Prekarisierung und Protest. Deutschland und Frankreich im Vergleich


Hausarbeit, 2015

12 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Prekarität
2.1 marginalisierte Prekarität
2.2 Der Übergang zur diskriminierenden Prekarität

3 Analyse Prekarität

4 Prekäres Leben

5 Folgen der Prekarisierung

6 Situation in den französischen Banlieues

7 Vergleich Deutschland / Frankreich

8 Fazit

9 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Brennende Autos, zerstörte Geschäfte, Straßenschlacht-ähnliche Szenen mit der Polizei. Das sind die Bilder die vor einiger Zeit durch die Nachrichten gingen. Szenen aus französischen Vororten, den „ Banlieues “. Ähnliche Szenen finden immer wieder in Großstädten Europas und USA statt. Die Menschen die dort auf die Straße gehen sind meist Jugendliche und Heranwachsende. Men- schen, die sich vom Wohlstand und der Sicherheit der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Ihnen fehlt die Perspektive auf eine reguläre und gesicherte Erwerbsarbeit und mit dieser auch auf soziale Absicherung. Diese Menschen leben in prekären Verhältnissen, sie sind sich ihrer Zukunft unsicher und damit verlieren sie auch die Angst vor dem Staat und der Staatsgewalt. Doch das Phänomen des prekären Lebens betrifft längst nicht mehr nur die Kinder aus ArbeiterInnenfamilien, auch die Kin- der aus wohlhabenden Familien mit akademischem Abschluss sind zunehmend von dieser Entwick- lung betroffen, wie man nicht zuletzt auch in Griechenland erkennen kann.

Doch wie, und vor allem warum, ist es zu dieser Entwicklung gekommen, wo die Erlangung der sozialen Sicherheit, wie z.B. die Renten- und Krankenversicherung, historisch gesehen noch gar nicht so alt ist? Sind ähnlich gewaltsame Proteste wie die in Frankreich und Griechenland auch in anderen westlichen Ländern, insbesondere Deutschland möglich, und warum stehen hauptsächlich Jugendliche und Heranwachsende im Mittelpunkt solcher Proteste?

2 Prekarität

Das Wort prekär lässt sich grob mit den Worten „widerruflich“ „unsicher“ oder „heikel“ übersetzen. In der aktuellen Debatte beschreibt das Wort die „Ausbreitung unsicherer Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse in den westlichen Gesellschaften“ (Dörre 2010, S. 41).

2.1 marginalisierte Prekarität

Die Entwicklung der Prekarität hat eine lange historische Entwicklung hinter sich, welche bereits im 19. Jahrhundert beginnt. Das damalige Proletariat (nach Karl Marx) war auf strukturell unsichere Lohnarbeit angewiesen. Die ArbeiterInnen hatten dadurch keinen Zugriff auf gesellschaftliche Sicherungssysteme. Nach 1945 änderte sich dies. Sowohl in den westlichen kapitalistischen Län- dern als auch in den sozialistischen Nachbarländern kam eine sozialpolitische Lösung für das Pro- blem auf: Erwerbsarbeit wurde mit Schutzmechanismen wie arbeitsrechtliche Bestimmungen, Unfall-, Kranken-, und Rentenversicherung verknüpft. Das Proletariat konnte sich mit Hilfe der „Ansprüche auf soziales Eigentum, einem Eigentum zur Existenzsicherung“ zu einem sozialen Bürgertum entwickeln. (vgl. Dörre 2010, S. 41 f)

Trotz der sozialen Sicherungssysteme konnte Armut und Prekarität nicht endgültig ausgeschlossen, jedoch marginalisiert werden. Klaus Dörre beschreibt diese Entwicklung als „marginalisierte Preka- rität (Dörre 2010, S. 46). Während ein Großteil der Bevölkerung in gesetzlich und tariflich geregel- ter Lohnarbeit beschäftigt war, entwickelte sich die Prekarität außerhalb dieser Lohnarbeit.

