Funktion des Theaters am Beispiel des Regisseurs René Pollesch

Eine Aufführungsanalyse der Inszenierung "Mädchen in Uniform - Wege aus der Selbstverwirklichung"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

12 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 These

2 Inszenierungsanalyse
2.1 Mädchen in Uniform
2.2 Raum und Bühnenbild
2.3 Kostüme
2.4 Licht und Ton
2.5 Darsteller und Spielweise
2.6 Text
2.7 Inszenierung

3 Schlusswort

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Regisseur und Dramatiker René Pollesch gehört in Deutschland zu den erfolgreichsten Theaterautoren und erhält dafür dieses Jahr den Lasker-Schüler-Dramatikerpreis. Der 50-jährige Hesse studierte von 1983 bis 1989 in Gießen an der Justus-Liebig-Universität Angewandte Theaterwissenschaft bei Andrzej Wirth und Hans-Thies Lehmann. Ab 1998 führte er die ersten Stücke in eigener Regie auf wie zum Beispiel „Drei hysterische Frauen“ an der Berliner Volksbühne, „Heidi Hoh“ am Podewil in Berlin und „World Wide Web-Slums 1-10“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Im Jahre 2001 übernimmt er die künstlerische Leitung des Praters in Berlin und inszeniert weiterer Theaterwerke1. Seine Trilogie verschafft ihm die Einladung zum Theatertreffen 2002. Die Auftragsarbeiten bekannter Schauspielhäuser lassen ihn durch ganz Deutschland reisen und verschaffen ihm die Möglichkeit seine Ideen frei umzusetzen. Mehrmals wird Pollesch mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet (2001, 2005 und 2009) und mit lobender Kritik gefeiert.

Er ist bekannt für ein neues und komplexes Theater, das eine gewaltige Dynamik und eine enorme Wirkungsstärke aufweist. Die Inhalte seiner Stücke sprechen nicht nur das Publikum, sondern auch die Schauspieler an, da sie oft von politischen Themen, Diskursen aus der Gesellschaft oder Sozialwissenschaften handeln2. Diese besonderen Eigenheiten machen ihn zurzeit zu einem attraktiven Theaterautor, dem ich mit dieser wissenschaftlichen Arbeit meine Aufmerksamkeit widmen möchte.

1.1 These

Ich stelle die These auf, dass Pollesch ein gesellschaftskritisches Theater inszeniert, mit der Idee Problemen zu reflektieren um sich ihnen anzunehmen.

Meine Untersuchung stützt sich auf die Inszenierungsanalyse folgenden Bühnenstücks, das Pollesch für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg schrieb.

2 Inszenierungsanalyse

2.1 Mädchen in Uniform

Das Stück Mädchen in Uniform - Wege aus der Selbstverwirklichung schrieb Pollesch für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg und es beruht auf dem mehrmals verfilmten Roman von Christa Winsloe(1930)3.

Ein Mädcheninternat hat das Ziel adlige, junge Mädchen mit Strenge und Disziplin zu exaltierten Künsterlerinnen auszubilden. Manuela von Meinhardis, gespielt von Sophie Rois4, ist eine von ihnen, die aber durch ihre verzweifelte und aufgedrehte Art die Richtung verloren hat. Sie zeigt dem Publikum ihren Rücken und darf sich anschließend mit harter Kritik und dem Vorwurf der Orientierungslosigkeit auseinander setzen. Selbstzweifel und Widersprüche pulsieren in ihrem Kopf und werden mit enormer Geschwindigkeit laut diskutiert. Zudem kommt hinzu, dass sie sich in das Frauenbatallion aus zehn Mädchen verliebt hat und der Umgang mit diesem emotionalen und distanzierten Zustand sie nah an einen Nervenzusammenbruch bringt. Pollesch verschärft mit dieser Inszenierung den Blick auf die erlebte Wirklichkeit und der sicheren Orientierung, die einem die Gesellschaft vorlebt, jedoch bei dem Wunsch der Selbstverwirklichung im Wege steht. Zeitgleich wird auch das Publikum scharf angesprochen und durch seine verinnerlichte Disziplinierung angeklagt.

