlagen das bereits gering ausgebildete Selbstwertgefühl der SchülerInnen und besäße eine signifikant höhere Verletzungsgefahr gegenüber anderen Sportarten, ist dabei primär durch ein pädagogisches Geschick der Lehr- kraft entgegenzutreten (Gerr, 1982). Demnach werden frühzeitig Regeln des ge- meinsamen Umgangs erarbeitet, wie auch absolute Niederlagen verhindert. Das schrittweise Heranführen an die Thematik beugt aufgrund der Sensibilisierung im Umgang mit dem Gegenüber ernsthaften Blessuren vor. Jene Schwerpunkte wur- den im Praxisteil dieser Projektarbeit berücksichtigt.6 Auch wenn im schulischen Umfeld in den Sportartengruppen ausschließlich ein Einstieg und weiterführend ei- ne Festigung grundlegender Bewegungsmuster gelingen mag, das Hauptaugen- merk aber keinesfalls auf die perfekte Beherrschung von Bewegungsabläufen liegt, so soll dennoch erwähnt werden, dass im Zweikampfsport „ […] die Anforderungen an die technische Vielfalt […] mit den Bewegungsanforderungen anderer Sportar- ten nicht vergleichbar (sind, d. Autor) “ (Ruch, 2012, S. 20). Es wird sichtbar, dass, neben der offensichtlich konditionellen Ausbildung der SchülerInnen im Kampf- sport, im Umgang mit mindestens einen Partner durch das Zweikämpfen hohe koordinative Ansprüche gestellt werden können und gleichzeitig eine adäquaten Schulung derer möglich ist, auch ohne zu tief in die Materie vorzudringen (Ruch, 2012). Somit werden vielerlei Zielsetzungen verknüpfend erreicht. Wolters spricht in diesem Zusammenhang von einer konfrontativen Sozialpädagogik, wobei „ […]
partnerschaftliches Verhalten, Fairness, Rücksichtnahme (usw.)“ (Wolters, 2008, S. 22) entwickelt werden. Beudels und Anders sprechen in Bezug auf das Zweikämp- fen von einem zentralen Erlebnis für alle Altersstufen. Sie zitieren in ihrem Buch eine Studie von Flosdorf und Rieder aus den 1970er-Jahren, wenn Sie folglich hiervon sprechen: „Die Werte des Ringens sind neben einer jungenhaften Leben- digkeit in der Verbesserung der allgemeinen Kraft, der Beweglichkeit und der Geis- tesgegenwart zu sehen, die gerade gehemmte und retardierte Kinder so notwendig brauchen“ (ebd., 1977, S. 52, in Beudels & Anders, 2001, S. 26). In Anlehnung an Gerr 1982 halten Sie zu dem fest, dass im Besonderen dem Ringen mehrere psychomotorische Wechselbezüge anhaften. Wie Abbildung 2.1 verdeutlicht, wer- den unter Organisation des Lernumfeldes durch die Lehrperson im Vollzug motori- scher Handlungsstränge verschiedenste Erfahrungen gemacht, welche psychisch verarbeitet werden und demnach als besonders wichtig für die Bildung und Erziehung junger Menschen zu erachten sind.
Abb.2.1: Psychomotorik im Raufen und Ringen (Gerr, 1982, S.19, in Beudels & Anders, 2001, S. 27)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.
Unter Rückbezug auf Busch 2002 soll nochmals anhand von sechs pädagogischen Perspektiven der allgemeine Stellwert des Zweikämpfens für den Schulsport her- ausgestellt werden, um in Anschluss dies weiter zu spezifizieren.7
1. Verbessern der Wahrnehmungsfähigkeit, erweitern der Bewegungserfahrun- gen:
Die ungewohnten Handlungszusammenhänge sprechen verstärkt die kinästhetische, vestibuläre und taktile Wahrnehmung an und wirken zudem persönlichkeitsbildend.
2. Körperlich ausdrücken, Bewegungen gestalten: Sich dem Körper bewusst werden, hierdurch mitunter erstmalig ein Körperkonzept entwickeln können.
3. Etwas wagen und verantworten:
Unter Ausblendung des Sieges durchaus Wagnisse eingehen können.
4. Leisten erfahren, verstehen und einschätzen:
Gestalten angemessener Herausforderungen: der individuelle Leistungsfortschritt zählt mehr als ein Sieg.
5. Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen:
Entwicklung einer angemessenen Einstellung gegenüber dem Partner.
6. Gesundheit fördern und Gesundheitsbewusstsein entwickeln:
Körperliche, physisch-psychische Fortschritte festhalten, sowie Gewalt und Verletzungen thematisieren (ebd.).
2.2.1 Kampfsport - gewaltfördernd oder gewaltpräventiv? Das Prosoziale am Kämpfen
An dieser Stelle wurde unlängst versucht, etwaige Vorurteile gegenüber dem Kämpfen im Schulsport zu entkräften. Demnach soll es im Folgenden darum gehen, in Verbindung zum Kampfsport die beiden gegensätzlichen Pole der Gewalt und des sozialen Lernens weitgehender zu beleuchten.
[...]
1 Binhack (2010) bemerkt, dass sich Gewalt nicht nur in der körperlichen Auseinandersetzung, sondern auch verbal oder indirekt äußern kann. Kämpfen endet jedoch nicht zwangsläufig in Gewalt, sondern stellt eine „Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln“ dar.
2 Die Kommission „Sport“ wurde auf Beschluss der 170. Plenarsitzung der KMK am 17./18. April 1975 ein- gesetzt. Sie befasst sich mit länderübergreifenden Koordinierungsfragen und Regelungen des Sports im Bildungswesen, insbesondere des Sportunterrichts, des außerunterrichtlichen Schulsports, des Hochschul- sports und des Sports im Rahmen der Erwachsenenbildung (vgl. http://www.kmk.org/bildung- schule/sport/kommission-sport.html).
3 Vgl. http://www.karate.de/sites/default/files/schulsport_6_0.pdf.
4 Die angeführte Behauptung beruht auf den persönlichen Annahmen und Erfahrungen der Autoren, fernab empirisch-wissenschaftlich bestätigter Untersuchungen, weil diese, wie oben aufgeführt, nicht vorliegen.
5 Thomas Leffler, Universität Würzburg, Gründungsmitglied der dvs-Kommission "Kampfkunst und Kampfsport (i. G.)", interviewte 2012 zwölf GrundschülerInnen mit dem Hintergrund, Kämpfen im Sportunterricht aus der Schülerperspektive zu erörtern. Hierbei zeichnete sich ein zufriedenstellender Grundtenor seitens der SchülerInnen der Thematik gegenüber ab.
6 Siehe Punkt 3: Untersuchungsmethodik, wobei die Praxiseinheit chronologisch vorgestellt wird.
7 Die Untergliederung erfolgt hierbei in die Rubriken Sinnhaftigkeit, soziales Lernen, Gewalt, Sicherheit und Gesundheit und folgt an dieser Stelle dem Konstrukt des Fragebogens (siehe Punkt 3, Untersuchungsme- thodik).