In den letzten Jahrzehnten stieß diese Entwicklung zunehmend auf ihre Grenzen. Die Wachstumsfähigkeit des „sozialen Kapitalismus“ (Sennett 2007, S. 27) war erschöpft und der sozialistische Nachbar, der in den westlichen kapitalistischen Zentren hohe Sozialausgaben zu rechtfertigen schien, fiel weg. Wirtschaft wurde internationalisiert und das Arbeitsmanagement wurde zunehmend flexibler gestaltet. Dadurch wurden die Vorraussetzungen für stabile Beschäftigung immer weiter abgeschafft und in der Gegenwart werden flexible Beschäftigungsverhältnisse immer weniger durch sozialstaatliche Regulierung aufgefangen. Die Unsicherheit in Unternehmen und Gesellschaft nimmt dadurch stetig zu. (vgl. Dörre 2010, S. 42 f)

2.2 Der Ü bergang zur diskriminierenden Prekarität

In den 1970er Jahren vollzog sich der Wandel zu einer neuen Form von Prekarisierung durch die kapitalistische Weiterentwicklung des Finanzmarktes. Während Dörre zuvor von einer marginali- sierten Prekarität ausgeht, entwickelt sich nun die „diskriminierende Prekarität“ (Dörre 2010, S. 46). Dabei muss jedoch hinzugefügt werden, „dass Prekarität immer und in allen gesellschaftlichen Kontexten diskriminiert“ (Dörre 2010, S. 52). Der Begriff soll jedoch eine Entwicklung beschrei- ben, die zunehmend auch soziale Gruppen einschliesst, die zuvor als gesichert galten. Um Kapital weiter akkumulieren zu können, werden marktbegrenzende Institutionen geschwächt. Das Solidar- prinzip der Beschäftigung wird ersetzt durch Wettbewerbsfähigkeit und Marktförmigkeit. Die Beschäftigten müssen sich dem Markt anpassen, nicht umgekehrt. Dadurch wirkt der Kapitalismus nicht mehr nur auf die Wirtschaft, er greift auch bis in die Gesellschaft hinein.

Die Entscheidungen des Managements orientieren sich, getrieben von Profiten, an Aktienkursen und Gewinnbeteiligungen. „Auf diese Weise ist ein Regime der kurzfristigen Zeit entstanden“ (Dörre 2010, S. 47). Die Konkurrenz zwischen den Betrieben und den Beschäftigten nimmt zu, eine wesentliche Ursache der neuen Prekarisierung (vgl. Dörre 2010, S. 46 f).

Um sich auf schwankende Märkte einstellen zu können, müssen sich Arbeitszeiten und Löhne an den Markt anpassen und flexibel gestaltet werden. Auch Zulieferungsfirmen sind von dem Profit- druck betroffen, weshalb auch kleinere Betriebe und Marktsegmente davon betroffen sind. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, „gewinnen flexible Beschäftigungsformen und vor allem externe Fle- xiblisierungsinstrumente wie Befristungen, Werkverträge und Leiharbeit (…) an Bedeutung“ (Dörre 2010, S. 47). Um den „Motor“ (Dörre 2010, S. 48) des Finanzmarktes am Laufen zu halten, müssen ständig neue Formen von Unterbietungskonkurrenzen und Auslagerungen her. Stabilität von Aktio- närseinkommen zieht eine wachsende Unsicherheit von Arbeits- und Lebensverhältnissen mit sich. „Finanzmarkt-Kapitalismus und Prekarisierung sind daher letztendlich zwei Seiten einer Medaille“ (Dörre 2010, S. 48).

3 Analyse Prekarität

Robert Castel versuchte 2000 die sozialen Wirkungen von Prekarisierungsprozessen zu analysieren. Um dies zu erreichen versucht er Prekarisierung nicht nur aus dem Blickwinkel der Armen und Arbeitslosen zu betrachten, sondern auch aus dem Blickwinkel der bisher noch als gesichert geltenden (vgl. Dörre 2010, S. 41), denn wie ich im vorherigen Kapitel bereits erörtert habe, ist Prekarität einem Wandel unterlegen.

Castel betrachtet staatlich regulierte Lohnarbeit und die damit verbundenen Sicherungssysteme als Integrationsmedium in die Gesellschaft. Historisch gesehen, entwickelte sich die Lohnarbeit von einer unsicheren Arbeit hin zu einer geregelten und gesicherten. Dadurch konnte Prekarität margi- nalisiert werden. Wie diese Integration nun im 21. Jahrhundert funktioniert, ist eine offene Frage.