Ebenso lässt er den Begriff der Freiheit durch seine Figuren erörtern und weist auf seine Verwertbarkeit hin.

Die Vorstellung dauert eine Stunde und enthält keine Pause.

2.2 Raum und Bühnenbild

Die Inszenierung findet im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg statt. Es ist das größte deutsche Sprechtheater im neobarocken Stil und feierte seine erste Premiere im Jahre 19005. Hier befindet sich ein klassischer Theatersaal, der mit roten Samtstühlen und Samtvorhängen eine großartige Atmosphäre schafft und einen charmanten Theaterabend verspricht. Zentral liegt ein großer Innenraum, der mit kleinen Balkonen seitlich und zwei Rängen in der Mitte umschlossen wird. Ein Blick an die Decke des Saals gewährt einen wunderschönen Anblick der, mit antiken Verzierungen geschmückten Kuppe und einem beeindruckendem Kronleuchter. Der Zuschauerraum mit 1192 Plätzen wirkt groß im Vergleich zur Bühne.

Eine große mit Holz verarbeitete Bühnenkonstruktion steht auf der Bühne und stellt das Bühnenbild mit Hilfe eines blau weiß karierten Baumwollvorhangs dar. Das Bühnenbild ist etwas Besonderes, denn es zeigt den Bereich hinter der Bühne; das heißt „Backstage“. Links und rechts neben der gebauten Holzkonstruktion sieht man Kleiderspints, Stühle und andere Requisiten, die von dem Zuschauerraum in der Regel nicht einsehbar sind. Wird der Vorhang geöffnet, so spiegelt sich der Zuschauerraum durch eine große Spiegelwand. Das Licht im Saal bleibt während der gesamten Aufführung hell, das Theaterstück spielt an dieser Stelle auf der Bühne „Onstage“. Ist der Vorhang geschlossen, so zeigt die Szene den Bereich hinter der Bühne „Backstage“, wie z.B. die Szenen im Mädcheninternat. Auf der dargestellten Bühne wurden nur wenige Requisiten dezent eingesetzt z.B. eine Schlafdecke oder Holzgewehre für die Tänze des Frauenbatallion.

Für das Publikum ist dies ein tolles Ambiente, auch wenn Polleschs Arbeit sich nicht primär nach dem Publikum richtet. Er hat sich auch mit dem Theater ohne Publikum beschäftigt und erläutert diesen Begriff in einem Interview mit Harald Müller „Ich interpretiere «Theater ohne Publikum» aber so, dass die Arbeit der Leute im Theater nicht schnurstracks auf Kommunikation zielt, dass man sich nicht so zurichtet, damit die da unten alles verstehen“6.

2.3 Kostüme

Tabea Braun arbeitet mit passenden Kostümen aus den 30er Jahren, die an die Zeit der Erzählung erinnern und auch die Schauspielweise der Figuren unterstützt.

Die Hauptfigur Manuela von Meinhardis trägt zu Beginn der Vorstellung ein schwarz, cremefarbenes, mittelaltertümliches Pagenkostümmit einem sehr hohem Kragen und dazu eine schwarze, blickdichte Strumpfhose. Die Haare trägt sie offen und ist nur dezent geschminkt. Dieses Pagenkostüm sieht etwas unangenehm zu tragen aus, passt aber zu Polleschs Haltung, da Manuela sich ja mit diesem Gewand und einer aufrechten Haltung der Gesellschaft präsentiert. Nach dem Auftritt Onstage, zieht sie sich Backstage eine beige Bluse mit einem Punktmuster und viel Spitze an. Dazu einen passenden schwarzen engen Rock, der das Knie bedeckt. Das Kostüm macht einen altmodischen aber eleganten Eindruck. Manuela passt sich mit dem Kleidungsstil den Erwartungen ihrer Umgebung an, ich nehme an, dass wenn sie könnte, würde sie sich etwas Einfacheres anziehen.

