Gibt es so etwas wie eine typisch russische- Politikrationalität und wenn ja, wie ist dieses Verständnis von Politik mit dem östlichen Christentum verknüpft? Dieser Frage wird in dem vorliegenden Essay nachgegangen. Dabei wird in einem ersten Schritt nach den historischen Wurzeln dieses Politikverständnisses gefragt. Insbesondere in Platons sittlicher Ordnung und den im Neuplatonismus verhafteten Kirchenvätern der östlichen Theologie finden sich die ursprünglichen Kernelemente eines russischen Herrschaftsverständnisses. Dieses bestimmte nicht nur das Verhältnis von Staat und Kirche im Byzantinischen Reich, sondern nach dessen Untergang auch das des russischen Zarenreiches. Die konstitutiven Kernelemente einer orthodoxen Politikrationalität werden dann im Anschluss einer genaueren Betrachtung unterzogen. In dieser Hinsicht wird einerseits zwischen Ideen und Kernbegriffen, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im historischen Kontext bestimmten und solchen, die das Verhältnis zwischen Kirche und russischer Gesellschaft definierten, unterschieden. Im Mittelpunkt des ersten Verhältnisses stehen dabei die aus den neuplatonischen Ursprüngen und den Werken östlicher Kirchenväter hervorgegangen Ideen einer Theologie der Machttotalität und der Symphonie der Gewalten. Stellvertretend stehen diese Begriffe für das Verhältnis zwischen Zar und orthodoxer Kirche.
Der Begriff der Katholizität sowie das durch die Slawophilen Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Sobornost Konzept prägten wiederum das Verhältnis zwischen orthodoxer Kirche und russischer Gesellschaft. Die Idee einer ursprünglichen russischen Volksseele und Gesellschaft entstand dabei aber erst relativ spät und ist speziell dem Aufkommen einer eigenen russisch-orthodoxen Philosophie zu verdanken. Infolge des Wirkens dieser Philosophen kam es schließlich zu einer Neuinterpretation traditionellen orthodoxen Denkens, wobei sich auch erste Ansätze einer russischen Zivilgesellschaft herausbildeten.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Der Ursprung des politischen Denkens der Ostkirche
- 2.1. Historische Wurzeln in der heiligen Schrift
- 2.2. Platonismus, Neoplatonismus und Patristische Lehre
- 2.3. Exkurs Logos vs. Ratio
- 2.4. Byzantinische Kirchentradition
- 3. Kirche und Staat
- 3.1. Orthodoxe Theologie der Machttotalität
- 3.2. Rezeption und Relativierung der Machttotalität in Russland
- 3.3. Die Symphonielehre
- 3.4. Theokratische Revolution und Entwicklung der Symphonielehre
- 3.5. Symphonielehre in Byzanz
- 3.6. Symphonie der Gewalten in Russland
- 3.7. Russische Philosophie und Symphonielehre
- 4. Kirche und Gesellschaft
- 4.1. Katholizität, das Sobornost Konzept und die russische Philosophie
- 4.2. Die slavophile Strömung in Russland
- 4.3. Orthodoxie und Zivilgesellschaft in Russland
- 4.4. Die ROK und ihr Verhältnis zur heutigen russischen Gesellschaft
- 5. Ausklang
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit zielt auf eine umfassende Darstellung der Charakteristiken eines spezifisch russisch-orthodoxen Politikverständnisses ab. Die Arbeit untersucht die historische Entwicklung dieses Verständnisses, ausgehend von seinen Wurzeln in der Heiligen Schrift bis hin zur russischen Philosophie des 19. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf der Wechselwirkung zwischen orthodoxer Theologie und Politik im Laufe der Geschichte.
- Die historischen Wurzeln des orthodoxen Politikverständnisses in der Heiligen Schrift und der antiken Philosophie.
- Die Entwicklung der orthodoxen Theologie der Machttotalität und der Symphonielehre.
- Der Einfluss der slavophilen Strömung auf das russisch-orthodoxe Denken.
- Die Rolle der Orthodoxie in der russischen Gesellschaft.
- Der Paradigmenwechsel von einer primär politischen Theologie hin zu einer Sozialethik.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Diese Einleitung beschreibt die Zielsetzung der Arbeit, welche darin besteht, die Charakteristiken eines spezifisch russisch-orthodoxen Politikverständnisses darzulegen. Die Arbeit verfolgt einen methodischen Ansatz, der ideengeschichtliche und philosophisch-theologische Aspekte verbindet, um die Entwicklung des orthodoxen politischen Denkens von seinen Ursprüngen bis zu den russischen Philosophen des 19. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Die Arbeit ist in drei Kapitel gegliedert, die sich jeweils mit unterschiedlichen Aspekten und historischen Perioden befassen.
