Hölderlin, Selbstverständnis und Positionierung im Hinblick auf die Figur Napoleons zwischen 1796-1800 anhand zweier Zeitgedichte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

17 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklung/ Bezug zur französischen Revolution…
2.1 Historischer Hintergrund
2.2 Intentionsansätze/ realgeschichtliche Verarbeitungsbezüge

3. Textbezogene Überlegungen
3.1 Buonaparte
3.2 Dem Allbekannten

4. Fazit/ Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Blickt man, ausgehend vom 21. Jahrhundert zurück in die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Werke Friedrich Hölderlins, so scheint den interessierten Leser die ungeheuere Vielfalt an Texten, an Auslegungen und Interpretationen zu erschlagen. War man im 19. Jahrhundert noch damit beschäftigt, die ungeheure Fülle literarischen Materials zu ordnen und zu chronologisieren, setzte erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Faszination und Begeisterung für seine Werke, aber auch vor allem für Hölderlin selbst als dichterische Existenz ein. Das Exklusiv-Schwierige, die Dunkelheit in vielen Gedichten, ausgelöst durch sich verstärkende Schübe der Geisteskrankheit spiegeln sich in mannigfaltigen Chiffren und Netzwerken wieder. Die Folge war die Nutzung seiner Schriften in unterschiedlichsten ideologischen Zusammenhängen. Jochen Faust beschreibt diese Entfremdung, bzw. stark reduzierende, einseitige Perspektive farblich sehr treffend mit dem „idealischen Licht des Georgekreises über Heideggers Erdbraun, die schwärzliche Restaurationsgestalt der 50er Jahre, bis zum roten Knalleffekt von 1968“[1]. Selbst die Farbe Grün ist durch Hölderlins gezeigte, intensive Naturreligion, sowie Zivilisationskritik vertreten. Noch 1979 schreibt Manfred Ott, dass von einem rationalen Neuanfang in der germanistischen Forschungsarbeit nach 1945 nicht die Rede sein kann (vgl. Ott 1979). Erst in den letzten Jahrzehnten fanden umfassendere Versuche statt das Werk Hölderlins weitgehend ideologiefrei zu erforschen, wobei der Schwerpunkt in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Philosophie seiner Zeit lag.

In der folgenden Ausarbeitung soll nun, der Problematik der Hölderlin-Forschung bewusst versucht werden das Selbstverständnis Hölderlins als Dichter in einem engen Zeitausschnitt anhand zweier Gedichte zu untersuchen. Zugrunde gelegt wird eine Hermeneutik im Sinne eines dreidimensionalen Ansatzes (vgl. Beyer/ Brauer 2000), die das Leben (Realgeschichte), Dichten (visionäre Wahrnehmung und Darstellung) und Denken (Reflektion) des Dichters in einer zusammenfassenden Analyse untersuchen soll. Entscheidend wird es um die Fragen gehen, welche Rolle Napoleon für Hölderlin spielte und welche Position er seiner eigenen Person im geschichtlichen Rahmen dabei einräumte. Hierbei soll auch das zunehmende Spannungsfeld zwischen den eigenen Idealen und der tatsächlich erlebten Wirklichkeit in Deutschland Gegenstand der Betrachtung sein. Die ausgewählten Gedichte bieten sich durch ihre besondere Eigenreflexion hierfür besonders an. Die französische Revolution (1789) als zentrales und prägendes Ereignis des 18. Jahrhunderts mit Einflüssen im gesamten europäischen Raum steht im Blickfeld der Realgeschichte (Leben) Hölderlins und soll im Folgenden kurz skizziert werden. Die verwendeten Gedichte stammen bevorzugt aus der Frankfurter Hölderlin Ausgabe und werden im Folgenden, außer abweichend, nicht extra gelistet.