Das Frauenbatallion besteht aus zehn jungen Mädchen, die sich aufgrund ihrer gleichen Kostüme sehr ähnlich sehen. Ihr Kostüm ist sehr mädchenhaft. Sie tragen ein rosa-weiß gestreiftes Kleid, das mit einer Schleife auf dem Rücken verziert ist. Im Haar tragen die ebenfalls eine Schleife, die den Pony aus dem Gesicht hält. Ihre Haare tragen sie ebenfalls offen und ihre Gesichter machen einen sehr jugendfrischen Eindruck. Auch dieses typische Erscheinungsbild der Internatsmädchen hat für mich eine gesellschaftskritische Funktion, da die Kleidung genau dem entspricht, was erwartet wird.

Im Anhang befinden sich als Ergänzung Abbildung 1 und Abbildung 2 aus dem Theaterstück, auf denen die Kostüme sehr gut zu erkennen sind.

2.4 Licht und Ton

Während der Inszenierung werden wenige Licht-Effekte verwendet. Die Bühne ist gleichmäßig mit farblosem Licht beleuchtet, sodass einzelne Figuren zu keiner Zeit mit Lichtkegeln hervor gehoben werden. Dies ergibt ein sehr einheitliches Bühnenbild. Es gibt lediglich eine Fußleiste mit roten, blauen und grünen Scheinwerfern unter der großen Spiegelwand, die die Scheinwerferlichter aus dem Zuschauerraum darstellen.

Zu den Tänzen des Frauenbatallion wird mit rhythmisch, eingespielter Musik gearbeitet. In einer Szene sind es klassische Melodien, die ihre balletartigen Bewegungen unterstreichen, in einer Anderen sind es harte, laute Orchestertöne von einzelnen Blasinstrumenten, die an eine Schlacht oder eine Jagd erinnern. Die Musik ist sehr laut und löst die schnelle, laute und spitzgesprochene Sprache des Chores an dieser Stelle ab.

Um den Ton im weitesten Sinne zu beschreiben, möchte ich ergänzen, dass die Sprache der Figuren sehr klar und stark ist und dem Zuschauer das Zuhören erleichtert.

2.5 Darsteller und Spielweise

In diesem Stück wirken 13 ausdrucksstarke Schauspieler mit. Pollesch lässt seine Rollen nicht zufällig vergeben, er ist da ein Perfektionist und geht anders an die Sache heran „Ich muss immer vorherwissen, mit wem ich zusammenarbeiten kann, bevor ich das Stück schreibe“7. Als Hauptfigur steht Sophie Rois in der Rolle der Manuela von Meinhardis auf der Bühne. Manuela ist ein junges Mädchen, das sich in der Ausbildung zur exaltierten Künstlerin in einem strengen Mädcheninternat befindet. Doch die Vorwürfe ihrer Lehrerinnen, dass sie die Richtung verloren und mit dem Rücken zum Publikum gespielt habe, löst eine Lawine der Orientierungslosigkeit aus. Sie ist verzweifelt und wütend zugleich, dies zeigt sie mit ihrer lauten und rauen Stimme. Dazu läuft sie unkontrolliert hin und her und macht fuchtelnde Armbewegungen, die sie schimpfend auf ihre Umgebung richtet. Mehrere Gefühlsausbrüche lassen den Zuschauer einen Einblick in ihr Inneres gewähren. Neben ihr stehen zwei Lehrerinnen auf der Bühne. Mit Blick auf den Roman lässt sich vermuten, dass es sich bei einer von den Beiden um die junge Lehrerin Fräulein von Bernburg handeln müsse, für die Manuela Gefühle hat. Beide Lehrerinnen halten sich mit ihrer Gestik und Mimik zurück und pflegen eher den Gebrauch von klaren und angemessenen Worten im Vergleich zu Manuela. Sie kritisieren Manuelas Verhalten und weisen sie zurecht, jedoch hören sie ihr auch mit Geduld zu, wenn sie sich lautsprudelnd über nicht verstandene Zustände beklagt. Ihr dezentes Auftreten wirkt grazil und kontrolliert, das dem Klischee einer klassischen Lehrerin aus den 30er Jahren gerecht wird. Die zehn anderen Schauspielerinnen bilden das Frauenbatallion aus Klassenkameradinnen. Sie fungieren als ein Chor, der sich zusammen bewegt und synchron spricht. Ihr dominantes Auftreten wird gesänftigt durch ausdruckslose Gesichter. Ihre Anwesenheit wirkt nur zusammen als eine Einheit, alleine bewegen sich die Schauspielerinnen nicht. Zwischen den Szenen führen sie Tänze auf, deren Schwierigkeit nicht in der Choreographie von Brigitte Cuvelier liegt, sondern in der synchronen Ausführung. Als Zuschauer wird man verleitet einen Fehler in diesem perfekten Chor zu suchen, doch leider vergebens, denn er ist makellos. Der Chor und Manuela führen eine Beziehung, die jedoch von beiden Parteien unterschiedlich verstanden wird. Manuela spricht das Frauenbatallion liebevoll mit unterschiedlichen Namen wie Edelgard oder Frederike an, wird aber leider auf Distanz gehalten. Nur eine Szene zeigt ein leidenschaftliches Ringen zwischen ihnen.