2. Der Ursprung des politischen Denkens der Ostkirche: Dieses Kapitel untersucht die Quellen des orthodoxen politischen Denkens. Es analysiert die alttestamentliche theokratische Denkweise und deren Einfluss auf das orthodoxe Verständnis von Politik und Religion. Im Gegensatz dazu wird das ambivalente Verhältnis des Neuen Testaments zum Staat beleuchtet. Das Kapitel vergleicht den Einfluss alttestamentlicher und neutestamentlicher Ideen auf das östliche und westliche Christentum, wobei der Fokus auf den Unterschieden im Umgang mit den politischen Aspekten des christlichen Glaubens liegt. Die Rolle von Platon, Neoplatonismus und der patristischen Lehre im orthodoxen politischen Denken wird ebenfalls erörtert, um die philosophischen Grundlagen dieses Verständnisses zu verdeutlichen. Die byzantinische Kirchentradition wird als wichtiger Einflussfaktor in diesem Kontext betrachtet.
Schlüsselwörter
Russisch-orthodoxes Politikverständnis, Orthodoxe Theologie, Machttotalität, Symphonielehre, Katholizität, Sobornost, Slavophile Strömung, Russische Philosophie, Kirche und Staat, Kirche und Gesellschaft, Byzantinische Tradition, Heilige Schrift, Platonismus, Neoplatonismus, Patristik.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Russisch-Orthodoxes Politikverständnis
Was ist der Gegenstand dieser Seminararbeit?
Die Seminararbeit untersucht das spezifisch russisch-orthodoxe Politikverständnis in seiner historischen Entwicklung, von den biblischen Wurzeln bis zur russischen Philosophie des 19. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf dem Zusammenspiel von orthodoxer Theologie und Politik.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die historischen Wurzeln des orthodoxen Politikverständnisses in der Heiligen Schrift und der antiken Philosophie, die Entwicklung der orthodoxen Theologie der Machttotalität und der Symphonielehre, den Einfluss der slavophilen Strömung, die Rolle der Orthodoxie in der russischen Gesellschaft und den Paradigmenwechsel von einer politischen Theologie zu einer Sozialethik.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in jedem Kapitel?
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel: Kapitel 1 (Einleitung) beschreibt die Zielsetzung und Methodik. Kapitel 2 ("Der Ursprung des politischen Denkens der Ostkirche") analysiert die biblischen und philosophischen Grundlagen des orthodoxen politischen Denkens, inklusive Platonismus, Neoplatonismus, Patristik und der byzantinischen Tradition. Kapitel 3 ("Kirche und Staat") befasst sich mit der orthodoxen Theologie der Machttotalität, der Symphonielehre und deren Rezeption in Russland. Kapitel 4 ("Kirche und Gesellschaft") untersucht Katholizität, Sobornost, die slavophile Strömung und das Verhältnis der Russisch-Orthodoxen Kirche zur heutigen russischen Gesellschaft. Kapitel 5 (Ausklang) fasst die Ergebnisse zusammen.
Welche Schlüsselbegriffe sind zentral für die Arbeit?
Zentrale Begriffe sind: Russisch-orthodoxes Politikverständnis, Orthodoxe Theologie, Machttotalität, Symphonielehre, Katholizität, Sobornost, Slavophile Strömung, Russische Philosophie, Kirche und Staat, Kirche und Gesellschaft, Byzantinische Tradition, Heilige Schrift, Platonismus, Neoplatonismus, Patristik.
Welche Methodik wird verwendet?
Die Arbeit verbindet ideengeschichtliche und philosophisch-theologische Aspekte, um die Entwicklung des orthodoxen politischen Denkens nachzuvollziehen.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt auf eine umfassende Darstellung der Charakteristiken eines spezifisch russisch-orthodoxen Politikverständnisses ab.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Arbeit bezieht sich auf die Heilige Schrift, antike Philosophie (Platonismus, Neoplatonismus), patristische Lehre, byzantinische Tradition und die russische Philosophie des 19. Jahrhunderts. Konkrete Quellenangaben sind nicht im vorliegenden HTML-Ausschnitt enthalten.
- Citation du texte
- Christian Dallinger (Auteur), 2010, Charakteristika eines spezifisch russisch-orthodoxen Politikverständnisses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298722