2. Entwicklung/ Bezug zur französischen Revolution

2.1 Historischer Hintergrund

Die Situation in Deutschland zum Ende des 18. Jahrhunderts war geprägt durch eine fast ausschließliche Agrarwirtschaft mit einem starken Land (80%) Stadt Gefälle in der die feudale Abhängigkeit der Bauern der Regelfall war. Aus politischer Perspektive stellte sich das Deutsche Reich als vielfach zersplittertes, in 314 souveräne Zwergstaaten unterteiltes Konglomerat dar, das den Sprung (vgl. England/ Frankreich) zu einer einheitlichen Nation verpasst hatte und indem der Kaiser faktisch keinen Einfluss auf die politischen Entscheidungen der einzelnen Regionen mehr nehmen konnte. Das Bürgertum, in Frankreich maßgeblich an politischen Entscheidungen beteiligt, führte im „feudal-agrarisch-ständisch-geprägten“ Deutschland eine untergeordnete Rolle. Von daher konnte sich eine kleine Revolution zunächst nur auf theoretischer Ebene in einer spezifisch kleinbürgerlichen, deutschen Ideologie entwickeln. Hier wurden begeistert die zahlreichen, revolutionären französischen Impulse aufgenommen und insbesondere im Bereich der deutschen Intelligenz fanden sich politische Debattiergruppen und Clubs nach französischem Vorbild zusammen. Erfolge und reale Veränderungen konnten sich aufgrund uneinheitlicher Bestrebungen zunächst erst ab dem Kriegseintritt ab 1792 entwickeln. Die Stimmung in der Bevölkerung lässt sich gut an der Weigerung zum Militärdienst ablesen, deren grundlegende Motivbildung sich in der Stimmung, „Nichts gegen die Franzosen!“ (vgl. Ott S. 39) widerspiegelte. In den Jahren der Koalitionskriege von 1792 bis 1805 wurden sämtliche politische Veränderungen durch außenpolitische Einflüsse geprägt, die allerdings in den Jahren 1796 und 1799 durch eine konträre, französische Außenpolitik zu einem quasi Verrat an der deutschen Revolutions- und Demokratiebewegung führten (vgl. Ott. S.65ff.). Im Juni 1796 überquerten französische Heere bei Kehl den Rhein. Erzherzog Karl, der Oberbefehlshaber auf deutscher Seite musste sich zurückziehen und gab Schwaben so den französischen Heeren preis. Entgegen den Erwartungen präsentierten sich die Franzosen jedoch nicht als Retter, sondern es kommt zu Plünderungen und weiteren Ausschreitungen, die sich während des gesamten Krieges fortsetzen. Mit Recht sagte man nun über die Franzosen: „Was nun die politischen und militärischen Grundsätze der Franken betrifft, so hört man die Worte: Menschenrecht, Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft, Nation, Republik und ähnliche selten oder gar nicht.“[2]

Napoleon, in Europa bekannt seit der Niederschlagung des Royalistenaufstandes 1795, sowie dem äußerst erfolgreichen italienischen Feldzug von 1796, in dem er Österreich vernichtend schlägt, verzichtet in seiner Stellung als erster Konsul der französischen Republik ab 1799 ebenfalls auf eine Unterstützung der revolutionären Kräfte im Deutschen Reich und verhilft stattdessen Friedrich dem II. zur Installation eines absolutistischen Regimes in Württemberg (ab 1805).

Inwiefern Hölderlin von diesen Ereignissen Anteilnahme nimmt und diese literarisch verarbeitet (Dichten und Denken) soll im folgenden Kapitel erläutert werden