[...]


1 Pollesch, René: Bibliografie. In Blievernicht, Lenore: Zeltsaga. René Polleschs Theater. Berlin: Synwohlt 2004, S. 192-194 (hier S. 193).

2 Dupuis, Isabelle: Das Theater von René Pollesch – Ein Erklärungsversuch. Der letzte Antikapitalist des Theaters, unter: http://hamburgischedramaturgie2punkt0.wordpress.com/2010/12/11/21-stuck-das-theater-von-rene-pollesch-%E2%80%93-ein-erklarungsversuch/ [gesehen: 20.04.2012].

3 Mädchen in Uniform – Wege aus der Selbstverwirklichung. unter: http://www.deutschestheater.de/spielplan/spielplan/maedchen_in_uniform/ [gesehen: 24.02.2012].

4 Mädchen in Uniform – Wege aus der Selbstverwirklichung. unter: http://www.schauspielhaus.de/de_DE/Repertoire_A-Z/Maedchen_in_Uniform_-_Wege_aus_der_Selbstverwirklichung.451116 [gesehen: 26.02.2012].

5 Geschichte des Deutschen Schauspielhauses - Kurzfassung. unter: http://www.schauspielhaus.de/de_DE/Geschichte/Geschichte_des_Deutschen_Schauspielhauses_-_Kurzfassung.160794 [gesehen: 12.03.2012].

6 Pollesch, René: Verfremdung und jetzt. In: Müller, Harald: Brecht Tage. Brecht Tage 2009. Berlin: Recherchen 75 2010, S.9-31 (hier S. 15).

7 Pollesch, René: Das Material fragt zurück. In: Masuch, Bettina: Wohnfront 2001 – 2002. Volksbühne im Prater. Berlin: Alexander 2002, S. 221- 236 (hier: S. 222).

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Funktion des Theaters am Beispiel des Regisseurs René Pollesch
Untertitel
Eine Aufführungsanalyse der Inszenierung "Mädchen in Uniform - Wege aus der Selbstverwirklichung"
Hochschule
Universität Hamburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
12
Katalognummer
V298575
ISBN (eBook)
9783656951735
ISBN (Buch)
9783656951742
Dateigröße
568 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
funktion, theaters, beispiel, regisseurs, rené, pollesch, eine, aufführungsanalyse, inszenierung, mädchen, uniform, wege, selbstverwirklichung
Arbeit zitieren
Mona Sommerfeldt (Autor:in), 2012, Funktion des Theaters am Beispiel des Regisseurs René Pollesch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298575

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