Um das Wirken von Prekarität heute analysieren zu können, muss das Analysekonzept von Robert Castel jedoch noch erweitert werden. Serge Paugam kritisiert an dem Konzept, dass Castel lediglich auf die Stabilität des Beschäftigungsverhältnisses eingeht und dabei „die qualitative Dimension, das Problem der inhaltlichen Zufriedenheit und Identifikation mit der Arbeitstätigkeit“ (Dörre 2010, S. 43) außen vor lässt. Auch die Lohnhöhe kann ein Prekarisierungsrisiko beinhalten. Ein unbefristetes und tariflich geschütztes Arbeitsverhältnis kann als prekär gelten, wenn es im Niedriglohnsektor angesiedelt ist und „unterhalb des in der Gesellschaft definierten kulturellen Minimums“ (Dörre 2010, S. 42) liegt.

Castel vernachlässigt ebenfalls die Integrationsfähigkeit von Bürgerrechten und politischer Partizi- pation. „Demokratisch ausgetragene Konflikte können integrativ wirken“ (Dörre 2010, S. 44). Demnach ist eine Beschäftigung prekär, wenn sie die Beschäftigten „vom vollen Genuss institutio- nell verankerter sozialer Rechte und Partizipationschancen ausschließt“ (Dörre 2010, S. 44).

Prekarisierung ist demnach abhängig von der Entwicklung der Erwerbsarbeit. Um dieser Entwick- lung gerecht zu werden, müssen bei der Analyse von Prekarität neben den strukturellen Bedingun- gen auch die subjektiven Kriterien betrachtet werden. Eine nach strukturellen Maßstäben als prekär geltende Beschäftigung, muss von den Beschäftigten nicht zwangsläufig auch als prekär wahrge- nommen werden, anders herum kann ein gewünschten Beschäftigungsverhältnis auch strukturell prekäre Kriterien aufweisen. Ein prekäres Beschäftigungsverhältnis steht immer in Verbindung mit der individuellen Berufsbiografie der Beschäftigten. Die Neigungswinkel der Erwerbsbiografie, individuelle Qualifikationen, Konstruktionen von Geschlecht , Nationalität und das Lebensalter beeinflussen die Auseinandersetzung und die Bewertung von Prekarität (vgl. Dörre 2010, S. 44 f).

4 Prekäres Leben

Nach den bislang behandelten Prekarisierungsrisiken kommt Klaus Dörre zu folgender Definition von Prekarität: „Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis immer dann bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Inte- grationsniveau sinken, welches in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheit- lich anerkannt wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnesverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaft- liche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert.“ (Dörre 2010, S. 45)

Jugendliche und Heranwachsende sind hierbei allerdings in einer besonderen Situation. Kennzeich- nend für diese Phase ist eine relativ große Unerfahrenheit betreffend Beschäftigung und betriebli- chen Strukturen. Durch prekäre Beschäftigung wird diese Phase gezwungenermaßen verlängert. „Prekarität meint hier vor allem den Ausschluss von Bildungs- und Erwerbschancen sowie die man- gelnde Integration in soziale Netze, die entsprechende Chancen eröffnen könnten“ (Dörre 2010, S. 46). Was Jugendliche und Heranwachsende betrifft, handelt es sich bei prekärer Arbeit somit eher um ein prekäres Leben. Denn trotz teilweise guter formaler Bildung, haben es Jugendliche und Her- anwachsende zunehmend schwerer in eine sichere und einigermaßen gut bezahlte Beschäftigung zu kommen. Die Entwicklung der letzten Jahre spricht für sich: 1991 hatten 21% der Beschäftigten unter 20 Jahre eine befristete Stelle, 2003 waren es bereits 35%. Die darauffolgenden Altersgruppen der 20 - 24 jährigen und der 25 - 29 jährigen wiesen 2003 Befristungsquoten von 24% bzw. 15% auf (vgl. Statistisches Bundesamt 2004).

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Prekarisierung und Protest. Deutschland und Frankreich im Vergleich
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Note
1.3
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V298511
ISBN (eBook)
9783656947394
ISBN (Buch)
9783656947400
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prekarisierung, protest, deutschland, frankreich, vergleich
Arbeit zitieren
Hendrik Lang (Autor:in), 2015, Prekarisierung und Protest. Deutschland und Frankreich im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298511

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