2.2 Intentionsansätze/ realgeschichtliche Verarbeitungsbezüge Hölderlins

Sucht man nach brieflichen Zeugnissen Hölderlins, die seine Aussagen und Einschätzungen der französischen Revolution widerspiegeln könnten, so wird man bis zum Jahr 1792 enttäuscht. Grund ist vermutlich vor allem die mangelnde Erhaltung von Diskussionspapieren in der Jugend- und Lehrzeit Hölderlins im Tübinger Stift (bis 1793) (vgl. Beyer 2000,S.20). Die Darstellung seiner dichterischen Ideale, die sich in der Kritik der bestehenden politisch-gesellschaftlichen Ordnung äußern, spiegeln sich schon 1788 in den Gedichten „Die Ehrsucht“[3] oder auch in „Die Demuth“[4] wider. Die weite Begeisterung für die Ideale der Revolution in Frankreich, verbunden mit der unbefriedigenden politische Situation in Deutschland zieht schon fast zwangsläufig auch Hölderlin in ihren Bann, der allerdings in verschiedenen Briefen deutliche Hinweise auf eine bewusste, distanzierte Grenze zwischen seinem Verständnis als Künstler und dem des politischen Aktivisten gibt (vgl. hierzu Beyer 2000, S.21ff./ auch Prignitz S.11ff.). In seinen Tübinger Hymnen (1788-1793) greift Hölderlin, ganz im Kontext anderer Künstler (Schiller, Jacobi, Herder) auf die ästhetischen und geschichtsphilosophischen Ideale der Antike zurück die er in direkten Gegenwartsbezügen auf seine Vorstellungen und Ideale der französischen Revolution adaptiert. Bei der hymnischen Verarbeitung der realgeschichtlichen Bezüge nach 1789 konnte Prignitz zwei Tendenzen feststellen, die sich mit der Kausalität der Geschichtsentwicklung beschäftigen.[5] In der Anfangsphase der Revolution scheint Hölderlin Träger einer zutiefst optimistischen Geschichtsauffassung zu sein, die auf einer konstitutiv enthaltenen Harmoniekomponente basiert (vgl. „Hymne an die Göttin der Harmonie"[6], „Hymne an die Freiheit"[7] ) (antikes Idealbild Griechenland). Hölderlins Interpretation des Revolutionsgedankens im Sinne einer harmonisch-evolutionären und gewaltfreien, also sanften Veränderung konnte mit den realpolitischen Veränderungen ab 1791 (vgl. Ott 1979 S.65ff.), die einen hohen Komplexitätsgrad aufwiesen und die vor allem zunehmend den eigenen Idealen widersprachen nicht mehr Schritt halten. Die wichtigste gedankliche Veränderung scheint hier die Einbeziehung von Chaos, im eigentlichen sogar die Legitimation von Gewalt, bzw. deren Akzeptanz zu sein, die Hölderlin nunmehr als sinnstiftende, ja als reinigende Vorbedingung für die sich um ihn verändernde Realgeschichte begreift. Hölderlin wendet sich in der Folge mehr dem strebenden, kämpfenden Menschen zu und subsumiert das Prinzip der Unruhe/ Zerstörung mit dem Prinzip der Ruhe/ Harmonie als Teil eines Größeren, Sinnhaften. Der gedankliche Wandel und die zunehmende kritische Reflektion seines früheren Schaffens zeigt sich ebenfalls in Briefen an Neuffer (April 1794), „Übrigens komm' ich jezt so ziemlich von der Region des Abstracten zurük, in die ich mich mit meinem ganzen Wesen verloren hatte.“, sowie an Hegel (1795).[8]

[...]


[1] Schmidt, Jochen 1995, S. 114

[2] Prignitz 1976, S.67

[3] StA Bd. 1,1, S. 38

[4] StA Bd. 1,1, S. 40ff.

[5] Prignitz 1990, S 11ff.

[6] StA Bd. 1,1, S. 130-134; die Hymne wurde spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1791 abgeschlossen.

[7] StA Bd. 1,1, S. 139-142; die Hymne entstand Ende 1790/ Anfang 1791.

[8] vgl. Prignitz 1990, S.17

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Hölderlin, Selbstverständnis und Positionierung im Hinblick auf die Figur Napoleons zwischen 1796-1800 anhand zweier Zeitgedichte
Hochschule
Universität Konstanz  (Fachgruppe Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Kampagnen in Frankreich
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V29690
ISBN (eBook)
9783638311434
Dateigröße
651 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hölderlin, Selbstverständnis, Positionierung, Hinblick, Figur, Napoleons, Zeitgedichte, Kampagnen, Frankreich
Arbeit zitieren
Philipp Schaubruch (Autor:in), 2004, Hölderlin, Selbstverständnis und Positionierung im Hinblick auf die Figur Napoleons zwischen 1796-1800 anhand zweier Zeitgedichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29690

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